„Never again“, „Singularität“ und andere pathische Ideologeme

Einer der banalsten Sätze Adornos, der auf die eigene Banalität schon reflektiert, ist „Den­ken und Han­deln so ein­zu­rich­ten, dass Ausch­witz nicht sich wie­der­ho­le, nichts Ähn­li­ches ge­sche­he.“ Aus diesem Satz wird gerne ein „Imperativ“ gemacht, auf den man sich berufen muss, als könne es das eigene Denken eines jeden nicht selbstständig ohne Nennung des großen Namens zustande bringen. Erneut sei erwähnt, dass es sich nicht um den „kategorischen Imperativ Adornos“ handelt, wie häufig in Unkenntnis des Textes die Phrase gedroschen wird, sondern dass Adorno diesen Imperativ als einen von Hitler der Welt aufgezwungenen benennt. Adornos explizit nicht philosophischer Satz zeichnet kein hohes Abstraktionsniveau aus, sondern das Einfachste.  Keinerlei Bildung oder Ausbildung sollte es bedürfen, um einen solchen Schluss aus der Erfahrung der Shoah zu ziehen. Ihn affirmativ zu zitieren ist ähnlich dümmlich wie eine Definition von Freiheit aus dem Lexikon zu zitieren oder einen wunders was großen Philosophen zur Benutzung eines Alltagsgegenstandes herbeizurufen. Das Zitat verweist vielmehr auf einen rituellen Charakter einer Beschwörung, als könne die Nennung schon ein allgemeines Bewusstsein schaffen, das zur tatsächlichen Verhinderung beitrage.

Ähnlich verhält es sich mit der vielberufenen „Singularität des Holocausts“. Dass sich hier etwas grauenvoll Besonderes, ein für allemal Hervorstechendes ereignete, merkten auch und gerade die Ungebildeteren. Gegen Leugner und Relativisten war diese Phrase als Therapeutikum angedacht. Den Eliten heute dient der zur Phrase geronnene Satzbaustein  eher zur Verblindung gegen tatsächlich Besonderes gegenüber Ähnlichem und Anderen und als immunisierenden Merksatz zum getrosten Weitermachen wie bisher.

In einem Artikel über Rwanda schrieb ich:

Jegliches Kategorisieren und Vergleichen droht angesichts der absoluten Barbarei in Rationalisieren abzugleiten. Auschwitz wird sich nicht wiederholen, es hat sich nie wiederholt und es war immer schon ein Teil eines noch größeren Grauens.
Dass jedoch nichts irgend Ähnliches geschehe ist gleichsam der Kern des von Adorno nur mühsam ausformulierten kategorischen Imperativs der Menschheit nach Hitler. In Ruanda zeigten moderne Demokratien zum wiederholten Male, dass sie nicht in der Lage noch Willens sind, Völkermorde zu verhindern. Jedes Fazit erübrigt sich.

Dieses Ähnliche geschah zu oft, als dass man sich die Nichtbeschäftigung damit mit dem Verweis auf die Singularität von Auschwitz erspart. Dieser Singularitätsfetisch führt letztlich dazu, dass Todeslager wie Sobibor oder die Massenerschießungen im weiteren Osten nicht mehr als Teil der industriellen Vernichtung gedacht werden, die Auschwitz zum Inbegriff des Grauens – und selbst dieses Wort ist zu schwach für das Namenlose – machte. Paradox gegen die „Singularität“ steht die vollmundige Forderung „Never Again“, die von Überlebenden vorgetragen noch äußerstes Recht hat, 2010 aber nur noch abgeschmackt klingt. Auschwitz konnte sich nicht wiederholen. Ähnliches hat sich  zu oft ereignet: In Kambodschas Lagern, in denen Millionen von Intellektuellen und Städtern  tatsächlich dem gleichen Prinzip der Vernichtung durch Arbeit ausgesetzt waren, das in Deutschland nicht erst ersonnen wurde und auch im jungtürkischen osmanischen Reich schon als instinktives Verfolgungswissen gegen Armenier verwendet wurde. In Litauen wurden 95% der Juden von einer hasszerfressenen Gemeinde an Ort und Stelle ermordet. Sehr Ähnliches geschah in Ruanda, wo Nachbarn zu Mördern wurden und nun Überlebende mit Mördern Tür an Tür auskommen müssen. An der Weiterentwicklung von Techniken der Folter und dem Verschwindenlassen, die in Südamerika genozidale Diktaturen prägte, hatten geflohene Nazis entscheidende Anteile. In Asien bedurfte es keiner Nazis, um die gleichen Techniken zu erfinden und zu verfeinern. Allen Opfern schlägt das zuallererst identitäre „Never again“ ins Gesicht. Die magische Formel ist ein neurotisches Prinzip, das Realität durch Wiederholung des Spruchs abdrängen will. Der Satz dient nicht mehr dazu, mahnend an den Holocaust zu erinnern und ihn erst ins Geschichtbild zu rücken, sondern er hat die fatale Konsequenz, das inzwischen geschehene Ähnliche auszuklammern, als sei es nie geschehen. Die Parole ist nur der Gärschaum eines ganz unreflektierten Wunsches nach dem Gutseinkönnen. Wo sie erklingt, muss man sich die ernsthaftesten Sorgen machen, dass hier keinerlei echte Widerstandskraft zu erwarten ist, die über die Parole hinaus zu handeln und zu denken weiß.

Der neue Adorno Oevermann

Die Hagiographie für Oevermann aus der Hand Hans-Josef Wagners feiert den Begründer der „Objektiven Hermeneutik“ als neuen Adorno:

„Keine andere Position als die Oevermanns ist näher an dem, was Adorno als Ziel seiner »Negativen Dialektik« ansah und als »Utopie der Erkenntnis« bezeichnete, nämlich: »das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen«.“

Es stellt sich allerdings die Frage, warum eben jener neue Adorno sich auf einer Methodentagung strikt von der Kritischen Theorie abgrenzte. Mehr noch warf er dieser vor, die Wertfreiheit der Wissenschaft zu überstrapazieren. Ein Wissenschaftler solle im Dienste des Steuerzahlers keine Ideologiekritik betreiben. Das nimmt nicht weiter Wunder, folgt die objektive Hermeneutik doch allzu offen einer Angleichung an naturwissenschaftliche Methodik.

„Die objektive Hermeneutik ist nicht eine Methode des Verstehens im Sinne eines Nachvollzugs subjektiver Dispositionen oder der Übernahme von subjektiven Perspektiven des Untersuchungsgegenstandes, erst recht nicht eine Methode des Sich-Einfühlens, sondern eine strikt analytische, in sich objektive Methode der lückenlosen Erschließung und Rekonstruktion von objektiven Sinn- und Bedeutungsstrukturen.“ (Oevermann)

Die Sequenzanalyse in der Gruppe mag unterhaltsam sein und durchaus Aufschlüsse bringen. Interessant auch die These, dass Rupturen in den Protokollen durch Krisen ausgelöst werden. Wie allerdings die Objektivität zum Fetisch gerinnt und in positivistische Ideologie umschlägt, wird in der Trennung von Erfahrungswissen und objektivem Wissen offenbar. Das geht erfahrungsgemäß schief, denn wo Verhaltensforschung und Gehirnforschung zitiert wird, ist man von Biologismus und Strukturalismus nie weit entfernt. So kommt es auch zu strapaziösen Verlautbarungen von Seiten Oevermanns wie jene, dass Burschenschaften einmal progressiv gewesen seien.  Zumindest Adorno hätte gewusst, dass eben jene Studenten, die 1817 auf dem Wartburgfest gegen die Kleinstaatlerei ein geeintes Deutschland proklamierten, gleichzeitig den „Code Napoleon“ und die „Germanomanie“ des Saul Aschers verbrannten – auch ein affirmativer Begriff von Progressivität würde sich der Anwendung auf diese Autodafés schämen.