Daniel Bax‘ „Wir Israelversteher“ – ein Paradebeispiel des linken Antisemitismus

Die Tageszeitung (taz) hat eine Kommentarspalte eingerichtet mit dem Titel „Debatte: Unser Israel“. Wie zu erwarten, brauchte man auch einige Vertreter des klassischen linken Antisemitismus um dem Anspruch der „Objektivität“ gerecht zu werden und die Leserschaft nicht gänzlich zu verstören. Daniel Bax ist bekanntermaßen erste Wahl und seinen Beitrag „Wir Israelversteher“ vom 27.7.2010 möchte ich hier stellvertretend zu diskutieren, um keine Gelegenheit unversäumt zu lassen, jenen, die lediglich uninformiert sind, alternative Lesarten zu ermöglichen.

Ich beginne beim Titel: „Wir Israelversteher“. Es ist kaum fünf Jahre her, das war „Versteher“ in verschiedensten Kombinationen ein Schimpfwort. Zu den beliebtesten zählte „Frauenversteher“. Das „Verstehen“ wurde als Ausdruck eines laxen, unmännlichen Empathievermögens geprägt und wird in genau diesem Sinne von Bax angewendet. Der Untertitel triggert an weiteren Fronten des Unbewussten.

Israels rechte Regierung instrumentalisiert den Holocaust für ihre Politik. Gerade viele Deutsche zeigen sich für diese Propaganda sehr empfänglich.

Die Regierung Israels als „rechts“ (und später als „rechtsextrem“) zu bezeichnen projiziert deutsche politische Kategorien auf Israel und leistet so eine Befreiung von Schuldlast. Rechts und Rechtsextrem, das sind hierzulande Nazis und Nationalkonservative. Wenn selbst Israelis mehrheitlich („Regierung“) Nazis oder zumindest irgendwie rechtsextrem sind, kann man den deutschen Opa kaum in die Schuld dafür nehmen, ein Nazi geworden zu sein. „Die sind ja genauso schlimm“ – das ist eine Strategie, die Adorno bereits in den 1950-ern in in den Gruppendiskussionen mit Deutschen als charakteristisch für die Schuldabwehr herausarbeitete. (Siehe „Schuld und Abwehr“ in „Soziologische Schriften II“) Dass diese „rechte Regierung“ den „Holocaust“ für „ihre Politik“ „instrumentalisiert“ gehört zum NPD-Jargon und ist hinreichend analysiertes Projektionsschema der AntisemitInnen. Über die Shoah zu sprechen und zu urteilen wird zu einem Privileg deutscher Urteilskraft gemacht. Weiter wird darin eine Trennung von israelischer Politik und der Shoah vollzogen, die es erleichtert, gegen Israel zu hetzen ohne in den Verdacht zu geraten, die Shoah gutheißen zu wollen.

Gerade viele Deutsche zeigen sich für diese Propaganda sehr empfänglich, meint Bax. Ausgerechnet Deutsche also fallen auf israelische/jüdische Propaganda herein. Hier wird suggeriert, dass Deutschland in der Mehrheit „Propaganda“ der israelischen Regierung aufnehmen würde – und das aus einem spezifischen („gerade“) deutschen Komplex heraus. Wohl als Beispiel für israelische/jüdische Propaganda wurde an dieser Stelle ein Foto der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eingefügt – ein Schluss, der von den RedakteurInnen vermutlich heftig abgelehnt würde, zumindest aber keine Entschuldigung für eine solche Geschmackslosigkeit nach sich ziehen wird.

Glaubt man Benjamin Netanjahu, dann ist es fünf vor zwölf für Israel. In einer Rede zum Holocaust-Gedenktag, die er im April in der Gedenkstätte Jad Vaschem hielt, verglich Israels Regierungschef das Atomprogramm des Irans mit dem Aufstieg Nazi-Deutschlands und warf der Welt vor, im „Angesicht des Bösen“ wieder einmal tatenlos zu bleiben. Solche Töne sind nicht neu. Schon bevor Netanjahu zum zweiten Mal zum Premier gewählt wurde, unterstellte er Irans Präsident Ahmadinedschad, einen zweiten Holocaust zu planen, und warnte schrill, die Lage sei heute wie „1938“.

Das ist natürlich Propaganda, die einem klaren politischen Zweck dient. Denn mit diesem Alarmismus, der einen Ausnahmezustand suggeriert, lässt sich noch jede israelische Aggression – bis hin zu einem Angriff auf den Iran – als Akt der Notwehr verkaufen. Leider verfängt diese Demagogie erstaunlich gut. Nicht nur bei Juden in Israel und anderswo, bei denen Ahmadinedschads antiisraelische Tiraden an alte Wunden rühren und Vernichtungsängste wecken. Sondern auch in Deutschland, wo es vielen schwerfällt, Israelis anders als in jener Opferrolle der Juden wahrzunehmen, die man aus dem Geschichstunterricht kennt.

Dass die Leserschaft einem Benjamin Netanjahu nicht glauben will, wird von Bax vorausgesetzt. Die Phrase „fünf vor zwölf“ leitet den Vorwurf des Alarmismus ein. „Schrill“ sei die Warnung Netanjahus, der wegen oder trotz „solcher Töne“ bereits „zum zweiten Mal zum Premier gewählt wurde“. Der Wahrheitsgehalt dieser Verlautbarung Netanjahus in Yad Vashem, die einer sehr parteiübergreifende Meinung in Israel entspricht, wird von Bax nicht diskutiert. Weder Ahmadinedschads „Holocaust-Konferenz„, deren einziger Zweck die Leugnung und damit die Vorbereitung einer Wiederholung der Shoah war, noch der Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb, noch die bestens dokumentierte antisemitische Tradition der iranischen Diktatur und die Bedeutung des Antisemitismus für die iranische Propaganda noch die bisherigen Aggressionen des iranischen Terrorismus (etwa die Anschläge in Buenos Aires, die Aufrüstung der Hisbollah und der Hamas) noch die bestens belegten jahrzehntelang verfolgten Absichten der iranischen Diktatur zum Bau von Nuklearwaffen können Bax von irgendeiner Gefahr für Israel überzeugen. Eine solche anzunehmen sei „natürlich Propaganda“.
Maßlosigkeit, traditionelles Kennzeichen des Antisemitismus, wird auf Israel projiziert: „noch jede israelische Aggression“ suggeriert das, was man insgeheim noch immer am meisten befürchtet: Rache der Juden/Israelis an den Deutschen, Rache für die Shoah.
Das ist der Inhalt des Satzes „Israelis anders als in jener Opferrolle der Juden wahrzunehmen, die man aus dem Geschichtsunterricht kennt“ – die tiefe Furcht vor den Opfern. (An dieser Stelle meinen Dank an NF für diesen Hinweis!)
So wird aus den sehr begrenzten Möglichkeiten einer israelischen Militäraktion gegen iranische Atomanlagen (nach dem Vorbild der „Osirak„-Aktion) – eine unheimliche entgrenzte Bedrohung: „noch jede israelische Aggression“.
Dass für Juden in Israel die Vernichtungsdrohung kein Ausnahmezustand, sondern Alltag ist, kann Bax ohnehin nicht nachvollziehen, zu pathisch hat er sich gegen jede Empathie mit den Opfern der Shoah und ihren Nachkommen abgedichtet. Diesen spricht er jede Rationalität in ihrer Angst ab.

Dabei haben historische Kurzschlüsse im Nahen Osten eine lange Tradition. Der Historiker Tom Segev hat in seinem Buch „1967“ über den Sechstagekrieg herausgearbeitet, wie der Angriff auf Ägypten von einer weit verbreiteten Furcht vor einer möglichen Wiederholung des Holocausts getragen wurde. Später verglich Israels Premier Menachem Begin den in Beirut eingekesselten PLO-Chef Jassir Arafat mit Adolf Hitler im Führerbunker.

Doch keine israelische Regierung missbraucht den Holocaust so sehr wie die gegenwärtige, um damit ihre Politik zu rechtfertigen. Netanjahu hat ein Faible für Nazi-Vergleiche: Vor der UN-Vollversammlung verstieg er sich dazu, den Gazakrieg mit dem Kampf der Alliierten gegen die Nazis zu vergleichen. Und den früheren deutschen Außenminister Steinmeier belehrte er, das Westjordanland dürfe durch den Abzug der israelischen Siedler nicht „judenrein“ werden.

Bax zeichnet eine Traditionslinie des „Mißbrauchs des Holocausts“ durch israelische Regierungen. Der Präventivschlag Israels im Sechstagekrieg, vor dem Ägypten durch die UDSSR mit 1000 Panzern aufgerüstet wurde und täglich weitere Militärtransporter der UDSSR in Kairo landeten, vor dem 100 000 ägyptische Soldaten an der Grenze Israels aufmarschierten und Nasser den Abzug der UNEF-Truppen aus dem Sinai erzwungen hatte, sei also gänzlich grundlos von Ängsten vor dem offenen Antisemitismus der arabischen Nachbarstaaten „getragen“ worden. Ob und wie und mit welchem Recht Begin den Schüler des islamischen Nationalsozialisten Al-Husseinis Arafat nun mit Hitler verglich belegt Bax wie alle seiner Behauptungen und Lügen nicht weiter. In jedem dieser Fälle sei „der Holocaust“ durch die israelische Regierung „missbraucht“ worden – was eine krude Vorstellung von einem legitimen „Gebrauch“ des Holocaust voraussetzt. Dass die Hamas in Gaza in ihrer Charta im wesentlichen die Protokolle der Weisen von Zion wiederholt und sich selbst in die Tradition des Nationalsozialismus stellt, muss Bax ebenso wenig kümmern wie die Tatsache, dass das Westjordanland ohne jüdische Siedlungen nun mal „judenrein“ wäre – was übrigens gar nicht im Interesse der PalästinenserInnen wäre, für die die jüdischen Siedlungen im Westjordanland Arbeit und Einkommen bedeuten.

Bei all jenen Israelis und Juden, die sich bis heute als unverstandene Opfer der Geschichte fühlen, fällt solche Brachialrhetorik auf fruchtbaren Boden. Die Selbstviktimisierung hilft ihnen, Israels Besatzungspolitik und seine Kriege zu relativieren. In seiner selbstgerechten Mischung aus Nationalismus („Israel ist so toll“), Zynismus („Den Palästinensern bei uns geht es gut!“) und Larmoyanz („Die bösen Medien sind so unfair“) hat Chaim Noll in seinem Debattenbeitrag (taz, 19. 7.) ein eindrucksvolles Beispiel für diese Geisteshaltung gegeben. Wenn man die Welt so einäugig betrachtet, wiegt ein falsch beschnittenes Agenturfoto weit schwerer als neun Tote es tun, die von israelischen Soldaten auf einem Hilfsschiff für Gaza erschossen wurden.

Bax schämt sich nicht vor einem äußerst unfeinen persönlichen Angriff auf Chaim Noll, der vor ihm eine Verteidigung Israels leistete. Dieser sei „selbstgerecht“ – dass Juden Rechte haben, Recht sprechen und beanspruchen dürfen, war bereits den Feinden der Judenemanzipation im 19. Jahrhundert ein Dorn im Auge. Er sei „Nationalist“, was wieder den Transfer deutscher Kategorien und deutscher Schuld auf Israel beinhaltet. Er sei „zynisch“, weil er betont, dass sich gar keine Mehrheit für einen palästinensischen Staat im Westjordanland findet und ein kooperativer, friedlicher Alltag stattfindet, der im Medienbild keine Berücksichtigung findet. Und er sei „larmoyant“ – ein jammernder Jude, der sich in seiner „Selbstviktimisierung“ als unverstandenes Opfer der Geschichte fühlt, sich also nicht so haben soll. Die „Einäugigkeit“ ist eine bekannte Etüde auf der antisemitischen Klaviatur, die israelische Politik mit einem so häufig fehlzitierten Satz aus dem jüdischen Testament verhetzt: Diese sei auf Rache aus, würde „Auge um Auge“ fordern – ein Ressentiment, das wieder der Angst vor der jüdischen Rache entspringt.

Für Bax ist es kein Problem, wenn eine international anerkannte Nachrichtenagentur wie Reuters wiederholt Bilder fälscht, um antiisraelische Ressentiments zu schüren oder nicht zu gefährden. Ebenso kann er wie die meisten deutschen Zeitungen über die zahllosen Video-Beweise hinwegsehen, die den israelischen Einsatz auf der Marmara als Notwehr rechtfertigen und die Schuld an den Toten primär der Rackets in der Marmara-Besatzung anlasten, die ein terroristisches Attentat auf Israel planten und durchführten.

In einem Punkt aber irrt Noll ganz besonders. Denn in wenigen Ländern kann Israels Politik mit so viel Verständnis rechnen wie hierzulande. Das gilt nicht nur mit Blick auf Bundeskanzlerin Angela Merkel oder die Zeitungen aus dem Axel-Springer-Verlag, deren Vorstandschef Mathias Döpfner einmal voller Ernst von sich sagte, er sei „ein nichtjüdischer Zionist“. Das trifft auch auf vermeintlich „linke“ Blätter wie Konkret oder Jungle World zu, die Israel bevorzugt als Opfer ausländischer Mächte zeichnen und sogar seine rechte bis rechtsextreme Regierung mit Inbrunst verteidigen.

Verblüffen kann das nur, wer von Linken per se eine Verpflichtung auf die Menschenrechte erwartet. Doch das wäre falsch. Manche Linke sahen einst die Sowjetunion als „gelobtes Land“ an und denunzierten jede Kritik am Kommunismus als „unsolidarisch“ – jetzt halten es manche mit Israel so. Der Schulterschluss mit Israel hat zudem eine psychologische Entlastungsfunktion: Manche glauben, damit jenen antifaschistischen Widerstand nachzuholen, den die eigenen Eltern und Großeltern leider versäumten. Sehr empfänglich sind sie daher für Netanjahus Propaganda, die suggeriert, die Palästinenser oder der Iran seien „die Nazis von heute“.

Bax ignoriert die einstimmige Aufforderung des Bundestages, die Gaza-Blockade, die Israel vor ungehinderten Waffenlieferungen aus dem Iran an die Hamas schützt, „sofort aufzuheben“, er ignoriert alle Studien, die in Deutschland eine überwältigende Mehrheit mit antiisraelischer Gesinnung ausmachen, etwa das Ergebnis einer BBC-Studie:

„Am schlechtesten schnitten bei der Umfrage wie im Vorjahr Iran (17 Prozent positiv), Pakistan (17 Prozent), Nord-Korea (20 Prozent) und Israel (21 Prozent) ab. In Deutschland haben 65 Prozent den Eindruck, dass von Israel ein eher schlechter Einfluss ausgeht.“

Die Eigentümlichkeit, dass es in Deutschland wie in Europa überhaupt stets eher konservative und in ihrer sonstigen Politik häufig widerwärtige Parteien oder zumindest deren Eliten sind, die sich israelsolidarisch äußern, während linke und sozialdemokratische Parteien eher zu den Proliferaten noch der plattesten antisemitischen Ressentiments gehören, könnte Bax noch einen bloßen Fehlschluß aufgebunden haben – seine Verlogenheit in Bezug auf daherhalluzinierte Stimmungsbilder macht allerdings sein antisemitisches Ressentiment sichtbar.

Gleichmacherei ist sein vorgeschütztes Argument, die StalinistInnen von einst seien die Israelfreunde von heute. Hier lügt sich Bax am Staatsantisemitismus der UDSSR und dem reichlich belegten ihrer AnhängerInnen (wie jenen der RAF oder der Linkspartei/PDS) vorbei.

Solche Gleichsetzungen relativieren den Holocaust, der ein einzigartiges Verbrechen war, das bekanntlich von Deutschen begangen wurde. Muss man betonen, dass sich die politische Lage im heutigen Nahen Osten nicht annähernd mit der Verfolgung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs vergleichen lässt? Israel ist immerhin die stärkste Militärmacht der Region und für den Iran und andere Nachbarn eine weit größere Bedrohung als umgekehrt.

Solches Räsonieren will den Anschein von logischen Gedankenketten wahren. Die „Einzigartigkeit der Shoah“, ein ohnehin von Beginn an etwas vermurkstes Abwehrinstrument gegen die Retourkutschen-Mentalität im Zuge der postnazistischen Schuldabwehr, wird für Bax zur Waffe gegen jene, die auf „Nie wieder Auschwitz“ pochen. Mit dem Beleg der „Einzigartigkeit“ soll die Gefahr antisemitischen Mordens gebannt sein. Und nicht mit der Verfolgung der europäischen Juden während des zweiten Weltkrieges, der Shoah, sonder mit der Situation um „1938“ verglich Netanjahu die heutige Bedrohung, deren Existenz Bax negiert.

Israel soll zudem stärkste Militärmacht der Region sein. Das ist nur dann wahr, wenn man es als Militärmacht wertet, sich im Angesicht des eigenen Untergangs mit ein paar Dutzend Atomwaffen zu rächen. Israel hat weder das Öl noch einen Bruchteil der Armeestärke seiner Gegner. Und es hat noch nie einen echten Angriffskrieg geführt, befindet sich aber trotzdem seit über 60 Jahren in einem Kriegszustand, ohne dass eine nennenswerte Barbarisierung der Gesellschaft eingetreten wäre. Im Gegenteil erhält nunmehr jedes Battalion einen Offizier für humanitäre Angelegenheiten. Welche konkrete Bedrohung Bax in Israel für Iran oder andere Nachbarn sieht, bleibt solange unklar, wie man nicht das oben bereits bedeutsame Verhältnis der Angst vor der Rache der Opfer berücksichtigt. Es handelt sich um exakt jenes Heraufbeschwören eines Ausnahmeszustandes nach Bax, der jede Aggression rechtfertigt. Gegen ein so bedrohliches Israel darf die Hamas Raketen feuern, die Hisbollah Soldaten entführen, Iran Atomwaffen bauen und dürfen „Friedensaktivisten“ Messer, Knüppel und Pistolen zücken.

Harmlos ist die deutsche Begeisterung für Israel, solange sie sich in naiver Schwärmerei für Land und Leute erschöpft. Schwieriger wird es, wenn sie mit antidemokratischen Haltungen einhergeht, die in Israel weit verbreitet sind – zum Beispiel rassistische Vorurteile gegenüber Arabern und anderen Muslimen. Es ist ja kein Zufall, dass unter den größten Israelfans auch die schärfsten Islamgegner zu finden sind – und umgekehrt. Ob Henryk M. Broder, Ralph Giordano, der holländische Rechtspopulist Geert Wilders oder Internet-Hetzblogs wie Politically Incorrect – sie alle preisen Israel als Vorbild und plädieren dafür, Muslime in Europa zu diskriminieren.

Der Ruf nach unbedingter „Solidarität mit Israel“, der aus solchen Ecken ertönt, lenkt von anderen, wichtigeren Fragen ab: Kann ein Demokrat gezielte Tötungen von „Terroristen“ (wer immer diese als solche definiert) als Mittel der Politik gutheißen? Kann er die Besatzung und den Siedlungsbau im Westjordanland, Blockade und Bombardierung des Gazastreifens unterstützen? Oder zumindest begrüßen, dass die deutsche Kanzlerin dazu kaum Kritik äußert aufgrund unserer „Verantwortung für den Holocaust“?

Gehört es also zu den Lehren aus der deutschen Geschichte, eine rechte Regierung zu unterstützen, die Friedensgespräche ablehnt und von einem Israel bis zum Jordan träumt? Es ist ja kein Geheimnis, dass deren Positionen kaum mit den Werten westlicher Demokratien zu vereinbaren sind.

Mit Israel mag uns viel verbinden. Ein Grund, begeistert seine Flagge zu schwenken, wie manche Israelfreunde das tun, ist es nicht.

Bax unterstellt ausgerechnet Israel, der einzigen Demokratie im nahen Osten, eine weite Verbreitung antidemokratischer Haltungen, darunter rassistischer Ressentiments. Es mag in Israel eine manifeste und verbreitete Abneigung arabischer Juden gegen arabische Muslime geben und ja, auch ein Problem mit einigen fundamentalistischen, antidemokratischen Strömungen des religiösen Judentums. „Araber und andere Muslime“ ist dagegen schon eine in sich rassistische Wendung, die zum einen jene arabische Juden negiert, die zum Beispiel 1948 aus den arabischen Staaten vertrieben wurden und zum anderen Muslime (zu denen auch konvertierte israelische Juden zählen) und Araber gleichsetzt, als gäbe es keine säkularen, atheistischen Araber. Ein „Islamgegner“ zu sein ist für Bax schon gleichbedeutend mit Rassismus – die übliche Verkehrung, der sich derzeit nicht einmal gestandene Atheisten entblöden. Wo Broder oder Giordano die „Diskriminierung“ von Muslimen in Europa fordern muss nicht einmal in der taz weiter belegt werden, solange die Gleichsetzung mit jenen nationalistischen „Europäern“ funktioniert, die Israel mitunter als Mittel zum Zweck ihrer Ideologiebildung verwenden.

Als „Demokrat“ hat sich Bax anscheinend nicht über die weiterreichenden internationalen demokratischen Konventionen zur Kriegsführung informiert, nach denen führende militärische Gegner in einem Krieg getötet werden dürfen. Überzeugte Demokraten aus allen Epochen haben diese Praxis selbstverständlich ausgeführt und gut geheißen.

Von jeder Unterstützung des Siedlungsbaus ist man in ganz Europa und besonders in Deutschland weit entfernt. Es bleibt vereinzelten Randgruppen und journalistischen PredigerInnen in der Wüste vorbehalten, die Siedlungen zu besuchen und ein differenziertes Bild der Alltags von Juden im Westjordanland zwischen terroristischen Attentaten und Israel-Boykotten zu zeichnen. Oder auf die Palästinenser hinzuweisen, die Israel allemal jenen korrupten terroristischen Banden vorziehen, die ihnen in Gaza und im Westjordanland das Leben schwer machen. Oder jene arabischen Regierungen zu kritisieren, die für die palästinensischen Siedlungen auf ihrem Staatsgebiet Hilfsgelder abschöpfen und die BewohnerInnen fern jeder panarabischen Solidarität aufs bitterste diskriminieren.

Bax hat durch sein penetrantes Lügen bereits bewiesen, dass er weder eine Intervention der Redaktion noch eine Rüge des Presserats befürchten muss. Indem er Netanjahu vorwirft, „Friedensgespräche abzulehnen“, fügt er dem nur noch eine Lüge hinzu. Für all jene, die wirklich an Israel und seiner Politik interessiert sind, sei abschließend Netanjahus Rede in Bar Ilan empfohlen, in der es zum Beispiel heißt:

‚But, friends, we must state the whole truth here. The truth is that in the area of our homeland, in the heart of our Jewish Homeland, now lives a large population of Palestinians. We do not want to rule over them. We do not want to run their lives. We do not want to force our flag and our culture on them. In my vision of peace, there are two free peoples living side by side in this small land, with good neighborly relations and mutual respect, each with its flag, anthem and government, with neither one threatening its neighbor’s security and existence.‘

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Siehe auch:

Nexusrerum: „Unser Holocaust – der Juden Knacks und der Judenknacks