„Aber handelt es sich überhaupt um Aberglauben? In solchen Vorlieben sehe ich eher den Ausdruck einer Weisheit, der die wilden Völker spontan gehorcht haben und der gegenüber die moderne Rebellion als der wahre Irrwitz erscheint.“ (Levi-Strauss, TT: 113)
„Und da diese Missstände vorkommen, welches Recht haben wir dann, sie zu Hause zu bekämpfen, wenn sie nur irgendwo anders zu herrschen brauchen, damit wir uns vor ihnen verneigen.“ (TT: 380)
„Die Strukturen gehen nicht auf die Straße“, wurde den Strukturalisten von den Marxisten 1968 entgegengeschleudert. Sie gingen – deswegen oder trotzdem – auch nicht unter. Der Strukturalismus wurde schon so oft zum toten Pferd erklärt, dass die Nekrologe sich selbst wie Widergänger ausnehmen. Wenn nun Claude Leví-Strauss seinen Geburtstag eher griesgrämig absolviert, ist die Ursache weniger im persönlichen Misserfolg als Theoretiker zu sehen. Vielmehr ist diese Haltung die Konsequenz aus der zivilisationskritischen und bisweilen zivilisationsfeindlichen privaten Einstellung des Ethnologen.
Leví-Strauss hat seinen wohl größten Erfolg literarisch errungen. In „Traurige Tropen“ verarbeitet er seine an Rousseau angelehnte und diesem gewidmete Enttäuschung über die Zerstörung von Natur und Naturzustand. Die beschwerliche Reise zu den Nambikwara, eine der letzten Entdecker-Expeditionen im Kolonialstil, mit Lastochsen, Tauschware und Trägern, ist Erfolg und Enttäuschung zugleich. Endlich am Ziel angekommen, gehen ihm die Vorräte aus. Das versprengte und verwahrloste Trüppchen Nambikwara-Indianer muss er kurz nach seiner Ankunft wieder verlassen. Für seine Gegner war das ein Grund, ihm schlechte Feldforschungstätigkeit zu unterstellen. Dieser Zynismus vergisst die materiellen Möglichkeiten, die der britischen und amerikanischen Ethnologie im Vergleich zur französischen während des Krieges noch offen standen – wenngleich es auch bei den Alliierten Arbeitspausen gibt: Evans-Pritchards beispielsweise dezimierte als Scharfschütze in einem Baum sitzend italienische Faschisten.
Leví-Strauss dagegen war als Jude auf der Flucht vor den Nazis gezwungen, seine feldforscherischen Fähigkeiten und Beobachtungsgabe in den Kriegsjahren auf einem Flüchtlingsboot und in Aufnahmeländern anzuwenden – was dem ur-ethnologischen Bedürfnis nach Anderem, Unerklärlichem, allenfalls in jahrelanger, esoterischer Einfühlungsarbeit Erschließbarem und dann kaum Transkribierbarem sauer aufstößt. Heute würde eine solche Flucht wohl unter dem euphemistischen Label der „Migrationsforschung“ bevorzugt besprochen werden.
Gerade das Trauma seiner Flucht wird von Leví-Strauss selbst nur am Rande und fragmentarisch besprochen. Der Konfessionismus der Traurigen Tropen scheut ansonsten nicht vor tiefen Einblicken in das Gefühlsleben des Ethnologen zurück: Verabscheuung gegenüber Forschungsreisenden, Ekel vor indischen Pilgerherbergen und Ungeziefer im Regenwald, Langeweile – Einzelheiten regen Leví-Strauss nicht selten zu epischen Abschweifungen an. Die Flucht aus Europa ist ihm allerdings nur wenige Zeilen wert. Ein Beamter einer Schifffahrtgesellschaft will ihn auf dem rettenden Schiff zunächst nicht annehmen – weil die Zustände auf diesem seinen Bedürfnissen nicht angemessen seien:
„Der brave Mann sah in mir immer noch einen, wenn auch bescheidenen Botschafter der französischen Kultur; während ich mich bereits als gehetztes Wild fühlte, auf der Flucht vor dem Konzentrationslager. Zudem hatte ich die beiden letzten Jahre tief im Urwald und später, von einem Quartier zum anderen, auf einem wilden Rückzug zugebracht, der mich von der Maginotlinie nach Béziers verschlagen hatte – über die Sarthe, die Corrèze und den Aveyron: in Viehwaggons und Schafställen; die Skrupel meines Gesprächspartners erschienen mir völlig unangebracht.“ (TT: 16)
Über die zurückgebliebene Verwandtschaft und das Grauen in Europa schweigt er. Stattdessen gilt es flugs, Charakterstudien der Mitflüchtlinge zu erstellen, allen voran André Breton und Victor Serge, „Flirts“ anzubahnen und theoretische Überlegungen zu Rolle und Individuum anzustellen. Seine theoretischen Erwägungen über den Vernichtungskrieg, der im Kernland der Zivilisation tobte und auch ihm galt, verengen sich einige Seiten weiter auf eine dem späteren Spatial Turn vorausgreifenden, von Biologismen durchzogenen Anthropologie:
„Auf dieser französischen Erde hatten Krieg und Niederlage lediglich einen universellen Prozess beschleunigt und die Ausbreitung einer bleibenden Seuche erleichtert, die niemals vollständig vom Antlitz der Welt verschwinden, sondern, wenn sie sich irgendwo abschwächen sollte, sofort an einem anderen Punkt wieder aufflammen würde. All diesen unsinnigen, hasserfüllten und leichtgläubigen Vorstellungen, welche die sozialen Gruppen wie Eiter ausscheiden, wenn es ihnen an Raum zu mangeln beginnt, begegnete ich heute nicht zum ersten Mal.“ (TT: 23)
Und weiter schreibt er:
„Eine wuchernde, überreizte Zivilisation stört für immer die Stille der Meere. Eine Gärung von zweifelhaftem Geruch verdirbt die Düfte der Tropen und die Frische der Lebewesen, tötet unsere Wünsche und verurteilt uns dazu, halb verfaulte Erinnerungen zu sammeln. […] Denn der westlichen Kultur, der großen Schöpferin alle der Wunder, an denen wir uns erfreuen, ist es nicht gelungen, diese Wunder ohne ihre Kehrseiten hervorzubringen. Und ihr berühmtestes Werk […] die Ordnung und Harmonie des Abendlands, verlangt, daß eine Flut schädlicher Nebenprodukte ausgemerzt wird, die heute die Erde vergiften. Was uns die Reisen in erster Linie zeigen, ist der Schmutz, mit dem wir das Antlitz der Menschheit besudelt haben.“ (TT: 31)
Eben jener in Viehwaggons und stinkenden Schiffen aus dem kollabierenden Abendland fliehende Leví-Strauss findet erst in der angefressenen Natur Brasiliens die Dialektik der Aufklärung? Handelt es sich dabei nicht um ein trostloses Resultat einer traumatischen Objekt-Verschiebung, die in der Verallgemeinerung wie der folgenden ihre Rationalisierung sucht?
„Es ist nicht mehr zu ändern: Die Zivilisation ist nicht länger jene zarte Blüte, die man umhegte und mit großer Mühe in einigen geschützten Winkeln eines Erdreichs züchtete, in dem zwar viele robuste und durch ihre Lebenskraft zweifellos bedrohliche Feldpflanzen wuchsen, die aber die Saat auch zu verändern und kräftigen vermochten. Heute findet sich die Menschheit mit der Monokultur ab. Sie schickt sich an, die Zivilisation in Massen zu erzeugen wie Zuckerrüben. Und bald werden diese auch ihre einzige Nahrung sein.“ (TT: 31)
Die Faschisierung Europas, Asiens und Südamerikas erscheint Leví-Strauss wie eine teleologische Ausbreitung der Zivilisation:
„In diesem Licht gesehen, kann ich die Ereignisse, die seit zwanzig Jahren auf der Bühne Europas stattfinden und ein Jahrhundert resümieren, in dessen Verlauf seine Bevölkerung sich verdoppelt hat, nicht mehr die Folge der Verirrung eines Volks, einer Doktrin oder einer Gruppe von Menschen sehen. Ich sehe in ihnen vielmehr das Anzeichen einer Entwicklung hin zur geschlossenen Welt, deren Erfahrung Südasien ein oder zwei Jahrtausende vor uns gemacht hat und der wir uns, falls nicht große Entscheidungen getroffen werden, vielleicht nicht werden entziehen können. […] Im indianische Amerika liebe ich den selbst dort flüchtigen Widerschein eines Zeitalters, in dem sich der Mensch auf der Höhe seines Universums befand und in dem ein adäquates Verhältnis zwischen der Ausübung der Freiheit und ihren Zeichen bestand.“ (TT: 142)
In dieser Generalisierung und zugleich Verharmlosung des Nationalsozialismus zu einer naturgesetzhaften Tendenz von Überbevölkerung erlebt man einen geschichtsvergessenen Leví-Strauss, der von der Permanenz des Antisemitismus schweigt, der über Jahrtausende und Kulturen hinweg unabhängig von der jeweiligen Bevölkerungswachstumsrate prosperierte. Das fatale Ergebnis ist eine Relativierung von spezifischer kollektiver wie individueller Schuld zu einem bloß triebhaft reaktiven Handeln.
„Freiheit […] ist vielmehr das Ergebnis einer objektiven Beziehung zwischen dem Individuum und dem Raum den es einnimmt, zwischen dem Verbraucher und den Ressourcen über die er verfügt. Dabei steht nicht einmal fest, ob das eine das andere ausgleicht, und ob eine reiche, aber zu dicht bevölkerte Gesellschaft sich an dieser Dichte vergiftet wie jene Mehlwürmer, denen es gelingt, durch ihre Giftstoffe einander auszurotten, noch bevor es an Nahrung mangelt.[…] Dieser große Misserfolg Indiens ist uns eine Lehre: leben in einer Gesellschaft zu viele Menschen, so kann sie trotz des Genies ihrer Denker, nur weiterbestehen, wenn sie Knechtschaft ausschwitzt.“ (TT: 140f)
In solchen ephemeren Zitaten flackert die destruktive Affirmativität des Leví-Strauss’schen Konzeptes auf. Eben zu jenem negativ-teleologischen Determinismus, der wiederum ein Abbild des Evolutionismus und der damit einhergehenden Dekadenztheorien ist, mit denen der Fall der großen Zivilisationen Rom und Griechenland erklärt werden sollte, kehrt Leví-Strauss stets zurück.
Sein Defätismus treibt ihn zur Magie der Strukturen. Mit der Strukturalen Anthropologie entwirft er eine der Linguistik von Saussure entlehnte Methode, die aus den Gesetzmäßigkeiten in unterschiedlichsten Mythen einmal wie die zahllosen Kreuzungspunkte eines Kristalls eine durchsichtige Struktur von grundlegenden Oppositionen offenbaren soll. Phoneme und Morpheme, Paradigmenreihen, Homologien und syntagmatische Ketten werden aus Mythen extrahiert, verglichen und so lange geschliffen, bis sie ein stimmiges Konzept ergeben. Leví-Strauss sieht die Grenzen seiner Methode: eine vollständige Erschließung der Struktur menschlichen Handelns sei nie möglich. Dennoch meint er, mit den sich wiederholenden Oppositionen in den zahllosen Mythen von Nacktheit und Kleidung, von Gekochtem und Rohem, von Wald und Dorf das Urthema der Trennung von Kultur und Natur gefunden zu haben, das letztlich im Inzesttabu aufgeht.
Hier sind in den analytischen Befunden und der grundsätzlichen Zivilisationsskepsis die stärksten Gemeinsamkeiten mit der sieben Jahre vorher von Adorno und Horkheimer veröffentlichten Dialektik der Aufklärung zu verorten. Das unversöhnte Verhältnis des Menschen zur Natur führt zur Wiederkehr des Verdrängten, das bei Leví-Strauss zur Bearbeitung in Mythen treibt und seinem Kulturrelativismus den Weg bereitet. Weil Zivilisation ihr Verhältnis zur Natur nicht bewältigt habe, wäre sie auch nicht jenen Gesellschaften überlegen, die teils mit viel Witz und Genialität ihr Auskommen mit ihr suchten – um den Preis des Fortschritts.
Anders als Adorno/Horkheimer bewohnt Leví-Strauss die regressive Sehnsucht nach einem Naturzustand, in dem nicht Versöhnung, sondern vom Zwang erzeugte Symbiose herrscht. Für Leví-Strauss stellt sich der Evolutionismus nur verkehrt dar: Die Zivilisationsgeschichte führe nach der Ursünde zum Untergang der Zivilisation. Adorno/Horkheimer problematisieren dem entgegen das gleichzeitige gewaltige Potential der Befreiung, das aus Naturbeherrschung resultiert und wenden so den nach zwei Weltkriegen mehr als berechtigten Kulturpessimismus zur Kritischen Theorie, die intensiver als Leví-Strauss die Kritik der politischen Ökonomie und das Problem des Fetischismus der Ware einbezieht und die in der Psychoanalyse mehr sucht als die universale Gültigkeit des Inzesttabus.
Rasse und Geschichte
Leví-Strauss’ Versuch, seine Theorie auf gesellschaftskritische Belange jenseits des formelhaften Abgesangs zu wenden, ist in einer Auftragsarbeit der UNESCO festgehalten. Der kurze Band „Rasse und Geschichte“ sollte ein Beitrag zur Klärung des Rassismus sein.
Leví-Strauss stellt darin die These auf, die „Erbsünde der Anthropologie“ bestehe in der „Erklärung der unterschiedlichen soziologischen und psychologischen Leistungen der einzelnen Kulturen“ über einen „rein biologischen Rassebegriff“, nicht bereits in der Verwendung eines solchen. (RG: 8) Auf die Gültigkeit dieses biologischen Rassebegriffes insistiert er dabei nicht, sondern verweist auf die zeitgenössische Klärung durch die Genetik.
Durch eine von dieser zu erwartenden ausschließlich negativen Widerlegung dieser biologistischen Argumentationsweisen sei jedoch nicht geklärt, wie die „Verschiedenheit der Kulturen“ tatsächlich entstanden und begründet sei. (RG: 9) Leví-Strauss führt zwei Argumente gegen den biologischen Rassebegriff ein: Es gebe viel mehr Kulturen als Rassen, und innerhalb dieser Kulturen sei eine Ähnlichkeit räumlich, ergo „rassisch“ distinkter Kulturen genauso wahrscheinlich wie die Verschiedenheit zweier „rassisch“ und räumlich einheitlicher oder ähnlicher Kulturen.
Zweitens ergebe sich aus einer Verschiedenheit der Kulturen anders als aus einer Verschiedenheit der „Rassen“ die Frage, ob diese positiv oder negativ zu werten sei. Letztlich sei zu klären, worin „Verschiedenheit eigentlich besteht“. (RG: 10)
Um Rassismus zu widerlegen sei es erforderlich, die Verschiedenheit der Kulturen zu überprüfen und zu erforschen, die „in der öffentlichen Meinung, wenn auch nicht theoretisch, so doch praktisch, eng mit jener [der Ungleichheit der Rassen] zusammenhängt“.
Aus dieser zwischen Theorie und Praxis der öffentlichen Meinung oszillierenden Herleitung werden bei Leví-Strauss fortan Kultur und „Rasse“ als weitgehend identische Kategorien behandelt, Rassismus auf Ethnozentrismus zurückgeführt und über eine Diskussion des Ethnozentrismus auf eine automatisch erfolgende Klärung des Rassismusbegriffs geschlossen. Rassismus sei demzufolge nur ein Auswuchs einer kulturellen Diversität.
Die Annahme, der Unmut des Rassisten werde durch kulturellen Unterschied erregt, lässt sich indes einfach widerlegen: Der „Alltagsrassist“ nimmt wohl kaum Anstoß an der unterschiedlichen Kultur von Dackelzüchtervereinsmitglied und ExtrembergsteigerIn, solange diese äußerlich dem eigenen Kollektiv zugeordnet werden können. Umgekehrt wird innerhalb derselben Kultur eine Person mit möglicherweise denselben Essgewohnheiten, denselben Berufen und denselben Religionen in ihrer Existenz in Frage gestellt, wenn nur die Hautfarbe different ist. Ethnozentrismus und Rassismus überschneiden sich zwar signifikant, dennoch kann nicht von einer hierarchischen Ordnung gesprochen werden, nach der Rassismus aus dem Ethnozentrismus entspringt oder gleiche Argumente verwendet. Eine solche Differenzierung wird von Leví-Strauss kaum angedacht. Sein wirkliches Thema ist nicht der Rassismus, sondern der Kulturrelativismus.
Leví-Strauss differenziert zunächst in räumliche und zeitliche Trennung von Kulturen. Durch diese Trennung sei einerseits Differenz gewährleistet, diese andererseits aber mangels Faktizität nie vollständig überprüfbar. Innerhalb der vorangegangenen Frage, ob Kulturen verschieden seien, entscheidet sich Leví-Strauss eindeutig zugunsten der Differenz in Sprache, Religion, Kunst und Institutionen. Darauf aufbauend entwirft er die These, ob die verschiedenen Gesellschaften „sich nicht durch ein Optimum an Verschiedenheit unterscheiden, das sie nicht ungefährdet überschreiten und hinter dem sie nicht ungefährdet zurückbleiben können.“ (RG: 13) Man könne sich sogar fragen, „ob diese innere Differenzierung nicht gerade dann zunimmt, wenn eine Gesellschaft in anderer Hinsicht an Umfang und Homogenität gewinnt [sic!].“ (RG: 14)
Dem widerspräche gerade das Beispiel des Faschismus, der im Inneren eine entsetzliche Öde mit Gewalt durchsetzt, wo die Attraktion des versprochenen Aufgehens im Kollektiv versagt.
Leví-Strauss hält den Grund der Differenz bei der teleologische Setzung von Differenz stets im Dunkeln. Ominöse Kräfte „die in entgegengesetzte Richtungen wirken“ (RG: 13), der ontologisch erscheinende „Wunsch sich gegeneinander abzusetzen“ (RG: 15), und schließlich der Befund, die Verschiedenheit der Kulturen sei „ein natürliches Phänomen, das von den direkten oder indirekten Beziehungen der Gesellschaften untereinander herrührt“. (RG: 16)
Die Beweisführung für die Natürlichkeit dieses Phänomens erfolgt formallogischer Deduktion, wenige empirische Beweise und Annahme von „Kräften“ genügen Leví-Strauss, um diese wichtige Frage als beantwortet zu betrachten. Äußerst problematisch ist der Rückfall in der Rechtfertigung der Differenz als natürliche, ergo der biologistischen Affirmation des Bestehenden, die er zunächst an Gobineau kritisierte (RG: 7) um nun selbst darauf aufzubauen. Wo Gobineau noch die Differenz der „Rassen“ als Wert an sich definiert, setzt Leví-Strauss ein Optimum an Differenz zwischen Kulturen als Wert an sich und nähert sich so dem seiner Meinung nach unterschätzten Gobineau an, bei dem er den Begriff Rasse durch den der Kultur ersetzt haben will, um zu einem positiven Ergebnis zu kommen.
„Bei der Untersuchung solcher Tatsachen – ebenso wie verwandter Bereiche der Zivilisation wie gesellschaftliche Institutionen, Kunst, Religion – ergibt sich die Frage, ob die verschiedenen Gesellschaften, wenn man ihre gegenseitigen Beziehungen betrachtet, sich nicht durch ein gewisses Optimum an Verschiedenheit unterscheiden, das sie nicht ungefährdet überschreiten und hinter dem sie auch nicht ungefährdet zurückbleiben können.“ (RG: 13)
Diese Differenz der Kulturen wird einer Position der Äquidistanz unterworfen:
„In dem Maße, wie man eine strenge Trennung zwischen Kultur und Sitten festzulegen glaubt, identifiziert man sich um so vollständiger mit denjenigen, von denen man sich abzusetzen versucht.“(19)
Diese Identifikation wendet er nun negativ an, über den Ausschluss des Barbarischen und der somit stattfindenden Identität mit dem Barbarischen.
„Denn ein Barbar ist ja vor allem derjenige, der an die Barbarei glaubt.“ (RG: 7)
Der Ausschluss des „Barbarischen“ erscheint ihm als gleichsam „barbarisch“ wie das Ausgeschlossene selbst. In dieser Äquidistanz nähert er sich der Position Heideggers an:
„Echtes Sichverstehen der Völker hebt an und erfüllt sich mit dem einen: das ist die im schaffenden Wechselgespräch zu vollziehende Besinnung auf das ihnen Mitgegebene und Aufgegebene. In solcher Besinnung stellen sich die Völker auf das je Eigene zurück und bringen sich darin mit erhöhter Klarheit und Entschiedenheit zum Stehen.“ (Heidegger nach Rockmore 2000, 161)
Leví-Strauss ist zugute zu halten, dass er einer der wenigen französischen Philosophen war, die keine direkten Anleihen bei Heidegger machten. Dennoch ähnelt der Subjektbegriff des Strukturalismus laut Rockmore stark dem Begriff des dezentrierten Subjekts beim späten Heidegger. (Rockmore, 112)
Legitimiert wird der jeweilige Zustand einer Kultur durch eine angenommene Spezifik, eine getroffene Wahl der jeweiligen Kultur, wobei Kultur als in seiner Konstitution unhinterfragtes Subjekt gesetzt wird. Das abschließende Postulat eines „Optimums von Differenz“, das Leví-Strauss mehrfach nennt, konfligiert mit den offensichtlichen Widersprüchen von konkurrierenden Kulturen.
Diese Widersprüche will Leví-Strauss durch „die internationalen Institutionen“ aufgehoben sehen. Diese hätten eine „immense Aufgabe vor sich“ und trügen eine „schwere Verantwortung“. Eine solche Aufgabe definiert Leví-Strauss im herrischen Duktus des rassistischen Mediziners:
„Sie müssen zunächst der Menschheit helfen und dazu beitragen, daß die toten Unterschiede, die wertlosen Rückstände von Arten der Zusammenarbeit, deren Vorhandensein im Zustand verfaulter Rudimente eine ständige Infektionsgefahr für den internationalen Körper darstellen, so wenig schmerzhaft und gefährlich wie möglich absterben. Sie müssen beschneiden, notfalls amputieren und das Entstehen anderer Anpassungsformen fördern.“ (RG: 79)
Derart abrupt schaltet Leví-Strauss vom Verständnis werbenden Relativismus zum Sprachgebrauch des Rassismus, ohne irgendeine normative Richtlinie aufzustellen, nach der zu bewerten wäre, was da ausgemerzt wird. Lediglich eine lapidare Einschränkung wird nachgeschoben:
„Die einzige Forderung die wir (…) erheben können (…) ist, daß sie (die Verschiedenheit der Kulturen) sich in Formen realisiere, von denen jede ein Beitrag zur größeren Generosität der anderen sei.“ (RG: 81)
Dieses Vermeiden von dringend gebotenen Wertungen in „Rasse und Geschichte“ bei gleichzeitiger Ambivalenz durch inkonsequenter Beweisführung und einem an den Peripherien der Texte autoritären Sprachgebrauch disqualifiziert Leví-Strauss’ Rassismuskonzept jenseits aller sonstigen theoretischer und methodischer Befunde.
Kritische Impulse
Menschliche Vergesellschaftung erscheint in „Rasse und Geschichte“ wie auch in „Traurige Tropen“ als „Glücksspiel“, die jeweiligen Kulturen als „Spieler“, die ihren Fortschritt „verspielen“. (TT: 64 u. 68) Der Versuch, westliche Gesellschaft als Ganzes, als eigene Kultur, aufzufassen (TT: 23) lässt sich nicht annähernd mit dem Begriff der Totalität zur Deckung bringen, wie ihn die Kritische Theorie entwirft.
Ein Handeln jenseits der Struktur des ahistorischen Unbewussten erscheint ihm nur in außergewöhnlichen Zitaten möglich, alle theoretischen Argumente laufen darauf hinaus, diese Determinierung zu festigen. Ein aufgeklärtes Individuum, das sich durch Kenntnis der unbewussten Struktur darüber hinaus bewege, ist dabei nur dann denkbar, wenn er sich im Widerspruch zu seiner eigenen Theorie bewegt. In diesen seltenen Momenten der Skepsis gegenüber wissenschaftlicher Betätigung am Objekt des Anderen schürft er tiefer als seine Methode es je vermochte:
„Da wir an den Veränderungen, die sich vollziehen, nicht mehr als Handelnde, sondern nur als Zuschauer teilnehmen, fällt es um so leichter, ihre Zukunft und Vergangenheit in die Waagschale zu werfen, als sie Gegenstand der ästhetischen oder intellektuellen Betrachtung bleiben, statt sich uns in Form moralischer Unruhe darzubieten.“ (TT 379)
Und an anderer Stelle nähert er sich einer weiträumigen Distanz der ethnologischen Aufgabe:
„Wenn es uns aber gelingt, diese Gesellschaften besser kennenzulernen, verschaffen wir uns eine Möglichkeit, uns von der unsrigen zu lösen, nicht weil sie absolut schlecht oder als einzige schlecht wäre, sondern, weil es die einzige ist, von der wir uns emanzipieren müssen. Damit versetzen wir uns in die Lage, die zweite Etappe in Angriff zu nehmen, nämlich alle Gesellschaften heranzuziehen, ohne das geringste von ihnen zu übernehmen, um jene Prinzipien des sozialen Zusammenlebens herauszuschälen, die es uns erlauben, unsere eigenen Sitten und nicht die fremder Gesellschaften zu reformieren. Denn dank einem umgekehrten Privileg können wir einzig die Gesellschaft, der wir angehören, verändern, ohne Gefahr zu laufen, sie zu zerstören; denn die Veränderungen, die wir einführen, kommen auch aus ihr selbst.“ (TT: 388)
Die am Misstrauen der rassistischen Ethnologie gegenüber genährte Vorsicht bei der Wertung findet letztlich doch noch eine Aussicht auf Normativität:
„Keine Gesellschaft ist vollkommen. Jede enthält ihrer Natur nach eine Unreinheit, die sich mit den Normen, die sie verkündet, nicht vereinbaren lässt und die sich konkret in einem bestimmten Maß an Ungerechtigkeit, Gefühllosigkeit oder Grausamkeit ausdrückt. Läßt sich dieses Maß beurteilen? Der ethnographischen Forschung kann es gelingen.“ (RG: 81)
Diesen schillernden Leví-Strauss, der angenehm unbeeindruckt von marxistischen Dogmen und philosophischen Systemen drauflos denkt, der mit einer sarkastischen und bisweilen ätzenden Wortgewalt sich jedem Fortschrittsgejubel verweigert, der sich durch halsstarrigen Nonkonformismus Anhängerschaften so systematisch abgrub, dass sie nur als Poststrukturalisten sich zu zeigen wagten, diesem Leví-Strauss kann man vor allem in den „Traurigen Tropen“ mit Gewinn begegnen – trotz aller Fehlgriffe.
Literaturauswahl
De Ruijter, Arie: „Claude Lévi-Strauss“. Frankfurt a.M., Campus Verlag.
1991
Enderwitz, Ulrich: „Schamanismus und Psychoanalyse. Zum Problem mythologischer Rationalität in der
1977 strukturalistischen Anthropologie von Claude Leví-Strauss.
Wiesbaden, B. Heymann Verlag GmbH.
Gallas, Helga (Hg.): „Strukturalismus als interpretatives Verfahren“. Darmstadt: Luchterhand Verlag.
1972
Hauschild, Thomas (Hrsg.): „Lebenslust und Fremdenfurcht. Ethnologie im Dritten Reich“.
1995 Frankfurt a.M., Suhrkamp Verlag.
Leach, Edmund: „Levi-Strauss zur Einführung.“ Hamburg, Junius Verlag GmbH.
1991
Léví-Strauss, Claude: „Das Ende des Totemismus.“ Frankfurt a.M., Suhrkamp Verlag.
1965
Léví-Strauss, Claude: „Race et Histoire. Race et Culture.“ Paris, UNESCO.
2001
Leví-Strauss, Claude: „Rasse und Geschichte.“ Frankfurt a. M., Suhrkamp Verlag.
1972
Leví-Strauss, Claude: „Traurige Tropen“. Frankfurt a.M., Suhrkamp.
2001 (1955)
Marcuse, Herbert : „Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud.“
2004 (NA) Springe: zu Klampen.
Schiwy, Günther: „Der französische Strukturalismus. Mode, Methode, Ideologie.“
1969 Reinbeck b. H., Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH.
So, drei Tage zu spät das Ergebnis meiner jahrelangen Beschäftigung mit diesem Theoretiker zwischen Zwischenprüfung, Seminar und Abschlussprüfung. Zahllose Akzente bleiben hier aus Zeit- und Platzmangel unbesprochen, etwa das nicht minder diskutable Werk „Das Ende des Totemismus“ oder die Werkreihen „Strukturale Anthropologie“ sowie die „Mythologica“.
Dennoch kann vielleicht der oder die eine oder andere einen intellektuellen Mehrwert aus dem Ganzen rausfiltern.
Eine Qual wie immer das Layouten von simplen Wordformaten in Blogformate, anscheinend hat WordPress hier auch nicht substantiell mehr auf dem Kasten als myblog. Im Gegenteil gab es dort wenigstens die Möglichkeit, Schriftgrößen zu ändern. Nun ja.
danke. wohltuend zu lesen nach dem hype der letzten tage um den 100.
Habe gerade deinen Kommentar zu Levi-Strauss gelesen. Nicht ganz zufällig, da ich mich in den letzten Jahren auch relativ intensiv mit ihm beschäftigt habe. Aber ich lasse dir durchaus den Vorrang als Spezialisten. Das nicht zuletzt weil ich dir ein paar Fragen stellen möchte die mich selbst bei der Lektüre beschäftigt haben und vielleicht kann ja eine interessante Diskussion daraus werden. Also hoffendlich.
Glaubst du die gleichwertigkeit unterschiedlicher kultureller systeme vs. der linearität progressiver geschichtsschreibung hegelianischen erbes steht gar nicht zur debatte, oder war nur der Aritkel nicht der platz dazu. Ich meine man merkt dass du dich an der Frankfurter Schule orientiert hast, aber man merkte auch wo die sympatien standen und deswegen war die argumentation teilweise so „mit adorno kann das nicht in übereinstimmung gebracht werden, auf dieser basis wird es abgelehnt“. Vielleicht ist das einfach eine ideologische frage die man vorab nach sympatienlage klären muss aber vielleicht kann man das auch diskutieren. Ehrlich gesagt ist es mir selber nicht so ganz klar. Ich meine es ist mir klar dass Levi-strauss da ne gehörige ladung romantik geschluckt hat und in seinem werk weiter verbreitet, aber einerseits wird mir auch die romantik kontra aufklärung debatte zu platt geführt (meiner ansicht nach versucht selbst adorno gerade die argumente der romantik gegen die ausfklärung in der dialektik der aufklärung weiterzuverwerten aber auf einer anderen basis. und mir kommt es so vor als ob es im moment mode ist adorno so sehr als aufklärungsverfechter darzustellen das das kritische potential etwas verschütt geht) und andererseits sind eben auch in der frankfurterschule die versöhnungs-erlösungs überlegungen stark christlich geprägt oder können so ausgelegt werden. da ist die frage muss man das ausschlachten, also auf beiden seiten natürlich.
Dann zu Heidegger. Ist nicht dieses ganze sich selbst im anderen erkennen usw. auch Hegelsches Herr-Knecht konzept bzw. noch von fichte vorher übernommen und dann mit ins marxistische erbe, also auch bei adorno und so eingeflossen?
hoffe ich habe nicht zu kritisch geklungen als dass eine diskussion dir nicht mehr liegt und auch nicht zu schwammig verträglich dass sie gar nciht erst aufkommt.sieh über die rechtschreibfehler hinweg, ich bin praktizierende orthographie-anarchistin, ich glaube die verständigung geht auch ohne normativen rahmen.
Hallo panxita,
Spezialist bin ich bei weitem nicht, eine komplette Kenntnis des Strukturalismus kostet heute mindestens 40 000 Goldmark, und das ist dann ohne die Schikanen.
Bzgl. Evolutionismus:
So einfach ist es nicht. Leví-Strauss ist da ja widersprüchlich. Zum einen teilt er auf in warme und kalte Kulturen, um der offensichtlichen Entwicklung gerecht zu werden. Des weiteren ist er ja durchaus im Inneren ein prowestlicher Hedonist, der Komfort zu schätzen weiß und elende Zustände ablehnt. Das verbreitete Ressentiment von Glück trotz extremer Armut teilt er m.E. nicht.
Die „Gleichwertigkeit“ ist bei LS m.E. nicht im platten kulturalistischen Sinn zu verstehen, wie er heutzutage vor allem aus dem Westen gegen sich selbst ins Felde geführt wird. Daher meine These, dass LS auf dem Evolutionismus durchaus aufbaut, aber dem Urzustand eben unter gewissen Bedingungen den Vorrang gibt – da spielt dann Rousseau eine größere Rolle als Hegel.
Zu Adorno/Horkheimer vs. LS: Meine Argumentationslinie deutet an, dass durchaus eine große Nähe bzgl. Zivilisationsskepsis und Psychoanalyse gegeben ist, ja, dass LS in Teilen äußerst anschlussfähig für die Dialektik der Aufklärung zu nutzen ist, insbesondere in seinen analytischen Befunden, ob diese nun aus der Methode hervorgehen oder aus seiner analytischen Genialität.
Anliegen dieses Textes war unter anderem ein Aufzeigen von Momenten bei LS, in denen er von der KT profitieren könnte, weil er sonst nicht ganz so krasse Sockenschüsse fabriziert hätte. Umgekehrt mangelt der Kritischen Theorie bisweilen etwas an ethnologischem Wissen, das evolutionistische Modell der KT ist trotz aller Dialektik ein Marx und somit frühen Evolutionisten entnommenes Stufenmodell, das überdies wenig ausgearbeitet wird. Den Entwicklungsbegriff in der KT aufzuarbeiten fehlt mir allerdings die Zeit.
Nochmal betonen möchte ich, dass es mir nicht um eine komplette Abwertung LS geht. Dazu ist sein Werk zu komplex und zu interessant. Die Traurigen Tropen möchte ich an dieser Stelle nochmals ausdrücklich zur Lektüre empfehlen, es liest sich wirklich ungemein anschaulich.
Wow, du solltest sowas größer Veröffentlichen und nicht im Internet verschleudern.
Persönlich hab ich -wie du weißt- Leví-Strauss bislang nur auf Austausch/Gabentausch und seine Ausbreitungstheorien quergebürstet.
Ich möchte hier auch nochmal auf Maurice Godelier, „Das Rätsel der Gabe.“ verweisen, in dem er auch auf die allgemein soziologischen und sozialkritischen Aspekte seiner beiden „Lehrer“ (Mauss und LS) eingeht. Er greift LS fast esoterisch zu nennenden Symbolismus an und ist wesentlich materialistischer.
LS nimmt in seinen schlechteren Momenten ein Denken vorweg, dem Focault und Derrida den heute so trendigen Zuschnitt verleihen. In diesen Momenten kann LS m.E. als „Vorläufer“ der Postmoderne gelten (, wie Mauss im übrigen auch und noch schlimmer).
Auf jeden Fall, deshalb heißen die Postmodernen ja auch so häufig Poststrukturalisten, weil sie sich auf die Textfixiertheit des linguistic turn festgenagelt haben.
Nicht dass das nicht auch zu interessanten neuen Perspektiven führen könnte. Aber auf Dauer nervt es einfach. Da ist Leví-Strauss noch von erholsamer Klarheit, man paukt sich ein paar Grundbegriffe ein wie paradigmatische Reihen und dann hat mans auch.
Wg. Veröffentlichen. Irgendwann plane ich auch, die besseren Artikel des Blogs aufzubereiten und als Buch herauszugeben. Ich kenne einfach keine Zeitschriftenredakteure persönlich, habe ein paar schlechte Erfahrungen gemacht und werde ja auch sonst nicht dafür bezahlt. Mit diesem Artikel hätte ich wahrscheinlich schon im Vorfeld was kriegen können, hätte das dann aber auch vor 4 Wochen einreichen müssen und so weiter, das war mir zu stressig.
Und genug Leser findet es so auch – google ist auf meiner Seite.
He,
in welchem Studienfach habt Ihr denn den ganzen Kram bearbeitet?
Das ist ja schon sehr fundierte Kritik am Poststrukturalismus.
@Nina: die Ethnologie oder auch „Völkerkunde“.
@Nörgelndes: ja, gell?
Mir ist schon klar, worauf es hinausläuft. Ist ja nicht das erste Mal, dass das auch im Internet besprochen wird. Und gerade aus dem eher Adorno-affinen Umfeld ist es ja doch meist die selbe Kritik.
Trotzdem: ich würde mich trotzdem mal über eine Kritik von Dir (nichtidentisches) freuen. Gerade auch, weil Du -wie ja mir dieser Artikel ja zeigte- über den Tellerrand schauen kannst. Das trifft ja nicht für alle zu. Du musst natürlich auch wollen, wie Dein Artikel zu Unbehagen der Geschlechter gezeigt hat ;).
In diesem Sinne, danke für den Blog.
Hi nörgel,
leider habe ich zu wenig Zeit, um mich wirklich mit der PoMo auseinander zu setzen. In meinen jungen Jahren las ich natürlich Foucault, Butler, Bourdieu mit Verve und später erfolgte die nötige Distanzierung, vor Derrida, Latour, Lacan, etc. bin ich aber aus Zeitgründen bislang eher zurückgeschreckt. Wenn ich mal dazu komme, kann ich nochmal einige m.E. wesentliche Artikel dazu raussuchen.
Bei einigen intellektuelleren Versuchen kommen ja durchaus recht interessante Sachen zur Sprache, die durchaus auch für die Kritische Theorie interessant wären – von daher kann ich dem Affekt gegen die PoMo, wie er von Seiten mancher überreizten Theoretiker nicht ganz folgen. Da meint „PoMo“ eher eine Kategorie, die ein diffusses Gemenge aus Ideologemen umfassen soll, was auch durchaus trifft, aber mit der inzwischen doch sehr ausdifferenzierten Theorie noch nicht notwendig etwas zu tun haben muss.
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hallo,
seh den text „rasse und geschichte“ auch ziemlich kritisch. hast du vielleicht noch mehr literaturempfehlungen oder texte die sich auch kritisch mit levi-strauss auseinander setzen?
lg
s.
Njoa, da gibts von W.D. Hundt eine marxistische Kritik am Strukturalismus, fand ich bisweilen ganz brauchbar, aber insgesamt seehr 70-er…
Ansonsten einfach mal suchen. Zu Rasse und Geschichte – es wird fleißig zitiert, als gäbe es nix besseres… man pickt sich ein Zitat raus und dann ab die Post auf der Welle der Autorität. Gesamtkonzeptsprüfung Fehlanzeige. Bruno Latour etwa in „Wir sind nie modern gewesen“. Klassische Fälle von Namedropping und Quotedropping.
Dahingehend fällt mir nichts anderes ein, deshalb schrieb ich ja auch den Text.
dass viele ganz freimütig zitieren hab ich auch schon gemerkt, aber kritisch tuts niemand. außer deinem text hab ich bisher nichts brauchbares gefunden.
hast du ne gute idee, wo ich material finde in dem levi-strauss als vorbilddenker der ultra ethnopluralisten verwendet wird (neorassisten, nazis, kulturpluralisten wie auch immer ich sie nennen mag)? was wissenschaftliches, nicht unbedingt altermedia o.ä.? das wäre ja schonmal ein ansatz an kritik.
Alain de Benoist etwa. Aber man muss ihm auch nicht alles aufbürden, die Idee des Ethnopluralismus ist älter als LS und treibt ja auch durchaus unterschiedliche Blüten. Dass man ohne Angst verschieden sein dürfen soll ist eine grundsätzliche Forderung der Kritischen Theorie, die man auch nicht in der Kritik an den romantischen Pläsierchen verraten sollte. Das nur aus Vorsicht.
»Leví-Strauss hält den Grund der Differenz bei der teleologische Setzung von Differenz stets im Dunkeln.«
Wär das nicht hinreichend erklärt mit »ein natürliches Phänomen«? Darum geht es doch in Totem und Tabu. Das natürliche Bedürfnis, Unterschiede zu machen. So eine Art Beginn, um sich die Welt überhaupt erschließen zu können. In Rasse und Geschichte hat das einfach nicht nochmal reingepasst.
Andere Autoren handeln das sehr kurz auch ab und gerade nicht als „natürliches“, wenngleich als logisches, notwendiges Phänomen, das allerdings dann historisch erheblichen Einflüssen ausgesetzt ist. Adorno/Horkheimer, Marx und Konsorten insistieren ja daher auf der manischen Differenzbildung bürgerlicher Ideologie, die Besonderes einebnet.