„Wissenschaftsbetrug“ und System

Ein Gesetzesvorschlag der deutschen Hochschulen will Ghostwriter und Nutznießer mit 2 Jahren Gefängnis bedrohen. Interessant ist der projektive Charakter des Gesetzesvorstoßes. „Wissenschaftsbetrug“ soll das neue Verbrechen heißen. Die Begründung dafür lautet:

„Ghostwriter bringen die akademischen Grade und die Hochschulen, die sie verleihen, in Verruf“, sagte Verbandspräsident Bernhard Kempen. Das gehe zulasten der „großen Mehrzahl der Akademiker, die ihre akademischen Grade rechtmäßig durch Leistung erworben haben“.

Darin trotz noch ganz überkommener Stolz auf. Die Leistung der „rechtmäßig“ erworbenen Grade besteht in den Geisteswissenschaften meistens aus jahrelanger unentlohnter Arbeit. Bei einer durchschnittlichen Promotionsdauer von 5 Jahren beträgt die Förderungshöchstdauer 3 Jahre, in seltenen Fällen wird ein halbes Jahr Abschlußstipendium gewährt, sofern man nicht ohnehin schon qua Interdisziplinarität durch institutionelle Netze fällt. Kinder, Krankheit oder Komplexität und Arbeitsaufwand von Themen werden in aller Regel nicht berücksichtigt. Die Promotionsförderung ist ein weitgehend arbeitsrechtsfreier Raum, es gibt keinen gewerkschaftlichen Vertretungsanspruch, keine Arbeitgeberbeiträge. Man gilt als „Selbstständiger“, ist aber von der Steuer befreit. Mit einem Nettolohn von 800 Euro nach Krankenkasse bewegt man sich mit 30 Jahren hochqualifiziert an der Armutsgrenze. Die Förderung ist gar nicht selten noch an unbotsmäßige Ausbeutung geknüpft, in der Lehre, Forschung für Betreuer, editorische Aufgaben, administrative Aufgaben (Tagungen organisieren, Werbeträger gestalten) abverlangt werden, selbstverständlich im höchsten Interesse der Promovenden und seines Lebenslaufes.

Mit dem Wettbewerb um Exzellenzcluster wird auch jede Promovendengruppe selbst zum Investment, das für die blinde Reproduktion des Status quo immer exotischere repräsentative Werbeträger erarbeiten soll: Konferenzen, Workshops, Exkursionen, Tagungen, Publikationen, etc. Das alles entsteht nicht aus der gerechtfertigten, logischen Konsistenz eines Forschungsthemas heraus, sondern wegen des Tauschwerts dieser doch meist äußerlich bleibenden Veranstaltungen. Forschung ist daher heute in weiten Teilen Kulturindustrie und wie bei jener bedarf es gar keiner eigenen Ideologie sondern nur der immerwährenden Wiederholung des Bestehenden, das als stummer Zwang der Verhältnisse naturhaften Charakter annimmt.

Jede Hochschule und Stiftung, die ein Promotionsstipendium oder eine rechtlich etwas besser gestellte Promotionsstelle vergibt, rechnet bewusst damit, dass die Förderungsdauer die reale Arbeitszeit unterschreitet und dass sie die Arbeitskraft der Promovenden um diverse Grade in andere Zwecke kanalisieren können. Die Rede von „Stipendien“ wiegt Promovenden in einer trügerischen narzisstischen Grandezza und verschleiert ihnen selbst die eigene Ausbeutung. Eine klassische Umkehrung findet statt: Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden vertauscht, der Ausbeuter stellt sich als Wohltäter dar, der Ausgebeutete als Empfänger. Mit einem Quentchen Bildungsadel in spe kann man den Promovenden lange genug bei der Stange halten, in Wahrheit ist er Faktotum: der überwiegende Teil der Forschungsleistungen an Universitäten wird von Promovenden geleistet, danach erwartet sie im besten Falle Lehre und Bürokratie, im weniger guten Fall Arbeitslosigkeit oder Umschulung.

Hochschulen profitieren trotz einiger irrationaler Produktionslücken und noch nicht ganz eingeholter Marktrationalität in erheblichem Maße von ihren Investitionen in die Promovenden. Dass das alles nicht dem bösen Willen der einzelnen Akteure geschuldet ist, dass durch das automatische Subjekt Verschleierungsformen entstehen, ist selbstverständlich. Erwarten sollte man zumindest von Gesellschaftswissenschaftlern heute, dass sie Grundlagen solcher Verschleierungsformen bestimmen und reflektieren können. Die „Rechtmäßigkeit“ von Promotionsleistungen in den Dienst zu nehmen, verschleiert, dass diese alles andere als rechtlich verregelt sind und die Hochschulen selbst den größten Teil der Misere zu verantworten haben, in der den Promovenden ihr Thema entweder so äußerlich oder so unbegreiflich wurde, dass sie ihre Arbeit von anderen schreiben lassen und dass sie dann noch damit rechnen dürfen, dass Prüfungskommission und Betreuer davon nichts ahnen werden.

 

 

 

4 thoughts on “„Wissenschaftsbetrug“ und System

  1. Der Geist der Abschlußarbeiten in den geisteswissenschaftlichen Fächern ist doch heute eh schon in den Wind geschrieben; und als ‚Begleiter‘ von Examensarbeiten bis zur Promotionsarbeit möchte ich sagen, daß alle solche, die sich begleiten lassen (müssen), einen jeden akademischen Grad auch nicht verdient haben, von vornherein. – – – Weil sie zuvörderst gar nicht wissen, was wissenschaftliches Arbeiten ist. Und es auch zudem nicht wissen wollen. – So sieht´s aus!

  2. Ja, und deshalb gibst du Quell vermittlungslosen Wissens auch sämtliche Lohnanteile freiwillig ab, die für Betreuungen vorgesehen sind. Spricht da nicht mühsam kaschiertes Desinteresse am wissenschaftlichen Arbeiten und ist das nicht die Grundvoraussetzung, dass Komplettplagiate überhaupt gedacht werden können?
    Im Übrigen möchte ich ergänzen: Wer genug Geld hat, sich eine Dissertation in den Geisteswissenschaften schreiben zu lassen, braucht gewiss keine Dissertation, mit der er höchstens sich als Intellektueller verdächtig macht und für die Arbeitslosigkeit qualifiziert. Daher dürfte die Angelegenheiten die Geisteswissenschaften ohnehin nur am Rande tangieren und auf lukrative Berufe beschränkt sein.

  3. Wenn Mentalpunker es ernst meint, offenbart sich darin schon, wie revolutionär das Projekt der Kritischen Theorie überhaupt war: Wissenschaftlichkeit in ihrem Zeitkern und in Kooperation von Individuen zu denken. Mentalpunker hat vom wissenschaftlichen Arbeiten nichts verstanden und denkt Wissenschaft sowohl als vorausgesetzt als auch monadologisch. Nicht um Methodologie geht es bei einer Betreuung, sondern um eine Supervision, die jede Psychoanalyse braucht, um einen anderen Blickwinkel, um eine Einführung in Universitätskultur auf höherer Ebene und durchaus auch um ökonomische Hilfestellung. Keine Vortragsreise ohne Unterschrift des Betreuers, keine Bewerbung ohne Empfehlungsschreiben, etc. Das sind kritikable, aber systemimmanente Spezifikationen einer Promotionsbetreuung, die zu verhöhnen Mentalpunker frei steht, die er aber letztlich einlösen muss, wenn er sein Äquivalent im Äquivalententausch erfüllen will. Wenn er das nicht tut, handelt er möglicherweise diversen Arbeitsverträgen und Universitätsordnungen zuwider, er unterläuft zumindest die Rechte der Promovenden. Mir sind solche zynischen Professoren oder Privatdozenten wie Mentalpunker zum Glück noch nicht untergekommen (überforderte allemal), aber ich hörte, es solle sie geben.

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