„Landfrieden“ der Bäume

Als zum Jahrestag des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen Joachim Gauck, die aktuelle Personifizierung des deutschen Staates, eine Eiche pflanzte, war das ein rätselhaftes Ritual: Ist denn dieser Baum nun ein Jubiläumsbaum, eine Siegeseiche? Und selbst wenn es eine „Friedenseiche“ sein muss, mit wem wurde dieser Friede geschlossen? Mit den Rostocker Bürgern, die damals sich vor Lust am Verfolgen kaum einkriegten? Mit den Einwanderern, die niemals Krieg führten? Mit den Neonazis, die gewiss unbeeindruckt von irgendwelchen Eichen immer noch Krieg führen?

Wer von Staates wegen den nazistischen Terror bekämpfen wollte, dem stünde ein einziges probates und wirksames Mittel bereit: Die „Illegalen“ sofort legalisieren, Residenzpflicht, Sammelunterkunft und Gutscheinzwang abschaffen, das Asylrecht wieder herstellen und für jeden nachweislich von Nazis ermordeten Flüchtling, Juden, Einwanderer, Antifaschisten, Obdachlosen 100.000 bedingungslose Einwanderungsgenehmigungen im Trikont verteilen. Das wäre eine Geste, die tatsächlich Frieden mit der Einwanderung schaffen würde und den Nazis den Krieg erklärte. Die deutschen Konservativen, Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten aber glauben, mit einem einzigen gepflanzten Bäumchen sei das überhaupt nicht heimliche Bündnis von Neonazis und Abschiebestaat so einfach zuzudecken.

Das glaubt auch Götz Ali. Unter dem markigen Titel „Der Landfriede muss geschützt werden“ regt er sich auf. Vor allem darüber, dass eine Rostocker Antifa in einer nächtlichen Aktion just diesen „Friedenseiche“ genannten Triumphbaum des Neonazismus gefällt hatte. Für ihn steht das am Beginn einer Reihe, in der das Attentat auf einen Rabbi in Berlin und der Überfall von Neonazis auf ein Tanzcafé in Zwickau folgen, bei beiden Vorfällen wurden insgesamt drei Personen schwer verletzt.

Die Untaten von Rostock, Berlin und Zwickau weisen Unterschiede in den Zielen auf und, was Rostock betrifft, in der Wahl des Mittels, aber einiges haben sie gemein. Die Täter verletzten mehrere Grundrechte anderer. Sie agierten in Gesinnungsgemeinschaften und aus weltanschaulichen Motiven. Ihre aggressiven Akte verübten sie nicht gegen Individuen, mit denen ein spezieller Streit entstanden war, sondern gegen Angehörige einer als feindlich oder als andersdenkend angesehenen Gruppe. Damit schädigten sie das auf zivile Konfliktregelung bedachte Zusammenleben aller. Sie förderten den Großgruppenhass, der ein Gemeinwesen dauerhaft unterhöhlen kann.

Für Götz Aly ist also diese Eiche eine „Angehörige einer als feindlich oder als andersdenkend angesehenen Gruppe“ mit „Grundrechten„. Das gerbsäureproduzierende Laubholzwächs kann nun nicht mehr heiraten, wen es will, und sich nicht mehr frei versammeln. Auch Artikel 16 und 20 der Grundrechte kann der Baum nicht mehr wahrnehmen, Götz Aly hält offenbar von beiden zu wenig, um hier einen Zusammenhang zu erstellen. Aus einer minderen Sachbeschädigung, eventuell noch einem Verstoß gegen irgendwelche Baumgesetze, wird für ihn ein „Landfriedensbruch“. Weil man nun, so Aly, nicht mit „Toleranzkursen“ den Antifaschismus auf Friedlichkeit verpflichten könne, gebe es für alle drei Beispiele von Landfriedensbruch nur ein Mittel:

Es geht darum, Grenzen zu ziehen und die Verletzung des Landfriedens aus politischen und weltanschaulichen Motiven – insbesondere das Schlagen, Treten und Morden von Menschen, weil sie nicht der eigenen, sondern einer anderen Gruppe zugerechnet werden – unnachsichtig zu verfolgen und hart zu bestrafen.

Gerade einem Experten der Geschichte des Nationalsozialismus sollte so ein Aufruf als Verharmlosung nachgetragen werden. Die platte Formulierung „Großgruppenhass“ hat schon ihren eigenen Frieden gemacht mit dem Hass auf Kleingruppen wie Juden, Obdachlose, Flüchtlinge oder eben jene Vietnamnesen im Rostocker Sonnenblumenhaus. Dieser infame und zynische Aufruf zur Verfolgung eines gelungenen Streichs gegen einen der dümmlichsten, pervertiertesten, infamsten Akte des „Staatsantifaschismus“ seit Jahrzehnten als Landfriedensbruch trägt gewiss nicht zu einer freieren und gerechteren Gesellschaft bei, er suggeriert vielmehr, dass soweit alles in friedlicher Ordnung sei, solange nur genügend Bäume gepflanzt werden.

7 thoughts on “„Landfrieden“ der Bäume

  1. wir haben hier bald Zustände wie in den Staaten. Rette sich, wer kann, every man for himself, und wer nicht in einer „gated community“ für Superreiche lebt, hat Pech gehabt.

  2. Thomas Blum geht das von mir vorgeschlagene Tauschprinzip destruktiv an, und bleibt damit in der Negation, die aber auch wieder falsch ist.

    http://jungle-world.com/artikel/2012/36/46177.html

    „Da geht einem vor Freude das Herz im Leib auf! 20 putzige, kleine Apfelbäumchen für eine rassistische Bemerkung, 50 Trauerweiden für eine ausgesprochene Drohung, 100 bis 1 000 dicke, alte deutsche Eichen für einen tätlichen Angriff, je nach Schweregrad der Verletzungen, die das Opfer der Attacke davontrug. Max und Moritz, gar nicht träge/Sägen heimlich mit der Säge/Ritzeratze! voller Tücke/In die Landschaft eine Lücke.“

    Und Deniz Yücel schreibt ganz richtig, dass man den Baum aus purer Bösartigkeit doch lieber hätte stehen und bepinkeln lassen sollen. Sonst lässt sich die Operation Fuchsschwanz fast noch in einen patriotischen Akt umdeuten.

    http://www.taz.de/!100615/

  3. Pingback: Verletzung des Landfriedens « Im Kopf Lokalisation

  4. Ich habe mich immer gefragt, wieso so viele Leute den Auftritt von Gauck zum 20 Jahrestag der Progrome von Rostock gewürdigt haben, aber niemals fragten, wo er eigentlich an den betreffenden Tagen im August 1992 selber war. Als ehemaliger Rostocker Pastor hätte ich erwartet, dass er seinen Schreibtisch-Posten in der MfS-Aufklärungszentrale verlässt, wenn seine ehemaligen „Schäfchen“ Jagd auf Ausländer machen. Gehört für ihn also Ausländerfeindlichkeit (die in der DDR zum Glück verfolgt wurde) auch zu den Facetten der totalen Freiheit ? Freiheit nicht nur sagen zu dürfen, was man denkt (so wie die jubelnden Zaungäste der Anschläge), sondern gleich auch noch jeden abartigen Einfall aus dem frustruierten Gehirn in Gewalt gegen Fremde auszuleben ?
    Hat Gauck in seiner Jubiläums-Rede irgendwann mal anklingen lassen, dass er sein Schweigen von 1992 heute bereut ? Ich habe davon nichts gehört, aber Moralisten fällt ja meistens auch nur etwas ein, wenn es um andere Menschen geht und auf sein eigenes Hemd nicht der kleinste Fleck fällt.

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