Die Stilblüten antideutscher Versuche, sich die Kritik der je konkreten Verhältnisse durch einen marxistischen Strukturalismus zu ersparen, der schon immer weiß, was der Systemzwang ist und dass es vor ihm kein Entrinnen, also auch keinen Reformismus geben kann, bringen surrealistische Praktiken hervor. An verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten kamen Menschen auf die Idee, es sei ein antifaschistischer Akt, bei McDonalds zu essen und dann die Tüte – im heroischen Widerstand gegen deutschen Ordnungssinn – ostentativ auf die Straße oder in Wiesen zu werfen. Andere haben zu nämlichem Ordnungssinn und Stammtisch direkt zurückgefunden: sie wettern gegen „Wursthaare“ und nehmen den „Grotesksong“ der „Ärzte“ unsatirisch zum Ideal ihrer Feindbilder, naturverliebter Hippies, Robbenschützer und Antisemiten. Die Popband Egotronic hat den Slogan „Die Natur ist dein Feind“ zur T-Shirt Parole erhoben, die in einigen Foren auf erschütternd maoistische Weise ernst genommen wird.
Der Naturschutz hat freilich seine Geschichte. Absolutistische Fürsten entzogen ihre Jagdreviere den Wilderern und Bauern, während sie die barocken Gärten in analer Zwanghaftigkeit organisieren ließen. In der Reaktion auf die dystopischen Prozesse der Industrialisierung hat die Romantik intellektualisierte Ästhetisierungen hervorgebracht, die durchaus noch offen für Ambivalenzen waren. Zum Zeitpunkt der heute nicht mehr kenntlichen, fast vollständigen Entwaldung in Mitteleuropa war die Waldflucht der romantischen Städter in die letzten Wälder mehr als nachvollziehbar und Adornos Tod beim ganz romantischen Wandern in den Bergen ist ein Nachhall dieser Flucht.
Zu der reaktionären Tendenz, nicht nur in Natur zu fliehen, sondern sie zum Ideal von Gesellschaft zu definieren, (siehe dazu etwa die Heinz Maus‘ Arbeiten über Comté) existieren hinlänglich ausgearbeitete Kritiken wie die von Radkau/Uekötter („Naturschutz und Nationalsozialismus“) oder Oliver Gedens „Rechte Ökologie“.
Letzterer wurde gerade in der Jugendumweltbewegung der 90-er lebhaft diskutiert. Die fundiertesten Kritiken reaktionärer Ökologie kommen meist aus der Ökologie selbst und in diese Tradition fällt auch, wenngleich auf höherem philosophischen Niveau, die Kritische Theorie, deren Paradigma schließlich heißt:
„Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur umso tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der europäischen Zivilisation verlaufen.“
Gegen Tendenzen, Kritische Theorie unter Zugabe überhitzten Agitprops zum stumpfen, genussgerechten Modernismus zu karamellisieren, der in Natur nur das Überkommene und zu Bekämpfende sieht wandte sich mein Text „Vom Walöl zum Palmöl“, in dem Gerhard Scheit aufgrund der journalistischen Begrenzungen eine seinem Gesamttext etwas ungerechte Rolle einnahm mit seinem gegen Marcuse gerichteten Zitat:
»Die ökologischen Vorstöße indessen sind nur Vorstöße gegen den Restbestand politischer Vernunft.«
Gerhard Scheit wendete dann in einer kurzen Kritik gegen meine Verteidigung ökologischer Praxis ein:
„Zuzustimmen ist ihm, wo er Konkretheit und die Beurteilung jeder einzelnen, geforderten oder durchgeführten Maßnahme einklagt; zu widersprechen aber, wo er um der Konkretheit willen verfährt, als existierte der allem aufgenötigte Identitätszwang nicht, als könne man ihn wegdenken. Auf die vom Kapital gesetzte Begrenztheit jener Maßnahmen unabdingbar zu reflektieren, ist kein Maximalismus, sondern Kritik gesellschaftlicher Totalität. Die Problematik spitzt sich nicht zufällig an der Frage des Staats zu.
Im Fall der Nashörner und des Klimawandels pflichtet Riedel meiner Kritik bei, dass der Weltsouverän ein Wahn ist; im Fall der Wale und eines künftigen Aufforstungsprogramms sieht er indessen selbst einen solchen (Um-)Weltsouverän am Werk. Wer allerdings annimmt, dass es so einfach möglich sei, ein Gewaltmonopol herzustellen, das Raubbau verhindere und das Kapital wie ein ‚Tischlein deck dich‘ der Natur arbeiten lässt, hat die Rechnung ohne den Souverän gemacht: Verdrängt wird, dass die Staaten ihrem Wesen nach uneins sind; ihr Monopol auf Gewalt gerade in den Gewaltverhältnissen zwischen ihnen (und den ‚Unstaaten‘) gründet; sie sich also immer nur auf eine clausula rebus sic stantibus, nicht aber auf ein Gewaltmonopol im Sinn von pacta sunt servanda einigen können.“ (Gerhard Scheit 2015: Zur Kritik des Umweltsouveräns)
Gegenstand der Kritik war mein Textabschnitt:
„Entwaldung etwa ist mit Satelliten messbar, die Folgen sind seit der Antike bekannt, die Gegenmaßnahmen simpel: Man trennt Ackerbau, Viehzucht, Försterei und Naturreservate räumlich und stellt ein Gewaltmonopol her, das Raubbau verhindert. In einfachen Kausalketten führt die Aufforstung von Mangrovenwäldern zu Fischreichtum und stabilisierten Küsten, Bergwälder bremsen warme Aufwinde und erhalten Gletscher, degradierter tropischer Laterit-Boden lässt sich mit Forsten vor weiterer Verwitterung und Erosion sichern. Solche Maßnahmen werden nur dort vollzogen, wo Menschen die Kausalketten verstehen. „
Diese kurzgeschnittene historische Perspektive auf die Entwicklung in den Industriestaaten führte Scheit zur Bewertung als „Tischlein-deck-dich“. In der historischen Perspektive ist seit der Antike der Feudalismus ebenso gemeint wie Roosevelts Naturpark-Projekte oder die Erfindung des Stacheldrahtes in den USA. Prinzipiell funktionierte und funktioniert es so, daher das Präsens. Das Bewusstsein, dass dieselben Maßnahmen heute in völlig anderen Bedingungen stattfinden müssten und unendlich schwer zu organisieren wären, ging womöglich unter. Selbstverständlich fordere ich nicht, dass ein Weltsouverän mit aktuell verfassten Staaten (China, Russland, Iran, etc.) irgendeine Rolle bei der Etablierung eines Gewaltmonopols etwa in der Sahel-Zone spielen sollte. Wenn aber ein Staat wie Indien seine Tiger schützen möchte, bedarf er theoretisch in den von Wilderei betroffenen Gebieten eines Gewaltmonopols.
Beim Schutz der Wale waren internationale, staatliche Abkommen erst die Folge eines jahrzehntelangen Abnutzungskampfes von NGO’s wie Greenpeace gegen die Vernichtung der letzten Wale. Ebenso könnte Aufforstung in den Ländern mit massivem Waldverlust von den freigesetzten Massen im eigenen Interesse selbstorganisiert stattfinden, „wo Menschen die Kausalketten verstehen“. Dafür gibt es reale Vorbilder in der israelischen Tradition des Tu BiShvat, die Telefonfirmen auch in Ghana verankern wollen, oder in den Aufforstungsbemühungen kenianischer NGO’s. Gerade in den Trikont-Staaten ist das Vertrauen in Staatlichkeit bisweilen sehr gering und Ökologie wird häufig zum demokratischen Kampf gegen Staatsterror. Ironischerweise sind aber gerade in den Peripherien prozentual mehr Flächen unter Naturschutz gestellt als in den Industrieländern und darunter insbesondere Deutschland. Wo Rackets zwischen Peripherie und Industriestaaten pendeln, Gewaltmonopole heute die Ausbeutung von Ressourcen unter dem Druck der allseitigen Konkurrenz der Nationalökonomien eher vorantreiben und organisieren, bleibt Ökologie eine gewerkschaftliche Angelegenheit – das Gewaltmonopol ist strukturell und historisch ein Mittel gegen die Wilderei und wurde hier als Faktor mit aufgelistet, eine Forderung für sich kann es, und darin stimme ich Scheit zu, heute kaum darstellen.
Ökologische Initiativen werden heute in aller Regel zuerst demokratisch, von unten praktiziert, als Interessensverteidigung. Nur allmählich verwandeln sie sich in gesellschaftliche Übereinkunft und – meist sehr widersprüchliche, schwache oder kontraproduktive – Gesetze. Großprojekte wie der Serengeti-Nationalpark oder die Rettung der Berggorillas oder auch die Rettung des irakischen mesopotamischen Deltas waren das Werk von vergleichsweise wenigen, engagierten Einzelpersonen. Hier sind Begriffe wie „Wahn“ oder „Weltsouverän“ unangebracht. Die internationalen Organisationen und Netzwerke haben bei den nördlichen weißen Nashörnern versagt – aber nicht notwendig. Ein paar mehr Ranger in Waffen hätten genügt.
Der Klimawandel hingegen ist nicht nur ökonomisch und technologisch kaum global zu regeln, sondern der Klimaschutz bietet hier gerade weil der Weltsouverän kein Wahn ist, sondern Realität, den darin organisierten nationalökonomischen Rackets die Möglichkeit, Palmöl als nachwachsenden Rohstoff zu behaupten und die Auslöschung von Regenwald zu forcieren – im Zeichen des Klimaschutzes. Auch dies ist kein notwendiger Prozess – schließlich können sich die gleichen Institutionen auch auf größere Meeresschutzgebiete einigen wo sie dazu gedrängt werden. Clausula rebus sic stantibus bedarf der Duldung unaufgeklärter oder ideologisch gegen die Natur aufgehetzter Massen. Dementsprechend ist auch die jüngste Ankündigung der G7, bis 2100 global auf fossile Brennstoffe zu verzichten, vorerst nichts anderes als die Ankündigung, noch den letzten Fetzen Regenwald in eine Ölplantage und jeden Magerrasen in einen Maisacker zu verwandeln. Unter dem Druck einer aufgeklärten Gesellschaft kann sich Ökonomie aber prinzipiell zu Mindeststandards (Abschaffung der Sklaverei, Kinderarbeit) verpflichten lassen. Wäre der Systemzwang absolut, hätten die Revolutionäre eine bequeme Dichotomie der totalen Revolution oder des ungehinderten Weiterwirkens. Der Reformismus der Kritischen Theorie aber kennt solche Dichotomien nicht, ja steht ihnen sogar misstrauisch gegenüber. Der Radikalismus der Theorie, dass das Tauschgesetz und der Akkumulationszwang alles durchwirken, führte nicht dazu, dass man Gewerkschaften und Umweltorganisationen in der Praxis in den Arm fiel, auch wenn absehbar war und ist, dass nationalökonomische gewerkschaftliche oder umweltpolitische Tätigkeit das Kapital zur Verschiebung von Ausbeutung an die Peripherien nötigt. Wird solche Verschiebung reflektiert, kann gewerkschaftliche und ökologische Arbeit (beide sind eng verwandt), sich ebenfalls verschieben. Diesen Schritt nicht zu vollziehen wäre eine wirksame Kritik. Ihn aber als vergeblich zu diskreditieren weil das Kapital ohnehin allmächtig schon ist, führt doch in die Schwierigkeit, diese strukturalistische-teleologische Position von marxistischem, dynamischen Geschichtsbewusstsein abzukoppeln.