Mit Roberto Blanco zum Persilschein

„Er war Chauffeur und er machte nicht nur an und für sich unter den Leuten, durch die er hindurch musste, den Eindruck, eines Gentleman, sondern er blieb es auch, als sie die ihnen innewohnende Gemeinheit an ihm sich austoben ließen. Denn nicht nur, dass das stereotype Spalier offener Mäuler und gereckter Arme ihn begleitete und der ewige Ruf: „A Näägaa – !“ aus dem Boden sprang und wie festgewurzelt dastand, wenn er mit seinem Automobil vorüberflitzte – wir hörten auch, wenn ein Wachmann den Verkehr aufhielt, Sentenzen, Ratschläge, Verwünschungen wie: „Ge hörst’rr schau drr den schwoazen Murl an!“, „Hörst Murl, wosch di o!“, „Na woart du schwoaza Kinäsa!“, „Jessas, a narrischer Indianer!“, „Aschanti vadächtigaa – !“, „Tepataa – !“, „Stinkataa -!“
Ein Denker hielt sich die Stirn und rief: „Ah – jetzt waß i ollas!“ Was, verriert er nicht. Eine Megäre, deren Säfte in Wallung kamen, rettete sich in einen Lachkrampf, ihren Begleiter fragend: „Hirst, is dr der am ganzen Kirper schwoaz?“ Das Automobil entflieht, und, auf meine Frage, wie ihm das Leben gefalle, antwortet, die Achsel zuckend, dieser Schwarze im reinsten Deutsch: „Ach, die Wiener haben eben keine Kultur.“ Ich beschloß, ihn zu schützen, indem ich künftig das Präveniere spielen und auf jeden Maulaufreißer mit dem Finger zeigen wollte: „A Wienaa – !“ aber es half nichts. Die Neger sind nun einmal in unserer Mitte auffallend, und das Auffallende zieht eine Welt von Wilden, Weibern und Besoffenen an. Der Neger macht sich dadurch auffällig, daß der Weiße unruhig wird.“ (Karl Kraus: Untergang der Welt durch schwarze Magie: 310.)

Der Neurose, aus zwangshaftem Aufbegehren gegen Political Correctness unbedingt „Neger“ sagen dürfen zu wollen dialektisch beigesellt ist die Phantasie, man könne dem rassistischen Ressentiment schon durch Auslöschung der Stereotypie, der Worte, zu Leibe rücken. Huckleberry Finn und Tom Sawyer nennen den entflohenen Sklaven Jim auch mal einen Nigger und Neger, aber sie stehen ihm solidarischer als Fluchthelfer und Schleuser bei als die meisten universitären Antirassisten, die das Wort „Nigger“ schließlich erfolgreich aus dem Werk verdrängt haben. Jim übrigens wird als einziger Charakter im ganzen Buch so positiv dargestellt wie nur der afrikanische „Gentleman“ von Karl Kraus. Der belegte in seiner genialen Studie des zeitgenössischen Rassismus, dass der heute als fortschrittlich geltende Begriff „Schwarzer“ ebenso pejorativ gesetzt werden konnte wie „Neger“, mehr noch, dass auch da allein der Kontext den Ton des Rassismus machte. Ebenso auffällig: Dass das Fremde als soeben differenziertes („Kinäsa“, „Indianer“, „Aschanti“) eben doch wieder zusammen schießt in einem Ressentiment vom Anderen. Bereits „Zehn kleine Negerlein“ ging aus „Ten little Injuns“ hervor wie die sogenannte Negersklaverei aus der Indianersklaverei, die außerhalb B. Travens Meisterwerken fast vollständig aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis verschwunden ist.

 Wenn nun ein Politiker, der noch nicht von Beratern auf Medienkompetenz gebürstet wurde, vom „wunderbaren Neger Roberto Blanco“ schwärmt, so kann man sich sicher sein, dass wirksame Kritik abgelenkt wird vom Skandal um das Wörtchen „Neger“. Der eigentliche Skandal ist, dass PolitikerInnen, die dank ihrer Medienkompetenztrainings niemals Neger vor laufender Kamera sagen würden und nach jeder Flüchtlingskatastrophe pflichtschuldigst ein paar Krokodilstränen für die Abendnachrichten abdrücken, unkritisiert ihre Dezimierungskampagne, die je nach Station 10-30% der Flüchtlinge das Leben kostet, nunmehr seit über 20 Jahren planen, organisieren und durchführen durften.

Dass man es wagt, mit einem „Angebot“ an die Flüchtlinge, die die Dezimierungsinstanzen überlebten, noch die Forderung nach „Fairness“ zu verknüpfen, kurzum, dass man die abgepresste Empathie noch sofort in ein Tauschverhältnis verwandelt und somit schon wieder suggeriert, Deutschland würde etwas verlieren durch das Aufnehmen von Syrern oder Eritreern oder Afghanen und hätte demnach in der schonungslosen Konkurrenz der europäischen Staaten untereinander eine „faire Verteilung“ verdient. Rassistisch ist nicht so sehr, dass Joachim Herrmann von der CSU Roberto Blanco einen „Neger“ nennt, sondern dass die Flüchtlinge aus Afrika „wunderbar“ sein müssen, „Fußballspieler beim FC Bayern“ oder Schlagerstars, damit man seinen Frieden mit ihnen macht. Wenn deutsche Fußballclubs und Musikagenturen den sattesten Profit aus diesen konformistischen Stars schlagen, wird das schon als „Integrationsleistung“ der Deutschen eigengelobt, als wäre es schon außergewöhnlich, sich solchen Stars gegenüber dann – ja auch nicht durchweg – wie ein zivilisierter Mensch zu verhalten und sie nicht gleich im CSU-Stil der „Durchrassung der deutschen Gesellschaft“ zu verdächtigen. Deren Wohlstand nach FJS bekanntermaßen primär dazu berechtigt von Auschwitz nichts mehr hören zu müssen, aber auf gar keinen Fall dazu, das „Sozialamt der Welt“ zu führen. Die offizielle Politik der CSU heute bleibt, über die eigene Überforderung durch „Zuwanderung“ zu jammern:

Es darf aber nicht zu einer Überforderung Deutschlands in der Asyl- und Flüchtlingspolitik kommen. Unerlässlich ist zum einen die politische Klarstellung, dass das Asylrecht nur für die wirklich Schutzbedürftigen da ist. Notwendig ist zum anderen das Signal, dass Deutschlands Leistungsfähigkeit nicht unbegrenzt ist. Wir können nicht alle aufnehmen, die zu uns wollen. Wir können weder in Bayern noch in Deutschland die Krisen der Welt lösen. (http://www.csu.de/common/csu/content/csu/hauptnavigation/aktuell/meldungen/PDFs/140915_7-Punkte-Sofortporgramm.pdf)

 

Man kann aber nicht Orban zum Wahlsieg gratulieren und dann über die mangelnde Weltoffenheit anderer europäischer Staaten klagen, die man ohnehin via Außenhandelsbilanz, Agrarsubventionen und Hartz-IV ökonomisch zu billigen Touristenstränden für die gestresste deutsche Facharbeiterschaft zurückgerüstet hat. Wer ein konservatives CSU-Europa will, will Victor Orban und dessen Nato-Draht-Sperren, mit denen fliehenden Kindern die Wangen zerfetzt werden sollen, bevor man ihnen das Asyl ja meist auch noch verweigert in einem Land, in dem Jobbik Bürgermeister und Richter stellt. Wer die CSU gewählt hat, hat auch den Zaun um Europa gewählt, an dem körperlich fitte Flüchtlinge herausselektiert werden, denn Kinder und Geschwächte schaffen es niemals über diese Mauer aus Stahl und Beton gewordener Kälte. Das ist der Rassismus hinter dem Schwärmen über die „wunderbaren Neger“ – dass die gleiche Partei trotz aller neuerer kleiner Angebote, niemals vom Dublin-Abkommen und Frontex abrücken will, die effektiv dezimieren und den Folterbanden an den Peripherien ihr milliardenschweres Einkommen sichern. Das ist der nichtrassistische Rassismus, Dezimierung durch Menschen, die niemals „Neger“ sagen würden und in der Kirche auch für Flüchtlinge in syrischen Lagern spenden, aber dann ihr Kreuz bei CDU/CSU machen, die noch am sichersten garantieren, dass Flüchtlingen weiter ihr Leben riskieren müssen, mit steigendem Risiko bei sinkendem Einkokmmen, um ihr Recht auf Asyl einzufordern.

Und selbst Kritik daran deckt noch zu, was eigentlich anstünde: Interventionismus. Zugegeben, Eritrea wird schwer aus seiner Isolation herauszuführen sein, das Risiko ist groß, den immerhin beachtlichen Frieden zwischen den Religionen im Land zu zerstören und in einem Übergangszustand Machtkämpfe auszulösen, vor denen Eritreer so berechtigte Angst haben, dass sie eben lieber fliehen als zu kämpfen. Die Pazifizierung Syriens, Iraks und Afghanistans aber ist mit militärischem Engagement zu erreichen, die Rezepte sind erprobt und wirksam, Deutschland und unseligerweise inzwischen auch die USA wollten aber gerade hier sparen – auf Kosten Anderer und im völlig klaren Bewusstsein der Folgen, die von allen kompetenten Experten angekündigt waren.
Das ist die letzte und überhaupt frecheste Lüge: Man habe nichts gewusst. Die Flüchtlingsströme seien „unerwartet“. Als hätte man nicht vor zwei Jahren, als in Yarmouk Gras und Pappe gefressen wurde, als bereits Millionen Syrer auf der Flucht waren, ahnen können, dass diese Menschen leben wollen, als habe man nicht vor vier Jahren, als der nunmehr von Russland zurück zur Macht gebombte Assad die ersten Demonstrationen niederkartätschen ließ, gewusst, dass dieses Land blutig zerbrechen würde. Dieses Nichtsgewussthabenwollen, das war von je der härteste Kern des deutschen Rassismus.

6 thoughts on “Mit Roberto Blanco zum Persilschein

  1. „Die Pazifizierung Syriens, Iraks und Afghanistans aber ist mit militärischem Engagement zu erreichen, die Rezepte sind erprobt und wirksam, “

    Äh, echt, ist das so? Wo sind sie erprobt und haben sich als wirksam herausgestellt? Ernsthaft, würde mich mal interessieren. Da würden mir ja noch am ehesten die Jugoslawienkriege (bzw. die darauf folgenden Interventionen) einfallen, aber ich vermute, dass deren Standing im Adornoumfeld eher verbesserungswürdig ist.

  2. Die militärischen Fiaskos sind bei allen Interventionen dabei. Während der Kosovokrieg primär ein militärisches Fiasko war, geht er wie das Desaster in Kroatien und Bosnien davor doch zentral auf das Konto von Milosevic und in Jugoslawien wusste man das. Eine Verbindung von Adorno und Opposition zum Jugoslawienkrieg herzustellen scheint mir nicht so einfach – in Kürze befinde ich mich nicht allzusehr im Dissens mit Joschka Fischers Überwindung des Pazifismus WEGEN Auschwitz, der gerade nicht antifaschistisches Resumee aus dem Genozid sein kann. Wohl aber sehr im Dissens mit seiner im grünen Umfeld weitergediehenen Kumpanei mit dem massenmörderischen Iran. Und mit den Verschwörungstheorien nach Elsässer, dass Jugoslawien alles ein abgefeimtes Spiel Deutschlands war, wieder nationalsozialistischen Krieg führen zu dürfen. In dieser antigermanozentrischen Perspektive werden ganz zentrale Zwänge der 90-er wie der Somaliaschock, der in Nichtinterventionismus führte, gefolgt von Rwanda und Srebrenica, die zur Krise des genozidalen Nichtinterventionismus führten, ausgeblendet.

    Jugoslawien ist in der Tat am ehesten der model case für Syrien. Multiethnisch, multireligiös, ein Flickenteppich, genozidale Belastungen, zerfallender Hegemon auf schrumpfendem Restgebiet. Nur eben schlimmer und größer, weil man zuwartete. Andererseits keine effektive Luftwaffe mehr, relativ mächtige Nachbarstaaten als liberalere Bündnispartner (Israel, Jordanien), Abhängigkeit der Milizen vom Kernkonkflikt (Assad) und externer Zufuhr von Waffen und Geld, Kriegsmüdigkeit, Rätebildung, Flüchtlingsmillionen mit Wunsch nach Frieden.

    Die Intervention im Irak hat Saddam Hussein beseitigt, einen Genozideur ersten Ranges. Dadurch wurden die arabischen Revolutionen erst ermöglicht ebenso wie die säkularistischen Demonstrationen jüngst in Bagdad. Den aus Iran und Saudi-Arabien in Irak finanzierten Terror einfach den USA in die Schuhe zu schieben ist ein ziemlich dümmliches Manöver. Gerade Syrien zeigt, dass genau das gleiche schon mit Irak hätte passieren können: eine Revolte gegen den Diktator, ein ethnisch-religiöser Konflikt, der Großkrieg zwischen iranischen Milizen, Hisbollah und von Saudi-Arabien und Qatar finanzierten sunnitischen Djihadisten. Die Präsenz der Koalitionstruppen hat einigen Institutionen Zeit zum Aufbau gegeben. Leider hat man dann aus purem Wahlkampfkalkül und gegen alle Notwendigkeiten des Feldes sich zurückgezogen, IS ein Waffenarsenal und eine Großregion ausgeliefert, Syrien durch Nichtintervention in ein Blutbad verwandelt.

    Man weiß aus der Militärgeschichte einigermaßen gut, was Counterinsurgency heißt, wie es abläuft, wie man Aufbau, Aufklärung und Schutz kombinieren kann und muss. Man konnte und kann die ungefähren Kosten abschätzen. Durch die ganzen Zerstörungen und die Radikalisierungen sind diese Kosten explodiert, die Notwendigkeit einer Intervention hat sich nur verschärft.

    Man kann auch einfach gegenfragen, was die ganzen Nichtinterventionisten mit Syrien und Irak sonst zu tun gedenken. Nichtinterventionismus ist wie der Pazifismus die narzisstische Vorstellung, man habe mit dem, was vor sich geht, nichts zu tun, andere hätten es verursacht. Das ist eine infantile Position, die für das „so, das hast du jetzt davon“ der Zahlen- und Geschichtsfälschungen und Verschwörungstheorien bedarf. So wird Syrien gern der Intervention in Irak angerechnet, dieser dann groteske 1,6 Millionen Tote oder mehr angerechnet, als seien die real ca. 120.000-500.000 toten Zivilisten nicht zum allergrößten Teil von den iranischen und saudi-arabischen Rackets verursacht worden.
    Eine reife Position ist, das Blutbad, das man einmal vor sich hat, so rasch und kompetent als möglich anzugehen, ohne die Illusion, dass dabei alles perfekt laufen könne und nicht Folgeprobleme auftauchen würden.
    Zu einer Intervention gegen den Djihadismus gehört auch, dass man dessen Propagandainstrumente Antisemitismus, Misogynie, Theokratie und Anti-Hedonismus wirklich intellektuell zerlegt, eine Gegenposition zum Islamismus schafft, die von Beginn an darauf hin konstruiert ist, künftig Dezimillionen Menschen dem Einfluss des Djihadismus zu entreißen, und nicht nur die Exzesse moralisch verurteilt. Das geht natürlich um so schwerer als die eigene Gesellschaft sich vom Säkularismus und Aufklärung entfernt befindet.

  3. „Man weiß aus der Militärgeschichte einigermaßen gut, was Counterinsurgency heißt, wie es abläuft, wie man Aufbau, Aufklärung und Schutz kombinieren kann und muss. “

    Ja, das stimmt. Die historischen Blaupausen beziehen sich aber meistens auf Fälle, die mit den aktuellen Konfliktkonstellationen überhaupt nicht vergleichbar sind und deren Erfolgsgeschichte auch verklärend wiedergegeben wird, d.h., relativ repressives Vorgehen wurde nachträglich als erfolgreiches COIN historisiert (in den Lehrbüchern immer wiederkehrend: Malaysia). Und das ist bei so etwas kontextbezogenem wie COIN eben fahrlässig.

    Außerdem, und ich glaube, das ist ein grundsätzliches Verständnisproblem vieler linker Interventionsoptimisten, kann COIN keine politischen Konflikte lösen. Weder im Irak, in Afghanistan, in Libyen, noch in Syrien. Der Umkehrschluss muss übrigens nicht sein, Interventionen oder COIN grundsätzlich zu verdammen. Aber etwas mehr Realismus, und etwas ernsthaftere Auseinandersetzung mit den sehr bescheidenen Erfolgen von Interventionen, COIN und Statebuilding fände ich schon angebracht.

    • Noch einer, der am Wert der militärgeschichtlichen COIN-Erkenntnissen zweifelt

      „This paper has argued that today’s insurgencies differ significantly from those of the 1960s. Insurgents may not be seeking to overthrow the state, may have no coherent strategy or may pursue a faith-based approach difficult to counter with traditional methods. There may be numerous competing insurgencies in one theater, meaning that the counterinsurgent must control the overall envir
      onment rather than defeat a specific enemy. The actions of individuals and the propaganda effect of a subjective “single narrative” may far outweigh practical progress, rendering counterinsurgency even more non-linear and unpredictable than before. The counterinsurgent, not the insurgent, may initiate the conflict and represent the forces of revolutionary change. The economic relationship between insurgent and population may be diametrically opposed to classical theory. And insurgent tactics, based on exploiting the propaganda effects of urban bombing, may invalidate some classical tactics and render others, like patrolling, counterproductive under some circumstances. >>>Thus, field evidence suggests, classical theory is necessary but not sufficient for success against contemporary insurgencies.<<<"

      Galula, David (2006): Counterinsurgency Redux, in: Survival 48(4), p.124.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.