Der Aufstieg der RAF zum großen Filmevent ließ über dreißig Jahre auf sich warten. Ein solcher „cultural lag“, die Nachträglichkeit des Überbaus, wie ihn Adorno in einer Antizipation von Bordieus „Trägheit des Habitus“ definierte, ist typisch für gesellschaftliche Rituale, an denen neben der Filmproduktion der Wissenschaftsbetrieb im Besonderen teilhat. Geschichtliche Ereignisse erscheinen aus der Distanz rund erklärbar, können leichter rationalisiert werden und fügen sich als abgeschlossene Großversuche in die Schubladen von Positivisten ein.
Weil die Wahrheit der Ereignisse immer unnahbarer sich verbirgt, wird das Geschehen zur willkommenen Projektionsfläche. Und die Projektoren wummern in der Regel im Kino am lautesten. Die grenzdebile Lehrerschar kann diesmal anders als beim „Untergang“ aufgrund des vielen Blutes nicht wirklich nach der Einführung des „Baader-Meinhof-Komplexes“ als Unterrichtsstoff rufen. Dem sperrt sich auch der durchaus ernstzunehmende Ansatz des Filmes, Widersprüche eher aufzubewahren als sie zur Synthese zu zwängen.
Der Hooliganismus der RAF entsprang schließlich nicht einigen gestörten Individualpsychen, sondern tatsächlich an den Verwerfungslinien ideologischer Kontinentalplatten und gesellschaftlicher Umbrüche. Die Aggression gegen die Studenten, sowohl von Seiten der Jubelperser als auch der der diese unterstützenden Polizei, trug eindeutig faschistische Schriftzüge. Der Polizeistaat Deutschland war durch und durch mit jenen Elementen durchsetzt, deren Weiterleben mit der Demokratie Adorno als tendenziell gefährlicher als die offen antidemokratischen Bewegungen bezeichnete. Die brüchige Intransingenz und Gewaltbereitschaft, die später die RAF prägten, war auf Seiten der Gegner schon traditionell fest gefügtes Element politischer Gesinnung. Wer meint, gegen die RAF mit ihren historischen Gegnern sympathisieren zu müssen, erhebt den deutschen Nachkriegsstaat zum Ideal. Der Konflikt zwischen nazistischer Kontinuität und seinen autoritären Bewältigungsversuchen zwischen totschweigen und totschießen lebt fort – und daraus erklärt sich die Provokation und das gewaltige Medienecho des Bader-Meinhof-Komplexes. Das deutsche Menetekel ist der bewaffnete Widerstand. Dieser blieb aus, wo er am nötigsten war. Die RAF ist immer noch ein Finger in dieser auch ihr eigenen Wunde.
Die RAF war nicht nur eine Terrorgruppe, ein pöbelnder Lautsprecher des modernen Antisemitismus. Die Stärke der RAF war die Schwäche der bürgerlichen Gesellschaft. Die Terrorgruppe ging unter – die Krise der bürgerlichen Gesellschaft besteht fort und damit die Frage nach Bedingungen und Voraussetzungen für gewaltsamen Widerstand, die von der RAF stets schon beantwortet war, bevor man sie gegen sie zu stellen wagte. Dem Problem des Antisemitismus stellt sich der Film allerdings nicht. So steht das Plädoyer Ensslins gegen Zionismus und Faschismus gänzlich unwidersprochen im Raum. Horst Herold sinniert über die Landfrage der Palästinenser in der Absicht, dem Wahn eine merkwürdige Realität abzugraben. Und die Palästinenser wiederum werden zwar in ihrer sexuellen Prüderie verspottet, ihr Antisemitismus steht aber kaum zur Debatte. Bruno Ganz hängt zudem die Hitler-Rolle nach. Für die als versöhnende Vermittlung gedachte Figur des Herold hätte man sich vielleicht einen Charakter gewünscht, dessen Gesicht nicht sofort mit „Führerbunker“ verknüpft wird.
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