Helmut Schmidt und „Adolf Nazi“

Helmut Schmidt, deutscher Krisenmanager in Altersteilzeit, sprach vor Kurzem den Satz: „Adolf Nazi war ein charismatischer Redner. Oskar Lafontaine ist es auch.“

Von einem Adolf Nazi habe ich persönlich noch nicht gehört, ich kann mir allerdings denken, wer gemeint ist: Ein gewisser Adolf Hitler, dessen Namen Schmidt in neurotischen Tabusetzungen nicht auszusprechen wagt. Schmidt ist ein seniles Symptom für die deutsche Reflexionslosigkeit, die beim Aussprechen des Namens „Adolf Hitler“ schon Scham empfindet. Das ist um so gefährlicher, als das Nichtaussprechen schon für antifaschistisch gehalten wird. Therapeutisch sei eine Dosis Serdar Somuncu empfohlen:

20 thoughts on “Helmut Schmidt und „Adolf Nazi“

  1. Ich bringe es nur sehr am Rande mit Senilität in Verbindung, mehr mit der Tabuisierung. Senilität wäre auch nur ein überflüssiges Additiv, für das ich mich entschuldige. Bisweilen kommt er durch die ihm zugedichtete Altersweisheit eben extra alt rüber und man vergisst, dass sein eigentlicher Job in den Talkshows das öffentliche Rauchen ist.

    Danke für die Ergänzung.

  2. Erst einmal ein Kompliment für dieses schöne Blog! Ich habe zwar bis jetzt noch keinen Eintrag gefunden, mit dem ich inhaltlich d’accord gehen würde, aber deine Texte sind natürlich ein stilistischer Hochgenuss. Und ich lese eigentlich auch gerne Texte, an denen man sich etwas reiben kann. Wenn man mit einem Autor zu sehr übereinstimmt, besteht ja immer die Gefahr, beim Lesen einzuschlafen.
    Dieser Eintrag reizt mich dann aber doch besonders zur Kritik. Sobald der Name ‚Hitler‘ vernommen wird, sofort Verdrängung und Neurosen zu wittern, erachte ich nämlich auch als reichlich reflexionslos („reflexhaft“ würde es vielleicht besser umschreiben). Wenn du DIESES Verhalten als praktizierten Antifaschismus verstehen solltest, wäre das natürlich noch einen Tick kurioser. Ich finde es auf jeden Fall schade, dass du mit kritischtheoretischer Küchenpsychologie ferndiagnostizierst, ohne es für nötig zu erachten, das ein oder andere Argument nachzuliefern.

    (Sorry, für den scharfen Ton. Ich werde irgendwie das Gefühl nicht los, dass die Anonymität des Netzes grobe Umgangsformen begünstigt.)

  3. Danke für das Kompliment. Diskussion ist immer erwünscht!
    Wie würdest du es dir erklären, dass Schmidt den Namen Adolf Hitler bekräftigen muss mit einem „Nazi“? Als extrem verkürzter Geschichtsunterricht? Ich finde, das hat fast Ähnlichkeit mit einem Kosewort.

  4. Liebes Nichtidentisches,

    ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, warum Schmidts Titulierung überhaupt auf den Prüfstand gehört. „Nazi Adolf“ – okay, klingt wie ein Kosewort. Vielleicht aber auch ein bisschen herabsetzend. Ich wüsste nicht, was daran einer tiefenpsychologischen Betrachtung wert sein sollte. Wie Schmidt seine Worte verstanden wissen will, kann ich dir freilich auch nicht verraten, ich bin nicht sein Pressesprecher. (Mich verwundert es eher, dass Lafontaine in einem Atemzug mit dem Führer genannt wird. Der Oskar und der Adolf? Eine Nummer kleiner ist die Kritik des politischen Gegners in Deutschland wohl nicht zu haben.) Was mich an deinem Beitrag irritiert, ist die Sicherheit deines therapeutischen Urteils. Wer sich so leichthin anmaßt, das falsche Bewusstsein oder die latenten Motive anderer zu enttarnen, muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Entlarvungstechnik auch auf ihn selbst angewandt werden kann. Man könnte deine Argumente (?), wie es mir scheint, ohne großen Aufwand gegen dich wenden und etwa die Frage stellen, ob nicht vielleicht aus DIR eine regressive Volksseele stammle, die Scham empfindet, sobald der Führer mit „Kosenamen“ verunglimpft wird. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Diese Behauptung wäre natürlich unsinnig. Sie wäre – in meinen Augen – eben genauso substanzlos wie deine Behauptung.

    Gruß, RM.

  5. PS: Ich habe gerade erst gesehen, dass dein Beitrag unter dem Stichwort „Antisemitismus“ indexiert ist. Das finde ich dann ehrlich gesagt doch äußerst, ähm, …. schrill.

  6. Hi Rm,

    ein Grundmissverständnis, das mir immer wieder begegnet, ist die Psychoanalyse für eine medizinische Angelegenheit zu nehmen. Freud bereitet selbt nach Kräften schon die kritisch-theoretische Anwendung der Psychoanalyse vor, die davon ausgeht, dass in dieser Gesellschaft ein „gesundes“ Individuum nicht zu haben ist und „Neurose“ oder jedweder anderer Befund nur die Steigerung der Normalität, nicht das Gegenteil ist. Es gibt demzufolge keinen Sprechort des Gesunden, auf Postmodern gesagt.
    Was mir aufstieß ist, dass die Presse vor allem den Lafontaine-Vergleich aufspießte, sich jedoch um das merkwürdige Nicht-einmal-den-Namen-eines-Täters-Sprechen-wollen nicht schert. Wie man halt einem „Altkanzler“ auch andere Marotten (Loggorhoe, grenzenlose Eitelkeit, Rauchen im Studio) nachsieht.

    Meiner Meinung nach wird Adolf Hitler im Schmidt’schen „Adolf Nazi“ zu DEM Nazi. Das leistet der Vorstellung „Hitler war’s“ Vorschub. Jeder weiß, dass Hitler den Nationalsozialismus wenn nicht gänzlich erfunden, so doch geprägt hat. Schmidt will sich mit der Zusammenziehung „Adolf Hitler war ein Nazi“ zu „Adolf Nazi“ ständig dagegen versichern, dass in dieser Gleichung etwa ein „kein“ auftauchen könnte. Das ist ein auffallendes Äquivalent zur Neurosenlehre, die solche Zwangsgedanken, Verkürzungen ums Gegenteil und Verdoppelungen hauptsächlich zum Inhalt hat.
    An welchen Neurosen Schmidt tatsächlich „leidet“ ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal.

  7. Liebes Nichtidentisches,

    danke für deine Antwort! Erstaunlicherweise bin ich mit dem ersten Teil deiner Antwort vollkommen einverstanden. Dass es keinen „Sprechort des Gesunden“ gebe, finde ich als Formulierung sehr schön. Aber dein Text arbeitet doch gerade mit dem Schein und dem Irrtum, die der Gesunde dem Kranken attestiert. Unausgesprochen reklamierst du doch für dich, von einem Ort des Besserwissens urteilen zu können, von dem aus die Täuschungen und Irrtümer der anderen durchschaut und entlarvt werden könnten (womit sich ja implizit der normative Anspruch verbindet, der Kritisierte solle sich der wahren und allein selig machenden Erkenntnis beugen und seine Fehler korrigieren oder zumindest einsehen). Ich finde, dass dieses antiquierte Theoriemuster in der Tradition von Marx, Nietzsche und Freud inzwischen reichlich Patina angesetzt hat (und die Väter der Kritischen Theorie waren dieser Entlarvungsgeste im Übrigen stets weniger verpflichtet als ihre dogmatischen weil unkritischen (!) Adepten). Aber ich denke, wir sollten uns in diesem konkreten Fall gar nicht hinter akademischen Autoritäten verstecken. Es muss auch ohne den Rekurs auf verstaubte Klassiker möglich sein, zu urteilen (!), ob sich hinter der kanonischen Phraseologie deines Textes ein sinnvoller Gedanke verbirgt oder nicht. Um deinen Text zu rechtfertigen, musst du nicht unbedingt gleich Freud herbeizitieren. Wenn du meinst, Schmidt aufgrund einer banalen Äußerung als Symptom eines neurotischen (oder gar: antisemitischen, s.o.) Komplexes denunzieren zu können, ist das in meinen Augen doch reichlich frivol. Das ist ja auch nicht weiter schlimm, jeder hat das Recht, frivol zu sein (und jeder muss es aushalten, etwas als frivol zu empfinden). Aber auch du musst es aushalten, dass sich nicht jeder von Phrasen beeindrucken lässt. Und dann würde ich doch Folgendes behaupten wollen: Wenn du aus Schmidts Worten Zwangsdenken ableitest, ist das deine private Assoziationskette, die vielleicht mehr über dich als über deinen Analysanden verrät. Aber auch das ist natürlich Hobbypsychologie, die man ihrerseits wieder auf latente Strukturen abklopfen könnte. Wie dem auch sei: Du siehst, dass dein Text zumindest nicht uninteressant gewesen sein kann, sonst hätte er mich wohl nicht zur dreimaligen Antwort gereizt.

    Gruß, RM.

  8. Sieh es als These, die sich radikal formulieren muss, um den Widerspruch auf die Spitze zu treiben.
    Das Problem des Kritikers sehe ich so nicht. Klar ist auch eingedenk des Halbbildung-Komplexes ein Kritiker in der Lage eine Kritik zu formulieren. Dem Verdacht, dass er damit noch das perpetuiert, was er kritisiert, kann er sich im sogenannten falschen Ganzen nie entziehen.
    Was die Analyse über mich konkret verraten würde, wäre auszudiskutieren, dass sie etwas verrät, ist offensichtlich und angestrebt: Im besten Falle ein kritisches Bewusstsein, das in der Lage ist, interessante Fragen zu stellen, im schlechten Falle einen Ausfall an Reflexion.
    Ich finde das Argument immer etwas unrentabel, weil es erstens bisher nicht dazu geführt hat, eine Gegenthese auszuformulieren, also warum Schmidt deiner Meinung nach „Adolf Nazi“ sagt, und zweitens, dass du mit mir ja jederzeit darüber diskutieren kannst, ob in meinem Text konkret ein Zwang sich verbergen könnte – was wiederum ein Argument gegen den Zwang wäre. Vielleicht hast du ja einen Text, in dem Schmidt das klärt?

  9. Liebes Nichtidentisches!

    Nochmals danke für deine Antwort. Ich muss dir erneut mein Kompliment unterbreiten: „Widersprüche auf die Spitze zu treiben“ ist eine sehr treffende Umschreibung deines Handwerks.

    Nein, ich habe leider keinen Text, „in dem Schmidt das klärt“. Soweit mir bekannt ist, hat sich der Altbundeskanzler bisher weder zu meinen Argumenten noch zu deinen Zwängen schriftlich geäußert. Aber dass du die Fragefigur, was dein Text über dich verrate, plötzlich als „unrentabel“ bezeichnest, erfreut mich, denn genau das ist der Punkt, auf den ich hinaus wollte. (Dass einem Autoren, der sich offenkundig der kritischen Theorie der Gesellschaft verpflichtet fühlt, in diesem Zusammenhang kein anderes Wort als „unrentabel“ einfällt, birgt in sich natürlich eine Komik eigenen Rechts.) Dass die von dir virtuos betriebene Demaskierungstechnik für dich keinen Profit mehr abwirft, sobald man sie gegen dich wendet, verwundert mich nicht im Geringsten: Das Spiel der Latenzbeobachtung macht doch eigentlich nur solange Spaß, als man es an ANDEREN erprobt.

    Aber dass du so vehement eine Gegenthese von mir einforderst, finde ich doch sehr bizarr. Wenn mir ein Bekannter berichtete, er leide unter Flatulenz, und ich daraufhin antwortete, das Ganze rieche aber stark nach Antisemitismus, dann läge die Argumentationspflicht doch wohl offenkundig bei MIR und nicht bei ihm. Wenn ich ihm dann erklärte, ich könnte mich auch geirrt haben, seine Fürze seien unter Umständen doch koscher, aber so eine Fehldiagnose könne doch jedem einmal unterlaufen, denn er müsse schließlich wissen, dass es kein richtiges Leben im Falschen gäbe, dann befände ich mich mit hoher Wahrscheinlichkeit rasch in der Klapsmühle. Ich habe dir bereits verraten, dass ich Schmidts Äußerung als banal erachte. Solange er nicht von „unserem geliebten Führer“ spricht, sehe ich weder psychoanalytischen noch juristischen Klärungsbedarf. Du schreibst, es habe dich verwundert, dass die Presse sich an Schmidts Formulierung nicht gestört hätte, und wahrscheinlich würdest selbst das noch gegen das schlechte Ganze wenden. Klar: Wer den ganzen Tag mit einem Hammer herumläuft, sieht irgendwann nur noch Nägel. Man könnte aber auch einen alten Kalauer bemühen: Wenn mir auf der Autobahn ständig Autos entgegenkommen, muss dass nicht unbedingt bedeuten, dass besonders viele Geisterfahrer unterwegs sind.

    Abschließend möchte ich noch ein paar sehr ernste Worte an dich richten: Dass du einerseits den Faschismusalarm ausrufst, sobald jemand den Führer mit einem Spottnamen versieht, aber andererseits deiner Leserschaft die Webseite einer faschistischen Mörderbande anempfiehlst, ist äußerst erhellend. Dass du dich dafür nicht in Grund und Boden schämst, ist monströs. Deine Leser mögen daraus doch bitte selbst ableiten, was deine Kultur des universalen Verdachts wirklich wert ist. Vermutlich bist du der Meinung, du könntest dir solche Ferkeleien erlauben, weil du als kritischer Geist ohnehin auf der richtigen Seite stehst. Vielleicht würdest du aber auch nur sagen, dass du deine Thesen mal wieder radikal formulieren musstest, um den Widerspruch auf die Spitze zu treiben. Das wäre dir dann zumindest gelungen.

    Gruß, RM

  10. Nu, es ist einfach ein handelsübliches inhaltsfreies Stereotyp, einem Kritiker erstmal die Möglichkeit entgegen zu werfen, er selbst könne ja auch irgendwie von irgendwas tangiert sein.
    Weder mein Hintergrund noch bisher gesagtes deutet darauf hin, dass ich mich durch „Schimpfnamen“ für Hitler gekränkt fühlen könnte. Deine Anamnese stünde also auf äußerst wackeligen Füßen.

    Antisemitismus wurde getaggt wegen „Adolf Hitler“ im weiteren Kontext, nicht wegen Schmidts Pulpe.

    „Wer den ganzen Tag mit einem Hammer herumläuft, sieht irgendwann nur noch Nägel“

    Bedenklich, schließlich leben wir in Deutschland, dem Land der Hämmer.

    „Dass du dich dafür nicht in Grund und Boden schämst, ist monströs.“ Siehe Artikel. Ich Monster. Du hast den Sachverhalt immer noch nicht mit etwas Argumentähnlichem untermauert.

  11. Liebes Nichtidentisches!

    „Deine Anamnese stünde also auf äußerst wackeligen Füßen.“

    Stimmt, ich habe ja deutlich zu machen versucht, dass ich von derartigen Anamnesen nichts halte.

    „Antisemitismus wurde getaggt wegen “Adolf Hitler” im weiteren Kontext, nicht wegen Schmidts Pulpe.“

    Danke für die Klärung. Das stimmt mich versöhnlich.

    „Bedenklich, schließlich leben wir in Deutschland, dem Land der Hämmer.“

    Stimmt. Ist bedenklich. Ich wollte damit eigentlich auch nur sagen, dass soziologische Theorien in der Regel ein schlechtes Surrogat für mangelndes Urteilsvermögen sind. Dies gilt insbesondere, sobald eine Theorie zu Phrase und Dogma erstarrt. Dass soll nicht heißen, dass ich dich als verbohrte Dogmatikerin bezeichnen möchte oder dir kein Urteilsvermögen attestierte. Aber manche deiner Argumente empfinde ich leider als etwas phrasenhaft: „Dem Verdacht, dass [der Kritiker] noch das perpetuiert, was er kritisiert, kann er sich im sogenannten falschen Ganzen nie entziehen.“ Wie wahr, wie wahr. Und nachts ist es kälter als draußen. Klar: Dass deine Kritik kritisierbar ist, könnte am falschen Ganzen liegen. Mit dieser Sicht der Dinge ist man natürlich unangreifbar: Selbst deine Fehlurteile wären dann noch ein Beweis für die Richtigkeit deiner Thesen.
    Warum man aber (vermeintliche) Fehlurteile eher einem korrupten Ganzen als einem korrupten Kopf anlasten sollte, bleibt für mich erklärungsbedürftig. Wenn mir zu Schulzeiten im Mathematikunterricht ein Irrtum unterlaufen ist, konnte ich meinem Lehrer leider auch nicht erklären, dass mir vernünftiges Kopfrechnen im Spätkapitalismus einfach ungeheuerlich schwer fallle.

    „Du hast den Sachverhalt immer noch nicht mit etwas Argumentähnlichem untermauert.“

    Den Versuch habe ich gerade eben im anderen Thread unternommen. Ob er geglückt ist, musst du beurteilen.

    „Ich Monster“

    Okay, vielleicht war der Ausdruck „monströs“ unglücklich gewählt. Ich habe meine Kommentare gerade eben noch einmal überflogen und bin dabei leider auf die eine oder andere unangenehme Entgleißung gestoßen. Das tut mir leid. Ich habe offenkundig versucht, die Mittelmäßigkeit meiner Argumente durch Gehässigkeiten zu kaschieren. Aber ich habe dich NICHT als „Monster“ bezeichnet und würde das auch nicht tun. Mich hat dein Verhalten einfach unglaublich empört. Wenn ich meinen Lesern „Al-Manar“ als unabhängige Informationsquelle über den Nahost-Konflikt ans Herz legte (und es dabei nicht einmal für nötig erachtete, mitzuteilen, dass die Informationen eventuell mit Vorsicht zu genießen seien), ließest du mir das aber doch wohl auch nicht durchgehen. Oder?

    Nun ja. Ich habe die Diskussion bisher wirklich als Bereicherung empfunden (in Blogs wird ja nicht so häufig diskutiert), aber wahrscheinlich haben wir nun unsere Standpunkte hinreichend dargelegt. Es steht wohl nicht zu erwarten, dass wir noch auf einen grünen Zweig kommen werden. Das ist für mich auch kein großes Ärgernis: Ich will niemanden missionieren. Aber ich habe das schöne Gefühl: Du willst das auch nicht.

    Danke für die Geduld und lieben Gruß, RM.

    (Sorry für die Länge meiner Antworten. Ich wollte in deinen Kommentarspalten keinen Gegenblog eröffnen.)

  12. Schick lang der Text, danke dafür und trotzdem noch etwas:

    „Dass deine Kritik kritisierbar ist, könnte am falschen Ganzen liegen.“

    Das war nicht gemeint. Sondern dass die Kritik am Kritiker sich nicht auf ein „Spiegel, Spiegel“ beschränken darf, sondern eventuell auch inhaltlich fundiert sein muss. Bei deiner Wendung ist das für mich nicht nachzuvollziehen. Bei meiner Behauptung habe ich immerhin eine Fragmentanalyse, die man evtl. linguistisch-analytisch nennen könnte, und Bruchteile einer historischen Begründung in die Polemik eingeführt. Dein Konter steht dagegen in der Luft – vom Standpunkt des Treibsandopfers aus gesehen.

  13. Stimmt, ich sollte nicht über die Länge meiner eigenen Antworten klagen, sondern vielleicht einfach mal kürzere schreiben. Da du meine Kritik als inhaltslos empfindest, ist jedoch ohnehin keine weitere Diskussionsgrundlage gegeben. Was unter einer „Spiegel, Spiegel“-Kritik zu verstehen ist, weiß ich nicht. Mit Rabulistik Argumente zu parieren, ist aber eine Kunst für sich.

    Gruß, Ramin.

    (Mein Kommentar zur MEK ist leider im Moderationsfilter hängengeblieben. Lag wohl an den Links.)

  14. „Man könnte deine Argumente (?), wie es mir scheint, ohne großen Aufwand gegen dich wenden und etwa die Frage stellen, ob nicht vielleicht aus DIR eine regressive Volksseele stammle, die Scham empfindet, sobald der Führer mit “Kosenamen” verunglimpft wird. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Diese Behauptung wäre natürlich unsinnig.“
    …meinte RM weiter oben…
    bis auf den letzten Satz des Zitates stimme ich voll und ganz zu, besser hätte ich es nicht ausdrücken können.
    Wenn Walter Moers eine hitlereske Comicfigur „Äch bin wieder da“ sagen läßt, führe ich das nicht auf seine regressive Volxseele zurück, sondern auf seinen geilen Humor.

  15. Klar, wer Hitler zur Unterhaltung als Comic-Figur gebrauchen kann, findet wahrscheinlich auch einen Satz wie „Arbeit macht frei“ ausgesprochen von einer Comic-Figur ausgesprochen unterhaltenswert. Wenn nicht zum fürchten gut, dann soll man ihn wenigstens zum lachen gut finden können. Zu irgendetwas soll er ja schließlich dem durchschnittsdeutschen Schwarzblogger gut sein, der Adolf Nazi. Das Sahnehäubchen ist dann aber doch die eigene Triebunterdrückung, die bei allem was dem Schwarzablog „geil“ ist zu Sprache kommt.

  16. Walter Moers ist abseits seines durchaus genialen literarischen Werks in seinen „kleines Arschloch“ und verwandten Comics eher regressiv unterwegs. Sich Goebbels oder Göring als Zwangs-Tunte vorzustellen, die sich von Hitler anal penetrieren lässt, dient zur Abwehr einer gewissen Homophobie mehr als zur Analyse der Verquickung von Homophobie, verdrängter Homosexualität und Nazismus.
    Unter Adolf Hitler mag ein solcher Comic revolutionär und heroisch gewesen sein. Heute bedient er ein regelrechtes Business, das seine Energie aus der flimmernden Drohung schöpft, die das Fortbestehen der Möglichkeit einer Wiederholung des Nazismus verbreitet. Darin ist die gesamte Hitler-Manie der letzten Jahre zu verorten. „Mein Führer“ von Helge Schneider habe ich demzufolge eher als Parodie auf diese Hitler-Manie gelesen, denn als echten Versuch einer Satire über Hitler im Stile von Moers. Der nimmt ohne groß zu denken im Rausch des Tabubruchs die hinlänglich bekannten prpagandistischen Hilfmittel der Verlächerlichung:
    – Verringerung der Körpergröße
    – Vergrößerung der Nasen
    – Mundart
    – Homosexualität

    Der Tabubruch findet dabei nicht im Karikieren Hitlers statt, sondern in der Darstellung von homosexuellen Akten bei einstmals Mächtigen.

  17. Die Frage bleibt, wie man dem Wahnsinn begegnet, ohne ihn zu rationalisieren. Sachlichkeit kann keine Antwort darauf sein. Die Tatsache, daß der Wahnsinn der Nazis verzerrt und überdreht in der Form von Satire oder Parodie dargestellt wird, beweist immer wieder, daß Wahrheit, der Antisemitismus nicht zum lachen, geschweige denn plausibel ist. Der Verdrängungsmechanismus der Geschichte funktioniert aber geradezu perfekt darin, immer wieder einzufordern, Schluß zu machen und endlich weitermachen zu dürfen. Oder auch mal etwas unbedeutendes sagen zu dürfen. Das ist die Einrichtung in den Widersprüchen und die Unkenntlichmachung der Verhältnisse, um ein kritisches Bewußtsein der Verhältnisse erlangen zu können. Für RM soll es daher auch vermittelbar bleiben, warum genau Helmut Schmidt Adolf Nazi und nicht Adolf Hitler sagt. Klar, denn Sachlichkeit ist eben plausibler als die kritische denunzierende Polemik gegen den Wahnsinn. Latenzbeobachtung macht eben keinen Spaß. Dafür kommt kein Beifall.

  18. Zur „Spieglein, Spieglein-Kritik“: Die Wendung der Kritik gegen den Kritiker ist immer dann in besonderem Maße anzutreffen, wenn sie ein eindringliches moralisches Urteil beinhaltet.

    Man kann das relativ gelassen sehen, und zum einen als Indiz dafür werten, dass die Provokation Erfolg hatte, zum anderen als Selbstkritik auffassen (man erspart sich dann eventuell einen Ausritt in selbstgerechte Gewässer, oder trinkt seltener Wein). Ich behaupte nicht, dass letzteres hier der Fall ist, aber alleine die Möglichkeit, dass fast jeder unter bestimmten Konstellationen zum Unmensch werden kann, lässt mich mit dem eigenen Urteil vorsichtig sein (das heißt nicht, dass man nicht provozieren, oder moralisch urteilen darf).

    Zu „Adolf Nazi“: Schmidts Aussage hat mich auch sehr verwundert; vielleicht ist die Erklärung auch relativ „banal“ (und wurde möglicherweise bereits angesprochen): Das „Nazi“-Anhängsel könnte ein Versuch sein, etwas Unerträgliches durch humoristisches Überzeichnen erträglich zu machen.

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