Rechtsantideutsch – Zur Genese eines Phänomens

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Die „antideutsche“ Haltung war zunächst eine recht diffuse Gegnerschaft zum wiedervereinigten Deutschland. Bis heute finden sich im individuellen Sediment Fossilien dieser Zeit:
Der Hass auf die Revolution gegen das totalitäre DDR-Regime, die in einer Fehllektüre der bürgerlichen Parole „Wir sind das Volk“ als „völkische“ identifiziert wird; die Glorifizierung der roten Armee als antifaschistische Institution, deren nicht erst unter Stalin erzwungene faschistische Prägung zugunsten des Rauschs der Fahne ausgeblendet wurde; eine generalisierende Fehlinterpretation von postkommunistischer Weltpolitik als Ausgreifen eines wiedererwachten deutschen Nationalsozialismus, darunter zuvörderst die Theorie, die den Jugoslawienkrieg ausschließlich als deutsche Verschwörung gegen die letzte sozialistische Macht in Europa deutete. Das sind jeweils Erbschaften antiimperialistischer Welterklärung durch Reduktionismus und Identitätspolitik, gegen die kritische Theorie sich schon in den 1930ern imprägnierte.

Diese Ursprünge führten dazu, dass unter anderem Jürgen Elsässer Mitherausgeber der Zeitschrift „Bahamas“ wurde, dem Organ jener Minderheitsfraktion der Gruppe K, die nicht mit der PDS zusammengehen wollte. Unter dem Einfluß der „Initiative sozialistisches Forum“ in Freiburg schärfte die Zeitschrift ihr Profil und rückte den israelbezogenen Antisemitismus ins Zentrum. Das provozierte polemische, hasserfüllte Reaktionen aus der traditionellen Linken, für die „antideutsch“ zunächst zum Synonym von Verrätertum wurde, bei nicht wenigen aber seriell zu Reaktionsbildungen und euphorischer Identifikation mit dem Label führte. Die Zeitschrift Bahamas warb noch in dem Maße um die Linke, wie sie diese kritisierte, die „Antideutschen“ waren in aller Regel ehemalige Linke und Marxisten.

Inhaltlich häufig von präziser Korrektheit, war die Polemik vieler Bahamas-Texte früh von jenem enttäuschten, abgewehrten Begehren geprägt, in dem Psychoanalyse die Intensität des Ekels begründet sieht. Es ist ein Begehren, das sich nur in der Verachtung artikulieren kann und letztlich sein Objekt zerstören muss, wo es sich der durch Schmähungen vorgetragenen „Werbung“ verweigert.

„Fangen wir doch einfach mal mit den Äußerlichkeiten an“ war die Parole von Justus Wertmüller nach den Demonstrationen von Heiligendamm 2007. Der Kommentar des Blogs „Psychosputnik“ greift diese „Äußerlichkeiten“ in einer Fußnote begeistert auf: „Mit diesem einfachen Wort rekurriert Wertmüller auf Adornos geniale Entdeckung, daß ohne Berücksichtigung der ästhetischen Empfindung das ganze Denken des Mensch blind wie frischgeborene Kätzchen ist.“

Einem geschichtsphilosophisch geschulten Herangehen hätte der Rekurs auf die frühneuzeitliche Ästhetik, in der die Konkurrenten Pietismus und Aufklärung zunächst von Form auf Inhalt, vom schönen Äußeren auf den schönen Geist und letztlich von der schwarzen Hautfarbe auf den fehlenden Intellekt schließen wollten, (wie George L. Mosse in seinem Standardwerk zur Geschichte des Rassismus nachweist) bekannt sein müssen. In der Szene wurde solche Skepsis von einer populären Faszination mit der angeblichen Rückbezüglichkeit von „Form und Inhalt“ überlagert. Daran schließt Wertmüller mit seinem „rant“ an:

„Immer noch trägt man diese schrecklichen Dreadlock-Wursthaare, immer noch ist man auf dem veganen Trip, immer noch ist man auf dem Kreativtrip, obwohl man zu nichts in der Lage ist, weder in der Kunst noch im Schreiben noch im Reden noch in der Beziehung. Immer noch hält man sich für etwas Besseres, obwohl aus einem das psychische und physische Elend grinst. So gesehen ist natürlich die radikale Linke, also alles jenes, was sich autonom, antifa, nehmen wir mal diese beiden Dinge oder ExK-Grüppler oder was es da noch so gibt, die Antirassisten und Antisexisten, natürlich nicht zu vergessen, die von ganz besonderer Hässlichkeit sind, etwas Abstoßendes und schon deswegen eigentlich ein Personenkreis, zu dem man auf Abstand gehen sollte.“

Das „physische Elend“ Anderer zu verurteilen war Wertmüller und nicht wenigen seiner Anhänger vor fast zehn Jahren probates Mittel, das sich nicht selbst der Identitätspolitik („ich sehe gut aus, also bin ich gut“) verdächtig wurde. Auf dem Titelbild der Ausgabe 55 (2008) fanden sich dann die „hässlichen Elendsgestalten“ mit Überbiss karikiert. Solche Ästhetik bildete einen Meilenstein auf dem Weg dahin, das bisherige Rekrutierungsfeld nicht mehr zu kritisieren, sondern von sich zu werfen.

An die Stelle dessen, was Psychoanalyse als reife Reaktion auf Verlust und Impotenz vorschlägt – Trauer – traten Wut, Hohn und Spott. Im Gegensatz zur feministischen Sache, die trotz der Gegnerschaft zum „Antisexismus“ noch lange von Autoren der Bahamas vertreten wurde, haben vor allem Clemens Nachtmann und Sören Pünjer den Antirassismus nicht nur als Bewegung sondern auch als Gegenstand gründlich entsorgt und damit den weiteren Wegverlauf vorbereitet.

„Seien wir doch ehrlich, Rassismus, der wirklich noch Rassismus genannt werden kann, also nicht die Verrücktheiten der Antira-Szene, die jede staatliche Regulierung von Zuwanderung als Rassismus geißelt, oder jeden, der das Wort Neger in den Mund nimmt, standrechtlich zusammenschlagen will, hat doch nicht wirklich eine Zukunft. Die Zukunft gehört der Ideologie des Antirassismus als menschenverachtendem globalem Massenbewußtsein, also als Fusion aus Multikulturalismus und Ethnopluralismus, zusammengehalten von einem politisch korrekten Antisemitismus.“ (Sören Pünjer)

Das knüpfte an eine ältere Tradition an. Bereits 1994 hielt Manfred Dahlmann einem durch und durch grotesken und in der „konkret“ sowohl abgedruckten als auch gründlichst kritisierten Referat von Christoph Türcke zugute, er habe der zu Unrecht empörten Linken lediglich „die Botschaft überbracht“,  dass wenn „der deutsche Staat sie mal vor die Alternative stellen sollte, entweder die ‚Flüchtlingsfrage‘ mit ihm gemeinsam zu ‚lösen‘ oder die soziale Sicherung entzogen zu bekommen, ihre Entscheidung eindeutig sein wird.“ Gemeint ist, dass die Linke sich wie der vernünftige Staat, den Türcke unterstellte, für die „soziale Sicherung“ und entscheiden würde, die durch die Jugoslawienflüchtlinge damals bedroht schien. Bei Pünjer wird im gleichen Duktus aus der humanistischen Kritik der immer weiter eskalierenden Dezimierung von Flüchtlingen durch Hürden, die sie in den Kriegsgebieten halten sollen, schon ein „Geißeln“ „jeder staatlicher Regulierung von Zuwanderung“.

Das ist der Jargon der Rechten, die aus der verzweifelten Flucht von etwa 50 Millionen Menschen weltweit eine gemütliche „Zuwanderung“ zu machen sucht, die dann nur „reguliert“ würde. Dass dieser „Regulierung“ zehntausende von Menschen zum Opfer fallen, die verdursten oder ertrinken, weitere Millionen zwangsweise in elenden Lagern gehaltene Flüchtlinge systematisch der Ausbeutung durch Organhandel, Zwangsehen, Zwangsprostitution und Sklaverei zugeführt werden, kann stets mit der bürgerlich-egoistischen Rationalität des Notstandes legitimiert werden: alles Andere seien Hirngespinste, Träumereien, Selbstschädigung und mancher auf der antideutschen Straße wusste bereits, dass „no border“ eigentlich nichts anderes sei als der „Antinationalismus“ des Islamischen Staates.

Wie gründlich die Redaktion Bahamas mit dem Humanismus abgeschlossen hat, und wie tief der Reflexionsausfall reichte, zeigte das Editorial der Ausgabe 73.

„Deutschland ist das Land der Durchhalter. Es brach 1914 einen fürchterlichen Krieg vom Zaun, den es, obwohl er schon nach drei Monaten verloren war, weitere vier Jahre fortsetzte, nur um sich nach der Niederlage als moralischer Sieger zu präsentieren und gegenüber dem Rest der Welt durchaus aggressiv den Beleidigten zu geben. Eine verwandte Aggressivität spricht seit dem Frühjahr 2016, als nicht mehr zu bestreiten war, dass sie ihren Kampf um die Hegemonie in Europa verloren hatten, aus den Deutschen. Aus Geiz und Gier, die exemplarisch in der Griechenland-Politik zum Ausdruck kommen, genauso wie aus dem narzisstischen Bedürfnis heraus, die anderen auch in moralischer Hinsicht ins Hintertreffen zu bringen, wofür die vollends wahnsinnige Flüchtlingspolitik seit dem Frühjahr 2015 steht, ist das Projekt Europäische Union maßgeblich von Deutschland zum Scheitern gebracht worden. Seither wird wieder durchgehalten.“

Die Aufnahme von einer Million Flüchtlinge wird hier mit dem ersten Weltkrieg gleichgesetzt (vor dem zweiten als Parallele schreckte man vorerst noch zurück).

„Wie vor hundert Jahren ist es die Intelligenz, die die so dringend gebotene Selbstkritik empört zurückweist und stattdessen zum Entlastungsangriff auf inzwischen alle europäischen Nationen bläst. Man sieht sich einer bösen Welt ausgesetzt, die von nationalistischen Kleingeistern, rechtspopulistischen, gar faschistischen Unmenschen, feigen und ehrlosen Umfallern und interventionistischen Bellizisten bevölkert zu sein scheint.“

Gegen diesen „Schein“ sollte man sich die Realität vergegenwärtigen: In Ungarn ist die antisemitische Nazipartei „Jobbik“ seit 2010 drittstärkste und seit 2014 zweitstärkste Kraft. In Österreich ist die FPÖ wieder Regierungspartei. In Deutschland hat die AFD alles zwischen rechtem Flügel der CDU/CSU und linkem Flügel der NPD abgeräumt. In Frankreich agitiert der Front National gegen Europa und Flüchtlinge und zwischen Polen und Großbritannien will man die „Islamisierung Europas“ stoppen, während die reale Islamisierung der Türkei, Indonesiens, Bangladeschs, Malaysias und des subsaharischen Afrikas von den jeweiligen Rechten als ethnopluralistische Kuriosität ignoriert wird, wo die Parteien nicht gleich mit islamistischen Regimes kollaborieren.

Den Gegner sieht die Redaktion Bahamas aber in den „guten Deutschen“, deren „kollekive Wiederholungstat“ darin besteht, Flüchtlinge aufzunehmen.

„Den brutalen Überlegenheitsdünkel und die unerträgliche Selbstgerechtigkeit der deutschen Intelligenz hat kürzlich der Schriftsteller Pascal Bruckner in Gestalt des ihn interviewenden Journalisten Georg Blume zu spüren bekommen. In einem Interview das am 14.4.2016 in der Zeit erschienen ist. Im Ergebnis geriet die intendierte Entlarvung des prinzipienlosen französischen „Parade-Intellektuellen“ durch einen Vertreter der „guten Deutschen“ zum Protokoll über einen kollektiven Wiederholungstäter, dessen Hang zu Sonderwegen Europa einmal mehr ängstigt.“

Dieses Interview wird im Editorial 73 der „Bahamas“ in langen Auszügen abgedruckt. Bruckners Argumentation ist im Wesentlichen die der neuen Rechten: Aus Vernunft hätte man den Millionen Flüchtlingen aus Syrien den Weg nach Saudi-Arabien zeigen sollen, den nach Europa aber versperren, weil Europa keine Schuld am Syrienkrieg trage. Bruckner beklagt:

„Man kann doch nicht von einem Tag auf den anderen, im Hauruckverfahren, eine Million Leute, die nur Diktatur, Krieg, Folter und Bomben kennen und aus einer Kultur kommen, in der die Frau ein zweitrangiges Wesen ist, in eine freie Gesellschaft verpflanzen.“

Auch hier wird wieder aus der Flucht eine Aktivität der Europäer, ein „Verpflanzen“. Die verräterische   Floskel verniedlicht die mörderische Flucht zu einem gärtnerisch-fürsorglichen Akt. Kritisiert wird nicht, dass CDU und SPD zu wenige, sondern dass sie zu viele Flüchtlinge aufgenommen hätten. Das wird von Bruckner psychologisiert:

„Ebenso uneingeschränkt und impulsiv war die Reaktion der Kanzlerin auf die Flüchtlinge: eine Million willkommen heißen, jetzt, sofort! Ohne Absprache mit uns anderen Europäern. Man begegnete in Merkel einem Narzissmus des Mitgefühls. Wie jeder Narzissmus war auch dieser grenzenlos und ein Alleingang.“

Hier steht alles schief. Merkels Weigerung, auf die Flüchtlinge schießen zu lassen, wird als Mitgefühl fehlverstanden, dieses dann pathologisiert[1] und nicht als zivilisatorischer Mindeststandard gewürdigt, der freilich wenige Wochen später mit Stacheldraht in Ungarn, auf dem Balkan und mit der Mauer in der Türkei unterlaufen wurde. Die nach wenigen Wochen beendete Phase entstand aus dem Problem, dass unter anderem Italien sich weigerte, die ökonomisch und humanitär aufwändige Drecksarbeit für Deutschlands repressive Flüchtlingspolitik zu erledigen und Flüchtlinge ohne Registrierung nach Deutschland weiterreisen ließ. Schengen stand auf dem Spiel und damit ein Instrument, mit dem vor allem Deutschland eine repressive Flüchtlingspolitik auf Kosten der Anrainerstaaten lösen wollte. Es ist schlichtweg eine Verdrehung, aus der Aufnahme von Flüchtlingen ein „deutsches Projekt“ zu machen. Seit den Brandanschlägen und Pogromen der 1990er war die deutsche Maxime, Europa zu nutzen um Flüchtlinge aus Deutschland herauszuhalten. Das kurze Intermezzo 2015 war ein komplexes Zusammenspiel von Syrienkrieg, Europapolitik und internationaler Entrüstung über die Behandlung von Flüchtlingen, der sich Deutschland zuletzt nicht mehr entgegenstellen konnte. Auch 70% der polnischen Bevölkerung waren damals für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen.

Die Redaktion Bahamas bekundet hingegen:

 

„Die Redaktion Bahamas, die Bruckners Argumente vorbehaltlos teilt, befindet sich in der ungemütlichen Situation, dass Herr und Frau Durchhalter in deutschen Redaktionen, Studentenvertretungen und selbst sich israelsolidarisch nennenden Initiativen auf jeden kritischen Hinweis über deutsche Alleingänge wie die Flüchtlings- und Türkeipolitik der Regierung Merkel nicht nur mit Diffamierungen reagieren, auf die wir schon zu antworten wissen.“

Mit „Durchhalter“ wird explizit wieder die Parallele zwischen 1. und 2. WK und Flüchtlingsaufnahme gezogen und so der Notstand legitimiert, in dem man auf Realitätsprüfungen verzichten kann:

„Merkel-Deutschland, das man sich als ein nicht nur in Leipzig tätiges „Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus“ vorstellen muss, ist, seit es als Durchhalter-Gemeinschaft gegen Europa mit dem Rücken zur Wand steht, im Kampf gegen den inneren Feind noch Manches zuzutrauen.“

Diese Verkehrungen finden sich als Detritus in der Szene wieder, die sich inmitten der bürgerlichen Eiszeit ihrer ideologischen Obdachlosigkeit schämt und Nestwärme bei der gesellschaftlich hegemonialen Vernunft sucht: Flüchtlinge eben draußen zu halten, in Bruckners Jargon zu „filtern“, wegen dem Islamismus und weil man ja nicht alle aufnehmen kann. Die Idee, die europarechtlich verregelte Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen ausgerechnet mit dem Nationalsozialismus zu identifizieren ist offenbar so überzeugend, dass Paulette Gensler sie aufgreift und in einem Kommentar als „Biopolitik“ bezeichnet:

„Eben dieser Bezug auf Polen, wie Martin [Stobbe] ihn hier skizzierte, ist mir nämlich auch aufgestoßen. Denn auch ohne Bahamaslektüre, aber nach einem kurzen Blick in ein durchschnittliches Geschichtsbuch wäre doch zu erkennen, dass es eventuell Gründe gibt, aus denen sowohl die polnische Regierung als auch Bevölkerung etwas sensibel auf deutsche Biopolitik auf polnischem Boden reagiert.“

Die europaweit vereinbarte Verteilung von 120,000 Flüchtlingen sollte primär Italien und Griechenland entlasten. Wirtschaftliche Ausgleichsregelungen sind vorgesehen. Daraus ein „deutsches“ Projekt, gar „Biopolitik“ zu machen, zeugt vom Realitätsverlust ebenso wie von der Aufgabe von Aufklärung als Möglichkeit.

 

Der Abschied der Redaktion Bahamas vom Humanismus ebenso wie vom Realitätsprinzip ließe sich an weiteren Texten exemplarisch belegen. Er bleibt vorerst partiell und wird gelegentlich widerrufen in bestem Judith-Butler-Stil: Man habe das nicht so gesagt, was man eben gesagt hat. Und sicher wird man in der Bahamas weiterhin Texte finden, mit der sich andere Texte in der Bahamas kritisieren lassen. Aber die in die Welt gerufenen Ideologeme wie der Identifizierung der Aufnahme von Flüchtlingen mit dem ersten und zweiten Weltkrieg, von Antirassismus und Nationalismuskritik mit dem Islamismus, vom ästhetischen Elend der „Linken“, vom Untergang des Rassismus, diese Ideologeme werden weiter gedeihen, weil sie sehr einfache, identitätspolitische Lösungen für komplexe Probleme anbieten.

 

[1] Der Zusammenhang von inszeniertem Mitleid und Narzissmus wurde von Nietzsche durchaus richtig erkannt. Tatsächlich ist der pathologische Narzissmus aber zum echten Mitgefühl geradewegs unfähig und muss es an Anderen als Schwäche oder Perversion abwerten.

10 thoughts on “Rechtsantideutsch – Zur Genese eines Phänomens

  1. Lieber Felix,
    also geht die Unterhaltung nun hier weiter? Ich habe es in den letzten Tagen leider nicht geschafft zu antworten. Demnach liefere ich noch kurz nach.
    Du wolltest ein Zitat, ich gab es Dir; es reichte Dir nicht – was Dein gutes Recht ist. Dein Zitat des zitierten Bruckner-Interviews hast Du hingegen etwas gewollt „geschnitten“ und den Teil weggelassen: Bruckner: Nein, ich sehe uns moralisch nicht in der Verantwortung. Die europäische Intelligenzija teilt weit und breit meine Meinung. Zeit: In Deutschland nicht! Bruckner: Aber sehen Sie nicht, dass die Deutschen mit ihrer Haltung völlig allein dastehen? Deutschland will mit vorbildhaftem Betragen die schlechten Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg korrigieren.“
    Und dort tauchte auch die entsprechende Frage von der Seite der „Zeit“ auf: „Zeit: Haben die Deutschen nicht Europas Ehre gerettet?“ In dem von Dir zitierten Ausschnitt im Editorial ging es um Merkel, und jene, die dies im Kleinen, Persönlichen ebenfalls exorzieren: „Inzwischen wird auch mit Drohungen an Redakteure, Autoren und Freunde, die wir sehr ernst nehmen müssen, zurückgeschlagen.“ Und ich würde behaupten, Du kennst gewisse Reaktionen auf Veranstaltungen von der Redaktion. Einige Beispiele werden im betreffenden Editorial geliefert.
    Ich würde empfehlen das gesamte Interview in der Zeit zu lesen – das nämlich nicht im Volltext in der Bahamas wiedergegeben wurde! Der Satz Bruckner, welcher die Tendenz seiner Argumentation, die die Redaktion „vorbehaltslos teilt“ wohl am besten wiedergibt, lautet meines Erachtens: „Deutschlands Verhalten ist bewundernswert und unverantwortlich zugleich.“ Ich würde zustimmen, dass Du zurecht sagst, die größte Auswanderung von Juden finde in Frankreich statt, und darauf sowie die Gründe dafür bezog sich Bruckner:
    „ZEIT: Nach Frankreich kamen doch nach Ende des Algerien-Kriegs auch zwei bis drei Millionen im Hauruckverfahren ins alte Mutterland! Bruckner: Richtig. Aber genau deshalb sind die Franzosen heute so viel skeptischer mit Blick auf die Integration als die Deutschen. ZEIT: Dabei ist doch Frankreich das eigentliche Multikulti-Land. Bruckner: Aber die Franzosen wissen inzwischen auch, wie kompliziert Multikulti ist. Der Terrorismus hat ihnen da viel Enthusiasmus genommen. Was wiederum nicht heißt, dass die multikulturelle Gesellschaft grundsätzlich gescheitert ist, wie Merkel das mal gesagt hat. Eine multikulturelle Gesellschaft braucht nur sehr, sehr starke Gesetze, die alle Gesellschaftsgruppen einbinden.“
    Aber nirgendwo in dem Editorial richten sich jene Passagen, die Du zitierst gegen ehrenamtliche Helfer oder Flüchtlingsorganisationen. Stattdessen geht es darin um den auch von Dir – mit dem Neurechten, und „Argumentation der französischen, deutschen, polnischen und ungarischen Rechten“ – intendierten Vorwurf, die Bahamas und Gruppen, wie die AG Antifa Halle wären AfD-kompatibel, selbst, wenn sie Proteste gegen die AfD organisieren, womit die projektive Ebene doch wohl recht gut veranschaulicht wäre. Sonst wäre doch leicht zu verstehen, dass sich „wir antifaschistisch und antirassistisch motivierten Helfer“ gegen jene zitierten Schreihälse und ihre charaktergleichen Genossen richtet, die weniger helfen, als Hilfe ideologisch aufzuwerten und sie gegen Kritik zu immunisieren, sich also nicht gegen jene Helfer richtete, die Du beschriebst als „Leute wie ich, die einfach unabhängig von ihrer ideologischen Prägung das verinnerlicht haben, was Adorno als moralischen Imperativ einfordert: Einem Flüchtling an der Tür nicht den Weg zu weisen unter dem Vorwand notwendiger Reflexion. Das zu tun, was unmittelbar notwendig und somatische Moral geworden ist: zu helfen, auch defizitär, auch wenn später Widersprüche entstehen.“ Zumindest nicht, solange sie als solche agieren. Ich habe mich also durchaus gewundert, weshalb Du Dich von einem Vorwurf gegen „antifaschistisch und antirassistisch motivierte Helfer“, was doch wohl ohne große Phantasie bedeutet: Helfer, die vor allem antifaschistisch und antirassistisch motiviert sind, und nicht über ihrer ideologischen Prägung stehen, angesprochen fühltest; oder wie Du auf die Idee kamst, es richte sich gegen „Fluchthilfeorganisationen“.
    Zur Frage der Ehrrettung war auch in der Jungle World unter dem bezeichnenden Titel „Eine Frage der Ehre“ zu lesen: „Die Motive der Helferinnen und Helfer sind unterschiedlich. Nur um den Menschen, der Hilfe braucht, geht es nicht, wie auch das Gespräch mit dem britischen Ehrenamt¬lichen zeigt. Persönliche Bestätigung spielt häufig eine wichtige Rolle.“ Das ist einigermaßen schwammig und der Brachialität vermutlich sogar falsch. Mittlerweile gibt es aber Studien zu der Thematik, wie die „EFA-Studie 2 Strukturen und Motive der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit (EFA) in Deutschland“, in der man auch gut sehen kann, wie gewisse Erkenntnisse narrativ gleich wieder zurückzunehmen versucht wird. Die Hauptnennungen waren aber folgende: „Die überwiegende Mehrheit der Befragten möchte mit Ihrem Einsatz die Gesellschaft zumindest im Kleinen verändern (97 %) und ein Zeichen gegen Rassismus setzen (90 %).“ Sehr bedeutend waren ferner: Gemeinschaftsgefühl mit anderen Helfern; Fähigkeiten für den Beruf erlernen, Neues kennenlernen etc pp.
    Außerdem ist die Studie „Skepsis und Zuversicht“ des SI-EKD ganz interessant. Dort liegt das Motiv „Deutschland gewinnt damit Ansehen in der Welt“ mit 70% auf Platz zwei der Nennung, nach der Hilfe in existentieller Not (November 2015), gefolgt von der Aussage: „Diese Menschen bereichern Deutschland auch kulturell“ (2016 an zweiter Stelle) und „hilft Bevölkerungsalterung zu verhindern“
    Zu Polen; Ungarn…
    Du schreibst: „Die oben zitierten Positionen ensprechen eins zu eins der Argumentation der französischen, deutschen, polnischen und ungarischen Rechten. Letztere werden bei Stobbe nochmal als „Opfer Deutschlands“ kollektiviert…“ Letztere aber wären die Ungarn und nicht die Polen, auf die sich Martin und auch ich mich bezogen. Das mag für Dich wieder Sophisterei sein, ich würde es Redlichkeit nennen. Oder meinst Du mit „Letztere“ diese beiden irgendwie östlichen und somit kaum zu unterscheidenden Länder? In diesem Fall würde ich mit Martin gern noch einmal betonen: „Noch falscher ist es, Ungarn generell mit osteuropäischer Politik in eins zu setzen.“ Über Ungarn hat Martin Stobbe nichts geschrieben, sondern nur klargestellt, dass es eine Affirmation der ungarischen Politik in der Bahamas nicht gab. Auch ich habe Dich um einen Nachweis gebeten, in welchem Text jene „Affirmation ungarischer Politik“ denn abgelaufen sei – den ich noch nicht sehe. Wenn ich von Biopolitik schrieb, dann – und ich dachte, dies wäre Dir zumindest klar – mit einem Augenzwinkern. Dass Polen jedoch eine hunderte Jahre lange Erfahrung mit deutscher „Bevölkerungspolitik“ erfahren hat, ist wohl schlecht zu leugnen. Und ich meine auch, dass es sich bei der quotierten Verteilung von Flüchtlingen sehr wohl – und durchaus wertfrei – um eine Form der Bevölkerungspolitik handelt. Ich würde sehr zustimmen, dass es nicht angeht, dass Italien und Griechenland die „ökonomisch und humanitär aufwändige Drecksarbeit für Deutschlands repressive Flüchtlingspolitik zu erledigen“ haben. Nur bleibt die Frage, wieso Polen dies zu tun hat. Martin schrieb weiter: „Was es gibt, in Deutschland und auch unter sogenannten Antideutschen, ist ein durch nichts zu rechtfertigender Chauvinismus gegenüber Polen und dazu stand auch mal hier und da etwas in der Bahamas und dazu wird man dort auch noch mehr lesen können.“ Auch dies dürfte sich kaum leugnen lassen. Es ging aber nicht um Ungarn.
    Wenn Du in Deinem Beitrag über „Rechtsantideutsche“ quasi zitierst, „auch 70% der polnischen Bevölkerung waren damals für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen“, hättest Du auch das nachfolgende berücksichtigen können: „Doch im April 2017 waren drei Viertel dagegen, Geflüchtete aus dem Nahen Osten und aus Afrika innerhalb der EU umzuverteilen. Diese rapide Meinungsänderung innerhalb zweier Jahre mag unter anderem an der Rhetorik von Politikern und Medien liegen, die das Wort „Flüchtling“ manchmal mit dem Wort „Terrorist“ gleichsetzen. Eine Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ostukraine dagegen sahen die Bürger positiver. Seit 2015 hat Polen 4.546 Menschen aufgenommen, die vor dem Krieg in der Ostukraine geflohen sind.“

    Dass Polen, Tschechien und Ungarn nun von der EU wegen ihrer Nichtaufnahme von Flüchtlingen verklagt werden, es doch völlig nachvollziehbar, rechtens und im Endeffekt natürlich notwendig, damit EU-Recht und die betreffenden Vereinbarungen Geltung erhalten. Aber: Diese Länder haben eben auch das „Recht“, sich der Aufnahme weiterhin zu verweigern und stattdessen Strafzahlungen zu leisten. Wobei auch anzumerken ist, dass zumindest im September außer Malta kein einziges EU-Land die eigene Quote erfüllt hatte.
    Zusätzlich schriebst Du: „Die europaweit vereinbarte Verteilung von 120,000 Flüchtlingen sollte primär Italien und Griechenland entlasten.“ Über jene „Vereinbarung“, die bei Dir arg konsensual klingt, schrieb selbst die Süddeutsche: „Am Morgen danach hieß es: Wunden lecken, Scherben aufsammeln, nach vorne schauen. Einige brüllten, andere zeigten sich versöhnlicher. Was man eben so macht, wenn es einen großen Knall gegeben hat in einer Gemeinschaft, in der man trotzdem weiter miteinander leben muss und will. Der Knall, das war nicht der Beschluss des EU-Innenministerrats vom Vorabend über die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien auf die Unionsstaaten; es war die Art und Weise, wie er zustande kam.(!) Überraschend schnell passierte das, es gab ja auch nur diesen einen Punkt auf der Tagesordnung der Minister, und alle Argumente waren seit Wochen hin und her gewälzt worden. Knapp drei Stunden nach Beginn sagt der Luxemburger Jean Asselborn als Vertreter der Ratspräsidentschaft: Ein Text, mit dem alle zufrieden sein könnten, liege auf dem Tisch, er wolle jetzt eine Entscheidung. „Wer ist dagegen?“ Vier Arme gehen hoch: Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Rumänien. Etwas kleinlauter gibt der finnische Minister zu Protokoll, dass er die Vorlage gut finde, sich aus innenpolitischen Gründen aber leider enthalten müsse. Die Sitzung ist geschlossen. Da war sie also, die ominöse Mehrheitsentscheidung, gestützt auf Artikel 78,3des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, in dem es um Notfälle in der gemeinsamen Asylpolitik geht. Mehrmals hatte vor allem Deutschland damit gedroht, dann wieder eingelenkt. Rechtlich ist ein solcher Vorgang nichts Ungewöhnliches, im Gegenteil. Die Spannung zwischen Einstimmigkeit und Mehrheitsentscheidung begleitet die Union seit ihrer Gründung. Weil man verhindern wollte, dass einer oder wenige Staaten die anderen blockieren können, wurde die Mehrheitsentscheidung auf immer mehr Politikfelder ausgeweitet. Im Binnenmarkt und in der Landwirtschaft ist sie heute eher Regel als Ausnahme. Bei einem derart heiklen und die Souveränität der Länder berührenden Thema wie der Migration hingegen ist sie noch nie angewandt worden. Daher das Gepolter der Überstimmten, die nun gegen ihren Willen so viele Flüchtlinge aufnehmen müssen, wie es die anderen beschlossen haben.“
    Dabei war die von Dir nie genannte Slowakei ganz vorne mit dabei im Verweigern und Klagen gegen die EU, aber da regieren ja keine strammen Rechten.
    Du zitierst Sören Pünjer und schreibst darüber: „Bei Pünjer wird im gleichen Duktus aus der humanistischen Kritik der immer weiter eskalierenden Dezimierung von Flüchtlingen durch Hürden, die sie in den Kriegsgebieten halten sollen, schon ein „Geißeln“ „jeder staatlicher Regulierung von Zuwanderung“. Das ist der Jargon der Rechten, die aus der verzweifelten Flucht von etwa 50 Millionen Menschen weltweit eine gemütliche „Zuwanderung“ zu machen sucht, die dann nur „reguliert“ würde. Dass dieser „Regulierung“ zehntausende von Menschen zum Opfer fallen, die verdursten oder ertrinken, weitere Millionen zwangsweise in elenden Lagern gehaltene Flüchtlinge systematisch der Ausbeutung durch Organhandel, Zwangsehen, Zwangsprostitution und Sklaverei zugeführt werden…“ Nur stammt das Zitat aus dem Jahre 2004 – Frontex war gerade erst im Entstehen, und Schengen 3 wurde erst ein Jahr später verabschiedet; und auf die momentane Krise bezog es sich schon gar nicht, sondern – und zwar ohne jeden „Judith-Butler-Stil: Man habe das nicht so gesagt, was man eben gesagt hat.“ – steht in diesem von Dir zitierten Interview nur eine Kritik der „Verrücktheiten der Antira-Szene, die jede staatliche Regulierung von Zuwanderung als Rassismus geißelt.“ Es richtete sich somit wie es dort konkret steht gegen Leute, die Einwanderungssysteme wie die amerikanische GreenCard, welche in zig Ländern üblich ist, Asyl nichts zu tun hat, als Rassismus bezeichnen. Alles andere machst Du daraus.
    Ich muss gestehen, dass ich von Dir nicht erwartet hätte, dass Du in Diskussionen dermaßen nach Gusto argumentativ herumspringst – was sich leider in der Diskussion unter dem anderen Beitrag von Dir schon abzeichnete. Nur würde ich behaupten, dass der Vorwurf „identitätspolitische Lösungen für komplexe Probleme“ anzubieten, ad absurdum geführt wird, wenn man selbst nicht in der Lage ist, Thesen konzentriert zu diskutieren, und schließlich selbst sogar darauf verfällt, die psychisch-moralische Reinheit aller Flüchtlingshelfer zu behaupten – womit man sich natürlich selbst meint.
    Latent enttäuscht,

    Paulette Gensler

  2. „Dass Polen jedoch eine hunderte Jahre lange Erfahrung mit deutscher „Bevölkerungspolitik“ erfahren hat, ist wohl schlecht zu leugnen. Und ich meine auch, dass es sich bei der quotierten Verteilung von Flüchtlingen sehr wohl – und durchaus wertfrei – um eine Form der Bevölkerungspolitik handelt. Ich würde sehr zustimmen, dass es nicht angeht, dass Italien und Griechenland die „ökonomisch und humanitär aufwändige Drecksarbeit für Deutschlands repressive Flüchtlingspolitik zu erledigen“ haben. Nur bleibt die Frage, wieso Polen dies zu tun hat.“
    (Paulette Gensler)

    Ich fasse zusammen: Indem Polen Flüchtlinge aufnimmt, erledigt es die Drecksarbeit für Deutschlands repressive Flüchtlinspolitik. Deutschland betreibt durch die von der EU erzwungene Aufnahme von einigen hundert Flüchtlingen in PolenBiopolitik/Bevölkerungspolitik – „durchaus wertfrei“ aber trotzdem in der Tradition des NS.

    Du wiederholst dich und es wird nicht besser.

    Das mit der Greencard legst du Pünjer in den Mund. Das Wort Greencard findet sich im Interview nicht und nichts, was darauf hindeutet. Dass es von 2004 ist, ist nett zu wissen (es steht nirgends auf der Seite), aber es ändert nichts am Inhalt. Auch vor 2004 sind Geflüchtete ertrunken und an den „Regelungen“ gestorben. Auch an der Grenze USA/Mexiko. Nun kann man phantasieren, was Pünjer gemeint hat. Er spricht jedenfalls nicht das Problem Flucht und unrealistischer Umgang der bürgerlichen Nationalstaaten damit an, sondern „kritisiert“ die fehlende Verhandlungsbereitschaft der Antirassisten, die er schon an der Weltherrschaft wähnt.

    Der ganze Rest: Alles an diesem Editorial spricht sich gegen die Aufnahme von mehr Flüchtlingen auf. Jedem Leser ist klar, dass „vollends wahnsinnig“ nicht gemeint ist, dass viel zu wenige Flüchtlinge aufgenommen wurden, dass sie nicht aktiv übers Meer eingeflogen wurden, dass zu schlechte Bedingungen bereitgestellt wurden, zu wenig Aufklärung geleistet wurde, sondern, Bruckner spricht es ja aus, dass man die Flüchtlinge besser allesamt nach Saudi-Arabien abschieben sollte und „wahnsinnig“ viele aufgenommen wurden. Es geht mit der Gleichsetzung von einem Überfall auf andere Staaten (1. und 2. WK) mit der Aufnahme von Flüchtlingen nicht um das Anprangern von Doppelmoral sondern um die Abschaffung jeder verbleibenden Moral.

  3. Aber 2004 trat eben das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft, an dem es durchaus einiges zu kritisieren gab – was nicht heißt, dass es einen eklatanten Rassismus verkörpere. Der erste Absatz des ersten Paragraphen lautete: „Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des
    Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen
    und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Das Gesetz dient zugleich der Erfüllung der humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt hierzu die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Förderung der Integration von Ausländern.“
    Es sollte die zwischen 2000-2004 existente GreenCard für Informatiker ergänzen, welche in diesem Zuge auch abgeschafft wurde. So die BpB: „Die Green Card hat somit dazu beigetragen, den Weg für das Zuwanderungsgesetz vom Juli 2004 das die Arbeitsmigration von Hochqualifizierten vorsieht, zu ebnen.“ Das neue Gesetz hatte durchaus Auswirkungen auf das Asylgesetz etc. Aber ich meine, dass ich mit meiner Deutung, die das Wort Zuwanderung in Verbindung zum im selben Jahr in Wirkung getretenen Zuwanderungsgesetz – also “ staatliche Regulierung von Zuwanderung“ doch um einiges näher dran liege, als Deine Lesart, die sich noch nicht einmal darum schert, von wann das Zitat überhaupt stammt. Eigentlich hast Du es selbst ausgesprochen: „Er spricht jedenfalls nicht das Problem Flucht und unrealistischer Umgang der bürgerlichen Nationalstaaten damit an,“ da es nicht das zentrale Thema war, sondern Überreaktionen aufgrund einer anderen Thematik um Zuwanderung im Allgemeinen. Aber wie Du selbst schreibst: „aber es ändert [für Dich] nichts am Inhalt.“ Da das, was irgendwo steht, eh nicht in seinem Kontext gelesen wird, sondern nur als „Beleg“ einer Meinung, die Du schon hast, dient.
    Zum Thema Polen, bei dem ich mir tatsächlich den Vorwurf des Vulgärantideutschen gefallen lassen würde. Ganz pragmatisch wäre ich der Ansicht, dass, wenn die deutsche Kanzlerin verkündet „Wir schaffen das!“, Polen bspw. sagt „Wir nicht!“ – und zwar egal wie fragwürdig die Gründe seien – hätte Deutschland auch einfach die Quote Polens etc. übernehmen können bzw. m.E. müssen, anstatt es gegen den Willen dem Nachbarstaat, den man nicht erst seit zwei Jahren wieder arg paternalistisch behandelt, über das Medium EU überzuhelfen. Und ich meine auch, dass dies – angesichts der Stimmung in manchen der betreffenden osteuropäischen Staaten – gerade auch den Flüchtlingen, um die es geht, gegenüber fairer wäre.
    „Jedem Leser ist klar, dass „vollends wahnsinnig“ nicht gemeint ist, dass viel zu wenige Flüchtlinge aufgenommen wurden, dass sie nicht aktiv übers Meer eingeflogen wurden, dass zu schlechte Bedingungen bereitgestellt wurden, zu wenig Aufklärung geleistet wurde, sondern…“ (Felix Riedel) In einem früheren Editorial hieß es: „Gar nicht die angeblich erschöpften Aufnahmekapazitäten in Deutschland, sondern der Unwille, arabischen Einwanderern westliche Verhaltensformen abzuverlangen, wozu auch eine israelfreundliche Haltung zählen müsste, macht sein [Schusters] Plädoyer für die Festlegung von Obergrenzen sehr gut nachvollziehbar.“ Nachvollziehbar heißt aber nicht einmal „richtig“ oder ähnliches.
    Stattdessen gelangt man Deutschland gar aktiv zu den gegenteiligen Schlüssen, hier in Form einer Studie der Bertelsmann Stiftung, die festhält: „Während Muslime in bisherigen Studien durch ein unterdurchschnittliches freiwilliges Engagement aufgefallen sind, bringen sie sich in der Flücht-lingshilfe in weit überdurchschnittlichem Maße ein. So liegt der Anteil der aktiven Flüchtlingshelfer unter den muslimischen Befragten bei 44 Prozent, das sind mehr als doppelt so viele wie unter den Christen (21 Prozent) und Konfessionslosen (17 Prozent). Vieles spricht dafür, dass die in Deutschland lebenden Muslime die Unterstützung geflüchteter Menschen, von denen die meisten denselben religiösen Glauben haben wie sie, als Bewährungsprobe ihrer zivilgesellschaftlichen Relevanz angenommen haben.“ Natürlich gibt es hierbei pragmatische Aspekte, die man aber auch wunderbar ideologisch wenden kann: „Zudem bringen die muslimischen Migranten besondere kulturelle, wie etwa sprachliche Kompetenzen zum Einsatz. Im Zuge der Fluchtzuwanderung erfahren diese Kompetenzen erstmals eine Wertschätzung in der Mehrheitsgesellschaft.“ Was neben Sprache die wichtigen kulturellen Kompetenzen seien, spielt dann keine Rolle mehr. Und werden in der Studie sogleich die Moscheengemeinden dezidiert als zentrale Ansprechpartner für die muslimische Flüchtlingshilfe gepusht, da der Engagement-Anteil „aktiv-religiöser“ Muslime bei 72%, also weit über jenem weniger gläubiger/religiöser Muslime liege.
    Im Plädoyer zur Auflösung des Zeltlagers hieß es schon: „Bevor man jedenfalls damit anfing, über den richtigen Zeitpunkt für Vergewaltigungsvorwürfe zu philosophieren oder zunächst wohlwollend, dann kritischer über die Zustände inmitten von Städten errichteter Pfahldörfer zu berichten, sollte es einmal um die „Lage der Flüchtlinge“ in Deutschland gehen. Nach augenblicklicher Gesetzgebung und Verfahrenspraxis sind diese bekanntlich dazu verdammt, meist jahrelang in einem Ausnahmezustand ohne Bürgerrechte auszuharren: wohnend in von der Bevölkerung isolierten miserablen (Sammel-)Unterkünften, in permanenter Unsicherheit über den künftigen Aufenthaltsstatus gehalten und von Residenzpflicht und Arbeitsverbot zur Untätigkeit gezwungen. […] Die hygienischen Bedingungen und der Raum für Privatsphäre werden im Zeltlager ebenfalls noch dürftiger sein als in den staatlichen Sammelunterkünften und Heimen. Und an die Stelle der Abhängigkeit von staatlichen Sozialleistungen, welche nun für die Zugfahrten draufgehen, ist die Abhängigkeit von den Lebensmittel- und Sachspenden der Unterstützerszene getreten. Das Camp wird so zum Inbegriff dessen, was sogenannte „Selbstorganisation“ unter den gegebenen Bedingungen potentiell schon immer ist: die Rückverwandlung des vermittelten gesellschaftlichen Zwangs in unmittelbaren, in Lebensbedingungen nämlich, deren Enge, Kargheit und Brutalität man sich als Vertrautheit, Übersichtlichkeit und Ausdruck von Selbstbestimmung zuzueignen hat, um im „solidarischen“ Milieu nicht als Querulant zu gelten. Die Flüchtlinge werden dadurch erst recht auf den Status von Almosenempfängern, nur eben nicht mehr des Staates, sondern, schlimmer, ihrer zivilgesellschaftlichen Supporter festgelegt. Diese wiederum dürfen das Camp für eine Übung in symbolischer Selbstausbürgerung nutzen, der durchaus gesellschaftliche Vorbildfunktion zukommt: Das Camp als von Dorf- und Kiezstrukturen bestimmter, antimetropolitaner Gegenort inmitten der Großstadt soll vorexerzieren, was künftig im größeren Stil zu erwarten ist: den Rückbau des zivilen Lebens, sofern die verbliebenen Reste bürgerlicher Öffentlichkeit es noch ermöglichen, in eine nach- bzw. vorurbane Subsistenzökonomie, die das städtische Glücksversprechen nicht einlösen, sondern endgültig austreiben soll. Nicht die Flüchtlinge sollen zu Bürgern, sondern auch die Bürger zu Stadtnomaden werden: Das ist das Ziel der vielbemühten „Solidarität“ ihrer Supporter.
    Indem die Flüchtlinge solcherart – und zwar mit jedem vergehenden Tag nachdrücklicher – demonstrieren, dass sich im frei gewählten Ausnahmezustand offenbar recht erträglich leben lässt, dementieren sie – orchestriert von der wohlwollend romantisierenden Presse – ihren ursprünglichen Protest gegen doch unerträgliche Zustände. Wer sich also im Namen selbstzweckhafter Selbstbehauptung dieses oder anderer Refugee-Camps um deren Image sorgt, hat entgegen der Intention Anteil an einer realen Verschlechterung der Lage dieser engagierten Flüchtlinge, oder setzt gar zynisch auf eine Zwangsräumung, um sich ihr „revolutionär“ entgegenstellen zu können.“
    Aber für Dich wird auch dies keine Kritik der mehr als fragwürdigen Asylpolitik und der daraus resultierenden Lebensbedingungen für Flüchtlinge schon vor 2015 darstellen, scheint es mir.
    Einen Zusammenhang zwischen Zweitem Weltkrieg und der jetzigen Flüchtlingsaufnahme haben in erster Linie deutsche Politiker und Medien eröffnet, indem sie am laufenden Band darauf verwiesen, dass man nach diesem Krieg schließlich schon einmal sehr viele Menschen hätte aufnehmen müssen – und damit meinte und meint man in aller Regel nicht die wenigen KZ-Überlebenden und Zwangsarbeiter, sondern prinzipiell gesinnungsgerechte Volksdeutsche, die aber auch unter schrecklichen Ressentiments zu leiden gehabt hätten… Seit Jahren war nicht mehr so viel von den umgesiedelten Deutschen die Rede wie in den letzten zwei Jahren.
    Bis hin zu Passagen wie jener aus dem Focus: „Trotz aller Widerstände gelang es den Diskriminierten im Laufe der Zeit, sich zu integrieren – wenn auch oft nur äußerlich. Ehrgeizig und anpassungsbereit erwarben sie materiellen Wohlstand, bauten sich ein Häuschen, stiegen teilweise zu geachteten Mitgliedern der Gesellschaft auf.
    Allein schon durch ihre große Zahl veränderten sie ihre neue Heimat nachhaltig. „Die Neuankömmlinge brachen verkrustete Strukturen und alte Hierarchien auf“, sagt Kossert. „Bis heute wird noch nicht wirklich erkannt, in welchem Ausmaß die Vertriebenen das Land verändert und modernisiert haben.““

    Ich persönlich würde ganz klar der These widersprechen, „dass man die Flüchtlinge besser allesamt nach Saudi-Arabien abschieben sollte“, und gleichzeitig kann ich die Flüchtlingspolitik aufgrund der zur ihrer Rechtfertigung getätigten Aussagen als „wahnsinnig“ bezeichnen. Zu diesem Wahnsinn gehört doch gerade, die komplette Öffnung durch eine nahezu komplette Abriegelung abzulösen. Beides gehört jedoch zusammen. Dass sich dieser Wahn teilweise bzw. in einem erheblichen Ausmaß auch bei den konkreten Helfern zeigt, habe ich durch die Studien oben zu „belegen“ versucht.

  4. Ein langer Text, der vor allem deine eigene Meinung zum Thema verteidigt und erklärt. Ich kritisiere aber unter anderem das Editorial 73. Und darin steht etwas anderes, nämlich das, was ich kritisiert habe.
    Es reicht nicht, etwas nicht so zu meinen. Man muss es auch nicht so sagen.

    Das Problem hat eine gewisse Traditionalität und wie ich an Dahlmanns Beispiel fragmentarisch anreiße beginnt es in etwa in den 90-ern. Was Dahlmann via Türcke der Linken vorhält, sie würde letztlich doch mit dem Staat kooperieren bei der Regulierung, praktiziert die Bahamas heute: aus „Vernunft“ letztlich doch für eine „vernünftige Regulierung“ zu plädieren. Und diese „Vernunft“ ist nach unten offen, nämlich zur polnischen und ungarischen Position, ein paar hundert Flüchtlinge aufzunehmen.
    Da geht es auch weniger um islamisch oder nichtislamisch – sondern um weiß und nichtweiß. Schließlich werden keine christlichen Afrikaner oder Syrer oder Iraker eingeflogen, sondern gerade diese werden unten gehalten. Und womit man sich abfinden kann, sind Ukrainer – ob muslimisch, russisch-orthodox oder neostalinistisch.

    Und dahingehend macht sich Bruckner und mit ihm die Bahamas mit der polnischen und ungarischen Rechten gemein, und in der Übernahme des Mythos von der „Biopolitik“ auch du, die nämlich allesamt die Aufnahme von Flüchtlingen mit ihrem Gegenteil, dem deutschen NS assoziieren und implizit auf einer assoziativen Ebene aus Flüchtlingen Nazis oder zumindest deren Instrument machen, was die osteuropäische Rechte routiniert macht um den eigenen Faschismus und Rassismus als Antifaschismus auszugeben, eine der ältesten Übungen der postnazistischen Agitation in Demokratien.
    Auf PEGIDA- und allen europäischen Naziseiten faselt man übrigens von „white genocide“ und davon, dass die „Nazi-Jüdin“ Merkel die Ausrottung der weißen Rasse durch den „Import“ von Flüchtlingen praktiziere. Und das ist so omnipräsent, dass ich so etwas wie „Biopolitik“ überhaupt nicht ironisch sehen kann.

  5. Lieber Felix,

    Dein letzter Absatz scheint mir den Gegensatz zwischen uns, über den wir vermutlich nicht hinwegkommen werden – vor allem nicht in einer Kommentarspaltendiskussion – ganz gut festzuhalten; und hierbei kann ich natürlich nur für mich selbst sprechen. Es wäre insbesondere die Formulierung: „die Aufnahme von Flüchtlingen mit ihrem Gegenteil, dem deutschen NS“ Schon mit der Unterstellung, die Aufnahme von Flüchtlingen sei überhaupt das GEGENTEIL des Nationalsozialismus, gibst Du der These Bruckners Recht: „Deutschland will mit vorbildhaftem Betragen die schlechten Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg korrigieren.“

    Auch Du lädst die Aufnahme von Flüchtlingen auf und modelst sie um zum antifaschistischen Akt, allen Beteuerungen zu Trotz, dass sie ideologiefrei oder überideologisch wäre.
    Es steht in Verbindung zu: „Der Hass auf die Revolution gegen das totalitäre DDR-Regime, die in einer Fehllektüre der bürgerlichen Parole „Wir sind das Volk“ als „völkische“ identifiziert wird“.

    Nicht einmal der schärfste Antikommunist Jesse bezeichnet die (spätere) DDR als totalitär, sondern als autoritär. Was aber bleibt, ist, dass die „zweite deutsche Diktatur“ nun doch durch eine „Revolution“ gestürzt wurde. Als wäre es nicht in der damaligen Kritik um das Umschlagen des Rufes „Wir sind das Volk“ in das auf beiden Seiten der Mauer geschriene „Wir sind EIN Volk“ gegangen; ergänzt um „Deutschland einig Vaterland!“ – ein Umschlag, den einige eben schon etwas früher befürchtet hatten – darunter Thatcher und Mitterrand.

    Was Du nun aber machst, ist die EU als vernünftigen oder überhaupt als Souverän zu betrachten – denn darauf läuft die Rede von der „gerechten Verteilung“ heraus: Die EU als Weltsouverän im europäischen Kleinen, ohne sehen zu wollen, dass sie längst in den Bestrebungen Souveränität zu entwickeln gescheitert ist. Und in diesem Sinne ist Deine Kritik – bei besten Absichten, das möchte ich festhalten – schlichtweg naiv.

    Und ich würde behaupten, auf die Gefahr solcher potenziellen Fehlanalyse hat Dich Gerhard Scheit in der Versorgerin anhand eines etwas anderen, aber ebenso moralisch integren Themas aufmerksam gemacht:

    „Im Fall der Nashörner und des Klimawandels pflichtet Riedel meiner Kritik bei, dass der Weltsouverän ein Wahn ist; im Fall der Wale und eines künftigen Aufforstungsprogramms sieht er indessen selbst einen solchen (Um-)Weltsouverän am Werk. Wer allerdings annimmt, dass es so einfach möglich sei, ein Gewaltmonopol herzustellen, das Raubbau verhindere und das Kapital wie ein ‚Tischlein deck dich‘ der Natur arbeiten lässt, hat die Rechnung ohne den Souverän gemacht: Verdrängt wird, dass die Staaten ihrem Wesen nach uneins sind; ihr Monopol auf Gewalt gerade in den Gewaltverhältnissen zwischen ihnen (und den ‚Unstaaten‘) gründet; sie sich also immer nur auf eine clausula rebus sic stantibus, nicht aber auf ein Gewaltmonopol im Sinn von pacta sunt servanda einigen können.“

    Und eben jene Naivität, die für den Zugang zum Konkreten nicht zu unterschätzen ist, aber auch immer wieder aufgehoben werden muss, will sie Urteil werden, wird m.E., und dies habe ich an Deiner Deutung des Zitats von Sören Pünjer dargestellt, durch etwas arg freie Vorwürfe abgesichert. Der zentrale Unterschied auf einer eher persönlichen Ebene scheint mir ferner zu sein, dass Du gern Recht behalten würdest, ich mich hingegen – und ich würde denken, dass dies auf einige Leute aus dem Spektrum der „Rechtsantideutschen“ auch zutrifft – mich gern irren würde.

    Und damit würde ich mich, solange sich dies hier alles gerade noch im Rahmen des Höflichen bewegt, lieber aus dieser Diskussion zurückziehen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Paulette

  6. Wie alle Kommentare, die mir bislang zu Editorial 73 begegneten, versucht auch dieser nicht, den Text inhärent zu rechtfertigen, sondern mit anderen Feldern zuzudecken und Nebenschauplätze zu eröffnen, kurzum, ad hominem zu argumentieren. Beidseitig. Entweder damit, was in der Bahamas an anderer Stelle geschrieben wurde, wie sie „eigentlich“ sei, oder was an anderer Stelle gemeint sein könnte, oder eben damit, was ich an anderer Stelle schrieb oder gemeint haben könnte.

    Zuletzt die Unterstellung, ich hätte Europas Souveränität „vernünftig“ genannt, weil ich die Kategorie „gerecht“ einführte. Gerechtigkeit und Vernunft bilden ein uraltes Spannungsfeld, von dem Kulturindustrie und Mythos sich nähren. Eine Verteilung ist immer nur gerecht im Verhältnis. Ich habe in den Kommentaren klar gemacht, dass die Zahl schon nicht gerecht gegenüber den Flüchtlingen ist, also Gerechtigkeit hier nur im Sinne der EU, also nicht meinem, beansprucht wurde.

    Wer aber dann die europäische Souveränität als gescheitert darstellt, hat offenbar noch nie einen landwirtschaftlichen Betrieb von innen gesehen. Die EU ist in weiten Teilen ein sehr wirksamer Apparat und große Teile der Produktionsketten sind von der Normierung, Subventionierung und Kanalisierung durch die EU abhängig. Das ist ein objektives Faktum ebenso wie die ökonomische Macht, die dadurch produziert wurde. Über das Scheitern und Scheit könnten wir uns unterhalten, aber auch ich möchte nicht unhöflich sein und eine Ziehende aufhalten.

  7. Danke, für diese treffende Kritik. Es ist wichtig die antihumanistischen Tendenzen in der radikalen Linken auf Augenhöhe zu kritisieren. Dies ist nicht leicht, da die Vermittlungstragödie zwischen Mensch und Natur ja gerade von der Bahamas sehr scharfsinnig durchdrungen und an vielerlei Stellen treffend kritisiert wurde. Nur wurde m.E. irgendwann das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Wenn Handeln aus Mitgefühl oder auch nur aus Mitleid als kritikwürdig erscheint, dann ist es um die Affektivität im Allgemeinen schlecht bestellt. Und dann wars das auch mit der Erfahrung und somit auch mit der Kritik. Tragisch… Ich muss in Auseinandersetzungen mit solch vernunftsdeformierten Linken, welche mir recht unverblümt meine eigene konstitutive Kälte wiederspiegeln, immer an dieses Horkheimer-Zitat denken: „Sei mißtrauisch gegen den, der behauptet, daß man entweder nur dem großen Ganzen oder überhaupt nicht helfen könne. Es ist die Lebenslüge derer, die in Wirklichkeit nicht helfen wollen und die sich vor der Verpflichtung im einzelnen bestimmten Fall auf die große Theorie herausreden. Sie rationalisieren ihre Unmenschlichkeit.“ Die verbotene Frage nach der Strategie ist natürlich höchst unbequem, da eine Antwort bekanntermaßen nicht zulässig ist. Selbst von Kritik zu reden, bekommt im Angesicht der Katastrophe einen religiösen Beigeschmack, denn Hoffnung lässt sich in keine Form pressen. Was bleibt ist die Trauer, der Schlaf und die Verdrängung…

    Hab mich trotzdem über den Artikel gefreut. 🙂

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