Sein und Rauch – zur Ontologie der Zigarettenschachtel

„Don’t be a maybe – just be“. Nicht das erste Mal versucht Marlboro die urbanisierte Abkehr von ihren Caspar-David-Friedrich-Cowboys, die seit den dauerrauchenden Schafhirten aus „Brokeback Mountain“ auf ewig mit der Homosexualität assoziiert sind. Die „Just be“ oder „Maybe“-Kampagne knüpft direkt an jene „Be unstoppable“-Kampagne an, die unten bereits voranalysiert wurde. Übernommen wird der Verweis auf das, was sein soll: Die Hinwendung zum Rauchen, die Abkehr von der Idee des Nichtrauchens, die bekanntermaßen zum magisierten Jahreswechsel Hochkonjunktur hat. Kein „Maybe“ – „vielleicht [sollte ich mal aufhören]“ sondern „just be“, ohne Rest und Nichtidentisches soll der Kunde sein. Kein „Maybe“ bedeutet auch: Zweifel sind für Homosexuelle. Kein May, das heißt kein Mai, kein Frühling, keine Jugend, keine Erlaubnis, kein Mayday, keine Rettung. Die Formel schwört den Raucher auf seine Identität ein, macht ihn seinem Objekt gleich, will ihn zur Mimesis an ihn beherrschende Natur zwingen, ihn noch ganz mit dem hungernden Feuer der Synapsen nach dem Nervengift eins machen. „Just be“. Kein Anderes wird akzeptiert. Die Einsamkeit dieser masochistischen, narzisstischen Projektion spricht die Vereinzelten an, die in der Kippe die pubertäre, hilflose Distanzierung von der zudringlichen Masse zelebrieren. Gereifte Solidarität, Abwägen, Vernunft, Differenz werden durchgestrichen. Der schnarrende, einsilbige Befehlston des Plakats ahmt schon den Faschismus vor, den verordneten Daseinszweck, dem zu gehorchen noch als lustvoll verkauft wird. „Sit or stand!“, „Up or down!“, keine Zwischentöne sind erlaubt zwischen Männlichkeit („Stand“, „Up“) und zu unterwerfender Homosexualität und Weiblichkeit („down“, „sit“). So reagiert der autoritäre Charakter, Herr Herrenmensch. Eine Belohnung, ein Äquivalent für Geld und Lebenszeit wie es in den „West“-Werbungen der letzten Dekade in sterilen Karikaturen von Frauen präsentiert wurde, muss gar nicht mehr vorgegaukelt werden – das Sein zur Zigarette ist als ausreichende Belohnung vorgesehen für das Durchstreichen aller Alternativen.

Die Aufgabe der Überreste von Lust oder Widerständigkeit wird in zahllosen anderen Zigarettenwerbungen zum souveränen Willensakt vexiert: Der HB-Mann, Vorläufer des Wutbürgers, unterdrückte und kanalisierte einst seine berechtigte Aggression im Rauch, für eine Camel solle man meilenweit durch die Wüste gehen, die West-Domina verordnete den ewigen Test („…the West“), gehemmte Vorlust ist Programm wie die Garantie, dass es zur Lust niemals kommt. Lord verspricht vor allem weiblichen Kompensationswünschen ein kleines „extra“ für das Opfer des Alltages in männlicher Dominanz. Lucky Strike lieferte sicherlich den Vorläufer der autoritären Ontologie der Marlboro-Werbung. Eine Urban Legend wollte im Verzicht auf menschliche Werbeträger („nichts außer der Schachtel“) einen schuldbewussten Tribut an Krebsfälle bei Lucky-Strike-Girls deuten – wäre dies wahr, so wäre das verkaufsträchtige „sonst nichts“ gleichzeitig eine recht zynische Instrumentalisierung von Trauer. Der alte disziplinierende Werbespruch von 1928 „Reach for a Lucky instead of a sweet.“ verrät hingegen das wahre Programm, die Affirmation des Opfers in der industrialisierten Gesellschaft und den Verkauf der Zigarette als äquivalentes Substitut.

Nachtrag:

Der Vergleich mit dem regressiven Hören liegt auf der Hand:

„Historisch gehört das regressive Hören einer Gesellschaft an, worin der Druck von Reklameerzeugnissen so unerträglich geworden ist, daß „dem Bewusstseinvor der Übermacht des annoncierten Stoffes nichts…übrigbleibt als zu kapitulieren und seinen Seelenfrieden sich zu erkaufen, indem man die oktroyierte Ware buchstäblich zur eigenen Sache macht.“ (TW Adorno nach Alfred Schmidt in ZFS I:51*)