Existenzsicherung a lá Deutschland

132 Euro sind natürlich für die Existenzsicherung noch viel zu hoch veranschlagt. Um das herauszufinden braucht man keine Promotion, sondern lediglich etwas Erfindungsreichtum. Löwenzahn wächst ganzjährig im Garten – d.h. Gemüse und Vitamine müssen nicht einmal bei Lidl gekauft werden. Aus diversen Rinden kann man auch gut Rindenmehl machen, die Leute aus dem Krieg oder Einwanderer aus China wissen das vielleicht noch. Im Wald Eicheln sammeln und in der Klospülung entbittern spart schonmal die Kartoffeln. Als Schuhe reichen Flip-Flops, die man sich aus Weidenholz oder Autoreifen schnitzen kann, Mahatma Ghandi wurde damit zum Weltstar. Wasser kommt aus der Leitung. Kleider kann man gut bei Altkleiders aus den Containern fuddeln. Pilze züchtet man in der Badewanne oder gleich an der Wand. Bleiben als Zukauf 500 Gramm Mehl und 200 Gramm Reis pro Tag und wenn man das als Palette im Großhandel kauft oder bei Nachbars schnorrt, kommt meine Studie abschließend auf 32 Euro Monatsbedarf zum Leben plus 6,50 Euro Strom. Die Suche nach Lebensmitteln und das anschließende Verarbeiten hält gesund. Sexualität verbrennt nur Energie und gehört damit nicht zum gesunden Lebensstil, daher sind in dieser Studie keine Kosten für Verhütungsmittel enthalten. Wenn es am Monatsende knapp wird, kann man auf Geheimtips der Anorexie-Blogs zurückgreifen: viel trinken und schlafen, Watte essen, das stopft. Wer gibt mir jetzt Geld dafür? W3 wäre schon das Minimum.

Im Ernst. Thießen und Kollegen sind selbstverständlich nur notwendiger Ausdruck einer allgemeinen Tradition in Deutschland, wo Existenz von je als hirnloses Sein gedacht wird: den Müßiggängern und Schwarzarbeitern, die sich laut Müntefering auf Kosten der Ehrlichen den lieben langen Tag ins Fäustchen lachen, will man ihren sunny afternoon mal kräftig heimleuchten. Wo in einem der produktivsten Länder der Welt mit fruchtbarsten Böden und einer gewaltigen Agrarindustrie tatsächlich die Angst vor Armut die Charts der unguten Gefühle anführt, ist es kein Wunder, dass Leute dafür bezahlt werden, diese Angst zu nehmen und umzuwandeln in ein Gefühl des „Es-könnte-noch-schlimmer-kommen“. Darauf baut die Hartz-IV-Ideologie, die den Fallmanagern aus den Ohren trieft, wenn sie zur Rechtfertigung ihrer Tätigkeit auf schlimmere Maßnahmen oder das Sozialsystem in Brasilien verweisen. Dass man von 320 Euro im Monat aufgrund hochsubventionierter Lebensmittel noch recht gut überleben kann, fiecht zuallererst jene Betriebe an, die Löhne von 5 Euro die Stunde zahlen und damit bei 160 Arbeitsstunden pro Monat auch wieder nur ein Nettoeinkommen auf ALG-II Niveau bieten. Zugleich fällt bei diesen immer gleichen Debatten unter den Tisch, was Hartz-4 tatsächlich ist: Kein System zur Existenzsicherung der Arbeitslosen, sondern zur krisenfesten Mobilmachung Deutschlands, zur „Arbeitsmarktreform“, zur Aufbesserung der Statistik.