Mit Atomkraft zum Klimazid

Die Erklärung der COP28 zur Atomkraft ist ein weiterer Tiefpunkt menschlicher Zivilisation. Im Angesicht der vollständigen Auslöschung mariner Riffe und tropischer Regenwälder durch 2-Grad-Plus im Jahr 2050, sowie 3-4,5 Grad plus im Jahr 2100, mit einem Anstieg des Meeresspiegels um dann zwei Meter fällt den Verantwortlichen nichts Besseres ein, als die Leistung der Atomkraft bis 2050 „zu verdreifachen“.
Schon in der Einleitung erfolgt die erste Lüge: „keeping the 1.5-degree goal within reach“. Wer noch vom 1,5-Grad-Ziel redet, ist ahnungslos oder harter Klimaleugner. 1,5 Grad werden aller Wahrscheinlichkeit nach im Jahr 2027 erreicht, also in drei Jahren. Der CO2-Ausstoß in diesem Jahr war ein neuer Rekordwert: 40,2 Milliarden Tonnen. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Wert in den kommenden Jahren sinken würde. Dieses CO2 wird erst in vielen Jahren in den oberen Schichten der Atmosphäre ankommen und dort Infrarotstrahlung auf die Erde zurückreflektieren. Auch wenn die Puffer in den Weltmeeren aufgebraucht sind, bleibt das System so träge, dass das Klima in 10 Jahren durch unsere Aktivitäten heute schon feststeht – und dass sich (bislang unwahrscheinliche) netto und global positive Änderungen allerfrühestens in 10 Jahren bemerkbar machen, vermutlich aber wesentlich später.


Atomkraft erzeugt derzeit ca. 10% des weltweiten Strombedarfs, und nur 2% des Primärenergiebedarfs. Diesen Anteil zu verdreifachen wird nichts am krachenden und gewollten Scheitern von 1,5- und 2-Grad-Limits ändern. Nachdem die EU auf Drängen Frankreichs unter dem Reaktionär Macron Nuklearenergie als „nachhaltig“ verklärte, folgen nun auch Teile der internationalen „Gemeinschaft“ diesem Ruf nach der vermutlich teuersten Art und Weise, Energie zu produzieren. Die Erklärung liefert ein paar „Bekenntnisse“ zur Bedeutung von sicheren Versorgungsketten ab, widmet einen Viertelsatz der bislang unabgegoltenen Entsorgung, schwafelt etwas von neuen Reaktoren und Sicherheit, während Pakistan und Nordkorea ungehindert Atomwaffen erlangen konnten und der Iran auf dem besten Weg dazu ist, 40% der Brennstäbe aus Russland kommen und die Kosten und Risiken in allen Nuklear-Staaten auf die Gesellschaft abgewälzt werden. Atomkraft ist in diesen Zuständen nichts als eine Taktik, die Diversifizierung der Energieversorgung zu blockieren und die Netze zu verstopfen und Energiesparmaßnahmen zu sabotieren. Um das gigantische Speicherproblem der auf Dauerlast laufenden Reaktoren zu lösen, wurde der Nachtstromtarif erfunden, Strom in ineffizienten Nachtspeicherheizungen verklappt und in Leuchtreklamenwüsten verschleudert. Atomkraft hat nicht im Geringsten mit dem Ausbau der Kohlekraftwerke konkurriert. An keiner Stelle war das Argument, ohne ein Atomkraftwerk müssten klimaschädliche Kohlekraftwerke gebaut werden. Atomkraft wurde in Frankreich, USA und GB primär gefördert, um Plutonium für Nuklearwaffen zu erbrüten und war ohne die Nuklearwaffenproduktion nicht denkbar.

Während die Atomkraftwerke in Frankreich in den Dürren der letzten Jahre noch nicht einmal „Zitterstrom“ lieferten, sondern wochenlang auch mal gar nichts, während der Sanierungsstau schon nicht planbar ist und der Neubau von gerade einmal zwei Atomkraftwerken in England und Finnland Jahrzehnte dauerte und alle Plankosten sprengte, hat die Photovoltaik alle paar Monate technologische Fortschritte verzeichnet. Photovoltaik-Techniker geben oft keine Kostenvoranschläge mehr, weil die Preise und Anlagentypen sich praktisch alle sechs Monate revolutionieren. Auf FFPV ist eine massive ökologische Aufwertung der Fläche bei möglich, so dass die Flächeneffizienz im Vergleich zu anderen Energieformen legendär ist. Bislang ist im Sommer eine Tagstromversorgung zu 100% aus Photovoltaik realisierbar, mit aktuell technisch möglichen Speicherbatterie-Anlagen auch bis weit in die Übergangszeit hinein. Freiflächen- Solarthermie ergänzt z.B. in Greifswald die Wärmeproduktion dort, wo nicht elektrifiziert werden kann. Die ergänzende Kombination mit Hackschnitzelverfeuerung ist allemal flächeneffizienter als die barbarisch ineffiziente Verstromung von Energiepflanzen in Biogasanlagen.

Der derzeitige Primärenergiebedarf wird sich aber kaum mit irgendeiner Energieform nachhaltig decken lassen. Auch wenn trotz Fachkräftemangels eine „Wärmewende“ gelingen sollte und die Umstellung des Erdölbasierten Verkehrssektors auf Strom irgend realisierbar würde, bliebe es eine freche Lüge, von „Netto-Null-Ausstoß“ zu sprechen, ohne eine Planwirtschaft und umfassende Umwälzungen von Wohnkultur und Konsum zu denken. Eine industrialisierte Gesellschaft mit Verdoppelungsraten ihrer Warenproduktion binnen 24-36 Jahren (bei 3% bzw 2% Wirtschaftswachstum) wird CO2 ausstoßen und Natur vernutzen und beides immer mehr. Alles Gerede von „Kreislaufwirtschaft“ ist Schönfärberei in einem kapitalistischen System, das von Planwirtschaft nicht einmal im Angesichts des Untergangs der Menschheit etwas wissen will.

Und dieser Untergang ist nicht sprichwörtlich, sondern real: Bangladesch und weite Teile Ozeaniens werden bei 2m Meeresspiegelanstieg praktisch verschwinden, die Niederlande und viele reiche Flachmeer-Anrainer (Nordsee, Ostsee, etc.) nur unter immensen Kosten für Pumpwerke, Schleusen, Deiche noch eine Zeitlang aushalten können. 3 oder 4 Grad im Jahr 2100 bedeuten einen Fall aller kritischer Kipppunkte und damit eine weitere Erhitzung in den folgenden Jahrhunderten.
Megafluten sind bei den Meerwassertemperaturen bei 2-Grad-Plus ebenso wahrscheinlich wie Megadürren und beide werden im dichten Wechsel erfolgen, Wälder unter Hitzestress absterben und Seen in Windeseile verdunsten lassen. Die Klimakatastrophe ist vom Mord an hunderten Millionen Menschen nicht zu trennen. Da die Folgen seit Jahrzehnten bestens bekannt sind und die Ursache einer wachstumsgetriebenen, sprich: kapitalistischen Gesellschaft selbst dem konservativen Club of Rome schon seit 60 Jahren bewusst gewesen sind, ist von einem bewussten, kriminellen Handeln unzähliger Beteiligter auszugehen. Es ist jedem mit Basisschulbildung offensichtlich, was Hitzewellen von 40 Grad bedeuten für proteinbasiertes Leben, das bei 40 Grad an denaturierten Proteinen verendet oder Organe durch Regulierung unter Dauerstress vernutzt. Wer bei 40 Grad Fieber ärztlichen Beistand sucht, hat ausreichend Bildungshorizont, um zu verstehen, was 40 Grad Hitzewellen für den Körper bedeuten. Es ist jedem klar, dass sich in Städten und Staaten mit regelmäßigen Hitzewellen von 50, 60 Grad nicht mehr leben lässt, dass also weite Teile der Tropen und Subtropen unbewohnbar werden und die Menschen dort zu Millionen umkommen werden. Auf diese Probleme mit einer Verdreifachung der Atomkraft zu antworten, ist nichts als ein weiteres Bekenntnis zum dreisten Mord an hunderten von Millionen von Opfern der Klimakatastrophe, es ist praktizierte Menschenfeindlichkeit.

Windkraftpotentiale neuer großer Anlagen liegen derzeit bei 16MW pro Offshore-Anlage und eine durchschnittliche Nennleistung ist bei den derzeitigen Anlagenhöhen von 200 Metern auch im Dauerbetrieb lieferbar. Onshore liegt die Leistung bei 3 MW. Atomkraftwerke liefern gerade einmal 500-1500GW je nach Größe. Das bedeutet, 100 der neuesten Offshore-Windräder oder 3-500 aktuell übliche Onshore-Windräder ersetzen ein Atomkraftwerk – zu einem Bruchteil des Preises und ohne Entsorgungskosten. Natürlich benötigen Windräder Schmiermittel, u.U. Heizsysteme um Vereisung zu verhindern und seltene Erden, um die Magneten bei den im Offshore-Betrieb anfallenden Temperaturen stabil zu halten. Aber was benötigt ein Atomkraftwerk nicht alles an Material für Verschleißteile, Hochleistungsstahl, Spezialwerkstoffe, Beton für Kühltürme, Reaktorblöcke, Abklingbecken…
In den Rechnungen der CO2-Bilanz ist nicht enthalten der Abbau, die Umwälzung von gigantischen Abraumhalden, die als Ewigkeitsaufgabe Schwermetalle und radioaktive Stoffe in die Umwelt entlassen. Es ist nicht enthalten die Aufarbeitung des Uranerzes bis zum Brennstab sowie die ungelöste Entsorgung. Das alles gibt es nicht zum CO2-Nulltarif.

Die Atomkraft wird personengleich von Klimaleugnern beworben, nicht weil sie tatsächlich CO2-neutral wäre, sondern weil sie den Prozess des Klimazids unter der Flagge der „Netto-CO-Neutralität“ weiterzuführen verspricht. Solange von CO2-Ausstoß an allen Teilen der Produktionskette weißgewaschene Atomkraftwerke für das Jahr 2045 geplant werden, können anderweitige Aktivitäten als überflüssig, oder eleganter: als „zu teuer“ geframed werden.

Was müsste tatsächlich erfolgen, um die Klimakatastrophe entscheidend abzubremsen und ungefähr im Jahr 2100 zu stoppen? In aller Kürze: eine demokratisch organisierte Planwirtschaft.

  1. Reduktion der Diversität der globalen Waren-Produktion auf das Notwendigste durch einen demokratischen Warenbeurteilungsprozess, in dem jeder Warentyp auf seine Notwendigkeit hin vorab geprüft wird und nicht durch die Manipulationen eines Marktes aufgeschwatzt wird.
  2. Reduktion der Masse der globalen Warenproduktion auf das Notwendigste durch einen demokratischen Verteilungsprozess, der eine Lieferökonomie nach Zuteilungsschlüsseln beinhaltet, dadurch Wegfall der autozentrierten und impulsgesteuerten Einkaufskultur und dadurch Entfall zahlloser Verpackungszwänge und Verbauungen.
  3. Verbesserung der Qualität der globalen Warenproduktion durch Wegfall von Obsoleszenz, Redundanz, verbesserte Reperaturfähigkeit und Langlebigkeit, entfallende Verschrottung aufgrund von Stilfragen, die als manipuliertes Bedürfnis erkannt werden.
  4. Änderung der Arbeitskultur durch Streichung jedweder überflüssigen Arbeit, dadurch massive Freisetzung von Arbeit, Wegfall des Prinzips allseitiger Konkurrenz, Linderung zahlloser Stressreaktionen und Ventilreaktionen (Urlaubseffizienz, Shopping, Leistungssport, etc.), Reduktion des Flächenverbrauchs für Büros und Fabriken, dadurch Möglichkeit der Rekultivierung von Land und Umnutzung von Gebäuden.
  5. Umstellung der Wohnkultur hin zu kollektiven Wohnformen, um Wärmeenergie in Gebäuden möglichst effizient zu nutzen: Anschluss von Einfamilienhäusern zu Reihenhäusern und Umbau zu mehrstöckigen Häuserblöcken im Plusenergieprinzip mit Dachgewächshäusern, Solarfronten und Verstromung und Verkompostierung der anfallenden Fäkalienmengen.
  6. Renaturierung freiwerdender Flächen, Wiedervernässung von Feuchtgebieten, Renaturierung von Flüssen, Wiederaufforstung von Berg- und Tropenwäldern, Karsten und versalzten Agrarflächen.
  7. Energiegewinnung durch PV, Wind, Erdwärme und Verstromung anfallender organischer Reststoffe.
  8. Nahrungsmittelproduktion nach Plan und Bestellung anstatt die Lebensmittel auf Marktrisiken hin in ein Wegwerfsystem bei Maximalversorgung in den reichen Staaten zu werfen.
  9. Dafür nun einmal notwendig: gesellschaftliche Kontrolle der Produktionsmittel.
  10. Dafür nun einmal notwendig, um den Rückfall einer Planwirtschaft in autoritäre, massenmörderische Sklaverei nach den realsozialistischen bis rotfaschistischen Experimenten zu verhindern: Demokratie bei garantierter Sicherheit vor Folter, Sklaverei, Zwangsarbeit und Todesstrafe, garantierter Wahrung von Rechten von Frauen, Minderheiten, Alten, Schwachen, Kindern. Historische sozialistische Planwirtschaften hatten drei Hauptprobleme: Esoterische Antiwissenschaft in der Lebensmittelproduktion (Lyssenko), Identifikation mit dem Wachstumszwang der kapitalistischen Staaten und dadurch massive Umweltschäden (Aralsee) sowie den Terror gegen die Arbeitenden insbesondere in der Landwirtschaft. Beides waren serielle, aber keine notwendigen Folgen einer Planwirtschaft.
  11. Daher beim gegenwärtigen Stand des gesellschaftlichen Bewusstseins vollständige Unwahrscheinlichkeit, der Klimakatastrophe auch nur irgend signifikant entgegenzuwirken.
  12. Daher die Notwendigkeit von progressiver Politik, Menschen auf die Katastrophen ehrlich vorzubereiten, den Untergang von Zivilisation als wahrscheinlichsten Fall des weiteren Geschichtsverlaufs zu planen und die Faschisierung, den durch die Abschottung der EU, Australiens und den USA im vollen Gang befindlichen aktiven Millionenmord an den Überlebenden des Klimazids aufzuhalten oder zumindest den vergeblichen Widerstand dagegen zu organisieren, wo es geht.
  13. Daher die Pflicht, den konservativen, liberalen, sozialdemokratischen und grünen Schönfärbereien und freudig dahingelächelten Lügen an jeder Stelle und aufs Grimmigste das verleugnete Wachstumsproblem vorzuhalten, um den unverschämtesten Ideologien den Dünger der Achtlosigkeit zu entziehen und die Beteiligung am ökonomisch organisierten Verbrechen gegen die Menschheit und die Möglichkeit von Zivilisation als solche zu benennen.

Abschied von der Biodiversität und die Perspektiven einer Planwirtschaft in einer RCP 8,5-Welt

Das Ende der schönen Natur zu proklamieren, während doch alles in Saft zu strotzen scheint, macht sich der Arroganz verdächtig. Ein wissenschaftsfeindliches Kleinbürgertum, das religiöse Prophezeihungen und Vorhersagen aufgrund von extrapolierten Daten und von logischen Schlüssen nicht auseinanderhalten kann und will, schämt Wissenschaftler in einen Daten-Konservativismus hinein, der jeden Alarmismus vermeiden muss und will. So war es nicht überraschend, dass die Klimawissenschaften von der Prognose 1,5-Grad zwischen 2027 und 2035 überrascht waren – dass es also schneller geht als von den Modellen vorhergesagt. Das ist sehr einfach erklärbar aus der Multifaktorialität der Klimakatastrophe, die selbst die besten Computermodelle nicht simulieren können. Zwar werden diese getestet an Daten der Vergangenheit und dahingehend sind sie sehr präzise. Sie können aber nur mit bekannten Daten gefüttert werden. Alle bislang noch (teilweise) unbekannten, unerforschten Faktoren müssen zwangsläufig aus den Simulationen entfallen. Dazu zählen unter anderem der Permafrost, der Ozean insbesondere in der Tiefe, nicht in den CO2-Ausstoß eingerechnete Erdgaslecks oder andere Quellen für Treibhausgase und das Zurücksterben von Regenwäldern. Die vergangenen Klimaereignisse – Milankowitsch-Zyklen, Vulkanausbrüche, etc. – betrafen eine weitgehend intakte Natur ohne Raubbau an Schlüsseltierarten (z.B. Wale, Haie) und Rohstoffen. Niemals in der Erdgeschichte wurden gleichzeitig und systematisch sowohl der Ozean leergefischt als auch Torfregenwälder abgefackelt als auch Tundren abgeholzt als auch Moore vernichtet als auch ganze Süßwassermeere (Aralsee, Tschadsee) künstlich durch Entnahme trockengelegt. Das lässt sich nicht konservativ prognostizieren, hier müssen Zuschläge nach oben eingeplant werden, wie sie ja in den „Kipppunkten“ (tipping points) formuliert sind, die in Wahrheit viel zahlreicher sind, als dies vereinfacht dargestellt wird.

Das 1,5 Grad-„Ziel“, das immer schon die Katastrophe war, die heute herrscht, ist längst beerdigt. Die zwei Grad bis 2045 stehen ebenfalls fest. Die exponential ansteigende CO2-Kurve am Mauna Loa weist keinerlei Knick oder Abflauen auf. Diese Kurve ist das, was letztlich über gelungene Politik entscheidet. 8,5RCP (ca. +4 Grad 2100) sind trotz des Rückbaus von Kohlenutzung und des Booms von Photovoltaik und Windkraft eine reale Drohung, wenn nicht für 2100, so doch für die Generation danach, die an den progredierenden Wirkungen leiden wird.

Für die Artenvielfalt ist der Sprung von +2 auf +3 oder +4 von geringerer Bedeutung als der Sprung von 0 auf +2 Grad. Die kommenden drei Jahrzehnte werden von einem massiven Absterben von Korallenriffen geprägt sein und damit 40% des marinen Lebens, die verschwinden oder sich auf Relikte zurückziehen. Ganze Ozeane werden sich zeitweise, zunächst alle Jahrzehnte, dann ständig, in zu warme, sauerstoffarme Zonen verwandeln. Regenwälder trocknen bereits jetzt rapide aus, brennen und hinterlassen einen extrem nährstoffarmen Boden, der erodiert und sich ohne Zwischenstadien in Wüste verwandelt. Schmelzende Gletscher hinterlassen ausgetrocknete Landschaften in den Alpen und anderen Hochgebirgsregionen. Einige wenige euryöke R-Strategen werden sich ausbreiten und dominieren. Über Jahrmillionen diversifizierte Ökosysteme mit ihren hochangepassten, endemischen, stenöken k-Strategen werden verschwinden. Kälteliebende Arten werden sich auf die Bergregionen und Hochmoore zurückziehen und dann auch rasch erlöschen. Wir verlieren das, was wir natürliche Schönheit nennen und was in der Menschheitsgeschichte Kunst, Selbstreflexion an Natur überhaupt ermöglichte. Dieser Verlust ist Ergebnis der dahingehend bestens informierten Politik der letzten zwanzig Jahre und damit Resultat eines geplanten Verbrechens gegen die Menschheit.

Wie kann emanzipatorische, humanistische Politik aussehen, die Gesellschaft auf eine +3-Grad-Welt vorbereitet? Die Entscheidung ist nicht die zwischen einer deregulierten neoliberalen Marktwirtschaft und einer regulierten Marktwirtschaft (Sozialdemokratie). Beide haben ein Wachstum von mindestens 2%, besser 4% als erklärtes Ziel, und damit eine Verdoppelung der Warenströme mindestens alle 36 Jahre (bei 2%), bzw. alle 24 Jahre (bei 3%) – nur wollen die Sozialdemokratien die Arbeiter*innen etwas stärker an diesem Wachstum beteiligen als die neoliberalen Modelle. Daher prognostiziert die OECD auch entsprechende Verdoppelungsraten beim CO2-Ausstoß, bei der Plastikproduktion, beim Müllaufkommen, etc.


Die einzige, notwendige Alternative zur wachstumsbasierten, kapitalistischen Gesellschaft ist die Planwirtschaft. Diese wird zwangsläufig ab irgendeinem Punkt der Klimakatastrophe eintreten. Die größere Wahrscheinlichkeit weist auf eine bürgerlich-faschistische Kriegswirtschaft, die entstandene Mängel autoritär durch Unterdrückung von Revolten, weitreichenden Eingriffen des Staates in die Produktion, Umverteilung von Lebensmitteln und effektiven Massenmord an Geflüchteten löst, ohne die Reichtumsverteilung zugunsten der obersten 5 % anzutasten.
Eine progressive Planwirtschaft bedürfte einer demokratischen Basis und Kontrolle bei der Enteignung und Umverteilung von Reichtum, sowie bei der rationalen Diskussion um Einschränkungen von Überschussproduktion und Rückdrängen manipulierter Scheinbedürfnisse. Diese progressive Planwirtschaft ist derzeit absurd unwahrscheinlich einfach dadurch, dass sie keine einzige demokratische Partei überhaupt diskutiert, während die politischen Splittergruppen, in denen Planwirtschaft noch diskutiert werden kann, in aller Regel ideologisch versteinerte Relikte aus den sozialistischen Planwirtschaften rotfaschistischer Prägung, mit Führerkult, Militarisierung der Gesellschaft, starker Stellung der Geheimdienste, Unterdrückung der Redefreiheit und Anwendung von Folter und Todesstrafe sowie Sklaverei in Gefangenenlagern darstellen.

Eine emanzipatorische, auf humanistischen Prinzipien ruhende Planwirtschaft hat derzeit keine gesellschaftliche Basis in irgendeiner Sichtweite. Um diese Sichtweite überhaupt denkbar herzustellen, sind bereits Zeiträume erforderlich, die von der Dynamik der Klimakatastrophe überrollt werden – und darin noch nicht einmal die Drohung eines Atomkrieges berücksichtigen. Daher kann eine emanzipatorische Politik derzeit nur darin bestehen, die Realität einer mindestens 3-Grad-Welt im Jahr 2100 zur Grundlage zu machen und sich das Problem des dann herrschenden Mangels an Nahrung, Wasser und habitabler Zonen zu vergegenwärtigen. Wer immer noch behauptet, Kommunismus würde in den Luxus führen, ist schlichtweg Klimaleugner*in und hat grundlegende Probleme der Ausbeutung von Natur und Mensch nicht verstanden. Planwirtschaft könnte heute etwas Anderes sein als Elendsverwaltung – sie könnte global binnen zwei Jahrzehnten rationale kollektive Wohnformen in Plusenergie-Reihenhäusern und Archen aufbauen, Kreisläufe der Nutzung von Holz, Metallen, Fäkalien herstellen, die Produktion auf das Nötigste zusammenschrumpfen, freigesetzte Arbeitskraft in die Wiederaufforstung der Regenwälder und Bergwälder sowie die Wiedervernässung investieren, so dass ein klimatischer Effekt eintritt und die Klimakatastrophe bei ca. 2 Grad arretiert und danach zurückgedreht wird.
Aber Planwirtschaft ist nicht heute. Sie ist auch nicht morgen, sondern selbst im optimistischsten Szenario allenfalls 2100 überhaupt denkbar, nach nur zwei Generationen Aufbauarbeit gegen alle Widerstände und Widrigkeiten, zu denen algorithmisch rechtsgedrallte Onlinemedien ebenso wie faschistische, nuklear bewaffnete Diktaturen in Russland, Nordkorea und China sowie erstarkende faschistische Parteien im Westen gehören. Der Zivilisation als solcher sind nur marginale Chancen ins Stammbuch zu schreiben.



„Dune – Der Wüstenplanet“ – Vom surrealistischen Kitsch zum reaktionären Machwerk



Die Geschichte vom Wüstenplanet Dune zieht ihre Popularität primär aus dem Bild eines Sandplaneten, dessen karger Boden auf wundersame Weise gigantische Wesen ernähren kann. Diese Sandwürmer sind zugleich kilometerlanger Phallus und alles verschlingende Vagina dentata. Wenig verwunderlich, dass sie – ähnlich der Alien-Figur H.R. Gigers – Generationen faszinieren. Kontrolle und Beherrschung dieser bedrohlichen Geschlechtsteile durch den konformistischen Rebell und künftigen Imperator Paul Atreides liefern den symbolischen Kern der Geschichte. Von sekundärer Bedeutung ist das Erlangen von Transzendenz durch eine Rauschdroge, die von den Würmern produziert wird. Der Rest der Geschichten besteht aus frei wütende Assoziationen über dämonisierte Elternfiguren mit den Hauptthemen Gift, Kontrolle und Verrat.

Konsequent war daher Jodorowskys Versuch, eine surrealistische Transkription zu finden. Nach seinem Scheitern konnte die erste Verfilmung durch David Lynch auch nur misslingen. Zwar bleibt Lynch dem surrealistischen Konzept treu, wo er das Symbolische mit Schleim, Eiter und Organität aufzufangen sucht und architektonisch mit einer Mischung aus Goth, Art Deco und Jugendstil-Design aufwartet. Vor allem im Porträt der Harkonnen erinnert er doch stark an ältere Comic-Bösewichte und rutscht unkontrolliert in die homophobe, im Blutritual auch antisemitische Groteske ab. Bei Lynch ist jedoch die chaotische und komplett übertriebene Ekelhaftigkeit der Harkonnen von der polierten Gelacktheit der Atreides nicht zu trennen, sie sind verdrängte Verwandtschaft eher als Gegner. Und Lynch hatte in seinen ekelhaften Figuren den Mut zur Konfrontation des Publikums mit ungewohnten, verdrängten Bildern, die das Publikum in Frage stellen und nicht seine Ressentiments bestätigen.

Die neue Dune-Verfilmung (2021) durch Dennis Villeneuve fällt hinter alles Bestehende weit zurück. Man hätte an den ersten, gescheiterten Versuch von Alejandro Jodorowsky und H.R. Giger anknüpfen können, oder Lynchs Version vorantreiben. Im neuen „Dune“ wurden aber surrealistische Momente rigoros stillgestellt und die kolonialen und rassisierten Erzählmomente nicht etwa aufgehoben, sondern verstärkt. Villeneuve muss Lynchs Version so sehr gehasst haben, dass er sie vollständig ignoriert. Anstelle einer modernisierten, aufgeklärten Interpretation steht nun ein verkrampfter Kriegsfilm, der die Vorlage tatsächlich ernsthaft auserzählen will: als „Star Wars für Erwachsene“, wie der Regisseur verlautbart. Die Möglichkeiten, die eine surrealistische und antikoloniale Neuverfilmung geboten hätte, wurden nicht nur nicht ausgeschöpft, sondern vollumfänglich verstoßen.

Die Erzählung von „Dune – der Wüstenplanet“ entsteht unweigerlich als Parabel zur geschichtlichen Eroberung des Erdöls. An der Oberfläche genutzt und geschützt von einer nur als „arabisch“ lesbaren indigenen Bevölkerung, den Fremen, lauert unter der Oberfläche die Rache der Natur in Form von Sandwürmern. Damit ist das Grundproblem des Kapitalismus abgesteckt: Enteignung, Gewalt und Raub im Zuge der „primitiven/ursprünglichen Akkumulation“ und Naturbeherrschung ohne Versöhnung. Dune tatsächlich als Kapitalismuskritik zu lesen, zeugt allerdings von tiefen Standards.

Antikolonialistisch war diese Erzählung jedenfalls nie. Lawrence von Arabien, Karl May und andere Produktionen verliehen der westlichen Hinwendung und Bewunderung für arabische „Wüstenmacht“ Ausdruck. Die Strategie des Westens war (vielleicht mit Ausnahme Algeriens) nicht, die arabische Welt zu brechen und zu durchherrschen, sondern die djihadistischen, nationalistischen und demokratischen Bewegungen zu fördern, ihnen eine Befreiung vom osmanischen Reich zu versprechen, und dann Herrschereliten wie die Sauds mit Macht im Tausch für Öl auszustatten. Orientalismus und Arabesken verbrämten und verniedlichten die politische Gewalt des entstandenen Reichtums und des religiösen Fanatismus.

Als Gegenmacht diente aber rasch nicht mehr das osmanische Reich, sondern kurzzeitig der italienische und deutsche Faschismus und dann wesentlich länger und intensiver die Sowjetunion, die Modell für die Harkonnen steht. Alle Seiten umwarben die „Wüstenmächte“ der arabischen Welt und alle tendierten dazu, im Zweifelsfall den jungen Staat Israel den arabischen Mächten auszuliefern. Die Kolonisierung der arabischen Welt ist anders als die des Trikonts von Identifikation mit Klischeebildern geprägt: Haremsdamen mit durchsichtigen Schleiern, wertvolle Gewürze, Aladins Wunderlampe, 1001 Nacht. Diese in der Vorlage schon vorgegebenen Bilder werden von Villeneuve ohne Skrupel bedient: am stärksten in der blauäugigen jungen Frau mit Schleier, die als erotisches Objekt die Träume von Paul Atreides durchwandelt.

Die Erzählung von „Dune“ insbesondere in seiner neuen Ausprägung bietet vor diesem politischen Hintergrund eine Projektionsfolie primär für den westlichen, rassistischen Blick. Spice „hellt“ den Blick auf, macht dunkle Augen „blau“ und letztere werden als Symbol von Weitsicht, Klarsicht und Weisheit eingeführt. Blaue Augen machen dergestalt die freiheitsliebenden „Fremen“ vor allem für ein weißes Publikum zum Identifikionsobjekt. Es hätte einer reflektierten postkolonialen Bearbeitung von Dune offen gestanden, dieses für die Erzählung irrelevante, aber zutiefst der Rassenlehre entspringende Motiv zu ändern.

Dune war bislang ein weißer Traum, der von weißen Darstellern gespielt wurde.  Daran ändert in der Neuverfilmung auch die nunmehr dunkle Hautfarbe einiger Statisten nichts. Der erste schwarze Mensch im Film ist ein Kundschafter, ein Dienstbote eines unsichtbaren Imperators ohne eigene Macht oder Charakter. Er bleibt im Stereotyp der schwarzen Hofdiener, die sich Fürstenhöfe hielten. Die zweite Figur ist die der nunmehr weiblichen „Ökologin“ Liet Kynes, die ebenfalls im Dienst des Imperators steht. Die Kombination von Schwarzsein und Ökologie entspringt der rassistischen Gleichsetzung von schwarzer Haut mit Natur. Auch diese Figur bleibt ein stereotypes Token. Sie stirbt wie für Hollywoodfilme üblich, sehr rasch und erhält keine Chance auf einen komplexeren Charakter.  
Die dritte, sprechende Figur mit schwarzer Hautfarbe ist Teil einer Fremen-Bande. Der „erfahrene Krieger“ fordert den weißen Held und Mahdi zum Kampf und verliert erwartbar. Dieser Schicksalskampf zwischen weißem Held und schwarzem Gegner ist ein austauschbares Element zahlloser kolonialer Erzählungen und nur weniges an Reflexion über rassistische Geschichte hätte genügt, um dieses Bild dem Publikum nicht aufzudrängen. In der filmischen Logik wird das Töten eines Menschen mit dunkler Hautfarbe notwendig, um sich als Mahdi zu beweisen. Aus einem weißen Film wurde ein Film, in dem Weiße Schwarze töten müssen, um heilig gesprochen zu werden.  

Auch die Identifikation mit den indigenen Fremen ist nur scheinbar anti- oder postkolonial. Sie bleiben Statisten mit einer Funktion: sich mit der weißen Erlöserfigur zu identifizieren. Das Haus Atreides verspricht den Fremen zunächst eine Entwicklungsherrschaft: Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im Tausch gegen Sicherheit und Wohlstand. Das ist das exakte Selbstbild kolonialer Herrschaft, die sich ja nicht als die zynische Ausbeutung darstellte, die sie war, sondern als Befreiung der Kolonisierten von Sklaverei, Feudalismus und Seuchen. Das Gegenbild der Harkonnen als zynische Ausbeuter dient primär der Aufwertung – wie auch „Tim und Struppi am Kongo“ gegen weiße Räuber kämpfen, um sich von den Schwarzen auf den Thron heben und feiern zu lassen.

Dass die Bene Gesserit als Frauenorden mit Macht ausgestattet scheinen, arbeitet dem Missverständnis einer feministischen Erzählstruktur zu. Der Zweck des Frauenordens besteht aber darin, einen männlichen Messias zu ermöglichen, wie auch die weibliche Hauptfigur als Mutter ihren Lebenszweck auf den Machtgewinn ihres Sohnes ausrichtet. Ihre anfangs überlegene Intellektualität als lehrende Mutter wird auf dem Wüstenplanet sofort verkehrt: Sie wird übertrieben passiv, feminin, hilflos gezeichnet und muss sich von ihrem erstarkenden Sohn Basisbanalitäten wie den Sandmarsch oder das Anlegen des Fremen-Anzuges mansplainen lassen.

An toxischer Männlichkeit ist der neue Film überreich und hier wird der gigantische intellektuelle Unterschied zwischen Lynch und Villeneuve frappant. Im ersten Auftritt prüft der „Hubschrauberpilot“ Duncan Idaho die „Muckis“ von Paul Atreides, um ihn dann wie in tausenden bekannten toxisch männlichen Hollywoodwitzchen als Schwächling zu verhöhnen. Dieses Männlichkeitsideal wird bis zu seinem Tod durchgehalten und glorifiziert: Er ist ein Krieger ohne jedes Drama. Lynch war – trotz aller gebotenen Kritik an seiner Esoterik – Männlichkeit in all seinen Filmen verdächtig. Er konfrontiert sie bewusst mit ihren Urängsten, mit Kastration und Versinken in Schleim, Speichel und Wahnsinn. Villeneuve glorifiziert patriarchale Männlichkeit ohne eine einzige Frage an sie zu stellen.
Die Vorstellung, dass man in 8000 Jahren noch und wieder „Muckis“ sagen und prüfen würde, widerruft jede Idee von Fortschritt, und spricht zugleich Bände über die mangelnde Befähigung der Storyschreiber, eine künftige Gesellschaft zu denken. Diese Welt ist konservativ bis ins Mark gestaltet, als Abbild des WASP-Amerika, und das nicht als Dystopie, als Reaktion auf vergebliche Revolten, sondern so, als hätte es diese nie gegeben, als wären diese in 8000 Jahren nicht denkbar. Die Krieger sind Männer und Männer sind Krieger. Frauen sind Mütter und bestenfalls Hexen. Sie sind Statisten der Apotheose Pauls und der Film damit auf ein reines narzisstisches ödipales Drama reduziert, als Mutter-Kind-Dyade, in der der Sohn eine gewaltige, bezähnte Penisvagina reiten muss, um mit einer dämonischen Vaterfigur in Konflikt treten zu können und ihn, bzw. den idealisierten toten Vater abzulösen.  

Konservativismus spiegelt sich auch in der Ästhetik wieder. Die Berufung auf römische und griechische Mythologie wirkt ebenso altbacken wie die Kostüme, die von 8000 Jahren Fortschritt nichts spüren lassen. Alle Dune-Versionen hatten dieses Problem. Villeneuve kehrt zur orthodoxen Toga zurück, die Uniformen sind die von heutigen Armeen, immer noch schwelgt man in Stier- und Schwertkämpfen, rügt sich in War-Rooms, prahlt in Prätorianergardenromantik und dem Jargon von Marines. Man dient sich faschistischer Ästhetik an wie der Futurismus einst. Das taugt nicht einmal für eine Dystopie, sondern es wirkt einfach ebenso ranzig und angestaubt wie sämtliche Dialoge im Film.

Theatresk, holzig, bemüht und flach bleibt der Modus des Sprechens durchweg. Kein überraschender Satz wird hier gesprochen, kein Soziolekt, die Mimik bleibt unglaubwürdig und dem Klischee verpflichtet.
Jede Choreographie des Kampfes ist hundertmal in anderen Filmen zu sehen gewesen. Was Jackie Chan, zahllose Kung-Fu-Filme, die Matrix-Trilogie sowie neuere chinesische Filme im Gefolge von „Hero“ und „Tiger and Dragon“ jeweils an Originellem ausarbeiteten, wird hier nicht einmal im Ansatz erreicht. Den Kämpfen fehlt alle Dramaturgie, jede Poesie, bis hin zum letzten Schwertstreich ist alles wiederholter und erprobter Effekt.   

Was die Ästhetik der Ökologie von Dune angeht, hat es neben den obligatorischen Wüstenwürmern nur für eine Wüstenspringmaus gereicht, die mit ihren Ohren Wasser aus der Luft filtert. Man darf annehmen, dass der zweite Teil noch einige Wüstenbüsche und Bäume zeigt, womöglich noch eine Schlange. Ausformuliert wirkt lediglich die brutalistische, futuristische Architektur und als Einzelprojekt die den Libellen nachempfundenen Ornithopter.
Was Ambivalenz als Stilmittel angeht, gibt sich die Neuverfilmung keinerlei Mühe: Alles wird erklärt, nichts bleibt offen oder unklar. Die einen sind gut, die anderen böse. Der Verrat ist offensichtlich, der Fortgang unvermeidlich. Klischee folgt Klischee folgt Klischee.  

Erzeugte Lynch noch eine Sphäre des Verklemmten, des zutiefst falschen, widersinnigen in den Gesellschaften, die sich auf vielen symbolischen Ebenen bekriegen, will Villeneuve die Atreides zu Identifikationsfiguren in einem Kampf von Gut gegen Böse aufbauen und die Harkonnen als barbarisches Gegenprinzip. Reflektiert Lynch in seinen Harkonnen wenigstens noch den Abspaltungsprozess, wird er bei Villeneuve ganz unreflektiert unterstützt.

165 Millionen den Arbeiter*innen mittels Manipulation herausgepresster Mehrwert müssen sich moralisch ebenso rechtfertigen wie ein Staatshaushalt. Unterhaltsam sind die Raumschiffe, die wie in jedem neueren Film seit Space Balls und Independence Day monströs zu sein haben. Alles andere ist endlos recycelter Müll aus der Filmretorte. Villeneuve schafft keine Dystopie, er nutzt die spektakuläre Kulisse, um einen hollywoodkonformen Kriegsfilm nach Schema F herunterzuleiern.

Die „mathematische sowie naturwissenschaftliche Allgemeinbildung“ von Thomas Maul

Gastbeitrag von Sébastien de Beauvoir – mit einem Nachwort von Felix Riedel

Thomas Maul hat sich als Klimatologe versucht, und das Ergebnis ist ein einziges Cringefest. Vielleicht sollte man ihn einfach nur auslachen und nicht weiter beachten. Als ich einen geschätzten Freund fragte, wie es sein kann, dass Leute wie Maul keine Sorge hätten, jemandem könnte auffallen, wie nackt sie dastehen, gab mir dieser jedoch zu bedenken, dass sie wohl tatsächlich eine Heidenangst davor hätten; dass die selbsternannte Ideologiekritikerszene sich die offene Klimawandelskepsis bisher nur noch nicht so recht traue, weil die Gefahr zu groß sei, als kompletter Trottel dazustehen; dass es wichtig sei, dass einer ihrer Wortführer derjenige ist, der das als erstes macht, und dass dieser Schritt jetzt vollzogen sei und nunmehr die Hot Takes so richtig losgehen können. Letzteres möchte ich gern vermeiden, weil ich nicht will, dass ansonsten geschätzte Genossinnen und Genossen sich am Ende von so einem lächerlichen Humbug noch beeindrucken lassen. Außerdem kann ich es grundsätzlich nicht ausstehen, wenn Scharlatane sich an der Naturwissenschaft vergreifen. Daher folgender Präemptivschlag anlässlich des Blogbeitrags „Die Welt als Wille und Heizkörper“, veröffentlicht am 30.06.2019 als dritter Teil der Beitragsserie „Grünifizierte Gesellschaft“ auf der „Achse des Guten“:

Das Titelbild stimmt schonmal ein: Wie einst die Freiheitsstatue dem antiamerikanischen Eissturm in „The Day After Tomorrow“ trotzte, ragt hier nun der Kirchturm aus den biblischen Fluten der apokalyptischen Klimareligion hervor – the occident will prevail! Direkt danach geht es mit einem knackigen Eingangsstatement los, die Fans sollen nicht lange warten müssen:

»Der Vorschlag aus den Reihen der Grünen, Klima-Greta mit dem Friedensnobelpreis zu ehren, ist freilich nicht überraschend angesichts einer Gesellschaft, die sich mit hohen Zustimmungswerten so etwas wie Klimapolitik überhaupt leistet. Schließlich exekutiert diese nichts anderes als einen unschwer zu durchschauenden Wahn.«

So schleudert er einer vermeintlich hungrigen Menge eine steile Behauptung (irgendwas mit „Wahn“) nicht etwa als zu begründende Aussage, sondern als ohnehin voraussetzbare Prämisse („Schließlich […]“) entgegen. Logiker hassen diesen Trick! Die Menge dagegen ist begeistert, und wer ihn kennt, weiß, jetzt muss es noch eine Stufe krasser kommen:

»Und doch wird die Klima-Hysterie bisweilen sogar dort, wo man sich aufs Erkennen von Wahnvorstellungen spezialisiert wähnt – in israelsolidarischen oder ideologiekritischen Kreisen also –, entweder geteilt oder in Äquidistanz zu einem Forscherstreit verharmlost, zu dem eindeutig Stellung zu beziehen man sich aus falscher Bescheidenheit die Fachkompetenz abspricht [usw.] […]«

Wer es mit dem Westen ernst meint, braucht mit lauwarmer „Klimaskepsis“ nicht zu kommen, denn Äquidistanz hilft nur der Barbarei. „Falsche Bescheidenheit“ ist ihm bekanntlich fremd, und so schult sich der Tausendsassa in Verteidigung des Abendlandes, auf sich alleingestellt inmitten gnadenlos verblödeter Horden, binnen kürzester Zeit per kursorischer Lektüre einschlägiger Wikipedia-Artikel zum aus der Not geborenen Klimakritiker.

Naturwissenschaftlich relevanter Dreh- und Angelpunkt seiner folgenden Argumentation ist die Behauptung, das IPCC und der ihm hörige wissenschaftliche Mainstream sei dem Dogma verfallen, die Durchschnittstemperatur der Erde hinge

»monokausal-proportional-linear«

vom CO2-Gehalt der Atmosphäre ab. Dieses Dogma wird er dann im Weiteren geradezu galileisch als Irrglauben widerlegen (und sich selbst dabei gleich mit, aber zu dieser Dialektik des dummen Kerls später). Allein: Dieses Dogma existiert gar nicht. Niemand, wirklich absolut niemand, der oder die irgendetwas zu sagen hat, sei es zu Klimaforschung oder -politik, behauptet etwas, was auch nur in die Nähe dieses vermeintlich zentralen Glaubenssatzes kommt, weder eine Monokausalität noch einen linearen Zusammenhang (durch den Griff zu einem beliebigen einschlägigen Lehrbuch zu überprüfen, bspw. E. Boeker / R. v. Grondelle: Environmental Physics. Wiley, 3. Auflage 2011, S. 45ff.) Und weil niemand das behauptet, hat er sich den entsprechenden Begriff auch extra für diesen Blogbeitrag selbst ausdenken müssen, denn niemand mit mathematischer Ausbildung würde das, was Maul da mit etwas Glück zu sagen versucht, so formulieren, wohingegen dieses sinnarme Bindestrichungetüm auf andere den Eindruck machen mag, hier habe jemand den mathematischen Durchblick.

Später wird daraus die leicht abgewandelte Aussage,

»dass es sich bei der Korrelation um eine vom CO2 ausgehende linear-proportionale Kausalität handelt, der[er] es logisch bedarf, damit die Panikmache aufgeht «

Einmal davon abgesehen, dass außerhalb der Phantasie des Autoren niemand von Relevanz eine solche Linearität postuliert, bedarf es ihrer „logisch“ auch gar nicht, denn auch andere, kompliziertere Zusammenhänge können bedeutsam sein – und sind es in diesem Fall.

Etwas weiter im Text wird Maul die Feststellung des dritten Sachstandsberichts der IPCC von 2001 (nicht, wie von ihm – wohl um eigenständige Quellenarbeit vorzutäuschen – angegeben, von 2007) zitieren,

»dass es sich um ein gekoppeltes [!] nicht-lineares [!] chaotisches [!] System handelt.«

Etwas furchtbar Kompliziertes also, das mächtig Eindruck auf seine Leserschaft machen soll. Unbeschadet dieser ehrfurchtsgebietenden Komplexität will Maul an dieser Stelle aber erstmal der

»infantile[n] Hybris«

mithilfe der guten, alten

»mathematischen sowie naturwissenschaftlichen Allgemeinbildung und der eigenen Alltagserfahrung«

zuleiberücken, etwa indem er später noch – weil er in Wirklichkeit keine Ahnung hat, was gekoppelte (!) nicht-lineare (!!) chaotische (!!!) Systeme sind – mit einem kurzen Blick seines ideologiekritisch geschulten Auges eine von allen anderen verkannte Konvergenz auszumachen meint, die

»den entwarnenden Schluss nahelegt, immer mehr CO2 führe zu immer geringeren Temperaturzunahmen (und zwar gen Null tendierend), weshalb man die anthropogenen CO2-Emissionen recht bedenkenlos sogar vermehren könnte.«

Aber bereits in diesem Abschnitt widerspricht er seiner eigenen Behauptung vom „monokausal-proportional-linearen“ (lol) Dogma, indem er feststellt, dass

»es der IPCC seit seinem 2013 erschienenen fünften Sachstandsbericht für „extrem wahrscheinlich“ hält, dass die Menschen per von ihnen verursachten CO2-Ausstoßes […] für mehr als 50 Prozent der beobachteten Erwärmung verantwortlich sind,«

was offensichtlich unverträglich mit einer vermeintlich behaupteten Monokausalität ist. Überhaupt sind ihm solche verbalisierten Wahrscheinlichkeitsangaben suspekt, an anderer Stelle fügt er die Bemerkung

»wie auch immer diese Schätzung zustande kommt«

an, die ihn offenbar selbst nicht interessiert, sonst hätte er sich mit Modellierung befasst, statt das vorliegende Dokument der Ahnungslosigkeit abzufassen. Hätte er im dritten Sachstandsbericht der IPCC (S. 774) auch nur einen Satz weitergelesen, hätte er lesen können:

»The most we can expect to achieve is the prediction of the probability distribution of the system’s future possible states by the generation of ensembles of model solutions. This reduces climate change to the discernment of significant differences in the statistics of such ensembles.«

(Das setzt natürlich voraus, er hätte den Bericht überhaupt im Original gelesen. Wer den o. g. Halbsatz – ohne die von Maul eingefügten Ausrufezeichen, die suggerieren sollen, er würde kraft seiner Wachheit dem Satz eine tiefere Wahrheit entlocken, die den per definitionem völlig verblödeten Klimagläubigen ansonsten entginge – in eine Suchmaschine eingibt, kann leicht erahnen, dass diese heroische Entlarvung des Klimaschwindels nicht Mauls eigenes Verdienst ist, erfreut es sich doch seit Jahren schon auf einschlägigen „alternativwissenschaftlichen“ Blogs und „freigeistigen“ Medien ausgesprochener Beliebtheit. Immerhin verlässt er sich bei seiner Recherche nicht auf Wikipedia allein.)

Es werden also unterschiedliche Szenarien modelliert und versucht, die Wahrscheinlichkeiten verschiedener Entwicklungen abzuschätzen – eben weil das System sehr komplex ist. „[G]renzenlos irrsinnig“ für Maul ist, dass vor dem Hintergrund dieser mit recht großen Unsicherheiten behafteten Ergebnisse der Klimaforschung politische Ziele formuliert werden, die genauer beziffert werden als die Wissenschaft Vorhersagen liefern kann. Politik ist aber keine Wissenschaft, was ihm eigentlich sympathisch sein müsste, denn von letzterer versteht er offenkundig nichts. Wird die politische Zielmarke um 1,0 °C höher angegeben, bedeutet das nicht, dass eine magische CO2-Maschine angeworfen werden soll, um exakt bei dieser Zielmarke zu landen, sondern einfach, dass die politischen Anstrengungen zur Minderung des Treibhausgasausstoßes geringer ausfallen, nicht unbedingt „monokausal-proportional-linear“, aber doch geringer, als wenn sie um 0,5 °C höher ausgegeben würde.

Zwar gibt es unterschiedliche Modelle und damit unterschiedliche Einschätzungen, welche Szenarien wie wahrscheinlich sind. Dass eine Klimaerwärmung stattfindet und dass die Emission von Treibhausgasen und insbesondere von CO2 darauf eine beträchtliche Auswirkung hat, ist in der seriösen Forschung unumstritten. Da das dem politischen Ansinnen, die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu senken, zumindest grundsätzlich Sinnhaftigkeit verschafft, will Maul zur Rettung des Abendlands auch diese Forschung selbst diskreditieren, oder zumindest massive Fremdscham beim Versuche unterzugehen hervorrufen. Letzteres gelingt ihm insbesondere dadurch, dass er im ersten Absatz des Abschnitts „Keine Klima-Messapparaturen im 19. Jahrhundert“ deutlich macht, dass er den Unterschied ums Ganze zwischen der Heisenbergschen Unschärferelation einerseits und der Notwendigkeit, sein Messgerät richtig einzusetzen, andererseits nicht verstanden hat, und im nächsten, dass er auch noch nie etwas von Kalibrierung o. ä. gehört hat. (Von Quantenmechanik nichts zu verstehen, ist nicht ehrenrührig. „Hochnotpeinlich“ – um szeneüblichen Jargon zu gebrauchen – ist es allerdings, großmäulig mit Konzepten um sich zu schmeißen, deren Kernaussagen man nicht begreift.) Über die folgenden drei Absätze hiweg zweifelt er Temperaturbestimmungen an (nach seinen Vorstellungen ohnehin praktisch unmöglich, denn unter

»fünf- bis zwanzigtausend technisch identisch ausgestattete[n] Wetterstationen – ihren Abstand betreffend gleichmäßig über die Erdfläche verteilt –«

macht er’s nicht). Zweifel ist ein wichtiges Element der Wissenschaft. Seriöse Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ebenfalls – mit weniger wirrer Begründung, aber seien wir nicht kleinlich – Zweifel an der Temperaturdatengrundlage hatten, haben deswegen z. B. 2010 das ambitionierte Berkeley-Earth-Projekt (finanziert u. a. von den Großindustriellen Koch Bros., die „Klimaskepsis“ in großem Stil fördern) ins Leben gerufen, das – zum Ärger der Geldgeber – die Ergebnisse des bisherigen wissenschaftlichen Konsens bestätigt und sogar verschärft hat. (Der wissenschaftliche Direktor des Projekts hat darüber, wie er seine skeptische Position nach deren Falsifizierung revidiert hat, 2012 ein lesenswertes Op-Ed in der NYT geschrieben.)

Dass die wichtigsten Referenzmessungen bzgl. der atmosphärischen CO2-Konzentration die der Messstation auf Hawaii sind, hat übrigens den einfachen Hintergrund, dass diese Messstation fernab industrieller Zentren liegt. Sie ist selbstverständlich nicht die einzige Messstation, eine andere bekannte betreibt z. B. die Scripps Institution of Oceanography in San Diego.

A propos Falsifizierung: Warum Leute, die sich sonstwas darauf einbilden, irgendwie in den Fußstapfen Adornos zu wandeln, Maul den idealistischen Quatsch vom

»traditionellen Selbstverständnis der Wissenschaft, wonach die Richtigkeit von Erkenntnissen eine Frage der Beweisführung und nicht einer Mehrheitsmeinung oder Empfindungslage sei,«

durchgehen lassen, der Popper Tränen der Rührung in die Augen treiben würde, kann ich nur vermuten. Maul führt ein Bonmot Albert Einsteins an, der auf den Versuch von hundert Nazis, ihn zu widerlegen, antwortete: „Warum einhundert? Wenn sie Recht hätten, würde ein Einziger genügen!“ So will er die Ökologiebewegung als Wiederkehr des Nationalsozialismus verstanden wissen, um dann die Klimaskeptiker mit dem Juden Albert Einstein als Opfer und Genies gleichzeitig zu identifizieren – so formuliert, dass es seine Leserschaft sowohl exakt so versteht, wie es gemeint ist, als auch, dass sie es bei Bedarf empört zurückweisen kann.

Im vierten und letzten Teil geht es immer noch weiter bergab. Er betont, er wolle nicht unterstellen,

»der vom Mainstream verfochtene Monokausalzusammenhang wäre derart umzukehren, dass erhöhte Temperaturen zu erhöhten CO2-Anteilen führen.«

Witzigerweise ist der Effekt, dass erhöhte Temperaturen tatsächlich wiederum die atmosphärische CO2-Konzentration erhöhen (weil sich in wärmerem Wasser weniger CO2 lösen kann, die CO2-Aufnahmekapazität der Ozeane also mit steigender Temperatur sinkt) sogar Bestandteil der vom Mainstream verfochtenen Modelle (nachzuschlagen bspw. im o. g. Lehrbuch). Gut, dass er an der Stelle nochmal „Monokausalzusammenhang“ gesagt hat.

Zusammenfassend schlussfolgert er, dass

»im Resultat nicht mal mehr zwingend wünschenswert bleibt, mittels politischer Maßnahmen Einfluss auf die Entwicklung der Durchschnittstemperatur der Erde zu nehmen – ganz abgesehen von möglichen ungewollten Effekten, die menschliche Eingriffe in unbegriffene, chaotische Systeme haben könnten.«

Ganz als ob es den Menschen möglich wäre, einfach nicht in dieses System einzugreifen. Peak Idealismus. We live in an ecology.

Ein Nachwort von Felix Riedel:


Ich danke Sebastién de Beauvoir sehr für seine kurze Analyse des Textes von Thomas Maul auf der „Achse des Guten“ aus naturwissenschaftlicher Sicht. An einer Stelle möchte ich sie doch erweitern: Thomas Maul ist eher kein „Wortführer“ oder Vordenker der rechtsantideutschen Antiökologie, sondern ein Mitläufer. Seine Desinformation stammt sehr offensichtlich aus dem Umfeld des rechtslibertären Thinktanks „The Heartland Institute“ und dessem deutschen Pendant EIKE, von dem die Bahamas-Autoren Jörg Huber, Tjark Kunstreich und Martin Stobbe seit Jahren „inspiriert“ werden.
Die Antiökologie der rechtsantideutschen Szene hat ältere Ursprünge als Thomas Maul und erstreckt sich heute durch das in der Redaktion vorherrschende Loyalitätsgebot auf alle ihre Glieder. Die psychologische Ursache dafür liegt vermutlich begraben in individuellen Biographien der Autoren. Will man aber einen theoretischen Mangel haftbar machen, so wäre der in einer abgestürzten Staatskritik zu verorten, einer kruden und stets überstreckten Mischung aus Ahrendt’scher und neoliberaler Staatsfeindlichkeit auf der einen und der Identifikation mit dem Rechtsstaat und teleologisch verstandener Zivilisation auf der anderen Seite, die erlaubt Konservativismus und Revolte gleichzeitig auszuleben. Das ist der ideale Nährboden für rechtslibertäre und neokonservative Propaganda, in dem letzte Reste von Marxismus und kritischer Theorie ertrinken.

Auf einer institutionellen Ebene hat man sich in der Institution Bahamas längst von der Aufklärung verabschiedet – man sucht Jünger. Und um diese von „Mehrheitsmeinungen“ abzuwerben, muss man ein Gegenweltbild erstellen, das zunächst Konformismus gegenüber der eigenen Elite durch verbale Brutalitäten einfordert und dann dadurch zwangsläufig entstehende Angst und Aggression als Revolte ständig nach außen kanalisiert. Kurz: Man will es stärker noch als die im Medium Bahamas sattsam verschriene postmoderne Wissenschaft zu wirklich allem besser wissen, auch wenn man inzwischen erwiesenermaßen zu keinem einzigen Thema mehr etwas Sinnvolles beizutragen hat. Das innerste Unbehagen über die aufklaffende Diskrepanz zwischen Ich-Ideal und allenfalls bescheidenen intellektuellen Kapazitäten und noch bescheidenerem Fachwissen wird dann mit wahnhaftem Assoziieren, mit wildem Umsichschlagen vertuscht. Deshalb präsentiert Thomas Maul, als er sich irgendwo gewahr wird, dass er nichts weiß, Anton Hofreiter als „Kettenhund“, der an „Roland Freisler“ erinnere: Also an einen von 15 Wannseekonferenz-Teilnehmern und dem Präsident des Volkgerichtshofes. Darunter macht mans nicht mehr und daran lässt sich der Zustand ablesen, der dieses Millieu erfasst hat.

Tod einer Fledermaus (P. Pipistrellus) in meinem Kaktus (Mammilaria spec.)

Ein betrüblicher Morgenfund. Eine Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus) hatte sich in den Hakenstacheln meiner Mammilaria verfangen.

Bei genauerem Hinsehen waren keine Lebenszeichen zu sehen, die Leichenstarre hatte schon eingesetzt. Gegen die Widerhaken hatte das vermutlich am Vorabend zufällig eingeflogene Tier mit seinen 4-7 Gramm Gewicht keine Chance.

Der graue Penis unterscheidet Pipistrellus Pipistrellus von Pipistrellus pygmaeus. Das zweite Merkmal am Flügel war aufgrund der Leichenstarre nicht zugänglich.

Eine Wunde am Hals, die vermutlich vom Reißen an den Kaktusstacheln verursacht wurde.

 

Zum Um-Weltsouverän

Die Stilblüten antideutscher Versuche, sich die Kritik der je konkreten Verhältnisse durch einen marxistischen Strukturalismus zu ersparen, der schon immer weiß, was der Systemzwang ist und dass es vor ihm kein Entrinnen, also auch keinen Reformismus geben kann, bringen surrealistische Praktiken hervor. An verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten kamen Menschen auf die Idee, es sei ein antifaschistischer Akt, bei McDonalds zu essen und dann die Tüte – im heroischen Widerstand gegen deutschen Ordnungssinn – ostentativ auf die Straße oder in Wiesen zu werfen. Andere haben zu nämlichem Ordnungssinn und Stammtisch direkt zurückgefunden: sie wettern gegen „Wursthaare“ und nehmen den „Grotesksong“ der „Ärzte“ unsatirisch zum Ideal ihrer Feindbilder, naturverliebter Hippies, Robbenschützer und Antisemiten. Die Popband Egotronic hat den Slogan „Die Natur ist dein Feind“ zur T-Shirt Parole erhoben, die in einigen Foren auf erschütternd maoistische Weise ernst genommen wird.

Der Naturschutz hat freilich seine Geschichte. Absolutistische Fürsten entzogen ihre Jagdreviere den Wilderern und Bauern, während sie die barocken Gärten in analer Zwanghaftigkeit organisieren ließen. In der Reaktion auf die dystopischen Prozesse der Industrialisierung hat die Romantik intellektualisierte Ästhetisierungen hervorgebracht, die durchaus noch offen für Ambivalenzen waren. Zum Zeitpunkt der heute nicht mehr kenntlichen, fast vollständigen Entwaldung in Mitteleuropa war die Waldflucht der romantischen Städter in die letzten Wälder mehr als nachvollziehbar und Adornos Tod beim ganz romantischen Wandern in den Bergen ist ein Nachhall dieser Flucht.
Zu der reaktionären Tendenz, nicht nur in Natur zu fliehen, sondern sie zum Ideal von Gesellschaft zu definieren, (siehe dazu etwa die Heinz Maus‘ Arbeiten über Comté) existieren hinlänglich ausgearbeitete Kritiken wie die von Radkau/Uekötter („Naturschutz und Nationalsozialismus“) oder Oliver Gedens „Rechte Ökologie“.
Letzterer wurde gerade in der Jugendumweltbewegung der 90-er lebhaft diskutiert. Die fundiertesten Kritiken reaktionärer Ökologie kommen meist aus der Ökologie selbst und in diese Tradition fällt auch, wenngleich auf höherem philosophischen Niveau, die Kritische Theorie, deren Paradigma schließlich heißt:

„Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur umso tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der europäischen Zivilisation verlaufen.“

Gegen Tendenzen, Kritische Theorie unter Zugabe überhitzten Agitprops zum stumpfen, genussgerechten Modernismus zu karamellisieren, der in Natur nur das Überkommene und zu Bekämpfende sieht wandte sich mein Text „Vom Walöl zum Palmöl“, in dem Gerhard Scheit aufgrund der journalistischen Begrenzungen eine seinem Gesamttext etwas ungerechte Rolle einnahm mit seinem gegen Marcuse gerichteten Zitat:

»Die ökologischen Vorstöße indessen sind nur Vorstöße gegen den Restbestand politischer Vernunft.«

Gerhard Scheit wendete dann in einer kurzen Kritik gegen meine Verteidigung ökologischer Praxis ein:

„Zuzustimmen ist ihm, wo er Konkretheit und die Beurteilung jeder einzelnen, geforderten oder durchgeführten Maßnahme einklagt; zu widersprechen aber, wo er um der Konkretheit willen verfährt, als existierte der allem aufgenötigte Identitätszwang nicht, als könne man ihn wegdenken. Auf die vom Kapital gesetzte Begrenztheit jener Maßnahmen unabdingbar zu reflektieren, ist kein Maximalismus, sondern Kritik gesellschaftlicher Totalität. Die Problematik spitzt sich nicht zufällig an der Frage des Staats zu.
Im Fall der Nashörner und des Klimawandels pflichtet Riedel meiner Kritik bei, dass der Weltsouverän ein Wahn ist; im Fall der Wale und eines künftigen Aufforstungsprogramms sieht er indessen selbst einen solchen (Um-)Weltsouverän am Werk. Wer allerdings annimmt, dass es so einfach möglich sei, ein Gewaltmonopol herzustellen, das Raubbau verhindere und das Kapital wie ein ‚Tischlein deck dich‘ der Natur arbeiten lässt, hat die Rechnung ohne den Souverän gemacht: Verdrängt wird, dass die Staaten ihrem Wesen nach uneins sind; ihr Monopol auf Gewalt gerade in den Gewaltverhältnissen zwischen ihnen (und den ‚Unstaaten‘) gründet; sie sich also immer nur auf eine clausula rebus sic stantibus, nicht aber auf ein Gewaltmonopol im Sinn von pacta sunt servanda einigen können.“ (Gerhard Scheit 2015: Zur Kritik des Umweltsouveräns)

Gegenstand der Kritik war mein Textabschnitt:
„Entwaldung etwa ist mit Satelliten messbar, die Folgen sind seit der Antike bekannt, die Gegenmaßnahmen simpel: Man trennt Ackerbau, Viehzucht, Försterei und Naturreservate räumlich und stellt ein Gewaltmonopol her, das Raubbau verhindert. In einfachen Kausalketten führt die Aufforstung von Mangrovenwäldern zu Fischreichtum und stabilisierten Küsten, Bergwälder bremsen warme Aufwinde und erhalten Gletscher, degradierter tropischer Laterit-Boden lässt sich mit Forsten vor weiterer Verwitterung und Erosion sichern. Solche Maßnahmen werden nur dort vollzogen, wo Menschen die Kausalketten verstehen. „

Diese kurzgeschnittene historische Perspektive auf die Entwicklung in den Industriestaaten führte Scheit zur Bewertung als „Tischlein-deck-dich“. In der historischen Perspektive ist seit der Antike der Feudalismus ebenso gemeint wie Roosevelts Naturpark-Projekte oder die Erfindung des Stacheldrahtes in den USA. Prinzipiell funktionierte und funktioniert es so, daher das Präsens. Das Bewusstsein, dass dieselben Maßnahmen heute in völlig anderen Bedingungen stattfinden müssten und unendlich schwer zu organisieren wären, ging womöglich unter. Selbstverständlich fordere ich nicht, dass ein Weltsouverän mit aktuell verfassten Staaten (China, Russland, Iran, etc.) irgendeine Rolle bei der Etablierung eines Gewaltmonopols etwa in der Sahel-Zone spielen sollte. Wenn aber ein Staat wie Indien seine Tiger schützen möchte, bedarf er theoretisch in den von Wilderei betroffenen Gebieten eines Gewaltmonopols.

Beim Schutz der Wale waren internationale, staatliche Abkommen erst die Folge eines jahrzehntelangen Abnutzungskampfes von NGO’s wie Greenpeace gegen die Vernichtung der letzten Wale. Ebenso könnte Aufforstung in den Ländern mit massivem Waldverlust von den freigesetzten Massen im eigenen Interesse selbstorganisiert stattfinden, „wo Menschen die Kausalketten verstehen“. Dafür gibt es reale Vorbilder in der israelischen Tradition des Tu BiShvat, die Telefonfirmen auch in Ghana verankern wollen, oder in den Aufforstungsbemühungen kenianischer NGO’s. Gerade in den Trikont-Staaten ist das Vertrauen in Staatlichkeit bisweilen sehr gering und Ökologie wird häufig zum demokratischen Kampf gegen Staatsterror. Ironischerweise sind aber gerade in den Peripherien prozentual mehr Flächen unter Naturschutz gestellt als in den Industrieländern und darunter insbesondere Deutschland. Wo Rackets zwischen Peripherie und Industriestaaten pendeln, Gewaltmonopole heute die Ausbeutung von Ressourcen unter dem Druck der allseitigen Konkurrenz der Nationalökonomien eher vorantreiben und organisieren, bleibt Ökologie eine gewerkschaftliche Angelegenheit – das Gewaltmonopol ist strukturell und historisch ein Mittel gegen die Wilderei und wurde hier als Faktor mit aufgelistet, eine Forderung für sich kann es, und darin stimme ich Scheit zu, heute kaum darstellen.

Ökologische Initiativen werden heute in aller Regel zuerst demokratisch, von unten praktiziert, als Interessensverteidigung. Nur allmählich verwandeln sie sich in gesellschaftliche Übereinkunft und – meist sehr widersprüchliche, schwache oder kontraproduktive – Gesetze. Großprojekte wie der Serengeti-Nationalpark oder die Rettung der Berggorillas oder auch die Rettung des irakischen mesopotamischen Deltas waren das Werk von vergleichsweise wenigen, engagierten Einzelpersonen. Hier sind Begriffe wie „Wahn“ oder „Weltsouverän“ unangebracht. Die internationalen Organisationen und Netzwerke haben bei den nördlichen weißen Nashörnern versagt – aber nicht notwendig. Ein paar mehr Ranger in Waffen hätten genügt.

Der Klimawandel hingegen ist nicht nur ökonomisch und technologisch kaum global zu regeln, sondern der Klimaschutz bietet hier gerade weil der Weltsouverän kein Wahn ist, sondern Realität, den darin organisierten nationalökonomischen Rackets die Möglichkeit, Palmöl als nachwachsenden Rohstoff zu behaupten und die Auslöschung von Regenwald zu forcieren – im Zeichen des Klimaschutzes. Auch dies ist kein notwendiger Prozess – schließlich können sich die gleichen Institutionen auch auf größere Meeresschutzgebiete einigen wo sie dazu gedrängt werden. Clausula rebus sic stantibus bedarf der Duldung unaufgeklärter oder ideologisch gegen die Natur aufgehetzter Massen. Dementsprechend ist auch die jüngste Ankündigung der G7, bis 2100 global auf fossile Brennstoffe zu verzichten, vorerst nichts anderes als die Ankündigung, noch den letzten Fetzen Regenwald in eine Ölplantage und jeden Magerrasen in einen Maisacker zu verwandeln. Unter dem Druck einer aufgeklärten Gesellschaft kann sich Ökonomie aber prinzipiell zu Mindeststandards (Abschaffung der Sklaverei, Kinderarbeit) verpflichten lassen. Wäre der Systemzwang absolut, hätten die Revolutionäre eine bequeme Dichotomie der totalen Revolution oder des ungehinderten Weiterwirkens. Der Reformismus der Kritischen Theorie aber kennt solche Dichotomien nicht, ja steht ihnen sogar misstrauisch gegenüber. Der Radikalismus der Theorie, dass das Tauschgesetz und der Akkumulationszwang alles durchwirken, führte nicht dazu, dass man Gewerkschaften und Umweltorganisationen in der Praxis in den Arm fiel, auch wenn absehbar war und ist, dass nationalökonomische gewerkschaftliche oder umweltpolitische Tätigkeit das Kapital zur Verschiebung von Ausbeutung an die Peripherien nötigt. Wird solche Verschiebung reflektiert, kann gewerkschaftliche und ökologische Arbeit (beide sind eng verwandt), sich ebenfalls verschieben. Diesen Schritt nicht zu vollziehen wäre eine wirksame Kritik. Ihn aber als vergeblich zu diskreditieren weil das Kapital ohnehin allmächtig schon ist, führt doch in die Schwierigkeit, diese strukturalistische-teleologische Position von marxistischem, dynamischen Geschichtsbewusstsein abzukoppeln.

Vom Walöl zum Palmöl

„Die Dampfmaschine brachte den Hunger nach den komprimierten Kondensaten der Opfer von Naturgeschichte, die fossilen Energien. Industrialisierung kannte da bereits einen lebendigen, nachwachsenden Energieträger: Wal. Das Fett der Tiere wurde für jenes Nitroglyzerin verwendet, mit dem man Kohleflöze aufsprengte, es wurde in Straßenlaternen und Fabriken verheizt. Die Übernutzung von 10.000 erbeuteten Tieren pro Jahr zu Marx’ Lebzeiten wurde trotz Erdöl im 20. Jahrhundert erweitert.  […] Philosophie, die diesem Aktualitätsdruck nicht Rechnung trägt, kann nur als versäumte stattfinden. Auffällig an der jüngeren Wiederaufnahme von Positionen der Kritischen Theorie zur Ökologie3 ist der Drang zum klinisch sterilen Abstraktum »Natur«. Die bloße Erwähnung konkreter ökologischer Probleme riecht nach Essentialismus, nach Romantik, nach Kitsch. Die Frustration über das Ökologieproblem, die Frage nach dem »einzelnen Wesen«, dem beizustehen wäre, beantwortet Gerhard Scheit mit einer Praxisfeindschaft, die kritischer Theorie abhold war: Mit Amery kritisiert er Marcuse für dessen sozialdemokratischen Versuch, im »Rahmen« kapitalistischer Vergesellschaftung schon »den Umweltschutz« vorzubereiten. »Die ökologischen Vorstöße indessen sind nur Vorstöße gegen den Restbestand politischer Vernunft.«4″

Lesen unter:

http://versorgerin.stwst.at/artikel/jun-8-2015-1334/vom-wal%C3%B6l-zum-palm%C3%B6l