Italien – Siegeszug des Faschismus

Der Umgang mit Flüchtlingen ist weder primär noch sekundär ein ökonomisches Problem. Auf dem heutigen Stand der Produktionsmittel ist es auch innerhalb kapitalistischer Produktionsweise allein eine kulturelle und ideologische Frage, wie mit Menschen umgesprungen wird, die von externen Faktoren zur Flucht gezwungen werden. Für viele afrikanische, amerikanische oder asiatische Staaten ist es absolut üblich, Millionen von Flüchtlingen aufzunehmen. Die USA sicherten sich so über lange Zeit ein imposantes Subproletariat ebenso wie gut ausgebildete Eliten. In dem knapp 300 Millionen Menschen zählenden Staat ist es selbst für konservative Regierungen kein Problem, mal eben immerhin einige Millionen illegaler Immigranten zu legalisieren. Pakistan nahm Millionen afghanischer Flüchtlinge auf, in die bettelarmen Nachbarländer des Sudan strömten Flüchtlinge aus Darfur und Kenia sorgte schlecht und recht für die somalischen Flüchtlinge, die infolge der Inkompetenz der UN immer noch nicht zurückkehren können. Würden sich aber beispielsweise in Indien Regionen nach Überschwemmungen weigern, die Millionen Binnenflüchtlinge aufzunehmen, die Welt wäre entsetzt und schnell dabei, das etwa als exotischen Ausdruck hinduistischer Gleichgültigkeit zu geißeln.

Staaten wie Deutschland oder Italien nehmen für sich in Anspruch, mit fadenscheinigen Argumenten wie Integrationsproblemen oder Arbeitsmarktkomplikationen Menschen fundamentale Grundrechte zu verweigern. Italien nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein und mausert sich in Riesenschritten zum Entrepreneur in Sachen demokratischer Faschisierung. Vernichtungsphantasien von Seiten der starken Rechten tobten sich schon lange an wehrlosen Objekten aus: Flüchtlingsboote wollte mancher bombardieren, in den Lagern, in denen Flüchtlinge konzentriert werden, herrschen unmenschliche Zustände, während wenige Kilometer weiter der Papst weihevolle Reden von Mitgefühl hält. Sinti und Roma sind prädestinierte Zielgruppen aller europäischen nationalistischen Bestrebungen und in Italien auf der gar nicht sprichwörtlichen Abschussliste ganz oben verzeichnet. Kriminelle Akte, unausrottbare Normalität in der bürgerlichen Gesellschaft und erst recht in einem mafiösen Staat wie Italien, werden dann zum Anlass genommen, massenhafte Ausschaffungsaktionen durchzuführen. Maßnahmen wie die gesetzliche Abnahme von Fingerabdrücken von Roma-Kindern sind erste Produktionsschritte der altbekannten, aber in Sachen Modernisierung generalüberholten Exterminierungsmaschinerie. Während sich in Neapel Müllhaufen seit Jahren stapeln, hat man noch genügend Bulldozer und Mittel parat, um bei Nacht und Nebel einige illegale Roma-Siedlungen zu beseitigen.

Jetzt haben sich die italienischen Faschisten endgültig durchgesetzt mit der Forderung nach einer Trennung von Schulklassen: Ausländer, die nicht genügend Italienischkenntnisse aufweisen, sollen separat unterrichtet werden. Die Bigotterie des als rational vorgeschobenen Arguments, es gehe darum, den Schülern Italienisch beizubringen, wird an der gleichzeitigen Kürzung von Lehrstellen deutlich. Die markierte Differenz feiert Urständ: In deutschen Foren tobt der Jubel, jeder dritte Kommentar feiert die italienische Entschlossenheit und jeder zweite weiß von Problemen zu berichten, die durch mangelnde Sprachkenntnisse ja so wirklich und real entstünden. In afrikanischen Staaten ist es allerdings normal, dass Schulklassen zwei-, drei- oder fünfsprachig stattfinden, ohne dass das zu größeren Problemen als den üblichen  ökonomischen führen würde. Wer allemannische Dialekte aus dem Schwarzwald oder hessisches Platt kennt, würde Sprachkenntnisse im Deutschen nicht leichtfertig vom Pass abhängig machen. In Deutschland mit seinen 2 Millionen mehr oder weniger türkisch sprechenden Bürgern ist es gleichsam undenkbar, Türkisch als in ferner Zukunft einmal mögliche zweite Amtssprache auch nur anzudenken. Selbst englischsprachige Filme werden zu 100 Prozent synchronisiert, während man in den östlichen Nachbarländern sehr selbstverständlich auch deutsch spricht und etwa die Schweiz mit drei Amtssprachen brilliert. Reale Probleme des Bildungssystems stehen somit kaum zur Debatte: Schließlich werden sie nicht liberal und rational zu Gunsten einer gleichberechtigten Schülerschaft verhandelt. In Wirklichkeit geht es nur um einen weiteren erfolgreichen Tabubruch bei der Einrichtung eines fremdenfeindlichen Faschismus. Den zum Erfolg Bestimmten solle die Unfähigkeit der Fremden ein Hemmschuh sein. Der Widerspruch, warum ökonomisch sehr viel schlechter gestellte Staaten sehr viel selbstverständlicher mit Flüchtlingen umgehen, juckt im Land des Katholizismus wenig. Die Linke gibt sich indes unehrlich empört. Wo gegen die USA noch Millionen auf die Straße gingen, versammeln sich angesichts der Manifestierung solcher faschistischen Umtriebe in der italienischen Staatspolitik einige wenige Grüppchen zum bunten Händchenhalten.

11 thoughts on “Italien – Siegeszug des Faschismus

  1. die 8-10 millionen türkisch-sprechenden bürger in deutschland sind wohl etwas übertrieben. laut mikrozensus 2005 leben in deutschland rund 2.4 millionen menschen mit türkischem migrationshintergrund im engeren sinn (die also die türkische staatsbürgerschaft besitzen oder besessen haben). die statistik beinhaltet auch die allermeisten türken zweiter und dritter generation in deutschland, da bis 2000 für den erhalt der deutschen staatsangehörigkeit bei der geburt noch vater oder mutter einen deutschen pass besitzen musste. ob die türkischen kurden in deutschland alle einen türkischen pass besitzen/besaßen, weiß ich nicht, da kommen vielleicht noch ein paar staatenlose dazu. über die qualität der türkischkenntnisse der jeweiligen personen sagt die einzelne zahl aber noch nichts aus…

    hier übrigens der link zur studie: https://www-ec.destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBroker.cls?cmspath=struktur,vollanzeige.csp&ID=1020313

    ps: ich hasse filmsynchronisationen!

  2. Schön zusammengefasst. Um einzelne Zahlen geht es sicherlich nicht, sondern die erschreckende Tendenz trifft es in meinen Augen ganz ausgezeichnet. Ich habe mir eine kleine Verlinkung erlaubt.

  3. Hab mich schon geärgert, dass ich irgendwann erfolgreich und mit Begeisterung in der Schule Italienisch gelernt habe. Was will ich denn jetzt damit? Vielleicht vernünftigen Italienern das eine oder andere Waffengeschäft vermitteln? Aber das können die sicher selbst besser…

    So viel Zeit Vertan für eine Sprache, die mir nun allenfalls noch dazu nützen wird, die Lästereien der Angestellten des Eissalons nebenan heimlich zu belauschen. Ich könnte opernbegeistert werden, das würde meinen Italienischkenntnissen ein bisschen Sinn verschaffen.

    Nein. Werd mir morgen wieder das eine oder andere Produkt unserer heimischen Ideologieproduktion anhören müssen und Italien darüber wieder für eine Weile vergessen.

  4. Pingback: subwave - exakt neutral :: mixed #36

  5. die schweiz hat sogar vier amtssprachen, neben französisch, deutsch, italienisch nämlich auch noch räto-romanisch, was wiederum in zahlreiche idiome zerfällt.

    allerdings finde ich es schwer, dass als ein argument heranzuziehen, demnach müsste nämlich auch frankreich ein äußerst faschistoider staat und eine gesellschaft sein, dort ist die sprachenpolitik auch äußerst aggressiv. lange zeit war das auch in spanien so, die bereits an der schwelle vom mittelalter zur frühen neuzeit/frühe renaissance mithilfe der spanischen sprache, die als erste sprache überhaupt dort bereits eine verbindliche grammatik erhielt, einen nationalen einigungsprozess vorantrieb.

    gerade ein staat wie italien hat seinen nationalen einigungsprozess über die sprache vollzogen, das hochitalienische ist nichts weiter als das italienisch, das in der toskana gesprochen wurde und den inneren kampf der dialekte gewann (ganz grob gesagt, auch bereits sehr früh beginnend, kurz nach spanien folgt hier auch eine grammatik, endgültige durchsetzung aber erst in der allgemeinen phase der nationalstaatswerdung). doch bis heute zerfällt italien, ganz ähnlich wie deutschland, intern in unzählige dialekte, die teilweise grob inkompatibel untereinander sind. gerade in diesen staaten kann man aber beobachten, wie enorm wichtig die sprache als sinnstiftung der nation ist, als gemeinsame klammer und historisch gesehen eben auch als legitimierung, egal wie wenig sich die einzelnen regionen gerade früher, ohne herausbildung einer hochsprache/schulsprache nicht verstanden haben. das macht all die entwicklungen in italien nicht harmloser oder erträglicher, aber eine gegenüberstellung mit staaten wie der schweiz, in deren nationalstaatswerdung die sprache nur eine untergeordnete rolle spielte, wird damit doch etwas schwerer.

    sonst aber schöner artikel, ein bisher ja wirklich wenig beachtetes thema in der linken.

    @bärbel
    hab mich auch mal mehr oder weniger erfolgreich mit italienisch an der uni rumgeschlagen, aber beim erlernen doch schon erschrocken gewesen, was für eine strange gesellschaft sich da auftut (nix empirisches, aber eine beobachtung: die italienische fussballnationalmannschaft ist so ziemlich die einzige europas, die weder schwarze, noch irgendwelche sonst nicht italiano klingende namen im team hat, nur zufall?), dementsprechend finde ich die aktuelle entwicklung auch nicht überraschend, auch wenn es sicherlich nicht zwangsläufig so kommen musste.

    vom italienischen bin ich mittlerweile auch weit weg, das erlernte ist von anderen romanischen sprachen größtenteils wieder überdeckt worden

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