Ästhetik vs. Klima – noch ein kurzer Eingriff

Ein Paradebeispiel für ein großes grünes Unugunu liefert die taz.

Naturschutz: Boliviens Präsident Morales legt sein Veto gegen das Projekt ein. Die Route hätte Rodung gefördert, die zum Klimawandel beiträgt.

Weiter im Text heißt es noch einmal in einer chiastischen Drehung:

„Die Straße hätte zur Rodung von Urwald beigetragen, die den Klimawandel fördert“.

Anhand solcher untalentierter Stilblüten lässt sich belegen, welche Verheerung der alles aufsaugende Begriff „Klimawandel“ anrichtet. Im Text verweist ein solcher Begriff auf eine Kastrationsdrohung, die das konformistische Einstimmen in den Applaus erzeugen will. Weil der Klimawandel dem allerletzten berliner Hinterwäldler ganz gewiss furchtbar schaden wird, darf ein Urwald in Bolivien nicht abgeholzt werden. Da nun der aufrechte Präsident Morales eingeschritten ist, sind die taz-Leser vor der großen Flut nochmal davongekommen und können weiter ihren täglichen Förder-Beitrag gegen die Förderung des Beitrags zum Klimawandels leisten.

In meiner Kindheit kaufte ich mit dem obligatorischen Micky-Maus-Heft von der örtlichen Tankstelle ein Regenwald-Zertifikat über 10 m² Regenwald. Damals kostete Heizöl ein paar Pfennige, die Autos rußten Grobstaub, in Heilbronn brannte eine Pershing 2 und E605 galt den Nachbarn als Wundermittel für die Rosenzucht. Viel hat sich geändert. Die Inflation bedingte wohl, dass heute beim Kauf eines ganzen Kastens Krombacher nur noch ein Quadratmeter Regenwald erhalten wird – bei einer Million Kästen ist das gerade mal ein Quadratkilometer, ein kleines Maisfeld also. Im somit zweifellos wertvolleren Disney-Heft wurde ich darüber aufgeklärt, wie schön der Urwald so ist, mit seinen Tukanen auf den Bäumen, den Leoparden im Wald, den bunten Fröschlein und den liebreizenden Blattschneiderameisen, die unter der netten Sonne zartes Grün sorgfältig ausschneiden und zu ihren putzigen Larven tragen. Je mehr ich dann darüber las, lernte ich den ästhetischen Wert einer solchen Landschaft schätzen, an der man Jahrmillionen alte Artenbildungsprozesse und allem voran die Mimesis bestaunen konnte. Ästhetik blieb mir bis heute der beste Grund, Natur libidinös zu besetzen und tiefe Verachtung reservierte ich für jene antiintellektuellen, verrohten Barbaren, denen eine Minute Wegersparnis durch einen schwäbischen Autobahnzubringer mehr wert war als ein in Jahrtausenden gewachsenes Habitat einer zweigestreiften Quelljungfer oder eines Hochmoorbläulings. Eine Art auszurotten ist im Regenwald um so leichter, wo sich Arten auf Minimalareale angepasst haben und gerade dadurch eine unvergleichliche Formenvielfalt erreichen. Einen Tropenwald zu fällen war und ist für mich ein noch weitaus größeres Banausentum als Gemälde des hochgeschätzten Renoir oder von Schiele öffentlich zu zerstören. Letztere sind im Vergleich dazu weitgehend bedeutungslose, reproduzierbare Dinge – „abgedungene Untaten„, wie ein zitierfähiger Philosoph verlautbarte.

Das erotische, intime Verhältnis zu Natur wird durch das kastrierende Gespenst „Klimawandel“ durchgestrichen. Wo keine Erinnerung an das Schöne des Regenwaldes zugelassen wird, hat man dieses Schöne selbst auf die Abschussliste gesetzt: FÜR den Klimawandel könnte so ein tumber Wald jederzeit gerodet werden. Und das ist leider die Praxis der aktuellen Biosprit-Barbarei, die sich von der Verwertung von Waltran und Pinguinfett für Lampenöl nicht allzuweit entfernt aufhält.

Schlimmer ist wahrscheinlich noch die intrapsychische Auswirkung: Mit der Natur wird einzig noch die Drohung assoziiert, ihre Zerstörung aus Angst vor ihrer Rache tabuiert. Leicht richtet sich die so erzeugte Aggression gegen Natur selbst, spätestens dann, wenn die simplen Lehrsätze von den drastischen Folgen einer Baumfällung am Amazonas sich blamieren und der Bauer hierzulande wie vor 50 Jahren auch seine Felder ganz rentabel mit dem leuchtstiftgelben Raps bemalen kann. Der inhaltsleeren Vernichtung des Formenreichtums unterm Diktat des expansionistischen Kapitals folgt die inhaltsleere Bewahrung im Namen des Klimawandels. Im steten Verweis auf den eigenen Schaden durch das globalgalaktische Verhängnis wird die narzisstische Abdichtung gegen das Andere perfektioniert – die Lust am Erleben des Anderen, das die ästhetische Erfahrung von Natur bietet und fördert stirbt ab.

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