Kritische Rezension: „Interventionen gegen die deutsche „Beschneidungsdebatte““

Zülfukar Çetin/ Heinz-Jürgen Voß/ Salih Alexander Wolter

Münster 2012: edition assemblage

 92 Seiten; 9,80 Euro

Die Beschneidungsdebatte, die keine war, produzierte manche merkwürdige Blüte. Sicherlich das sonderbarste Gewächs liegt nun mit den Interventionen gegen die deutsche „Beschneidungsdebatte“ vor. Dankenswerterweise ist das Buch so kurz gehalten, dass man alle falschen Sätze darin rasch abgeschrieben hat – und das sind ungefähr alle. An diesem Buch gibt es nichts zu retten. Wenn es hier dennoch eine ausführliche Kritik erhält, dann nur, weil es beispielhaft gleich zwei Phänomene vereint: den Doppelcharakter des neuen deutschen kulturalistischen Antisemitismus, der sich in der Beschneidungsdebatte ein weiteres Mal herauskristallisierte, und den emanzipationsfeindlichen Zynismus einer innerhalb des akademischen Feminismus grassierenden identitären Ideologie.

Der Verlag warnt den Leser in einer verlegerischen Notiz:

Wir haben uns für die Veröffentlichung dieses Buches entschieden, um die rassistische und antisemitische ‚Beschneidungsdebatte’ anzugreifen und zu dekonstruieren.

Der Titel spricht ähnlich Bände über das autoritäre Zensur-Bedürfnis: „gegen“ eine Debatte, die ohnehin keine war, wollen Çetin /Voß/Wolter „intervenieren“.

Über die Autoren erhält der Leser keine Informationen. Ein Blick ins Netz stellt Klarheit her. Die drei publizieren regelmäßig zusammen. Jürgen Voß ist Biologe und schrieb über Intersexualität, Zülfukar Çetin promovierte über Intersektionen von Homophobie und „Islamophobie“, und den Namen Salih Alexander Wolter findet man beispielsweise über einen Link der BDS-Campaign.

Diese hat sich den internationalen Boykott Israels auf die Flagge geschrieben. 2009 erfolgte der bislang größte Schlag des Bündnisses: der britische Gewerkschaftsbund UCU beendete die Zusammenarbeit mit dem israelischen Gewerkschaftsbund Histadrut.[1]

2010 unterschrieb Wolter zusammen mit der BDS-Gruppe Berlin einen offenen Brief, der sich darüber empört, dass am Gedenktag der Reichspogromsnacht in Berlin der israelische Botschafter sich in Berlin über Rüstungsprodukte informieren ließ. An dem Tag, der dem Aufruf zufolge dazu mahne, dass „Menschen“ nicht „noch einmal“ Opfer von „staatlicher Gewalt“ würden – verharmlosender Stalinisten-Sprech zur Umdichtung der Shoah in eine Art Klassenkampf von oben – an jenem Tag also zelebriere der israelische Botschafter eine „Kultur des Tötens“. Der Text setzt Nazis und Israel gleich, weil eben jene Reichspogromnacht Anlass dazu liefert, ausschließlich Israel zu verurteilen für

[…] die permanenten Verstöße aller israelischen Regierungen ebenso wie der israelischen Armee gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte.

Der Aufruf endet mit den Worten:

Keine Waffenlieferungen nach Israel. [2]

Das ist für den vorliegenden Band nicht ganz unbedeutend, weil es den Doppelcharakter des kulturalistischen Antisemitismus illustriert: Für den Judaismus als marginale Folklore ist in Deutschland ein Plätzchen freigeräumt worden, man findet allseits Gefallen an Klezmer, Hummus und Hitler-Filme mit „Success-story“ (Claussen) und Happy End. Antisemitismus verurteilt man natürlich. Gegen den jüdischen Staat aber heißt es von allen Seiten „Auf die Barrikaden“. Einstimmig wie nie wurde 2009 vom Bundestag eine Propagandaaktion der Hamas unterstützt, der Überfall der Besatzung der „Mavi Marmara“ auf Israel. Und eine solide Mehrheit hält Israel für das bedrohlichste Land der Welt.

Von solchen hegemonialen Diskursen wissen die Autoren nichts, weil sie daran teil haben. Ihr Begriff von Antisemitismus bleibt zwangsläufig eindimensional:

In der breiten Ablehnung der Knabenbeschneidung durch die mehrheitsdeutsche Öffentlichkeit verschmelzen Elemente des Antimuslimischen Rassismus und des stets latent gebliebenen Antisemitismus. (21)

Nun blieb der Antisemitismus im offenen Brief, den Wolter unterschrieb, sicher nicht latent, er will praktisch werden und Waffen für Israel boykottieren. somit Israel der Vernichtung preisgeben und lüstern-friedlich dabei zusehen. Was Wolter und seine beiden Mitstreiter im Zitat wohl gemeint hatten, war ein „stets vorhandener latenter Antisemitismus“, den zu entdecken sie anscheinend ohne Verdacht auf sich selbst im Bereich ihrer Kernkompetenzen verorten. Sie lokalisieren ihn dann auch am Anderen:  hinter der „offiziellen Rhetorik von den „jüdisch-christlichen Wurzeln unserer abendländischen Kultur“.

Geschickt verband solches Pathos die „Aufarbeitung“ der Schoah mit den gemeinsamen global-strategischen Interessen „des Westens“. Doch nun, da es nicht um die von der Bundeskanzlerin zur Staatsraison erklärte Sicherheit Israels geht, sondern um einen Angriff auf spezifisch jüdisches, wie muslimisches Leben hierzulande, erweist sich der Bindestrich [zwischen jüdisch und christlich, FR] als die geschichtsvergessene „abstruse Konstuktion“, die Almut Shulamith Bruckstein Çoruh (2010) schon auf dem Höhepunkt des Sarrazin-Hypes zurückwies. (22)

Was auch immer damit gesagt werden sollte, außer der Klage darüber, dass die Bundeskanzlerin die Sicherheit Israels für nicht komplett unwichtig hält, bleibt verborgen: Schließlich erwies sich die Kanzlerin mit ihrem Bonmot von der „Komikernation“ als regelrechte Schutzpatronin der religiösen Vorhautamputation im Kindesalter. In völliger Verkehrung der historischen Befunde wird weiter behauptet:

Die europäische Mission der Zivilisation, die „barbarischen“ Jüd_innen und Muslim_innen zu säkularisieren, wird durch die Debatte um die Vorhaut und ihr ‚grausames‘ Ende verstärkt.

Historisch hat die Säkularisierung Europas den Juden die Möglichkeit zur Assimilation eröffnet, und dadurch Juden wiederum in Konflikt zum Judaismus treten lassen: Entstehungspunkt unter anderem des säkularen Zionismus und des Reformjudentums. Den gängigen Forschungsbefunden zufolge war es dieser Assimilationsprozess, den die modernen Antisemiten abwehrten und der für diese die nachträgliche rassistische Bestimmung des Jüdischen als Körpereigenschaft erforderlich machte – wozu die Beschneidung den Antisemiten ein eher willkommenes Hilfmittel war. Man kann sich angesichts dieser komplexeren Hintergründe der „Diskurse“ natürlich auch in die Tasche lügen. Die Autoren schrecken jedenfalls nicht davor zurück, Adorno/Horkheimer als Schmuckzitat über ihren Text zu setzen:

„Das Wunder der Integration aber, der permanente Gnadenakt des Verfügenden, den Widerstandslosen aufzunehmen, der seine Renitenz hinunterwürgt, meint den Faschismus.“

 Adorno/Horkheimer meinten im Kontext des Kulturindustrie-Kapitels, in dem sich das Zitat findet, mit Integration gewiss nicht eine fiktive deutsche Bereitschaft zur Integration von assimilierten Juden, sondern ein kulturindustrielles Prinzip, das die Außenseiter abschleift und zurichtet. Nicht das Verhältnis von Kollektiven zueinander steht hier zur Disposition, sondern das Verhältnis vom Kollektiv zum Individuum: „Einmal war der Gegensatz des Einzelnen zur Gesellschaft ihre Substanz.“ heißt es einige Zeilen vorher bei Adorno/Horkheimer, ein Satz, der für die drei Apologeten anscheinend völlig belanglos ist.

Es liegt nun Çetin/Voß/Wolter nämlich gänzlich fern, im Gefolge Adorno/Horkheimers eine individualistische, säkularistische Position zu vertreten: Säkularismus und Individualismus werden von Çetin/Voß/Wolter systematisch mit dem Westen und dieser mit dem Faschismus oder wahlweise Imperialismus identifiziert. Die Beschneidung kann so implizit zum subversiven Akt der Renitenz gegen den Faschismus verklärt werden. Çetin /Voß/Wolter sehen daher auch in dem Verweis des Beschneidungskritikers Putzke auf die statistische Erfassbarkeit von etwaigen Beschneidungen in immigrierten Familien und Gemeinden eine Wiederkunft des Nationalsozialismus:

Die Migrant_innen, denen die Gruppenidentifikation als kulturell-religiöse verwehrt sein soll, unterliegen ihr also im Sinn einer rassistischen Fremdzuschreibung weiterhin: Nichts anderes war die historische Erfahrung der jüdischen Assimilation in Deutschland.

Wenn nämlich die Beschneidung verboten werde, müsse man zu rassistischen Befragungstechniken greifen, die auf den religiösen oder kulturellen Kontext zurückgreifen, um überhaupt noch stattfindende Beschneidungen in eingewanderten religiösen Kollektiven zu erfassen. Das sei dann sowohl die – im Falle der jüdischen Assimilation gar nicht relevante – „Verwehrung“ einer „kulturell-religiösen“ Gruppenidentifikation, und zugleich die Erfahrung, dass diese Identifikation als Fremdzuschreibung doch stattfände. So setzen die Autoren – wohl in Ermangelung tatsächlich antisemitischer Kommentare, die aufzuspüren man für zu arbeitsintensiv befand – die Diskussion des Beschneidungskritikers Putzke mit primitivem Rassismus gleich, schlimmer, mit Nationalsozialismus.

Völlig beliebig wird nämlich nun von Çetin /Voß/Wolter ein weiteres Zitat von Adorno/Horkheimer eingestreut:

„Die den Individualismus, das abstrakte Recht, den Begriff der Person propagierten, sind nun zur Spezies degradiert. Die das Bürgerrecht, das ihnen die Qualität der Menschheit zusprechen sollte, nie ganz ohne Sorge besitzen durften, heißen wieder Der Jude, ohne Unterschied.“ (24)

Genau das ist aber das Geschäft von Çetin /Voß/Wolter, die den Individualismus, das abstrakte Recht und den Begriff der Person zu einer Spezies, nämlich einer westlich-imperialistischen Kultur degradieren und dann selbst die Gesellschaft in Beschnittene und Unbeschnittene einteilen, indem sie ständig nach der Zugehörigkeit der Diskursteilnehmer fragen:

Es geht uns dabei insbesondere darum, aufzuzeigen, wie die betroffenen Jüd_innen und Muslim_innen sich zu dem antisemitischen und antimuslimischen Diskurs äußern, bzw. positionieren.

Das tun sie aber noch  nicht einmal, nur zwei Muslime und etwa zwei Juden kommen zusätzlich zu den Autoren zu Wort. Im Kapitel Der schlechte Sex der Anderen skandalisiert man dafür den angeblichen „Blick in die Hose“ durch Beschneidungskritiker. Denen, sofern „mehrheitsdeutsch“ schauen die Autoren aber nun selbst in die Hosen, das abzuschaffende Leiden werde „von diesen offensichtlich gar nicht empfunden“ – sie seien nämlich nicht beschnitten. (29) Laut Voß fände eine „Hexenverfolgung“ statt, in der zum einen „Menschen aus jüdischen und muslimischen Familien“ sich in der Debatte zurückhalten müssten, wenn sie denn eine beschneidungskritische Position tatsächlich vertreten würden, dagegen aber

„atheistische, junge Menschen, die über einen mehrheitsdeutschen sozialen Hintergrund verfügen, unentwegt über den Verlust der Vorhaut klagen (können), die sie selbst aber in der Regel noch besitzen. (12)

Anstelle einer „Stellvertreter-Diskussion“ sollten sich „beschnittene Jungen und Männer selbst äußern (können)“. Allein:

Es ließ sich im deutschen Sprachraum keine innerjüdische oder im weitesten Sinn innermuslimische Initiative von Zirkumzisionsgegnern ausfindig machen, und ein Beschnittener, der sich während der Debatte dann doch negativ äußerte, sprach sich zugleich gegen ein Verbot aus (s.u.). (29)

Dass sich beschnittene Beschneidungskritiker trotz der „einladenden Debattenkultur“ nicht so kritisch äußerten, dass die Autoren etwas davon gehört hätten, läge an der „von ihnen wahrgenommenen rassistischen Tendenz“. (30) Lediglich Ali Utlu konnten Çetin/Voß/Wolter nicht ignorieren. Dreimal wird er zum Kronzeugen aufgebauscht, für die These, dass den beschnittenen Beschneidungskritikern der Rassismus der „mehrheitsdeutschen“ Beschneidungskritiker allemal mehr Angst einflößt als die Beschneidung und dass Utlu sich aus diesem Grunde gegen ein Verbot ausgesprochen habe. Von Utlus tatsächlich sehr detaillierter und drastischer Kritik der Beschneidung bleibt wenig übrig, an ihm interessiert vor allem seine Homosexualität, nicht seine leidvolle Erfahrung. Dreimal müssen die Autoren noch betonen, dass er in der Berliner „Siegessäule“ schrieb.

Utlus Stellungnahme unterschied sich damit vom Gros des zirkumzisionskritischen Diskurses, in dem kaum thematisiert wurde, dass auch jeder wissenschaftlichen Bewertung der Beschneidung bestimmte kulturelle Normen zugrunde liegen, und die Ausrichtung der rezipierten Forschung ausschließlich auf ein heterosexuelles Funktionieren der Beschnittenen stillschweigend akzeptiert schien. (35)

Hatten sie den Beschneidungsgegnern unterstellt, die Gesellschaft würde in „Beschnittene und Nicht-Beschnittene polarisiert“, (39) so erweisen sich Çetin/Voß/Wolter als die eifrigsten Polarisierer und Hosenkontrolleure. Das hat natürlich System: Von Argumenten kann bequem abgesehen werden wenn Zugehörigkeit entscheidet. Wie „einladend“ die Debatte war, davon zeugten die zahlreichen hasserfüllten Kommentare unter Artikeln von Beschneidungsgegnern, die sich dem panoptischen Blick in die Hose verweigerten und so den rassistischen Blick provozierten, der sie aufgrund vager Anhaltspunkte als Unbeschnittene einsortierte. Ihnen diagnostizierte man pathologischen Vorhautfetischismus, Fixierung auf „das stinkende, eklige Hautfetzchen“, kündigte „Hausbesuche“ wie bei Neonazis an, empfahl die Kastration mittels Backsteinen und wirklich alles was an „einladendem“ pathologischem Material zum Vorschein kommen wollte, erhielt hier Einlaß.

Stoßen Çetin/Voß/Wolter in jedem ihrer Strohmannargumente auf einen Selbstwiderspruch, so zwangsläufig auch, wenn sie es mit feministischer Kritik versuchen. Der Entwurf von Beschnittenen als Verstümmelten folge dem Stereotyp der Verweiblichung/Kastration von „de-maskulinisierten „Orientalen““, „“jüdischer Männlichkeit“. Bei Çetin/Voß/Wolter hat die Zivilisation heteronormativen Charakter, um den Preis jeder Ehrlichkeit im Argument:

In dieser Debatte wird also wieder ein Opfer präsentiert, ein Opfer des Judentums und des Islams: es ist der Mann als „ein vollständiger Mensch“ (Oestreich 2012). (43)

Und Juden und Muslime würden zu Tätern gemacht. (42) Was interessiert es, dass die Beschneidungs-Kritik gerade das Mannbarkeitsritual in Frage stellte und die Verwundbarkeit von Jungen unterstrich, gegen die sich die Befürworter allzu häufig barbarisch hart machten. Und dass wohl niemand den christlichen oder den abstrakten Mann als Opfer jüdischer oder muslimischer Beschneidung entwarf, sondern das muslimische und jüdische Kind in Schutz genommen werden sollte. Die Beschneidungskritiker müssen nun mal heteronormativ sein, und so schreckt man vor keiner Peinlichkeit zurück:

Dadurch dass in der Beschneidungsdebatte die Existenz der abendländischen Zivilisation von der Existenz der Vorhaut des Mannes abhängig gemacht wird, erscheint diese Zivilisation bewusst oder unbewusst als „Männersache“. (39)

An der Vernunft, an Adorno/Horkheimer, aber auch an Foucault halten sie sich schadlos. Religionsfreiheit als Freiheit von Religion habe religiöse Wurzeln. (24) Adorno/Horkheimers Kritik an Kultur die „den Körper als Ding, das man besitzen kann“ kennt (26) verwursten diese Genderforscher zum Argument, an der Beschneidungskritik sei der Besitzanspruch auf den eigenen Körper verdächtig. Und nun kommen Foucaults Untersuchungen zur Gouvernementalität „die im deutschen Sprachraum neuerdings für queerfeministische Beiträge zur Staatstheorie bedeutsam werden.“ (26) Neuerdings ist natürlich ein dehnbarer Begriff und kann natürlich auch die letzten 20-30 Jahre meinen. Gegen das folgende Attentat jedenfalls ist selbst Foucault noch in Schutz zu nehmen. Man muss das schon in Länge zitieren:

Mittels des Versprechens von Freiheit und Souveränität wird Regieren erst ermöglicht und zugleich konstitutiert sich so das Subjekt als ‚freies’ und ‚souveränes’. Diese Bewegung des Regierbarmachens setzt, so Foucault, ein spezifisches Körperverhältnis der Subjekte voraus: […] Nur wenn die Subjekte lernen, einen ‚eigenen’ Körper zu besitzen, können diese als freie und souveräne regiert werden, da dieses Besitzverhältnis über den Körper zur Grundlage von Freiheit und Souveränität wird.“ (Ludwig 2012:105f) Die Kritische Theorie hat das Herrschaftsverhältnis herausgearbeitet, das dem zugrunde liegt, was Foucault als diffuse „Macht“ behandelt. Gerade mit [sic!] Bezug auf die laufenden diskursiven Aushandlungen zur Zirkumzision sollte nicht vergessen werden, dass sich die Normen der modernen kapitalistischen „Zivilgesellschaft“ in einer Geschichte der Klassenherrschaft und des Kolonialismus, des Rassismus und des Antisemitismus gebildet haben, die ebenso die Geschichte der Heteronormativität ist. (26)

Ein flottes Stück Impertinenz, das ihnen selbst nicht ganz geheuer scheint. Weil das mit der Herrschaft so gar nicht zum Abstimmungsverhalten im Bundestag passt, kommt auf einmal folgendes Argument um die Ecke:

Indes zeigt die aktuelle Debatte, dass sich „Expert_innen“ im Kampf um die Deutungshoheit über diese Normen mit der „Volksmeinung“ gegen die Regierenden verbinden können. Denn in dem Maß, in dem das Recht, einen eigenen Körper zu „besitzen“, von wenigen Oberen im Prinzip auf alle – zunächst: europäischen, männlichen – Menschen ausgeweitet wurde, etablierte sich die Macht der dafür als sachverständig angesehenen Wissenschaft. (27)

Diese „Medizinisierung“ ist den Autoren nun grundsätzlich verdächtig, obwohl sie sich selbst für die besseren Mediziner halten. Wenn Voß in seiner Einleitung auf zwei Seiten gleich viermal „Unwissen“ bzw. „Unwissenheit“ beklagt, meint er damit gewiss nicht das antiisraelische Ressentiment seines Co-Autoren, sondern er beruft in offenbarstem Selbstwiderspruch die Medizin, die er später als „neue Art hegemonialer „Religion““ verurteilt.(6f) Dass – von Medizinern wohlgemerkt – die Beschneidung mit FGM vermengt werde, sei „wissenschaftlich nicht haltbar“. Wer diese Voß’schen Quellen der Wissenschaft dann aufsuchen will, stößt auf zwei Blogeinträge von Voß, die Altbekanntes summieren,[3][4] aber gewiss keine wissenschaftliche Diskussion der Argumente der Gegner darstellen. Tatsächlich massiert der letzte Teil des Buches etwas ausführlicher einige medizinische Studien.

Was den Vergleich von FGM und Jungenbeschneidung angeht, haben sich Aktivisten gegen FGM inzwischen fast durchweg auf den Vergleich von FGM Typ I (Ritzen oder Exzision der Klitorisvorhaut) und der Amputation der männlichen Vorhaut eingelassen, so z.B. Ayaan Hirsi Ali und Thomas Osten-Sacken. Und diese haben darauf hingewiesen, dass die Legalisierung der Beschneidung im Extremfall auch die Legalisierung, aber zumindest Legitimierung von FGM enthält, zumal in islamischen Staaten mit noch unklarer Rechtslage. Bei Çetin/Voß/Wolter werden solche Befürchtungen gar nicht erst  beachtet. Von Bedeutung erscheint ihnen allein die Abgrenzung zur zwangsweisen Geschlechtsumwandlung im Kindesalter oder zu FGM Typ II und III, der Entfernung von Klitoris und Schamlippen. So würden im Falle der Beschneidung weder Eichel noch Keimdrüsen entfernt und auch keine Hormonbehandlung oder Vaginalplastik wie bei Geschlechtsumwandlungen fände statt. Nun auf einmal solle in einer weiter gefassten Allgemeinheit im „Dialog“ eine Diskussion stattfinden darüber

[…] wie die engen Geschlechternormen und die Eingriffe in die Selbstbestimmung von Geschlecht grundlegend geändert werden können. Das träfe aber alle gesellschaftlichen Normen, es würde bedeuten, dass grundlegend etwas gegen die Gewalt gegen Frauen getan werden müsste, grundlegend Geschlechterstereotype angegriffen werden müssten, grundlegend etwas gegen die Medizinisierung und Psychiatrisierung der Menschen getan werden müsste. (36)

Aber vorsicht:

So gesehen geht es gar nicht um ein Missverhältnis in der Abwägung eines „Unrechts“ gegen ein anderes, sondern der öffentliche Aufschrei über die Zirkumzision entspricht genau der allgemeinen Unempfindlichkeit für das Leid der Intersexe. Beiden liegt die unerbittliche Norm zugrunde, der sich nichts entziehen darf. (38)

Die Beschneidungskritik ist also unempfindlich für das „Martyrium der Zwischengeschlechtlichen“ (36), sie wird dergestalt Täter und eine Kooperation mit ihr schließt sich Çetin/Voß/Wolter geradezu aus. Sie widerspreche nämlich der Medizin, die sie zuvor als gouvernementales Instrument benannt haben. Die nichtheteronormative Beschneidung gegen den Hegemon aus Medizin und faschistischer „Zivilisierungsmission“ zu verteidigen, und das mit medizinischen Argumenten, das ist in schärfster Kürze das Programm von Voß/Çetin/Wolter.

Kulturalismus, mit dem islamische Rechtswissenschaftler FGM rechtfertigen, ist zwangsläufig das Gärprodukt einer solchen abenteuerlichen Melange:

Durch die Argumente „Traumatisierung, sexuelle Störung und Körperverletzung“ werden religiös und gesellschaftlich bedingte Riten psychologisiert, medizinisiert und kriminalisiert und als „archaisch“ eingestuft. (43)

Daher greifen die Autoren hier auf eine wirkliche Autorität zurück, Aiman Mazyek, Vorstand des „Zentralrat der Muslime“:

Geht es um Hygiene, Krebsvorsorge […] und um die Vorbeugung von Geschlechtskrankheiten, so ist aus medizinischer Sicht die Sachlage unumstößlich zugunsten der Beschneidung. […]Die menschliche Gesundheit hat Priorität im Islam, die Bewahrung der menschlichen Unversehrtheit ist ein ebenso göttliches Gebot. (44)

Solange nur „existentielle Relevanz“ (41) über die Jahrtausende zugrunde liegt, ist Religion schon ok so:

Die kollektive sexualmedizinische Online-Erörterung bewegt sich also gänzlich innerhalb des Horizonts einer post-christlichen deutschen Mehrheitsgesellschaft, die sich zwar nicht mit ihrem besonders antisemitischen, dafür aber mit dem gesamt-westlichen kulturellen Erbe einer „Zugehörigkeit der Lust zum gefährlichen Bereich des Übels“ (Foucault 1986: 315) auseinandersetzt. Es liegt offenbar jenseits der Vorstellungskraft, dass Sex schon im vorkolonialen Islam „als etwas uneingeschränkt Positives gesehen“ wurde (Bauer 2011: 278). (32)

Nach dieser umfassenden Eliminierung kritischer Vernunft versucht der abschließende Artikel von Voß Zirkumzision – die deutsche Debatte und die medizinische Basis noch einmal ausführlicher, eben jene Medizinisierung, diesmal freilich der Beschneidung zu verteidigen. Komplikationen bewegen sich den zitierten Studien zufolge im Bereich von maximal 2%, davon seien fast keine schwerwiegend. Verluste der Empfindsamkeit seien wahlweise nicht nachgewiesen oder nicht relevant. Die präventiven Vorteile der Beschneidung seien nachgewiesen für HIV, Eichelentzündungen und Harnwegsinfekte. Wenigstens gesteht er noch negative Folgen für den Fall zu, dass die Beschneidung als „Mittel“ gegen HIV das Kondom ersetzen könnte.

Die Rezitation ausgewählter wissenschaftlicher Studien ist zwar positivistisch, aber kaum wissenschaftlich zu nennen. Es fehlt jede Reflexion auf Methode und Fragestellung. Studien gerade im medizinischen Bereich haben sich zuallererst durch ihre Unabhängigkeit von Pharma-Unternehmen und anderen Lobbyisten zu legitimieren. So fällt bei Voß bemerkenswerterweise die vorher regelrecht gebrüllte Frage unter den Tisch, ob die jeweiligen Studienleiter selbst beschnitten sind oder (religiösen) Organisationen angehören, die Beschneidungen einfordern. Es werden Ergebnisse präsentiert, an die man dann glauben soll. So sieht tatsächlich Medizin als Religion aus und so funktioniert Biomacht: Die invasive Herrschaft über Individuen zu ihrem vermeintlichen Besten.

Dass die Vorhaut ein zentraler Teil eines Sexualorgans ist, ein komplexes Hautsystem mit zahlreichen Nervenendungen und biologischen Funktionen, dass also die, zumal schmerzhafte, Entfernung desselben eine gewaltsame Eroberung des Individuums durch das religiöse Kollektiv bedeutet, diesem Machtverhältnis verschließt sich Voß völlig. Von diesem Grundproblem aber ist auszugehen, wenn Prävention überhaupt diskutiert wird. Kein ähnliches Organ würde vorsorglich entfernt werden, relativistische Vergleiche mit Blinddarm, Polypen oder Mandeln (sehr beliebt ist auch der Haarschnitt) haben den Sexualakt schon völlig entwertet. Diese spezifische präventive Organentfernung ist eben nicht mit dem hippokratischen Eid zu rechtfertigen und daher wird Kritik daran von beschneidenden Ärzten so heftig abgewehrt: Es geht um Schuld.

Bleibt man aber im statistischen Argument, dann gibt es für alle der Befunde, die Voß anführt, heftigste Widersprüche von anderen Studien. Gänzlich wertlos werden die zitierten Studienergebnisse auf der Metaebene, wenn entsprechenden Krankheitsraten für Länder, in denen Beschneidungen mehrheitlich stattfinden (USA, islamische Staaten, Israel, Teile des südlichen Afrikas) mit denen jener Ländern verglichen werden, in denen die Beschneidung sehr selten ist (z.B. Dänemark). Voß, dem Kritiker der zwangsweisen Geschlechtsumwandlung, genügen jedoch ein paar Studien und eine Komplikationsrate von „nur“ 2 %, damit er die Amputation der Vorhaut im Kindesalter für unbedenklich erklärt.

Die drei Autoren haben es geschafft, auf 90 Seiten Adorno/Horkheimer und Foucault für ihren Aufklärungsverrat als Geiseln zu nehmen. Es bleibt zu hoffen, dass dieses durchsichtige, zynische Manöver nicht nur Laien auffällt, sondern auch der akademischen Kaste, an die sich der Band richtet und dass aus dem Entsetzen über diese besonders offensichtliche und krasse Ent-Kritisierung von Theorie heraus ein Begreifen einsetzt darüber, wie akademische feministische Theorie wieder eine kritische werden könnte. Eine wirklich wissenschaftliche Analyse antisemitischer Kommentare zur Beschneidungsdebatte (tatsächlich gab es auch einige harte antisemitische Beschneidungsbefürworter) und eine medizinische Diskussion, die nicht in positivistischem Zauber aufgeht, stehen leider noch aus.

Beiträge auf „Nichtidentisches“ zum Thema:

Ein Beitrag zur Beschneidungsdebatte

“Die latente Unehrlichkeit ihres positiven Israel-Knacks” – Eine Diskussion der Gegner der Gegner der Beschneidung

Schuld und Vorhaut

Der Reflexionsausfall der Antisemitismuskritik am Beispiel Dershowitz

Das Recht des Kindes


[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Boycott,_Divestment_and_Sanctions

[2] http://www.antiimperialista.org/node/6665; http://www.bds-kampagne.de/articles/2010/11/11/keine-waffenlieferungen-nach-israel/

[3] http://dasendedessex.blogsport.de/2012/09/21/vorhautbeschneidung-bei-jungen-weg-von-vorannahmen-hin-zu-fundierter-diskussion/

[4] http://dasendedessex.blogsport.de/2012/06/29/die-gleichsetzung-beschneidung-der-vorhaut-bei-jungen-gewalttaetige-medizinische-eingriffe-gegen-intersexe-funktioniert-nicht/

22 thoughts on “Kritische Rezension: „Interventionen gegen die deutsche „Beschneidungsdebatte““

  1. Ich möchte noch als Postskriptum hinzufügen, dass ich ein Verbot der Beschneidung unter Voraussetzungen eines liberalen Rechtsstaates für zwingend halte. Für den Fall Deutschland erscheint es mir aber legitim, die Entscheidung darüber anderen Staaten zuerst zu überlassen. Das war aber nicht das Argument – stattdessen wurde von Volker Beck und anderen die Beschneidung verharmlost und von FGM als wesentlich unterschiedlich bestimmt.

  2. Lieber Felix, interessanter Beitrag, aber keine Rezension. Trotz Lesen deines Posts weiss ich nicht, was die Autoren schreiben. Einige deiner Einordnungen finde ich problematisch. Warum bist du der Meinung dass nur saekularisierte und assimilierte Juden in Deutschland leben duerften – und nicht solche, die ihre Religion praktizieren? Mit welchem Recht forderst du diese Anpassung? Und hiergegen finde ich es passend, dass sich die Autoren so deutlich und berechtigt auf Adorno und Horkheimer beziehen, wie du es mit den zwei Zitaten andeutest. Ich werde mir das Buch mal holen und selber lesen und vielleicht rezensieren. Gr Fr.

    • Zwischen Anpassung und liberalem Rechtsstaat wäre dann doch zu unterscheiden. Keine religiöse Gruppierung in Deutschland kann sich der Straßenverkehrsordnung entziehen, keine kann Kindesmisshandlung oder FGM einfordern. Warum ich die Anwendung des liberalen Rechtsgrundsatzes der Integrität des Individuums vor kollektiven gewaltsamen Eingriffen auch im Kindesalter auch im Falle der Beschneidung fordere, geht aus diesem und den 5 anderen verlinkten Artikeln hervor.
      Auch eine beschneidungsbefürwortende Position, die Adorno/Horkheimer oder Foucault gelesen hat, müsste allergische Reaktionen gegen diese Verwendung durch diese Autoren erleiden. Leider kann ich den Volltext nicht zitieren. Was sind deine Kriterien einer Rezension?

  3. Ich fordere nirgends ein, dass nur säkularisierte und assimilierte Juden in Deutschland leben dürfen. Ich verteidige aber die Säkularisierung gegen den Vorwurf, sie sei das „westliche, imperialistische Projekt“. Säkularisierung und Expansion hat Napoleon vereint, dem verdanken Atheisten heute, dass wir immerhin nicht aufgeknüpft werden. Auch in den USA hat sich ein dezidiert säkularer Staat herausgebildet. Deutschland ist aber kein säkularer Staat und schon gar nicht säkularistisch. Hier sind Staat und Kirche verschweißt und das Beschneidungsgesetz ist Ausdruck dieses Bündisses, wie auch die Bündnisse von CDU-Politikern mit Muslimbruderschaften.
    Assimilation war historisch ein positiver Begriff, etwas, das aus dem Judentum heraus angestrebt wurde und von den Antisemiten verhindert wurde. Die Nazis assimilierten nicht, die Antisemiten zwangstauften zwar mitunter, aber von Assimilation waren sie ebenso weit entfernt, daraus entstand das „limpieza del sangre“ der Spanier.
    Das Recht auf Assimilation verteidige ich ebenso wie die pluralistische Gesellschaft.

    Niemand hier fordert von religiösen Juden oder Muslimen oder animistischen Afrikanern die Aufgabe ihres Glaubens. Sehr klar definierte religiöse und medizinische säkulare Praktiken stehen zur Disposition, die ca. 1 Mrd. Männer weltweit im Kindesalter dieser Operation unterwerfen. Die Diskussion um die Beschneidung ist über 100 Jahre alt und wurde damals gerade innerhalb des Judentums heftig diskutiert. Leider setzte die Aufklärung über die Vorhaut aus und so wurde weiter säkular und religiös beschnitten.

  4. Hallo Felix, wir muessen grundsaetzlich reden. Von deinen Zeilen bin ich baff. Deine Auslegung von Adorno und Horkheimer ist hier nicht nur eigenwillig sondern falsch. Vor dem Hintergrund der NS-Konzentrationslager fragten sie sich wie es dazu kommen konnte und nahmen eine skeptische Sicht zur Aufklaerung ein. Sie wendeten sich dagegen Menschen an Strukturen anzupassen. Wolters und Cetins Ausfuehrungen sind sehr richtig soweit ich sie jetzt gelesen habe. Baff bin ich aber mehr deswegen weil du implizit Israel die Existenz in der jetzigen Form absprichst. Israel ist ein juedischer Staat und kein saekularer. Und Israel ist wichtig und es ist wichtig dass juedisches Leben – saekulares und religioeses – in Deutschland moeglich ist.

    • @Friedrich

      „Israel ist ein juedischer Staat und kein saekularer.“

      Das zu unterscheiden scheint zukünftig noch relevanter zu werden. Die sog. Beschneidungsdebatte und auch das mir in anderem Kontext bereits untergekommene, hier rezensierte Büchlein markieren dabei lediglich die etwas schrillen Schlaglichter.

      Und daran schließt sich natürlich sofort die Frage an, wem denn ein oft bedingingsloser Support Israels wirklich gilt. Gilt er dem Judentum, den jüdischen Riten, jüdischer Religion, Kultur und Philosophie. Oder wird „das Jüdische“, „der Jude“, „der jüdische Staat“ in bestimmten (deutschen) Diskursen und Argumentationslinien lediglich als begrifflicher Popanz incl. historischem Gruselfaktor vor sich her getragen?

    • Auch religiöses jüdisches und muslimisches „Leben“ (was soll das sein) hängt nicht von der Beschneidung ab. Wer das behauptet, soll bitte konsequent sein, und die Bedeutung von FGM für afrikanische und australische Religionen angemessen verteidigen. Adorno/Horkheimer schreiben keine „Kritik der Aufklärung“ sondern eine Dialektik der Aufklärung. Mit der Beschneidung werden Menschen an Strukturen angepasst, bevor sie sich überhaupt dagegen wehren können – und dagegen steht auch die Kritische Theorie: Gegen die Zwangsanpassung von Individuen unter Kollektive.
      Im Falle des Judaismus wäre die einzige Konsequenz gewesen, zu sagen, man kann die Beschneidung aus historischen Gründen nicht als erstes Land verbieten und davon profitieren dann auch Islam und afrikanische Religionen, bzw. leiden deren Kinder. Nun aber haben alle Staaten der Welt das Recht, FGM und MGM zu legalisieren, wenn selbst in den fortschrittlichsten Industriestaaten man nicht den Mut hat, Religionen Schranken zu setzen. Hier verbietet man die Ohrfeige, aber die Vorhaut darf abgeschnitten werden.

      • Konkret benennt Adorno in „Erziehung zur Mündigkeit“ Rituale, die er als Erziehung zur Härte bezeichnet, so etwa das Haberfeldtreiben. Dass Juden (und seltener werden die Muslime mitgemeint) ohne Beschneidung nicht „leben“ könnten, scheint mir doch fast eine Drohung zu sein, zumindest aber eine grundfalsche Bestimmung dessen, was heute moderne Juden und Muslime mehrheitlich ausmacht. Da gibt es nämlich die jüdischen und muslimischen Beschneidungsgegner sehr wohl, die die Autoren zensieren. Brit Schalom etc.. Es ist mir aber halbwegs egal, ob verboten wird, solange man nur aufhört, diese von Alibiärzten abgesegneten Lügen und Verharmlosungen zu verbreiten und hier vom Bundestags aus zu unterschreiben: Dass die Beschneidung etwas wesenhaft anderes, harmloser sei als FGM Typ I-II. Alle meine beschnittenen und unbeschnittenen jüdischen Freunde und meiner anderen aus traditionellen Gründen beschnittenen Freunde haben sich mir gegenüber in privaten Gesprächen sehr explizit gegen die Beschneidung ausgesprochen – insg. mindestens 8 Individuen.

    • Und kürzer: der sicherste Messfaktor für Antisemitismus heute ist nicht mehr die fehlende Akzeptanz konkreter kultureller jüdischer Insitutionen in Deutschland, sondern die Feindschaft zum Staat Israel.

  5. Ich finde es schade, dass bei der Beschneidungsscheindebatte der Aspekt der medizinischen Aufklärung der Eltern und ihrer Ausgestaltung nicht stärker behandelt worden ist, denn hier ist meiner Meinung nach der beste Ansatzpunkt für eine langfristige Verbesserung der Situation. Im Gesetz steht lediglich, dass die Aufklärung im Rahmen der normalen ärztlichen Aufklärung, wie sie auch bei allen anderen Operationen vorkommt, und unter dem Zeit- und Kostendruck doch nur eine sehr geringe Aufklärungswirkung entfalten kann, zu geschehen hat. Ich hätte es lieber gesehen, wenn beide Eltern (und vielleicht auch die Großeltern) zu einem Kurs z.B. beim Gesundheitsamt verpflichtet worden wären, wo dann neben theoretischen Inhalten auch hochaufgelöste Videos von Beschneidungsprozeduren und Bilder von Komplikationsfällen vorgeführt und der Aspekt der schmerzinduzierten Schockstarre des Säuglings bei Betäubungsverzicht herausgestellt werden müssten. Die Eltern sollen sich vor sich, den Söhnen und allen anderen nicht mehr damit rausreden können, sie hätten von der Gravität der Prozedur nichts gewusst. Der Wille, Surrogate für den Beschneidungsritus zu finden bzw. auf seine Durchführung zu verzichten, würde dadurch wohl signifikant steigen.

    Ferner sollte man Männern, die vor der Frage stehen, ob sie an ihren
    Söhnen eine Beschneidung vornehmen lassen wollen, für beide Seiten
    gesichtswahrende Argumente an die Hand geben, warum eine Beschneidung
    bei ihren Söhnen nicht durchgeführt werden kann. Denn wenn ein selbst
    beschnittener Mann die Beschneidung seines Sohnes verweigert, dann ist
    dies implizit bereits eine stille Anklage gegen die eigenen Eltern.
    Hier darauf zu bestehen, dass der unterdrückte intergenerationale
    Konflikt ausgetragen werden soll, wäre kontraproduktiv. Ärzte von werdenden Müttern und jungen Eltern sollten hier z.B. die Initiative ergreifen, das Thema
    ansprechen, und dann bei Bedarf Gefälligkeitsgutachten verfassen oder
    anderweitige Lösungen finden. Vielleicht wären auch
    Schrödinger-/Scheinbeschneidungen denkbar, oder ist es üblich, dass
    jüdische Großeltern das Resultat der Brit Mila begutachten? Durch die
    Unsicherheit darüber, ob die Vorhaut wirklich entfernt wurde, könnten
    alle ihr Gesicht wahren.

  6. Deinen Vorschlägen, @Schleifstein, kann ich gut folgen. Ich sehe keinen Grund anzunehmen, dass etwas „schon immer so“ gemacht wurde oder gewesen ist und nicht hinterfragt werden dürfe, d.h. eine reflexionsfreie Übernahme dogmatischer „Wahrheiten“ liegt mir fern. Panta rhei, sage ich nur. Natürlich sehe ich auch, dass eine Religionsausübung, insbesondere die jüdische, und insbesondere in D, heute weiter möglich sein muss, dennoch muss diese ja nicht unmöglich sein, wenn andere, ggf. zeitgemäßere Lösungen zu finden sind. Was in archaischer Zeit, bei Wassernotstand, seinen Sinn hatte, kann heute durchaus seines Sinnes enthoben sein. Selbst im geschichtlich blutrünstigen Christentum tut es doch mittlerweile auch eine Hostie zur „Sühnung für menschliche Schuld“, statt eines Tieropfers. Die kognitive Lähmung, die vielen Religionen innewohnt, d.h. die kritiklose Übernahme von „Althergebrachtem“, wird sich m.E. evolutionär als Sargnagel erweisen. Aber die Evolution wird ohnehin von Religionen meist bestritten!

  7. Sehr geehrter Herr Riedel,
    in einem Beitrag auf Ihrem Blog (http://nichtidentisches.wordpress.com/2012/12/25/kritische-rezension-interventionen-gegen-die-deutsche-beschneidungsdebatte/) verbreiten Sie über mich folgende Unwahrheiten:
    1. Ich sei „Mitglied der BDS-Campaign“ und hätte mir „so den internationalen Boykott Israels auf die Flagge geschrieben“, was Sie dann auch noch mit irgendwelchen Angelegenheiten zwischen dem britischen und dem israelischen Gewerkschaftsbund in Verbindung bringen. Später wiederholen Sie Ihre Falschbehauptung und sprechen vom „Antisemitismus der BDS-Campaign, der Wolters [sic!] angehört“. Dazu stelle ich richtig: Ich bin nicht und war niemals Mitglied der BDS-Campaign und habe mir zu keinem Zeitpunkt den internationalen Boykott Israels „auf die Flagge geschrieben“ (was für ein grauenvolles Deutsch!). Der offene Brief aus dem Jahr 2010 bezog sich ausschließlich auf den Missbrauch des 9. November für ein Waffengeschäft ausgerechnet mit dem deutschen Rüstungsunternehmen Dynamit Nobel, der mich empörte. Der Brief ist mir nicht von der BDS-Campaign, sondern von der Berliner Friedenskoordination weitergeleitet worden, und es ging auch nicht daraus hervor, dass er irgendetwas mit der BDS-Campaign zu tun hätte.
    2. Ich sei „umtriebiger DKP-Kandidat“. Auch dies ist unrichtig. Richtig ist vielmehr, dass ich bei den letzten Berliner Abgeordnetenhauswahlen im September 2011auf der Landesliste der DKP Berlin kandidiert habe. Ich gehöre der Partei nicht mehr an, wie Sie bei ordentlicher Recherche leicht hätten feststellen können – es steht nämlich auf meiner Website. Was das Beiwort „umtriebig“ angeht, so gehört es wohl zu dem Jargon, den manche „so leicht und frei und freudig sprechen, als ob er die Sprache wäre“. Aber das sei Ihnen so unbenommen wie Ihre Adorno-Interpretation.
    Ich fordere Sie hingegen auf, die oben genannten falschen Tatsachenbehauptungen umgehend richtigzustellen, ansonsten werde ich Anzeige erstatten – ich nehme an, dass die Marburger Universität eine ladefähige Adresse ist.
    Mit bestem Gruß
    Salih Alexander Wolter, 10825 Berlin

    • Sehr geehrter Herr Wolter, die betreffenden Stellen wurden geändert. Sie sind nun mal via google öfters im Verein mit dem BDS aufzufinden. Dass sie nicht wirklich Mitglied sind, wusste ich nicht, ich habe es fälschlich vorausgesetzt. Meine Adresse erhalten sie jederzeit auf Nachfrage – solange die Gefährdungssituation durch links- und rechtsextremistischen sowie islamistischen Terrorismus anhält, werde ich keine Adresse online angeben. Die Universität Marburg ist NICHT Betreiberin dieses Blogs, da hat sie die Recherche wohl in die Irre geführt.

  8. Sehr geehrter Herr Wolter,

    Ihr Büchlein, das hier herrlich zerrissen wurde – mein Mitleid – ist schon eher in den Brunnen gefallen!

    Es wurde nämlich positiv, wie Sie auf Ihrem Blog verlinken, auf der Seite des „turkishpress“ am 03.12 rezensiert, und zwar von einem Nabi Yücel, der ein bekannter Anhänger der Grauen Wölfe ist, Kurdenfeind, Leugner des Völkermordes an den Armeniern, Israelhasser!

    „Turkishpress“ ist der verlängerte Arm der AKP-Regierung in der Türkei! Auf dieser Seite wird der Völkermord an den Armeniern durchgehend geleugnet, das türkische Militär verherrlicht, eine durch und durch rassistische Berichterstattung über kurdische Menschen und Politik vom Feinsten gegeben, Israelhetze betrieben. Tolle Freunde haben Sie da!

    Lassen Sie uns gar nicht darüber reden, wie Sie seit Jahren Antisemitismus, Rassismus und Homophobie in türkischen Communities verharmlosen! Alles nachlesbar auf Ihrem bescheidenen Blog!

    Lassen Sie uns gar nicht darüber reden, wie sie feinsauber Sexuelle Selbstbestimmung, Ehrenmorde, Zwangsheiraten, Antisemitismus, Rassismus und Homophobie muslimischer Jugendlicher im Diskurs auflösen, und in Ihrem paranoiden Flash jeden Realitätsbezug verlieren, wenn sie feinsauber von „sogenannten“ Ehrenmorden schreiben, wenn Sie „Zwangsheiraten“ in Anführungszeichen setzen, so, als ginge es hier um Phantasterei und nicht um Realität! Das ist schon böse Häme, die Sie da auf Ihrem Blog betreiben!

    Lassen Sie uns gar nicht darüber reden, mit welchen Leuten Sie rumhängen. Auf Ihrem Blog schreiben Sie, dass Koray Yılmaz-Günay das Manuskript gelesen haben soll. Es ist jener Koray Yilmaz -Günay, der mit der gleichen Sprache wie Sie und die Israelhasser, von „Pink Washing“ und „Homonationalismus“ schwadroniert und gegen die schwule Szene in Deutschland hetzt, weil sie eben genau das tut, was Konsorten wie Sie nicht tun: Den Juden- und Schwulenhass der Muslime ansprechen und offen kritisieren!

    Ohne Ihnen nahe kommen zu wollen, aber: Der Kastrationskomplex spricht aus Ihnen und ihren Weggefährten nur so raus. In Ihrem Pamphlet hat es seine Rationalisierung erfahren, in dem sie eine barbarische Tradition verteidigen; Sie identifizieren sich mit dem Angreifer, sagt die Psychoanalyse.

    Leider gibt es nicht so viele kultursensible Psychoanalytiker in Deutschland, die Fälle wie Ihres annehmen können. Aber manchmal hilft ja auch die Wortgewalt, um da etwas nachzuhelfen. Oder der Gang auf die nächste Couch, um Ihren Schmerz bei der Beschneidung endlich ausheulen zu dürfen! Genesung wünsche ich Ihnen jedenfalls.

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  10. Pingback: friedensnews.at» Blog Archive » “Beschneidungsdebatte”

  11. Die Jungenbeschneidung aus Sicht des Sozialwissenschaftlers Heinz-Jürgen Voß.

    Kritische Anmerkungen zum dritten Männergesundheitsbericht.

    von Matthias Franz

    http://jungenbeschneidung.de/material/Stellungnahme_Voss.pdf

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    _

    Merseburger Zaubersprüche 2.0

    Der 3. Deutsche Männergesundheitsbericht (Sexualität von Männern) entstand aus der Zusammenarbeit der Stiftung Männergesundheit mit dem Institut für Angewandte Sexualwissenschaft (IfAS) der Hochschule Merseburg. 2014 hatte die Hochschule Merseburg Heinz-Jürgen Voß auf die Professur für Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung berufen. Bildung ist Erfahrung und Wissenszuwachs, sind aus Sicht des Merseburgers für sexuelles Erleben und Lernen intakte weibliche oder männliche Sexualorgane entbehrlich?

    Der an peniler Anatomie (Sorrells et al.) und an den negativen Folgen jeder Zirkumzision für Sexualität und Partnerschaft (Frisch, Grønbæk, Lindholm) eher desinteressierte Professor für Angewandte Sexualwissenschaft und gelernte Diplom-Biologe Heinz-Jürgen Voß kämpft dafür, dass die Jungenbeschneidung sprich männliche Genitalverstümmelung als reguläre Krankenkassenleistung angeboten wird. Das allerdings, vgl. Meyer / Ringel oder Hörnle, muss die zeitnahe Finanzierung auch der milden Sunna nach sich ziehen, der Islamic FGM.

    Ob Mädchen oder Junge: keine Beschneidung unter 18, meint der Sozialpädagoge Edward von Roy.
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    Dritter Deutscher Männergesundheitsbericht (2017) Sexualität von Männern. Heinz-Jürgen Voß, Buchkapitel 2.3 Beschneidung bei Jungen. Klappentext sowie Verlag: „die vielseitigen Facetten der Sexualität von Männern sowohl aus sozialwissenschaftlichen auch aus medizinischen Perspektiven. 40 Experten […] analysieren den erreichten Stand, zeigen Defizite auf und geben umfangreiche Handlungsempfehlungen.“

    Wenn wir beginnen über die Zirkumzision zu reden, wir sollten allerdings sogleich sagen […]

    https://eifelginster.wordpress.com/2017/08/03/474/

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