Hero unalyzed

Als ich Hero das erste Mal im Kino sah, war ich begeistert, entrückt und zugleich sehr skeptisch: Das Ende begünstigt durchaus eine faschistoide Interpretation. Der mit dem Absolutismus durchgesetzte Zentralstaat solle „Allen unter dem Himmel“ zu Gute kommen? Die Massenästhetik knüpft an die faschistischen und stalinistischen Staats-Inszenierungen an. Dann sah ich den Film erneut und diesmal mit einem anschließenden Vortrag eines Psychoanalytikers, der in China lehrt und zugleich sehr auf die kulturell bedingte Differenz von Interpretationsmöglichkeiten bedacht war. Die unter dem Vorzeichens eines „Wir Europäer, Kinder der Aufklärung“ geleistete Interpretation allerdings klang mir zu transkribierend – der Namenlose als Ich-Erzähler sei Hülle der aufgespalteten Erzählvarianten, erfahre einen klassischen ödipalen Konflikt mit dem König-Vater. Das Ganze sei mehr oder weniger ein Bewältigungsdrama eines Waisenjungen, der seine Aggressionen kontrollieren lerne. Das ist natürlich eine grobe Verkürzung der interessanten Thesen des ehrenwerten Analytikers.

Ich assoziierte damit eine unzulässige Art und Weise, therapeutische, auf Diagnostik eines im Film als Patienten ausgemachten Charakters bedachte Psychoanalyse an Filme heranzutragen. Und nicht einmal die ist konsequent: Für die Interpretation des Königs als Symbol-Kind mit infantilen Verschwörungs- und Verlustängsten spricht viel, ebenso für seine mütterlichen oder väterlichen Attribute. Triangulierung wäre ebenso ein zentrales Thema für den Namenlosen wie der ödipale Tochter-Mutter-Konflikt zwischen Weiter Himmel und Fliegender Schnee oder der Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt zwischen den Liebenden Zerbrochenes Schwert und Fliegender Schnee. Filmanalyse kann nicht eine der Charaktere im Film sein. Das Objekt der Filmanalyse ist ein kompliziertes Geflecht aus Regisseur, Drehbuchautoren, SchauspielerInnen, gesellschaftlichen Zuständen und vor allem: dem Publikum. Was im Subjekt passiert, wenn es den Film sieht, steht zur Debatte – was ein Idealsubjekt im Film an Pathologien oder Mustern aufweist ist nur in Bezug auf die ausgelösten Assoziationen und die Rückbindung an das Gefühlsleben des Publikums  relevant. Das filmisch erfolgreiche Idealsubjekt ist vollgeladen mit Ambivalenzen – um überhaupt bei einer Masse von Individuen kontroverse Gefühle und Identifikationsmechanismen auszulösen. So kann eine Filmgeschichte wie Star Wars von der therapeutischen Analyse nur wiederholt werden– zu offenbar ist der Vater-Sohn Konflikt, als dass sich eine Analyse noch lohnen würde, die nur Oberflächensymptome abtastet. Erst die feinen Ambivalenzen und Nuancen, die in und neben den Charakteren aufleuchten, machen diese interessant, das Weggelassene, Zensierte und dessen rätselhafte Wirkung auf eine Generation von Fans. Es sind die Brüche im allzu Glatten, die Verleugnung und Verfremdung der filmischen Traumarbeit, die tatsächlich Aufschluss geben könnten über ein Verborgenes.

Verborgenes wohnt den gegen Sprache versprödeten Gefühlen von traumhaften Expressionismen inne. Der Anblick eines in „Hero“ inszenierten Pfeilhagels über den stoisch weiterarbeitenden KalligraphInnen löst zumindest in mir etwas aus, das sich kaum fassen lässt und erst in dieser Sprachlosigkeit und somatischen Reaktion auf visualisierte Objektwelten wird Psychoanalsye interessant. Todesverachtung, Autoaggression, Hingabe, Aufgabe, Objektbesetzung, Angstlust, Masochismus, Narzissmus, Edelmut, Liebe – all das sind verarmte Begriffe, die jeweils nur eine Facette des Brillianten ausmachen, der da geschliffen wurde und das Weglassen nur einer der Facetten verändert dessen „Feuer“. Wie wäre eine Psychoanalyse der Farben, die in „Hero“ so sinnlich verteilt werden zu leisten ohne die Voraussetzung, dass solche Farbwüsten an eine Erfahrung anbinden, die ein ästhetisches Befremden auslöst? Während die Monochromie Ränder und Formen verschwimmen lässt macht sie in der kolorierten Omnipräsenz umso deutlicher, dass etwas fehlt, übermalt und geleugnet wurde. Sie verspricht im Überangebot der einen Farbe die Präsenz aller Farben und ist damit mehr Schwarz-Weiß-Film als Farbfilm. Die elegischen chinesischen Harfen schaffen ein akustisches Environment, das an Erzählgewalt den Stummfilm aufleben lässt. Noch unmöglicher erscheint es mir, jene haptische, fast olfaktorische Taktilität zu erfassen, die das Wasser in Hero allein durch seine Präsenz und in der Zeitlupe erfährt. Alleine eine religiöse Huldigung des Elementes selbst, eine Hommage an das Wasser, wäre als Umschreibung angemessen – arrogant wäre es, das Wasser hier zum Symbol für etwas, etwa einer mütterlichen Sexualität zu reduzieren. Jene quecksilbrige, schwermütige Stofflichkeit, das metallische dingliche Schwappen in der Zeitlupe würde dem Gefühlsraum entzogen. Das Fliegen der Kampfkunst als kindische Größenphantasie zu fassen wäre selbst kindisch – so hat man sich schon immun gemacht gegen den Traum, den sich der asiatische Film gegen den politischen Realismus zu sein traut. Gerade hier wird nicht der Kitsch der Reproduktion des realen Lebens geleistet, nicht Werbung für das jeweils Aktuelle oder politisch dringliche angedreht, sondern Trauerarbeit geleistet und damit tiefer reflektiert als durch eine Feierabend-Dokumentation über Zustände in Wanderarbeiterslums. Das Diktat der Information und ihrer bürokratischen Verteilung an die berufsmäßig Interessierten wird in „Hero“ gebrochen durch die absolute Dominanz einer Symbolwelt, die jeden über das Vorfindliche zu informieren vorgibt. Die Absage an den Realismus, die „Hero“ leistet, eröffnet nicht eine Utopie oder Handlungsanweisungen, sondern Bilder der Vergangenheit, die immer schon gefärbte sind, vom Urteil gefälschte Erfahrungen.

Es mag kein revolutionärer Kern darin stecken, keine großartige System-Kritik und die maoistische Regierung mag darin ob zu Recht oder Unrecht einen Kotau vor ihrem eigenen Wahn erkennen und den Film in Schulbücher einführen. Missverstandene Werke und Filme gab es zu häufig, um sich auf diese Vereinnahmung einzuschießen – von Nietzsche bis Adorno wurden Philosophen und Künstler beschlagnahmt, ohne dass das eine Rechtfertigung wäre, sich nicht mit ihnen auseinander zu setzen.

„Hero“ insistiert bei allen reaktionären Angeboten darauf, Geschichte als diskursiv zu begreifen, als unterschiedlich kolorierte Wahrnehmungen von Ereignissen, die immer schon unwahr sind und am unendlichen, im Mysterium verbleibenden Leiden der Individuen Verrat üben. Das schließt das Goutieren der Einheitsgeschichte der Maoisten aus. Und zu deutlich feiert der Film das Individuum in all seiner Fehlerhaftigkeit, die durch die zur Schau getragene Perfektion nur unterstrichen wird. Mit den AttentäterInnen identifiziert sich das Publikum, nicht mit den schwarzen Massen, an denen allein Unheimliches, Sado-Masochistisches sich verdichtet. Der Einzelne kann in „Hero“ die Geschichte verändern, straff organisierte Massen hinwegfegen, die nutzlos gegenüber dem Willen und der Kampfkunst eines Einzelnen bleiben und erschlafft zu Boden fallen. Dass zwei Individuen einen Platz stürmen, der vor lauter Militär nicht zu erblicken ist – das ist eine posthume Wunschprojektion, die das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens umkehrt. Nicht die Gewalt ist es im Film, die entscheidet, sondern die Einsicht und der Plan. Geist, freie Willensentscheidung und zuletzt: freie Information von Individuum zu Individuum, wie in dem Schriftzeichen, das Zerbrochenes Schwert dem Namenlosen widmet, triumphieren über Propaganda und Gewaltherrschaft. Die Kalligraphie-Schule als chinesisches subversives Internetcafé zu interpretieren, strapaziert die Analyse, liegt aber durchaus im Bereich der möglichen Assoziationen und – sicherlich unbeabsichtigten – subversiven Effekte. Die Lüge des zwanzigsten Schriftzeichens für Schwert ist einer kritischen Lektüre offensichtlich – „Alle unter dem Himmel“ bedeutet in der Welt des fetischistischen Staatsapparates die Opferung des Einzelnen zugunsten einer amorphen, wenig utopischen Masse, nicht die Bewahrung aller Einzelnen. Der Tod des Helden ist nicht die Synthese – die Lücke zwischen den Pfeilen, die die Umrisse seines Körpers bilden, ist eine Leerstelle, die nicht aufhebbar ist, die auch ein Staatsbegräbnis nicht füllen kann – sie fehlt für immer und „Alle unter dem Himmel“ sind immer schon einer weniger. Innerhalb der Filmphilosophie wäre Protest von den Intelligenteren zu erheben, dass „Alle unter dem Himmel“ eine Grenze individueller Revolution gegen den Fetischismus aufzeigt, der von Einzelnen nicht durchbrochen werden kann. Der Wille aller zum Frieden um jeden Preis ist es im Film, der das Entsetzliche, die Zurichtung der Individuen zu einem schwarzen Mob, möglich macht und so Frieden zur Friedhofsruhe werden lässt. Frieden um jeden Preis ist auch die aggressive Seite, die Zerbrochenes Schwert so hinterhältig Fliegender Schnee aufzwingt: Seine gnostische Hinwendung zum inneren Exil will der ritualisierten Gewalt entkommen – und wird autoaggressiv. Der Ruf nach Frieden durch Einheit gegen den Nationalismus mag verfangen – kaum jedoch die bewusstlosen und farblosen Armeen und ihr unterm Isolationstrauma leidender Herrscher. Die vom Regisseur organisierte Show zur Olympiade war Propaganda – „Hero“ ist nur unter Zensur der genannten Elemente auf dieselbe zu reduzieren.

Krieg um Rohstoffe oder Nichtkrieg um Rohstoffe?

Johannes M. Becker, einschlägig bekannter Meinungsträger der kritischen Öffentlichkeit in Marburg an der Lahn, gehört zu denjenigen, die im Vorfeld und während des Krieges mit Saddam Hussein und den Nachfolgerackets am lautesten die Anklage vor sich hertrugen, der Krieg gegen Hussein und Taliban werde nur um Öl und andere Rohstoffe geführt.

Auf Veranstaltungen der Friedens- und Konfliktforschung wurden dann mehr der Verlauf von Ölpipelines und die Lage von Rohstoffvorkommen problematisiert als eine Analyse der islamistischen Ideologie oder der widersprüchlichen, hochkomplexen Struktur der mafiös-terroristischen Rackets im Irak geleistet. Klar war den Konfliktforschern stets: Dieser Krieg ist unmoralisch, weil der Irak zu einem der ölreichsten Staaten der Welt gehört. Ein reiches Land bekriegt man nicht ohne sich bereichern zu wollen – das wäre irrational.

Nun schwenkt Becker um und entdeckt erstaunt ein Phänomen, auf das die Angriffsbefürworter schon lange hingewiesen haben: Dass nicht der Krieg gegen den Terror sich ökonomisch auszahlt, sondern jene Neutralität, die es nicht gibt. Der Kritiker an Kapitalismus und der „Gier nach Öl“ ist nun auf einmal keiner mehr:

Nur zaghaft lösen sich SPD und Grüne aus der großen Kriegskoalition. Dabei gibt es durchaus Anreize für einen Politikwechsel: Im Irak schließt momentan China die größten Öl-Ausbeutungsverträge mit der erstaunlich souverän agierenden Regierung in Bagdad ab. Die Konzerne aus den Staaten der „Koalition der Willigen“ hingegen gehen zumeist leer aus. In Afghanistan erwartet sie die Abbaurechte für Kupfer und Eisenerz. Bekanntlich hatte sich Peking beiden Kriegen verweigert.

Becker ignoriert, dass nicht nur China, sondern viel früher noch die „Friedensmacht“ Deutschland eine hervorragende Ernte aus dem Krieg gegen Saddam Hussein eingefahren hat – die Weigerung, zusammen mit dem „großen Satan“ zu kämpfen hat die traditionsreiche Verehrung der arabischen Staaten für gewisse Deutsche nur noch gesteigert und deutschen Firmen ausgezeichnete Verträge beschert.

Becker ignoriert auch, dass in einigen Regionen im Irak auf Ölfelder gar nicht geboten wird – weil es den Ölfirmen noch zu riskant ist und weil die irakische Regierung selbst für chinesische Konzerne unattraktive Angebote macht. Das größte Ölfeld wird von British Petroleum und der China National Petroleum Organisation  im Konsortium geführt. Nicht etwa, weil China sich aus dem Irakkrieg herausgehalten hat, sondern weil die CNPO zusammen mit BP das beste und einzige Gebot für dieses Feld abgegeben hat. Konzerne, die noch keine Verträge im Irak haben, sind zumeist schlichtweg nicht interessiert. Mit den Erträgen, die die irakische Regierung abzuschöpfen hofft, wird ohnehin nicht viel mehr gefördert werden, als die in staatlichen Profitsystemen so übliche Korruption.

Becker interessiert zuletzt überhaupt nicht, dass eben jenes China, das er der deutschen Opposition aus noch dazu verfälschten Gründen als Vorbild empfiehlt, die Massenmörder im Sudan mit Waffen versorgt: Aus Gründen derselben Rohstoffethik, die Becker so attraktiv findet. Krieg oder Nichtkrieg – alles eine Frage des hinterher zu erwartenden Profits. Darin wird die Projektivität der Ideologie deutlich, die um den Irakkrieg bei weitem nicht nur von Becker gesponnen wurde. Die den USA unterstellten Zwecke der Kriegsführung waren schon immer die eigenen. Zum Glück setzen die USA ihre ökonomische und militärische Macht nicht annähernd so zweckrational ein, wie es Becker den Grünen und der SPD empfiehlt.

Quelle der nachfolgenden Grafik:

Joachim Guilliard, „Irakisches Öl – weiterhin nur begrenzter Zugang für Öl-Multis“ auf „Nachgetragen“:

Überblick über die 2009 vergebenen Verträge Serviceverträge für irakische Ölfelder