Öffentliche Mitmach-Kunst – über die Regressivität eines Villon-Zitats

Foto: Felix Riedel, 6.11.2008

Die der Neoromantik zuneigende Ausstellung „Rational/Irrational“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin kommt nicht ohne eines jener Exemplare des modernen Kunstschaffens aus, das sich dem Konsumenten als interaktiv anbietet, um ihn über die Deprivation seiner geistigen Fähigkeiten hinwegzuschmeicheln. Auf einem Kubus aus Tafeln ist es im regressiven Halbdunkel gestattet, mit Kreide und Schwamm auf einer Tafel „kreativ“ zu werden. Ein gescheiterter Dichter fühlte sich sofort dazu berufen, mangels eigener Einfälle Villon zu zitieren: da ist dann fragmentarisch von „Zigeunerherden, die in fremde Taschen fassen“ die Rede. Die Animalisierung der Gruppe als „Herde“ erregt 63 Jahre nach Auschwitz und dem dort in die Tat umgesetzten Versuch der Ausrottung der europäischen Zigeuner  anscheinend keine tiefergehende Übelkeit bei den durch Nichtstun interagierenden AufseherInnen und Museumsgästen. In einer schönen Verwandtschaft von Ressentiments werden zudem sexuelle Wünsche zur Schuld der Frau (Äpfel!) zurechtprojiziert und geben so Aufschluss über die  Bedürfnisse, das Zitat an dieser Stelle anzubringen.

Dazu bliebe vor allem Heubach zu zitieren:

„Das ist nicht mehr ein kommunaler Raum, der allen zukommt und der keinem gehört, sondern nurmehr eine von Jedermann für sich usurpierte, von partikularen Interessen und Bedürfnissen zernierte und von keinem verbindlicheren Allgemeinen zeugende Örtlichkeit. Was dieser Örtlichkeit geblieben ist von den Funktionen, die einst der „öffentliche Raum“ erfüllte, ist hauptsächlich das, wofür in diesem früher die Bedürfnisanstalten standen:           Das Machen kleinerer oder größerer Geschäfte.“

(Friedrich Wolfram Heubach 2007, in „Geist, Bild und Narr: Zu einer Ethnologie kultureller Konversion. Festschrift für Fritz Kramer, hg. von Heike Behrend. S. 271)