Die kulturelle Dialektik von Alkohol, Arbeit, Halbbildung und reglementiertem Vergnügen manifestiert sich in Kombination mit individueller Psychopathologie bisweilen in einem unschönen Kneipenszario: Jemand ist betrunken, belästigt andere Gäste, faselt rassistische Monologe oder verletzt die körperliche Integrität von Frauen oder Männern. Natürlich möchten andere Gäste lieber in Ruhe ihren Abend verbringen und daher erteilt jeder halbwegs geschäftstüchtige und vernünftige Kneipenbetrieb solchen auffällig gewordenen Personen ein Hausverbot, um zumindest Wiederholungen von solchen Unannehmlichkeiten vorzubeugen.
Nun gibt es aber auch eine andere Szene, die in Kneipen passieren könnte: Ein politisch aktiver Mensch, vielleicht hat er einen örtlichen Parteienfilz aufgedeckt, vielleicht ist er nur Engländer, schwarz oder schwul oder ein Hergezogener, möchte in einer Kneipe sein Bier trinken. Die Stammtische murren, der Wirt verweigert ihm Getränk und Service. Ein klarer Fall von Diskriminierung. Es steht zwar jedem Verein frei, eine Zielgruppe zu definieren. Wenn an Diskotheken und prinzipiell öffentlichen Kneipen von vornherein eine Selektion stattfindet, wirkt das ein wenig spießig und elitär. Wo Türsteher nach Äußerlichkeiten das Publikum sortieren, entstehen fließende Übergänge zum immerhin heute strafbaren Rassismus.
In sich links oder alternativ nennenden Szenetreffs wiederum findet sich noch nicht allzu lange das Versprechen eines sogenannten „Freiraums“. Die BetreiberInnen solcher Lokalitäten versichern auf Wandanschlägen und Getränkekarten allen Gästen, dass „Sexisten, Rassisten und Antisemiten“ nicht erwünscht seien. In einer Universitätsstadt ergänzt man die Liste der Unerwünschten gerne um Verbindungsstudenten. Wer darüber hinaus sexuell oder verbal belästigt werde oder Belästigungen bezeuge, wird ans Thekenpersonal verwiesen.
Der abgesteckte Katalog von Tatbeständen ist offen für relativ beliebige Modifikationen: von sehr unangenehmen Verhaltensweisen bis hin zur privaten Meinung. Insinuiert wird, dass die inkriminierten Ideologien trennscharf und eindeutig zu bestimmen seien, als gäbe es nicht innerhalb der Linken sehr unterschiedliche Definitionen beispielsweise des Antisemitismus. Das in der Häufung suggerierte Bedrohungspotential erzeugt eine ängstlich-drohende Grundstimmung, der permanenten Angst vor Infiltrierung. Einige Aspekte dieser Angst will diese begrenzt fundierte Analyse begrifflich erfassen und zur Diskussion stellen.
Zunächst wird der eigentlich selbstverständliche Grundsatz des gegenseitigen Respekts und der Höflichkeit zur erwähnenswerten Ausnahme, zum Alleinstellungsmerkmal hochstilisiert. In politischen Institutionen bezeugt eine solche Aufwertungsstrategie ein angekränkelten Selbstbewusstsein. Zwei Elemente kommunizieren doch bereits die Gesinnung dieser Einrichtungen nach außen: Das Veranstaltungsprogramm und die Ästhetik. Wenn nun mit dem Hausverbot für Andersgesinnte ein Drittes hinzutritt, spricht das dafür, dass weder die Ästhetik noch die inhaltliche Präsentation von den linken Orten selbst wirklich ernst genommen werden, dass an ihre kombinierte Wirkung insgeheim gar nicht geglaubt wird.
Bereits die Ästhetik wird durch Kontrolle abgedichtet. Seit Jahren häufen sich Berichte über systematische Diskriminierungen in Szenelokalen. Wenn sie auf zulässige Insignien und Dresscodes verzichteten und dann noch geringfügig eleganter in H&M oder Boheme-Sakko eintreten wollten, wurden gestandene Antifaschisten vom Thekenpersonal unter Generalverdacht gestellt: „Bist du ein Burschi oder was?“
Weil gerade Zugehörigkeit und Gesinnung immer auch unsichtbar sind, sozusagen im schönsten Stressmob-Actionwear-Schafspelz ein Wolf verborgen sein könnte, mahnen zusätzlich Plakate und Bierdeckel-Aufdrucke zur permanenten Wachsamkeit gegen sexuelle Übergriffe und Verbrechen. Die „antisexistischen Bierdeckel“ sind besonders interessant und können stellvertretend für den Umschlag von Solidarität in Paternalismus und Kontrolle analysiert werden. In fünf abgebildeten „Übergriff“-Szenarios wird die Passivität der jeweils viktimisierten Frau als total imaginiert, die Ratschläge richten sich nicht an das prospektive Opfer sondern empfehlen einer dritten Person Handlungs- und Wahrnehmungsweisen an, die meistens selbst übergriffig sind. Die Bierdeckel sind allein ihrer Form nach Propaganda. Mit jedem Schluck soll ein moralisches Wahrnehmungmuster ins Unbewusste transportiert werden. Was an Komplexität solche Situationen ausmacht, wird in Bild und Wiederholung geplättet.
Zunächst aber wäre zu klären: Woher aber kommt diese relativ junge Angst, dieses Gefühl, sich in einem permanenten Abwehrkampf gegen sexuelle Übergriffe zu befinden? Wer in eine bürgerliche Kneipe geht, wird möglicherweise einen Rassisten am Nachbartisch vom Leder ziehen hören. In aller, wirklich aller Regel aber kann jede und jeder in einer durchschnittlichen Kneipe friedlich sein Getränk zu sich nehmen und muss schlimmstenfalls befürchten, vom Nachbartisch von endlosen Belanglosigkeiten und grausam inhaltsleerem Geschwätz oder einer Junggesellinenparty belästigt zu werden. Die Bierdeckel gestehen das implizit ein: Es wird überhaupt nicht jene rituelle sexuelle Belästigung visualisiert, wie sie tatsächlich in manchen rückständigeren Orten gerade unter Alkoholeinfluß noch usus ist und wie sie auch der männliche Autor dieses Textes am eigenen Leib erfahren hat. Strategien gegen sexuelle Belästigung und Vergewaltigung zu denken und zu üben macht Sinn, aber deren permanente Visualisierung im öffentlichen Raum ist der Instrumentalisierung für andere Zwecke verdächtig.
„Eigentlich wissen wir es ja. Auch an Orten wie diesem suchen Täter ihre Opfer aus und treten in Aktion – vor unser aller Augen. […] Blicke, Nachgehen, anzügliche Bemerkungen und vieles mehr können jedoch schon Übergriffe sein. Nicht selten gehen sie einer Vergewaltigung voraus.“
Die Bierdeckel-Szenen stilisieren noch Blicke zu „häufigen“ Vorläufern von Gewalttaten und Schaulust hoch. Eine versonnene ästhetische Betrachtung des Anderen wird der grinsenden, abgefeimten Gewalt verdächtig, die des regulierenden Eingriffs einer aufmerksamen, bierdeckelsensibilisierten Person bedürfe, unter Umständen selbst dann, wenn es der oder die Betrachtete selbst nicht bemerkt oder stört. Diszipliniert wird nicht erst durch konkrete Situationen, sondern durch ein Panoptikum, in dem alle sich gegenseitig überwachen und kontrollieren. Mit dem so erzeugten generellen Verbot der optischen Anbetung des Schönen aber wird das Schöne selbst unbewusst durchgestrichen, seine Attraktivität beneidet. Etwas darf schön sein, aber niemand anderes darf es zu lange betrachten. Ein mythologisches Verhältnis spannt sich da auf, das des Medusenhauptes auf der einen und des bösen Blicks auf der anderen Seite. KünstlerInnen und Verliebte studieren Gesichter und Körper, können sich darin verlieren und mitunter vergessen, dass sie mit ihrer bornierten, ewig blickenden Sprachlosigkeit hinter der Oberfläche ein Individuum verunsichern und zum Mittel für ihren Zweck machen. Diese ambivalente und durchaus latent „übergriffige“ Blickerotik wird auf einmal als Vorbote der extremen Gewalt verdächtig, man muss sie daher überall erblicken, erkennen, überwachen und verfolgen, in keinem Fall tolerieren: „Aber wir sehen keine Alternative.“ Auch wo ein lüsterner, älterer Mann jungen Frauen beim Gespräch nur zusieht, und diese sich daran stören, ohne es verbalisieren zu können, steht am Rand des Bierdeckels eine bezeichnende Reihe von Universalrezepten: „feuer rufen, eineinsnull, hilfe holen, öffentlich machen, laut werden, zuschlagen.“ Wie eine angemessene Kritik der Schaulustigen und ein reifer Umgang der männlichen oder weiblichen Schönen mit neidischer oder lüsternerner Schaulust der Anderen zu gestalten sei, denken auch die ausformulierteren Texten über „Blickregimes“ oder „Lookism“ nicht an. Wahlweise ist ihnen der Blick aufs Schöne oder das Schöne selbst verdächtig. Suggeriert wird eine Welt ohne Übergriffe, ohne die alltägliche Zumutung, dass eine Gesellschaft vermittels des Kapitals auf Körper und Geist zugreift, diese für ihre Zwecke verwendet und meist nur ein klägliches Äquivalent dafür bietet. Aufstehen müssen, Bus fahren, seine Arbeit begutachten lassen, sich von nicht so schönen Menschen ansehen, das heißt konsumieren lassen, in einer Kneipe der einzige Nichtraucher sein – das alles heißt Übergriffe am eigenen Leib zu erleiden, die regressive Ausflucht ist die Monade, der Schutzraum, das private, in dem niemand mehr irgendwie übergreift.
Zu begrüßen wäre, wenn tatsächlich betroffene Individuen zu Kommunikationsstrategien und Wehrhaftigkeit gegenüber sexueller Belästigung ermutigt würden, idealerweise in Workshops oder irgend dialogisch. Antisexistische Bierdeckel definieren aber eher neue Formen des Unzumutbaren (Blicke vom Nachbartisch, ein Augenzwinkern, nicht allein auf einer nächtlichen Straße unterwegs zu sein), sie fühlen in steter Wiederholung vor, was Individuen widerwärtig oder verängstigend zu finden haben, und sie steigern so zuallererst die Angst der potentiellen Opfer. Das unterscheidet die wünschenswerte, selbstverständliche und doch nicht zwangsläufige Solidarität mit Opfern vom Paternalismus, der die „Hilfe“ immer mit narzisstischen Boni belohnt und sein Objekt gewiss nicht zur Emanzipation führt.
Einer Frau, die ganz gut brüllen, drohen, einen „Candywrapper“ anwenden oder an entsprechender Stelle zutreten könnte, versichert Bierdeckel Nr. 1, man würde ihr diesen Akt der Aggression abnehmen. Sie soll so wehrlos bleiben, wie man sie erzogen hat. Emanzipation bedeutet aber auch den anstrengenden Verzicht auf die allzu selbstverständliche feminin-passive Auslagerung von Aggression an Dritte, eine Strategie der Kollusion. Aggression und Gewalt darf und soll in dieser Konstellation nur männlich sein – das weibliche Ideal bleibt narzisstisch rein von verfemter Aggressivität. Diese zutiefst patriarchale und ökofeministische Erbschaft aufzukündigen ist nur durch ein Zurückführen von Frauen an den verlernten strategischen Einsatz von Aggressionen möglich, nicht aber durch die regressive Bestätigung ihrer angeblich ontologischen Wehrlosigkeit auf Bierdeckeln.
Wahrscheinlicher will die permanent evozierte Bedrohung auch etwas anderes erreichen, einen Distinktionsgewinn. Wenn die invasive Außenwelt nur noch als Hort von Vergewaltigung, unreglementierten Trieben und Gewalt imaginiert wird, kann dadurch die eigene Burg gefestigt werden. Foucault hat in seinen lesbarsten Stellen ein tiefes Misstrauen gegen eine Strategie formuliert, die einen Herrschaftsanspruch als Fürsorge tarnt. An den Hausordnungen der linken Räume ist bemerkenswert, dass Verantwortung gern departementalisiert wird: Stets ist die Versicherung da, dass man sich kümmern werde. Die Vermittlung durch das Thekenpersonal ist nun nicht aus dessen besonderer Schulung im Umgang mit sexueller Gewalt oder Konfliktmediation abgeleitet, sondern aus der Machtposition.
Diese Macht verspricht den Anwesenden Ruhe und Identität. Die in den Kneipen versprochene Sicherheit muss aber kontinuierlich durch Ermahnungen auf Getränkekarten, Plakaten, Bierdeckeln gestört werden. Um Ruhe zu schaffen, wird die Bedrohung permanent, mit jedem Getränk, visualisiert, exerziert und zelebriert. Dass dadurch tatsächlich Traumatisierte in ihrem Ruhebedürfnis ernst genommen werden, ist zweifelhaft. Die allgemeine Folge einer solchen Ritualisierung ist eine stets aufgereizte, stimulierte Angstlust und insgeheim womöglich eine Identifikation mit den bildlich vorgeführten Vergehen.
Historisch war die autoritäre Inbetriebnahme von sexuellen Gewaltängsten/-phantasien Teil der fürchterlichsten Regimes, allen voran der Nationalsozialismus. Dessen Nacktkörperkultur und Natürlichkeitswahn, von Fetischismus und Aggression vermeintlich gereinigte Sexualität, ging mit dem Wahnbild einer invasiven Außenwelt einher, in der Afrikaner und Juden ihr sexuelles Unwesen treiben würden. Das Verhältnis von Sexualneid und Rassismus wurde hinlänglich analysiert. Der puritanischere Ku Klux Klan lynchte vor allem schwarze Männer, der konstruierte Vorwurf war fast immer die „Vergewaltigung einer weißen Frau“. Im Kambodscha der roten Khmer galt jegliches Private verdächtig, Familien wurden zerrissen, die dünne Reiswassersuppe musste in den schlimmsten Distrikten im Kollektiv eingenommen werden, um die allseitige Kontrolle auszuüben und bei geringsten Delikten „im Interesse der Allgemeinheit“ Menschen zu liquidieren. Die „fürsorgliche“ Überwachung des Privaten hat eine so perfide Tradition, dass ihr äußerstes Misstrauen selbst dort entgegen zu bringen ist, wo sie sich antitotalitär gibt. Anzusetzen wäre zuerst an der Schimäre der Außergewöhnlichkeit, der narzisstische Überhöhung, dass diese „Sensibilisierung“ für die Linke neu und spezifisch sei. Jeder „Tatort“ und jeder Horrorfilm kultiviert schließlich die Angst davor, dass auf neugierige Frauen nur Vergewaltigung und Tod warten, dass das liebenswerte Date sich als Psychopath entpuppt, dass die Wälder von kindsentführenden Mafiosi wimmeln und hinter jeder dunklen Ecke ein Monstrum auf sein Opfer lauert.
Der linksautonome Antisexismus schlug mehrfach schon in verfolgenden Autoritarismus um. Als einige gegen „den Sexismus“ Protestierende in Marburg einen mit fadenscheinigen Argumenten als sexistisch identifizierten Vortrag verhinderten, entwarfen sie spontan ein Submissions-Ritual. Wer den universitären Veranstaltungsraum betreten wollte, sollte unter einem aufgespannten Transparent hindurchkriechen. Dieses Ritual ist so alt wie archaisch: In Gallien wurde das römische Heer von den Tigurinern besiegt, diese schickten die besiegten Soldaten unter einem Joch hindurch. Herrschaft über Andere in deren Körper einzuschreiben ist eine der perfidesten und ältesten Machtstrategien. Vermeintliche Herrschaftskritik schlug in Marburg um in unreflektierteste Herrschaftsausübung, in Heimzahlung und Zurichtung des Anderen durch dessen gebeugten Körper.
Solche Rituale zeugen von einem erschütterten Selbstvertrauen in die sprachlichen Fähigkeiten, in den Begriff. Die wütende Aktion folgte begriffsloser Identifizierung. Man will, gegen die Freudsche Kränkung aufbegehrend, Herr im „eigenen“ Haus sein und lässt gerade dadurch seinen niedrigsten Lüsten – Häme, Heimtücke, Rache, Verfolungslust – freien Lauf. Einer der Veranstalter wurde denunziert, ein Anruf bei seinem Chef sollte seinen „Rassismus und Sexismus“ bloß stellen, was fast zu seiner Entlassung geführt hatte. Natürlich haben die Aggressiven „keinen Verdacht auf sich selbst“, wie man in der Psychotherapie umgangssprachlich sagt. Sie sind „unschuldige Verfolger“, in gerechter Sache aggressiv, es läuft alles ganz logisch auf Notwehr hinaus, denn „wir sind die Guten“, wie man auf Demonstrationen gerne skandiert. Mit dem gleichen Argument wurde in einem Szenelokal das Hausverbot gegen einen der verhinderten Veranstalter ausgesprochen, der Begründung zufolge hätten der ausgewiesene Mensch „beschissene Texte“ in einem Blog geschrieben, die das avantgardistische Selbstbild offenbar so tief kränkten, dass der Nachweis für sexistische, rassistische oder antisemitische Zitate gar nicht mehr erbracht musste. Aus dem Vorwand des Schutzes von potentiellen Opfern von Sexismus und Rassismus wurde ganz konkret ein systematisches und organisiertes Verfolgen von Andersdenkenden. Das gleiche Phänomen spielt sich überall ab, wo Bahamas-Autoren in Dialog mit Kritikern und Anhängern treten wollen – die bundesweite Verfolgungsjagd auf diese Kritiker der Linken ist längst Realität.
Es ginge, wenn Begreifenwollen einsetzte, auch anders. Man könnte den Individuen ihre Selbstverantwortung zurück geben, statt sie erst durch die Imagination übermächtiger Bedrohungen einzuschüchtern, und ihnen dann als einzigen Ausweg die Autorität des Kollektivs anzuempfehlen. Anstatt Plakate aufzuhängen, die sich sinngemäß an potentielle Vergewaltiger richten, und dadurch Vergewaltigungsopfern suggerieren, eine Missverständnis auf der Kommunikationsebene oder theoretische Unbildung habe beim Täter vorgelegen; anstatt mit solchen Plakaten die Vergewaltigung als alltägliche Imagination zu inszenieren, wie jene prüde Kirchen-Pornographie, die ihre Lust an Abbildungenen als Denunziation abnormalen Verhaltens tarnt; anstelle einer solchen Veralltäglichung des Sexualverbrechens könnte man Frauen und Männer analytisch bilden, ihnen komplexere Begriffe anempfehlen durch ausgearbeitete Texte, ihnen Strategien aufzeigen, Nein- und Ja-Anteile an sich selbst und an anderen zu erkennen, abzuwägen und angemessen zu artikulieren, schlichtweg ihnen beizubringen, nett zueinander zu sein, ohne gleich den immer riskanten und kränkungsgefährdeten Verführungsversuch oder die sexuelle Dimension aller zwischenmenschlichen Beziehungen zu kriminalisieren.
Das Missverhältnis zwischen der Arbeit an Begriffen und Tanzveranstaltungen ist allerdings eklatant. Gut möglich ist, dass dadurch erst die Angst genährt wird. Es fehlen Begriffe und Worte, wenn Kommunikation durch Lautstärke und Alkohol unterdrückt wird und letztendlich nur noch begriffslose somatische Emotion herrscht und allenfalls mit Tanzstilen Attraktion und Attraktivität, Zugehörigkeit und Ablehnung kommuniziert werden kann. Sprache und Körper verfließen, die Angst vor der sprachlichen Verletzung gleicht sich der Angst vor dem körperlichen Übergriff an, wer „beschissen“ schreibt, beginnt plötzlich tatsächlich zu stinken und muss weggespült, verwiesen, verboten werden.
Was wäre der politischen Sache verloren, wenn nicht nur die mit Hausverbot bedachten antifaschistischen Feministen und Kritiker der Linken sondern vielleicht sogar ein Verbindungsstudent in einer solchen Örtlichkeit gelegentlich sein Bier trinken würde. Wäre man sich seiner intellektuellen Überlegenheit zutiefst gewiss, man könnte freudig eine Gelegenheit wahrnehmen, das rhetorische Geschick am willkommenen Gegner zu testen. Das beinhaltet aber die Gefahr, auf religiöse Anteile der eigenen Ideologie zu stoßen, unbegriffene Natürlichkeiten erschüttert zu sehen. Glaubt man denn wirklich, dass ohne Verbote die Infiltration der stickerbewehrte Institution – die allein durch die Aufkleber und die ranzigen Kritzeleien so oft an ein Kinderzimmer erinnern, das vor den Eltern geschützt werden muss – glaubt man also wirklich dass die Invasion der verrauchten Schuppen durch Burschenschafter anstünde oder macht man sich insgeheim die Welt durch ein sattes Stück Unfreiheit, Intoleranz und Unehrlichkeit vor sich selbst erträglicher?
Kritik an der derzeitigen Praxis ist selbst dort zu leisten, wenn sie ihr Recht hat, bei tatsächlichen Übergriffen. Die notwendige Abwehr „Hausverbot“ masst sich mitunter an, das Strafrecht zu ersetzen: In Frankfurt wurde einem als geständig bezeichneten Vergewaltiger ein Hausverbot erteilt – von einer Strafanzeige wird dem Opfer implizit abgeraten, das linke Recht sei dem bürgerlich-politischen durch die „Definitionsmacht“ überlegen. Ein solches Verhalten ist perfide: Das Opfer wird „geschützt“ – solange es sich ans Kollektiv bindet und in dessen Räumen aufhält. Es wird an diesem Punkt mit Leib und Seele abhängig gemacht von seiner politischen Gesinnung. Im konkreten Fall wird noch ein Kollektivgewinn herausgeschürft: „Bei einer Vergewaltigung sind alle betroffen. Sie ist keine Privatangelegenheit, sondern muss als politische, nämlich sexistische Gewalt politisch geächtet werden.“
Das Hausverbot schickt sich nicht nur an, bürgerliche Rechtsgrundsätze wie das „in dubio pro reo“ oder das Grundgebot eines festgesetzten Strafmaßes, sondern auch jede Analyse zu ersetzen. Das höchste Interesse der kritischen Theorie lag darin, herauszufinden, wie die Menschen zu dem geworden sind, was sie sind und wie man es sich und anderen begreiflich macht – auch und gerade an den ärgsten der nationalsozialistischen Massenmörder. Das bedeutet nicht den pazifistischen Ausschluß von Notwehr und Aktion, sondern das Primat der Analyse und der Trauer um die Verlorenen.
Ein solches Primat würde endlich auch jenes abscheuliche Identifizieren abstellen, das aus Individuen, die vielleicht in einer schlechten Polemik wirklich danebengehauen haben, auf Lebenszeit einen „Sexisten“ oder „Rassisten“ in toto macht. Wer das einmal „ist“, hat so schnell kein Auskommen. Kontagiös verbreitet sich das Gerücht und es erweitert sich. Hatte sich jemand am ersten Ort wegen einer Plakatzerstörung einen Verweis eingetragen, eilt ihm rasch die Identifizierungswut hinterher und treibt ihn als Gesinnungstäter und prospektiven Vergewaltigungsbefürworter aus allen Institutionen, deren das linke Kollektiv habhaft werden konnte. Es scheint erneut so, als könnte das Selbstbild einer aggressionsbereinigten besseren Gesellschaftsform, der neuen Menschen, nur aufrechterhalten werden, wenn man diesen neuen Menschen hin und wieder einen richtigen Verbrecher präsentiert, der wie die Manifestationen des Verdrängten im Horrorfilm an den Fenstern kratzt. Symptomatisch für diese Form des Identifizierens ist die zeitliche Entfristung von Hausverboten. Nicht wird versucht, zu disziplinieren, gerecht zu sein, Kritik wirken zu lassen, vorzubeugen – das Hausverbot will in seiner derzeitigen Form Identität schaffen und das Kollektiv begründen, das keine anderen Argumente mehr hat und zulässt und in sich schon jene Deprivation ahnt, die es den anderen, willkommenen oder dem Bild zurechtgelogenen Objekten angedeiht, um sie nicht zu schmerzhaft selbst zu fühlen.