Daniel Bax interviewt Sawsan Chebli in der taz – und beide schweigen: zum palästinensischen Mythos.

Für die taz vom 29.6. hat Sawsan Chebli ein Interview gegeben, in dem ihr Daniel Bax – den Leser*innen dieses Blogs wohlbekannt – ihr Schweigen zum Antisemitismus, zur Hamas, zur Hisbollah, zu den Vertreibungen von Jüdinnen und Juden in der arabischen Welt durchgehen lässt und sie in ihrem palästinensischen Mythos bestätigt.

Chebli: „Wir wachen mit Bildern von toten und verstümmelten Kindern auf und gehen mit Bildern von toten und verstümmelten Kindern ins Bett. Und von der deutschen Öffentlichkeit erfahren wir kaum Empathie und Solidarität, sondern Ausgrenzung, Misstrauen und immer öfter puren Hass. Es tut weh zu sehen, dass so viele Menschen, die sonst laut sind, wenn es um Menschenrechte geht und darum, Grundrechte zu verteidigen, zu Gaza schweigen.“

Wer sich irgend mit der Thematik kritisch befasst hat, würde nachhaken: Woher kommen diese immer öfter von Künstlicher Intelligenz gefertigten Bilder? Warum werden sie von bezahlten Accounts systematisch in die Timelines von Menschen gespült, um genau diese Emotionen zu schüren? Schließlich weiß jede und jeder, dass die Hamas diesen Krieg nicht für strategische Siege führt, sondern dass solche Bilder das Ziel sind.

Wieso hat die mit besten Informationskanälen vernetzte Chebli nicht vor 10 oder 15 Jahren alles daran gesetzt, ihre Community über die Tunnel, von denen ja jeder wusste, zu informieren und vor dem unweigerlichen Krieg zu warnen, den die Hamas im Untergrund vorbereitete und plante? Chebli spricht sich einfach frei mit einer „Verurteilung“ der „schlimmen Verbrechen“, die „auch die Hamas“ begangen habe. „Auch die Hamas“, so insinuiert Bax, und meint damit nichts anderes als eine Gleichsetzung: Wie Israel – so auch die Hamas.

Eine immer noch einmal wiederholte Propagandalüge ist, dass über Gaza „geschwiegen“ würde. Das steht in offenem Widerspruch mit Cheblis Eingangsbekenntnis, dass man morgens bis abends Propagandabilder von Kinderleichen konsumiere. Es widerspricht aber auch jedem westlichen Pressespiegel. Anders als zum Krieg in Sudan, Jemen oder zum Islamischen Staat im Kongo, die allenfalls auf Seite 17 eine Kurzmeldung erhalten, erhält man jeden Tag Berichte in Radio und Print über Gaza, kaum eine Woche ohne Stellungnahme aus dem auswärtigen Amt mit den immergleichen Sprechakten und Zauberformeln: Zweistaatenlösung, aber auch die Hamas, Waffenstillstand.

Chebli verbreitet und verstärkt den palästinensischen Mythos. Diesem Mythos zufolge wurden die nichtjüdischen Araber aus dem blauen Himmel heraus aus Israel vertrieben und erfahren bis heute Ungerechtigkeit und in Deutschland antimuslimischen und antipalästinensischen Rassismus. Die Kritik daran ist Chebli natürlich wohlbekannt, sie lautet: die arabischen Staaten haben Israel im Namen des Islams und der arabischen Einheit angegriffen und Jüdinnen und Juden mit einem Genozid bedroht. In siegessicherer Erwartung desselben haben die arabischen Staaten die nichtjüdische Bevölkerung zur zeitweisen Räumung aufgefordert: gepaart mit dem Versprechen, sich nach dem Sieg das Land der Juden aneignen zu dürfen.

Nachdem der Genozid wider Erwarten und nur dank extrem glücklicher verketteter Zufälle scheiterte, u.a. weil die israelische Armee zusätzlich einige strategisch überlebenswichtige Korridore von der muslimisch- und christlich-arabischen Bevölkerung räumte, weil also Israel wider Erwarten 1949 noch existierte, vertrieben und beraubten die arabischen Staaten bis zu einer Million Jüdinnen und Juden. Anders als Chebli, die nach Israel einreisen und den Geburtsort ihrer Großeltern besuchen konnte, ist Jüdinnen und Juden oder Menschen mit israelischem Pass die Einreise in viele islamisch geprägte Staaten pauschal verwehrt.

Zudem erhalten die meisten islamischen Staaten den Kriegszustand mit Israel aufrecht und fördern ständigen Terror durch PFLP, Fatah, Hamas, Islamischer Jihad, Hisbollah, Islamischer Staat, Al-Qaida und einige jihadistische, in Westjordanland und Gaza verankerte Gruppierungen mehr.
Chebli schweigt davon, weil für sie „die Palästinenser“ Opfer sind. Sie hat auch keinerlei Idee davon, wie Menschen in Israel mit der Bedrohung umgehen sollen – einfach weil deren Leid unhörbar wird in der Kakophonie des palästinensischen Mythos. Schließlich treffen die Raketen der Hisbollah unterschiedslos auch nichtjüdische Menschen in Israel. Letztlich geht es dem palästinensischen Mythos gar nicht um konkrete Menschen. Es geht ihm um die Verkehrung von Tätern und Opfern.

Chebli, die beste Einblicke in die palästinensische Szene hat, die Kritik auch ausformuliert kennt, entscheidet sich für den Mythos und gegen eine Selbstkritik der palästinensischen Nationalbewegung, ihren Mythos, ihre Bereitschaft zur Produktion von Propaganda und von toten Kindern. Die ehemalige Staatssekretärin und Pressesprecherin des auswärtigen Amtes gibt sich aber unbedarft und sieht im Gegenteil den „Antisemitismusbegriff entgrenzt und instrumentalisiert, um legitime Kritik zu unterbinden“. Wer das wie macht, bleibt unbesprochen, es genügt, dergleichen geraunt zu haben. Solcher Jargon ist primär Selbstauskunft: Schließlich entgrenzt Chebli den Rassismusbegriff und instrumentalisiert ihn, um legitime Kritik am palästinensischen Mythos und am Koran zu „unterbinden“.


Rassismus heftet sich an nicht veränderbare Äußerlichkeiten: Herkunft, Hautfarbe, „Blut“. Antiarabischer Rassismus, wie ihn der Rechtspopulist Friedrich Merz nach dem Attentat des IS in Solingen verbreitet, richtet sich z.B. gegen „die Syrer“ und diskriminiert unterschiedslos Musliminnen, Christinnen, Atheistinnen, Jüdinnen syrischer Abstammung.

Wer aber Misstrauen gegen Angehörige einer Religion hat, deren heiliges Buch einem nichts als den Tod verspricht, sollte dieses auch verlautbaren dürfen: Warum glaubt ihr diesen menschenfeindlichen Quatsch? Warum enthält euer heiligstes Buch nichts als die Herrschaftsideologie eines Warlords, der seine Mordbrennerei und Raubzüge als heiligen Krieg rechtfertigte und seinen Anhängern nur mit einer einzigen Strategie missioniert: der Wahl zwischen Paradies oder Höllenstrafen? Warum soll ich da kein Misstrauen haben?

Geboten ist, dieses Misstrauen einer reifen Menschenkenntnis zu unterwerfen und dem Individuum zuzugestehen, dass es in Zwänge hineingeboren wurde und darin lebt und womöglich eigene Wahlen getroffen hat, die dem Charakter des eigenen heiligen Buches grundlegend widersprechen. Was den Rassismus, der sich einer Korankritik bedient, ausmacht, ist die Entgrenzung: zunächst alle Angehörige einer Religion die gleiche Frömmigkeit und Orthodoxie zuzusprechen, die der Koran von ihnen erwartet, dann alle Andersgläubigen gleicher Abkunft mit diesen zu identifizieren und dann Maßnahmen zu entwerfen, die den Menschenrechten widersprechen. Der Rassist will ein Verbot von Moscheen, obwohl das dem Recht auf Religionsausübung widerspricht, er will eine sofortige Abschiebung oder Nichtaufnahme von Muslimen, obwohl das dem Menschenrecht auf Asyl widerspricht und letztlich läuft es auf den Mord durch Naturgewalten an Geflüchteten oder Selbstschussanlagen hinaus, bevor diese überhaupt eine Wahl hatten, sich von der Ideologie des Korans zu lösen.

Islamkritik, oder präziser: Korankritik richtet sich an die Besucher*innen der Moscheen und konfrontiert diese mit dem Inhalt des Korans. Und die Kritik des palästinensischen Mythos spricht den Kindern in Gaza nicht das Opfersein ab, sie beharrt aber darauf, dass ihr Tod Teil einer Strategie der Hamas ist. Diese Strategie basiert darauf, Dillemata für den israelischen Staat zu errichten: dieser hat die Wahl, entweder dem Jihadismus und seinen diplomatischen Bündnisnarren die Sicherheit der eigenen Bürger*innen zu opfern, oder dem Jihadismus die Produktionsmittel für den Krieg zu entwenden, die Tunnel zu zerstören, die Raketenbunker zu sprengen, die Anführer und möglichst viele Kämpfer zu töten.

Die Hamas hat hinreichend und wiederholt bewiesen, dass für sie ein Waffenstillstand nur zur Vorbereitung des nächsten Schlages erstrebenswert ist. Derzeit sind ihre Strukturen und ihre Reputation derart geschleift, dass ein Wiederaufbau zu ihrer vorherigen Stärke wenig wahrscheinlich ist. Ihr Hauptinteresse ist daher, den Propagandakrieg gegen Israel auszuweiten und den Kriegszustand zu prolongieren. Nach diesem Prinzip handelt auch die Hisbollah, die keinen strategischen Sieg erzielen kann und lediglich im Auftrag Irans einen permanenten Kriegszustand aufrecht erhalten will, um Israel größtmöglichen ökologischen, diplomatischen und ökonomischen Schaden zuzufügen. Angesichts der ständigen Taktik von Hamas und Hisbollah, die Grenzen zwischen Zivilist*innen und Kämpfern zu annulieren, ist die Konsequenz der IDF umso bewundernswerter: Die Trennlinie immer neu zu verteidigen und zu ziehen und in jeder Pressemitteilung auch gegenüber den eigenen Soldat*innen darauf zu bestehen, dass diese gezogen wird. Das ist kein kleiner Unterschied, das ist der zentrale Unterschied in diesem mythologischen Krieg zwischen einer Ideologie, die erklärtermaßen das Leben an sich verachtet und alle Errungenschaften der Demokratie für die Strategie einer jüdischen Weltverschwörung hält, und der in Israel vorherrschenden Überzeugung, dass das Leben schützenswert und wertvoll und individuell ist.



„Fluchtnostalgie“ – Jan Feddersen mobilisiert gegen Empathie und Engagement

Der gesellschaftliche Rechtsruck fordert seinen Tribut auch in linken Zeitungen und Magazinen. Die Übung, nicht in Routineabwehr zu verfallen und reale Angriffspunkte der Rechten aufzuspüren ist ja zunächst einmal Selbsterhaltungsstrategie politisch bewusster Menschen. Ab und an sollte man sich angesichts der Abgewracktheit der Linken fragen, ob und wo die Rechte inzwischen, wenngleich aus falschen Beweggründen, punktuell zur Avantgarde mutiert ist.

Da gäbe es vieles: Die Qualität rechter Propaganda hat – durch Thinktanks befeuert – ungeahnte Höhen erreicht und die digitale und ästhetische Überlegenheit der Linken gebrochen. Das Problem des Antisemitismus ist in der Linken global völlig unerhellt und in der deutschen Linken allenfalls in schrumpfenden Randgruppen präsent. Die Einheit von Konsumgesellschaft und Arbeiter*innenhedonismus und die Dialektik von (notwendigen) Kulturkämpfen bleiben ungelöst, wenngleich sie nirgends so ausführlich diskutiert werden wie in linken Publikationen.

Was aber wählt Jan Feddersen als „wunden Punkt“ der Linken? Ausgerechnet eine „Fluchtnostalgie„.
Einen Popanz also. Es geht mit leeren Behauptungen los: „In nichts ist die linke, alternative, grüne Szene so gut, so versiert, so rhetorisch sattelfest wie im Abwiegeln realer Probleme.“

Wo lebt und liest Feddersen? Die Veröffentlichungen von Rosa-Luxemburg-Stiftung und Heinrich-Böll-Stiftung zählen zu einem der letzten Resorts der Benennung realer Probleme auch dort, wo das der eigenen, behäbigen Parteiapparatur zuwiderläuft. Aber es geht für Feddersen ja vor allem um ein ganz besonderes Problem: Ausländer. Man dürfe „weder über Geflüchtete, schon gar nicht über den Islam“ reden. Wir lesen dann aber nichts über den Islam, diese chauvinistische, suprematistische Religion eines narzisstischen Sektenführers aus der arabischen Halbinsel. Auch nichts über harte islamistische Strukturen wie die Hisbollah in Deutschland oder die Muslimbruderschaft, die nicht selten bestens mit der CDU zusammenarbeiten. Nein, es geht um drei Menschen, die aus welchen Motivationen auch immer zu Gewalttätern und Mördern wurden, das heißt, um die drei Täter ohne deutschen Pass und aufgewachsen in „männlichen Kulturen, denen zufolge nur ein Mann mit einem Messer ein echter Kerl ist.“ Wo soll das so sein? In islamischen Ländern läuft man nicht mit einem Messer herum. Lediglich in Jemen ist der Prunkdolch verbreitet, mit dem man allerdings schwerlich einen Messerkampf gewinnt. Mit einem Messer läuft man dort herum, wo in westlichen Großstädten der Kapitalismus den Menschen einschärft, dass sie Alphas zu sein haben, die es um jeden Preis schaffen müssen und dass der Dumme ist, der sich hier etwas bieten lässt und dass die Schwachen untergehen. Es ist eher die Ideologie der FDP, die sich hier austobt, als die des Islams, der häufig eher noch mäßigend wirkt durch Einbindung von Jugendlichen in rigide Strukturen und das Angebot, Aggression zu ventilieren gegen den Zionismus oder Frauen oder sich selbst.

Feddersen schaut sich aber drei Gewalttaten an und nickt der AFD-Propaganda anerkennend zu: Die Konsequenz hat Abschiebung zu sein. Da höhnt er: „Und soll man sie abschieben? Aber nein, wie menschenverachtend ist das denn!“ Und fordert dann:
„Seitens der Grünen und Linken darf es kein Tabu sein, offensiv über Konzepte der Abschiebung von straffällig gewordenen Migranten und Migrantinnen nachzudenken.“ Weil: „Wer das alles nicht will, riskiert nicht nur die Thematisierung dieser Konflikte durch Konservative und Rechtsextremisten, sondern auch eine Schließung der Grenzen, gegen die der eiserne Vorhang ein Witz war.“

Wir sind also schuld, am eisernen Vorhang und schlimmeren Dingen. Weil wir – ganz Risikoverhalten – partout nicht offensiv abschieben. Logisch. Wir erinnern uns: die Republikaner, die NPD und die DVU in den 1990ern sind verzweifelt an den Konflikten mit der Einwanderung und haben vor brennenden Flüchtlingsheimen „Konflikte thematisiert“. Flüchtlingsheime, in denen laut Feddersen Grüne und Linke nicht auftauchen. Die würden in Wohlstandsvierteln leben, ihre Kinder in Privatschulen schicken und nicht mitbekommen, was in migrantischen Vierteln abginge. „Wer die eigene Brut (!) sicher und störungsfrei durch das Bildungsmeer segeln lassen will, findet Wege.“

Was für ein Zynismus. Es waren Linke, die fast die gesamte Last der Hilfe für Geflüchtete ehrenamtlich trugen und organisierten, teilweise noch auf Kosten der eigenen Kinder. Es waren Linke, die die Zustände in den Heimen dokumentierten und die Welle von Brandanschlägen auf Geflüchtete. Es waren Linke, die mit kurdischen Großfamilien nach Hause gegangen sind und dort eine Flut von Schulbriefen, später dann noch während der Coronazeit alle möglichen Maßnahmen übersetzten, Konflikte mit Vermietern klärten, Impftermine organisierten, Stromrechnungen, Geldstrafen für den obligatorischen illegalen Grenzübertritt vermittelten, Aufklärung über Kinderschutz und Geschlechtskrankheiten leisteten. Es sind Linke, die auf den Rettungsschiffen ihre psychische Gesundheit opfern dafür, einem längst zynischeren und großräumigeren Abschottungssystem als die Berliner Mauer ein paar gerettete Menschenleben abzuringen.
Feddersen lügt sich hier einfach noch einmal zentnerweise in die Tasche, um endlich über Abschiebungen zu reden, die ein Tabu seien.

Aber auch da sind es doch Linke, die über Abschiebungen sprechen. Die mit Menschen noch auf den Flughafen gehen, wo sie nicht heirateten, versteckten, Anwälte organisierten, Kirchenasyl vermittelten. Es sind Linke, die das Verhalten von AFD-nahen Abschieberichtern dokumentieren. Wie Menschen in den Tod springen, um einer Abschiebung zu entgehen. Wie Sali Krasniqi im Kosovo starb, weil er nach einer Herzoperation dorthin abgeschoben wurde und dort erwartbar keine fachgerechte Behandlung erhielt. Wie in Österreich Marcus Omofuma 1999 im Flugzeug bei seiner Abschiebung nach Nigeria mit Klebeband erwürgt wurde. Wie Kinder auf Lesbos suizidal werden, weil die Lager ja niemanden zur Flucht motivieren dürfen.

Nur will Feddersen darüber ja nun auch gar nicht reden, er will über Abschiebungen positiv reden, als Lösung und Strafe. Warum sollen Menschen nicht in Folter, Todesstrafe oder Tod durch äußere Zustände abgeschoben werden, auch wenn sie in Deutschland Scheiben eingeworfen oder sogar Menschen angegriffen oder getötet haben? Weil das eben Tabus sind, zivilisatorische Tabus. Man macht das nicht. Man richtet nicht Menschen hin. Man schiebt einen Menschen nicht nach Afghanistan ab. Man schiebt nicht Jesidinnen ab in den Irak. Man schiebt keine Oppositionellen in die DRC ab. Natürlich gilt das Tabu nur noch für Randgruppen. Schließlich macht macht der deutsche Staat das längst. Bei jedem rechten Propagandawindchen stellt sich einer aus der SPD hin und fordert brutaler abzuschieben und dabei stehen auch immer die gleichen Grünen und applaudieren und stets wird ein neues Asylpaket verabschiedet, das noch weiter geht. Seriell und systematisch und seit Jahrzehnten wurde und wird in Folter und Tod abgeschoben, werden selbst Menschen, die in Deutschland geboren sind, jahrzehnte hier lebten, abgeschoben. Darüber sprechen nur: Linke. Das Tabu gegen Folter und Todesstrafe ist zivilisatorischer Mindeststandard und deshalb sind Menschen, die dieses Tabu nicht kennen wollen, der Formstahl des Faschismus, der von je her nur seine Meinung sagen will.



Singularität – ein toter Begriff

Lebendig sind Begriffe, wenn sie das Begreifen befördern und an Erfahrungen, an Material gebildet werden. Ein Begriff ohne Kenntnis des Gegenstandes verliert seine Bedeutung. Daher beinhaltet Dialektik bei Adorno auch, „die Sache selbst zu begreifen, anstatt sie durch Begriffe bloß zuzurüsten.“ (In: Fragen der Dialektik) Für Adornos pädagogische Philosophie steht die Erfahrung im Zentrum, die abermals „lebendig“ zu sein hat. Der Vorrang der Empirie, der Darstellung, wird in seinen soziologischen Studien betont.

Singularität ist ein toter Begriff. Wer nicht an den Zeugnissen der Überlebenden, an den Funden, an den Dokumenten der Nazis, an ihrer Propaganda begriffen hat, dass ihr genozidaler Charakter grenzenlos war, wird durch das dürre Wort „Singularitär“ nichts hinzulernen. Der Genozid an sechs Millionen jüdischen und zu Juden oder Halbjuden erklärten Menschen war der Kern der gestaffelten und ineinander übergehenden Genozide der Nazis: die Operation T4 mit der Ausrottung von körperlich und geistig Behinderten als „lebensunwertes Leben“, der „Holocaust by bullets“ an jüdischen Menschen in den „bloodlands“, die Vernichtungslager in Auschwitz, Sobibor, Treblinka, Belzec, Majdanek, Stutthof, Chelmno, und die Vernichtung durch Arbeit in den zahllosen Arbeits- und Todeslagern, die Vernichtung der Sinti und Roma, der Politizid an politischen und ideologischen Gegnerinnen, die geplante Versklavung und Dezimierung der slawischen Menschen in den eroberten Gebieten, die mit der Aushungerung Leningrads und der zynischen Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener als Praxis einsetzte.

Gerade wegen der Grenzenlosigkeit der Genozidalität der Nazis ist es Unsinn, eine Kategorisierung des Leidens der Opfer vorzunehmen. Ein Mensch, der zum Verhungern gezwungen ist, leidet ungeachtet der Ideologie der Täter und des Ortes. Ein Mensch, dem Gliedmaßen abgeschlagen, der ertränkt, erschossen oder stranguliert wird, leidet, ein Mensch, dem die Kinder entrissen werden, um sie vor seinen Augen zu ermorden, leidet ungeachtet dessen, ob das während der Shoah oder während der Sklaverei geschah. Dieses Leiden ist so individuell, wie der Sadismus der Täter*innen sich ähnelt.
Was die Ideologie angeht, so ist das Hauptanliegen historischer Kritischer Theorie, die Entstehung der genozidalen, auf Triumph und Regression fußenden Fortschrittsideologie der Nazis aus einer „Dialektik der Aufklärung“ zu erklären, in der Fortschritt nur als Herrschaft über unterworfene Natur denkbar wird und in der Opfer systematisch mit unterworfener Natur identifiziert werden.
Für die Geschichtswissenschaften hat George L. Mosse die Bedeutung des Rassismus für den Antisemitismus herausgestellt, seine Entstehung als Rassenantisemitismus, als Rassismus, unterstrichen. Daher behandeln viele Bücher, die in den 1940er und 1950ern entstanden sind, unter dem Begriff des Rassismus auch ausschließlich oder primär den Rassenantisemitismus der Nazis. In dieser Zeit war mit Rassismus der Antisemitismus gemeint. Entsprechend unbedarft wirken Versuche der Trennung von Antisemitismus und Rassismus heute, weil sie vollständig gegen die historische Erfahrung immunisiert sind. Wahr ist jedoch, dass die Antisemitismusforschung dieser Zeit dem Rassismus gegen Nichtweiße wenig Aufmerksamkeit schenkte und dahingehend eine Rassismusforschung sich erst in den letzten beiden Jahrzehnten und durch gesellschaftliche Kämpfe hindurch annähernd etablieren konnte und musste. Umgekehrt spielte in dieser modernen Rassismusforschung der Antisemitismus kaum noch eine Rolle, so dass eine antisemitische Rassismuskritik und eine rassistische Antisemitismuskritik entstehen konnten, die aus genau diesem Grund jeweils beide die Rassismuskritik wie die Antisemitismuskritik umso notwendiger machen.

Mit „Wege aus der Dichotomie“ spricht Urs Lindner in der tageszeitung einige der Mythen zu Singularität und der Trennung von Rassismus und Antisemitismus an, um sich dann allerdings in weitere Mythen zu verstricken. Ihm zufolge sei angesichts der Genozidforschung die Shoah als „Extremfall“ zu verstehen, der Erlösungsantisemitismus am „Ende eines Kontinuums paranoider Feindkonstruktionen“ verortet. Lindner erkennt die strukturelle Überflüssigkeit des Begriffs „Singularität“, wo er eigentlich „Spezifik“ meint: „Dass Antisemitismus nicht in Rassismus aufgeht, ist trivial. Kein einziger Rassismus geht in seinem Allgemeinbegriff auf.“ Dann allerdings erklärt er ausgerechnet Edward Saids Propaganda von den „Palästinensern“ als „Opfer der Opfer“ zur „Überwindung“ der „Täter:innen/Opfer-Dichotomie“. Zwar erwähnt er die Vertreibung der arabischen Jüdinnen und Juden als Antisemitismus, kann diesen aber nicht sinnhaft mit der Landnahme in Israel in Zusammenhang bringen, die er dann als „kolonial“ markiert. Mit dem „Landkauf“ sei bereits eine „sachlich vermittelte Gewalt“ entstanden, deren „Modell“ die „innere Kolonisierung“ von „Westpreußen und Posen Ende des 19. Jahrhunderts“ gewesen sei. Hier rutscht Lindner in die Gleichsetzung von deutschem Expansionismus im Gefolge des Deutschordens mit dem von Auswegslosigkeit getriebenen Zionismus jüdischer Geflüchteter ab. Der Zionismus blieb über die fast zwei Jahrtausende des jüdischen Exils erhalten, weil Jüdinnen und Juden ihre Religion nicht aufgeben wollten und weil der Antisemitismus zunächst in islamischen, dann christlichen Gesellschaften in Ghettos einzwängte, absonderte, diskriminierte, verfolgte. Der politische Zionismus Ende des neunzehnten Jahrhunderts trug dann nur noch der ohnehin einsetzenden Auswanderung russischer Jüdinnen und Juden in das historische Israel und Judäa Rechnung.

Die Landkäufe mögen wie jeder Landkauf „sachlich vermittelte Gewalt“ gewesen sein. Diese Gewalt richtete sich jedoch primär gegen die jüdischen Geflüchteten: von ihnen forderten die osmanischen Effendis Mondpreise für Wüste und malariaverseuchte Sümpfe, teilweise ein Vielfaches der Preise, die historisch für fruchtbares Land in den USA gezahlt werden mussten. Die ersten zionistischen Siedler*innen starben zu ganzen Dörfern an Krankheiten, Arbeit und Armut und sie mussten ständige Verfolgung, Diskriminierung oder Überfälle aus der islamischen Mehrheitsbevölkerung befürchten. Diese Situation auch nur annähernd mit dem Landkauf von deutschen Adeligen in den fruchtbarsten Ländereien an der Ostsee zwischen St. Petersburg und Warschau zu vergleichen, ist mehr als unscharf.

Falsch wird Lindners Analyse auch, wenn er behauptet, dass diese „sachlich vermittelte Gewalt“ dann im Zuge des Unabhängigkeitskrieges in „unmittelbare Gewalt“ der „Nakba“ umgeschlagen sei. Ein Umschlag fand nicht statt, tatsächlich wurde Israel von den arabischen Staaten angegriffen, um das jüdische Land zu vernichten und zu „nehmen“. Dafür wurde die muslimisch-arabische Bevölkerung von den arabischen Staaten aus aufgefordert und mit Gräuelpropaganda motiviert, die Wertsachen einzupacken, die Häuser abzuschließen, die Schlüssel mitzunehmen, und sich zeitweise, bis zur Eroberung Israels durch die arabischen Legionen, in muslimisch dominierte Regionen zu begeben. In der israelischen Realität ging es – vom mythologisch bedeutsamen Jerusalem abgesehen, im Unabhängigkeitskrieg nicht um Landnahme, sondern um militärische Kontrolle von militärisch extrem bedeutsamen Engpässen. Das den Jüdinnen und Juden zugestandene Flickwerk aus Wüste, Küstenstreifen und einem kleinen fruchtbaren Fleck Land um den See Genezareth herum war militärisch kaum zu halten, solange muslimisch-arabische Bevölkerungsmehrheiten an vulnerablen Stellen die Verteidigbarkeit in Frage stellten. Hier war eine tatsächlich von israelischer Seite aus forcierte temporäre Evakuierung oder Vertreibung einer militärischen Ratio unterworfen, die unmittelbar das Überleben der Jüdinnen und Juden in Israel zum Ziel hatte, die vom Genozid durch die arabischen Legionen bedroht waren. Und hier kämpften Holocaust-Überlebende, Zionist*innen und Alter Jishuv mit improvisierten Waffen gegen eine von Großbritannien ausgerüstete und unterstützte Übermacht. Die Eroberung Ostjerusalems durch die arabischen Legionen unter dem Briten John Bagot Glubb, der seinen Sohn Geoffrey nach dem Kreuzfahrer Gottfried von Bouillon benannte, der Jerusalem eroberte und in Blut waten ließ, sollte klar machen, welche Seite Land durch „unmittelbare Gewalt“ nahm und wem diese „unmittelbare Gewalt“ galt. Jüdinnen und Juden wurden aus den von Jordanien eroberten Teilen vertrieben oder ermordet, Synagogen und Friedhöfe zerstört.

Israel musste nach dem Krieg bis zu einer Million arabischer Jüdinnen und Juden aufnehmen und integrieren. Die anhaltenden Überfälle durch muslimisch-arabische Milizen und Armeen, sowie ausbleibende Reparationszahlungen und die Weigerung, Israel anzuerkennen oder Frieden zu schließen, sind die Bedingungen, die eine Landnahme im historischen Judäa und Samaria begründeten. Diese Gebiete waren und sind bis heute winzig im Vergleich zu dem Land und dem Besitz, der einer Million arabischer Jüdinnen und Juden geraubt wurde. Dahingehend ist selbst der chauvinistischste Anspruch von israelischen Jüdinnen und Juden auf das gesamte Land im historischen Judäa und Samaria nur als Ergebnis einer ausstehenden, tatsächlich gerechten Kompensation für die von muslimisch-arabischer Seite aus erlittenen „unmittelbare Gewalt“, Landnahme und Kosten zu verstehen.

Jeder Vergleich mit dem Kolonialismus verbietet sich an der historischen Faktenlage. Europäische Kolonialmächte verteilten Länder, in denen vorher nie ein Weißer geboren wurde, in denen ihre Sprache praktisch unbekannt war, mit dem Ziel der Extraktion von Rohstoffen und mit einer genozidalen Militärstrategie, die teilweise ohne überhaupt Notiz zu nehmen ganze Sprachen auslöschte.

Im Vergleich dazu existierte in Israel nach der Zerstörung und Ausmordung Israels durch das römische Reich eine „indigene“ jüdische Bevölkerung fort, trotz der ständigen Diskriminierung, zunächst durch polytheistische Römer, dann durch das christliche Rom, dann durch islamische Schutzsteuern, Verbote und Pogrome. Auf 3200 Jahre lässt sich die jüdische Präsenz an archäologischen Funden auf ägyptischen Stelen zurückverfolgen, die älteste bekannte Synagoge ist mit 800 vuZ datiert. Nur wenige andere heute noch existierenden ethnischen Gruppen können eine derartige in Schriften dokumentierte Präsenz vorweisen. Nur weil sie zur Minderheit dezimiert wurden, schmälert das nicht ihren Anspruch – wie auch bei den Native Americans, die teilweise mehrfach vertrieben, umgesiedelt, dezimiert wurden. Der heute wieder auflebende selbsbewusste Nativismus von Jüdinnen und Juden, die Betonung der Bindung der jüdischen Gesellschaft an Israel, das ist keine modische Identitätspolitik, das hat größtes historisches Recht und das ist eine Revolution gegen die antisemitische Behauptung vom „ewig heimatlosen Ahasver“, der nach Belieben verschickt und vertrieben werden kann.
Jüdinnen und Juden haben nun einmal tatsächlich über Jahrtausende hinweg für die Heimkehr nach Jerusalem gebetet. Entsprechend leben rassistische Kurzfilme auf, die Jüdinnen und Juden eine westliche „DNA“ nachweisen und dadurch ihren Anspruch auf Israel leugnen. Dass das osmanische Reich in der Region gezielt Muslime aus dem Balkan und Kaukasus ansiedelte, um die lokalen christlichen Mehrheiten zu schmälern, solche koloniale Bevölkerungspolitik wird nicht erwähnt. Dass die „Palästinenser“ in der Mehrzahl in jüngerer Zeit eingewandert sind, dass Yassir Arafat in Ägypten geboren wurde, dass „die Palästinenser“ vor 1970 als ethnische Gruppe unbekannt waren, auch das versucht die Propaganda von den angeblich „nicht indigenen“ Jüdinnen und Juden projektiv zu verdrängen.

Es gibt eigentlich keinen Konflikt von Theorien. Es ist nicht die Kritik am Kolonialismus, die konträr zur Kritik am Antisemitismus steht. Israels Entstehung war ein Akt des doppelten Antikolonialismus: gegen das osmanische Imperium mit seiner zynischen Bevölkerungspolitik und Diskriminierung der älteren, jüdischen Minderheit, und gegen den europäischen Kolonialismus der Briten, die sich letztlich mit den arabischen Staaten verbündeten, um ihr Imperium zu stabilisieren und heute gegen den islamischen Chauvinismus, der die jüdische Emanzipation rückgängig machen will.
Es ist das Auslöschen von Fakten, von Geschichte, und die nach doppelten Standards vorgenommene Bewertung von Fakten, die in der antikolonialen Bewegung den Antisemitismus hegemonial machte.

Erst wenn „Genozidalität“ im Zuge einer Täter-Opfer-Verkehrung auf die jüdische Seite projiziert und auf der muslimisch-arabischen Seite geleugnet wird, wenn aus den islamischen Tätern und Angreifern auf einmal Opfer werden, wenn die jüdische Landnahme als „kolonial“ gilt, während die islamische Expansion und ihr Anspruch auf ein „Palestine from the river to the sea“ als „antikolonial“ markiert wird, wird der Begriff des Genozids zum Problem. Entsprechend problematisch ist daher auch, dass Lindner auf Facebook einen Kommentar nicht in Schranken wies, der einen Genozid Israels in Gaza behauptete. Hier greift der Begriff Singularität nicht, hier liegt Täter-Opfer-Verkehrung vor. Ginge es um Hunger oder Obdachlosigkeit der Menschen in Gaza, so müsste man nicht mit „Singularität“ argmentieren, sondern zunächst grundsätzlich den Unterschied zwischen einem Genozid und den Folgen urbaner Kriegsführung erklären. Es geht aber bei der Behauptung eines „Genozids“ in Gaza nicht um die Menschen dort oder das, was befürchtet wird. Mit dem erfundenen „Genozid“ soll vielmehr verdrängt werden, dass Israel sich in Gaza gegen genozidale Gewalt zur Wehr setzt, eine genozidale Organisation zerschlägt. Das lässt sich an den doppelten Standards nachweisen, mit denen die Situation in Gaza bewertet wird. In kaum ein Kriegsgebiet werden mehr Hilfsgüter pro Kopf entsandt, werden mehr Hilfswerke abgestellt. Die Situation in Tigray, Sudan, Jemen, Myanmar, erzeugt in den Menschen, die sich über Gaza empören, nicht annähernd soviel Hass oder Aktivismus. Es geht nicht um individuelles Leid, um realistische Strategien, den Konflikt so zu beenden, dass Israels Sicherheit langfristig gewährleistet ist, und die Gesellschaft in Gaza demokratischer wird. Auch wenn einzelne Aussagen von israelischen Politiker*innen an genozidale Propaganda erinnerten, fehlt in den Vorwürfen des Genozids doch ein Abgleich mit der Militärpraxis und ein von doppelten Standards freier Vergleich mit anderen Kriegsgebieten.

Der Begriff der Singularität erweist sich in jedem Fall als unwirksam, wenn nicht sogar als Instrument, den Antisemitismus zu relativieren. Täter-Opfer-Verkehrung, Relativierung und Rationalisierung sind die zentralen Stratageme antisemitischer Geschichtsfälschung. Dass geschichtliche Ereignisse spezifisch sind, ist selbstverständlich, und die Dimensionen des nationalsozialistischen Genozids an Jüdinnen und Juden lassen sich nur durch ausführliche Darstellung vermitteln, nicht durch ein einziges Wort.


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Weiterführend: „Dass nichts Ähn­li­ches ge­sche­he – Kri­ti­sche Theo­rie nach der Wie­der­ho­lung“ (https://archive.org/details/KritischeTheorieNachDerWiederholung)
Das Ähnliche“ (https://versorgerin.stwst.at/artikel/06-2013/das-ahnliche)




Daniel Bax und der Antisemitismus der „Eingeschüchterten“

Ausweitung der Tabuzone„, titelt Daniel Bax in der taz. Er sieht einen „enger werdenden Meinungskorridor“, und zitiert dann Beispiele. So etwa die US-amerikanische Intellektuelle Masha Gessen, die im international renommierten NewYorker über Gaza schreiben konnte: „The ghetto is being liquidated.“
Wer ihren Text liest, weiß, dass sie das nicht unüberlegt gesagt hat, dass sie genau weiß, was Singularität bedeutet, wie die Liquidierung der jüdischen Ghettos durch die Nazis stattfand, dass sie die Hamas als Tyrannen bezeichnet und den Überfall auf Israel verurteilt. Was in ihrem Text nicht vorkommt, sind die Worte „rockets“, „suicide bombing“, „tunnel“ und „Iran“.
Natürlich erscheint Gaza als Ghetto, wenn man davon ausgeht, dass Israel aus purem Amusement Sicherungsanlagen aufrecht erhält. Der Antisemitismus heute bedarf nicht einmal der Lügen, die er natürlich auch in Massen produziert, sondern was ihn am Laufen hält, sind die Weglassungen und Verkehrungen.
Linke Antisemitinnen haben keinen fundamental anderen Wertekanon: Jemand, der einfach so friedliche Kinder bombardiert, ist kein guter Mensch. Menschen sollten nicht hinter Mauern leben müssen. Darauf kann man sich bedenkenlos einigen. Der Antisemitismus aber bewirkt einen blinden Fleck, der partout und seriell und notorisch jene Umstände verdeckt, die dazu führen, dass Israel sich verteidigen muss.

Angriffe auf israelische Dörfer beispielsweise haben Tradition: Von Beginn an waren zionistische Siedlungen als Wehrdörfer konzipiert, weil ständige Angriffe, Sabotageakte und Überfälle die jüdischen Flüchtlinge terrorisierten. Mit der politischen und militärischen Emanzipation der jüdischen indigenen Minderheit in Israel entwickelte sich teilweise ein Vergeltungsprinzip, nach dem solche Attacken mit Gegenattacken beantwortet wurden. Das wird derzeit im Westjordanland wieder praktiziert mit der „price-tag“-Strategie. So wurde nach zwei Morden an insgesamt vier Menschen in der jüdischen Siedlung Eli das Dorf Al-Lubban von aufgebrachten Juden in Brand gesteckt. Propaganda berichtete fast ausschließlich über letzteren Vorfall und verkehrt dadurch Ursache und Wirkung. Die Ursache, dass Israel ab Beginn der 1990er einen Zaun um Gaza baute, waren ständige Infiltrationen von Terroristen aus Gaza.

Die Ursache, dass aus dem Zaun eine Mauer wurde, waren die 151 Selbstmordattentate, die einer Harvard-Studie zufolge 515 Israelis töteten und 3428 Menschen verwundeten. Zwischen 2000 und 2005 zählt die gleiche Studie 25.000 Terrorangriffe auf Israelis: Schüsse, versuchte Morde, Messerangriffe, Steinwürfe.

Die Ursache für die Seeblockade waren die 20.000 Raketen, die von Hamas, Fatah, PFLP, Hisbollah und PIJ auf Israel zwischen 2001 und 2014 abgefeuert wurden. Zehntausende weitere kamen seitdem hinzu.
Der Antisemitismus erklärt diese Angriffe, wo er sie nicht leugnen kann, zum Resultat von Unterdrückung. Je schlimmer die Angriffe, desto stärker muss die Ungerechtigkeit gewesen sein, die die Täter erlitten haben. Dieses Prinzip gilt stets nur für die palästinensische Seite, nie für die israelische. Dass Siedler in Israel die Nase voll haben von Mord und Morddrohungen, von Mauern und Zäunen um ihre Siedlungen, von der Angst um ihre trampenden Kinder, liest man im Allgemeinen nur in israelischen Medien.

Daher ist die „Tabuzone“, die Daniel Bax um seine Seelenverwandten Gessen, Butler, Mbembe und vor allem um sich „enger werden“ sieht, gar keine. Denn Daniel Bax darf noch dem letzten antisemitischen Unsinn, den diese Leute publizierten, in der taz zur „Kritik“ erklären, ohne dass ihm redaktionell jemand gut zuredet. Robert Habeck habe, so beklagt er, die Parole „From the river to the sea“ „gar eine Auslöschungsphantasie“ genannt. Während in Israel doch ebenfalls ein Israel vom Mittelmeer bis zum Jordan gewünscht werde. Bax gibt da vor, die Welt nicht mehr zu verstehen, „doppelte Standards“ seien das. Dabei weiß auch er genau, dass „from the river to the sea“ für einen überwiegenden Großteil der Muslime in Gaza und Judäa und Samaria die Ausmordung der Juden bedeutet. Hier wird kein Staat herbeigewünscht, sondern einer weggewünscht. Nach einem solchen Genozid würden sich die konkurrierenden islamistischen Rackets bekämpfen. Nur konsequent hat das Kulturbüro der Fatah zum 50sten Geburtstag der Organisation sich den Sieg als einen Schädelhaufen vorgestellt und nicht als blühende Landschaften.


In schroffem Gegensatz dazu wäre ein Israel vom Jordan bis zum Mittelmeer die Umsetzung der Balfour-Deklaration, die bereits eine Teilung des Mandatsgebiets in den arabischen Teil, heute Jordanien, und den jüdischen Teil, heute Israel, Gaza und Westbank, vorsah. Dieses Projekt wurde sabotiert, sechs Millionen Menschen wurden als Juden ermordet, eine Million jüdische Araber wurden aus den arabischen Staaten vertrieben. Immer wieder wurde Israel von den arabischen Staaten angegriffen. Heute ist die Bevölkerung gewachsen und Israel braucht mehr Land, als die Wüste und die Sümpfe, die die UN schließlich den Holocaust-Überlebenden zuteilte. Dieser Anspruch ist logisch, er folgt allgemein gültigen Prinzipien der Gerechtigkeit. Das kann Bax nicht verstehen, weil proisraelische Juden für ihn kein Recht auf einen Disput, auf Kritik haben. Der Antisemitismus ist für ihn eine „moralische Panik“, ein Begriff aus der Soziologie, der künstliche Ängste wie die Satanismusangst in den USA der 1990er meint.
Hier offenbart sich der Kern des antisemitischen blinden Flecks: die vollständige Erkaltung gegenüber Opfern des Antisemitismus. Empathie wird von diesen abgezogen und im Übermaß auf die Täter gehäuft. So schließt Bax: „Laut einer Allensbach-Umfrage aus dem vergangenen Jahr glauben nur noch 40 Prozent der Deutschen, ihre Meinung frei äußern zu können und gaben an, sich deshalb zurückzuhalten. Eine Ausnahme bilden nur Anhänger der Grünen und Akademiker. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zu den toxischen Antisemitismus-Debatten in diesem Land. Sie schüchtern viele Menschen ein.“

Das ist rechte Diskursverschiebung par excellence. Aus der Realität antisemitischer Übergriffe, aus antisemitischen Demonstrationen werden bei Bax eingeschüchterte Deutsche, aus der Kritik am Antisemitismus eine „toxische Antisemitismus-Debatte“. Und weil die Tabuzone so eng ist, hat ihm die taz dafür einen Debattenbeitrag eingeräumt, damit er es einmal sagen darf, was Butler, Mbembe, Gessen, Sachs, Klein, Chomsky, Finkelstein, Gaarder, die irische Lehrergewerkschaft, die britische Lehrergewerkschaft, die Students for Justice in Palestine, die BDS-Anhängerinnen, die American Anthropologist Association, das Max-Planck-Institut für Ethnologie, der ANC, der russische Außenminister, die arabische Liga, die UNRWA, was alle von Israel angeblich Eingeschüchterten sich nicht zu sagen trauen und es kurioserweise in allen Medien schreiben und sagen.



The bloodied pants – why feminists and zionists should stay cautious about this clue and rather use strong evidence for the sexual violence of Hamas

Naama Levy was a peace-activist and soldier, until she was abducted on October 7th, 2023. It is unknown, if she is still alive, as she remains one of 17 women in Hamas prisons. She has suffered violence and trauma. When she was captured, she suffered wounds to her head, arms and legs, was brought to Gaza, paraded on a Pickup-truck and then pushed into a seat of the same truck. It is in these brief moments, that a dark stain can be seen on her grey jogging-pyjamas.

This stain has been interpreted as blood and the blood as a result of rape. Activists have reenacted this scene and the bloodied pants are now a symbol of the sexual violence of Hamas. There is strong evidence for sexual violence on 7/10 2023: testimonies by victims and orders found with Hamas soldiers.

The stain on Naama Levy’s sweatpants on the other hand could be different from what it seems. Rather than from bleeding it might be the result of uncontrolled defecation induced by fear and stress or, if it is blood, it has other origins. These are the arguments, why vaginal or anal bleeding might not be the source of the stain:

  1. Blood contains iron and the colour turns into a rusty brown after a while. Nonetheless, if you consider the timespan between the abduction and scene a few hours later, we would expect a gradient of colours. We see fresh, red bloodstains on her trouser from a different origin: her cuts on hands, next to the dark stain, where here hands were forced to rest, on her legs. Determining blood-stain patterns is a science by itself.
  2. The front of the trousers and the crotch are not stained. Blood would soak the surrounding area of the genitalia.
  3. She stumbles out of the van with comparable ease, considering a jihadi pulls at her hairs, her hands are tied and her emotional trauma. The pain from rape resulting in internal bleeding would cause her to flinch at least at certain moments, even considering the numbing effect of adrenaline in such a situation.
  4. In Hamas‘ go-pro-videos, we see hostages sitting in blood puddles and hostages are dragged through other peoples bodies. People hid in places, where faces and mud might have been present.

I am not a forensic expert at all, and my naive, commonsensical reasoning might sound cynical and it might be already discussed and contradicted by experts. There are facts to be missed easily. I consider it likely, that she suffered sexual violence and the short clip proves she suffered extreme violence. I am convinced, though, that the popularization of the symbol, and the display of the stain won’t help the zionist or the feminist cause. Visualization does not always outcompete the abstract, the narrated, the logical conclusion. Antisemites are in full denial of the sexual violence by Hamas, spearheaded by Judith Butler, who scoffs at the question. This is the reason, why we should stay cautious and use only strong arguments especially when we have so many of them. I really do hope, Naama Levy is alive, will be freed and won’t have to deal with a discussion about her pants ever again in her life.

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Naama Levy war Friedensaktivistin und Berufssoldatin. Sie wurde am 7.10. entführt, misshandelt, und es ist nicht bekannt, ob sie noch lebt. Sie ist eine von 17 Frauen, die noch in Geiselhaft ist.

Weil sie in einem Video mit einem großen dunklen Fleck auf ihrer grauen Jogginghose zu sehen ist, gilt ihre Hose als sichtbarster Beweis für die sexuelle Gewalt, die aus Zeuginnenaussagen am 7.10.2023 stattfand. Es existieren Reels von Straßentheaterszenen, bei denen sie mit ihrer Hose und dem Fleck nachgespielt wird.

Möglicherweise ist aber nicht Blut die Ursache des Flecks, sondern unkontrollierter Stuhlabgang, was bei Angstreaktionen vorkommt, ein natürlicher Schutzmechanismus gegen Raubtiere.
Gegen einen Blutfleck als Folge einer Vergewaltigung sprechen folgende Argumente:

1. Die Farbe. Zwischen dem Kidnapping und der Parade liegen wenige Minuten bis Stunden. Nimmt man eine derartige Blutung an, müssten durch Nachblutungen zumindest Teile des Blutes noch rot sein. Die helleren, blutroten Flecken kommen vom Kopf, von Wunden an den Füßen und an einer Stelle lagen ihre auf den Rücken gebundenen, blutenden Hände an dem Fleck an, was hier m.E. einen Übergang erzeugt.

2. Der Fleck erstreckt sich auf den unteren Rücken und das Gesäß, nicht jedoch auf den Frontalbereich der Hose und den Schritt. Bei einer analen oder vaginalen Blutung wäre der Genitalbereich im Schritt das Zentrum des Flecks, auch wenn man die angewinkelte Position berücksichtigt, in der sie fixiert war.

3. Ihre Bewegungen. Eine derartige Blutung müsste mit lokalen starken Schmerzen einhergehen, die trotz Adrenalin beim Absteigen vom Jeep instinktiv zu Vermeidungsreaktionen führen müssten. Sie hat zweifellos Schmerzen, jedoch eher im Bereich des Kopfes.

4. Selbst wenn es Blut ist, wäre angesichts der Lage des Flecks ein Sitzen auf einer Blutlache eher als Ursache denkbar als eine Blutung aus einer Körperöffnung.

All das sind nur Spekulationen aus der Ferne und ersetzt keine forensische Analyse. Es ist sehr gut möglich, dass sie sexuelle Gewalt erlitten hat und erleidet. Ich bezweifle jedoch, dass der Fleck der beste Beweis dafür ist. Ich rate gerade angesichts der Leugnung sexueller Gewalt durch die Hamas (z.B. bei Judith Butler) dazu, eher die Zeugnisse der Opfer zu zitieren, als sich auf dieses „sichtbare“ Symbol zu konzentrieren, das sich gegebenenfalls dann als Fehlschluss herausstellen kann.
Ich hoffe inständig, dass Naama Levy lebt und freikommt.


ADHS – zur Ideologie des gesunden Menschen

Hirschhausen: „Wer profitiert denn von ADHS?“
Expertin: „Also ich würde es andersherum formulieren: Was kostet uns ADHS?“


In diesem kurzen Fragment aus einer WDR-Sendung zu ADHS ist die normative Gewalt einer Diagnose enthalten: Sie kostet Geld. Leute nehmen Drogen, sind unproduktiv und im schlimmsten Fall produzieren sie Verkehrsunfälle. Normale Menschen kosten kein Geld.

Den Studien und einigen Erfahrungen zufolge existiert so etwas wie ADHS tatsächlich und für Leidensfälle kann Medikation eine subjektive Erleichterung bringen. Wie aber für bürgerliche Ideologie typisch, steht in der Dokumentation das rationalisierende Moment im Vordergrund und die Frage von Ideologiekritik muss stets lauten: Was wird NICHT gesagt, dadurch, dass etwas ANDERES gesagt wird? Was ist das Negativ?

Mit den popularisierten Symptomen kann sich nach dem Prinzip der Horoskope jede identifizieren. ADHS führe zu „Empathie“, zu „Unruhe“, zu Schwierigkeiten, sich auf „kleine Aufgaben“ und „Deadlines“ zu konzentrieren. In all der Diagnostik ist eine entsetzliche Figur im Negativ abgebildet: Der normale Mensch, wie ihn sich der Spätkapitalismus wünscht, nicht zu empathisch, im Vollbesitz aller Sekundärtugenden, mit denen man auch ein KZ führen kann.

Der selbst mit ADHS diagnostizierte Hirschhausen meint, ihn habe ein Netz aufgefangen, und er könne daher „Medizin mit Zauberei und Comedy verbinden“, und das fehle Jugendlichen häufig. Was Jugendlichen fehlt, ist überhaupt die Möglichkeit, Arzt zu werden, wofür bekanntermaßen immer noch ein NC von 1.0 erforderlich ist und strukturell studierte Eltern, die etwas Reichtum mitbringen. Verschwiegen wird, dass man mit Methylphenidat eben nicht auf einmal den Weg zum Traumjob findet, sondern mehrheitlich für die elendiglich langweiligen Bürojobs fit gemacht werden soll, für die Fließbänder, für die Fertigungshallen und Routinejobs an Kassen und Countern.

Wer sich nach dem Überleben von 13 Schuljahren mit inhaltsleeren, sterbenslangweiligen Geschichten aus dem Cornelsen-Kabinett in eine der zumeist technologisch längst überflüssigen Stellen vermittelt wird und sich damit nicht identifiziert, gar in Drogen flieht, hat ADHS, ist krank. Heitere Eltern präsentieren Kinder, die fit gemacht wurden für das Stahlbad aus „work hard, play hard“. Man gibt ihnen ein Smartphone mit vorinstallierten und teilweise gar nicht mehr löschbaren Medienplattformen wie Spotify, Youtube, Tiktok, Instagram, etc., nötigt ihnen dann noch ein I-Pad auf für den Schulunterricht auf, auf dem die gleichen Apps vorinstalliert sind, und dann wundert man sich, dass sie im Französischunterricht „Clash of Clans“ oder „Brawlstars“ spielen und keine Zweien schreiben.

Dass Menschen an vermeintlichen Routineaufgaben Widerstände erwachsen, ist nicht individueller Pathologie geschuldet, sondern unter Umständen einem klaren oder unbewussten Erkennen der bösen Nachlässigkeit von Formulierungen, Formularen, Ämtern, Schulbetrieb, kurzum: den Pathologien des Systems. Wo eine vermeintlich „gesteigerte“ Empathie als „Zeichen“ gilt, wird nur verschleiert, wie eiskalt und menschenfeindlich der Betrieb einer Verwaltung über Menschen als Fälle und Schülerinnen regiert. Dass im (selbstschädigenden) Verweigern von Handlungen, die anderen selbstverständlich sind, eine Form der Erkenntnis liegt, eine Treue zur Wahrheit, dass hier die geknechtete Kreatur aufschreit und sich Ambivalenz und Spannung beibehält, wo Reibungslosigkeit und widerstandslose Mitmachkultur vorgeschrieben sind, kommt nicht im Ansatz zum Vorschein. Selbst wo Menschen mit ihrer Diagnose ohne Medikation leben und sich damit versöhnen, werden sie sofort dazu gedrängt, die Vorteile für das System zu feiern: ADHS helfe auch, nach Prokrastinion in kürzester Zeit intensivste Arbeiten zu vollziehen, sich mit vielen Dingen gleichzeitig zu befassen, oder wie Hirschhausen: einfach Arzt UND Comedian UND Bestsellerautor zu werden.

An der Diagnose verschwindet die Frage nach dem Sinn des Bestehenden, in dem Menschen Symptome zeigen, nach dem Anderen, das möglich wäre, nach dem Abflauen von Angst vor Klima, Krieg, Ausbeutung im Allgemeinen. Bürgerliche Gesellschaft geht tatsächlich in Gefängnisse und behandelt dort ADHS, damit Gefangene keine Drogen mehr nehmen – anstatt Gefängnisse als Symptom zu entlarven oder Drogenkonsum von Kriminalität zu entkoppeln und Sucht als Krankheit zu sehen, deren physiologische Gewalt jeden Widerstand einreißen kann.

Aus der eigentlich richtigen Frage „Haben jetzt alle ADHS?“ entsteht keine Kritik. Die einen schämen sich dafür, dass sie die Steuererklärung nicht abgeben, die anderen können sich eine Steuerberaterin leisten. Die einen haben Schuldgefühle, dass ihr Alltag nicht so „smooth“ gelingt, die anderen haben Managerinnen, Agentinnen, Sekretärinnen, die ihnen den Alltag organisieren oder sie stehen an gnadenlosen Stechuhren, gefangen im Stahlgerüst der Arbeitskultur, aus dem dann einzig Somatisierung oder ein Arbeitsunfall Auslass gewährt. Die Diagnose entsteht daher primär aus den „Problemen“, die eine Person erfährt. Und diese Probleme werden nicht analytisch aufgearbeitet, sondern naturalisiert. Es gibt eben Probleme, und die neurodiverse Struktur einer Person wird behandelt, anstatt das Problem tatsächlich zu benennen und damit in seiner Lächerlichkeit auch zu entlarven.

Ein Schulbuch beispielsweise entspringt eben nicht dem Reich der Freiheit und Notwendigkeit. Da sind die Geschichten von Sally und Ron durch Filter von konservativen Juries hindurch zu Manifesten der Anpassung geronnen. Da findet Birgit mit anderen Kindern einen Schatz und muss ihn der reichen Hausbesitzerin übergeben, und der Hund, der daran maßgeblich beteiligt war, erhält eine Münze davon für Hundefutter. Da kommt der Onkel zu Besuch und es gibt doch tatsächlich Pudding. Da macht man eine Klassenfahrt nach Snowdonia und alles ist prima. Und am Ende wird getestet, ob man auch alles behalten habe: dass es Daniel war, dem der Schnee so gefallen hat, dass der Hund braun war, dass das Hundefutter 3 Pfund kostete, dass Clara die Rosemary mag und dass Onkel William funny ist, weil er kalten Pudding mag und dass es drei Formen von if-clauses gibt.
Wer in diesem Treibsand aus Kitsch und Dressur mit Füßen scharrt oder gar zu strampeln beginnt, wird für krank erklärt. Das ist vielleicht nicht die Absicht, aber der Effekt solcher Dokumentationen.
Lediglich an einem Punkt wird der Film ehrlich: Als die Mutter angibt, man habe das ausprobiert und „keinen Tag bereut.“
Die Tochter unterbricht: „Ich schon. Ich hasse das.“

Und vor dem Szenario der drohenden „Folgeerkrankungen“ erklärt der Film dann Finnja, die das alles „kacke“ findet, dass sie in Wirklichkeit brutales „Glück gehabt habe“:

So gibt der Film Eltern und dem von ihnen verinnerlichten System recht und entzieht dem Widerstand der Tochter, ihrer Unzufriedenheit, einfach die Solidarität und die Empathie, die sie tatsächlich vor Depressionen schützen könnten. Diese Parteinahme für das System, in dem Menschen erst auffällig werden, die in anderen Kulturen und Systemen kein Problem gehabt hätten, verrät vieles über die Beschränktheit psychomedizinischer Praxis heute.

Der Rassismus von Survival Games

Das Survival-Genre hat eine eindeutige Zielgruppe: Weiße Männer. Die Spiele hybridisieren Ressourcenmanagement, Building Games wie Minecraft und Hack-and-Slay-Gore nach dem Vorbild von Dead Space. Die Story ist stets eine Robinsonade: aus irgendwelchen Gründen – meist ein Flugzeugabsturz – findet sich ein weißer Mann alleine in der Wildnis wieder und muss schrittweise lernen, eine feindliche Umwelt zu durchherrschen. Im Verkaufsrekordhalter „Sons of the Forest“ (SOTF) strandet man nach einem Helikopterabsturz auf einer Insel, beginnt wie in Minecraft zunächst mit dem Fällen von Bäumen, erntet Blaubeerbüsche und fängt Fische, um sich dann schrittweise eine Basis aufzubauen, von der aus die Umgebung weiter erkundet werden kann. Schon nach kurzer Zeit machen Geräusche aus dem Wald, groteske Skulpturen aus Schädeln und Körperteilen und urplötzlich auftauchende Gestalten deutlich, dass die Insel bewohnt ist. Nach einer Zeit des kritischen Beäugens wächst die Aggression auf den Eindringling und die Gegner greifen aus Hinterhalten an. Die für den Spielfortlauf erforderlichen Streifzüge über die Insel werden daher zu adrenalingeschwängerten Schleichpartien, zumal sich nur an Camps speichern lässt.

Das Spiel ist von extremer Gewalt geprägt, die wie vergleichbare Gore-Games eine ständige, durchaus kreative Forschungsarbeit an archaischen Symbolen von Angst, Abscheu und Ekel vornimmt. Dunkelheit macht einen zentralen Teil des Effekt-Ensembles aus: die gefährlichsten Orte der Insel liegen in Höhlen, um Angstlust durch klassische jump-out-of-the-dark-Trigger zu erzeugen. Aber primär arbeitet „The Forest“ und „Sons of the Forest“ mit Tabubrüchen. Gegner können mit Nahkampfwaffen zerhackt, ihre so erhaltenen Körperteile zu „effigies“, Standbildern, zusammengesetzt und diese dann sogar noch angezündet werden, um weitere, als Kannibalen bezeichnete Gegner abzuschrecken. Trägt man einen abgeschlagenen Kopf vor sich her, lassen sich einige niedrigrangige Kannibalen davon beeindrucken und in die Flucht schlagen. Ein weiterer, selbst für das Genre extravaganter Tabubruch des Spiels ist es, mutierte Babies scheinbar hilflos auf den unveränderbar weißen männlichen Spieler zukriechen zu lassen, bis sie sich mit einem Kreischen auf ihn schleudern und ihm so beträchtlichen Schaden zufügen, sofern sie nicht vorher aus der Distanz mit Speeren, Molotov-Cocktails oder Granaten getötet werden. Alle Gegner bleiben auch auf höheren Leveln in Gruppen tödlich und der Schwierigkeitsgrad durchaus konstant auf mittlerer Höhe.

SOTF treibt klassische Horrorelemente zur Karikatur: unter den späteren Spielgegnern befinden sich Mutanten, „Fingers“ genannt, die eine Vagina denticaudata auf Beinen darstellen, mit einer Reihe von Fingern als Zähnen. Sie spinnen ihre Opfer ein und versprühen spermaähnliche Spinnenfäden in der Sterbesequenz.
Weibliche Kannibalen treten in beiden Spielteilen wie ihre männlichen Pendants mit nacktem Oberkörper und Lendenschurz auf. Im ersten Spielteil tragen sie keine Waffen, greifen aber ebenso an und sind genauso tödlich wie ihre männlichen Pendants. Im zweiten Spielteil verhalten sie sich weitgehend passiv, greifen meist nicht von sich aus an und wenn ihre männlichen Pendants getötet werden, nähern sie sich den Leichen, knien nieder und trauern. Anstelle einer Sprache geben alle Gegner nur unartikulierte Laute von sich: Knurren, Kreischen, Krächzen. Diese gegnerischen „Kannibalen“ sind meist dunkler gezeichnet als die unveränderbar weiße, männliche Spielfigur. Trägt der Spieler rote Farbe (TF) oder trägt er eine goldene Maske (SOTF), beginnen die Kannibalen, ihn anzubeten. Im Prinzip hält das Spiel jedoch dazu an, ganze Camps auszurotten, um an die Rohstoffe Seil, Stoff und Munition zu gelangen und Höhleneingänge betreten zu können. Beginnt man sich selbst sofort an allen Flecken der Insel aufzuspürende Kernstücke der Zivilisation anzueignen – Fernglas, Schußwaffen, Winterjacke -, so bleiben die Gegner im traditionellen Ornat mit Knochenzierrat, Lendenschurz, Speeren und Keulen und können die modernen Gegenstände offenbar nicht nutzen.

Das gesamte Setting wiederholt den Triumph und die Angstlust der Kolonisierung, inszeniert als Heldenreise ins „Heart of Darkness“, einer mystischen Hybridisierung von technophiler Corporate Conspiracy und Dimensionsportal in die Hölle. Unberührter Natur stehen Mutation und entglittene Experimente der Naturbeherrschung für Kapitalzwecke gegenüber. Der Krieg gegen Mutanten ist hinlänglich akzeptiertes Element von Horror-Games und speist sich aus der zelebriert aufgearbeiteten, damit der Reflexion zugeführten Inzestscheu. Fragwürdig ist nicht die reflektierte, teilweise in Satire überspitzte Verwendung tabuierter kultureller Elemente, sondern die überkommene, unnötige Darstellung und Nutzung einer Inselgesellschaft als „schwächsten“ Gegner. Kommunikation ist unmöglich, das Verhalten ist durch wenige Trigger vorbestimmt und aggressiv. Es gibt zwar eine „gute“ Mutantin, Virginia, aber keine friedlichen „Kannibalen“. Sie dienen ausschließlich als Rohstoff und Sparringspartner.

Ist der Avatar in „The Forest“ noch ganz auf sich allein gestellt, fügt SOTF fügt zwei NPC hinzu, die dem Spieler helfen: da ist zum einen der trotz Taubstummheit per Schädeltrauma qua Helikopterabsturz stets wohlgelaunte Kelvin, dessen Arbeitskraft wie die eines Sklaven ausgebeutet werden kann, der Baumstämme wie Baguettes herumträgt, der aber partout keinen Speer in der Hand halten kann. Die andere NPC ist Virginia, eine mutierte Frau mit drei Armen und drei Beinen, der man zunächst im Badeanzug bei Ballettanzübungen am Wasser begegnet. Sie kann durch Betrachten und Dulden gezähmt werden, so dass sie sich nähert, Geschenke wie tote Kaninchen und Fische bringt und schließlich bis zu zwei Waffen in ihren drei Händen kunstfertig bedienen kann, um Kannibalen und Mutanten abzuwehren.

In der Geschichte der Unterwerfung oder Ausrottung von Inselgesellschaften stellte die angedichtete oder seltener reale Anthropophagie häufig die Legitimation für die Vernichtung her. In der Ethnologie wird sie von einigen Protagonisten sogar vollständig geleugnet wird: es gebe keinerlei Belege für Anthropophagie, alles sei koloniale Projektion und Erfindung. „Kannibalismus“ ist zusammen mit dem Inzest einer der am weitesten verbreiteten „Kulturfeinde“. Freud nimmt ihn als mythisches Element in „Totem und Tabu“ zur Grundlage seiner Zivilisationstheorie: Durch das Verspeisen des getöteten Vaters wird er und sein Gesetz internalisiert. Das Christentum ist die Reinform dieser These: Der Leib Jesu Christi, Gottsohn und Vater zugleich, und sein Blut werden im Gottesdienst rituell verzehrt, um damit das religiöse Gesetz in sich aufzunehmen. Ein grotesker, auch von Christen nie verstandener Akt, der im Bild des Vampirs als „negativer Christus“ wiederkehrt oder als Hostienschändung und Ritualmord auf Juden projiziert wurde. James Georg Frazer hat im „Golden Bough“ die Gottverspeisung der Christen mit anderen Gottverspeisungsritualen verglichen, ein Akt der Blasphemie für Christen seiner Zeit. Die Anthropophagie kann daher durchaus als typische pathische Projektion einer kulturell-rituell anthropophagen christlichen Gesellschaft gelten. Zugleich tritt sie als Zuschreibung kulturübergreifend auf, weil sie die regressive orale Gier, das Verharren an der Mutterbrust darstellt, über das der Mensch durch Arbeit hinausreifen soll, den Verzicht auf Jagd und Ackerbau bei gleichzeitiger Ausbeutung anderer Menschen als Dinge, als Vorrat und Speise. Auch der Antisemitismus ist bereits in seinen frühesten Formen Vorwurf von Anthrophagie und Menschenopfer.

Dennoch war Anthropophagie belegtes kulturelles Element zahlreicher Gesellschaften. In der Ethnologie wurde die rituelle Anthropophagie von Amazonasgesellschaften dargestellt, die Asche eines geliebten Toten mit Bananenbrei einnahmen, um den Toten zu würdigen – ganz im Sinne von Freuds „Totem und Tabu“. Diese rituelle Endo-Anthropophagie kann als kulturell integriert, pazifiziert gelten.
Bekannt und weitgehend akzeptiert sind auch Fälle von Survival-Anthropophagie, in denen das eigene Überleben in Hungersnöten oder Kriegen nur durch Menschenfleisch gesichert werden kann. SOTF zwingt den Spieler immer wieder in solche Momente. Im Zentrum einer der schwierigsten Höhlen finden sich um einen Kochtopf herum verstreute Körperteile, deren Verzehr den Spieler-Avatar retten kann. So wird den Spielenden der Griff zum menschlichen Bein mit Kaugeräuschen regelrecht aufgezwungen und diese dadurch in Reflexion über Anthropophagie und über den Wesen und die kulturelle Entstehung von Tabus getrieben.
Am stärksten tabuiert ist die Exo-Anthropophagie: nicht wenige Gesellschaften haben den Verzehr von Gegnern sowohl zur Nahrungsbeschaffung ohne wesentliche Not, zu „medizinischen“ Zwecken, als auch zum Triumph und zur magischen Aneignung spiritueller Macht praktiziert, regelmäßig auch zur Abschreckung und Demoralisierung von Feinden. Als Perversion wird sie in Medienproduktionen längst inszeniert und vor allem auf die Gruppe der Gourmets projiziert: Das Schweigen der Lämmer bringt den gebildeten Hannibal Lecter an die Tafel, in Fallout: New Vegas versucht Mortimer die White Gloves Society, einer Feinschmeckergesellschaft, Menschenfleisch anzuempfehlen und in der vierten Staffel von „Atalanta“ sehen wir eine schwarze Vanessa in der Rolle einer schrägen Amelie schlüpfen, die Menschenhände für eine französische Gourmetgesellschaft organisiert. Anthropophagie künstlerisch aufzuarbeiten bedeutet jeweils Grenzarbeit an projizierten, irrationalen Tabus und an rationalen humanistischen Tabus. Die literarische Form des Computerspiels bleibt ähnlich wie der Horrorfilm einem Bürgertum unverstanden, das die eigenen Tabus nicht dieser Grenzarbeit unterzogen hat. Die Spieler*innen, Leser*innen und Zuschauer*innen können den Stoff von Realität trennen, nehmen geschmäcklerische Wahlen ästhetischer Stilrichtungen vor, durch die sie Individualität gegenüber einer bigotten Gesellschaft unter Beweis zu stellen suchen – ein kulturindustrielles, vergebliches Unterfangen.
Sons of The Forest aber enträt, wie viele andere Survival-Games, nicht der projektiven Logik des Tabus. Trotz des Tabubruchs bleibt es in der bürgerlich-projektiven Ebene. Schließlich waren es immer wieder die weißen, christlichen Bürger, die in der Geschichte die realen und vermeintlichen Kannibalen auf grausamste Weise quälten und ausrotteten. SOTF wiederholt diese Legitimation, und erreicht kein progressives Level von Reflexion und Kritik, sondern bleibt nihilistisch, bedient sich der Reize, die es vorfindet, und dazu gehört eben primär auch die rassistische Projektion einer zur Ausmordung ausgeschriebenen kannibalistischen Inselgesellschaft und sekundär die Darstellung von „Natives“ im Kolonialstil. Ein Kommentar zu „Green Hell“ und „The Forest“ hält das Unbehagen darüber fest, die Diskussion ist von Abwehr, Verharmlosung, Leugnung und rassistischem Spott durchzogen.

Die Symbolisierung des „Anderen“ in Zombies wirft weiteres Licht auf die Diskussion. War George A. Romeros „Night of the Living Dead“ mit dem schwarzen Helden, der fälschlich für einen Zombie gehalten und von weißen Polizisten erschossen wird, noch eine Kritik des Rassismus, so verändert sich das Setting sofort, sobald die Hauptdarsteller weiß werden und sich gegen blutschwarze Horden zur Wehr setzen. Dann wird aus Zombies rasch „die Überbevölkerung“ und „die Immigranten“, die als untote Kannibalen dann bedenkenlos vernichtet werden können. Stärker noch als die Zeichnung der Gesellschaften ist daher die vorgegebene Hautfarbe des Avatars entscheidend für die rassistische Lesbarkeit eines Settings. Spiele, die dem Bildschirm weiße Avatar-Hände aufzwingen, zeugen von zivilisatorischen Defiziten, die in Verbindung mit dem konservativen, altbackenen ästhetischen Rückgriff auf Robinsonaden und kolonialrassistische Darstellung des Anderen unverdaulicher werden als jeder Tabubruch der Spiele.

Die Hamas-Tunnel sind die Pyramiden des Jihads

Die ägyptischen Pharaonen, die sich für Götter hielten, ließen Pyramiden bauen ließen im eitlen Glauben, dadurch Ewigkeit erlangen zu können. Hamas hat im Glauben, dadurch das Paradies zu erlangen, Gaza untertunnelt und die Dimensionen sind unfassbar. Wieviele Ressourcen dort versenkt wurden, wird an neuen Videobelegen deutlich. Die Rede von der U-Bahn in Gaza nicht untertrieben. Mit ähnlichem Aufwand hätte tatsächlich ein U-Bahnnetz gebaut werden können. Über zwei Jahrzehnte hinweg wurden Hilfsgüter einbehalten, Massen an Zement und Stahl in die Erde gebracht und Arbeiter unmenschlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Das Ärgerliche ist nicht nur der Scam, sondern dass die Betrogenen die Betrüger auch noch feiern und für sie demonstrieren. Der Rückbau eines solchen Netzes wird Jahre dauern. Die Tunnel einfach zum Einsturz zu bringen, würde Dolinen an der Oberfläche erzeugen und Häuserzeilen zum Einsturz bringen. Der Aushub wurde vermutlich im Meer versenkt, auf Feldern verklappt oder anderweitig versteckt. Verfüllen ist daher ebensowenig möglich wie die Sprengung. Bei der Flutung mit Meerwasser entstehen Versalzungen, die allerdings ohnehin entstanden sind. Grabungsarbeiten in diesem Umfang haben das Grundwasser mit Sicherheit abgesenkt und Aquifere nachhaltig gestört.

Vielleicht ist das Beste, was die IDF mit den Tunneln machen kann, ist sie in Besitz zu nehmen, mit Israel zu verbinden und für die Besetzung Gazas als Lagerraum, Kasernen und Verbindungsweg für Razzien zu nutzen.

Jüdische „Siedler“ als „Gift“ – immer neuer Antisemitismus aus der taz

Susanne Knaul schreibt seit Jahrzehnten ihre Wut über den jüdischen Staat in die taz. In der Ausgabe vom 9.-15.12. titelt die linksliberale Zeitung: „Sie sind Gift für die Koexistenz„. Die Siedler stellten „allein durch ihre Anwesenheit“ einen „Verstoß gegen das Völkerrecht“ dar. Die Gewalt einiger Extremisten ist offenbar also gar nicht ausschlaggebend für den Hass, was zählt, ist, dass der Staat Israel in seiner Hauptstadt, die von Juden gegründet, benannt, und über Jahrtausende bewohnt, in Gebeten permanent als Heimstatt der Juden benannt, tatsächlich Wohnraum erschließt.

So gut wie alle großen Städte der Welt wachsen, die Urbanisierung bleibt ein anhaltender Trend. In Kambodscha werden ganze Seen verfüllt, das Ökosystem des Mekong zerstört, um teuren Wohnraum zu errichten. Jede deutsche Stadt und Kleinstadt nimmt sich heraus, alle paar Jahre ein neues Neubaugebiet zu erschließen, ein gigantischer Flächenfraß. In Afrin siedelt die Türkei aktiv islamistische Geflüchtete an, und hat die kurdische Bevölkerungsmehrheit dadurch gebrochen.

Aber in Jerusalem soll die Ausschreibung von ein paar Neubauten „ein Verstoß gegen das Völkerrecht“ sein. Israel hat in seiner Geschichte mehrfach nichtjüdischen Arabern in Grenzgebieten die israelische Staatsbürgerschaft mit vollen Rechten angeboten.

In Israel ist die Kontrolle Jerusalems und insbesondere der strategisch bedeutsamen Berge unverhandelbar. Während des Unabhängigkeitskrieges wurden die angreifenden arabischen Legionen zurückgeworfen, mit Ausnahme jener Legion, die unter Führung der britischen Armee Jerusalem belagern und halten konnte, dabei mindestens 22 Synagogen abbrannte, das Viertel plünderte und die jüdische Bevölkerung vertrieb. Dieses jüdische Quartier mit der Klagemauer im Zentrum ist das „Ostjerusalem“, in dem jüdische Präsenz ein „Verstoß gegen das Völkerrecht“ sei.

Natürlich wurden seit der Befreiung der Altstadt von Jerusalem neue Wohngebiete erschlossen. Israel sieht Jerusalem als Hauptstadt und das mit allem Recht. In diesen Wohngebieten können auch israelische muslimische, atheistische und christliche Araber leben und arbeiten. Für Knaul allerdings ist es eine Zumutung, dass hier „günstiger Wohnraum“ entsteht, nicht weil er günstig ist, sondern weil dort wieder Juden leben dürfen, denn was einmal nichtjüdisch war, soll offenbar auf ewig judenrein bleiben. Sie ätzt im besten Nazi-Jargon: „Die radikalen SiedlerInnen sind Gift für die Koexistenz der beiden Völker und für jegliche Perspektive auf ein die Region befriedendes Abkommen.“
Und um noch einmal zu betonen, dass das Jüdischsein und nicht etwa konkrete Taten den Unterschied machen, schiebt sie nach: „Es sind aber nicht nur die gewalttätigen SiedlerInnen. Sondern die Siedlungen, die die kargen Wasservorräte aufsaugen und die die wirtschaftlichen Möglichkeiten Palästinas massiv einschränken, blockieren den Weg zum Frieden.“ Statt BDS solle „das Augenmerk vielmehr auf die SiedlerInnen gerichtet werden. Die Radikalen gern zuerst, aber auch die, die gerade auf eine günstige Neubauwohnung in Ostjerusalem hoffen.“

Israel hat einen Wasserüberschuss erreicht und baut eine mehrere Meter durchmessende Pipeline nach Jerusalem, durch die mit gewaltigem Druck Wasser aus den Desalinisationswerken gepumpt werden soll, was die Wasserversorgung der gesamten Region verbessern wird. Israels bewohnbaren Bereiche außerhalb der Wüsten sind dicht besiedelt, wenn in Jerusalem Wohnraum erschlossen wird, handelt es tatsächlich aus echter Wohnungsnot und zugunsten der ärmeren Gesellschaftsteile.
Aber Sozialpolitik und sozialer Wohnungsbau ist für die tageszeitung schlecht, sobald Juden dort wohnen dürfen. Wohin Israel wachsen soll, nachdem die Wüste infolge der Klimaerhitzung immer heißer wird, und die Küstenbereiche zwischen Archäologie, Artenschutz und Hochhäusern schon vollständig aufgeteilt sind, das ist Knaul einfach egal. Anstatt nichtjüdischen Arabern nahezulegen, dass sie in einem der vielen arabischen Staaten ringsum ja unter Umständen eine neue Bleibe suchen könnten, sagt sie den Bewohnern des einzigen jüdischen Staates, dass sie ja in der Wüste leben könnten. Letzteres ist hegemonialer Konsens, ersteres tabuiert.

Die Radikalisierung von einigen Siedlern wird bei Knaul wie immer ohne jeden Kontext präsentiert. Geht es um die Gewalt der nichtjüdischen Araber, werden stets Rationalisierungen nachgeschaltet, die diese Gewalt „erklären“ sollen. Dass Juden in Israel im größten Freiluftghetto der Welt leben, umgeben und belagert von verfeindeten Staaten und Jihadisten, die jede Möglichkeit zu Pogrom und Terror nutzen werden, das wird nicht herangeführt, um die stellenweise gewaltsame Landnahme, Racheakte oder arrogantes Gebaren durch jüdische Extremisten zu erklären. Wenn sich Juden nach dem 7.10.2023 Waffenscheine holen, dann ist das für Knaul ein Beleg für Extremismus. Juden, die auf Land wohnen, dem Juden Namen und archäologischen Reichtum gaben, dürfen nicht „die Schnauze voll“ haben von täglichem Terror, Steinewerfen, Schüsse, Messerangriffen, Sniperattacken, antisemitischer Nachbarschaft. Selbst die extremsten Ansprüche der extremsten israelischen Siedler betreffen nur den kleinen Landstrich westlich des Jordans, gerade einmal 5000km², die nicht nur historische Judäa darstellen und zahlreiche Heiligtümer beherbergen, sondern auch die militärische Sicherheit Israels entscheidend verbessern würden und mit dem Jordan eine dauerhafte Grenze erhielte. Einen Revisionismus, der östlich des Jordans Ansprüche vertritt, gibt es praktisch nicht mehr.
Die Jihadisten hingegen wollen eine Welt ohne Juden und unter der Herrschaft des Islam, die die Versklavung der weiblichen Hälfte der Menschheit beinhaltet. Einen Staat Palästina auf Grundlage der aktuellen, durchweg antisemitischen Gesellschaft würde einen Brückenkopf des Jihadismus bedeuten, kommt der Forderung an Juden gleich, der Hamas und Iran strategischen Raum zu geben. Wer Zweistaatenlösung ohne Reeducation sagt, will Israel vernichten.
Dem jüdischen Staat die Westbank zu geben ist keine extreme Forderung, sie wäre ein moderater Ausgleich für Kriege, Terror, Gewalt und Landnahme in vielfachem Umfang durch die arabischen Staaten und insbesondere die Terrorgruppen in Westbank und Gaza. Israel hat gezeigt, dass es eine jüdische arabische Bevölkerung und eine nichtjüdische arabische Bevölkerung integrieren kann und demokratische Rechte für alle garantiert – kein muslimischer arabischer Staat hat das bislang unter Beweis gestellt. Wer wie die taz in solchen Verhältnissen meint, es seien die jüdischen Extremisten, die das „Zusammenleben der Völker“ vergiften würden, verkehrt Täter und Opfer, redet dem Jihadismus und dem palästinensischen Mythos das Wort.


Von Katzen, Karikaturen und Karotten – Erinnerungen an verschütteten Alltagsrassismus

In den 1980ern verbot mir meine Mutter Asterix-Comics, weil sie gewaltverherrlichend und rassistisch seien. Trotzig und heimlich zog ich das mir irgend zugekommene Heft zweimal aus der Mülltonne, um es im Versteck zu lesen. Später wurde meine Mutter begeisterter Asterix-Fan und hat uns alle Folgen gekauft. Es gab durchaus ein Bewusstsein für Rassismus. Nur brach dieses angesichts einer kulturellen Übermacht ein und unterwarf sich der Marktmacht oder dem Genuß anderer Qualitäten. Denn zweifellos ist Asterix rassistisch. Zwar wird eine allseitige, selbstironische Karikatur anderer Gesellschaften gezeichnet: Die Korsen als konservative Hitzköpfe, die Briten als verklemmte Fußballfanatiker, die Römer ohnehin als dekadente Doofköpfe, die Spanier als ewig singende und tanzende Gitanos/Calé. Die Selbstironie von Stereotypen endet aber dort, wo sie reine Fremdzuschreibung und Projektion auf historisch vollständig unterworfene Gruppen sind. Das betrifft neben der ikonischen, aber immerhin mit eigenem, kritischen Charakter versehenen Karikatur des schwarzen „Baba“ insbesondere die „Indianer“ in „Asterix – die große Überfahrt“, das als „Asterix in Amerika“ 1994 verfilmt wurde. Der Film ist ein unerträglicher Wust an rassistischen und sexistischen Stereotypen: eine europäisch-hübsche Pocahontas inmitten einer hakennasigen Umgebung aus schlacksigen Marterpfahl-Indianern, die von einem fiesen, noch hakennasigeren Schamanen befreit werden müssen. „Pocahontas“ Rolle besteht darin, hübsch zu sein und Obelix den Kopf zu verdrehen. Der unsägliche Film wird nach wie vor regelmäßig ausgestrahlt.
Ebenso unfassbar reaktionär sind die seriellen Indianer-Karikaturen in den Lucky Luke-Bänden. Permanent wird einem tollpatschigen Indianer dort beim Ululieren um den Marterpfahl die Feder vom Kopf geschossen, um ihn Mores zu lehren, nicht selten kommt die ganze Kavallerie, um Weiße aus der Hand von „Indianern“ zu befreien und es hilft auch nichts, dass hin und wieder Lucky Luke auch einmal Vertretern der First Nations hilft, denn dieses „Helfen“, das Unfähigkeit kommuniziert, kennt man zu gut.

Viel unscheinbarer, obwohl präsenter blieb der subtile Rassismus in der Alltagskultur. Warum etwa heißen Mohrrüben Möhren? Lange glaubte ich an die Legende, sie würden eben im Moor angebaut oder in Torf gelagert, um sie frisch zu halten. Der Wahrheit näher dürfte liegen, dass Karotten sehr rasch schwarz schimmeln, wenn man sie lagert oder anschneidet. Eine andere Erklärung ist, dass die schwarze „Mohrenblüte“ im Zentrum der Dolde der Pflanze den Namen gab. In jedem Fall wird eine reine Äußerlichkeit der Farbe mit einer Gruppe von Menschen identifiziert, die dadurch wiederum auf das Merkmal „schwarz“ reduziert wird.

Ebenso unvermeidbar wie das „Zigeunerschnitzel“ in den Gaststuben und Grillbuden findet sich der „Mohrenkopf-Weck“ in den Auslagen von Bäckereien auf dem Lande. Auch wenn hier die Hersteller sehr viel schneller umstellten und wie „Dickmanns“ die Gelegenheit nutzten, die Süßware nach der eigenen Marke zu benennen, vermag ich bis heute nicht, einen Schaumkuss als solchen zu sehen, ohne das Wort „Mohrenkopf“ zu denken.

Und ganz unverdächtig schleicht sich ein Kinderlied ein, sobald ich eine schwarze Katze sehe: „Unsre Katz‘ heißt Mohrle, hat ein schwarzes Ohrle, hat ein schwarzes Fell, und wenn es was zu schlecken gibt, dann ist sie gleich zur Stell.“ Das Lied findet sich bis heute in Kinderliedsammlungen und wird auch im öffentlichen Rundfunk noch eifrig gesungen.

Kulturrassismus beschämt, weil er sich an schöne Erfahrungen heftet, die der Aggression unverdächtig sind. Eine Süßspeise, ein Gemüse, ein lustiges Comic, ein Katzenbaby. Er beschämt, weil er sich in Kindern eingräbt und seine Wurzeln in Neuronenketten gräbt, tief in den Geist hineinschlägt, nicht vergessen werden kann. Er kann aber nur beschämen, wenn erkannt wird, was beim diskriminierten Gegenüber sich eingräbt: kein schönes, unschuldiges Kindheitserlebnis, sondern die Erfahrung, dass alles, was an mir wahrgenommen wird, die äußerste Schicht ist, die Hautfarbe. Das setzt mich mit Pflanzen, Tieren, Pilzen, Dingen gleich, obwohl doch sovieles so anders ist und nichts an mir an einen filzigen Pilz, an eine Ente oder an eine orange Rübe erinnert. Und diese Gleichsetzung erzeugt eine noch erschreckendere Gleichsetzung mit anderen Menschen, mit denen nur die Hautfarbe und auch die oft nur annähernd in Nuancen geteilt wird.

Es wird den Weißen nicht wehtun, Karotte statt „Möhre“ oder „Mohrrübe“ zu sagen, ein „Paprikaschnitzel“ oder einen „Schaumdings-Weck“ zu bestellen. Wichtiger ist aber, dass die Umbenennung Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht wehtun will, auch wenn selbst in der Umbenennung noch einige Jahrhunderte die Reaktion auf das rassistische erinnert wird.
Was die Comics und Filme angeht, so sind diese zwar wie alle Kultur mitsamt ihrer Kritik daran Müll. Eine maoistische Kulturrevolution allerdings, die alles über Bord wirft, vergisst die Mülltrennung. Ein Film wie „Asterix in Amerika“ sollte idealerweise nie wieder ausgestrahlt werden und nur noch zu wissenschaftlichen Zwecken in Erwachsenenbibliotheken zugänglich sein. Comics wie Asterix oder Lucky Luke können nach einer gründlichen Auswahl mit entsprechender Überarbeitung oder Anmerkung ja auch weiter Kindern zugänglich bleiben. Solange aber diese Auswahl nicht erfolgt, behauptet man nichts anderes als dass man nichts Anderes hat, dass wirklich alles an Kultur Müll ist, wenn sie ungeändert rassistisch sein muss, um überhaupt existieren zu können.