Für die taz vom 29.6. hat Sawsan Chebli ein Interview gegeben, in dem ihr Daniel Bax – den Leser*innen dieses Blogs wohlbekannt – ihr Schweigen zum Antisemitismus, zur Hamas, zur Hisbollah, zu den Vertreibungen von Jüdinnen und Juden in der arabischen Welt durchgehen lässt und sie in ihrem palästinensischen Mythos bestätigt.
Chebli: „Wir wachen mit Bildern von toten und verstümmelten Kindern auf und gehen mit Bildern von toten und verstümmelten Kindern ins Bett. Und von der deutschen Öffentlichkeit erfahren wir kaum Empathie und Solidarität, sondern Ausgrenzung, Misstrauen und immer öfter puren Hass. Es tut weh zu sehen, dass so viele Menschen, die sonst laut sind, wenn es um Menschenrechte geht und darum, Grundrechte zu verteidigen, zu Gaza schweigen.“
Wer sich irgend mit der Thematik kritisch befasst hat, würde nachhaken: Woher kommen diese immer öfter von Künstlicher Intelligenz gefertigten Bilder? Warum werden sie von bezahlten Accounts systematisch in die Timelines von Menschen gespült, um genau diese Emotionen zu schüren? Schließlich weiß jede und jeder, dass die Hamas diesen Krieg nicht für strategische Siege führt, sondern dass solche Bilder das Ziel sind.
Wieso hat die mit besten Informationskanälen vernetzte Chebli nicht vor 10 oder 15 Jahren alles daran gesetzt, ihre Community über die Tunnel, von denen ja jeder wusste, zu informieren und vor dem unweigerlichen Krieg zu warnen, den die Hamas im Untergrund vorbereitete und plante? Chebli spricht sich einfach frei mit einer „Verurteilung“ der „schlimmen Verbrechen“, die „auch die Hamas“ begangen habe. „Auch die Hamas“, so insinuiert Bax, und meint damit nichts anderes als eine Gleichsetzung: Wie Israel – so auch die Hamas.
Eine immer noch einmal wiederholte Propagandalüge ist, dass über Gaza „geschwiegen“ würde. Das steht in offenem Widerspruch mit Cheblis Eingangsbekenntnis, dass man morgens bis abends Propagandabilder von Kinderleichen konsumiere. Es widerspricht aber auch jedem westlichen Pressespiegel. Anders als zum Krieg in Sudan, Jemen oder zum Islamischen Staat im Kongo, die allenfalls auf Seite 17 eine Kurzmeldung erhalten, erhält man jeden Tag Berichte in Radio und Print über Gaza, kaum eine Woche ohne Stellungnahme aus dem auswärtigen Amt mit den immergleichen Sprechakten und Zauberformeln: Zweistaatenlösung, aber auch die Hamas, Waffenstillstand.
Chebli verbreitet und verstärkt den palästinensischen Mythos. Diesem Mythos zufolge wurden die nichtjüdischen Araber aus dem blauen Himmel heraus aus Israel vertrieben und erfahren bis heute Ungerechtigkeit und in Deutschland antimuslimischen und antipalästinensischen Rassismus. Die Kritik daran ist Chebli natürlich wohlbekannt, sie lautet: die arabischen Staaten haben Israel im Namen des Islams und der arabischen Einheit angegriffen und Jüdinnen und Juden mit einem Genozid bedroht. In siegessicherer Erwartung desselben haben die arabischen Staaten die nichtjüdische Bevölkerung zur zeitweisen Räumung aufgefordert: gepaart mit dem Versprechen, sich nach dem Sieg das Land der Juden aneignen zu dürfen.
Nachdem der Genozid wider Erwarten und nur dank extrem glücklicher verketteter Zufälle scheiterte, u.a. weil die israelische Armee zusätzlich einige strategisch überlebenswichtige Korridore von der muslimisch- und christlich-arabischen Bevölkerung räumte, weil also Israel wider Erwarten 1949 noch existierte, vertrieben und beraubten die arabischen Staaten bis zu einer Million Jüdinnen und Juden. Anders als Chebli, die nach Israel einreisen und den Geburtsort ihrer Großeltern besuchen konnte, ist Jüdinnen und Juden oder Menschen mit israelischem Pass die Einreise in viele islamisch geprägte Staaten pauschal verwehrt.
Zudem erhalten die meisten islamischen Staaten den Kriegszustand mit Israel aufrecht und fördern ständigen Terror durch PFLP, Fatah, Hamas, Islamischer Jihad, Hisbollah, Islamischer Staat, Al-Qaida und einige jihadistische, in Westjordanland und Gaza verankerte Gruppierungen mehr.
Chebli schweigt davon, weil für sie „die Palästinenser“ Opfer sind. Sie hat auch keinerlei Idee davon, wie Menschen in Israel mit der Bedrohung umgehen sollen – einfach weil deren Leid unhörbar wird in der Kakophonie des palästinensischen Mythos. Schließlich treffen die Raketen der Hisbollah unterschiedslos auch nichtjüdische Menschen in Israel. Letztlich geht es dem palästinensischen Mythos gar nicht um konkrete Menschen. Es geht ihm um die Verkehrung von Tätern und Opfern.
Chebli, die beste Einblicke in die palästinensische Szene hat, die Kritik auch ausformuliert kennt, entscheidet sich für den Mythos und gegen eine Selbstkritik der palästinensischen Nationalbewegung, ihren Mythos, ihre Bereitschaft zur Produktion von Propaganda und von toten Kindern. Die ehemalige Staatssekretärin und Pressesprecherin des auswärtigen Amtes gibt sich aber unbedarft und sieht im Gegenteil den „Antisemitismusbegriff entgrenzt und instrumentalisiert, um legitime Kritik zu unterbinden“. Wer das wie macht, bleibt unbesprochen, es genügt, dergleichen geraunt zu haben. Solcher Jargon ist primär Selbstauskunft: Schließlich entgrenzt Chebli den Rassismusbegriff und instrumentalisiert ihn, um legitime Kritik am palästinensischen Mythos und am Koran zu „unterbinden“.
Rassismus heftet sich an nicht veränderbare Äußerlichkeiten: Herkunft, Hautfarbe, „Blut“. Antiarabischer Rassismus, wie ihn der Rechtspopulist Friedrich Merz nach dem Attentat des IS in Solingen verbreitet, richtet sich z.B. gegen „die Syrer“ und diskriminiert unterschiedslos Musliminnen, Christinnen, Atheistinnen, Jüdinnen syrischer Abstammung.
Wer aber Misstrauen gegen Angehörige einer Religion hat, deren heiliges Buch einem nichts als den Tod verspricht, sollte dieses auch verlautbaren dürfen: Warum glaubt ihr diesen menschenfeindlichen Quatsch? Warum enthält euer heiligstes Buch nichts als die Herrschaftsideologie eines Warlords, der seine Mordbrennerei und Raubzüge als heiligen Krieg rechtfertigte und seinen Anhängern nur mit einer einzigen Strategie missioniert: der Wahl zwischen Paradies oder Höllenstrafen? Warum soll ich da kein Misstrauen haben?
Geboten ist, dieses Misstrauen einer reifen Menschenkenntnis zu unterwerfen und dem Individuum zuzugestehen, dass es in Zwänge hineingeboren wurde und darin lebt und womöglich eigene Wahlen getroffen hat, die dem Charakter des eigenen heiligen Buches grundlegend widersprechen. Was den Rassismus, der sich einer Korankritik bedient, ausmacht, ist die Entgrenzung: zunächst alle Angehörige einer Religion die gleiche Frömmigkeit und Orthodoxie zuzusprechen, die der Koran von ihnen erwartet, dann alle Andersgläubigen gleicher Abkunft mit diesen zu identifizieren und dann Maßnahmen zu entwerfen, die den Menschenrechten widersprechen. Der Rassist will ein Verbot von Moscheen, obwohl das dem Recht auf Religionsausübung widerspricht, er will eine sofortige Abschiebung oder Nichtaufnahme von Muslimen, obwohl das dem Menschenrecht auf Asyl widerspricht und letztlich läuft es auf den Mord durch Naturgewalten an Geflüchteten oder Selbstschussanlagen hinaus, bevor diese überhaupt eine Wahl hatten, sich von der Ideologie des Korans zu lösen.
Islamkritik, oder präziser: Korankritik richtet sich an die Besucher*innen der Moscheen und konfrontiert diese mit dem Inhalt des Korans. Und die Kritik des palästinensischen Mythos spricht den Kindern in Gaza nicht das Opfersein ab, sie beharrt aber darauf, dass ihr Tod Teil einer Strategie der Hamas ist. Diese Strategie basiert darauf, Dillemata für den israelischen Staat zu errichten: dieser hat die Wahl, entweder dem Jihadismus und seinen diplomatischen Bündnisnarren die Sicherheit der eigenen Bürger*innen zu opfern, oder dem Jihadismus die Produktionsmittel für den Krieg zu entwenden, die Tunnel zu zerstören, die Raketenbunker zu sprengen, die Anführer und möglichst viele Kämpfer zu töten.
Die Hamas hat hinreichend und wiederholt bewiesen, dass für sie ein Waffenstillstand nur zur Vorbereitung des nächsten Schlages erstrebenswert ist. Derzeit sind ihre Strukturen und ihre Reputation derart geschleift, dass ein Wiederaufbau zu ihrer vorherigen Stärke wenig wahrscheinlich ist. Ihr Hauptinteresse ist daher, den Propagandakrieg gegen Israel auszuweiten und den Kriegszustand zu prolongieren. Nach diesem Prinzip handelt auch die Hisbollah, die keinen strategischen Sieg erzielen kann und lediglich im Auftrag Irans einen permanenten Kriegszustand aufrecht erhalten will, um Israel größtmöglichen ökologischen, diplomatischen und ökonomischen Schaden zuzufügen. Angesichts der ständigen Taktik von Hamas und Hisbollah, die Grenzen zwischen Zivilist*innen und Kämpfern zu annulieren, ist die Konsequenz der IDF umso bewundernswerter: Die Trennlinie immer neu zu verteidigen und zu ziehen und in jeder Pressemitteilung auch gegenüber den eigenen Soldat*innen darauf zu bestehen, dass diese gezogen wird. Das ist kein kleiner Unterschied, das ist der zentrale Unterschied in diesem mythologischen Krieg zwischen einer Ideologie, die erklärtermaßen das Leben an sich verachtet und alle Errungenschaften der Demokratie für die Strategie einer jüdischen Weltverschwörung hält, und der in Israel vorherrschenden Überzeugung, dass das Leben schützenswert und wertvoll und individuell ist.