Die kulturelle Dialektik von Alkohol, Arbeit, Halbbildung und reglementiertem Vergnügen manifestiert sich in Kombination mit individueller Psychopathologie bisweilen in einem unschönen Kneipenszario: Jemand ist betrunken, belästigt andere Gäste, faselt rassistische Monologe oder verletzt die körperliche Integrität von Frauen oder Männern. Natürlich möchten andere Gäste lieber in Ruhe ihren Abend verbringen und daher erteilt jeder halbwegs geschäftstüchtige und vernünftige Kneipenbetrieb solchen auffällig gewordenen Personen ein Hausverbot, um zumindest Wiederholungen von solchen Unannehmlichkeiten vorzubeugen.
Nun gibt es aber auch eine andere Szene, die in Kneipen passieren könnte: Ein politisch aktiver Mensch, vielleicht hat er einen örtlichen Parteienfilz aufgedeckt, vielleicht ist er nur Engländer, schwarz oder schwul oder ein Hergezogener, möchte in einer Kneipe sein Bier trinken. Die Stammtische murren, der Wirt verweigert ihm Getränk und Service. Ein klarer Fall von Diskriminierung. Es steht zwar jedem Verein frei, eine Zielgruppe zu definieren. Wenn an Diskotheken und prinzipiell öffentlichen Kneipen von vornherein eine Selektion stattfindet, wirkt das ein wenig spießig und elitär. Wo Türsteher nach Äußerlichkeiten das Publikum sortieren, entstehen fließende Übergänge zum immerhin heute strafbaren Rassismus.
In sich links oder alternativ nennenden Szenetreffs wiederum findet sich noch nicht allzu lange das Versprechen eines sogenannten „Freiraums“. Die BetreiberInnen solcher Lokalitäten versichern auf Wandanschlägen und Getränkekarten allen Gästen, dass „Sexisten, Rassisten und Antisemiten“ nicht erwünscht seien. In einer Universitätsstadt ergänzt man die Liste der Unerwünschten gerne um Verbindungsstudenten. Wer darüber hinaus sexuell oder verbal belästigt werde oder Belästigungen bezeuge, wird ans Thekenpersonal verwiesen.
Der abgesteckte Katalog von Tatbeständen ist offen für relativ beliebige Modifikationen: von sehr unangenehmen Verhaltensweisen bis hin zur privaten Meinung. Insinuiert wird, dass die inkriminierten Ideologien trennscharf und eindeutig zu bestimmen seien, als gäbe es nicht innerhalb der Linken sehr unterschiedliche Definitionen beispielsweise des Antisemitismus. Das in der Häufung suggerierte Bedrohungspotential erzeugt eine ängstlich-drohende Grundstimmung, der permanenten Angst vor Infiltrierung. Einige Aspekte dieser Angst will diese begrenzt fundierte Analyse begrifflich erfassen und zur Diskussion stellen.
Zunächst wird der eigentlich selbstverständliche Grundsatz des gegenseitigen Respekts und der Höflichkeit zur erwähnenswerten Ausnahme, zum Alleinstellungsmerkmal hochstilisiert. In politischen Institutionen bezeugt eine solche Aufwertungsstrategie ein angekränkelten Selbstbewusstsein. Zwei Elemente kommunizieren doch bereits die Gesinnung dieser Einrichtungen nach außen: Das Veranstaltungsprogramm und die Ästhetik. Wenn nun mit dem Hausverbot für Andersgesinnte ein Drittes hinzutritt, spricht das dafür, dass weder die Ästhetik noch die inhaltliche Präsentation von den linken Orten selbst wirklich ernst genommen werden, dass an ihre kombinierte Wirkung insgeheim gar nicht geglaubt wird.
Bereits die Ästhetik wird durch Kontrolle abgedichtet. Seit Jahren häufen sich Berichte über systematische Diskriminierungen in Szenelokalen. Wenn sie auf zulässige Insignien und Dresscodes verzichteten und dann noch geringfügig eleganter in H&M oder Boheme-Sakko eintreten wollten, wurden gestandene Antifaschisten vom Thekenpersonal unter Generalverdacht gestellt: „Bist du ein Burschi oder was?“
Weil gerade Zugehörigkeit und Gesinnung immer auch unsichtbar sind, sozusagen im schönsten Stressmob-Actionwear-Schafspelz ein Wolf verborgen sein könnte, mahnen zusätzlich Plakate und Bierdeckel-Aufdrucke zur permanenten Wachsamkeit gegen sexuelle Übergriffe und Verbrechen. Die „antisexistischen Bierdeckel“ sind besonders interessant und können stellvertretend für den Umschlag von Solidarität in Paternalismus und Kontrolle analysiert werden. In fünf abgebildeten „Übergriff“-Szenarios wird die Passivität der jeweils viktimisierten Frau als total imaginiert, die Ratschläge richten sich nicht an das prospektive Opfer sondern empfehlen einer dritten Person Handlungs- und Wahrnehmungsweisen an, die meistens selbst übergriffig sind. Die Bierdeckel sind allein ihrer Form nach Propaganda. Mit jedem Schluck soll ein moralisches Wahrnehmungmuster ins Unbewusste transportiert werden. Was an Komplexität solche Situationen ausmacht, wird in Bild und Wiederholung geplättet.
Zunächst aber wäre zu klären: Woher aber kommt diese relativ junge Angst, dieses Gefühl, sich in einem permanenten Abwehrkampf gegen sexuelle Übergriffe zu befinden? Wer in eine bürgerliche Kneipe geht, wird möglicherweise einen Rassisten am Nachbartisch vom Leder ziehen hören. In aller, wirklich aller Regel aber kann jede und jeder in einer durchschnittlichen Kneipe friedlich sein Getränk zu sich nehmen und muss schlimmstenfalls befürchten, vom Nachbartisch von endlosen Belanglosigkeiten und grausam inhaltsleerem Geschwätz oder einer Junggesellinenparty belästigt zu werden. Die Bierdeckel gestehen das implizit ein: Es wird überhaupt nicht jene rituelle sexuelle Belästigung visualisiert, wie sie tatsächlich in manchen rückständigeren Orten gerade unter Alkoholeinfluß noch usus ist und wie sie auch der männliche Autor dieses Textes am eigenen Leib erfahren hat. Strategien gegen sexuelle Belästigung und Vergewaltigung zu denken und zu üben macht Sinn, aber deren permanente Visualisierung im öffentlichen Raum ist der Instrumentalisierung für andere Zwecke verdächtig.
„Eigentlich wissen wir es ja. Auch an Orten wie diesem suchen Täter ihre Opfer aus und treten in Aktion – vor unser aller Augen. […] Blicke, Nachgehen, anzügliche Bemerkungen und vieles mehr können jedoch schon Übergriffe sein. Nicht selten gehen sie einer Vergewaltigung voraus.“
Die Bierdeckel-Szenen stilisieren noch Blicke zu „häufigen“ Vorläufern von Gewalttaten und Schaulust hoch. Eine versonnene ästhetische Betrachtung des Anderen wird der grinsenden, abgefeimten Gewalt verdächtig, die des regulierenden Eingriffs einer aufmerksamen, bierdeckelsensibilisierten Person bedürfe, unter Umständen selbst dann, wenn es der oder die Betrachtete selbst nicht bemerkt oder stört. Diszipliniert wird nicht erst durch konkrete Situationen, sondern durch ein Panoptikum, in dem alle sich gegenseitig überwachen und kontrollieren. Mit dem so erzeugten generellen Verbot der optischen Anbetung des Schönen aber wird das Schöne selbst unbewusst durchgestrichen, seine Attraktivität beneidet. Etwas darf schön sein, aber niemand anderes darf es zu lange betrachten. Ein mythologisches Verhältnis spannt sich da auf, das des Medusenhauptes auf der einen und des bösen Blicks auf der anderen Seite. KünstlerInnen und Verliebte studieren Gesichter und Körper, können sich darin verlieren und mitunter vergessen, dass sie mit ihrer bornierten, ewig blickenden Sprachlosigkeit hinter der Oberfläche ein Individuum verunsichern und zum Mittel für ihren Zweck machen. Diese ambivalente und durchaus latent „übergriffige“ Blickerotik wird auf einmal als Vorbote der extremen Gewalt verdächtig, man muss sie daher überall erblicken, erkennen, überwachen und verfolgen, in keinem Fall tolerieren: „Aber wir sehen keine Alternative.“ Auch wo ein lüsterner, älterer Mann jungen Frauen beim Gespräch nur zusieht, und diese sich daran stören, ohne es verbalisieren zu können, steht am Rand des Bierdeckels eine bezeichnende Reihe von Universalrezepten: „feuer rufen, eineinsnull, hilfe holen, öffentlich machen, laut werden, zuschlagen.“ Wie eine angemessene Kritik der Schaulustigen und ein reifer Umgang der männlichen oder weiblichen Schönen mit neidischer oder lüsternerner Schaulust der Anderen zu gestalten sei, denken auch die ausformulierteren Texten über „Blickregimes“ oder „Lookism“ nicht an. Wahlweise ist ihnen der Blick aufs Schöne oder das Schöne selbst verdächtig. Suggeriert wird eine Welt ohne Übergriffe, ohne die alltägliche Zumutung, dass eine Gesellschaft vermittels des Kapitals auf Körper und Geist zugreift, diese für ihre Zwecke verwendet und meist nur ein klägliches Äquivalent dafür bietet. Aufstehen müssen, Bus fahren, seine Arbeit begutachten lassen, sich von nicht so schönen Menschen ansehen, das heißt konsumieren lassen, in einer Kneipe der einzige Nichtraucher sein – das alles heißt Übergriffe am eigenen Leib zu erleiden, die regressive Ausflucht ist die Monade, der Schutzraum, das private, in dem niemand mehr irgendwie übergreift.
Zu begrüßen wäre, wenn tatsächlich betroffene Individuen zu Kommunikationsstrategien und Wehrhaftigkeit gegenüber sexueller Belästigung ermutigt würden, idealerweise in Workshops oder irgend dialogisch. Antisexistische Bierdeckel definieren aber eher neue Formen des Unzumutbaren (Blicke vom Nachbartisch, ein Augenzwinkern, nicht allein auf einer nächtlichen Straße unterwegs zu sein), sie fühlen in steter Wiederholung vor, was Individuen widerwärtig oder verängstigend zu finden haben, und sie steigern so zuallererst die Angst der potentiellen Opfer. Das unterscheidet die wünschenswerte, selbstverständliche und doch nicht zwangsläufige Solidarität mit Opfern vom Paternalismus, der die „Hilfe“ immer mit narzisstischen Boni belohnt und sein Objekt gewiss nicht zur Emanzipation führt.
Einer Frau, die ganz gut brüllen, drohen, einen „Candywrapper“ anwenden oder an entsprechender Stelle zutreten könnte, versichert Bierdeckel Nr. 1, man würde ihr diesen Akt der Aggression abnehmen. Sie soll so wehrlos bleiben, wie man sie erzogen hat. Emanzipation bedeutet aber auch den anstrengenden Verzicht auf die allzu selbstverständliche feminin-passive Auslagerung von Aggression an Dritte, eine Strategie der Kollusion. Aggression und Gewalt darf und soll in dieser Konstellation nur männlich sein – das weibliche Ideal bleibt narzisstisch rein von verfemter Aggressivität. Diese zutiefst patriarchale und ökofeministische Erbschaft aufzukündigen ist nur durch ein Zurückführen von Frauen an den verlernten strategischen Einsatz von Aggressionen möglich, nicht aber durch die regressive Bestätigung ihrer angeblich ontologischen Wehrlosigkeit auf Bierdeckeln.
Wahrscheinlicher will die permanent evozierte Bedrohung auch etwas anderes erreichen, einen Distinktionsgewinn. Wenn die invasive Außenwelt nur noch als Hort von Vergewaltigung, unreglementierten Trieben und Gewalt imaginiert wird, kann dadurch die eigene Burg gefestigt werden. Foucault hat in seinen lesbarsten Stellen ein tiefes Misstrauen gegen eine Strategie formuliert, die einen Herrschaftsanspruch als Fürsorge tarnt. An den Hausordnungen der linken Räume ist bemerkenswert, dass Verantwortung gern departementalisiert wird: Stets ist die Versicherung da, dass man sich kümmern werde. Die Vermittlung durch das Thekenpersonal ist nun nicht aus dessen besonderer Schulung im Umgang mit sexueller Gewalt oder Konfliktmediation abgeleitet, sondern aus der Machtposition.
Diese Macht verspricht den Anwesenden Ruhe und Identität. Die in den Kneipen versprochene Sicherheit muss aber kontinuierlich durch Ermahnungen auf Getränkekarten, Plakaten, Bierdeckeln gestört werden. Um Ruhe zu schaffen, wird die Bedrohung permanent, mit jedem Getränk, visualisiert, exerziert und zelebriert. Dass dadurch tatsächlich Traumatisierte in ihrem Ruhebedürfnis ernst genommen werden, ist zweifelhaft. Die allgemeine Folge einer solchen Ritualisierung ist eine stets aufgereizte, stimulierte Angstlust und insgeheim womöglich eine Identifikation mit den bildlich vorgeführten Vergehen.
Historisch war die autoritäre Inbetriebnahme von sexuellen Gewaltängsten/-phantasien Teil der fürchterlichsten Regimes, allen voran der Nationalsozialismus. Dessen Nacktkörperkultur und Natürlichkeitswahn, von Fetischismus und Aggression vermeintlich gereinigte Sexualität, ging mit dem Wahnbild einer invasiven Außenwelt einher, in der Afrikaner und Juden ihr sexuelles Unwesen treiben würden. Das Verhältnis von Sexualneid und Rassismus wurde hinlänglich analysiert. Der puritanischere Ku Klux Klan lynchte vor allem schwarze Männer, der konstruierte Vorwurf war fast immer die „Vergewaltigung einer weißen Frau“. Im Kambodscha der roten Khmer galt jegliches Private verdächtig, Familien wurden zerrissen, die dünne Reiswassersuppe musste in den schlimmsten Distrikten im Kollektiv eingenommen werden, um die allseitige Kontrolle auszuüben und bei geringsten Delikten „im Interesse der Allgemeinheit“ Menschen zu liquidieren. Die „fürsorgliche“ Überwachung des Privaten hat eine so perfide Tradition, dass ihr äußerstes Misstrauen selbst dort entgegen zu bringen ist, wo sie sich antitotalitär gibt. Anzusetzen wäre zuerst an der Schimäre der Außergewöhnlichkeit, der narzisstische Überhöhung, dass diese „Sensibilisierung“ für die Linke neu und spezifisch sei. Jeder „Tatort“ und jeder Horrorfilm kultiviert schließlich die Angst davor, dass auf neugierige Frauen nur Vergewaltigung und Tod warten, dass das liebenswerte Date sich als Psychopath entpuppt, dass die Wälder von kindsentführenden Mafiosi wimmeln und hinter jeder dunklen Ecke ein Monstrum auf sein Opfer lauert.
Der linksautonome Antisexismus schlug mehrfach schon in verfolgenden Autoritarismus um. Als einige gegen „den Sexismus“ Protestierende in Marburg einen mit fadenscheinigen Argumenten als sexistisch identifizierten Vortrag verhinderten, entwarfen sie spontan ein Submissions-Ritual. Wer den universitären Veranstaltungsraum betreten wollte, sollte unter einem aufgespannten Transparent hindurchkriechen. Dieses Ritual ist so alt wie archaisch: In Gallien wurde das römische Heer von den Tigurinern besiegt, diese schickten die besiegten Soldaten unter einem Joch hindurch. Herrschaft über Andere in deren Körper einzuschreiben ist eine der perfidesten und ältesten Machtstrategien. Vermeintliche Herrschaftskritik schlug in Marburg um in unreflektierteste Herrschaftsausübung, in Heimzahlung und Zurichtung des Anderen durch dessen gebeugten Körper.
Solche Rituale zeugen von einem erschütterten Selbstvertrauen in die sprachlichen Fähigkeiten, in den Begriff. Die wütende Aktion folgte begriffsloser Identifizierung. Man will, gegen die Freudsche Kränkung aufbegehrend, Herr im „eigenen“ Haus sein und lässt gerade dadurch seinen niedrigsten Lüsten – Häme, Heimtücke, Rache, Verfolungslust – freien Lauf. Einer der Veranstalter wurde denunziert, ein Anruf bei seinem Chef sollte seinen „Rassismus und Sexismus“ bloß stellen, was fast zu seiner Entlassung geführt hatte. Natürlich haben die Aggressiven „keinen Verdacht auf sich selbst“, wie man in der Psychotherapie umgangssprachlich sagt. Sie sind „unschuldige Verfolger“, in gerechter Sache aggressiv, es läuft alles ganz logisch auf Notwehr hinaus, denn „wir sind die Guten“, wie man auf Demonstrationen gerne skandiert. Mit dem gleichen Argument wurde in einem Szenelokal das Hausverbot gegen einen der verhinderten Veranstalter ausgesprochen, der Begründung zufolge hätten der ausgewiesene Mensch „beschissene Texte“ in einem Blog geschrieben, die das avantgardistische Selbstbild offenbar so tief kränkten, dass der Nachweis für sexistische, rassistische oder antisemitische Zitate gar nicht mehr erbracht musste. Aus dem Vorwand des Schutzes von potentiellen Opfern von Sexismus und Rassismus wurde ganz konkret ein systematisches und organisiertes Verfolgen von Andersdenkenden. Das gleiche Phänomen spielt sich überall ab, wo Bahamas-Autoren in Dialog mit Kritikern und Anhängern treten wollen – die bundesweite Verfolgungsjagd auf diese Kritiker der Linken ist längst Realität.
Es ginge, wenn Begreifenwollen einsetzte, auch anders. Man könnte den Individuen ihre Selbstverantwortung zurück geben, statt sie erst durch die Imagination übermächtiger Bedrohungen einzuschüchtern, und ihnen dann als einzigen Ausweg die Autorität des Kollektivs anzuempfehlen. Anstatt Plakate aufzuhängen, die sich sinngemäß an potentielle Vergewaltiger richten, und dadurch Vergewaltigungsopfern suggerieren, eine Missverständnis auf der Kommunikationsebene oder theoretische Unbildung habe beim Täter vorgelegen; anstatt mit solchen Plakaten die Vergewaltigung als alltägliche Imagination zu inszenieren, wie jene prüde Kirchen-Pornographie, die ihre Lust an Abbildungenen als Denunziation abnormalen Verhaltens tarnt; anstelle einer solchen Veralltäglichung des Sexualverbrechens könnte man Frauen und Männer analytisch bilden, ihnen komplexere Begriffe anempfehlen durch ausgearbeitete Texte, ihnen Strategien aufzeigen, Nein- und Ja-Anteile an sich selbst und an anderen zu erkennen, abzuwägen und angemessen zu artikulieren, schlichtweg ihnen beizubringen, nett zueinander zu sein, ohne gleich den immer riskanten und kränkungsgefährdeten Verführungsversuch oder die sexuelle Dimension aller zwischenmenschlichen Beziehungen zu kriminalisieren.
Das Missverhältnis zwischen der Arbeit an Begriffen und Tanzveranstaltungen ist allerdings eklatant. Gut möglich ist, dass dadurch erst die Angst genährt wird. Es fehlen Begriffe und Worte, wenn Kommunikation durch Lautstärke und Alkohol unterdrückt wird und letztendlich nur noch begriffslose somatische Emotion herrscht und allenfalls mit Tanzstilen Attraktion und Attraktivität, Zugehörigkeit und Ablehnung kommuniziert werden kann. Sprache und Körper verfließen, die Angst vor der sprachlichen Verletzung gleicht sich der Angst vor dem körperlichen Übergriff an, wer „beschissen“ schreibt, beginnt plötzlich tatsächlich zu stinken und muss weggespült, verwiesen, verboten werden.
Was wäre der politischen Sache verloren, wenn nicht nur die mit Hausverbot bedachten antifaschistischen Feministen und Kritiker der Linken sondern vielleicht sogar ein Verbindungsstudent in einer solchen Örtlichkeit gelegentlich sein Bier trinken würde. Wäre man sich seiner intellektuellen Überlegenheit zutiefst gewiss, man könnte freudig eine Gelegenheit wahrnehmen, das rhetorische Geschick am willkommenen Gegner zu testen. Das beinhaltet aber die Gefahr, auf religiöse Anteile der eigenen Ideologie zu stoßen, unbegriffene Natürlichkeiten erschüttert zu sehen. Glaubt man denn wirklich, dass ohne Verbote die Infiltration der stickerbewehrte Institution – die allein durch die Aufkleber und die ranzigen Kritzeleien so oft an ein Kinderzimmer erinnern, das vor den Eltern geschützt werden muss – glaubt man also wirklich dass die Invasion der verrauchten Schuppen durch Burschenschafter anstünde oder macht man sich insgeheim die Welt durch ein sattes Stück Unfreiheit, Intoleranz und Unehrlichkeit vor sich selbst erträglicher?
Kritik an der derzeitigen Praxis ist selbst dort zu leisten, wenn sie ihr Recht hat, bei tatsächlichen Übergriffen. Die notwendige Abwehr „Hausverbot“ masst sich mitunter an, das Strafrecht zu ersetzen: In Frankfurt wurde einem als geständig bezeichneten Vergewaltiger ein Hausverbot erteilt – von einer Strafanzeige wird dem Opfer implizit abgeraten, das linke Recht sei dem bürgerlich-politischen durch die „Definitionsmacht“ überlegen. Ein solches Verhalten ist perfide: Das Opfer wird „geschützt“ – solange es sich ans Kollektiv bindet und in dessen Räumen aufhält. Es wird an diesem Punkt mit Leib und Seele abhängig gemacht von seiner politischen Gesinnung. Im konkreten Fall wird noch ein Kollektivgewinn herausgeschürft: „Bei einer Vergewaltigung sind alle betroffen. Sie ist keine Privatangelegenheit, sondern muss als politische, nämlich sexistische Gewalt politisch geächtet werden.“
Das Hausverbot schickt sich nicht nur an, bürgerliche Rechtsgrundsätze wie das „in dubio pro reo“ oder das Grundgebot eines festgesetzten Strafmaßes, sondern auch jede Analyse zu ersetzen. Das höchste Interesse der kritischen Theorie lag darin, herauszufinden, wie die Menschen zu dem geworden sind, was sie sind und wie man es sich und anderen begreiflich macht – auch und gerade an den ärgsten der nationalsozialistischen Massenmörder. Das bedeutet nicht den pazifistischen Ausschluß von Notwehr und Aktion, sondern das Primat der Analyse und der Trauer um die Verlorenen.
Ein solches Primat würde endlich auch jenes abscheuliche Identifizieren abstellen, das aus Individuen, die vielleicht in einer schlechten Polemik wirklich danebengehauen haben, auf Lebenszeit einen „Sexisten“ oder „Rassisten“ in toto macht. Wer das einmal „ist“, hat so schnell kein Auskommen. Kontagiös verbreitet sich das Gerücht und es erweitert sich. Hatte sich jemand am ersten Ort wegen einer Plakatzerstörung einen Verweis eingetragen, eilt ihm rasch die Identifizierungswut hinterher und treibt ihn als Gesinnungstäter und prospektiven Vergewaltigungsbefürworter aus allen Institutionen, deren das linke Kollektiv habhaft werden konnte. Es scheint erneut so, als könnte das Selbstbild einer aggressionsbereinigten besseren Gesellschaftsform, der neuen Menschen, nur aufrechterhalten werden, wenn man diesen neuen Menschen hin und wieder einen richtigen Verbrecher präsentiert, der wie die Manifestationen des Verdrängten im Horrorfilm an den Fenstern kratzt. Symptomatisch für diese Form des Identifizierens ist die zeitliche Entfristung von Hausverboten. Nicht wird versucht, zu disziplinieren, gerecht zu sein, Kritik wirken zu lassen, vorzubeugen – das Hausverbot will in seiner derzeitigen Form Identität schaffen und das Kollektiv begründen, das keine anderen Argumente mehr hat und zulässt und in sich schon jene Deprivation ahnt, die es den anderen, willkommenen oder dem Bild zurechtgelogenen Objekten angedeiht, um sie nicht zu schmerzhaft selbst zu fühlen.
Selten eine derart guten Artikel von dir gelesen; du scheinst zu lernen, ohne Polemiken auszukommen. Thumbs up!
Wenn es doch so einfach wäre. In einigen Punkten gehe ich vollkommen mit. So ist der Drang nach Abschottung vor der bösen Aussenwelt um die gefühlte moralische Überlegenheit gegenüber den „Anderen“ leider zu oft Basis linker Identität . Wo du meiner Meinung aber zu kurz greifftst, ist die Tatsache, dass die Personen, die Hausverbote aus der ehemals antideutschen heute meinetwegen ideolgiekritischen, exlinken Szene (die ja genauso wie die ihnen so verhasste linke funktioniert…) bewusst diesen Umstand nutzten und dann genau die Reaktion bekommen, die sie ja eh erwarten um sich dann in ihrer eigenen Überlegenheit als die kritischsten der Kritischen zu suhlen.
Wenn die linken Szeneorte sowieso die gefühlte Ausgeburt des Bösen sind, warum werden sie dann immer wieder bewußt besucht um genau die Reaktion hervorzurufen? Warum wundert man sich, dass man Hausverbot von Leuten bekommt, die man vorher von der Polizei aus dem Saal knüppeln lassen wollte (genau und nur deshalb ruft man die Polizei oder die Frankfurter Leibgarde mit Pfefferspray in Feuerlöscherformat und Helmen als ob man sich Marburg im Bürgerkrieg befindet…).
Die ideologiekritische Szene funktioniert doch genauso nur durch ihr Anderes. Was den einen die Sexisten, die Prolls oder die Burschen sind, sind dann eben die Linken. Seit Jahren drehen sich doch die Debatten in Bahamas und Co. im Kreis. Die Polemik ist ausgelutscht und verkommt hinter den „Geiz ist geil“- Reklamen, einem „das wird man doch noch sagen dürfen“ Gelaber eines Sarrazin, zur selbstreflexiven Leere. Der Erfolg der Kritik wird nur noch an der (ja oft wirklich oft bescheurten) Reaktion des Gegners festgemacht. Wenn der „Verweis auf verschwitzte Achselhaare“ oder „Kapuzenpullover“ das Argument ersetzen soll, dann ist das nicht mal Kritik, die nicht trifft, sondern gar keine.
By the way, die antideutsche/ideologiekritische Szene hat sich in Marburg noch nie über Hausverbote gegenüber Leuten beschwert, die z.B. Palitücher tragen. Da waren alle an vorderster Front dabei. Es geht also wohl nicht ums Grundprinzip Hausverbot, sondern darum dass es gegen sie geht, die wohl doch noch so an der Mutterbrust linke Szene hängen und sich dann (vielleicht sogar zurecht) über die Züchtigung durch die Eltern beschweren.
In Teilen stimme ich dir zu, in enigen Teilen stürzt du ab. Die Polizei zu holen war wohl durchaus die einzige Möglichkeit, die Veranstaltung durchzusetzen und auch jenen Kritikern die Möglichkeit zur Diskussion zu geben, die das vielleicht tun wollten. Der Saalschutz der zweiten Veranstaltung ist unter anderem ein Resultat aus tatsächlichen Anschlägen wie jenem Laserpointer-Attentat auf Wertmüller, das einem dritten die Netzhaut verbrannte. Jeder hätte am Saalschutz vorbei gehen können, der es nicht auf die Verhinderung sondern auf Kritik der Veranstaltung abgesehen hätte.
Dann: Das Palituch ist ein Dresscode, der selbst eine Aussage ist. Auf diese politische Aussage zu verzichten ist keine Zumutung. Auf eine Jacke mit diagonalem Reißverschluss (wie kapitalistisch) oder ein Sakko (wie normativ) zu verzichten schon. Die Kritik am Palituch war meistens auch inhaltlich begründet worden und begrifflich ausformuliert, z.B. im Flyer „Coole Kids tragen kein Palituch“. Wer sein Palituch ablegte, konnte doch meist eintreten und Diskussionen führen. So what. Natürlich leugne ich nicht, dass die antideutsche Szene selbst pubertären Unfug angestiftet hat. Inklusive Bahamas, da teile ich auch deine Kritik, eine reflexive Rücknahme einer danebengegriffenen Position hat in diesem Medium nie stattgefunden und hier wurden auch einige Kritiken dazu verfasst. Aber wenn diese Leute wie derzeit verfolgt werden, dann erkläre ich mich mit ihnen solidarisch.
„Wenn der “Verweis auf verschwitzte Achselhaare” oder “Kapuzenpullover” das Argument ersetzen soll, dann ist das nicht mal Kritik, die nicht trifft, sondern gar keine.“ Für diese Kritik hast du meine vollste Zustimmung und daher verlinke ich auch bei schlechter Polemik auf einen Artikel von Thomas Maul. Ich hatte einst auch eine Kritik an einem Bahamas-Cover verfasst, auf dem „dumme“ Linke mit Unterbiß karikiert wurden. Dann gehe ich aber auf eine solche Veranstaltung und sage das dann im Diskussionsteil, wenn ich halbwegs sprechen kann – vor allem, weil ich mich nicht um jenen Teil der Kritik betrügen möchte, der tatsächlich begründet und progressiv ist.
Ich hatte auch überlegt, die von dir angesprochene Dialektik zwischen antideutscher Pose und antisexistischem Mackertum und Verfolgertum auszugestalten, es dann aber rausgenommen, weil es mir gerade zu viel wurde. Gern lese ich ausformuliertes und Nachvollziehbares.
„Wenn die linken Szeneorte sowieso die gefühlte Ausgeburt des Bösen sind, warum werden sie dann immer wieder bewußt besucht um genau die Reaktion hervorzurufen? Warum wundert man sich, dass man Hausverbot von Leuten bekommt, die man vorher von der Polizei aus dem Saal knüppeln lassen wollte “
Das Argument kann nicht stehen bleiben. Die fragliche Kneipe war über lange Jahre sehr offen der heute inkriminierten Ideologiekritik gegenüber und hatte kein Problem mit Kritik an der Linken, auch wenn sie böse oder schlecht wurde. Sie ist nicht von vornherein identisch mit der verfolgenden Gruppe und wenn sie es ist, so ist das eine relativ junge Erscheinung. Es wäre niemand da raus geknüppelt worden, der oder die sich nicht selbst in einem komplett narzisstisch überhöhten Wahn befunden hätte. Jeder mit Restvernunft hätte gehen oder der Veranstaltung friedlich beiwohnen und kritische Anmerkungen machen können.
Dass gerade diese Identifizierung einer „totalen Linken“ auf Seiten der Veranstalter nicht stattgefunden hat, wendest du zur „Provokation“. Das ist nicht besonders fair.
“wie jene prüde Kirchen-Pornographie, die ihre Lust an Abbildungenen als Denunziation abnormalen Verhaltens tarnt“
Was ist denn damit gemeint? Die voyeuristische Berichterstattung im Missbrauchsskandal der Kirchen? Oder was ganz anderes?
Ah, nein, eher die pornographischen Darstellungen von Hexen beim Verkehr mit dem Teufel.
„Die Polemik ist ausgelutscht und verkommt hinter den “Geiz ist geil”- Reklamen, einem “das wird man doch noch sagen dürfen” Gelaber eines Sarrazin, zur selbstreflexiven Leere. Der Erfolg der Kritik wird nur noch an der (ja oft wirklich oft bescheurten) Reaktion des Gegners festgemacht. Wenn der “Verweis auf verschwitzte Achselhaare” oder “Kapuzenpullover” das Argument ersetzen soll, dann ist das nicht mal Kritik, die nicht trifft, sondern gar keine.“
Die Sprache gibt der Gegenstand vor. Hinter diese sprachkritische Einsicht zu fallen zeugt von Talentlosigkeit und Infamie. Die „verschwitzen Achselhaare“ sind keine Karikatur, sie wurden zum Gegenstand der Polemik, da diesem Genderaktivismus selbst die Achselhaarlänge zum Politikum wird. Der „Kapuzenpullover“ ist nicht einmal eine Erfindung der Polemik, sondern mit das Logo des Autonomen FrauenLesben Referates Marburg (AFLR).
Mit einem Jahr Abstand lässt sich gewiss über die eine oder andere Formulierung unmittelbar im Gefecht anders denken. Daher gibt es kein Grund zur Rechtfertigung. Doch Polemik, die nicht trifft, ist keine. Der Polemik ist einzig vorzuschreiben, dass sie keine Lügen verbreiten darf. Alles andere ist ihr gutes Recht.
Zum Argument haben Sie übrigens die Zitate erhoben. Nicht die Autoren.
Und schließlich: Der Unterschied zwischen Argument, Kritik und Polemik sollte doch vorausgesetzt werden. Sonst wird das nichts und dann erst dreht man sich im Kreis.
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So frage ich nun hier: Wieso wurde unter „vielleicht schlechte Polemik, wo wirklich danebengehaut wurde“ – der Einleitungstext zum Vortrag von Thomas Maul verlinkt?
Ich halte die Allgegenwart von sexuellen Übergriffen nicht für eingebildet.
“Diszipliniert wird nicht erst durch konkrete Situationen, sondern durch ein Panoptikum, in dem alle sich gegenseitig überwachen und kontrollieren. Mit dem so erzeugten generellen Verbot der optischen Anbetung des Schönen aber wird das Schöne selbst unbewusst durchgestrichen, seine Attraktivität beneidet“ meinst Du damit: Mann darf den Frauen nicht mehr auf die T+++++ glotzen? „Strategien gegen sexuelle Belästigung und Vergewaltigung zu denken und zu üben macht Sinn, aber deren permanente Visualisierung im öffentlichen Raum ist der Instrumentalisierung für andere Zwecke verdächtig.“ Im Gegensatz zu öffentlicher frauenverachtender Werbung? Das „anbeten“ des Schönen, was du alter Minnesänger hier verteidigst hat leider oft nicht diesen Charakter. Mag ja sein, dass Du deine eigenen Erfahrungen mit Übergriffen gemacht hast, aber spätestens am Punkt wo du den Übergriff als Kommunikationsproblem abtust, für das ja beide auch ihre Schuld tragen, kann ich mir das nicht mehr vorstellen. wahrscheinlich hat es sich dabei nicht um, wie du so schön schreibst, „tatsächliche“ Übergriffe mit „tatsächlicher“ Traumatisierung gehandelt…danke an daniel kulla für den einzig sinnvollen satz auf dieser seite
thumbs up, thomas!
Das ist doch einfach grober Unfug, thomas. Daraus dass der Autor gegen Übergriffe „Kommunikationsstrategien und Wehrhaftigkeit“ empfiehlt, folgt doch keineswegs eine „Schuld“ von Opfern. Dein Zusammenhang impliziert eine immer und überall geltende völlige Wehrlosigkeit, die auch unter keinen Umständen angetastet werden darf, um ja nicht eventuelle „Schuld“ aufs Opfer zu laden.
ja bromm, ich geb zu ich hab mich verlesen. dann nehm ich das selbstverständlich zurück.
@Dave: Ich plane noch einen Text zur neuen Analität der Polemik, in dem ich die allgemeinere Tendenz kritisieren möchte. Im verlinkten Text finde ich jene Passage unterirdisch:
„Kurz: Wer noch nicht ganz zum Zombie verkommen ist, wird das Kopftuch als Bedrohung erkennen. Es ist das Symbol der geknechteten Frau. Der Sex mit ihr ist wahrscheinlich so spannend wie die Tagesschau. Und der mit ihm dementsprechend ekelhaft; unsinnliches, rohes Hinundhergeschiebe.“
Man braucht nicht viel Freud gelesen zu haben, um darin eine klassische Neid-Abwertung zu erkennen und sich über das verdrängte Begehren zu wundern. Mit ein wenig mehr Reife wäre man vielleicht vor solcher projektiver Sprache in der Polemik doch zurückgeschreckt um der eigenen Integrität willen.
@Klaas Kulla: Eine Frage, die ich aufwarf war jene der Verschiebung von Grenzen, was überhaupt ein Übergriff ist. Die Bierdeckel jedenfalls haben nicht klassische Übergriffe zum Ziel, sondern leisten evasive Grenzarbeit – hin zum Blick, zum Privaten.
@thomas: „Im Gegensatz zu öffentlicher frauenverachtender Werbung?“ Nein, im Gleichschritt damit. Wobei ich durchaus im Dissens bin mit der Instrumentalisierung von Schönheit und ihrer Zurichtung zur Frauenverachtung. Das sind feine Nuancen. Wenn eine Werbung einen Käse mit einer nackten Frau bewirbt ist das in gewissem Maße frauenverachtend. Wenn ein Urlaub eine Frau im Bikini zeigt, hat das noch eine gewisse Logik. Die Kombination von Motorrädern und halbnackten Frauen in einem Motorsport-Katalog halte ich übrigens für männerverachtend.
„Mann darf den Frauen nicht mehr auf die T+++++ glotzen?“ Anscheinend darfst du es nicht mal mehr schreiben und ein betrachten, bewundern vom glotzen zu unterscheiden wäre gleichfalls Begriffsarbeit, die sich nicht von vornherein gegen das Begehren verwahren würde. Ich empfinde diese Zeile übrigens als abwertend und latent frauenverachtend.
„aber spätestens am Punkt wo du den Übergriff als Kommunikationsproblem abtust, für das ja beide auch ihre Schuld tragen“
Wo genau ist dieser ominöse Punkt? Ich problematisiere die Kommunikationslosigkeit: Man muss sich nicht mehr mit den Zumutungen direkt auseinandersetzen und sie so auch aushandeln, es wird ja schon eine dritte Seite sich kümmern, die Theke, die Tischnachbarn, etc. Das ist regressiv. Bisweilen legitim und nicht anders möglich, aber regressiv.
„Die Kombination von Motorrädern und halbnackten Frauen in einem Motorsport-Katalog halte ich übrigens für männerverachtend.“
Kannst du das erläutern? Wo ist für dich der Unterschied zu dem von dir ebenfalls angesprochenen Käse, für dessen Verkauf die Frau ebenso als Werbe-Objekt instrumentalisiert wird?
Ich mische mich mal dazwischen: Zum ersten finde ich, daß die benannte Männerverachtung darin nicht erläutert werden muß; – zum anderen denke ich, daß der kleine Unterschied zum anderen Käse dadurch deutlich wird, daß Kritik letztlich das ganze Falsche ganz vernichten will, also immer weiter trägt, um nicht bei den immerhin doch feinen, aber erscheinungsschöneren Unterschieden in eben diesem (falschen Ganzen) als biologischer Rohmilchkäse am Knäcke klebenzubleiben.
Zugleich kritisiere ich das Zurückdrängen von Sexualität auf verbale Kommunikation. Wenn man sich die pubertäre sprachlose Realität ansieht, in der zahllose Akte ohne Kommunikation verbaler Natur stattfinden, von beiden Seiten riskant, mitunter zwanghaft, unbewusst, latent übergriffig, dann hat die Sprechakt-Ideologie keine andere Antwort, als diesen Teenagern die Kommunikation anzuempfehlen, nicht aber sie über tatsächliche Widersprüche und Ambivalenzen ihrer Sexualität aufzuklären, über die Gleichzeitigkeit von Wollen und Nichtwollen und die anstrengende Arbeit der Bewusstmachung von eigenen und fremden akzeptablen, anstrengenden, aufregenden, tolerierbaren, nicht tolerierbaren und bösartigen sexuellen Projektionen.
Ein Mann erklärt den Frauen, was sexuelle Übergriffe sind und was nicht.
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Als ein Mensch, der von außen in die bunte Welt der sich emanzipatorisch verstehenden Linken hineinblickt, verwundern mich Texte wie der vorliegende immer sehr. Das in ihnen Beschriebene hinterlässt in mir den Eindruck, dass das emanzipatorische Projekt im Zuge seiner Vermassung usurpiert, balkanisiert und pervertiert worden ist durch Leute, denen es an Bereitschaft und wohl auch Tauglichkeit zu Emanzipation und Aufklärung fehlt, und von denen nicht wenige das vorgebliche Streben nach der emanzipierten Gesellschaft als Rechtfertigung und Rationalisierung für die Befriedigung eigener, bisweilen aggressiver Bedürfnisse missbrauchen. Immerfort Manifestationen dieser Usurpations- und Balkanisierungstendenzen zu katalogisieren und zu analyiseren, erscheint mir müßig, solange die Untersuchung ihrer Ursachen unterlassen wird. Hat denn niemand die Befürchtung, dass das emanzipatorische Projekt letztlich scheitern könnte, wenn diesen Tendenzen nicht irgendwann einmal Einhalt geboten wird?
Mit dem ganzen Text ganz überein, so lese ich das. – Die Idee, selbst die (aesthetische) Betrachtung und Freude am Schönen etwa als potenzielles Vorfeld von Übergriffen zu beobachten, hat etwas verzweifelt Vollmoralisches und Rückwärtsgewandtes. Antisexismus wächst mit einer sich zunehmend sexualisierenden Gesellschaft. Aber stimmt das überhaupt? Wozu werden Blicke gelenkt, Markierungen gesetzt, Codierungen zwanghaft? Vernutzung auf Eindeutigkeit, also auf Antiaesthetik, genormte Sexualität. Auf rohe Binarität allüberall. – Der Text erzählt schön davon, wie und wo der Wunsch nach Klarheit in Identifizierungswut kippt.
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„Anonym
Ein Mann erklärt den Frauen, was sexuelle Übergriffe sind und was nicht.“
Ja, das sind heute schon Zumutungen. Und über Pilze dürfen nur Pilze schreiben. Darf ich annehmen, dass deiner falschen Wahrnehmung sexuelle Übergriffe sich AUSSCHLIEßLich als männliche Aktionen gegen Frauen darstellen? Und überdies noch klarzustellen wäre: dass überdies jemand über Genozid schreiben darf, der keinen am eigenen Leib erlebte, dass jemand über Astrophysik schreiben darf, auch wenn er oder sie noch nie auf dem Mond oder Mars war? Sind das Zumutungen für dich, Übergriffe gar?
Your style is very unique in comparison to other folks I’ve read stuff from. Thank you for posting when you have the opportunity, Guess I’ll just bookmark this page.
Zu ganz zu Anfang ist zu sagen daß GERADE in sogenannten „linken“ Treffs die individuellen Psychopathologien der dortigen Besucher und Betreiber dominierend ist, im Gegensatz zu vielen bürgerlichen Lokalitäten.
btw, zu was für einer Farce Antideutschtum mittlerweile verkommen ist kann man hier sehen: http://www.facebook.com/pages/deutsch-mich-nicht-voll/136144916461712.
Es könnte sich aber auch um eine satirische Clowneskerie handeln auf die allerhand Verwirrte (und wer ist das nicht?), in die starre Linke aus-was-für-Gründen-auch-immer nicht wirklich passende Charaktermasken*, hereinfallen.
* vielleicht sogar aus dem positiven Grund daß die individuelle Psychopathologie bei weitem nicht so weit fortgeschritten ist wie beim Standard, so daß man sich in „der Szene“ verloren und allein vorkommt, und verzweifelt. Beobachte das gerade an jemanden, die dafür um so mehr um sich tritt und sich betäubt.
Eine Frage…
Zitat: „die allein durch die Aufkleber und die ranzigen Kritzeleien so oft an ein Kinderzimmer erinnern, das von den Eltern geschützt werden muss“
Soll das tatsächlich ‚VON den Eltern‘ heissen oder eher doch ‚VOR‘? Letzteres scheint mir augenfälliger. (die böse Bolizei, die bösen fremden Menschen, die bösen älteren „Typen“…)
Danke, „vor“ natürlich.