Puritanische Philanthropie und Prostitutionsfeindschaft

Jean Rouch filmte in seinem Meisterwerk „Les Maitres fous“ unter anderem eine Demonstration in Accra, Ghana. Die Protestierenden waren Prostituierte, sie forderten höhere Löhne ein.

Im heutigen Frankreich haben Prostituierte diese Freiheit nicht mehr. 2003 hatten die Konservativen Prostituierte mit Strafen bedroht, wenn sie Freier anwerben. Die Sozialisten schaffen das gerade ab zugunsten des schwedischen Modells, nach dem die Freier bestraft werden.(1) In den protestantischen und sozialdemokratischen Staaten  Schweden, Norwegen und Island ist Prostitution jeweils für Freier illegal, Island untersagt selbst das Strippen.(2) Finnland diskutiert aktuell das schwedische Modell, in Deutschland agitiert die Illustrierte „Emma“ dafür.

Dass man nicht die Prostituierten, sondern die Freier bestrafen müsse, das erscheint den einfacher gestrickten Philanthropen schon wie ein gewitzter Kniff, um etwas richtig zu rücken. Tatsächlich verschleiert das nur die Aggression auf die Prostituierten. Die Folge ist die gleiche: Prostituierte können ihr Geschäft aufgeben. Das schwedische Modell ist etwas gerechter, dafür wohl ungleich effektiver als das konservative in der Unterdrückung der Prostitution im eigenen Land. Letztlich geht es um ihre Abschaffung oder zumindest Verschiebung – nach Deutschland und in die Peripherien, wo man dann wiederum den Anstieg der Prostitution skandalisiert.

Prostitution beruft sich auf das Recht, die eigene Arbeitskraft frei zu verkaufen. Dieses Recht ist eines der Kernbestände liberaler Demokratie. Nun gab es von je her Einschränkungen: Kinderarbeit wurde verboten. Die Zustände in den britischen Kohleminen, in denen Kinder wegen ihrer Größe in den besonders niedrigen Schächten eingesetzt wurden, die Kinderarbeit in Webereien sind bei Engels beschrieben. (Natürlich findet Kinderarbeit nach wie vor statt in den Peripherien, für Baumwolle, Kakao, Fussbälle und Teppiche) Bei der Kinderarbeit ist der zentrale Konflikt die Unmündigkeit. Ein kleiner Mensch kann diese Arbeiten nach wie vor ausüben, auch wenn sie ihn zugrunde richtet und er weniger Gehalt erhält, als vorher das ebensogroße Kind. Nicht die individuell zerstörerische Wirkung von Arbeit interessiert die Gesellschaft, sondern die gesellschaftliche. Mündigkeit ist durch das Verbot der Prostitution Minderjähriger in allen EU-Staaten gegeben. Die Prostitution hat darin etwas den anderen Berufen voraus, die teilweise schon mit 15 erlernt werden dürfen, ab 17 darf man sich in der Bundeswehr härtestem Drill und Lebensgefahr aussetzen, Zeitungsaustragen dürfen schon sehr kleine Kinder, Schauspielern die kleinsten.

Minderjährigkeit und direkter Zwang sind bei jeglicher Arbeit, auch bei der Prostitution illegal. Das Verbot der Zwangsarbeit fokussiert aber nicht auf den Zwang an sich, sondern auf die Vermitteltheit des Zwangs. Abstrakte gesellschaftliche Verhältnisse gelten als die natürlichen, hinzunehmenden Voraussetzungen der freien Selbstausbeutung, auch wenn darunter Zwänge wie Hunger, Tod und soziale Isolation gefasst werden müssen.

In der Prostitutionsfeindschaft will man von vermittelten Zwängen nichts mehr wissen. Bordelle, die ihre Ausbeuter fraglos haben, sind aber in ihrer grundsätzlichen Vermitteltheit des Zwangs nicht zu unterscheiden von den Baustellen oder Fabriken, in denen sich Männer wie Frauen aus „freien Stücken“ zugrunde richten dürfen. Das Ziel der Prostitutionsfeinde ist daher stets die Verschleierung der strukturellen Gleichheit der vermittelten Ausbeutung. Diese Verschleierungstaktik bedient sich zweier Strategien: Statistik und Spezifik.

Statistik soll suggerieren, dass der Notstand in der Prostitution so akut ist, dass in der Rechtsgüterabwägung das Recht auf freien Verkauf der eigenen Arbeitskraft unter den Tisch fallen kann. Wenn erst die Vorherrschaft unmittelbaren Zwangs, also Zwangsprostitution, in der Prostitution nachgewiesen ist, ist das Gewissen der puritanischen Philantropen für den Angriff auf die nur vermittelt erzwungene Prostitution gereinigt. Der Verweis auf die prinzipielle Möglichkeit der emanzipierten Prostitution, die von ähnlichen ausbeuterischen Verhältnissen und Marktzwängen geprägt sein wird wie jede andere Arbeit, kann angesichts der Statistik und Drastik der Ausbeutung in Extremfällen jederzeit als zynisch denunziert werden. Wen kümmern die wenigen Edel-Escorts, die Gelegenheitsprostituierten, die masochistischen Fetischisten in ihren jeweiligen hetero- und homosexuellen Ausprägungen, wenn die Abschaffung ihrer Rechte Andere aus so extremer Sklaverei befreit. Die Legitimationsform ist die gleiche wie bei der Abschaffung bürgerlicher Freiheiten für die Terrorismusbekämpfung oder die Aufhebung des Datenschutzes zur Bekämpfung von Kriminalität: Notstand.

Das zweite, emotionalere Standbein der Prostitutionsgegner ist die Spezifik. Prostitution ist demnach verwerflich, weil sie grundsätzlich „andere“ Arbeit ist, weil sie die Geschlechtsteile involviert. Wenn die gleichen Geschlechtsteile lebenslang auf Bürostühlen oder Kassiererinnenstühlen eingequetscht werden bis Hämorrhoiden, Stressinkontinenz und Frühableben wegen Bewegungsmangel eintreten, gilt das als weniger skandalös als die berufsmäßige Penetration oder Masturbation. Bandscheibenvorfall und Hexenschuss – notwendige Folgen moderner Arbeitsverhältnisse – fügen extremsten Schmerz zu und können lebenslange Verkrüppelung bedeuten. Dennoch werden sie als Berufskrankheiten toleriert, einkalkuliert und akzeptiert. Was die Arbeitswelt mit der Psyche von Menschen anstellt, ist täglich zu beobachten. Penetrationen hingegen gelten als barbarisch und nicht hinnehmbar. In einer solchen Trennung sind Sexualtabus wirksam, hochidealisierte Vorstellungen von „normaler“ Sexualität, die sich kopfschüttelnd gegen die Vorstellung richten, Sex mit womöglich täglich oder mehrfach täglich wechselnden Geschlechtspartnern sei etwas Erstrebenswertes oder auch nur annähernd Auszuhaltendes. Und selbst die freieste Gelegenheitsprostitution, die sich ihre Kunden ohne ökonomische Zwänge aussuchen kann und für die gebotene Schönheit, Zeitaufwand und Seriosität einen Gegenwert einfordert, wird dem Verbot anheim fallen. Es geht den Prostitutionsfeinden nicht um Gewalt oder Zwang, sondern um die Existenz der Idee von Prostitution.

Der Neid auf diese Möglichkeit, sich mittels Sex dem übrigen Verwertungszwang zu entziehen, tritt in der Abwertung zutage. Das insgeheime Begehren auf solcherarts vereinte Bedürfnisbefriedigung – Sex, Nahrung und Obdach – wird mit Kastrationsdrohungen wie Vergewaltigung und sei es als Voraussetzung solcher Perversion verdrängt. Eine Frau, die solch unnatürliche Lust an Sex hat, oder die ihn akzeptieren kann, müsse zwangsläufig als Kind sexuell misshandelt worden sein. Statistik trumpft hier wiederum auf, schafft Mehrheiten. Warum aber die sexuelle Gewalt in der Kindheit zur Prostitution führt, ob sie vereinzelt nicht auch Coping bedeutet, ob sie eine für das Individuum gelungene Kompromisslösung für innere Spannungen und Ambivalenzen darstellt, warum diese Prostituierten mitunter Sex und partnerschaftliche/familiäre Nähe trennen wollen – solche differenzierenden Überlegungen fallen dem autoritären paternalistischen Schutzdrang anheim, der aus traumatisierten Opfern von sexueller Misshandlung in der Kindheit ewige Kinder und ewige Opfer machen muss.

Prostitutionsfeinde wirken mit an der Durchsetzung von „normalem“ Sex als gesellschaftlichem Standard. Tabuiert werden lustvoller Sex mit älteren, „hässlichen“, behinderten oder reichen Männern, weiblicher Exhibitionismus, Masochismus und Narzissmus, Nymphomanie, zwanghafter Sex, Sex als Verrichtung.

Sex für Geld wird verboten, Sex und Geld für sich bleiben aber legal und jeweils glücksverheißend. Das ist nichts anderes als ein Inzesttabu, das vor allem auf weibliche und Homosexualität abzielt. Lust an Sex für Geld – diese Phantasie bleibt jungen Männern vorbehalten. Die dürfen von den zahllosen Liebhaberinnen spinnen, mit denen sie womöglich täglich Sex haben würden, während die noch dafür zahlen. Normiert werden Frauen, denen die narzisstische Befriedigung, ihre Begehrenswertigkeit tatsächlich in Geldform oder in der Zahl der Freier – als Tauschwert – aufgerechnet zu sehen, versagt wird.

Tatsächlich verschleiert die Prostitutionsfeindschaft einfach ihren bürgerlichen Egoismus, der hinter der groß aufgemachten Moral der Schwarzers und der sozialdemokratischen Feministen steckt. Das Prostitutionsverbot mag sich gegen die Rechte der freiwilligen Prostituierten richten, aber es scheint als der billigste Weg, Zwangsprostitution einzudämmen. Man beschneidet ein Grundrecht in der Absicht, Ausgaben für Polizei, Sozialarbeit, Gerichte zu sparen, die die mühsame Differenzierungsarbeit vornehmen. Die Beschaffungsprostitution durch die Legalisierung von Drogen aufzuheben wagt indes keine der sozialdemokratischen Regierungen. Auch bleibt offen, wie die Zwangsprostitution nach dem Verbot der Prostitution effektiv bekämpft werden soll, wenn doch bislang schon wenig Erfolge gegen Menschenhandel erzielt werden.

Die schlechter gestellten Prostituierten kommen zumeist aus Staaten, in denen Prostitution illegal oder stark reglementiert ist. Nicht die Legalität erzeugt unfreie Prostitution und Menschenhandel, sondern Armut. Armut erst steigert die Unlust, die notwendig ist, um herkömmliche Moralvorstellungen zu überwerfen, was teilweise dann als Befreiung erlebt werden kann. Für Frauen, die in der Heimat auch nur der Tausch lebenslanger Dienerschaft gegen ein paar an die Eltern gezahlte Ziegen oder Geld erwartet hätte, neben einem Leben in Unbildung und Armut, ist die freie Prostitution in Europa allemal das kleinere Übel. Solange die EU dabei zusieht, wie an ihren Außengrenzen ein failed state nach dem anderen entsteht, solange sie Bürgerkriege ignoriert, die Millionen in die Flucht treiben, solange Tausende an den Außengrenzen in den Tod getrieben werden, solange syrische Flüchtlinge ihre Nieren und Töchter verkaufen müssen, um zu überleben, solange braucht kein EU-Staat zu denken, er würde mit einem Prostitutionsverbot etwas gegen Menschenhandel unternehmen und solange wohnt der Prostitutionsfeindschaft immer auch die Abwehr des Fremden inne.

Ein weiteres Moment der bürgerlichen Egoismus ist die primitive Akkumulation an den Prostituierten. Die Prostituierte hat eine Sonderstellung im Arbeitswesen: Sie besitzt ihr zentrales Produktionsmittel selbst und bringt es von Natur aus mit. Sie ist partout nicht zur doppelt freien Lohnarbeit zu bringen. Diese Möglichkeit, aus sich selbst Wert zu erzeugen, ohne die Vermittlung von Produktionsmitteln, die ihr nicht mehr gehören, zieht Neid auf sich. Man entzieht ihr dieses Produktionsmittel und gibt vor, das zu ihrem Besten zu tun – tatsächlich stößt man sie in die Abhängigkeit der doppelt freien Lohnarbeiterin, zwingt sie an die Kassen und Förderbänder.

Wo die Ehe historisch akzeptierte Tauschform von Waren und Sexualität ist, noch nicht allzulange die Mitgift und der Brautpreis abgeschafft wurden, kann gegen den Erwerb von Sex auf dem freien Markt nichts Inhaltliches sprechen. Entleert wird unter den vorherrschenden Produktionsbedingungen beides: Arbeit und Sexualität. „Echte“, „befreite“ Lust gibt es wohl nur noch in Inseln, zu tief hat sich das Tauschverhältnis ins Privateste eingegraben. Der Versuch, die wahre Liebe unter freien Individuen auf Kosten der freien Frauen in der Prostitution zu bewahren verdirbt schon wieder die Freiheit dieser Individuen, die für die wahre Liebe erst Voraussetzung wäre, die sich nicht an Besitzidealen wie Treue oder Sexualität aufrichtet, sondern an Hingabefähigkeit und Solidarität.

16 thoughts on “Puritanische Philanthropie und Prostitutionsfeindschaft

  1. Durch verquastes Gefasel (intellektuell verbrämt) werden die „Argumente“ auch nicht besser. Die ganzen BefürworterInnen (seltsamerweise fast nur Frauen, die sich in den öffentlichen Medien dazu ergießen) der „Sexarbeit“ sollen bitte dann die Frage, ob sie diesen „Beruf“ auch ihrer Tochter/Ehefrau/Freundin antragen würden, mit „ja“ beantworten. Falls nein (wie die schicken Bordellbetreiber in den Talkshows), hat sich jede weitere Diskussion erübrigt und die Damen und Herren sollten gepflegt ihren Schnabel halten.

    • bevor dass meine jüngste/älteste in der gosse der jurisprudenz, nämlich der staatsanwaltschaft, endet, tät ich ihr wirklich raten, sich auf „gifts (…) awarded for pleasurable sex“ zu verlegen. läßt sich bis ins hohe alter betreiben, denn bekanntlich ist alterssex der allerschönste!

    • also was jetzt? ich habe die frage beantwortet. ich gehe sogar noch weiter: sollte mein einkommen zum lebensunterhalt nicht mehr ausreichen, würde ich es auch im wege von sexarbeit aufstocken.
      und nun?
      kommt noch was außer fragender heißer luft?!

  2. son quatsch, @ Anonym. Eltern würden wohl auch Bergmann / Frau nicht mit gutem Gewissen empfehlen. Dagegen gabs bestimmt manchen Vater/Mutter, der/die „geh zur SS“ mal für nen guten Berufsratschlag hielt. Wünsche der Eltern, welch ein Maßstab von Vernunft und Moral!

      • Dann komm mal mit Argumenten (nicht Emotionen und Affekten) warum das armselig sein soll. Und vielleicht würde es vorher noch helfen zur Kenntnis zu nehmen dass der Koalition aus christlich – konservativen und Altfeministinen bisher von zahlreichen Prostituierten vehement widersprochen wird.

        Aus „kein Job wie jeder andere“ (das bestreiten übrigens auch die Befürworter nicht – halt einfach mal diese schrecklich intellektuellen Texte lesen) folgt übrigens noch lange nicht „moralisch verwerflich“ oder „muss verboten werden“.

      • Ich wiederhole noch mal – ganz emotionslos und affektfrei – meine Frage an dich, lieber Cyrano: Soll deine Tochter oder Freundin als Prostituierte arbeiten? Und lass bitte Bergbauarbeit etc. beiseite. Soll sie? NEIN. Also halt den Schnabel und verpeste die Welt nicht mit menschenverachtendem Müll.

  3. Ein Lektorat ist aber eben auch ziemlich teuer. Wirklich, wer nicht fähig ist insbesondere bei Texten, die neben der Arbeit und oft zeitintensiv verfasst sind über ein paar Fehler hinwegzusehen – insbesondere solche die den Sinn nicht entstellen – könnte sich doch auch das Kommentieren sparen. Oder sind solche Kommentare eher eine Verbalisierung der Abwehrhaltung gegen Argumente, die dem “ gesunden Menschenverstand“ entgegenlaufen, und erstmal durchdrungen werden wollen?

    Noch etwas Inhaltliches @ Nichtidentisches: diese Passage kann ich nicht wirklich nachvollziehen:

    „Das schwedische Modell ist etwas gerechter, dafür wohl ungleich effektiver als das konservative in der Unterdrückung der Prostitution im eigenen Land“.

    Das schwedische Modell mag in einem gewissen Sinne liberaler gegenüber den Prostituierten sein, gerechter sowohl im Sinne des bürgerlichen Rechtsbegriffs als auch im Sinne einer Gerechtigkeit, die man vom Ideal des Tausches von Gleichem für Gleiches ableitet, ist es gerade nicht.

  4. @Anonym: Wenn wir schon ein „Argument“ a la Helen Lovejoy „Ja denkt denn keiner an die Kinder?“, das in sich selbst Effekthascherisch und emotionalisierend ist diskutieren wollen, sollte vielleicht eher gefragt werden „würdest du dein Kind verstoßen, wenn es sich prostituiert?“
    Denn warum das heran ziehen andere Berufe, die nicht empfohlen werden würden, nicht zur Sache beitrage hat hier niemand erklärt, nur vorausgesetzt. Also: empfehlen, wer würde das schon? Aber aufgrund der Entscheidung den Kontakt abbrechen?

    Zumal auch hier natürlich nur etwas über die jeweiligen Moralvorstellungen und nichts über die Sache gesagt wird, es gab schon manchen heute ehrenwerten Beruf, wegen dem sich Eltern mit ihren Kindern überwarfen.

    Die Frage nach dem Freund oder der Freundin ist zur Klärung persönlicher Sachverhalte vielleicht noch etwas erhellender. Insbesondere weil sie ein Licht auf manche Scheinheiligkeit wirft.
    Ich hätte sicherlich Schwierigkeiten mit einer Prostituierten zusammen sein, aber der Grund wäre wohl die Eifersucht, nicht die „moralische Verwerflichkeit“ des Gewerbes. Dass hier ein bürgerliches Verhältnis zur Sexualität mit hinein spielt ist wohl kaum zu leugnen, und dieses bürgerliche Verhältnisse ist mir tatsächlich lieber als die pseudofreie Liebe mancher linker Zirkel mit all ihren verschleierten Machtverhältnissen und der kaum verschleierten Haremsbildung.
    Aber das Ziel der bürgerlichen Liebe ist die Ehe, und die Prostitution doch nur deren Verdrängtes, ersterer all zu ähnlich. Im Artikel steht schon ganz richtig:

    „Wo die Ehe historisch akzeptierte Tauschform von Waren und Sexualität ist, noch nicht allzulange die Mitgift und der Brautpreis abgeschafft wurde, kann gegen den Erwerb von Sex auf dem freien Markt nichts Inhaltliches sprechen“.

    Warum sprichst du eigentlich immer nur von der Freundin oder der Tochter? Es beschleicht mich der Eindruck dass solcher Art Prostitutionskritik vor allem das viktorianische Ideal weiblicher Reinheit hochhalten soll…

  5. „Warum sprichst du eigentlich immer nur von der Freundin oder der Tochter?“ – weil das Inzesttabu hier wirkt und dahinter die Konkurrenz der Mutter, die ihre Tochter vor den fremden Männern warnt, damit aber zuallererst den eigenen meint, den sie glaubt gegen Konkurrenz verteidigen zu müssen.

    • ob das schon die erklärung ist, weshalb @anonym meint, ich täte ihm mit meinen antworten was unterstellen?
      könnte es nicht auch die angst vor den female bonds sein?

  6. Zum Aspekt der Spezifik wäre meines Erachtens noch zu sagen, dass Prostitution unter allen Berufen ein Alleinstellungsmerkmal hat: Die sie ausübende Person ist in den meisten Fällen dazu gezwungen, unter Abwesenheit von Zeugen einen Zustand der Wehrlosigkeit und der körperlichen Selbstauslieferung einzunehmen. Mir fällt kein anderer Beruf ein, bei dem dies in vergleichbarem Maße der Fall ist. Auch wenn in vielen Berufen die Arbeiter weit von Autonomie entfernt sind, bleiben ihnen im Gegensatz zu(r/m) unterm Freier liegenden Prostituierten neben der größeren Distanz Gewalt und Flucht als Optionen erhalten. Und wie steht es bei gekauftem Verkehr, der plötzlich in eine Vergewaltigung umschlägt? Gerichte wären hier machtlos, weil die Situation von einvernehmlichem Verkehr nahezu ununterscheidbar wäre, und letztlich Aussage gegen Aussage stünde. Vielleicht ist gerade dieses Element der Grund dafür, warum die Prostitution für nicht wenige Frauen, und insbesondere solche, die wie Alice Schwarzer¹ selbst Opfer von Gewalt geworden sind und das Gefühl der Unterlegenheit und des Ausgeliefertseins intensiv erfahren haben, so unerträglich ist. Sie sehen darin womöglich eine Bagatellisierung oder Verhöhnung ihrer Furchterfahrung.

    Damit einher geht die Frage, welches Verhältnis zum eigenen Körper und zur Vergewaltigung desselben das »richtige« ist. Es ist weithin bekannt, dass Frauen auf eine Vergewaltigung unterschiedlich reagieren. Aus dieser Unterschiedlichkeit ergibt sich einerseits die Frage nach dem adäquaten Strafmaß, andererseits für jene, die stärker unter den Folgen leiden, immer auch der potenzielle Vorwurf des Simulantentums, wie er jedem nicht-positiven Krankheitsbild innewohnt. Prostituierte werden vermutlich ein etwas instrumentelleres, desensibilisierteres und distanzierteres Verhältnis zum eigenen Körper und insbesondere zu ihrer Scheide haben als die übrigen, anderweitig beschäftigten Frauen (wodurch sie den Männern, die nicht selten damit prahlen, was sie mit ihrer harten Erektion alles aufreißen und durchbohren könnten, ähnlich wären). Es könnte sein, dass sich daraus die Konsequenz ergäbe, dass eine Vergewaltigung für eine Prostituierte potenziell weniger traumatisch ist, weil sie hier eine andere Erwartungshaltung hat. Auf empirische Untersuchungen dieser Frage wird man jedoch vergeblich warten. Vor diesem Hintergrund stellte für den Feminismus, für den das Ideologem der sexuellen Gewalt des Patriarchats gegen die Frau konstitutiv ist, eine Prostituierte, die trotz erlittener Vergewaltigung am eigenen Beruf festhält und sogar noch angibt, glücklich weiterleben zu können, eine massive Existenzbedrohung dar, weil sie als Kronzeugin des Patriarchats die prinzipielle Harmlosigkeit der Vergewaltigung bezeugen könnte.

    Für Schwarzer und Co. bedeutet Prostitution wahrscheinlich nicht Sex gegen Geld, sondern straffreie Vergewaltigung gegen Geld. Zumindest aber werden sie durch die Akzeptanz der Prostitution die Schwere des Übergriffs der Vergewaltigung herabgesetzt sehen. Eine Vergewaltigung wäre demgemäß kein gewaltsames Eindringen unter Inkaufnahme der Todesangst des Opfers, sondern eher vergleichbar mit Zechprellerei. Und dagegen müssen die ankämpfen, wenn sie weiterhin an ihrem Weltbild festhalten wollen.

    ¹: Ein Mann versuchte, sie an einem Strand der Côte d’Azur zu vergewaltigen, aber sie täuschte Willigkeit vor, überredete ihn, in einen nahen Wald zu gehen, und konnte dort fliehen – behauptet sie zumindest. Für mich lesen sich ihre Ausführungen ein bisschen wie etwas, von dem sie sich heute wünscht, dass sie es damals getan hätte. (Quelle: diestandard.at/1964387 ).

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