Infantile Energien

Kassandra ist ein unverzichtbarer Teil der Kulturindustrie. Die durch und durch abgedroschene Phrase, es zähle nicht das „ob, sondern das wann“ einer zu erwartenden Katastrophe ist längst festes Repertoire des alles fest verschweißenden Prinzips. Nach den vergnüglichen medientechnologischen Spektakeln zu neuen Blitz-Eiszeiten, Tsunamis, Tornados, Superhurrikanen, Kometeneinschlägen, Sonnenstillständen und Erdmagnetismusinterferenzen reflektieren in Dokutainments Archäologen und Geologen über die historischen Supervulkanausbrüche und Meteoreinschläge.

Diese Szenarien kanalisieren die sadomasochistische Faszination am Untergang des gehabten Trotts und feiert zugleich dessen Wiederherstellung: Immer wird Familiäres durch die Katastrophen getrennt und zusammengeführt, das Rechtsprinzip obsiegt über die Konkurrenz, das äußerste Chaos reformiert Ordnung und Harmonie. Das entspricht den magisierten Ritualen der Realität: Nach Erdbeben werden virtuelle Milliarden versprochen (aber nie überwiesen), nach Genoziden werden wilde Eide geschworen, so etwas nun aber wirklich nie mehr zuzulassen (während es „schon wieder“ passiert), das Konstrukt einer Klimakatastrophe wird in öffentlichen Prozessionen bebetet, damit es nicht stattfinde, oder zumindest nur als mediales Event mit Liebesgeschichten, Eisbären und Moral.

Was aber fühlt Kassandra, nachdem das Unglück eintrat? Die Unsicherheit darüber nimmt solche Ausmaße an, dass ihr noch das Unglück selbst unterstellt wird: Sie habe Freude daran, Recht behalten zu haben. Wer es vorher besser wusste, wer warnte erinnert nach dem Vorfall an Schuld und Schuld ist das Schlimmste. Sie wird projiziert auf den Überbringer der schlechten Nachricht.

In dieser Konstellation ist erklärbar, warum Atomkraftgegnern ohne jeden empirischen Nachweis aus der Gewissheit des Bauchgefühls heraus unterstellt wird, sie freuten sich über die Mehrfachhavarie von Atomreaktoren in Fukushima, von der auch nach drei Wochen immer noch sehr unklar ist, welchen Verlauf sie nehmen wird. Allein Lobbyismus kann die uniforme Vielzahl an pathischen Projektionen und Abspaltungsprozessen in der sie begleitenden Propagandaschlacht kaum erklären, hier finden tiefenpsychologische Prozesse statt.

Die sind auf der Seite der Kernkraftgegner noch recht unkompliziert. Sie toben je nach Individuum in unterschiedlichem Ausmaß narzisstische Regressionen aus. Dazu gehören Trillerpfeifen, das leider populär gewordene intellektuelle Armutszeugnis einer jeden Demonstration. Mag der Anlaß noch so bedrückend oder komplex sein, es wird gepustet und gelärmt, dass ES eine Gaudi hat. Infantiler Aufmerksamkeitsdrang, der Wunsch nach dem Wahrgenommenwerden um jeden Preis, der Schreiwettbewerb der Sechsjährigen, das Topfschlagen der Kleinsten. Aufläufe sind auch Sammelbecken für depravierten Einzelgängern, die dort ihre Profilneurosen testen können. Ein Twen etwa klammert sich an einer Bierflasche fest und lässt regelmäßig das aus sich heraus, was man seit schlechten Karl-May-Verfilmungen als Indianergeheul kennt. Er blickt dabei aufmerksamkeitsheischend umher, läuft von hier nach da, sucht Allianzen, die er nicht auf zivilisiertem Wege schließen müsste, ein Möchtegerneinpeitscher. Andere staffieren ihre Kinder mit betagten gelben Ansteckern und Fähnchen aus, auf denen die gute, liebe Sonne dahergrinst, als wäre sie die Gesichtswurst beim Metzger persönlich.  Radioaktivität ist für viele unreflektiertere Gegner der Atomkraft eine überhöhte Drohung der Natur, auf sie wird aufgeladen, was an der guten sonstigen Natur nicht sein sollte und muss. Sie wird gigantisiert, von ihrer physikalischen Stofflichkeit abgelöst und in die Metaphysik eingereiht. Dass um Tschernobyl wieder Hunderte Menschen leben und aus ihren Gärten essen, ohne nach Wochen an der Strahlenkrankheit zu sterben, (obgleich die Lebenserwartung geringer sein dürfte als in manchen afrikanischen Ländern und Erbgutschäden hoch wahrscheinlich sind) dass in Hiroshima und Nagasaki heute Städte ohne nennenswerte Strahlenbelastung florieren, dass durch die 622 athmosphärischen Atomtests mit regional verheerenden und individuell tödlichen Auswirkungen die Krebsrate heute auf globaler Ebene wahrscheinlich weniger bedingt ist als durch den gleichzeitigen Anstieg des Fleischkonsums (Darmkrebs) und der Zahl der Solarien und Sonnenbäder (Hautkrebs), dass  in Kohlekraftwerken weltweit jährlich ca. 10 000 Tonnen Uran vor allem in der Asche übrigbleiben passt alles nicht so recht zu den nach vielen Seiten hin verzerrten Dimensionen, in denen Radioaktivität von Seiten vieler Kernkraftgegner gedacht wird. Ihren Vorstellungen zufolge verursacht Strahlung den sudden death und das ist eine auf Realität fußende Projektion, die einem Unsichtbaren (ein Lacanianer, wer an den abwesenden Vater denkt) extremes Bedrohungspotential zusprechen und von sich selbst ein Bild der totalen Verwundbarkeit haben. „Keine Gewalt“ ist der angstlustbehaftete Wunsch, „Wir sind die Guten“ die Schlußfolgerung, das „Schweinesystem“ der Gegner. Eine Entspannung dieser Gigantisierung, das Ins-Verhältnis-Setzen zu anderen Bedrohungen (Genozide, marode Staudämme, usw.) und eine Entwicklung reiferer Protestmethoden wäre Grundbedingung, um als Bewegung ernst genommen zu werden. Diese ist in aller Regel trotz mancher aggressiven Phantasien in der Regression durch und durch gutmütig und das macht sie weitaus sympathischer als jene Gegner der Kernkraftgegner, die man derzeit als „Grünenhasser“ subsumieren kann.

Die beweisen nämlich derzeit, dass sie aus dem beinharten Holz des autoritären Charakters gestrickt sind. Wo man mit gebildeteren Kernkraftgegnern manche Stunde über technische Bedingungen und physikalische Abläufe von und in Kernkraftwerken diskutieren kann, weil die Gegnerschaft anders als das Mitläufertum einen zumindest rudimentären intellektuellen Prozess und Interesse notwendig voraussetzt, regiert hier die Halluzination und das Ressentiment. „Freude“ an der vierfachen Havarie wird unterstellt, wo real Empathie, Angst und Betroffenheit verlautbart wurde. Der Antagonist von Freude ist weniger Trauer als Schuld und diese wird pathisch projiziert als Freude der Kernkraftgegner. Eine solche Projektion muss zwangsläufig bösartig werden, und diese Bösartigkeit äußert sich in einem faschistoiden Regress. Die Verletzung ästhetischer Kategorien, die an der Norm des deutschen Vorgärtners ausgerichtet wurden, dient als idiosynkratischer Katalysator des Hasses auf die Kernkraftgegner. Wer schon immer etwas gegen Wursthaare hatte, kann nun endlich losschlagen. Online kann dieser Hass straflos zur Verbalisierung finden als Vernichtungswunsch, wie er auch auf offiziöseren Webseiten verlautbart wird.

Medial allerdings sind der Faschisierung noch Grenzen gesetzt. Hier wird anderweitig identifiziert und die Identifizierung hat sich auf „Die Grünen“ geeinigt. Die Empörung von recht unterschiedlichen Wählerschichten kanzeln Hinz und Kunz als Wahlkampf der Grünen ab. Dadurch hat der autoritäre Charakter schon sein Politikverständnis kommuniziert: Wahlkampf wird als der Popanz positiv eingefordert, der er zu 98% jetzt schon ist. Ernsthafte, aktuelle Themen sollen demzufolge nicht mit der Parteienwahl in Verbindung gebracht werden, die Fussballsammelbildchenwahlwerbung ist das unbestrittene Ideal eines harmoniesüchtigen konservativen Deutschlands. Zweireiher oder Wursthaare, Krawatten oder Piercings werden gewählt, nicht Ideologien. Man wirft den Grünen eine Instrumentalisierung der atomaren Havarie vor, als hätten sich die Grünen nicht am Thema der Kernenergie gegründet. Projektion wird auch gerne frech: Der FDP-Mann Niebel warf Trittin ernsthaft vor, nur ein (zwei, wie Trittin korrigierte) AKW’s stillgelegt zu haben, CDU-Größen schlugen in die gleiche Kerbe. Die Entwicklung zu politisch reifen Menschen ist bei solchen Menschen weitaus empfindlicher beschädigt worden als noch bei den kindischsten Demonstranten. Zu Recht wurde Niebel vom Moderator gemahnt, ob er denn in einer Zeitmaschine lebe. Wieder und wieder der Vorwurf der Wahlwerbung mit einem schlimmen Ereignis, online gegröhlt, televisionell genölt, Ausdruck der blanken Angst vor dem Machtverlust über beides, das Land Baden-Württemberg und die sich doch als bedrohlicher erweisende Atomkraft.

Die Angst vor Letzterer ist dann doch einigen kurz derart in die Glieder gefahren, dass sie bereitwillig noch jede Verharmlosungen suchen, aufsaugen und mittels Facebook weitertragen, die ihnen nur ihre intellektuelle Starre und man muss es bisweilen schon sagen, Insel-Begabungslosigkeit, weiterzuführen erlauben. Apologetik hat Hochkonjunktur, sie beruhigt die Abgedichteten gegen Leckagen. Man könne sich auf das Druckventil setzen, über das die Reaktorkerne vom Dampfdruck entlastet wurden, ohne gesundheitliche Schäden davonzutragen, alles wäre unter Kontrolle in Fukushima und die überaus kurzlebige Radioaktivität ganz natürlich, wenn nicht sogar gesund, wie die Radonbäder an Kurorten beweisen würden. Magisierungen herrschen auch hier vor, eine animistische Anbetung einer ökonomisch noch nie tragfähigen und aus medizinischer Sicht äußerst bedenklichen Technologie. Der Gott Atomkraft darf nicht stürzen, die CDU stürzt ihn im Fallen selbst, um ihn nach einer Bedenkzeit wieder aufzurichten.

Verschwörungstheorien machen sich angesichts eines solchen Sturzes breit. Wo es nicht die Grünen und angeblich von ihnen beherrschte Medien sind, die als volksfremdes Element althergebrachte Verhältnisse untergraben, sind es gleich die Juden. Der Plan, Kernkraftwerke zu schließen sei dem Morgenthau-Plan nachempfunden und diene dazu, Deutschland ins industrielle Abseits zu katapultieren. Wieder gehen die Lichter, aus, infantile Angst vor der Dunkelheit, in der das Verdrängte kollektiv wiederkehrt. Atomkraft sei eine (sublimierende) Brückentechnologie, eine hilfreiche Krücke für die noch kränkelnde Windkraft oder Solarenergie. Und den Abschied von dieser Brückentechnologie verhindern: wieder die Grünen. Das ist das Ressentiment vor allem von der FDP. Die Grünen würden den Ausbau des Stromnetzes sabotieren und so den Transport von Strom aus Windkraft zu den Großverbrauchern in Süddeutschland. Wie alle Volten der Grünenhasser bleibt sie unbelegtes Gerücht und Verdacht, wie alle spaltet sie das Reaktionäre der eigenen Gesinnung ab: im schädlichen Konservativismus der Grünen, der die fortschrittlichen Technologien Atomstrom und Windkraft zugleich blockiere und im schädlichen Avantgardismus, der vom verlässlichen Gesellen Atomstrom und CDU-FDP-Regierungen zu unausgereiften, teuren Windei-Technologien und zu kommunistischen Regierungen führe.

Der Zorn über die eigene Inkompetenz gegenüber der intellektuellen Herausforderung, die gesellschaftlich komplexere Prozesse zwischen Natur (Akzidentialität und Determinismus), Individuum (Psyche und Soma) und Gesellschaft (Autonomie und Interdependenz) darstellen, kann sich nur von Platitüden zu propagandistischen Kniffen und einer mehr als wohlfeilen Medienkritik hangeln. Wirklich ekelhaft wird er durch die Verleugnung der eigenen Inkompetenz in der Anmaßung, das Argument in der Sache zu dominieren, wo schon ihre Diskussionsweise sich in Sprunghaftigkeit und Absehung von Stringenz der Traumarbeit angeglichen hat. Neben dem Formelwesen, dem positivistischen Zahlenzauber beherrscht Zensur dieses Vorgehen, ernsthafte Diskussionen werden mit einem Zirkel oben genannter Projektionen abgewürgt. Was auch immer zur Sprache stand, die Antwort ist austauschbar: die Freude Kassandras, die Wahlwerbung, die Schuld der Grünen am ganzen Schlamassel, die Unausweichlichkeit und Unabänderlichkeit der derzeitigen Situation, die lustvolle Kapitulation der gesellschaftlichen Produktivkräfte vor einer Herausforderung.

Ein Schurke, wer angesichts des Leides der JapanerInnen immer noch von Endlagern, Uranabbau, Wiederaufarbeitung und veralteten Sicherheitsstandards spricht, ein Narr, wer sich anmaßt, es besser zu wissen als ein Atomphysiker oder andere vermeintliche  und tatsächliche Kenner der Materie, eine Bedrohung, wer rasche Veränderungen im Bewusstsein der gewaltigen Produktivkräfte eines Industrielandes denkt. Der energetische Kern der Grünenhasser ist der Sadismus, der die Grünen zum Verfolger erklärt und sie doch verfolgen will. Demgegenüber ist die Regression vieler Grünen, die Erstarrung vor einer übermächtigen Natur, den Sonnenblumengott, der Schutz verspricht vor den abgespaltenen Strafgelüsten und den realen Drohungen eines irre gelaufenen Systems, allemal angenehmer. Bereits in den 1970-ern waren jene am wenigsten irre, die Paranoia vor einer Welt entwickelten, in der die Vernichtung von Milliarden Menschen in Atomkriegsszenarien ernsthaft gerechnet und geplant wurde, in der man Atomwaffentest als Werbegag für Rüstungsausgaben durchführte und Soldaten systematisch als Versuchsobjekte missbrauchte, in der man die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vertuschte und bis heute verharmlost. Die mehrfache Abwendung einer nuklearen Konfrontation der Systeme lässt im Nachhinein vor allem Jene pathologisch erscheinen, die mit einem Atombunker im Garten und einer Papiertüte auf dem Kopf ein vergnügliches Leben führten, während über ihren Köpfen und unter ihren Füßen ein Feuerwerk von Nuklearwaffen gezündet war. Auf der Ostseite konnte man sich weder Bunker leisten noch gab es Papiertüten, man hatte einfach das kasachische Wetterleuchten am Horizont zu erdulden und erkrankte später an merkwürdigsten Krankheiten. Von Beginn an ist die Atomenergie mit obszönster Propaganda, Krieg, Verharmlosung und Lügen verbunden, ihren Gegnern ist es daher als historische Erfahrung mehr als nachzusehen, wenn sie bei einem Unfall in japanischen AKW’s Geigerzähler kaufen und Jod-Tabletten horten. (Von deren unbegründeter Einnahme hier ausdrücklich gewarnt sei!)

Das ist Ausdruck eines gesunden Misstrauens in staatliche Autorität, und jenes Misstrauen wird den autoritären Charakteren bedrohlich genug, um es zu verlachen. Was da so genau mit Zerfallsreihen und Halbwertszeiten, Isotopen und Neutronen, Ionisierung, Strahlung und Kontamination passiert, ist unter Wissenschaftlern Gegenstand von skeptischen Forschungen und Diskussionen, unter den Grünenhassern hat plötzlich jeder ein Diplom in Atomphysik oder zumindest sehr vertrauenswürdige Kontakte in diesen Bereich. Man weiß, wie die Welt läuft, man hat sich in einen Dresscode eingefügt, der Hygienedressur unterworfen, den common sense akzeptiert, die Grünen aber wissen es nicht, das sieht man schon an der Kleidung und den hässlichen Gesichtern, sie sind wahlweise Gesellschaftswissenschaftler, Kretins, Hysteriker oder alles zusammen. Das ist die narzisstische Hybris, gegen die jedes Argument machtlos ist. Der einzige Weg ist die konsequente Befragung der psychologischen Disposition der Projektionen: Geht es um Verrat, was ist gefährdet, ist da ein Gefühl von Scham und Schuld und woher kommt die offensichtliche Projektion, wenn sie nicht wahltaktische Berechnung auf dieselbe ist.

Deutschland, die UN und das Horn von Afrika

Die UN zieht sich derzeit endgültig aus der Zone zwischen Eritrea und Äthiopien zurück. Zwei gleichermaßen unsympathische Staaten, die in Sachen Pressefreiheit und Menschenrechte auf den letzten Plätzen rangieren, sind damit auf dem Sprung, ihren alten Konflikt wieder kriegerisch auszutragen. Auch wenn Eritrea den letzten Krieg sowohl verursachte als auch verlor, wurde ihm im Wesentlichen genau jenes Land zugesprochen, das es annektieren wollte. Äthiopien akzeptierte diese oktroyierte „Konflikt-Lösung“ durch die UN-Grenzkommission nicht und seither sorgte UNMEE vor Ort für Spott und Häme. Eritrea, das sich militärisch in einer schwächeren Position befindet als Äthiopien, übt sich auf einmal in Kritik am Abzug, den es durch seine boykottierende Haltung maßgeblich auslöste.

Im benachbarten Somalia tobt indes der Stellvertreterkonflikt zwischen den von Eritrea und Al-Qaida mitfinanzierten Islamisten und den mit der Übergangsregierung verbündeten äthiopischen Truppen. Die von der African Union versprochenen 8000 AU-Soldaten sind immer noch nicht angekommen, die Hauptlast der wieder erfolgreichen islamistischen Aggressionen tragen derzeit 1300 AU-Soldaten aus Uganda und die äthiopische Armee. Allein in Mogadishu werden dagegen etwa 3000 islamistische Kämpfer vermutet. Die Chance, Somalia nach der äthiopischen Intervention und der vorübergehenden Zerschlagung der islamistischen Verbände zu einen und zu stärken, wurde einem Experiment geopfert: regionales Konfliktmanagement sollte der AU die Gelegenheit bieten, sich als starke Regionalmacht zu präsentieren. Bei dieser Rechnung wurde allerdings der desolate Zustand der afrikanischen Armeen, ihrer Verwaltung und der Regierungen als vernachlässigbarer Faktor benannt: Die Opfer dieser zynischen Rechnung sind jene Somalis, die in Somalia, Somaliland und Puntland auf stabile, friedliche und halbwegs freie Verhältnisse hoffen. Sie erfahren erneut den Unwillen und die Unfähigkeit der UN, mit vergleichsweise wenigen militärischen Mitteln selbst bei einer größtmöglichen Chance, wie sie sich nach der äthiopischen Intervention bot, irgend etwas Positives zu bewirken. Der AU geht mittlerweile auf, dass sie durch die UN nach Strich und Faden betrogen wurde. So sagte der südafrikanische UN-Botschafter jüngst laut BBC: „[…] the AU is doing a job that the UN is supposed to be doing.“ Und selbst das ist noch gelogen, bestehen die AU-Truppen doch bislang lediglich aus 1300 ugandischen Soldaten, während Südafrikas Regierung sich nach Kräften bemüht, im benachbarten Simbabwe die Todesschwadronen Mugabes gewähren zu lassen und sogar zu bewaffnen.

Am Horn von Afrika werden indes von Oxfam 13 Millionen Menschen als mögliche Todesopfer einer aufziehenden Hungerkatastrophe ausgemacht: Eine Dürre plagt die Region während in Südafrikas Häfen 80 000 Tonnen Nahrungsmittel verrotten, weil – anders als deutsche Freizeitargonauten – kein vernünftiger Kapitän mehr sein Schiff durch die von Piraten besetzten Gewässer Somalias fahren will. Die vor der Küste stationierte deutsche Marine hat anscheinend kein Mandat, Piraterie zu bekämpfen. Das ist laut Amigues/Bishops vor allem der innerdeutschen CDU-Politik geschuldet. Während in Afghanistan deutsche Soldaten durchaus Polizeiaufgaben übernehmen, will die CDU durch die Verweigerung der Zustimmung zu einem solchen verfassungsrechtlich bereits prinzipiell möglichen Vorgehens am Horn von Afrika die SPD dazu erpressen, die Trennung von Bundeswehr und Polizei endgültig aufzuheben. Weil bei den derzeit der Bundeswehr zugeordneten Auslandseinsätzen in Guerillakriegen logischerweise keine klare Trennung von militärischer Aktion und Polizeiarbeit vorzunehmen ist, wäre die Forderung nach einer Neuregelung bei Auslandseinsätzen durchaus nachvollziehbar. Diese Rationalität wird allerdings von der CDU nur zu offensichtlich instrumentalisiert, um dem notorischen Faschisierungskurs der Partei als Profilwetzstein zu dienen. Jede weitere Auflösung der Trennung von Polizei und Bundeswehr ist somit Wasser auf die Mühlen der ewigen Scharfmacher und „tough guys“ innerhalb der CDU/CSU. Die Konsequenz daraus wäre, einem demokratischeren Staat, bei dem man nicht bei einem humanitären und somit in Somalia eben militärischen Einsatz gegen islamistische Guerillas den Verfall von demokratischen Institutionen und den Ausbruch des Faschismus im eigenen Land befürchten müsste, die Befehls-Obhut über eine so diffizile Konfliktregion zu überantworten und Deutschland nur noch entsprechend zur Kasse zu bitten. Dem allerdings steht die Kolonialmacht-Attitüde der Bundeswehr entgegen, die jede Präsenz im Ausland als Siegestrophäe über die in Jugoslawien erstmals offen und lautstark in aller Widerwärtigkeit gebrochene deutsche Verteidigungsdoktrin braucht.

Die EU beruhigt ihr Gewissen mit lauwarmen Geldgeschenken: Satte 21 Millionen Euro, etwa der Preis von wenigen Kilometern Autobahn, schickt sie mit zweifelhaften Vorgaben auf den Weg nach Somalia und Eritrea. Das ist jedoch allemal billiger, als ein Militäreinsatz, der Somalia endgültig von den islamistischen Guerillas und den kriminellen Banden befreien würde, die Produkt und Ursache des derzeitigen Zustandes zugleich sind. Erfahrungsgemäß wird solcherlei nicht militärisch geschütztes Kapital über die zahllosen Straßensperren und Schutzgelderpressungen in die Kassen der Milizen fließen. Den Militäreinsatz gegen solcherlei über Hilfslieferungen finanzierte Guerillas überlässt man getrost der notorisch bankrotten AU und den USA, die dann für die gelegentlichen zivilen Opfer von Luftangriffen mit allen Zeigefingern angeprangert werden können, während man selbst die Hände im Blut der Opfer der Nichteinmischung wäscht.