Flimmo – medialisierte Äquidistanz

Flimmo heißt ein von zahlreichen illustren Institutionen gefördertes Magazin, das als Programmberatung für Eltern fungieren will. So ein Unterfangen ist gerechtfertigt und vielversprechend – wäre es nicht von einer Ideologie des Pazifismus durchsetzt.

„Während die Mädchen Abenteuergeschichten wie Nils Holgersohn (KI.KA) oder Zauberhaftes wie Bibi Blocksberg (ZDF) ankommen, sind bei den Jungen Actioncartoons angesagt. Dabei steht der Kampf Gut gegen Böse im Zentrum der Aufmerksamkeit: „Avatar hat halt besondere Kräfte. Wenn da böse Leute kommen, kämpft er mit denen.“ (Ben, 7 Jahre). Die Vorliebe für unbesiegbare Helden spiegelt das Bedürfnis der Kinder nach Selbstbehauptung. Gerade bei Grundschulkindern, die sich häufig gegenüber den „Großen“ durchsetzen müssen ist das durchaus nachvollziehbar. Trotzdem sollten die Eltern den Umgang mit der Actionkost im Auge behalten. Viele führt der Wunsch nach Action früher oder später auch ins Erwachsenenprogramm oder in den Spielemarkt. Bewegen sich die Jungen überwiegend in medialen Actionwelten, besteht die gefahr, dass die Idee von der gerechtfertigten Gewalt an Überzeugung gewinnt.“

„Avatar“, diesen durchdachte Synkretismus aus Aufklärung, Emanzipation, Psychoanalyse und esoterischem Buddhismus, habe ich vor allem mit Mädchen gesehen – die in dieser Serie sehr gleichberechtigt auftreten. In Ghana, wo ein einfacher Straßenhändler dank chinesischer Raubkopien über mehr Filme verfügen kann, als eine durchschnittliche Mediathek in einer Mittelstadt, wurde „Avatar“ seit Mitte 2009 auf raubkopierten DVDs vertrieben. Ich schenkte der achtjährigen Tochter meiner Gastfamilie die vollständige Sammlung, die mich etwa 5 Euro kostete. Sie war begeistert, ich auch, da mir so die letzten zehn fehlenden Folgen zugänglich wurden.

Eine Frau war es auch, die in meinem Beisein in einem kleinen Nest im Norden Ghanas ihrem Priester ihre Version des Christentums erklärte – es gebe kein Leben nach dem Tode, das sei äußerst unwahrscheinlich. Sie glaube an den Judgement Day, dass Gott die Bösen, „the wicked“ strafen und töten werde und dass dann Frieden auf Erden sei. Sie hatte ihre Bibel studiert und sich ihre Gedanken dazu gemacht. Später wurde sie von ihrem Manager entlassen, weil sie dessen Avancen abgelehnt hatte.

Ich weiß nicht, was sie dazu gesagt hätte, wenn es im „Flimmo“ für kinderfreundlich erklärt wird, „gerechtfertigte Gewalt“ auszuschließen. Im Flimmo werden jedenfalls wie in Ghana magische Phantasieprodukte wie Oger, Feen und Hexen und sogar „Tom und Jerry“ völlig akzeptiert und führen nicht etwa zu einer Abwertung der Filme wie im Falle von „Verbotene Liebe“: „Der Umgang mit den oft konstruierten Konflikten ist reichlich oberflächlich.“

Keine einzige der oft reaktionären Disney-Produktionen wird als bedenklich eingestuft. Zahlreiche andere Produktionen werden abgekanzelt: „Die Gewalt wird im Konflikt zwischen Gut und Böse als legitimes Mittel eingesetzt.“  („Legend of the Seeker – Das Schwer der Wahrheit“) Die größtenteils harmlose Serie „Stargate“ wird kritisiert, weil: „Gewalt wird gutgeheißen, um die Sternentore erfolgreich bewachen zu können.“ Flimmo hätte es wohl besser gefunden, wenn die Stargates sich unter Wasser befinden würden und von reizenden Meerjungfrauen mit Wespentaillen und putzigen Zauberstäbchen bewacht würden.

Unkritisiert gehen nämlich durch: „Zoés Zauberschrank“, „Verbotene Geschichten – Als Jesus unerwünscht war“, „Unsere zehn Gebote“ (!), „Troop – Die Monsterjäger“, „Die Schule der kleinen Vampire“, „Mona der Vampir“, „Die Meeresprinzessinnen“, „H2O-Plötzlich Meerjungfrau“, „Golo, der Gartenzwerg“, „Glücksbärchis“, „Extreme Ghostbusters“ und erstaunlicherweise „Futurama“ – während von „Southpark“ abgeraten wird.

Wie eine solche Auswahl zustande kommt ist nicht weiter durchsichtig. Klar ist allerdings: Gewalt im Kampf gegen das Böse ist anscheinend nicht akzeptabel – während noch die absurdesten und verkitschtesten Meerjungfrauenhistörchen unkritisiert bleiben.

Solidarität mit Halloween

Die kleine F. erzählt vom Halloween-Klingeln: „Dann hat die Frau gesagt, dass Halloween aus einem anderen Land kommt und dass sie das doof findet und dass sie uns nichts geben wird. Dann hat sie und aber doch noch eine Tafel Schokolade gegeben!“

Ähnliche O-Töne kann man Bischöfen, Herzbuben und Regionalfeullietons derzeit entlocken. Heulen und Zähneklappern, der Untergang des Abendlandes, eine „unnatürliche“ Einrichtung inmitten braver deutscher Kultur (so ein Wildecker Herzbube), eine fiese Indoktrination, gesteuert von windigen Geschäftemachern… Und immer wieder „amerikanischer Schund“.

Dabei ist Halloween eigentlich wie Silvester – nur für Kinder und viel besser. Anstatt im Bettchen zu verpassen, wie Erwachsene zu nachtschlafender Zeit Schwefel, Schwarzpulver und Magnesium in die Luft ejakulieren, dürfen sich Kinder hier ganz eigenmächtig verkleiden und dem Tauschprinzip ein Schnippchen schlagen. Sie bekommen die Süßchens nicht für’s brav sein, sondern für das Nicht-Böse-Sein. Die narzisstische Umkehr der Erpresserrolle („Süßes, sonst gibt’s Saures!“) bedingt die kurzweilige Identifikation mit jenen Monstern, die normalerweise unterm Bett lauern. Das ist, funktionalistisch betrachtet, eine klasse Sache für die infantile Psychologie und allemal besser als Fasching, wo man doch nur die eingeschliffenen guten Stereotypen vom Indianer bis zum Feuerwehrmann erprobt, den Eltern zum Wohlgefallen.