Mit Roberto Blanco zum Persilschein

„Er war Chauffeur und er machte nicht nur an und für sich unter den Leuten, durch die er hindurch musste, den Eindruck, eines Gentleman, sondern er blieb es auch, als sie die ihnen innewohnende Gemeinheit an ihm sich austoben ließen. Denn nicht nur, dass das stereotype Spalier offener Mäuler und gereckter Arme ihn begleitete und der ewige Ruf: „A Näägaa – !“ aus dem Boden sprang und wie festgewurzelt dastand, wenn er mit seinem Automobil vorüberflitzte – wir hörten auch, wenn ein Wachmann den Verkehr aufhielt, Sentenzen, Ratschläge, Verwünschungen wie: „Ge hörst’rr schau drr den schwoazen Murl an!“, „Hörst Murl, wosch di o!“, „Na woart du schwoaza Kinäsa!“, „Jessas, a narrischer Indianer!“, „Aschanti vadächtigaa – !“, „Tepataa – !“, „Stinkataa -!“
Ein Denker hielt sich die Stirn und rief: „Ah – jetzt waß i ollas!“ Was, verriert er nicht. Eine Megäre, deren Säfte in Wallung kamen, rettete sich in einen Lachkrampf, ihren Begleiter fragend: „Hirst, is dr der am ganzen Kirper schwoaz?“ Das Automobil entflieht, und, auf meine Frage, wie ihm das Leben gefalle, antwortet, die Achsel zuckend, dieser Schwarze im reinsten Deutsch: „Ach, die Wiener haben eben keine Kultur.“ Ich beschloß, ihn zu schützen, indem ich künftig das Präveniere spielen und auf jeden Maulaufreißer mit dem Finger zeigen wollte: „A Wienaa – !“ aber es half nichts. Die Neger sind nun einmal in unserer Mitte auffallend, und das Auffallende zieht eine Welt von Wilden, Weibern und Besoffenen an. Der Neger macht sich dadurch auffällig, daß der Weiße unruhig wird.“ (Karl Kraus: Untergang der Welt durch schwarze Magie: 310.)

Der Neurose, aus zwangshaftem Aufbegehren gegen Political Correctness unbedingt „Neger“ sagen dürfen zu wollen dialektisch beigesellt ist die Phantasie, man könne dem rassistischen Ressentiment schon durch Auslöschung der Stereotypie, der Worte, zu Leibe rücken. Huckleberry Finn und Tom Sawyer nennen den entflohenen Sklaven Jim auch mal einen Nigger und Neger, aber sie stehen ihm solidarischer als Fluchthelfer und Schleuser bei als die meisten universitären Antirassisten, die das Wort „Nigger“ schließlich erfolgreich aus dem Werk verdrängt haben. Jim übrigens wird als einziger Charakter im ganzen Buch so positiv dargestellt wie nur der afrikanische „Gentleman“ von Karl Kraus. Der belegte in seiner genialen Studie des zeitgenössischen Rassismus, dass der heute als fortschrittlich geltende Begriff „Schwarzer“ ebenso pejorativ gesetzt werden konnte wie „Neger“, mehr noch, dass auch da allein der Kontext den Ton des Rassismus machte. Ebenso auffällig: Dass das Fremde als soeben differenziertes („Kinäsa“, „Indianer“, „Aschanti“) eben doch wieder zusammen schießt in einem Ressentiment vom Anderen. Bereits „Zehn kleine Negerlein“ ging aus „Ten little Injuns“ hervor wie die sogenannte Negersklaverei aus der Indianersklaverei, die außerhalb B. Travens Meisterwerken fast vollständig aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis verschwunden ist.

 Wenn nun ein Politiker, der noch nicht von Beratern auf Medienkompetenz gebürstet wurde, vom „wunderbaren Neger Roberto Blanco“ schwärmt, so kann man sich sicher sein, dass wirksame Kritik abgelenkt wird vom Skandal um das Wörtchen „Neger“. Der eigentliche Skandal ist, dass PolitikerInnen, die dank ihrer Medienkompetenztrainings niemals Neger vor laufender Kamera sagen würden und nach jeder Flüchtlingskatastrophe pflichtschuldigst ein paar Krokodilstränen für die Abendnachrichten abdrücken, unkritisiert ihre Dezimierungskampagne, die je nach Station 10-30% der Flüchtlinge das Leben kostet, nunmehr seit über 20 Jahren planen, organisieren und durchführen durften.

Dass man es wagt, mit einem „Angebot“ an die Flüchtlinge, die die Dezimierungsinstanzen überlebten, noch die Forderung nach „Fairness“ zu verknüpfen, kurzum, dass man die abgepresste Empathie noch sofort in ein Tauschverhältnis verwandelt und somit schon wieder suggeriert, Deutschland würde etwas verlieren durch das Aufnehmen von Syrern oder Eritreern oder Afghanen und hätte demnach in der schonungslosen Konkurrenz der europäischen Staaten untereinander eine „faire Verteilung“ verdient. Rassistisch ist nicht so sehr, dass Joachim Herrmann von der CSU Roberto Blanco einen „Neger“ nennt, sondern dass die Flüchtlinge aus Afrika „wunderbar“ sein müssen, „Fußballspieler beim FC Bayern“ oder Schlagerstars, damit man seinen Frieden mit ihnen macht. Wenn deutsche Fußballclubs und Musikagenturen den sattesten Profit aus diesen konformistischen Stars schlagen, wird das schon als „Integrationsleistung“ der Deutschen eigengelobt, als wäre es schon außergewöhnlich, sich solchen Stars gegenüber dann – ja auch nicht durchweg – wie ein zivilisierter Mensch zu verhalten und sie nicht gleich im CSU-Stil der „Durchrassung der deutschen Gesellschaft“ zu verdächtigen. Deren Wohlstand nach FJS bekanntermaßen primär dazu berechtigt von Auschwitz nichts mehr hören zu müssen, aber auf gar keinen Fall dazu, das „Sozialamt der Welt“ zu führen. Die offizielle Politik der CSU heute bleibt, über die eigene Überforderung durch „Zuwanderung“ zu jammern:

Es darf aber nicht zu einer Überforderung Deutschlands in der Asyl- und Flüchtlingspolitik kommen. Unerlässlich ist zum einen die politische Klarstellung, dass das Asylrecht nur für die wirklich Schutzbedürftigen da ist. Notwendig ist zum anderen das Signal, dass Deutschlands Leistungsfähigkeit nicht unbegrenzt ist. Wir können nicht alle aufnehmen, die zu uns wollen. Wir können weder in Bayern noch in Deutschland die Krisen der Welt lösen. (http://www.csu.de/common/csu/content/csu/hauptnavigation/aktuell/meldungen/PDFs/140915_7-Punkte-Sofortporgramm.pdf)

 

Man kann aber nicht Orban zum Wahlsieg gratulieren und dann über die mangelnde Weltoffenheit anderer europäischer Staaten klagen, die man ohnehin via Außenhandelsbilanz, Agrarsubventionen und Hartz-IV ökonomisch zu billigen Touristenstränden für die gestresste deutsche Facharbeiterschaft zurückgerüstet hat. Wer ein konservatives CSU-Europa will, will Victor Orban und dessen Nato-Draht-Sperren, mit denen fliehenden Kindern die Wangen zerfetzt werden sollen, bevor man ihnen das Asyl ja meist auch noch verweigert in einem Land, in dem Jobbik Bürgermeister und Richter stellt. Wer die CSU gewählt hat, hat auch den Zaun um Europa gewählt, an dem körperlich fitte Flüchtlinge herausselektiert werden, denn Kinder und Geschwächte schaffen es niemals über diese Mauer aus Stahl und Beton gewordener Kälte. Das ist der Rassismus hinter dem Schwärmen über die „wunderbaren Neger“ – dass die gleiche Partei trotz aller neuerer kleiner Angebote, niemals vom Dublin-Abkommen und Frontex abrücken will, die effektiv dezimieren und den Folterbanden an den Peripherien ihr milliardenschweres Einkommen sichern. Das ist der nichtrassistische Rassismus, Dezimierung durch Menschen, die niemals „Neger“ sagen würden und in der Kirche auch für Flüchtlinge in syrischen Lagern spenden, aber dann ihr Kreuz bei CDU/CSU machen, die noch am sichersten garantieren, dass Flüchtlingen weiter ihr Leben riskieren müssen, mit steigendem Risiko bei sinkendem Einkokmmen, um ihr Recht auf Asyl einzufordern.

Und selbst Kritik daran deckt noch zu, was eigentlich anstünde: Interventionismus. Zugegeben, Eritrea wird schwer aus seiner Isolation herauszuführen sein, das Risiko ist groß, den immerhin beachtlichen Frieden zwischen den Religionen im Land zu zerstören und in einem Übergangszustand Machtkämpfe auszulösen, vor denen Eritreer so berechtigte Angst haben, dass sie eben lieber fliehen als zu kämpfen. Die Pazifizierung Syriens, Iraks und Afghanistans aber ist mit militärischem Engagement zu erreichen, die Rezepte sind erprobt und wirksam, Deutschland und unseligerweise inzwischen auch die USA wollten aber gerade hier sparen – auf Kosten Anderer und im völlig klaren Bewusstsein der Folgen, die von allen kompetenten Experten angekündigt waren.
Das ist die letzte und überhaupt frecheste Lüge: Man habe nichts gewusst. Die Flüchtlingsströme seien „unerwartet“. Als hätte man nicht vor zwei Jahren, als in Yarmouk Gras und Pappe gefressen wurde, als bereits Millionen Syrer auf der Flucht waren, ahnen können, dass diese Menschen leben wollen, als habe man nicht vor vier Jahren, als der nunmehr von Russland zurück zur Macht gebombte Assad die ersten Demonstrationen niederkartätschen ließ, gewusst, dass dieses Land blutig zerbrechen würde. Dieses Nichtsgewussthabenwollen, das war von je der härteste Kern des deutschen Rassismus.

District 9 – Kritik vom Feinsten

Subversion ist innerhalb des Systems der Kulturindustrie nur als Konterbande möglich, wie auch Ideologie selbst als Schmuggelware gerade den realistischsten Dokumentationen aufsitzt. (Vgl. Adorno 1963, S. 60)

Neil Blomkamp und die nicht unleserliche Handschrift Peter Jacksons im Film  District 9 denunzieren im Stil des populär gewordenen Mockumentary-Genres den Realismus. Dieses Genre bleibt nicht Effekt, es wird dialektisch mit seinem Antagonismus, dem Hyperrealismus der Animationen vermittelt. Der Grad der tatsächlichen dokumentarischen Recherche enträt der bekannten Formel von Form und Inhalt, die man sich  scholastisch als siamesische Zwillinge vorzustellen beliebt. Der Wahrheitsgehalt der Bilder hängt nicht von der jeweiligen imitierten Form ab, sondern erschließt sich aus einem Übergewicht des mittels Erfahrung aufzuspürenden Inhalts. Die Darstellung der nigerianischen Bande ist sowohl eine dem Märchen entlehnte Figur der Räuber, die für die Vermittlung zwischen Zivilisation und Wildnis zuständig sind, als auch eine  glaubhafte Darstellung der Möglichkeiten. In anderen Filmen wird diese Karte für exotistisches Blendwerk gespielt. In District 9 wagt man es, über die Fiktionalisierung eine Kritik  zu leisten, die idiosynkratischeren Geistern rasch als rassistisch gilt. Die Kritik gilt der afrikanischen wie auch der kolonialistischen Epistemologie. Auf welchem Wege ist die Aneignung von Wissenschaft, von gänzlich äußerlichen Technologien denkbar? Für die bürgerlich-imperialistische Gesellschaft ist die expansive Kolonisation des Anderen der gangbarste Weg: Experimente mit zu Sachen gedachten Individuen, die Vivisektion, die Kolonisation und absolute Kontrolle der Körper – geschützt mit dem Argument, das Michel Foucault in einem seiner genialeren Momente als „Biomacht“ kritisierte (wenngleich nicht analysierte).

Die „nigerianische“ Lösung, das Aufessen der Machtsymbole, die Inkorporation ins Organische, ist zugleich die Misere des afrikanischen Kontinents: Die Abstraktion und Akkumulation von Wissen erscheint unmöglich, wo der gesamte wissenschaftliche Prozess räumlichen Disjunktionen unterliegt – er findet als ökonomisch vermittelter zu mehr als 90 % in Europa, Amerika, Asien und Israel statt. Mit den gigantischen Krisen, die Afrika seit der Entkolonisierung heimsuchten, entstand ein ausgeprägtes Analphabetentum, das ideologische Geflechte produzierte. Die Konfrontation mit arbeitsteilig und durch Schrifttum akkumuliertem Wissen, genauer gesagt, mit dessen dinglichen Effekten, den Waren, verläuft ambivalent als Bewunderung und Schrecken. Die Weißen würden ihre Hexereikraft für positive Dinge nutzen, etwa um Mobiltelefone herzustellen, lautet ein verbreitetes Ideologem. In der Verzweiflung über den verbauten Zugang zur Wissensgewinnung wird die Bricolage mächtig: Die Methode folgt der Intuition, die Form des Wissens – der Code und das Geheimnis – gilt schon als dessen Inhalt. Das aus der Psyche hervorsteigende Begehren, mit dieser technologischen Macht identisch sein zu wollen, wird als orales zur gleichsam schlüssigen Methode der Erforschung des Anderen. Das Verspeisen eines außerirdischen Armes würde dessen Macht übertragen. Das Denken wird als Sehen gedacht – Sehen in eine Welt, in der alle Informationen schon fertig abrufbar sind. So sind es die Seher und Orakel, die in District 9 ihre berechtigte Rolle als bedeutende Institution im südlichen Afrika haben. Ihre Hybris wird ebenso tief gestürzt wie jene der vom Individuum abstrahierenden Wissenschaftler. Darin liegt der unschätzbare subversive Wert von District 9. Er instrumentalisiert weder die exotistischen Bilder, noch übt er Aufklärungsverrat – er bleibt negativ. Zutiefst ernsthaft lässt er sich auf das weitläufige Phänomen der Muti-Morde in Südafrika und Nigeria (u.A.) ein, (vgl. Niehaus 2001) ohne die Parallelen zu kolonialistischen Körperausweidungen und Menschenversuchen aus den Augen zu verlieren. Die Rainbow-Nation, das Ideologem des multiethnischen Südafrikas, wird aufs gründlichste auf ihren Ist-Zustand hin demontiert. Dieses hat sich bereits während der ersten Wahlen in der „Black-to-Black-Violence“ zerfleischt. Hexenjagdopfer, Frauen, weiße Farmer sind weitere tägliche Opfer der unterirdischen Nachbeben einer grotesk fehlgeschlagenen Aufklärung. In den Pogromen gegen Einwanderer und Flüchtlinge vor allem aus Simbabwe kam nicht das erste Mal ein afrikanischer autoritärer Charakter zu sich, der auch nicht erst in den Townships genährt wurde. Diesen autoritären Charakter zeigt District 9 als beidseitiges, universales Phänomen. Ob nun der weiße Wikus sadistisch kichernd die Eier der Aliens sabotiert oder ob die Afrikaner auf der Straße ihrem  ganz bodenständigen Austreibungswunsch Luft machen – der ganze Brei sieht von allen Seiten gleich frustrierend aus. Von daher ist District 9 die Impfung gegen jene schwülstigen, romantisierenden Anti-Apartheid-Produktionen wie „Goodbye Bafana“ und gegen den Fussballtaumel der Weltmeisterschaft – nicht sehr entfernt ähnelt das Raumschiff übrigens einem Stadion. District 9 kritisiert das rassistische Potential noch einer komplett gemischten Gesellschaft, die in der Akkumulation von Verfolgungswissen fortgeschrittener und auf demokratische Bedingungen hin verfeinerter ist als die frühen rassistischen, diktatorischen Regimes. Mehr noch: In der Darstellung einer depravierten Klasse von Aliens verweigert er den Unterdrückten den ihnen so oft unterstellten Heroismus. Ihre potentiell gigantische Waffengewalt bleibt fruchtlos, weil kein revolutionärer Geist sich gebildet hat, der das notwendige Moment des Widerstandes gegen den Austreibungswunsch ist. Einzige sparsame und dadurch um so eindrücklichere eskapistische Momente bilden die distanzierte Liebe zur idealisierten und sexuell überlegenen Frau, die mimetische Anverwandlung ans Andere und die Emigration der beiden einzigen Intellektuellen.

Literatur:

Adorno, Theodor W. 1963: „Fernsehen und Bildung.“ In: Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt a.M., Suhrkamp Verlag.

Niehaus, Isak 2001: „Witchcraft, Power and Politics. Exploring the Occult in the South African Lowveld.“ London, Pluto Press.

Blomkamp, Neill 2009: „District 9.“

Blomkamp, Neill 2009: „Alive in Joburg.

Hommage an Mrs. Nina Simone

Schwarze Männer lebten in den Südstaaten bis weit in die 60-er unter der beständigen Angst vor dem Lynchmord, sollten sie mit einer weißen Frau gesehen werden. Umgekehrt waren Verhältnisse von schwarzen Frauen und weißen Männern legitim. Die Erwähnung der Namenstitel für Schwarze durch Weiße war ein Tabu, die herablassende Anrede mit Vornamen Pflicht. Bei Landarbeitsverträgen wurden Bezahlungen von vielen Farmern zurückgehalten, dagegen aufbegehrende Schwarze mit Lynchmord bedroht und verfolgt. Mit diesem Gefühl der Auswegslosigkeit ist das des Davonrennens im Gospel Sinnerman zutiefst assoziiert:

Oh Sinnerman, where you gonna run to?
Sinnerman, where you gonna run to?
Where you gonna run to?
All on that day
Well I run to the rock, please hide me
I run to the rock,please hide me
I run to the rock, please hide me, Lord
All on that day
But the rock cried out, I can’t hide you
The rock cried out, I can’t hide you
The rock cried out, I ain’t gonna hide you guy
All on that day
I said, Rock, what’s a matter with you rock?
Don’t you see I need you, rock?
Lord, Lord, Lord
All on that day
So I run to the river, it was bleedin‘
I run to the sea, it was bleedin‘
I run to the sea, it was bleedin‘
All on that day
So I run to the river, it was boilin‘
I run to the sea, it was boilin‘
I run to the sea, it was boilin‘
All on that day
So I run to the Lord, please hide me Lord
Don’t you see me prayin‘?
Don’t you see me down here prayin‘?
But the Lord said, go to the devil
The Lord said, go to the devil
He said, go to the devil
All on that day
So I ran to the devil, he was waitin‘
I ran to the devil, he was waitin‘
Ran to the devil, he was waitin‘
All on that day
I cried –
POWER!!!!!!!
(Power to da Lord)
[8x]
Bring down,
(Power to da lord),
[4x]
POWER!!!
(power to da lord)
[12x]

Fortsetzung: Sinnerman Lyrics

Lektüreempfehlung:

Hortense Powdermaker 1966: Mississippi. S. 127-205 in: Stranger and Friend. The way of an Anthropologist. New York und London, W. W. Norton & Company.

Reiner Sarrazynismus

Es gibt eigentlich nur eines, was am Sarrazin-Hype erstaunt: Der hilflose Umgang mit den von ihm angesprochenen Themen. Als Tabu-Brecher kann Sarrazin nur deshalb von der Mehrheitsgesellschaft gefeiert werden, weil das Arsenal der Gegenseite aus Tabus besteht, die Reflexion und kritischen Geist schon lange unter sich begraben haben. Hätte man sich in den vergangenen Jahren Begriffe zu Islamismus, Einwanderung und Rassismus erarbeitet, man stünde nicht so angewrackt vor dem Eisberg Sarrazin. So aber ringt man die Hände und kann nicht erklären, warum man nicht auch Schröder aus der SPD ausgeschlossen hat, als der in seiner Funktion als Gottkönig der Sozialdemokraten forderte: „Kriminelle Ausländer raus, und zwar schnell“. Auch Müntefering, sein Reichsverweser durfte von Heuschrecken schwadronieren und der Linksparteioberhäuptling Lafontaine gegen Fremdarbeiter „Profil schärfen“. Nun will man Sarrazin, der eigenen Aussagen zufolge keinen Menschen abschieben will, entlassen und ausschließen und kann die Argumente nur stottern.

Es gibt kein Argument gegen Sarrazin, das nicht auch eines gegen die SPD wäre. Rot-Grün hat nicht die zynischen „Ausreisezentren“ geschlossen und auch nicht das Mittelmeer für afrikanische Flüchtlinge sicherer gemacht. Unter Rot-Grün wurden nicht Illegale massenhaft legalisiert. Unter Rot-Grün prosperierte der Antisemitismus nicht minder als heute. Gegen einen Sarrazin aber dürfen sich alle den antifaschistischen Orden an die Brust heften. Wäre man ihm wirklich guten Gewissens überlegen, man könnte ihn ignorieren. Oder, käme man zum Schluss, dass sein Gedankengut eine besondere Gefahr darstellt, ihn derart entschlossen und gelassen seiner Widersprüche überführen, dass gar nicht erst der Eindruck einer Diskussion entsteht.

Solange sich aber der gesamte Bundestag einstimmig für die Abschaffung Israels via IRI-Freeport Gaza ausspricht, gibt es kein moralisches Recht, Sarrazin wegen seines Einteilungswahnes zu verurteilen. Seine Behauptung vom jüdischen Gen übertreibt darin, dass es „alle“ Juden tragen würden. Das ist wie vieles andere aus Sarrazins Mund Jargon, der bösartige Auswirkungen hat, die Sarrazin nicht einsehen will. Wieso seine imprägnierte Zahlenzauberei aber auf einmal mehr Thema sein soll als der genannte Bundestagsbeschluss, kann niemandem einleuchten, der ernsthaft sich mit dem Antisemitismus auseinandergesetzt hat.

Mehr zum Thema auf Nichtidentisches:

„Sarrazins Kinder„“

„Die Abwehr des Genießens in der H&M-Werbung und in der Hartz-IV Debatte

Fussballstreik – Die französische Alternative zu „inneren Reichsparteitagen“

Von der sehr wahrscheinlich homophoben Farbe der Beschimpfung, die ein französischer Spieler verlautbart haben soll, als sein Trainer ihn zu mehr Leistung ermahnte, einmal abegesehen sympathisiere ich aufs äußerste mit der Idee des Streikes gerade in diesem Sport. Dieses patriotische Idyll an seinen Widersprüchen zu zerbrechen und in Klassenkampf aufgehen sehen kann jeden Freund Marx’scher Theoreme nur in gehässige Fröhlichkeit stimmen.

Die feudalen Reste deren sich die kapitalistischen Organisationsweisen bedienen sind im Fußball mehr als präsent. Der Trainer als deligierter Intellekt, der seine entgeisteten Maschinen auf dem Platz organisiert. Die Spieler, die unter ständigem von den Maoisten abgeschauten Rapporzwang stehen, über die immer gleichen Befindlichkeiten nach Sieg und Niederlage zu räsonieren und Besserung zu geloben. Das Environment des Stadions, in dem infernalischer Lärm, Verletzungsgefahr und klimatische Bedingungen die Fabriken des 19. Jahrhunderts aufleben lassen. Die Torprämie, die den Akkord der Spieler durchsetzt. Und eine gehässige Öffentlichkeit, die jede Druckstelle der Ware, die sie gekauft hat, aufs eifersüchtigste bekrittelt.

Dass nun ein Vorarbeiter dieses Systems, ein ideeller Gesamtpatriot, in seinem Narzissmus gestört wurde, hat weitreichende Konsequenzen für das Gesamtsystem.

„Was hier passiert“, sagte Valentin, „ist ein Skandal, für den Verband, für die Jugend, für die französische Mannschaft und das gesamte Land.“ Valentin hatte im Gegensatz zu den Spielern offenbar erkannt, dass das Drama von Knysna ein katastrophales Licht auf ganz Frankreich werfen würde.

Ein gewisser französischer Sozialist verwandelt sich in diesem Licht in eine stalinistische Kanaille, die den Einzelnen den höheren Idealen unterordnet:

Der sozialistische Politiker Jérôme Cahuzac bot derweil eine gewagte politische Interpretation des Werteverfalls im Fußballermilieu: der Präsident sei schuld, denn das Klima, das in der Nationalmannschaft herrsche, sei jenes, das Nicolas Sarkozy im ganzen Land hervorgerufen habe: „Es ist der Individualismus, der Egoismus, das Jeder-für-sich, und der einzige Maßstab des menschlichen Erfolges ist der Scheck, den jeder am Ende des Monats kassiert.“

Dabei ist die Fahndung nach dem „Verräter“ in der Mannschaft, der die Schimpfworte weitergeleitet hatte, noch das stalinistischste und abstoßendste an der ganzen Geschichte und Abbild der Fahndung nach Streikbrechern in herkömmlichen Streiks. Bemerkenswert ist dennoch, dass das Team den Entlassenen nicht zugunsten von zu erwartenden Torprämien im Stich lässt, sondern zu einer darüber hinausgehenden Solidarität GEGEN die Nation und zu erwartende Schecks in der Lage ist.

Wie sehr dieser Bruch mit dem Gesetz die nationalistischen Massen irritiert ist in den Kommentarzeilen nachzulesen, die die Meldungen begleiten. Da findet die neue deutsche Innerlichkeit ihr grenzübergreifendes Äußeres. Eine kleine Partitur wird im Folgenden gereiht:

Der liberale Bildungsbürger mit Ressentiment schiebt alles auf die Bildung:

„Meine Güte! Es geht um fußball! Um ein Spiel!

Da sind keine Politiker oder Könige oder Präsidenten der Nationen auf dem Spielfeld, die ihr Land repräsentieren sollen. Die sollen Fußball spielen und fertig. Und wenn einem mal der Gaul durchgeht und er in der KABINE einen unflätigen Satz raushaut – was soll’s. Sind eben Fußballer. Wahrscheinlich ebenso aus den bildungsfernen Schichten wie die, die bei uns in den Vereinen spielen. Was will man da erwarten?“

Dabei wäre gerade von gebildeten Leuten zu erwarten, dass sie eine gut pointierte Beleidigung an Ort und Stelle plazieren können und nicht „innere Reichsparteitage“ abhalten, wie sich eine Reporterin den Gemütszustand in einem unter Druck gesetzten deutschen Fußballer in einem genialen Kurzschluss vorstellte. Dass sie also zu Streik und Solidarität mindestens so gut in der Lage sind wie das von ihnen bespottete Proletariat.

Ein Holzfuxx vertritt die deutsch-nationalistischen, wenngleich frankophilen Schlußstrichzieher:

„Frankreich so der Lächerlichkeit preiszugeben, hat die „Grand Nation“ wirklich nicht verdient. Die FIFA sollte einen Schlußstrich setzen und die französische Mannschaft aus dem Wettbewerb ausschliessen. Den Namen „Nationalmannschaft“ hat sie nicht mehr verdient. Eine Schande für alle anderen Fussballspieler der Nation.“

Die französische Bildungsministerin spielt ganz volkspädagogisch die autoritäre Geige:

Die Bildungsministerin Valérie Pecresse warf im Laufe des Tages die Frage auf, wie man eigentlich von jungen Leuten noch erwarten wolle, ihre Lehrer zu respektieren, wenn sie Anelka sähen, der seinen Trainer beleidigt.

Hierzulande sind die Lehrer eher umgeben von ethnopluralistischen, streikfeindlichen Dorfnazis, die sich auf Blogs wie diesem hier tummeln:

„Die französische “Nationalmannschaft” ist ein Witz, ein Schlag ins Gesicht für jeden authochtonen Franzmann. Unsere “deutsche” Mannschaft ist aber auch nicht viel besser – ich fühle mich nicht von Moslems wie Özil repräsentiert ! Ich hab den Serben ihren wohlverdienten Sieg gegen unser islamisiertes Multikultiteam deshalb auch von ganzem Herzen gegönnt ! Serbien ist so ein kleines Land, und doch brauchen sie anscheinend keine importierten “Talente”, um erfolgreich zu sein ! Und schon gar keine Moslems !!!“

Oder einen „kamille“:

„der zum Is lahm konvertierte Anelka zeigt sein wahres Gesicht. Keine Spur von göttlicher Inspiration oder frommen Lebenswandel. Die Religion des Friedens scheint eher ein Sammelbecken für gestörte Afrikaner zu sein (Tyson, Jackson, Clay)“

Die Kakophonie breche ich mit Kommentar aus Frankreich ab:

„Sie haben die Träume ihrer Landsleute, ihrer Freunde und ihrer Fans zerstört“, teilte die Sportministerin mit. Auch Wirtschaftsministerin Christine Lagarde, eine ehemalige Synchronschwimmerin, verurteilte den Trainingsboykott der Spieler am Sonntag: „Auch ich habe die Nationalfarben getragen, ich bin erschüttert.“

Zumindest auf diese Erschütterung des deutschen, französischen und sozialistischen Patriotismus in seinen Grundfesten trinke ich heute abend ein Glas Merlot!

Avatar

Henry Rouseau - Der Traum

Henry Rousseau - Der Traum

Ursprüngliche Akkumulation ist ein schmutziges Geschäft. Die Verleugnung über die „von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, schmutz- und bluttriefend[en]“ (Marx, Kapital I, 788) Fundamente kapitalvermittelter bürgerlicher Freiheit machten Marx und Engels zu einem Hauptanliegen in ihren Schriften. Die gewaltsame Verschiebung von Bauern in England wurde als Mordbrennerei zugunsten des europäischen Wollbooms organisiert, den Unwillen der Arbeitslosen domestizierte Edward VI. mit drakonischen Maßnahmen (Marx, Kapital I, 763).

Und so rational und unvermeidlich die effizientere Nutzung der nord- und südamerikanischen Weiten durch die einströmenden, landlosen europäischen Massen war, so pathologisch verlief die rassistisch unterfütterte Landnahme, die ein verhandelbares ökonomisches Konkurrenzverhältnis zwischen Jäger- und Sammlertum und moderner Agrikultur in eine hässliche Serie von durchaus gegenseitigen Massakern und Vernichtungskampagnen verwandelte. In Südamerika dauern diese Indianerkriege bis heute an.

Das Unbehagen über solche Prozesse spürt die bürgerliche Gesellschaft, weil sie ihr Selbstverständnis einer freien und gleichen, durch Konkurrenz stabilisierten Gesellschaft trübt. Sie hatte historisch kein Äquivalent anzubieten, das die Aufgabe des Jäger- und Sammlertums zugunsten der Arbeit in Minen unter Tage oder der Zerschindung von Menschen in Kautschukplantagen attraktiv erscheinen ließe – der Rassismus diente sich als Legitimation an, das Unmenschliche den zu Tieren und Dingen Erklärten antun zu können, weil die technologische Überlegenheit es erlaubte. Das technologisch-kulturelle Experiment „Avatar“ ist Ausdruck und Folge dieses schlechten Gewissens.

Avatar trifft eine im ganzen Manierismus noch deutliche Aussage über die (Un-)Verhandelbarkeit von Interessen in einem assymetrischen Konflikt zwischen einer hochgerüsteten Industrie-Gesellschaft und einer Jäger- und Sammlergesellschaft.

Der Kapitalzweck wird als abstraktes Prinzip benannt: die „Aktionäre“ und die historisch entstandenen Bedingungen auf dem Planeten Erde. Verleugnet wird nicht, dass dieses abstrakte Prinzip pathologische Charaktere hervorbringt und sich ihrer bedient. So stereotyp der narzisstische Wut ausstrahlende Machtmensch in seiner Kampfrüstung gezeichnet wird, so verharmlosend ist das Bild noch gegenüber jenen realen, historischen Indianerschlächtern und Sklavenhändlern. Stellt Star Wars noch interessante, mythologische Figuren des Bösen auf, wagt es Avatar den Stellvertreter des Kapitalinteresses als so belanglos, austauschbar und langweilig zu zeichnen, wie sie wirklich sind. Diese beiden Prinzipien, kultiviertes Desinteresse und individuelle, berechnend überschnappende Pathologie auf Seiten der Exekutive, sind die beiden Elemente, die mit dem enormen Potential der Produktionsverhältnisse ausgestattet mörderisch wurden und werden. Was diesem Verhältnis gegenübertritt, wird von ihm notwendig angesteckt, hat gar keine andere Wahl, als sich pathologisch daran aufzurichten, wenn es nicht in nicht minder pathologischer Agonie erstarren will.

Die beiden Rousseaus sind theoretische und ästhetische Grundlagen, von denen Avatar zehrt. Mit Jean-Jacques Rousseau lässt sich Avatar so kritisch wie affirmativ lesen, was den entsprechenden Experten überlassen bleibt, die den Wandel von amour soi zur amour propre, von Vergesellschaftung und Instinkten nachzeichnen können. Jenseits des Skeptizismus Rousseaus gegenüber einem Naturzustand zeichnet sich in Avatar Intelligenz innerhalb der naivisierten indigenen Welt durch Konfliktvermeidung aus, nicht durch Beherrschung. Der Urzustand wird als mit ins Äußerste räuberischer Natur versöhnter visualisiert und erotisiert – aggressive Komponenten können in ihrer Reduktion auf Nutzbarmachung geleugnet werden. Das furchtbarste Raubtier wird in dieser Idealisierung noch schön wie die Tiger und Panther des Meisters der Grüntöne, Henry Rousseau. Das Ganze wird zum Gegenstand in HD und 3D wie der Maler einst Hintergrund und Einzelheit gleichermaßen scharf zeichnete. Besonderes gibt es nur im Spiel mit anderem Besonderen, ein Vorrecht wird allein dem Ambiente zugestanden, in dem das Individuum sich trotz der Appliziertheit nur akzidentiell aufzuhalten scheint, aufgrund irgendeiner Erlaubnis, die aus undurchsichtigen Gründen und auf Abruf erteilt wurde.

Doch dieses Versöhnungsidyll ist so brüchig, dass nur der reine Stil des medialen Zaubers es verkitten kann. Das Traumhafte rechtfertigt die Ausnahme von der Realität und ist doch von dieser schon ins Korsett gedrängt. Die Phantasie lebt von einem phallischen Unterwerfungsakt, der keine rationale Idee von Gesellschaft voraussetzt, sondern nur ein spezielles Ökosystem. Weil die Ressource des Idylls eine biologische Vorraussetzung ist, bleibt als einzige Möglichkeit an diesem teilzuhaben die Verwandlung in einen anderen, weniger verwundbaren Körper – es gibt kein Rousseau’sches Sofa im Dschungel, die Raubtiere kennen Hunger, aber kein Erstaunen.

Die Unterwerfung der Tiere selbst ist als Abbild der derzeitigen Produktionsmittel gestaltet und so hochtechnologisch wie sexualisiert ausgestaltet – „herunterladen“ könne man letztlich die Informationen aus der Natur, die dem profanen Supercomputer, zu dem die vollends aufgeklärte Mythologie ihren Gott erklärt, gleichgemacht wird. „Verlinken“ eröffnet den Gesunden, Starken die Vernutzung der schicksalhaft bereitgestellten Ressourcen. Das erlaubt die Großartigkeitsphantasie, nach der ein bestimmter Humanoid die Krone der Schöpfung sein soll und es erlaubt zugleich die Verspiegelung dieser Großartigkeitsphantasie durch die Unterwerfung unter ein großes Kollektiv im echtesten Latour’schen Sinne.

Diese Janusköpfigkeit ist das Element eines anderen Phänomens, das im zwanzigsten Jahrhundert die ursprüngliche Akkumulation an blutiger Hässlichkeit noch überbot – der nationalistische Faschismus. Wie bei diesem bedarf es erst der externen Bedrohung und des mit narzisstischen Attributen überschütteten Führers, um Einheit unter den konkurrierenden „Stämmen“ zu erzeugen. So kalt der desinteressierte Kapitalverwalter die Ausbeutung der Ressourcen organisiert, so emotionslos geht der zum Anführer etablierte Außenseiter zur Verwaltung seiner propagandistisch aufgeputschten indigenen Truppen über, opfert sie in sinnlosen Gemetzeln. Der Gang durch die  ehrfürchtigen Reihen zum Endziel der Geliebten ist derselbe wie der an anderen Gräbern desinteressierte durch einen Friedhof. Der Blick des Führers hebt sich entrückt zu einem fernen Ziel, während alle ihn anstarren, für den sie doch nur dasselbe Mittel zum Zweck sind wie die unterworfenen Tiere. Dass weder Schauspielern noch Regisseur ein anderer Ausdruck einfallen wollte bezeugt die Wirkungsmächtigkeit der Pose und die Vernabelung mit einer alltäglichen, massenhaften Erfahrung: ignoriert zu werden obwohl man doch selbst alle Aufmerksamkeit widmet.

Die Verherrlichung des Lebens in der Natur auf Pandora ist eine der Jugend. Stärke und Schönheit machen den edlen Wilden aus, solange er nicht gerade Verräter und Dämonen zur Hinrichtung vorbereitet wie später die Inquisitoren und Revolutionäre. Im Alter ersetzt dann Autorität Sexualität. Da man sich als mit dem Tode versöhnt gibt, bedeuten Krankheit und Schwäche nur einen negativen Kontostand in einer Welt, in der man alle Energie von einer Art natürlichen Bank geborgt haben will und irgendwann seine Hypothek im verwirklichten Äquivalententausch einlösen muss.

Es gibt schlimmeres als den Tod. Soviel ist daran wahr, dass aller technischer Fortschritt nichts wert ist, solange das Leben kein wirkliches ist. Solange haben die Kolonialisten auch nichts weiter anzubieten als „alkoholfreies Bier und Jeans“ und nur die Abwertung als verlaust und stinkend kann das eigene Leben als besser erscheinen lassen. Was die Indigenen auf Pandora anbieten ist der gleiche Zauber in bunt. Hat die eine Seite dicke Hubschrauber, kann die andere mächtige Tierwesen auffahren. Wie auf der einen Seite jene mit dem prunkvollsten Kraftfahrzeug beeindrucken wollen, so erfüllt auf der anderen Seite der größte Flugsaurier den gleichen Zweck. Beim Anblick des unterworfenen gelblichen Raubtieres ist die Indianertochter flugs versöhnt und darf mitfliegen. So wird der Versuch, endlich emanzipierte Frauenfiguren in Filme einzuführen letztlich doch zunichte gemacht, nicht zuletzt dadurch, dass keine anderen emanzipierten Männerrollen zu vergeben waren als das Kind, dessen unschuldiges Spiel mit der Kastrationsdrohung beantwortet wird.

Das mag am ökofeministischen Einfluss liegen, der das Gaja-Ideologem aufbereitet. Natur kann nur als technisiertes Konzept bestehen. Diese Einheit von Humanoid und Natur sei „kein heidnischer Voodoo-Zauber“, sondern messbar, real. Die Abgrenzung erfolgt zu zwanghaft, um glaubhaft zu werden. Das gesamte Filmprodukt ist ein einziger Zauber, der sich in diesem Zitat vergewissern muss, dass seine Idee keine esoterische, magische sei.

Interessanterweise wird in dieses Pathos ein Thema eingeflochten, das eher ein seltenes im Film ist, das der Ethnologie. Deren zweckrationaler Einsatz des Verstehens muss scheitern, wo er nur als sparsamerer Weg zur Beherrschung gewählt wird. Soviel ist wahr an der Kritik. Der theorielose, spielerisch-naive Charakter entspricht dem derzeitig propagierten Ideal eines Feldforschers in einer sich gegen Theorie abdichtenden Ethnologie. „Going native“ ist die Folge, wo die eigene Gesellschaft als unbeherrschbar empfunden wird, die zugewiesene Rolle in der Fremde die in der eigenen Gesellschaft an Dienstgrad und Lustgewinn bei weitem übertrifft. Vom querschnittsgelähmten, befehlsgebundenen Marine zum kraftvollen, elastischen Anführer mit Kohlefaserverstärkten Knochen – es bedarf keines besseren Gesellschaftsmodells und erst recht nicht der Einsicht in dieses, um diesen Tausch attraktiv erscheinen zu lassen. Würde der Film also wirklich an seine vorgeschützte Gesellschaftskritik glauben, würde er nicht dieses Sonderangebot auf ein besseres Leben auffahren müssen.

Über Rassismusbegriff und Kulturalismus bei Claude Leví-Strauss

„Aber handelt es sich überhaupt um Aberglauben? In solchen Vorlieben sehe ich eher den Ausdruck einer Weisheit, der die wilden Völker spontan gehorcht haben und der gegenüber die moderne Rebellion als der wahre Irrwitz erscheint.“ (Levi-Strauss, TT: 113)

„Und da diese Missstände vorkommen, welches Recht haben wir dann, sie zu Hause zu bekämpfen, wenn sie nur irgendwo anders zu herrschen brauchen, damit wir uns vor ihnen verneigen.“ (TT: 380)

„Die Strukturen gehen nicht auf die Straße“, wurde den Strukturalisten von den Marxisten 1968 entgegengeschleudert. Sie gingen – deswegen oder trotzdem – auch nicht unter. Der Strukturalismus wurde schon so oft zum toten Pferd erklärt, dass die Nekrologe sich selbst wie Widergänger ausnehmen. Wenn nun Claude Leví-Strauss seinen Geburtstag eher griesgrämig absolviert, ist die Ursache weniger im persönlichen Misserfolg als Theoretiker zu sehen. Vielmehr ist diese Haltung die Konsequenz aus der zivilisationskritischen und bisweilen zivilisationsfeindlichen privaten Einstellung des Ethnologen. Weiterlesen