Sieben Leben (Seven Pounds) – Der fürsorgliche Staat und die Organspende

In „Sieben Leben“ spielt Will Smith einen Mann, Tim Thomas, der einen Unfall verschuldet hat und dabei seine Frau tötete. Daraus entsteht ein interessanter sexueller Fetischismus: Er beginnt eigene Organteile zu spenden, vorgeblich, um seine Schuld zu tilgen. Am Ende erfolgt sein Suizid – interessanterweise mit einer tödlich giftigen Würfelqualle im Eisbad. So bleiben seine Organe unversehrt und alle von ihm begünstigten Personen erhalten ihren Körperteil vererbt – die vom Tod bedrohte Geliebte sein rettendes Herz. Er schafft es auf diese Weise, körperlich in sieben Personen einzudringen, gleichsam als Widerruf seiner eigenen Geburt. Die vermeintlichen Schützlinge, in Wahrheit seine Opfer, können sich gegen diesen Übergriff nicht wehren – sie haben keine Wahl. Die „Bedeutungslosigkeit“ oder totale Ersetzbarkeit, größte Furcht des Narzissten Tim Thomas, ist durch das Spektakel seines Suizids gebannt.

Der technisch erwartbar glänzende Film führt vor, was geschehen kann, wenn Organspender sich ihre Empfänger aussuchen können und dürfen. Die Empfänger werden von Tim Thomas einem raffinierten Auswahlverfahren unterzogen, ihr Leben überwacht und auf Schwachstellen getestet. Wer andere ausnutzt oder in den Worten von Tim Thomas „ein Arschloch ist“, erhält kein Organ.

Solche berechnende „Vernunft“ erzeugt die Suggestion eines fürsorglichen Überwachungsstaates. Tim Thomas manipuliert durch seine Organgeschenke die Empfänger, bis sie seinen moralischen Idealvorstellungen folgen und ihm sogar dabei helfen Gesetze zu übertreten. Sein eigener Bruder erhält eine Lungenhälfte von ihm, dafür stiehlt er ihm dessen Ausweis vom Finanzamt und gibt sich fortan als sein Bruder aus. Der wird abgewimmelt, als er aufbegehrt:  „Hast du etwas mitgenommen, als du letztesmal hier warst?“ (Den Ausweis) „Nein, ich habe sogar etwas dagelassen!“ (Seine Lungenhälfte).

Seine Opfer sucht er als vermeintlicher freundlicher Beamter vom Finanzamt auf, konfrontiert sie mit Intimissima wie Arztbriefen und abgehörten Telefongesprächen, die er von der Empfängerin seiner Leberhälfte erhält, er bricht in Wohnungen ein – und jedesmal ist seine „Hilfe“ erfolgreich. Einer misshandelten Mutter von zwei Kindern schenkt er sein Elternhaus am Meer, glücklich spielt die vaterlose Familie am Strand. Seine große Liebe findet er in einer verschuldeten kinderlosen Herzpatientin – die sich in ihn trotz aller Übergriffe verliebt.

Dieser eiskalte narzisstische Fetischismus wird vom Film nicht kritisch ad absurdum geführt oder durch Überzeichnung ironisiert, sondern durchweg honoriert und idealisiert. Ein konsequent dialektisch angelegter kritischer Film hätte Tim Thomas Größenwahn wenigstens punktuell scheitern lassen oder die posthume Aggression der Opfer offen gelegt. Das Aggressive in den übergriffigen Handlungen wird zwar angedeutet – so beschuldigt ihn die Herzpatientin, ihren vegetarischen Hund „vergiften“ zu wollen, nachdem er diesem ungefragt ein Stück Fleisch füttert. Die tatsächliche Aggression aber, den Suizid, präsentiert der Film als durchaus respektable und gelungene Lösung von realer Schuld.

Für dieses Wohlwollen kann der Film auf tief inkulturierte christliche Mythologie bauen. Das christliche Selbstopfer befreit in der Filmlogik erfolgreich von realer Sünde. Die Geliebte mit seinem schlagenden Herzen blickt in der Schlussszene gerührt in seine Augenhornhaut, die ein blinder Klavierspieler erhalten hat, der Kindern kostenlosen Klavierunterricht anbot.

Solche mühsam angewärmte, in Wahrheit kalt berechnende Projektion entspricht der ökonomisierten Vorstellung der christlichen Kleinbürger von der Organspende. Die sehen verständlicherweise und ganz rationell nicht ein, warum Raucher oder Trinker ein Spenderorgan erhalten sollen – in der Fortführung ist es dann nur logisch, dass auch anders schuldhafte Menschen nicht erlöst werden.

Hatte das Christentum einst mit der abstrakten Erbsünde noch die Versöhnung mit eigener Sündhaftigkeit durch das deligierte, abstrakte Selbstopfer angeboten und darin auch den konkreten Sünder selbst erlösen wollen, wird es hier auf sich selbst zurückgeführt im banalen Tauschakt Leben gegen Leben. Sieben verschuldete Leben werden durch sieben gerettete Leben bezahlt, individuelle konkrete Sünde durch das das individuelle konkrete Opfer. Der Sünder muss im hier und jetzt büßen und wird nicht mehr im Diesseits erlöst.

Solches Opfer streicht Individualität und Besonderes durch – ein zerstörtes Leben ist eben nicht durch ein anderes austauschbar. Gerettet wird lediglich der Narzisst, der sein Opfer mit der Befreiung von Schuldgefühlen und dem Spektakel der Grandiosität gratifiziert.  Dass ein solches Modell erhebliche Attraktivität ausstrahlen dürfte und in systematisch vom Alltag denarzissierten Menschen die narzisstische Sehnsucht nach dem sinnvollen, sozial nützlichen Tod verstärkt wird von professionellen Rezensenten in medienkompetenter Manier zur Teenage-Suicide-Hysterie verharmlost.

Am Ende behält Tim Thomas recht – daran lässt der Film keinen Zweifel. Die moralischen Einwände einiger Protagonisten erreichen nie den Rang eines Argumentes, sie werden zum kleinkarierten, legalistischen Spießertum verurteilt, dem es an Einsicht in die Größe des angelegten Planes mangele. Der Ausnahmezustand des versagenden Herzens rechtfertigt selbst die übergriffigen Marotten des Tim Thomas als harmlose. tolerable neurotische Nebeneffekte – dabei sind sie der Kern der Motivation, nicht Begleiterscheinung.

Dass Will Smith, der aus dem Stereotyp des schwarzen Clowns („Wild wild West“, „Men in Black“, „Independence Day“) erfolgreich ausgebrochen ist, sich nun für solche autoritäre Propaganda hergibt, kann weder aus Restschulden beim Finanzamt noch aus seiner mutmaßlichen Sympathie für Scientology erklärt werden. Vielmehr ist der Film Exponat einer viel tieferen und gründlicheren Wendung des Systems Hollywoods zum modernisierten Evangelikalismus.

In „I am Legend“, einer ungleich genialeren narzisstischen Projektion, opferte sich Will Smith schon einmal – für ein Serum, das einer christlichen Sekte überreicht wird und diese zur Heilung von Zombievampiren ermächtigt, während die säkulare Wissenschaft das Virus erst durch Krebsheilung erzeugte. Aber auch andere Darstellerfilme, deren Absatz über den Hauptdarsteller sich garantiert, setzen immer häufiger auf pfingstkirchliche Dämonologien und das narzisstische Selbstopfer.

Es trennt Nollywood und Hollywood bisweilen nur noch die Qualität der Effekte und die psychologische Raffiniertheit der Szenarien. Ob „Priest“ oder „Der letzte Tempelritter“ oder „Duell der Magier“: stets wimmelt es von Dämonen und Regressionen zu neoplatonistischen Ritualen, die vom katholischen Ballast befreit, demokratisiert und technologisiert werden – meist noch im Auftrag von wohlwollenden Geheimorganisationen.

Der Plan des Organspenders und der Plan von überdauernden Tempelrittern, Geheimkulten und Zirkeln sind ins Positive verkehrte Verschwörungstheorien, Wunschprojektionen vom sinnvollen Verlauf von Geschichte, von erfolgreicher Organisation gegen das Zeitgeschehen, von erfolgreicher Tradition, von wohlwollender Autorität. Panoptische Überwachung und emotionale Manipulation erscheint plötzlich nicht nur erträglich, sondern notwendig, mitunter trickreich. Wenn es der gerechten Verteilung von knappen Organen dient, ist das Private schutzlos: überschießende Kontrollwünsche angesichts der eigenen Sterblichkeit und der Abhängigkeit von den gefürchteten Ärzten.