Nun doch: Berufsverbot für Franz-Josef Degenhardt

Als Kind einer verrückten Avantgarde einer wahnsinnigen Zeit wuchs ich auf mit Platten von Degenhardt. Merkwürdig war dieses aspirierte Abhacken und Dehnen von Silben und selten malte jemand Bilder von solcher Präzision – allein mit einer grummelnden Gitarre und etwas speckiger Stimme. Keiner konnte so schön einen Vers auf „und“ verharren lassen und „Dollar“ so französisiert zu den merkwürdigsten Akkordfolgen singen. Als ich Punk schon wieder überwunden hatte, kehrte ich kurz zu Degenhardt zurück, sah ihn einmal in Heilbronn und er tat mir leid. Wie er da sang, seine Lieder, die immergleichen, vor den doch sehr wenigen Pilgerern, den betagten.

Degenhardt war autoritär genug, mit DDR und DKP zu fraternisieren – FJD vor der FDJ, ein sehr deutscher Sonntag. Bisweilen völkelte seine Musik explizit: Den Heimatbegriff und das deutsche Volkslied wollte er vor dem Nationalismus retten. Dieser Barde machte der Friedensbewegung noch den Schunkelwirt, als diese schon lang nicht mehr den Atomkrieg sondern Israel und die USA zur Abschaffung ausgeschrieben hatten. Man lachte immer noch gern über desertierende GI’s – Vietnam war schon lange sozialistische Diktatur. Der luzidere Teil des Altmeisters verwahrte indes eine Linke bequem aber gut gegen terroristische Ränder: „Bumser Paco“, das ist ein Meisterstück gegen den populären Machismus der Stadtguerrilleros. Gleichzeitig romantisierte er klandestine Praxis gegen die postnazistische Gesellschaft: Bankraub, Strommastsprengen, das geht ihm durch, über sowas schmunzelten Linke, solange sie nicht selbst hinter dem Schalter standen oder ihnen der Strom ausfiel. Anders als Biermann riskierte er nicht allzuviel gegen sein Publikum, das ihm gern die DDR verzieh wenn er nur „Ein schönes Lied“ anstimmte.  Die taz erklärt ihn in einem gar nicht schlechten Nekrolog gar zum Gewissen der Linken – dabei war er nur das gute Wohlfühl-Gewissen. Die Pointen wohlgezielt, selbstironisch ja, aber nie wirklich den eigenen, linken Kernbestand in Frage stellend. Nun ist der Herr Degenhardt tot. Und alle von Welt bis Zeit finden ihn, der nie in Radios spielbar war, plötzlich gut oder irgendwie indifferent unaufregend. Ich finde es sehr traurig. Beides.

Ich bin 0,000000014 %

Rätselhaft bleibt die mediale Obsession mit einer marginalen Strömung, die sich „Occupy Wall-Street“ nennt. Als noch 400 Menschen in den USA demonstrierten, leistete die ARD bereits Schützenhilfe und bauschte die Facebook-Party zu der künftigen Massenbewegung auf, die sie vorgab zu sein: „We are 99%“. Die üblichen linken Theoretiker freuten sich schon Koks-Löcher in den Bauch und riefen in den Feullietons jetzt endlich aber hallo mal die Revolution aus. Als sogar die Bundeskanzlerin ausdrücklich ihre Unterstützung demonstriert hatte, schlugen ein paar hundert Mutige auch in Deutschland ihre Zelte auf. Diese Sensation sorgte für Titelberichte auf allen Zeitungen. Angeblich zittere selbst China bereits vor „Occupy Wallstreet“. In der taz häckeln ganzseitig die angestaubten Geldabschaffer und Tauschringe an Kongressen über eine Zukunft ohne Geld und Flugmangos. Es scheint, als habe die Gesellschaft ein schlechtes Wissen gegenüber sich selbst und deligiere die entleerte Tätigkeit des Dagegenseins an Berufsdemonstranten.

Gerade weil wirklich wichtigere gesellschaftliche Prozesse stattfinden ist dieses überlobte Fehlcasting „Occupy Wallstreet“ interessant. In den USA herrscht tatsächlich eine Krise mit massenhaften Lohnausfällen und hoher Arbeitslosigkeit. Dort hat Empörung über einen starken Akteur in der Krise noch eine gewisse Berechtigung – wobei gerade hier an jene Millionen Häuserbauer zu erinnern ist, die gegen jede ökonomische Vernunft auf die unsichere Finanzierungslage vertrauten und sich über beide Ohren verschuldeten, während sie diese Schulden als Handwerkerlöhne fleißig in die Nationalökonomie pumpten und so die Krise der Industrie in den USA hinauszögern halfen. Gewiss nicht nur 1 % hat von dieser Krise im Vorfeld profitiert.

In Deutschland, das als exportorientiertes Industrieland mit starkem Binnenmarkt und extrem gutmütigen geographischen Bedingungen von der Krise der anderen satt und machtstrotzend wurde, erzeugt sich die 99%-Bewegung zu 100 % aus Ressentiment. In jeder Kommentarspalte kann man lesen, dass das alles ja gar nichts mehr mit originaler echter Wirtschaft, „Realökonomie“, zu tun hätte, Phantasiewerte würden da im Finanzsystem verhandelt. Diese großen Zahlen, Billionen gar, sollen mit den 39 Eurocent, die an der Kasse für ein Körnerbrötchen gezahlt werden, etwas zu tun haben? Das ist natürlich unmöglich einzusehen.

Herrschaft wird in Produktion verkleidet, schreiben Horkheimer/Adorno in ihrer dritten These zum Antisemitismus. Die Misere bleibt so aktuell wie das Zitat.

Der Fabrikant hat seine Schuldner, die Arbeiter, in der Fabrik unter den Augen und kontrolliert ihre Gegenleistung, ehe er noch das Geld vorstreckt. Was in Wirklichkeit vorging, bekommen sie erst zu spüren, wenn sie sehen, was sie dafür kaufen können: der kleinste Magnat kann über ein Quantum von Diensten und Gütern verfügen wie kein Herrscher zuvor; die Arbeiter jedoch erhalten das sogenannte kulturelle Minimum. Nicht genug daran, daß sie am Markt erfahren, wie wenig Güter auf sie entfallen, preist der Verkäufer noch an, was sie sich nicht leisten können.

Im Verhältnis des Lohns zu den Preisen erst drückt sich aus, was den Arbeitern vorenthalten wird. Mit ihrem Lohn nahmen sie zugleich das Prinzip der Entlohnung an. Der Kaufmann präsentiert ihnen den Wechsel, den sie dem Fabrikanten unterschrieben haben. Jener ist der Gerichtsvollzieher fürs ganze System und nimmt das Odium für die anderen auf sich. Die Verantwortlichkeit der Zirkulationssphäre für die Ausbeutung ist gesellschaftlich notwendiger Schein. (DdA: 185)

Adorno/Horkheimer verkürzen hier die Kritik der bürgerlichen Ökonomie nun gar zu arg, aber sie treffen das Problem: Der Reichtum der Industriegesellschaften ist nun mal ihre Produktion von Waren – Internet, Dienstleistungsgesellschaft, Universitäten und Finanzmärkte sind nur (bedeutende) Anhängsel der Industrie, ein jeder User braucht seine Hardware. Es sagt den Arbeitenden mit gutem Grund niemand ins Gesicht: die sollen ruhig noch etwas Angst vor der Krise haben, die ihren Arbeitsplatz angeblich bedroht – während Züge voller VWs nach China rollen, Lehrstellen unbesetzt bleiben und sich die Investition in die Bankenrettung als halbwegs einträglich für den Staat herausstellt. Es waren letztendlich nur ein paar Dutzend Milliarden die effektiv als Verlust gelten können, die ökonomisch Ungebildeten sollen ruhig glauben, dass hunderte von Milliarden „verbrannt“ wurden für die Banken.

Es sind aber gerade die Vertreter der Zirkulationssphäre, die noch die ökonomische Bildung verbreiten und auf solche Komplexitäten hinweisen. Sie durchschauen den Schein zwar nur halb, und in der anderen Hälfte treten sie nicht selten in autoritärer Abwehr nach unten oder gegen vermeintliche schwarze Schafe und echte Kriminelle oder reale Fehlregelungen. Dennoch dürfte ihnen am ehesten bewusst sein, dass sie als ein Prozent zwar die Herrschaft nicht haben über die Prozesse, von denen sie mitunter auch profitieren, dass sie aber gerade den Kopf fürs Ganze hinhalten müssen, ginge es nach den „99%“.

Zaristische Verhältnisse wie sie in den Oststaaten um den Kaukasus oder in Afrika als Oligarchien sich bildeten gibt es trotz aller Managerboni nicht in den demokratischen Industriestaaten. Unfähig, sich ohne Feindbild zu formieren, muss das Bild einer absoluten Minderheit entworfen werden: 1 %. Die pathische Projektion eines Verhältnisses von der totalen Übermacht der Ökonomie und der totalen Unterlegenheit der Zahl locken zum Angriff und letztlich zur gerechten Vernichtung. Die 99% scheitern an der Individuation. Die Halluzination einer solchen Masse und einer solchen Macht flößt jenen Angst ein, die Angst einflößen wollen. Ängstlich drängeln sie sich zusammen und jeder schreit „Haltet den Dieb“ um nicht selbst in Verdacht zu geraten. Solche kollektiv gewärmte Paranoia erspart jeden kritischen Gedanken.

Die fortgeschrittene Industriegesellschaft hat ihren Anteil daran. Ein jedes Kind soll Schillers Glocke und den volksverträglichen Ritter Ribbeck vom Havellande kennen und man meint, es sei dann gebildet. Aber seinen Arbeitsvertrag gegen anonyme Marktinteressen und deren Personifikationen durchzusetzen muss es alleine lernen. Die Flucht ins Kollektiv der 99% ist logische Folge und rätselhaft ist allein, warum es ausschließlich aus diesem Grund nicht tatsächlich schon mehr geworden sind. Die generelle Sympathie der Medien und damit der Massen macht das und sich selbst verständlich. Die virtuelle Verfolgung der Personifikationen der Zirkulationssphäre eines übermächtigen Marktes durch ein paar rollenspielende Camper mag der Masse ihr Gelüst kompensieren – von der realen Verfolgung von Flüchtlingen, Zigeunern und dem Juden unter den Staaten, Israel, wird sie deshalb noch lange nicht absehen.

Die Lebensordnung heute läßt dem Ich keinen Spielraum für geistige Konsequenzen. Der aufs Wissen abgezogene Gedanke wird neutralisiert, zur bloßen Qualifikation auf spezifischen Arbeitsmärkten und zur Steigerung des Warenwertes in die Persönlichkeit eingespannt. So geht jene Selbstbesinnung des Geistes zugrunde, die der Paranoia entgegenarbeitet. Schließlich ist unter den Bedingungen des Spätkapitalismus die Halbbildung zum objektiven Geist geworden.

In der totalitären Phase der Herrschaft ruft diese die provinziellen Scharlatane der Politik und mit ihnen das Wahnsystem als ultima ratio zurück und zwingt es der durch die große und die Kulturindustrie ohnehin schon mürbe gemachten Mehrheit der Verwalteten auf. Der Widersinn der Herrschaft ist heute fürs gesunde Bewußtsein so einfach zu durchschauen, daß sie des kranken Bewußtseins bedarf, um sich am Leben zu erhalten. Nur Verfolgungswahnsinnige lassen sich die Verfolgung, in welche Herrschaft übergehen muß, gefallen, indem sie andere verfolgen dürfen. (DdA 207)

Preis der Autoaggression statt Fluchthilfe – mit dem Sacharow-Preis denunziert sich die EU

Der Sacharow-Preis der EU zeichnet 2011 posthum den Gemüsehändler Mohmaed Bouazizi aus. Der hatte, so die Darstellung, sich „als Zeichen des Protests gegen die tägliche Erniedrigung und Belästigung der Behörden“ selbst in Brand gesetzt und starb an den Verbrennungen.

Mit einer solchen ohne jede Problematisierung vorgetragenen Auszeichnung lobpreist die EU suizidale Autoaggression als „Protest“. Das ist Verharmlosung. Mag in vielen islamischen Gesellschaften der Märtyrertod hoch gehandelt werden, so bedarf es doch einiger Reflexionsausfälle, um den Suizid eines jungen Mannes als „Protest“ anzupreisen. Weil selbst den Verfassern nicht ganz so wohl dabei war, wurde daraus rasch noch ein „Zeichen des Protests“.

Autoaggression ist kein Mittel der freien Wahl sondern letzte Flucht. Das macht den EU-Preis so zynisch. Anstatt Menschen wie Bouazizi die Flucht und die Opposition im Exil zu ermöglichen, lässt man sie im Mittelmeer ertrinken – auf aktiven Mord wird vorerst noch verzichtet, auch wenn die faschistischen Parteien Europas dafür in den Startlöchern stehen. Bouazizi hat sich nicht nur verbrannt, weil er die Repression und Korruption nicht mehr ertragen konnte. Sondern auch, weil es für ihn keinen Weg ins nur wenige Kilometer entfernte Industrie-Paradis EU gab.

Die EU hat mit den arabischen Diktatoren zur Flüchtlingsabwehr über Jahrzehnte hinweg prächtig kooperiert. Nun zeichnet sie eines ihrer Opfer aus, weil es sich selbst getötet hat. Das sollte den demokratisch gesinnten Individuen in den arabischen Staaten eine deutliche Warnung sein. Wenn die infantilen Islamisten die bereits zementierte Frauensklaverei forcieren, was derzeit mehr als droht, wird die EU mit ihnen Verträge zur Einwanderungsabwehr abschließen, ihnen Öl abkaufen, Präzisionswaffen verkaufen und als Zeichen der liberalen Gesinnung dem einen oder anderen Opfer einen Orden posthum verleihen.

Ästhetik vs. Klima – noch ein kurzer Eingriff

Ein Paradebeispiel für ein großes grünes Unugunu liefert die taz.

Naturschutz: Boliviens Präsident Morales legt sein Veto gegen das Projekt ein. Die Route hätte Rodung gefördert, die zum Klimawandel beiträgt.

Weiter im Text heißt es noch einmal in einer chiastischen Drehung:

„Die Straße hätte zur Rodung von Urwald beigetragen, die den Klimawandel fördert“.

Anhand solcher untalentierter Stilblüten lässt sich belegen, welche Verheerung der alles aufsaugende Begriff „Klimawandel“ anrichtet. Im Text verweist ein solcher Begriff auf eine Kastrationsdrohung, die das konformistische Einstimmen in den Applaus erzeugen will. Weil der Klimawandel dem allerletzten berliner Hinterwäldler ganz gewiss furchtbar schaden wird, darf ein Urwald in Bolivien nicht abgeholzt werden. Da nun der aufrechte Präsident Morales eingeschritten ist, sind die taz-Leser vor der großen Flut nochmal davongekommen und können weiter ihren täglichen Förder-Beitrag gegen die Förderung des Beitrags zum Klimawandels leisten.

In meiner Kindheit kaufte ich mit dem obligatorischen Micky-Maus-Heft von der örtlichen Tankstelle ein Regenwald-Zertifikat über 10 m² Regenwald. Damals kostete Heizöl ein paar Pfennige, die Autos rußten Grobstaub, in Heilbronn brannte eine Pershing 2 und E605 galt den Nachbarn als Wundermittel für die Rosenzucht. Viel hat sich geändert. Die Inflation bedingte wohl, dass heute beim Kauf eines ganzen Kastens Krombacher nur noch ein Quadratmeter Regenwald erhalten wird – bei einer Million Kästen ist das gerade mal ein Quadratkilometer, ein kleines Maisfeld also. Im somit zweifellos wertvolleren Disney-Heft wurde ich darüber aufgeklärt, wie schön der Urwald so ist, mit seinen Tukanen auf den Bäumen, den Leoparden im Wald, den bunten Fröschlein und den liebreizenden Blattschneiderameisen, die unter der netten Sonne zartes Grün sorgfältig ausschneiden und zu ihren putzigen Larven tragen. Je mehr ich dann darüber las, lernte ich den ästhetischen Wert einer solchen Landschaft schätzen, an der man Jahrmillionen alte Artenbildungsprozesse und allem voran die Mimesis bestaunen konnte. Ästhetik blieb mir bis heute der beste Grund, Natur libidinös zu besetzen und tiefe Verachtung reservierte ich für jene antiintellektuellen, verrohten Barbaren, denen eine Minute Wegersparnis durch einen schwäbischen Autobahnzubringer mehr wert war als ein in Jahrtausenden gewachsenes Habitat einer zweigestreiften Quelljungfer oder eines Hochmoorbläulings. Eine Art auszurotten ist im Regenwald um so leichter, wo sich Arten auf Minimalareale angepasst haben und gerade dadurch eine unvergleichliche Formenvielfalt erreichen. Einen Tropenwald zu fällen war und ist für mich ein noch weitaus größeres Banausentum als Gemälde des hochgeschätzten Renoir oder von Schiele öffentlich zu zerstören. Letztere sind im Vergleich dazu weitgehend bedeutungslose, reproduzierbare Dinge – „abgedungene Untaten„, wie ein zitierfähiger Philosoph verlautbarte.

Das erotische, intime Verhältnis zu Natur wird durch das kastrierende Gespenst „Klimawandel“ durchgestrichen. Wo keine Erinnerung an das Schöne des Regenwaldes zugelassen wird, hat man dieses Schöne selbst auf die Abschussliste gesetzt: FÜR den Klimawandel könnte so ein tumber Wald jederzeit gerodet werden. Und das ist leider die Praxis der aktuellen Biosprit-Barbarei, die sich von der Verwertung von Waltran und Pinguinfett für Lampenöl nicht allzuweit entfernt aufhält.

Schlimmer ist wahrscheinlich noch die intrapsychische Auswirkung: Mit der Natur wird einzig noch die Drohung assoziiert, ihre Zerstörung aus Angst vor ihrer Rache tabuiert. Leicht richtet sich die so erzeugte Aggression gegen Natur selbst, spätestens dann, wenn die simplen Lehrsätze von den drastischen Folgen einer Baumfällung am Amazonas sich blamieren und der Bauer hierzulande wie vor 50 Jahren auch seine Felder ganz rentabel mit dem leuchtstiftgelben Raps bemalen kann. Der inhaltsleeren Vernichtung des Formenreichtums unterm Diktat des expansionistischen Kapitals folgt die inhaltsleere Bewahrung im Namen des Klimawandels. Im steten Verweis auf den eigenen Schaden durch das globalgalaktische Verhängnis wird die narzisstische Abdichtung gegen das Andere perfektioniert – die Lust am Erleben des Anderen, das die ästhetische Erfahrung von Natur bietet und fördert stirbt ab.

Welcome home!

Und wie viel schöner wäre dieser Tag, wenn alle pazifistischen, nichtantisemitischen Antisemiten mal einen Tag Pause machen würden, anstatt ihr aus intellektuellen und emotionalen Erfrierungen herauseiterndes Ressentiment und ihren blassen Neid auf die Liebesfähigkeit dieser israelischen Gesellschaft in sämtliche Online-Zeitungen zu schütten.

Entweder Ästhetik Broder Klimaschutz

Im Wort „Schutz“ knallt onomatopoietisch ein Schuss mit. Die Nazis hatten daran ihren Anteil: Schutzstaffel, Heimatschutz, Schutz der arischen Rasse – der Schutz ist assoziativ nicht von der Androhung des Gegenteils zu trennen. Wo das „be-schützen“ noch an etwas heimeliges, an eine gütige elterliche Hand erinnert, die von oben für das Hilflose eingreift und diesem Ruhe verschafft riecht das „schützen“ nach Aggressionen, nach Schützenfest und feudalem Patrouillengang, nach penetranter verfolgender Präsenz. Im verbenreichen Englisch nuanciert sich das Wort: safeguard, shield, protect, shelter, forfend – keiner der Ausdrücke atemt so kurz wie der Deutsche. Zu Recht vermutet man, dass dort, wo geschützt wird, auch geschossen wird, dass dementsprechend Gedanken nicht viel Zeit und Luft eingeräumt wird, wenn „Klimakiller“ an die Türe klopfen.

Dieses Unbehagen gegen die autoritären Komponenten der Schützerei hat Henryk M. Broder und sein publizistisches Netzwerk „Achse des Guten“ von je her veranlasst, dem „Klimaschutz“ mit äußerstem Unbehagen entgegen zu sehen und in ihm ein totalitäres Unterfangen zu erspüren. In der jüngsten Ausgabe von Broders „Deutschland-Safari“ wird Umweltministern, grünen Politikern und Kindern abgelauscht, was sie sich unter der „großen Transformation“, dem Klimaschutz vorstellen. Insinuiert wird dabei von Broder die „Ökodiktatur“, in der selbst Kinder den Müll ihrer Eltern durchschnüffeln und ihnen vorschreiben, was und mit welchen Verkehrsmitteln sie einzukaufen haben. Broders Gespür für die naive Hilflosigkeit der sich rundum gut Glaubenden lockt diesen das autoritäre Vokabular tonnenweise aus dem Munde. Im Rausch dieser vorauseilenden Selbstdenunziation schlägt Broders Polemik um in Relativierung. Eine Fensterkontrolle in Klassenräumen oder eine Solarstromvergütung ist weder qualitativ noch quantitativ vergleichbar mit der Zensur der Stasi oder den Massakern eines Assad – solches nahezulegen ist Verharmlosung, die in der „Deutschland-Safari“ zwar ohnehin ästhetisches und legitimes Mittel der Satire ist, aber in dieser Folge doch mit einigem Ernst vertreten wird.

Das trifft sich mit den Publikationen der AchGut-Autoren Miersch, Maxeiner und anderer, in denen viel vermeintlich liberales Febreze gegen den autoritären Stallgeruch der Nationalökologie versprüht wird. Wissenschaftlichkeit ist auf beiden Seiten kein Thema. Der Nationalökologie einer Merkel ist die Verzweiflung über ihre komplette Unfähigkeit auch nur annähernd etwas vom Thema zu verstehen anzumerken. Das trifft auch die interviewten Grünen Roth und Künast, die vor Ahnungslosigkeit über das von ihnen eingeforderte triefen und auf Broders nicht besonders talentiertes Gestichel nur hilflos reagieren. Da wird dann getüncht mit grünen Phrasen.

Tatsächlich haben weder die Grünen und erst recht nicht Merkel den Rückgang des Artenschwundes nennenswert gebremst. Statt auf Offensichtlichkeiten wie Flächenverbrauch, Agrarsubventionen und Biosprit zu verweisen wird dann gern unterstellt, der globale Klimawandel lasse eben bestimmte Arten aussterben – was eher selten wirklich nachweisbar ist. In Afrika führt man jüngste Dürren auf den Klimawandel zurück – wer vor Ort ist, weiß, wie viele Wälder in den letzten Jahren dort in Holzkohle und Buschfeuern aufgingen. Und Biosprit, ein gemeinsames Projekt von Grünen, konservativen Bauern und der vor dem Ölpreis fliehenden Wirtschaft führte ganz nachweisbar und konkret zu einer beispiellosen und in belegten Fällen mörderischen Abholzung von Regenwald.

Von dem, was Broder mit Ökodiktatur meint, ist das alles doppelt entfernt: Weder gibt es die autoritäre Komponente in einer diktatorischen Qualität (auch die Solarverordnung in Marburg kann wie jedes andere Baurecht durch eine gewählte andere Regierung abgeschafft werden) – noch ist die autoritäre Komponente ernsthaft mit Wissen um Ökologie oder Interesse daran ausgestattet. Die kultivierte burschikose Oberflächlichkeit der liebenswerten Sendung erreichte dann in der zweiten Folge vom 10.10. unterirdische Qualitäten – da wird über bislang 10 Milliarden Subventionen für die Solarindustrie gewettert, als würde sich die Asse kostenlos sanieren und als würde ein durchschnittlicher AKW-Rückbau nicht mehrere Milliarden kosten. Von Steinkohlesubventionen oder Agrarsubventionen ganz zu schweigen. Broder demaskiert hier nicht die unsichtbare, autoritäre Hand der Politik hinter dem Markt sondern seinen selektiven Agress auf das Neue, Unbekannte, Fremde der Solarenergie. Was ihm zur gesellschaftlichen Natur geworden ist, darf um keinen Preis verändert werden.

Der ersten Natur ganz verfallen bricht Maxeiner das Weltklima auf ein Billardspiel herunter. Weil man das alles ja gar nicht simulieren könne, so das antiintellektualistische Argument, sei es ja auch komplette Hybris, überhaupt irgend etwas ändern zu wollen. Es ist halt alles so kompliziert. Maxeiners von Broder affirmierte Regression erklärt das Klima zu einem Gott, gegen den keine Wissenschaft gewachsen sei, während die anderen diesem Gott Altäre aus Palmöl und Hybridautos bauen. Die Platitüde ist beiden Seiten Programm. Das trifft auch Broders undialektischen Begriff von Aufklärung. Gegen die Klimaschule stänkert er: „Am Ende ist es doch Umerziehung.“ Bei ihm gibt es stattdessen aufklärerische Blitzbesuche bei Maxeiner and friends.

Die Verwendung von Seife musste mühsam erklärt und beworben werden – bis heute. Broder denkt nicht an Medizindiktatur, wenn in Krankenhäusern oder Restaurants kontrolliert wird, ob die Mitarbeiter sich regelmäßig die Hände waschen. Dass man stets an die Konsequenzen seines Verhaltens denken müsse – sei ihm schlicht „zu unbequem“. Kritikabel an der blaßgrünen Welle ist aber gerade, dass sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht bedenkt. Weder auf gesellschaftlich-philosophischer Ebene, wo tatsächlich mitunter die Freiheit des Individuums für das vermeintlich korrekt berechnete Kollektivinteresse schnurstracks eisekalt gemacht wird. Noch auf der ökologischen Ebene, auf der Energiesparlampen statt Glühbirnen verordnet wurden, weil man die tatsächliche Alternative LED nicht zahlbar machen kann und will. Andere Beispiele wären die Ausgleichsmaßnahmen, die es ermöglichen, zerstörte Feuchtwiesen durch ein paar Obstbäume oder teure „Flußrenaturierungsmaßnahmen“ zu ersetzen. Anstatt einfach ein paar formschöne Betonklötze entsprechend im Flußbett zu platzieren und dadurch die Gewässerdynamik zu befördern, werden komplette Mäander gebaggert, die eine Umgehungsstraße an anderer Stelle zerstörte – natürlich nur, wenn es jemand gemerkt und tatsächlich erfolgreich eingeklagt hat. Teiche werden auch gleich mit Bäumen teuer bepflanzt, damit es nicht so hässlich nach Ruderalstandort aussieht – der aber für die bedrohtesten Arten essentiell ist. Im Osten zieren frisch gepflanzte Alleen zahlreiche Straßen – effektiver und billiger wäre es, den Randstreifen still zu legen und wachsen zu lassen, was halt kommt. Dieser satirisch durchaus auszubeutenden Diversität von Fehlleistungen und grob fahrlässigem Unfug stellt sich Broder nicht – das hieße, tatsächliche Wissenschaftlern etwas länger reden zu lassen als die nicht ganz stichhaltigen Drei-Sekunden-Mahnungen vor dem Elektroauto.

Dass die derzeitige Form der ökologischen „Aufklärung“ autoritär und mitunter totalitär ist, rechtfertigt nicht die Regression in die Halbwahrheit und in Gegen-Propaganda. Wenn Broder etwa das Biosprit-Problem skandalisiert, so ist eine gewisse instrumentelle Haltung zu diesem Thema zu erkennen, aber kein Interesse – anhand des Problems soll denunziert werden, was erst als Totalität entworfen werden muss: Die globale Klimaschutzbewegung im Verein mit autoritären Staaten respektive Deutschlands. Es gibt eine andere Möglichkeit, die Broder aber schlichtweg zu mühselig ist: Die Arbeit am Objekt, die zähe Ausdifferenzierung von rationalen, irrationalen, ideologischen, dialektischen, biologischen und gesellschaftlichen Facetten des Mensch-Natur-Problems – in Absehung von der Verrichtung der identitären Notdurft.

Der Kritiker des Spiritismus und des Empirismus Friedrich Engels verfügte tatsächlich über Kenntnisse der Naturwissenschaften, die jene Ignoranz Broders gegenüber einer wissenschaftlich-philosophischen Zerlegung von Spinnereien zumindest als sehr armselig erscheinen lässt. Vielleicht liegt das an den Verkürzungen, die der kulturindustrielle Betrieb, in dem Broder agiert, mit sich bringt. Vielleicht auch an seinen Assistenten Maxeiner und Miersch, die beide nicht besonders Wert auf wissenschaftliche Details oder Dialektik legen, weil es tatsächlich so vielen sehr bequem zu widerlegenden ideologischen Unfug in der Ökologiebewegung gibt.

Und auch bösartiges bleibt: Der sich gegen die Instrumentalisierung von Kindern aussprechende Broder ist in der Denunziation der autoritären Kinder autoritär – er erkennt die Realangst vor der Krisenhaftigkeit eines auf Expansion verpflichteten Systems nicht an und spricht implizit den Kindern ihr rationales, wenngleich häufig eingeflüstertes und in verkitschte Formen gepresstes Interesse ab. Es gibt eine Klassenfensterkontrolle. So what? Andere Kinder erpressen das Pausengeld oder müssen in der Schule mit I-Pads oder den Geschichtsfälschungen von Cornelsen, Westermann und Klett arbeiten oder Gruppenarbeit machen, obwohl sie lieber in der Nase bohren würden.

Für die Erhaltung der Artenvielfalt spricht nicht ihr ökonomischer Wert, der je nach Art sehr diskutabel ist, auch nicht die Möglichkeit zur Durchherrschung von Natur, sondern der Grund, warum man dazu fähig ist – die menschliche Intelligenz und der technologische Fortschritt. Moderne Industriegesellschaften könnten wie vor noch gar nicht langer Zeit praktiziert Wale fangen und zu Biosprit verarbeiten – sie sind aber nicht darauf angewiesen und haben eine Wahl, auch wenn die manchmal eine zwischen Bequemlichkeit und Fortschritt ist. Letztlich ist die Frage des Artenschutzes auch eine ästhetische. Oldtimer, Picasso, Wiedehopf sind alle letzlich nur ihrer subjektiv bewerteten Schönheit wegen liebenswert. Nur einer davon lässt sich nicht nachbauen.

Micha Brumliks direkte Selbstgespräche über Gilo und die „jüdischen Pasdaran“

Die historischen Fakten: Jerusalem blieb 1947 vom Völkerbund als neutrales Gebiet unter internationalem Schutz aus den Staatsgebieten der künftigen Staaten Palästina und Israel ausgespart. In der Folge des Angriffs der arabischen Guerillas und Staaten auf Israel 1948 wurde Ostjerusalem von Jordanien erobert. Die jüdischen Bewohner des jüdischen Viertels wurden vertrieben, 58 Synagogen und zahllose Wohnhäuser zerstört. Erst als Jordanien 1967 Israel attackierte und das UN-Hauptquartier eroberte, entschloß sich Israels Regierung, Ostjerusalem ohne schwere Waffen zu erobern, um die Denkmäler zu schützen – was zu hohen Verlusten führte. Seitdem sich Ostjerusalem unter israelischer Hoheit befindet, können alle religiösen Stätten von ihren Anhängern besucht werden, das jüdische Viertel wurde renoviert und wiederbelebt.

Gilo wiederum ist ein Stadtteil im Süden Jerusalems, Wohnstätte von 30-40.000 religiösen und nicht-religiösen Juden. Gilo wurde größtenteils auf Land gebaut, das vor 1948 von Juden gekauft wurde. Wie es dort aussieht, hat „Spirit of Entebbe“ in „Schöner wohnen in Gilo“ beschrieben. Seit 1971 bietet Gilo vor allem Neuankömmlingen aus aller Welt ein erstes Quartier. Dennoch gelten Ostjerusalem und Gilo der deutschen Presse und der UN als „illegale Siedlungen“.

Der so gefärbte Weltgeist trägt bisweilen auch den Namen Micha Brumlik und in der taz verbietet er den Israelis in Gilo 1100 neue Wohnungen bauen. Exorbitante Mieten, heftige soziale Proteste, ein solides Bevölkerungswachstum und ein extrem kleines Staatsgebiet sind für Brumliks Reduktionismus ganz nichtige Argumente – für ihn ist der Wohnungsbau allein Beweis dafür, dass die Regierung Netanjahu „keinen Frieden“ wolle – da kann sie noch so oft und argumentativ auf weitaus höherem Niveau als dieser deutsche Universitätsprofessor das Gegenteil beteuern.

Brumlik Fantasie zufolge wolle die Regierung Netanjahu „alles aussitzen“ und „irreversible Fakten schaffen“. Was für Fakten aus welchem Grund irreversibel sein sollen, erfährt man nicht. Sinai wurde zurückgegeben, Siedler von dort wie auch aus Gaza zurückgeholt und über den Golan wird mitunter tatsächlich diskutiert, obwohl dieser aus Israel nicht mehr wegzudenken ist. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass Israel niemals Ostjerusalem und Gilo aufgeben und schon gar nicht einem ihm feindlich gesinnten Staat überlassen wird.

Ungeachtet des internationalen Theaters um Gilo herrscht derzeit in weiten Teilen des Westjordanlandes Frieden und ein Wirtschaftsboom im Gefolge der stillen und täglichen Kooperation mit Israel. Palästinenser arbeiten auf den Baustellen der jüdischen Städte im Westjordanland und jüdische Ärzte versorgen palästinensische Kinder in israelischen Krankenhäusern. Sogar in Gaza gehen täglich Tausende zur Arbeit nach Israel. Der stille Friedensprozess ist im vollen Gange, auch wenn Hamas und Konsorten das ihrige dazu beitragen, ihn zu stören. Israel mag dabei nicht immer wie eine perfekte Demokratie reagieren, stellenweise auch Landnahme begünstigen oder mehr oder minder systematisch Rechtsbeugung betreiben, aber das reiht es ein unter die fortschrittlichsten Demokratien – womit nicht Ungarn oder Italien gemeint sind.

Brumlik reicht das nicht, er will andere Kaliber:

„Hätte man aber in den Nachfolgebürgerkriegen des zerfallenden Jugoslawien immer wieder beteuert, dass nur direkte Gespräche zwischen Serben, Kroaten, Bosniern und Kosovaren Frieden bringen könnten – der Krieg dauerte noch heute an. Tatsächlich war es ein unterschiedlich instrumentiertes Diktat auswärtiger Mächte mit ihren je eigenen Interessen, das die Waffen zum Schweigen brachte.“

Wie in den Jugoslawien-Kriegen, wo ethnische Säuberungen, Massaker und Massenvergewaltigungen tobten, müssten also ausländische Mächte in Israel „die Waffen zum Schweigen“ bringen. Wer hier keinen Frieden will, ist offensichtlich. NATO-Luftangriffe auf ein weitgehend friedliches Jerusalem, um der palästinensischen UCK einen Staat ohne Roma, Serben und Juden herbei zu bomben? Was für ein Vergleich – und Brumlik beharrt wiederholt darauf.

Brumlik traut sich keck, den außenpolitischen Experten der BRD Unbildung vorzuwerfen und sieht dabei den Baumstamm im eigenen Auge nicht. Man müsse wissen, so erklärt er allen, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachten, dass Netanjahu einem „politischen Milieu“ entstamme, das ein Großisrael auf beiden Seiten des Jordans wolle. Auch würden „40 % der einst hochprofessionellen israelischen Armee“ „im Zweifelsfall eher ihren Rabbinern gehorchen als der politischen Führung“. Und dann unterbietet Brumlik sogar sein bislang tiefstes bekanntes Niveau: Dieser Teil der Armee, so sei unbedingt zur Kenntnis zu nehmen „mutiert“ „im Zweifelsfall“ „zu einer ‚Pasdaran‚-Armee“ „wie sie im Iran existiert“. Zur Erinnerung: Die Pasdaran sind die „Iranische Revolutionsgarde“, professionelle Massenmörder, Henker, Folterknechte und Berufsvergewaltiger, ein mafiöses Terrornetzwerk mit globalen Dimensionen, das in Libanon, Syrien und Gaza mitmischt.

Angesichts einer solchen, diesmal von jüdischen Seelsorgern kommandierten Bedrohung hat Brumlik heftig getüftelt und sich eine Lösung ausgedacht: Vor „harte Alternativen“ sollten „die Europäer“ die „Israelis und Palästinensern“ stellen. Nun wird auf einmal nicht mehr der NATO-Jet berufen, sondern die überaus harte ökonomische Waffe: Das „Assoziierungsabkommen mit der EU“ stellt sich Brumlik als geeignetes Druckmittel vor. Derselbe Professor, der soeben festgestellt hat, dass auf Seiten der „jüdischen Pasdaran“ keinerlei Kompromissbereitschaft bestehe, wenn es um biblisches Land gehe unterstellt ihnen nun, ausgerechnet um den Verkauf von begehrter Hochtechnologie und erstklassigem Gemüse in die EU zu zittern. Die Palästinenser sollen unter derselben ökonomischen Drohung – der Streichung von Finanzhilfen – nicht zum Frieden gezwungen werden, das wäre ja unfair, aber immerhin zum „Verzicht“ auf das „Rückkehrrecht“. Als ganz raffiniertes Zuckerle stellt Brumlik dann beiden den EU-Beitritt in Aussicht – als wäre die EU derzeit ein Verein, dem man beitreten wollte. Mehr noch, man könne sich dann final auch an einer „würdigen Präsentation des Krieges von 1948“ beteiligen, „während dessen tatsächlich etwa 700 000 Palästinenser vertrieben wurden.“

Welche würdige Präsentation hätte Brumlik dann abschließend gerne? Antisemiten, Nationalisten, zu den Arabern geflohene Nazi-Größen und arabische Freischärler greifen von den Aufenthalten in KZ und Flüchtlingslagern noch ausgemergelte, weitgehend unbewaffnete Juden an und verlieren? Das wäre wahr aber kaum „würdig“ im Sinne palästinensischen Geschichtsbewusstseins. Ebenfalls wenig würdevoll wäre der historisch korrekte Verweis darauf, dass die absolute Minderheit der Flüchtlinge aktiv von israelischen Akteuren vertrieben wurde, dass hingegen ein Teil auch von den arabischen Armeen aus strategischen und ideologischen Gründen vertrieben wurde und der weitaus größte Teil das Land in der Hoffnung verließ, bald in ein von Juden gereinigtes Land zurückkehren zu können. Diesem komplexen Prozess kann sicherlich überall „in aller Würde gedacht“ werden – außer in Palästina. Was Brumlik allerdings androht, ist die Verkehrung eines solchen „Gedenkens“ in jene morbide Geschichtsklitterung, die er selbst seiner armseligen Konfliktanalyse angedeihen lässt.

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Quelle: Brumlik, Micha 2011: „Gott hat es versprochen. Vom Mantra zum Dogma – direkte Gespräche in Nahost.“ In: Die Tageszeitung vom 4.10.2011.

„Herero-Küsschen“? Der Zwang zum Wortspiel.

Freud wies auf die Fehlleistung als tiefenpsychologisches Phänomen hin. Im Wortspiel wird die Brücke geschlagen zwischen Witz und Versprecher. Die Lust am Wortspiel geht selten aus einem gesteigerten Bewusstsein über das Intendierte hervor sondern verbirgt es nur weiter vor dem Bewusstsein. Ein regelrechter Zwang zum Wortspiel muss die taz-Titelredaktion zu folgender Schlagzeile getrieben haben: „Namibier verweigern Herero-Küsschen.“ Der Untertitel präsentiert den Kontext: „Kolonialkrieg. Eklat bei Herero-Schädelübergabe in der Berliner Charité: Staatsministerin Pieper von empörter namibischer Delegation ausgebuht“. (taz Nr. 9631, 1.10.2011) In einem „Fazit am Abend“ des Deutschlandradio wurde die Schlagzeile gar zur „Überschrift der Woche“ gekürt.

Was hat die Verantwortlichen zum Wortspiel getrieben? Die Assoziationskette brach möglicherweise schon beim „Ferrero-Küsschen“ ab. Treibt man sie aber konsequent weiter, kommt man zum „Negerkuß“ und von da zum „Mohrenkopf“. Der „Mohrenkopf“ wiederum schließt die Kette im Verweis auf die Totenschädel. Da wirkt eine Menge rassistischer Ballast mit, eine gehörige Portion Zynismus, aber auch der sexuelle Wunsch der Einverleibung des Anderen. Dass „die Namibier“ das „Küsschen“ „verweigern“ ist eine Umdrehung der Situation: Die Bundesregierung verweigert den Herero und Nama die Anerkennung als Opfer eines kaltblütig geplanten Massenmordes, eines Genozids. Die Namibier verweigerten sich als Reaktion darauf der Einverleibung als Ritualobjekte deutscher Wohlfühl-Politik und treten als Subjekte auf. Sie sind keine Mohrenköpfe, die Negerküsse im Tausch gegen Totenschädel vergeben, sondern Unzufriedene, die gekommen sind um sich zu beschweren und ihr geraubtes Eigentum abzuholen. So viel Aggression irritiert offenbar – trotz und vielleicht wegen der kritischen Berichterstattung im weiteren Text – auch die Wahrnehmung der taz von Schwarzen als Objekte so empfindlich, dass man sie und die ganze groteske Situation in einem Wortwitz verkleinern und entwerten muss: zur entzogenen Süßigkeit. Nur mit viel Mühe ließe sich diese Infantilisierung kritisch wenden gegen den Auftritt von Pieper als beleidigtes Rumpelstielzchen, gegen die völlig unreife Haltung der Bundesregierung in dieser Frage. Die inhärente Immunisierung gegenüber den rassistischen Überfrachtungen bliebe dann dennoch bestehen.

mit dank an n.

Katholische Kosmetik

„Der durchschnittliche Gläubige ist heute schon so schlau wie früher bloß ein Kardinal“ (Adorno/Horkheimer DdA: 185)

Joseph Ratzinger sprach in seiner Eigenschaft als vorgebliches Sprachrohr des christlichen Gottes auf Erden vor dem Bundestag und in einigen nicht zufällig der proletarischen Subkultur entliehenen Gebäuden. Da Deutschland kein säkularer Staat ist, gab es auch keinen Grund zur Beanstandung dessen. Auch die Mehrheit der europäischen Staaten sind Königtümer und/oder von religiösen Parteien dominiert, ein revolutionärer skandalisierender Sprech gegen dieses spezifische Ereignis kann getrost als Gelegenheitsaufmüpfigkeit gelten. Es stünde den Befürwortern der Säkularisierung frei, sich zu organisieren und diese voranzutreiben. So allerdings war die Gegnerschaft ins gesamte Ritual eingepasst: Millionen Religionsanhänger hatten nichts besseres zu tun als ihrem Anführer zuzujubeln, Tausende von Vulgäratheisten hatten nichts besseres zu tun als diesen das autoritär gefütterte Wohlfühlgrinsen madig zu machen. Da finden in Syrien und Jemen Massaker statt, aber man fährt massenhaft Ratzinger hinterher und betet für den Frieden anstatt ihn zu schaffen oder man demonstriert in Absehung dringlicher Ereignisse gegen diese infantile Veranstaltung, ohne sich philosophisch allzu sehr mit dem Phänomen des überholten Glaubens und seinen philosophischen Mucken auseinander zu setzen.

Ganz harmlos scheint Ratzinger über Vernunft und Naturrecht zu philosophieren und es klingt so passabel, wenn er den Positivismus schilt und keiner genau weiß, was er damit meint. In dieser philosophischen Bewegung aber wohnt der Geschichtsrevisionismus, auch und gerade wenn die Gegnerschaft von Christentum und Nazismus beschworen wird. Zwischen Skythen und Nazis besteht in Ratzingers Bundestags-Rede ebensowenig Unterschied wie zwischen frühen Christen und Widerstandskämpfern gegen das Naziregime, die ganz unterschiedliche ideologische Ansichten hatten. Insgeheim möchte man so den Widerstand christianisieren und etwas abhaben von dessen moralischer Integrität. Wenn tatsächlich die Verantwortung insbesondere der katholischen Kirche für über 1000 Jahre Pogrom und Massenvernichtung im Raum stehen könnte, wird von Ratzinger stattdessen das Judentum als eine von drei Quellen der Kultur Europas abgewatscht.

„An dieser Stelle müßte uns das kulturelle Erbe Europas zu Hilfe kommen. Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden. Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis. Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben. Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden. Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas.“ 

Dieses Wunschkonzert, harmonisches Zusammenspiel einer nicht zufälligen Trinität, ist entschieden ignorant. Es fälscht das Gedächtnis und ist die „Amputation unserer Kultur“, der europäisch-christlichen Kultur. Es gibt keine „innere Identität“ Europas, und schon gar keine die eine friedliche „Begegnung mit Jerusalem“ wäre. Das Judentum selbst war bereits die Begegnung von griechischer Philosophie und einem über Epochen sich wandelnden Rechtsverständnis, das Vernunft in der historisch situierten rabbinischen Auslegung und damit der Diskussion forderte. Den Juden aber sei keine für Europa bedeutende philosophische Vernunft und kein spezifisch interessantes Rechtsdenken eigen – das ist die Aussage Ratzingers. Über das Christentum und seine „Begegnung mit Jerusalem“ treffen Adorno/Horkheimer das trockene Urteil: „Bei den deutschen Christen blieb von der Religion der Liebe nichts übrig als der Antisemitismus.“ (DdA 185) Und bei weitem nicht nur bei den deutschen.

In Wahrheit waren es jüdische Philosophen und Aktivisten, die Europa denkens- und lebenswert machten und die mitunter das (vorchristliche) frühdemokratische Rechtsdenken bewahrten und diskutierten. Maimonides arbeitete an einer aufklärerischen, gegen magische Praktiken gerichteten Medizin, argumentierte gegen die Astrologie und diskutierte die Integration der griechischen Philosophien durch das Judentum während wenige Jahre später Thomas von Aquin den Hexenglauben theologisch legitimierte und etablierte und in Paris der Talmud verbrannt wurde. Noch die christlichen Aufklärer waren antijüdisch. Der kulturelle Kern Mitteleuropas ist der Pogrom, mehr noch, der christliche. Die subtile Abwertung des Judentums und die Verdeckung des christlichen Antisemitismus gesellt sich formschön zu Ratzingers dritten Impuls, den in philosophische Floskeln gekleideten, sich als dialektisch ausgebenden Antiintellektualismus.

Es ist in den industrialisierten Gesellschaften kaum möglich, an die Wahrheit der Magie Jesus Christus und an die physische Realität eines Himmels oder einer Hölle zu glauben ohne einen (auto-)aggressiven Antiintellektualismus zu betreiben und Physik, Paläontologie oder Astronomie zu leugnen. Der Kreationismus ist nur die reinste Ausprägung dieses Antiintellektualismus und in den afrikanischen Staaten ist er das Weltbild derer, die nicht den imposanten Apparat der Aufklärung – Museen, Sammlungen, Zoos, Zeitschriften, Texte  – kennen und kaum eine andere Wahl haben. Das wird von der katholischen Kirche in diesen Regionen ausgebeutet und affirmiert, ebenso wie die mörderische Homophobie der auf Reproduktion vernagelten Gesellschaften. Solches Verhältnis zur Wissenschaft steht zur Diskussion, wenn es um einen „Schöpfergott“ geht, das Naturrecht und seinen Ursprung in einem Schöpfergott zu diskutieren ist nur ein Ablenkungsmanöver. Die Kirche kann es mit der Vernunft und Modernisierung nicht so ernst meinen, wenn sie als spezifische weiter den konkreten Glaube an Unsinn anempfiehlt. Zu weit darf sie dabei nicht gehen, sollen doch die Kühlschränke und Automobile funktionieren auch wenn der liebe Herr Jesus wirklich übers Wasser wandelte. Nicht Rechtspositivismus und Vernunft sind aktuelle Konfliktpole der katholischen Kirche sondern Wahrheit und Massenselbstbetrug. An einen Gott und Magie lässt sich nur noch sehr abstrakt glauben, will man nicht gar so dumm dastehen, wie man sich gerade deshalb immer noch massenhaft dazustehen traut. Wird göttliche Magie abstrakt, so wird die spezifische Lehre, der Ritus und insbesondere der Papst überflüssig und das Ritual privatisiert – wie es die Esoterik nur konsequent umsetzt.

„Die Unverbindlichkeit des geistlichen Heilsversprechens, dieses jüdische und negative Moment in der christlichen Doktrin, durch das Magie und schließlich noch die Kirche relativiert ist, wird vom naiven Gläubigen im stillen fortgewiesen, ihm wird das Christentum, der Supranaturalismus, zum magischen Ritual, zur Naturreligion. Er glaubt nur, indem er seinen Glauben vergißt. er redet sich Wissen und Gewißheit ein wie Astrologen und Spiritisten. Das ist nicht notwendig das Schlechtere gegenüber der vergeistigten Theologie.“ (DdA 188)

In all seinen Reden geht es Ratzinger demnach auch nicht um Glauben oder Wahrheit – dahingehend müsste er entweder der Esoterik oder der Wissenschaft ihr Recht zugestehen. Es geht um die einzig wahre Naturreligion des rassistoiden Europas, die Zugehörigkeit. Im Olympiastadion predigt er Zugehörigkeit zum Weinstock, dass man sich zu einem guten Wein machen solle und „sich selbst geben“. Das Ziel dieser Gabe ist das Wohlgefallen des Jesus Christus und Jesus Christus sind irgendwie die Menschen selbst – so betet sich tatsächlich Gesellschaft in der Religion selbst an wie es ausgerechnet der Positivist Durkheim ganz richtig vermutete ohne so recht etwas dagegen zu haben. (S. Adorno in Durkheim 1996: 20) Längst spielt es keine Rolle mehr, ob nun Jesus, Mohammed oder Moses das Meer mit dem Stab oder Brot mit den Händen oder die Juden mit dem Schwert zerteilte, solange man nur einen „kulturellen Kern“ oder ein „Licht“ vor sich her trägt und die Wahnvorstellung nicht alleine glauben muss. Am gleichen Orten glaubten in Berlin die einen auf Aufstieg und Abstieg der eigenen Mannschaft, die anderen an Auferstehung und Hölle, die dritten an Wahlsieg und Wahldesaster – solange man nur nicht alleine damit ist. Der philosophische Lidschatten, den Ratzinger der Kirche verpasst macht Gesellschaft gewiss nicht menschlicher. Er ist schlecht aufgetragene Kosmetik der kollektiven Regression wie die zur Schau getragene Empörung seiner Gegner.

Auf internationaler Ebene um Ersthaftigkeit bemüht war in den letzten Tagen allein Benjamin Netanjahu, dessen Rede vor den UN im Volltext im Interesse des Friedens weitaus dringlicher zur Lektüre empfohlen wäre als die Reden Ratzingers.

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Literatur:

Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. 1979 (1943).

Theodor W. Adorno in Durkheim, Emile: Soziologie und Philosophie. 1996 (1976).

Das Konzept „Master Blaster“ und sein rassistischer Mehrwert

Ein Protagonist in „Mad Max beyond Thunderdome“ besteht aus zwei Personen: Einem Muskelprotz, dem Blaster, der seinen Master, ein technisches Genie, auf den Schultern herumträgt. Beide sind ohne den jeweils anderen hilflos und zu Tod und Unterwerfung verdammt. Das hat eine unverhohlene Ironie: Dem archaisch gewordenen bürgerlichen Heldentypus, der Geist und Körperkraft vereint, tritt die modernere Form der Arbeitsteilung in dieser monströsen Gestalt gegenüber. Die perfide Spartenbildung der Kulturindustrie ist in diesem Sinnbild ebenso kritisch aufgehoben wie Hegels Weltgeist plötzlich ironische Gestalt erhält – nicht zuletzt im vorgedachten Untergang der Zivilisation in einem atomaren Desaster. Auch das Herr-Knecht-Verhältnis wandelt plötzlich leibhaftig zwischen Schweinemist und konfrontiert mit wahnsinnigen Gesellschaftsverträgen umher und scheitert grandios.

Die Legitimationsfigur einer Symbiose von Stärke und Intellekt ist älter noch als Hegel und zu attraktiv um nicht immer wieder auch als Kitt für die bürgerliche, postrassistische Gesellschaft herhalten zu müssen. „The Green Mile“ ist einer der großen Filme der 1990-er. Hauptfigur ist ein naiver Schwarzer mit gewaltigen Körpermaßen, die zu allem Überdruss noch in ein typisches „Onkel-Tom“-Kostüm, Latzhose und  Unterhemd, gezwängt wurden. Diese an sich schon rassistische Karikatur eines Schwarzen wird dazu noch  mit magischen Kräften ausgestattet. Vor dem afrikanischen Voodoo fürchten sich die Weißen spätestens seit dem Sklavenaufstand in Haiti. In „The Green Mile“ wird die magische Essenz als „göttliche Gabe“ verbrämt, die natürlich nur in einem gänzlich harmlosen Charakter unbedrohlich existieren kann. Der intellektuell kastrierte Schwarze verfügt über Muskelkraft und Magie und: über moralische Reinheit. Das destruktive Potential seiner „Gabe“ darf er gesellschaftlich legitimiert am Sadisten Wetmore auslassen. Und in gänzlicher Überzeichnung des für diese Zeit typischen rassistischen Stolzes auf die weiße Medientechnologie wünscht er sich vor seinem Tod auf dem Stuhl nichts sehnstlicher als einen Film im Kino zu sehen. Mehr oder weniger aus Verdrossenheit über den Menschen an sich lässt er sich dann freiwillig hinrichten.

Weniger dramatisch aber nach dem gleichen Muster ist „The Blind Side“ von 2009 gestrickt. Die weiße schöne Modedesignerin, Republikanerin und zweifache Mutter Leigh Anne ist nicht nur Frau eines Fast-Food-Imbiss-Ketten-Besitzers sondern hat auch bei aller Stachligkeit ein gutes Herz. Sie nimmt einen riesigen schwarzen Jugendlichen bei sich auf, der nicht nur ein hervorragender Sportler ist sondern natürlich auch intellektuell zurückgeblieben. Wieder ist er moralisch unantastbar. Das Philanthropentum zahlt sich daher aus: der Junge entwickelt durch die gutmütige Anleitung von weißen wohlwollenden Frauen seine Kapazitäten, darunter seinen überragend getesteten „Beschützerinstinkt“, und wird unter Anleitung des kleinen Intelligenzbolzens SJ zum Leistungssportler, der sogar die Hochschule besteht. Als Negativbeispiele werden andere Schwarze aufgeführt, deren Potential nicht rechtzeitig von weißen reichen Republikanerinnen und ihren hyperintelligenten naseweisen Kindern entdeckt wurde und daher destruktiv werden muss. Aus ihnen werden Prostituierte oder tote Gangster, was natürlich überhaupt nichts im Entferntesten mit Arbeitsbedingungen oder Lohnverhältnissen in Fastfood-Restaurants oder Nähereien zu tun hat. Immerhin enthält dieser Film anders als „The Green Mile“ selbstreflexive Momente, über den viehisch reinen Stil des Trainer-entdeckt-und-zähmt-widerspenstigen-Supersportler-Genres kommt er aber selten hinaus.

Das rassisierte Master-Blaster-Modell propagiert nicht nur traditionelle rassistische Stereotypen sondern auch einen ausgeprägten Antiintellektualismus. Das Geistige ist stets körperlich schwach, impotent, verkrüppelt oder zu klein. Mehr noch, es ist moralisch verdächtig und verdorben. Erst wenn es moralisch gereinigt wird, kann es die Symbiose mit dem starken Körper erfolgreich verwerten. Und in der Verwertung liegt letztlich die Botschaft der beiden letzten Filme. Nicht an die Versöhnung von Körper und Intellekt wird appelliert sondern an die effizientere Nutzbarmachung der Ressourcen durch einen moralisch integren Intellekt. John Coffeys Hinrichtung ist mehr eine Empörung über die Verschwendung von „Gottes Wundern“ als ein Verweis auf das tägliche Unrecht der Todesstrafe eingeschrieben. Die Ghettogangster der amerikanischen Kleinstadt werden offen als vergeudete Ressource betrauert. Solche Filme sind kitschtriefendes Resultat des Nützlichkeitsdiktats, ein stilreines Ideologem kapitalistisch-protestantischer Gesellschaften, demgegenüber durchreflektierte Filme wie „Mad Max“ unbestritten subversiven Gehalt erhalten.