Mondäne Orte – über Pornographie und Tourismus.

Das touristische Verhältnis zu Zielgebieten ist ein pornographisches wie das pornographische Verhältnis zu Körpern ein touristisches ist. Beiden eigen ist die Schaulust, die sich permanent als masochistisch-frustriertes Verlangen inszeniert – Zusehen und doch nicht teilhaben können, wollen, müssen, dürfen. Im pornographischen Akt werden so viele als möglich in einer Beziehung erfahrbare Optionen der gegenseitigen Intimität auf grotestk-sportive Weise  verdichtet. Die 5-10.000 täglichen TagestouristInnen auf Capri handeln nicht anders, wenngleich aus ökonomischem Interesse: Sie möchten – mich eingeschlossen – dieses  in einem Tage erfahren – die blaue Grotte erkunden, das Negligé der aufreizenden Kleinstadtfassade von Nahem erkunden, die höchsten Klippen besteigen und letzlich von dieser hohen Warte aus alles sehen. Weiterlesen

Der einzig wahre Hammer…

„Zuletzt liegt ein Angriff […] im Sinn und Wege meiner Aufgabe […], ein Angriff auf die in geistigen Dingen immer träger und instinktärmer, immer ehrlicher werdende deutsche Nation, die mit einem beneidenswerten Appetit fortfährt, sich von Gegensätzen zu nähren und „den Glauben“ so gut wie die Wissenschaftlichkeit, die „christliche Liebe“ so gut wie den Antisemitismus, den Willen zu Macht (zum „Reich“) so gut wie das évangile des humbles ohne Verdauungsbeschwerden hinunterschluckt… Dieser Mangel an Partei zwischen Gegensätzen! Diese stomachische Neutralität und „Selbstlosigkeit“! Dieser gerechte Sinn des deutschen Gaumens, der allem gleiche Rechte gibt – der alles schmackhaft findet… Ohne allen Zweifel, die Deutschen sind Idealisten.“

„Aber hier soll mich nichts hindern, grob zu werden, und den Deutschen ein paar harte Wahrheiten zu sagen: wer tut es sonst? – Ich rede von ihrer Unzucht in historicis. Nicht nur, daß den deutschen Historikern der große Blick für den Gang, für die werte der Kultur gänzlich abhanden gekommen ist, daß sie allesamt Hanswürste der Politik (oder der Kirche) sind: dieser große Blick ist selbst von ihnen in Acht getan. Man muß vorerst „deutsch“ sein, „Rasse“ sein, dann kann man über alle Werte und Unwerte in historicis entscheiden – man setzt sie fest… „Deutsch“ ist ein Argument, „Deutschland, Deutschland über alles“ ein Prinzip; die Germanen sind die „sittliche Weltordnung“ in der Geschichte; im Verhältnis zum imperium romanum die Träger der Freiheit, im Verhältnis zum achtzehnten Jahrhundert die Wiederhersteller der Moral, des „kategorischen Imperativs“… Es gibt eine reichsdeutsche Geschichtsschreibung, es gibt, fürchte ich, selbst eine antisemitische, – es gibt eine Hof-Geschichtsschreibung und Herr von Treitschke schämt sich nicht… […] Alle großen Kultur-Verbrechen von vier Jahrhunderten haben sie [die Deutschen] auf dem Gewissen!“

Der „deutsche Geist“ ist meine schlechte Luft: ich atme schwer in dieser Instinkt gewordnen Unsauberkeit in psychologicis, die jedes Wort, jede Mine eines Deutsche verrät. […] Das was in Deutschland „tief“ heißt, ist genau diese Instinkt-Unsauberkeit gegen sich, von der ich eben rede: man will über sich nicht im klaren sein. Dürfte ich das Wort „deutsch“ nicht als internationale Münze für diese psychologische Verkommenheit in Vorschlag  bringen? […] Ich habe Gelehrte kennen gelernt, die Kant für tief hielten; am preußischen Hofe, fürchte ich, hält man Herrn von Treitschke für tief.“

(Friedrich Nietzsche, „Ecce Homo“. Werke, hg.1999 Hanser-Verlag, S. )

Nicht nur weil die halbe „Dialektik der Aufklärung“ aus diesem Rhizom geschnitzt ist, auch wegen solcher fantastischer und durchs ganze Werk gestreuten Boshaftigkeiten gegen den deutschen Geist und seiner Kritik am Antisemitismus ist Nietzsche heute so aktuell wie zu seiner Zeit. Sieht man von der verzweifelten Unruhe gegenüber dem weiblichen Geschlecht ab, die in ihrer Misogynie noch einen Wunsch nach befreiter weiblicher Individualität barg und in seiner Bösartigkeit noch eine Kritik am durch Unterdrückung gebildeten Charakter, ist Nietzsche der einzig wirkliche Aufklärer, der sich auch nicht schämt, einem Kapitel den Titel zu geben: „Warum ich so klug bin“.


Spongebobs Closeups

„Es könnte sogar sein, daß nur das Grauen, selbst das in der Vorstellung erfahrene, mir gestattet hat, dem Leeregefühl der Lüge zu entrinnen…  Ich halte den Realismus für einen Irrtum.“ (Georges Bataille: „Das Unmögliche“)

„Riechen Sie das? Dieser Gestank…dieser stinkende Gestank…dieser stinkende Gestank, der stinkt…die Sache stinkt!“ (Eugene Herbert Krabs: „Aushilfe gesucht“)

Von Zeit zu Zeit sollte man auf frühere Gedanken hören, ihre Zeitkerne aushöhlen und zerknabbern. In „Kritik der marinen Ökonomie“ lag bereits der Akzent auf eine anhaltende ernstgemeinte Reflexion auf das bedeutendste Reproduktionsinstrument herrschender und konfligierender Ideologien, das in der Geschichte je aufgeboten wurde: Das bewegte Bild. Jackson Pollocks Gemälde wirken fahl im Schatten der ökonomischen Potenz eines James Cameron und dieser selbst kann sich schon nicht mehr vor dem Ansturm des Konkurrenzgenres der Games, allen voran „Modern Warfare II“, behaupten. Mit dem Budget kleiner Staaten werden hunderte visuell erobert. Und trotzdem: das Monopol war nie so fragmentiert wie heute und gerade deshalb so stabil. Adorno und Horkheimer wird zu Unrecht mit  Punkrock, Underground und Internet an den Karren gefahren. Die Verdoppelung Hollywoods in die größer gewordenen Kinder Bollywood und Nollywood festigt nur das Prinzip und seinen Erfolg.

Wenn alle Kultur samt ihrer gebotenen Kritik daran Müll ist, wie Adorno als Antithese diagnostiziert,  läuft dann alles auf „Mülltrennung“ (Gerhard Scheit) hinaus? Oder sollte man wachsam gegenüber den von Adorno und Horkheimer konstatierten „Zeitkernen“ in der „Dialektik der Aufklärung“ sein? Oder hält man es mit Adornos widersprüchlicher und darum angemessener Position, wenn er mit Gretel ins Lichtspielhaus flaniert, Beckett verehrt und sehr wohl in Besseres (Schönberg, Beckett, ungarische Volksmusik) und Schlechteres (Wagner, Jazz) trennt? Auch in der Filmindustrie gibt es Besonderheiten und so sehr sich die Nischenprodukte, die „Mentalreservate“ (Adorno), den Eliten als Delikatesse andienen, die dem Pöbel ungenießbar seien, so sehr muss auch die strengste Kritikerin noch Sympathie für gewisse Produkte aufbringen, die schlichtweg fortschrittlich im besten Sinne sind. Sie versprechen nicht ernstzunehmend, den Kapitalismus aufzuheben, sind aber durchaus geeignet den Reaktionären ihre Brunnen zu vergiften und in seltenen Momenten ein Gefühl aufleuchten zu lassen, das schwer begreiflich als Identifikation mit einem Glücksversprechen zu umschreiben wäre. Dass sie dadurch eine Funktion erfüllen, nämlich in den Menschen die Illusion entstehen zu lassen, durch die massenhafte Verbreitung der Kritik wäre sie schon in die Tat umgesetzt und die Revolutionen an den Fernseher deligiert werden ist ihnen kaum inhaltlich vorzuwerfen. Die Kritik ist eine der Produktionsverhältnisse, nicht der Ware und ihrem Glücksversprechen.

Im Stil gewordenen Stilbruch wohnt daher eine Chance, den Träumen einen Traum anzuträumen, was nicht einmal Adorno für gänzlich abwegig hält:

„Nicht darum sind die escape-Filme so abscheulich, weil sie der ausgelaugten Existenz den Rücken kehren, sondern weil sie es nicht energisch genug tun, weil sie gerade so ausgelaugt sind, weil Befriedigungen, die sie vortäuschen, zusammenfallen mit der Schmach der Realität, der Versagung. Die Träume haben keinen Traum.“

Und später:

„Was im Ernst escape wäre, der bildgewordene Widerwille gegen das Ganze bis in die formalen Konstitutentien hinein, könnte in message umschlagen, ohne es auszusprechen, ja gerade durch hartnäckige Askese gegen den Vorschlag.“ (Adorno, MM 387f)

Ein solcher bildgewordener Widerwille gegen das Ganze, unausgesprochene message, leuchtet in einer Technik auf, die Spongebob zum Stilelement erhoben hat. Die gezeichnete, in zerplatzende Formen fragmentierte Unterwasserwelt zeichnet in ihrer Absurdität ein realistischeres Bild vom Realen als das gesamte Dogma 95-Genre. Dessen Anspruch auf Authentizität durch Orthodoxie und technologischen Spartanismus verhöhnen die Closeups in Spongebob. Immer wenn etwas in seiner mikrologischen Betrachtung endlich ins Bewusstsein dringt, schwenkt das Bild vom Zweidimensionalen in die Dreidimensionalität des Ekels. Der verwesende Burger, auf den Spongebob in Unkenntnis der Todesdrohung vermutlich seine verdrängte Heterosexualität konzentriert, kommt erst dann in seiner bedrohlichen Vergänglichkeit zu Bewusstsein, als er „realistisch“ gezeichnet wird – das exaltierte Entsetzen, das Spongebob persifliert, ist eines über jene Naivität, die das Äußerliche, den Stil, zum Maßstab der Erkenntnis macht (siehe Spongebob: „Burgina“). Im Closeup des Grotesken verlacht Spongebob jene, die meinen, jetzt erst die Realität zu erkennen.  Es ist Ideologie, dass man nur genau genug hinsehen und herangehen müsse, um dem Schein zu entraten. Der echte Mund, der in den griechisch anmutenden Chor der Startsequenz ins Piratenbild eingeschnitten wird, wirkt  ekelhaft – weil er denunziert, dass jene versprengten Realitätsfetzen im erholsam Scheinhaften noch lange nicht Richtiges im Falschen versprechen, sondern sich um so lächerlicher machen. Es sind die Realismus-Fanatiker selbst, die Dinge und Menschen in abstrahierten Oberflächen-Formen wie in Spongebobs Welt sehen. Sie tappen wie der stümperhaft verkleidete Pirat als ermüdend komische Gestalten doppelt gefälscht umher. Fügte Brecht noch die Verfremdung ein mit dem Verdacht, der Bürger könne das Schauspiel schon nicht mehr als solches Erkennen oder auf sich beziehen, so flechtet Spongebob das realistische, dreidimensionale ein, um gerade den Verdacht, dass jenes und alles das Schauspiel sei, zu bestätigen.

„Denn verstört ist der Weltlauf. Wer ihm vorsichtig sich anpaßt, macht eben damit sich zum Teilhaber des Wahnsinns, während erst der exzentrische standhielte und dem Aberwitz Einhalt geböte.“ (Adorno: MM, 382)

Wer würde nicht zustimmen, in der Familie aus Spongebob Schwammkopf, Patrick Star, Thaddäus Tentakel, Eugene  Krabs, Plankton und Sandy ein kristallines Typenmodell von Exzentrikern zu finden? Ihr Aberwitz spottet noch jeder Normalität. Freud konstatiert, dass der Neurotiker in der Verneinung das verrät, was Kern seiner unbewussten Empfindungen ist. Wenn etwas ganz bestimmt NICHT so oder so sei, kann der Analytiker davon ausgehen, gerade hier einem verdrängten Inhalt zu begegnen. Die gesamte Unmöglichkeit der Unterwasserwelt ist eine einzige Verneinung und darum wahr, realistischer als jene, die die Täuschung, den Effekt verneinen und es gerade darin auf den Effekt am meisten abgesehen haben.

Kuscheldöner im Kannibalenland

Kuscheldöner
Kuscheldöner

Zugegeben, der Kuscheldöner, den ich in Halle fotografieren durfte, ist in seiner braunen, spröden Sandsack-haftigkeit keine ernsthafte Konkurrenz für „Bernd das Brot“. Auch Gesichtsmortadella und Spongebob-Wassereis sind ihm in Sachen Usability einiges voraus, haben sie doch Essen und Identifikation selbst identifiziert und bedürfen nicht mehr des Umwegs über das Dritte. Für den Hang, die orale Aggression durch das Essen zu sublimieren, steht allerdings der personifizierte Döner Kebap ganz vorne Modell. Er wird nicht nur mit langen Messern kastriert und dann in heutzutage ungenießbar gewordenen Mayonaise-Saucen ersäuft, sondern wird vorher noch ausgiebig geröstet und tiefgefroren. Mit dieser Tortur identifiziert sich der Kuscheldöner vollkommen, ist trotzdem gut drauf und immer für einen Big Hug zu haben. Die Botschaft, das Essen habe es gern, wenn es zerschnitten, flambiert, verschlungen und wieder ausgeschieden wird, trifft sich ausgezeichnet mit Parolen, die den Büroalltag als Vergnügen feiern und Arbeit als das halbe Leben anpreisen. An der fetischisierten Nahrung wird das Bedürfnis nach Versöhnung mit dem einem selbst feindlichen Prinzip deutlich. Hat sich der barocke Früchteschnitzer noch die kunstvoll in Form gebrachte Natur unterworfen, identifiziert sich der Mensch, der sich der Nahrung gleich macht, indem er sie sich gleichmacht, mit dieser Unterwerfung. Zugleich soll die ganze Welt ein Kuscheltier werden – infantile Mimesis als Aufgabe jeder Konfliktbereitschaft. Douglas Adams macht das in seinem Anhalter-Zyklus zur Allegorie: Weiterlesen