„Verbrennt sie alle!“ – „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“ als zynische Exploitation

„“Hansel & Gretel: Witch Hunters“ has a lock on No. 1 at the box office with an expected opening of about $30 million, according to people who have seen pre-release audience surveys.“ (LA-Times)

Das Märchen von Hänsel und Gretel wurde mitsamt einigen anderen von den Alliierten nach dem Krieg verboten. Es stand unter Verdacht, die Fixierung der Deutschen auf die Verbrennung von vermeintlichen Bösewichtern aus der vor allem in Deutschland grassierenden Hexenjagd des 16. und 17. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert hinein konserviert zu haben. In den Öfen von Auschwitz kehre nur zu deutlich das Märchenmotiv wieder, das Faible der Nazis für romatische Märchen war evident. Die temporäte Identifikation mit den Hexen als vermeintliche germanische Urreligion vollzog der Okkultist Himmler, er wollte den Juden die Hexenjagden unterschieben und arbeitete dabei schon selbst am monströsen Autodafé, dem Holocaust. Ob Juden nun zu Hexen oder Hexenjägern oder beidem gleichzeitig erklärt wurden, der Kontext der Hexenjagden ist für den Nationalsozialismus erheblich. Spätestens in den 1950-ern wurde aber schon wieder munter das Volkslied gesungen von Hänsel und Gretel, die die böse Hexe in den Ofen stoßen: „Die Hexe musste braten, die Kinder gehn nach Haus.“ Dazu wird dann oft noch ein Kindergartentheater aufgeführt, in dem die Hexe dann jämmerlich kreischen muss zum Beifall der Kleinen. Wenn Kinder Märchen brauchen, dann sicher nicht dieses.

Der Splatter-Kracher aus dem Hause Paramount Pictures langweilt nicht nur durch flache folienhafte Durchführungen bekannter Genre-Elemente – das ist schon hinreichend dem Trailer zu entnehmen, der als eigenständiger Kurzfilm gelten kann. Dass Splatter auch reflektiert, spannend, ironisch, lustig und politisch sein kann, beweist Tarantino mit „Django unchained“. „Hänsel und Gretel“ aber entbehrt jeden Schuldgefühls, jeder Reflexion auf irgendeine Problematik, jeden Intellekts.  Wenn da Hänsel vom Leder zieht: „Ich aber sage: Verbrennt sie alle!“ dann sollte dieser gezielt installierte pseudoironische Radikalismus Angst erzeugen. Dieser Film meint exakt das, was er sagt. Das Böse wird hier vollständig rein dargestellt, eine Technik, die extremsten unreflektiertesten Sadismus erlaubt und überaus anfällig ist für Rassisierungen. Das Problem ist nun, dass dieses hier im Film vorgestellte Böse nicht auf einer symbolischen Ebene stattfindet.

Hexenjäger in unterschiedlichen Stufen der Grauamkeit sind Realität in weiten Teilen der Erde. Sie werden unter anderem inspiriert von Filmen. Zwar wird zwangsläufig eine Trennung im durchschnittlichen afrikanischen Publikum vollzogen: westlichen Special-effects wird eine andere Botschaft zugeteilt als den afrikanisierten, die als dokumentarisches Abbild der okkulten Vorgänge gelten. Dennoch ist die Wirkung eines solchen Filmes auf ein zutiefst hexengläubiges Publikum abzusehen, wie es ja auch in den pfingstkirchlichen und volkstümlichen Teilen der westlichen Religionsangehörigen millionenfach präsent ist.

In Nordghana berichtete mir eine Frau, wie man ihr eine Nadel längs in den Finger trieb, um von ihr ein Geständnis zu erwirken. Andere wurden mit Dornen oder Lastwagenkeilriemen ausgepeitscht, man zerschmetterte ihre Fußgelenke mit Steinen oder Hämmern. Wenn ein westliches Publikum heute johlend sich über visualisierte Gewalt an „Hexen“ aufreizt und eine gänzlich unreflektierte Werbesprache das auch noch überall als Kurzweil anpreist, dann widert das an in einem unbeschreiblichen Maße.

„Hänsel und Gretel“ ist offensichtlich nicht nur faschistoid in seinen unironischen Rechtfertigungsmustern von Gewalt, den kalten Identifikationen mit Steampunk-Waffentechnik, die schon das nachgeordnete Computerspiel andeuten. Das ohne jeden echten Witz stattfindende Abfeiern der Gewalt gegen ein böses mythologisches Konstrukt ist im Kern ein nationalsozialistisches. Die unbewussten Nazis weltweit werden mindestens beim Konsum des Trailers im Geiste „Hexe“ und „Jude“ gleichsetzen und die Botschaft „Verbrennt sie alle!“ mit nach Hause nehmen. Den besonders eifrigen Exekutoren bietet man schon „Spiele“ an, in denen Kinder vor herbeifliegenden Hexen geschützt werden sollen. Das verkrampfte Understatement, man glaube ja sicher heute nicht mehr an so etwas, und deshalb dürfe man ja wohl noch gerade so etwas mimetisch nachspielen, ist schon die Schlussstrichmentalität des Postnazismus.

„Afro-Faschismus“ und Hexenjagden

„some of you gyys are hypocrites when we take a stand against evil people that do witchcraft,obia,voodoo what ever u wana call it these people put curse on youmake bad things happen two they steal your kids kill them for sacrifice ther just gething back a taste of ther own medicine we have two get rid of them ther evil Demonic people look at jamaica they used two say no batyy mon [„Batty boys“: Slangwort für Homosexuelle, NI] you used fight against them Hard now you guys make them walk free ly in the country they take over the island thats why so much batty mon in jamaica now & running things cause you guys cant take a stand against them. look when people from Haiti came two jamaica when the Earthquake strike theycame & started two kill the kids doing ther Voodoo ritual nobody did nuthing some victims that escape said they were Haitiens so why not kill does who try kill you you wana proteck them two Thats why jamaica cant go nowere 50 year anyversay 7 nuthing two show for it et rid off the Obia man dem NOW“

Dieser Kommentar findet sich in einigen Varianten des gleichen Stils unter einer Filmaufnahme eines Mordes, der unter Lynchmord schon zu schlecht gefasst wäre. Einige mit Autorität ausgestattete Hexenjäger verbrennen fünf Menschen.

http://www.wickedhype.com/videos/details/13832/Five-People-Suspected-Of-Witchcraft-Burnt-Alive-In-Kenya-Very-Graphic-NSFL

Sehr ähnliche Bildsequenzen fanden sich bereits vor einem Jahr, entweder wird die Verfolgungstechnik von der gleichen Bande immer noch reproduziert, oder es handelt sich um das gleiche Ereignis. Sowohl Traditionalität als auch Masse solcher Vorfälle sind insbesondere in Kenia hinreichend belegt und diskutiert.

Leider erfahren wir im konkreten Fall nichts über die Kamera. Handelt es sich um die Verfolger selbst, um Entwicklungshelfer, um skrupellose Journalisten, besonders skrupellose Ethnologen, Ethnologen oder Journalisten, die blindwütig einem Objektivitätsdiktat folgen? Dörfliche Lynchmobs werden in aller Regel von einzelnen Individuen gestoppt, um so mehr, wenn ein gewisser Status an die im Lynchmord durchgestrichenen rechtlichen Instanzen erinnert.

Während also der Dokumentation schon ein Hautgout der Exploitation anhängt, zeigt sie doch einen Einblick in eine afrikanische Realität: Den dörflichen und urbanen Terror gegen willkürlich ausgewählte Individuen. Immer öfter wird dieser Terror, sobald medialisierte Bilder davon entstehen, von einer spezifischen Ideologie begleitet, die im Kommentar oben enthalten ist. Die vier Nerven, an denen der afrikanische autoritäre Charakter sich gereizt fühlt, sind die Behandlung von Kindern, Frauen, Homosexuellen und als Hexen angeklagten Individuen. Für bestimmte Individuen ist die Misshandlung dieser Gruppen unverhandelbares Recht und der Widerspruch dagegen kolonialer Eingriff. Was wiederum seine eigene, pervertierte Wahrheit erfährt in Kommentaren wie diesem:

„all ypu african fucks are so stupid! witchcraft ? really? its 2012people! this is some ones mother and family! hell is definitely real for ppl like you… you africans always taking up my commercial time with flies & shit on your face talking bout feed a child for a $1 a day …FUCK NO! how did you guys come accross a camera then? how bout you sell it.. or if youre all so hungry…gwan guh cook ya mudda and eat her!“

Sich von beiden aggressiven Ideologemen nicht irritieren zu lassen ist die Herausforderung, der sich leider kaum jemand stellen mag. Eine Argumentation findet in keinem Fall statt.

Spendenaufruf

Liebe Leserinnen und Leser,

auf Nichtidentisches ist seit geraumer Zeit wenig geschrieben worden. Das hat einen guten Grund. Ich gründete nach meinem letzten Forschungsaufenthalt in Gushiegu/Nordghana einen Verein zur Unterstützung von alten Frauen, die der Hexerei beschuldigt und vertrieben wurden. In mehr als sieben Asylen und Ghettos sammeln sich im Norden Ghanas insgesamt etwa 2500 Hexenjagdflüchtlinge, in Burkina Faso, Togo, Malawi, ZAR, Tansania und Südafrika gibt es ähnliche Phänomene der Schutzkollektivierung von Hexenjagdflüchtlingen.

Unser Verein „Hilfe für Hexenjagdflüchtlinge“ sammelt und organisiert Spenden für das ghanaische „Witchhunt-Victims Empowerment Project“ mit dem wir die Situation der 200 Frauen in Gushiegu, Nabuli und Kpatinga verbessern wollen. Langfristig hoffen wir, dass unser Engagement dort zu einem Abflauen von Hexereianklagen führen wird.

Ich bitte euch um eine weitläufige Weitergabe des Links zur Vereinsseite mit vielen weiteren Informationen und natürlich um Spenden via: http://gushiegu.wordpress.com

„The Witches of Gambaga“ by Yaba Badoe (2010) – Review

In Ghana’s Northern-Regions‘  multi-ethnic landscape seven settlements still differ more than any other from the rest: They are a ghetto for mostly elderly women but also younger ones and men who were accused of perpetrating witchcraft-crimes. Most popular is the perception of a witch leaving her sleeping body behind and meeting with other souls of witches in the bush to cannibalize human souls, preferably those of relatives. Sickness and death are commonly related to witchcraft and accusations are often backed by dreams that are believed to serve as a nexus to the spiritual world. While treated differently in many regions and circumstances, malicious witchcraft is a capital offense in most areas of Ghana and therefore lynchings, harrassments, evictions and torture are likely to happen to those who fall victim to a witchcraft-accusation. Those who escape lynching are brought to shrines for an ordeal or run away to the cities and the settlements for witch-hunt-victims.

For more than ten years Yaba Badoe, a Ghanaian writer and film-maker, has been visiting the so-called „witches-home“ at Gambaga, which is maybe the oldest and surely the most famous site where about 80 women accused of witchcraft seek refugee. Gambaga is not a remote rural area – it is a minor Ghanaian city with excellent roads to the urban Hot-Spot Tamale. The town has an internet-cafe, electricity, a regional prison, schools, a post-office and two simple guesthouses. The countryside is bushland with its beautyful red and green hills and giant rocks shattered around. The settlement for witch-hunt-victims is not only an asylum: Women are sentenced to exile from their homes in protective custody by the Gambarrana, a traditional, yet powerful chief. Badoe interviewed women accused of witchcraft to uncover their stories. For a woman in an area of Ghana that is sexist to the bones, it is especially remarkable that she was able to reach the chiefs permission to interview him and film the chickens ordeal.  This ordeal is the final authority for many oracles throughout Africa. Once a case is brought to the chief of Gambaga, he demands a fee and a chicken. The fowls throat is cut and it is thrown away. If it does not die with its‘ wings upturned, the ordeal proves the womens guilt – she is now exorcised of the supposed witchcraft spirit, she has to drink a potion, she is shaved and she has to testify her deeds. If the ordeal „proves“ the innocence of the woman, she might be terrified enough to stay nonetheless. If she stays, she is obliged to work on the farms of the chief before she can work on a small field of her own, if she not entirely depends on the help of relatives or the solidarity of her mates in the camp. Should she want to leave the camp finally, she has to pay „reimbursement“ for her stay. This „reimbursement“, as Badoe has investigated, has risen to an insane amount of 100 UsD.

When I visited the camp for 14 days in 2009 I was not permitted to see the ordeal and I did my best to disgruntle the chief who is notorious for his mood swings. His vain is easlily piqued while money pleases him to liberalness. Badoe managed to command his respect through her long-term observation. She proves, that documentary is possible in this highly ambivalent field and that it becomes professional mostly through time invested and intimacy towards the subjects. Badoes‘ work is investigative but by no means neutral. Her canny humanist approach does not hide the subject behind „realism“ and at the same time refrains from binary oppositions. Her thesis  could be read as she says in the documentary: „To be born as a woman is to be born under a shadow of suspicion.“ This suspicion is always enforced by the role of male authorities like the Gambarrana who states: „Women have their own witchcraft. Can you tell who’s a thief? That’s how witchcraft is.“

Badoes number of more than a thousand women condemned of witchcraft who live in northern Ghanas‘ camps for witch-hunt-victims is vague. In fact it is now clearly more than 2500 and up to 4500 people who are living in seven settlements for witch-hunt victims, mainly at Tindang/Gnaani and Kukuo/Bimbilla.  Unknown numbers go to the cities or to distant regions. But all of them suffer while some have agency and options beyond common stereotypes of victims. Badoe does a great job portraying the agency of the women. And agency is enhanced drastically by media and foreign interest. But agency is limited as soon as the stigma is concerned. As one victim states: „In the same way fire burns, I am a witch.“ There is up to no defense against the chiefs‘ verdict. The chief sees himself as a philanthrope while he profits from the women through forced labour, ritual-fines, „reimbursement“ and fame for overpowering „evil witches“. Badoe makes his fragile ego visible.

Her insightful documentary brings the victims of witch-hunts and their emotions closer to the audience. The beautyful colours of Northern Ghana – dark faces in front of sunflooded clay-huts, red dust and dry wood, the pied clothing – foil the dull pressure put on individuals as a result of fears of witchcraft. Light is grateful in Ghana: Every face is a scarred sculpture, every hut an environment. The impressive monumentalism of the aesthetics of primitive modes of livelihood is treated with self-evidence. Badoe is far away from exploiting this environment, though she does not deny its aesthetics  – her way of filming escapes exotistic, neo-romantic artwork as much as the lurid, over-engineered realism that is in vogue. It focuses on the story to tell and the understanding of the audience, it raises questions instead of answering them.

Artikel

In der IZPP erschien just mein neuer Artikel mit dem Titel:

Somatisierte Geister – Über Leckagen und medial vermittelte Krankheitskonzepte im ghanaischen Film

Über Kritik und Anregungen freue ich mich.

Missing Link between witchcraft-notions and anti-Semitism

Auf Ghanaweb.com wurden die Siedlungen für Hexenjagdflüchtlinge zur Diskussion gestellt. Unter den Kommentaren findet sich dann in diesem dankenswerterweise unzensierten Medium der obige Kommentar. Das ist die offenste Übernahme von antisemitischem Repertoire in Hexereivorstellungen, die mir bislang begegnet ist. Da mittlerweile die Siedlungen bekannt gemacht wurden, um auf die Probleme der Frauen aufmerksam zu machen, stellen solche Randgruppen eine nicht zu vernachlässigende Bedrohung für die knapp 4000 Hexenjagdflüchtlinge dar, die sich in Nordghana in den sieben von mir besuchten Schutzhaftsiedlungen mit Mühe und Not über Wasser halten.

Ghanaweb.com published an article about the settlements for witch-hunt victims. The comment above was postet and can be read thanks to the uncensored board. It is the most open adaption of anti-Semite aggression to witchcraft notions that I ever met. Due to the publication of the settlements locations for public knowledge about the issue these aggressive minorities could pose a threat for the 4000 victims of witch-hunts who already bear utmost hardship in the seven settlements for witch-hunt victims in northern Ghana.

Die Entenmacher aus Peru – Hexereivorstellungen, Urban-Legends und Ritualmordlegenden

Man kann von JournalistInnen kaum erwarten, dass sie über ethnologisches Fachwissen verfügen. Dass sie ihre Quellen prüfen allerdings schon. „Fett-Mafia in Peru: Menschen getötet, Fett an Kosmetikindustrie verkauft!“ Der Bericht von BILD gewohnt faktisch, man glaubt den Aussagen eines Polizeioffiziers.“Grausige Mörder in Peru: Fett von Leichen verkauft!“ titelt es vom Vorarlberg, hier ist man allerdings schon professioneller und stellt die Geschichte in Zweifel. „Handel mit Menschenfett in Peru: Dutzende Menschen verschwunden!“ Die taz bringt die Schuld der Europäer ins Spiel, weil in ihrer narzisstischen Ideologie keine noch so perfide Verschwörung der Welt ohne die hervorragende Genialität und Letzschuld der Europäer bestehen kann.

Heute wurde bekannt, dass es sich bei dem Bericht um eine Ente handelt, die der dortige Polizeikommissar verbreitete, weil er damit Ermittlungsprobleme übertünchen wollte. EthnologInnen und SüdamerikanistInnen ist diese spezielle modernisierte Ritualmordlegende lange bekannt. Michael Taussig etwa erwähnt sie in seinem Buch über den Tiu-Kult der Bergarbeiter in Bolivien. Im Volksmund sind es Hexen oder andere spirituelle Übeltäter, die Blut oder Fett der Opfer aussaugen. Die erfahrenen Schrecken der Versklavung durch ganz reale Oligarchen rationalisierte den sehr speziellen Spiritualismus der Anden heraus und hinterließ einen international durchschlagskräftigen Mythos. Prinzipiell wäre eine solche Perfidie der mafiös orchestrierten Nachfragedeckung möglich und in Punkto Grausamkeit auch gar nichts besonderes in der Geschichte Südamerikas. Dass von hunderten von Varianten dieses Mythos gerade die eine ihren Weg in die internationale Presse fand und diese blamierte, ist wohl vermittelt durch die Autorität eines Polizisten und die tatsächliche Mordserie. Ungeklärt bleibt, wieso man afrikanischen urban legends nicht nachgeht, nach denen Kriminelle ihren Opfern das Blut aussaugen und dann an die Weißen verkaufen. Vielleicht weil sich diese Mythen dann doch wieder zu sehr mit der Realität vermischen, in denen Schwarzmärkte für menschliche Körperteile florieren, weil man sich von diesen magische Profitmaximierung verspricht. In Lagos oder Südafrika werden regelmäßig verstümmelte Leichen gefunden, denen man Genitalien, Blut oder Körperteile entfernte. Für Südafrika beläuft sich die Schätzung auf über hundert Ritualmorde pro Jahr. Diese Realität ist vermittelt mit dem sehr tiefen Glauben der Menschen an die magischen Kräfte solcher Rituale – Vorstellungswelten übersetzen sich in Taten, die jene Vorstellungswelten reproduzieren. Den Verzweifelten und den von Gier und Angst um ihren Erfolg Geplagten bietet sich das Menschenopfer als einziger Weg ins Glück an, wo man Reichen grundsätzlich jenes Verbrechen unterstellt. Reichtum ohne Menschenopfer ist kaum mehr vorstellbar und das evangelikale Christentum tut sein Bestes, diese Vorstellung von Wohlstand durch das universale (und damit ungleich sparsamere) Opfer eines Gottessohns zu stärken. Solche Magie entspricht im wesentlichen auch derjenigen, die meint, man könne Wohlstand produzieren, indem man Flüchtlinge im Mittelmeer ertränkt.

Nachtrag: Die taz gibt sich in der Richtigstellung souverän als habe sie das Märchen von Anfang an nicht geglaubt –  und als hätte es  in der taz keine reißerische Schlagzeile zum Thema gegeben.

Witchcraft, Displacement and Human Rights Network online

Ein neues Netzwerk versucht, innerhalb der UNHCR die Bestrebungen um ein Ende der Hexenverfolgungen in allen Teilen der Welt zu forcieren. Fast jeden Tag findet man hier neue Zeitungsmeldungen und lesenswerte wissenschaftliche Artikel zu Hexenverfolgungen. Dass von der UN allerdings im Allgemeinen nicht viel zu halten ist, sollte bekannt sein.

http://maheba.wordpress.com/

Rassenmutter und Rebellin – Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus – Rezension

Rassemutter und Rebellin – Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus. Felix Wiedemann, 2007. Würzburg: Königshausen & Neumann. 465 Seiten, 58 €.

Die Hexenverfolgungen der europäischen Frühmoderne wurden von ProtagonistInnen aus den verschiedensten Spektren vereinnahmt. Felix Wiedemann unternimmt in seiner überarbeiteten Dissertationsschrift den Versuch, die Bedeutung des Hexenthemas für die Ideologienbildung in der völkischen, esoterischen und der feministischen Szene zu klären.

Das voluminöse Werk weiß vor allem durch eine Fülle  und Vielfalt von Literaturangaben, Verweisen und Topoi zu überzeugen. Kaum ein Vertreter oder eine Vertreterin der völkischen Szene, der Esoterik oder des Ökofeminismus bleibt unerwähnt. So liest sich das Buch zugleich als überaus dichte Einführung in Geschichte und Ideologeme der überwiegend deutschen Ideologie seit dem 19. Jahrhundert und der postnazistischen esoterischen Strömungen. Zwischen den Zeilen wird dezent Wiedemanns antifaschistische Grundeinstellung deutlich, die zudem auf einer für den deutschsprachigen Raum noch seltenen Konzentration auf den nahezu allen Bewegungen inhärenten Antisemitismus aufruht.

Ausgangspunkt der Betrachtungen Wiedemanns ist eine Trennung von rationalistischen und romantischen Hexereidiskursen. Die rationalistischen Diskurse versuchen nach Wiedemann, über die Ablehnung der Hexenjagden als Aberglaube ihre eigene Position als rationale aufzuwerten. In diese Kategorie fallen Deutungsmuster, die in den Verfolgten Angehörige eines aufgewerteten Kollektivs sehen und die Hexenjagden als Einbruch christlichen Aberglaubens in ein vermeintlich aufgeklärtes oder mit Spiritualität versöhntes Heidentum. Der Kern des als Fremdkörper entworfenen „christlichen Aberglaubens“ wird bei den völkischen rationalistischen Diskursen, jedoch gerade auch in neueren feministischen Verlautbarungen zumeist auf das Judentum zurückgeführt, wie Wiedemann in zahlreichen Beispielen nachweist. Dieser in morbider Monotonie durch die jüngere Geschichte anzutreffende Rückschluss vom Topos des christlichen Aberglaubens und der christlichen Fremdherrschaft auf das antisemitische Ressentiment ist einer von Wiedemanns zentralen Befunden, auf den er immer wieder verweist.

Leider vermeidet Wiedemann  eine eindeutige und nachvollziehbare Differenzierung von rationalistischen Stimmen, die sich in integrer Absicht gegen zeitgenössischen Okkultismus und Hexereivorstellungen wandten und jenem eindeutig instrumentalisierenden und projizierenden völkischen Millieu, das er als rationalistisch kategorisiert. Er insistiert daher zuweilen etwas vorschnell auf einer grundlegenden Anfälligkeit der gegen das Christentum und gegen Hexenjagden gerichteten aufklärerischen Positionen für den Antisemitismus und den Umschlag ins Völkische.

Romantische Ideologeme integrieren die von Wiedemann als „rationalistisch“ umschriebenen Positionen zuweilen in ihrer antichristlichen Volte. Vorherrschend ist jedoch die Phantasie über eine reale Hexengemeinschaft, die als Hüter eines spirituellen, esoterischen Geheimwissens, oder im Falle völkischer Interpretationen auch als Vertreter einer eigenen, höherwertigen Rasse fungiert.

Beide Diskurse sind frei kombinierbar, ein Topos, den Wiedemann  in einer Fülle von  Zitaten nachweist, wenngleich er die Dialektik dieses Verhältnisses nur in Ansätzen erörtert. Klar wird jedoch anhand der zahlreichen Unterkapitel, die sich mit den verschiedenen Einzelpersonen befassen, dass einige wenige Autorinnen und Autoren durchgängig als Referenzen für die daraus gesponnene Hexenmythologie gelten können:

1. Jacob Grimm konstruiert in seinem Werk „Deutsche Mythologie“ die Figur der Hexe aus  vorgeblichen germanischen Mythologemen als weibliche Mittlerin und Ritualfrau.

2. Johann Jakob Bachofen, ein konservativer Evolutionist, konstatierte ein ursprüngliches Matriarchat, das durch eine schöpferische Phase des Patriarchats abgelöst worden sei. Diese Teleologie wird zunächst für antifeministische völkische Stimmen interessant, weil sie das europäische Patriarchat einem matriarchalisch geprägten Orient gegenüberstellt und so für antisemitische nationalsozialistische und völkische Männerbundideolgien anschlussfähig ist. Später dient Bachofens Matriarchatstheorie, wie Wiedemann herausstellt, den ÖkofeministInnen als eskapistische Hilfskonstruktion zur Überwindung einer als übermächtig und ewig empfundenen patriarchalen Gesellschaftsform.

3. Jules Michelet, laut Wiedemann ein Vertreter des französischen, romantischen Liberalismus, wird zum Erfinder des „Hebammenmythos“. Die natur- und sexualfeindliche Kirche habe Hebammen und Heilkundige verfolgt, und mit ihnen heidnische Bräuche der Naturverehrung auszurotten gesucht. Der Hebammenmythos avancierte zu einem der am weitesten verbreiteten gesellschaftlichen Irrtümer.

4. Carl Gustav Jung lieferte mit den Begriffen vom kollektiven Unbewussten und dem Archetypenmodell einem Heer von PsychologInnen, ÖkofeministInnen und VertreterInnen der Esoterik das Rüstzeug zur Vereinnahmung der Hexenverfolgungen. Von zentraler Bedeutung sind dafür laut Wiedemann die von Jung unter Rekurs auf das Hexenbild entworfenen Archetypen der „Anima“ und der „Großen Mutter“.

6. Margaret Murray wollte als Historikerin reale Fruchtbarkeitskulte entdeckt haben, die in ländlichen Gebieten besonders lange fortbestanden hätten und dort Grundlage für Feen- und Zwergenmythen gewesen seien. Die Hexenverfolgungen hätten sich gegen solche rituelle Gruppen gerichtet. Murrays Thesen boten mit Gerald Gardner den Grundstein für die Wicca-Bewegung.

7. Mircea Eliade erweiterte als Religionswissenschaftler den Schamanismusbegriff und brachte Ekstasetechniken mit den Hexenzirkeln zugeschriebenen Ritualen in Verbindung.

8. James Georg Frazer sah in Fruchtbarkeitskulten ein zentrales und verallgemeinerbare Moment von ritueller Praxis der vormodernen Gesellschaften.

Aus Versatzstücken dieser zumeist selbst schon hochgradig ideologisch aufgeladenen Quellen speisen sich die meisten von Wiedemann analysierten Versuche, die Vereinnahmung der Hexenjagden mit wissenschaftlichem Anstrich zu versehen. So konnten die eklektizistischen und eskapistischen Rückprojektionen als alternative Geschichtsschreibung kursieren.

Besonders frappant ist die anscheinend willkürliche Phantasieproduktion bei solchen Gegengeschichten im Bereich des Ökofeminismus der 1970-er bis heute. Mehrfach zitiert Wiedemann Beispiele selbst rennomierter Feministinnen wie Alice Schwarzer, die sich ungehemmt selbst als nachträgliche Opfer der Hexenverfolgungen präsentieren und eine ungebrochene Traditionslinie von der Folter in den Hexenprozessen zu der frauenfeindlichen Rechtssprechung der Moderne ziehen. Besonderen Rang hat dabei die Opferkonkurrenz zu den Opfern der Shoah. Im Zuge dessen wird der im 18. Jahrhundert von Gottfried Christian Voigt geschaffene Mythos von den 9 Millionen Opfern der Hexenjagden bedeutsam. Diese Zahl wurde von vielen FeministInnen verwendet, um sich als historisch bedeutsamste Opfergruppe zu gerieren. Besonders zynisch wird bei nicht wenigen von Wiedemann zitierten Autorinnen die Verantwortung sowohl für die Hexenjagden als teilweise auch für die Shoah selbst einem „jüdischen, jahwistisch-patriarchalen“ Prinzip zugesprochen. Darin sieht Wiedemann wesentliche Übereinstimmungen von ökofeministischen und völkischen Modellen. Die antisemitische Vorstellung vom jüdischen Gottesmord entspreche im spirituellen Feminismus der Vorstellung vom jüdischen „Göttinenmord“. Die Faszination für die angebliche rituelle Praxis der als Hexen Verfolgten sei ferner Ausdruck für die in der gesamten alternativen Linken bemerkbare Verschiebung von gesellschaftspolitischem Engagement hin zur authentischen Erfahrung. Wiedemann stellt ferner sehr überzeugend die antifeministischen und sehr konservativen Rollenzuschreibungen heraus, die in den vermeintlich feministischen Phantasien vermittelt werden, die auf die Hexe als Vertreterin von Weiblichkeit und Spiritualität rekurrieren.

Die neopaganistischen Kulte schließlich reihen sich in diese Identifizierung mit den Hexen als Opferkollektiv ein, um ihre eigene Identität aufzuwerten. Wiedemann äußert eine starke Skepsis gegenüber jüngsten Abgrenzungsversuche gegen völkische Ideologien in der neuheidnischen Szene, etwa aus dem „Rabenclan“. Er unterstellt diesen Tendenzen, dass die Ausschlussformeln gegen Rassismus, Sexismus und Antisemitismus nur äußerliche Lehrsätze seien, die wie in der Linken noch lange nicht jene Codes und subtilen Ideologeme beseitigt, die zentrale Träger völkischer Ideologien waren und sind.

Es ist gerade auch diese Skepsis, die Wiedemanns Werk zu einer hervorragenden und profunden Quelle macht, an der wohl kaum jemand, der oder die sich mit der Hexenforschung befasst, vorübergehen kann. Gerade der Verweis auf den  in nicht geringe Teile der Hexenforschung eingedrungene Verbund von Antisemitismus und stereotyper wie simplifizierter Gegnerschaft zur Hexenverfolgung stellt einen unüberhörbaren Ruf nach einer gründlichen Reflexion über mitgeschlepptes Halbwissen und grobe Spinnereien in der wissenschaftlichen Hexenforschung dar.

Was Wiedemann allerdings völlig außer Acht lässt, ist der Verweis auf die Bedeutung moderner Hexenjagden etwa für neopaganistische Gruppierungen. Ebenso fehlt jede Erwähnung von Entsprechungen von Hexereivorstellungen und Antisemitismus.  Bisweilen lässt sich ein überhasteter Eklektizismus vermelden, der die Beziehung oder auch Nichtbeziehung zwischen vorgestellter Person und Hexenthema nicht überzeugend  genug ausleuchtet.

Ungeachtet dessen ist das Buch ein kaum zu überschätzender Meilenstein in der Aufarbeitung des Fortbestehens völkischer und antisemitischer Mythologiebildung am Hexenthema in der postnazistischen Gesellschaft.

Nigeria – Erfolge im Kampf gegen Hexereianklagen gegen Kinder

Die Organisation „Stepping Stones Nigeria“ vermeldet, dass eine Distriktsregierung infolge einer Dokumentation über Kinder, die als Hexen angeklagt, misshandelt und mitunter getötet werden, ernstzunehmende Schritte gegen Hexenjäger unternimmt, die wie folgt angekündigt werden:

  • Place full legislative machinery against labelling of children as witches;

  • Advance high-powered investigation into every element of the issues involved and all allegations against persons involved in stigmatisation of children as witches;

  • Prosecute all persons found culpable of this crime of child labelling;

  • Deploy social resources for the support, comfort and enjoyment of all categories of children all over the state;
  • Possibility of closure of every organisation involved in this evil stigmatisation of children.

Quellen:

Witchcraft: Akpabio warns Churches. In: Thisday Online. Okon Bassey, 2.12.2008.

‚Child Witches‘ and the Akwa Ibom Govt. In: The Guardian. 2.12.2008.

Nigeria ‚child-witch-killer‘ held. BBC-News 4.12.2008.

Channel 4’s Dispatches to investigate Nigerias ‚witch-children‘. Guardian, 22.10.2008.

Saving Africas „Witch Children“. Erster Teil des Dokumentarfilms von Channel 4 auf Youtube:

Nigerian witch-children. Video-Post by Blubaz, 15.11.2008.