Falsche Flaggen, falsche Sehnsüchte

Der Putsch in der Türkei nährt autoritäre Sehnsüchte. Zunächst identifizierten sich viele mit den Putschisten, allein aufgrund des Schlagwortes „säkular“. Wer die bleierne Zeit eines säkularen Regimes in der Türkei als Spätgeborener noch einmal erahnen möchte, dem sei der türkische Film „Yol“ empfohlen. Die Militärdiktatur von 1980 begründete das Bündnis mit Konservativismus und Islam, um die Linken zu zerschlagen und den Gebrauch der kurdischen Sprache zu verbieten. Alternativ genügt ein Blick auf das Verhältnis des Westens zu solchen „säkularen Diktaturen“. Während viele europäischen Staaten Monarchien bleiben und vom Säkularismus allenfalls noch die Gewaltenteilung, nicht aber die Trennung von Staat und Kirche übernahmen, rennt man außerhalb Europas noch jedem faschistischen Regime hinterher, das „Säkularismus“ gegen den „Terrorismus“ verspricht. So hat man dem folternden Evren-Regime Militärhilfen geleistet, so war es in Ägypten, so war es in Libyen, wo viele Konservative und Linke noch immer Gaddafi hinterhertrauern, und so ist es in Syrien, wo man dem „säkularen“ Assad ethnische Säuberungen und genozidale Strategien durchgehen lässt.

Nichts verhält am Wort „Säkularismus“ noch zur Glaubwürdigkeit, nichts darin ist ein Versprechen, solange der realexistierende, inkonsequent säkulare Staat nur durch sein Anderes, den Djihadismus, definiert ist, gegen den er dann das „Bessere“ noch sei. Ohne den Djihadismus müsste man sich die Misere der Säkularisierung eingestehen, so aber kann man von Sehnsuchtsorten, von Schnapsbuden schwärmen, die es wenigstens „noch gibt“ – Nostalgie, die nicht für ein Besseres kämpft, sondern sich das Hier und Jetzt am Schlimmeren schönredet. Das ist eine gute deutsche Tradition, die aus dem absoluten Grauen den ultimativen Stabilisator des realexistierenden Systems formte. Besser Hindenburg als Hitler, besser Hitler als Chaos, besser die Sowjets als ein Atomkrieg, besser Saddam Hussein als Djihadismus, besser die Sowjets als die Taliban, besser eine Militärdiktatur in Ägypen als eine demokratisch legitimierte islamistische Regierung, besser die Ordnung der Diktatur als ein Flächenbrand. So geht es bei jedwedem Konflikt. Der bürgerliche Egoismus dahinter verschleiert seinen Wunsch, hauptsache selbst keinen „aufen Dez“ zu kriegen, als weise Voraussicht und Reifeschritt. Mit historischer Analyse hat das wenig gemein.

Die Paradoxie, dass ausgerechnet in der autoritärsten Institution eines Staates, seinem Militär, eine Opposition entstehen solle, führt dazu, dass Putsche stets nur dort erfolgreich sein konnten, wo sie als bewaffneter Arm eines demokratischen Willens agieren konnten und stets dann in faschistoide Gewalt umschlagen müssen, wenn sie gegen die Majorität Politik machen. J.J. Rawlings etwa gilt in Ghana immer noch als Volksheld, weil er ein durch und durch korruptes Regime zweimal wegputschte und letztlich doch der heutigen Demokratie in Ghana halbwegs friedlich den Weg bereitete. Scheiternde Putsche im Namen einer real bedrohten Minderheit lösen häufig besonders brutale Gegenreaktionen aus.  Mehr aber lässt sich an Struktur aus dem Putsch als Form nicht ableiten. Putsche sind wie alle Geschichte Spezifik, die zu studieren man sich nicht durch „News“ ersparen kann.

Der bedeutendste scheiternde Putsch ist vielleicht der indonesische. Dilettantisch organisiert und vom eigentlich umworbenen Sukarno fallen gelassen weckte die brutale, genozidale Gegenreaktion Suhartos den Mythos von einer false-flag-Aktion. Suharto selbst hätte den Putsch organisiert, um sich an die Macht zu bringen. Lesenswert dazu ist die Untersuchung von John Roosa: „Pretext for Mass-Murder“. Die Parallelen zum türkischen Putsch sind frappierend. Kaum ist in der Türkei der Putsch als gescheitert bezeichnet, kaum ziehen Erdogans marodierende Banden auf, werden Richter entlassen und die Todesstrafe gefordert, sprechen jene, die Stunden vorher ihr vollstes Vertrauen in die Authentizität der Putschenden setzten, auf einmal von einer false-flag-Operation Erdogans. Eine Analyse von stratfor.com erklärt den Dilettantismus aus der anstehenden Pensionierung von Hauptakteuren. Dabei hätte ein erfolgreicher Putsch zwangsläufig den bisherigen Autoritarismus Erdogans in den Schatten gestellt: die längst nicht mehr mehrheitlich säkulare Armee von AKP-Soldaten zu säubern, Proteste der islamischen und demokratischen Opposition zu zerschlagen, islamische Richter entlassen, die Todesstrafe durchsetzen, all das konnte kein besseres Ende nehmen als eine Friedhofsruhe, in der dem Islamismus wieder einmal die honorige Rolle der demokratischen Opposition zufällt. Einem Regime aber, das mit eiserner Faust die türkische Gesellschaft neu ordnet, hätten sich zuallererst Russland, China und Syrien, sehr bald auch Iran angedient.

Eine alternative, wohlmeinendere Erklärung wäre, dass die letzten säkularen Kräfte in der Armee noch einmal versuchen wollten, wenigstens eine symbolische Drohung gegen den islamischen Staat am Bosporus zu formulieren, Erdogan mit der Bombardierung des Palastes den Schrecken noch einmal einzujagen, den er verbreitet. Dass sie wussten, dass sie gegen die jedem bewusste Stärke Erdogans verlieren würden, dass sie also gar keinen durchgearbeiteten kalt kalkulierten Plan bis zur Herrschaft hatten und dennoch riskierten, aufgerieben zu werden, einfach aus demselben altmodischen Aberglaube der Aufklärung heraus, der auch auf Umwegen die Islamisten antreibt: die Gewissheit, dass es Schlimmeres gebe als den Tod. (edit: neuere Erkenntnisse sprechen für einen echten Putschversuch mit dem realen Ziel, Erdogan zu inhaftieren.)

Diesen Aberglaube hat der bürgerliche Egoismus gründlich überholt. Niemand mit Verstand und privater Rentenvorsorge stirbt mehr für Hirngespinste wie Freiheit oder Ideale. Dem Islamismus Erdogans, der wie der Viktorianismus die Einheit von Profitmaximierung und Kontrolle der unterdrückten Triebe verspricht, hat diese bürgerliche Ideologie wenig entgegen zu setzen. Der Westen könnte seine kritischen Quellen, bei weitem nicht nur Marx und Freud aktivieren, aber dies würde zwangsläufig in die depressive Position führen: Dass der Luxus und die Freiheit im Gegenwärtigen in einem Schuldzusammenhang aus historischer primitiver Akkumulation und aktueller Verlagerung von Ausbeutung an die Peripherie befindet. Nur unter Leugnung der absoluten aktuell und künftig produzierten Unfreiheit lässt sich die Manie über die relative Freiheit im Hier und Jetzt aufrecht erhalten.

Aufklärung ist totalitär. Sie lässt sich nicht als halbe Wahrheit gegen die halben Lügen der Ideologien verteidigen. Solange man auf dem kapitalistischen Gleis fährt, nur weil es bei uns so gut funktioniert mit der Gleichzeitigkeit von Kirche und High Tech, wird man Beifahrer wie den Islamismus haben, der genau das gleiche verspricht: Smartphones, Bosporusbrücken und Moscheen, in denen die Sharia gepredigt wird. Aber Kirchen sind doch immerhin besser als die Sharia, wird wieder der bürgerliche Egoismus einwenden, der ja heute nicht mehr auf dem Scheiterhaufen landen muss und auch die Masturbationsverhinderungsapparaturen im letzten Jahrhundert ablegte.

Kritische Theorie denkt solches „besser als“ jedoch im Verhältnis zu den Möglichkeiten. Das „notwendig falsche“ Bewusstsein ist ein anderes als das überkommene, böse gegen gesellschaftlich ermöglichtes Wissen und Vernunft gewordene Wahnsystem der ausgehöhlten religiösen Rituale, mit dem sich partout nicht mehr streiten lässt. Quantität erzeugt qualitative Sprünge.

Der Westen ist wegen seiner Möglichkeiten „schlimmer“ als Erdogan, wenn er diesen anheuert, um syrische Flüchtlinge mit aller Gewalt in Syrien oder wenigstens in der Türkei zu halten. Und trotz derselben Möglichkeiten, Gesellschaft zu verstehen, denkt man aus kalt kalkulierter Idiotie „koa Fünferl weit“, was aus dem zwangsläufig zu genozidaler Gewalt prolongierten syrischen Krieg wird, wenn man durch Nichtintervention seine Erweiterung auf die Türkei riskiert. Saving the penny, killing the refugee, denkt sich das bürgerlich egoistische Europa und schickt vorsichtig erst einmal die gleichen unglaubwürdigen Mahnungen zum Frieden in den Äther, mit denen es seit fünf Jahren den Opfern Assads „beisteht“. Europa hätte sich mit einer erfolgreichen Militärdiktatur in der Türkei aus eben den gleichen Gründen abgefunden wie es sich mit Erdogans ohnehin schon lange fortschreitender Islamisierung von Gesellschaft und Armee arrangierte, wie es mit der jeweils spezifischen Unfreiheit in der Krim, der Ost-Ukraine, Syrien, Iran, Nordnigeria, Turkmenistan, Weißrussland, Russland, und allen anderen der 47 offiziell nichtfreien Länder lebt. Die ideologische Obdachlosigkeit des Westens nährt den bärbeißigen Islamismus Erdogans ebenso wie jene autoritären Sehnsüchte nach einem stahlharten diktatorischen Säkularismus dort, wo man trotz aller Möglichkeiten nicht einmal in Deutschland die Abschaffung des Religionsunterrichts durchsetzen kann.

„There must be some kind of way out of here – said the joker to the thief.“

 


Edit: Die „False Flag“-Gerüchte gehen natürlich weiter. Hier eine vernünftigere Analyse der Fehlerursachen:
https://www.tagesschau.de/ausland/putsch-tuerkei-analyse-101.html

Schmalziger Antisemitismus – Mit National Geographic bei den jüdischen Warlords

Adorno beobachtete in seinen medienwissenschaftlichen Studien, dass Journals wie Psychologiemagazine analog zum sekundären Okkultismus einen „mild terror“ erzeugen, der dann ebenso sachte besänftigt werden kann durch ein kultiviertes Bescheidwissen. Was gesehen wurde, was bekannt ist, wird schon als kontrollierbar erfahren. Ein „Kenn’ ich“ ist schon so viel wert wie ein „kann ich“.

Die National Geographic muss sich natürlich in regelmäßigen Abständen auch politischen Themen widmen, um ihrer Kundschaft dieses Gefühl der Beherrschung von kompliziertem zu vermitteln. Die fragt sich auf dem Titelbild: „Drei Weltreligionen entstanden im vorderen Orient. Wieso eigentlich?“

Ja genau. Wieso eigentlich. In zwei Wörtern ist der mild terror des Nichtwissens hergestellt. Zwei Beiträge zu Israel enthält dann die Ausgabe vom Dezember 2014, nach denen man dann bescheid weiß. Auf dem Niveau der Titelfrage erklärt ein fett gedrucktes Schmuckzitat:

„Religion fällt nicht vom Himmel. Sie entwickelt sich, weil Menschen Verstand haben und Furcht vor dem, was sie nicht verstehen.“

Offenbar nahm man sich diesen Satz zu Herzen und befragte einen Theologen, Wolfgang Zwickel. Der erklärt nun nicht, warum in einem Industrieland wie Deutschland auf ein Institut für Psychoanalyse zehn Theologieinstitute kommen, sondern warum Menschen angefangen haben, an Götter zu glauben. Und weil am Anfang alles einfach ist, ist auch der Glaube des Anfangs „ein sehr einfacher Götterglaube“.

Der entwickelt sich dann rasch fort zu einem Konflikt zwischen einem Fruchtbarkeitsgott (Baal) und einem Kriegsgott (Isra-El). Da geht es dann ein paar Zeilen durch die Archäologie bis zum König David, an dessen Bild der Theologe „ein paar historische Korrekturen“ anbringt:

„Ich vergleiche ihn gerne mit Saddam Hussein. Er war eine Art Warlord, der eine erfahrene, man könnte auch sagen abgebrühte Gruppe von Haudegen und Desperados um sich sammelte und den zerstrittenen Clans mit eiserner Faust seinen Willen aufzwang.“ (54)

Der Satz steht dann auch noch mal als fettes Readbaiting-Zitat in der Mitte der Seite. Dass Zwickel diesen Vergleich „gerne“ vollzieht, sagt viel über halbverdrängte Faszination an einem solchen Warlord aus, mehr aber noch über abgeschmackte Vergleiche. Zwar schätzt heute ein Gutteil der europäischen Durchschnittsbürger an Saddam Hussein, dass unter ihm „alles besser war“, wie auch Putin, Castro, und Assad ihre Freunde finden. Gadaffis Sozialsystemen trauern bald mehr Menschen nach als er zu Lebzeiten Freunde hatte. Aber auch ohne tieferes Wissen um die baathistische „republic of fear“ zu haben, in der hunderttausende Menschen ums Leben gebracht wurden, gilt der Vergleich mit Saddam Hussein doch denen mit Restvernunft als einer mit dem Inbegriff des Bösen. Man erfährt nicht so genau, was die 400-600 Kämpfer Davids außer einer erzwungenen Einigung, von der es in der Geschichte tausende gibt, noch verbrochen haben sollen, das sie in die Nähe des Massenmörders Saddam Hussein treten lässt. Aber es geht ja nun nicht um Information, sondern um Sensation, eine Sprache in Bildern, die „die Menschen“ verstehen.

El, der Kriegsgott (es wird noch einmal betont, „Isra-el“), tritt nun in Konkurrenz zu Davids Privatgott, Jahwe, der ein regelrechter Vampirgott zu sein scheint.

„Mit der Machterweiterung des Königs wächst auch Jahwes Macht. Er saugt die Fähigkeiten anderer Götter auf und zieht immer mehr von ihren Kompetenzen an sich.“ (54)

 Im Zuge seiner Machterweiterung auch als neuer Kriegsgott wird der heraufziehende Monotheismus aggressiv gegen seine Konkurrenz, und Zwickel erklärt: „Man kann diese religiöse Richtung beinahe als fundamentalistisch beschreiben.“

 Nun kann man das nicht nur beinahe, sondern ohne weiteres. Suggeriert wird aber, dass es Verbote gäbe, die einen qualifizierten Begriff von Fundamentalismus hier unterbinden würden – in Wahrheit hat man lediglich keinen qualifizierten Begriff von Fundamentalismus. Man assoziiert einfach frei. Ohne Begriffe, im Stande der sekundären Bilder, steht die Assoziationskette: Judentum – Kriegsgott – Saddam Hussein – Fundamentalismus.

Ausschließlich spricht man pathisch kalt über Israel, über Juden. Etwas „Seltsames“ (und nicht Schreckliches) geschieht. Babylon überfällt Israel. Kurioserweise verlieren Juden nicht ihren „Glauben an Jahwe, der als Kriegsgott ja mindestens ebenso versagt hatte wie Baal als Wettergott.“ (55) Da wird auch der NatGeo der Theologe zu heikel und man fand das Nächstgelegene, einen Religionswissenschaftler, der aber auch das Christentum in Schutz nimmt und das Judentum hier zur Ausnahme, nämlich einer völlig realitätsfremden Religion erklärt:

„Das ist eine erstaunliche weltgeschichtliche Ausnahme“, sagt Hartmut Zinser, Religionswissenschaftler in Berlin. „In der Regel wird die alte Religion nach einer schweren militärischen Niederlage entwertet, die Menschen verlassen ihre alten Götter und übernehmen die offenbar überlegenen Gottheiten der Sieger, oder sie bilden Mischformen.“ (55)

Als hätte nicht jeder christliche Märtyrer den Heiligenkult genährt, als hätten die militärischen Siege über die Islamisten deren Glauben geschwächt und als hätte nicht die Magie (wie Frazer, Mauss und Levy-Bruhl noch lehrten) trotz ihrer Niederlagen gegen die Realität überlebt. Einen ganz „anderen Weg“ als alle anderen Religionen findet das Judentum:

„Der Gedanke, dass Gott sein Volk für dessen Ungehorsam bestraft, hat seinen Ursprung im babylonischen Exil und durchzieht das jüdische Denken bis zum Holocaust.“ (55)

 Nicht gesagt wird, dass die umgebenden Religionen diesen Gedanken, dass die Juden am ihnen zugefügten Leid selbst schuld seien, in weitaus größerem Maße hegen als die sehr wenigen jüdischen Rabbiner, die tatsächlich den Holocaust als Strafe für eigene Sünden interpretieren. Vom Antisemitismus liest man ohnehin nichts, wenn es in der NatGeo um Weltreligionen geht.

Jüdische Elite vs. Jesus

 Großaufnahme Masada: „Der jüdische Elitarismus förderte die Sehnsucht nach einem Heiland wie Christus.“ (57)

Die jüdischen Eliten kommen nun im babylonischen Exil, so NatGeo, auf eine geniale Idee:

„Die Schriftgelehrten frisieren die Geschichte. Da man das Wort Gottes ja nicht plötzlich erfinden kann, müssen die Autoren die von ihnen erwünschten Worte Jahwes zurückdatieren und früheren Propheten in den Mund legen.“ (58)

Da ist nun die erste und einzige Religion, die das Wort Gottes „plötzlich erfindet“. Mehr noch, eine Religion, die das Leben ihrer Bürger regelt: „Jetzt wird nicht mehr gefragt: „Wer sind wir?“, sondern verordnet, wer man zu sein hat.“ (58)

„Damit ist ein religiöses Korsett für rechtgläubige Juden geschaffen, das so eng sitzt und so stabil ist, dass es ihnen für Hunderte von Jahren überall auf der Welt Halt und Haltung gibt und die Kultur des „Schtetls“ ermöglicht.“ (59)

Obwohl Unterdrückte, verarmte Ghettobewohner und Schtetl-Bauern und Handwerker in Osteuropa durch das „Korsett“ stabilisiert wurden, schließt NatGeo auf einmal:

„Besonders praktisch aber ist dieses Korsett nicht. Nur eine kleine Elite kann es sich leisten, in ihm zu leben. Für einen einfachen Handwerker oder Tagelöhner dürfte es unmöglich seinn, alle 248 Gebote und 365 Verbote einzuhalten, die der jüdische Verhaltenskodex Talmud auflistet […]“. (59)

 „Ein weiterer Mangel: Die Religion ist ethnisch festgelegt und exklusiv.“ (59)

Diesen Mangel beklagen die anderen Religionen nun seit zweieinhalb Jahrtausenden, was gerade der Grund ist, dass NatGeo das Ressentiment tradiert, im Interesse des Kunden. Die unpraktische Religion der Eliten nämlich brachte Jesus von Nazareth hervor, der „keinerlei Einhaltung von Vorschriften“ verlange, aber trotzdem „an die vorbabylonische Frömmigkeit“ anknüpft. (59)

Ob es nun eine Vorschrift ist, das eigene Auge auszureißen und wegzuwerfen, oder sich, so Matthäus – ein christlicher Schriftgelehrter, der Geschichte auch mal frisiert – das Bein abzuhacken, wenn es einen ärgere – geschenkt. Die eigentliche Botschaft „des Nazareners“ laute: „Kehrt euren Sinn um! Denkt nach!“ (60) Und darauf sind tausend Jahre jüdischer elitärer Theologie eben einfach noch nicht gekommen.

Natürlich geht es auch um Liebe, die „eine Botschaft von revolutionärer Wucht“ „in eine Welt scharfer sozialer Gegensätze zwischen Klassen und Rassen“ wirft. „Nicht nur der Elitarismus des Judentums plagt das Volk“, auch die Römer. Daher breitet sich angeblich Jesu Botschaft „aus wie ein Buschfeuer“. Das stimmt zwar nicht, das Urchristentum war marginal und fand erst spät größere Anhängerzahlen – vor allem unter Nichtjuden. Aber man hat ja wieder den Theologen gefragt und der ist nun in seinem Element, er ist vor Ort im heiligen Land zu Jesu Zeit. Er sieht, wie sich eine „revolutionäre, junge Lehre“ mit einem „neuen Menschenbild“ (eigentlich entstammen alle humanistischen Zitate der jüdischen Orthodoxie) ausbreitet „wie ein Buschfeuer“.

 „Die Priester der Christen lassen sich nicht bezahlen wie die der antiken Tempel, sie bestechen ihren Gott nicht mit teuren Opfergaben wie die Jerusalemer Priester, sondern vertrauen seiner Liebe. Die Christen halten zusammen wie Familien und kümmern sich um Arme, Schwache, Kranke. Da ist eine völlig neue Verheißung spürbar, die Kraft eines Gottes, der liebt und Liebe erweckt. Kein Wunder, dass die christlichen Gemeinden stürmisch expandieren.“ (61)

Für die Entstehung des Islam gibt er ähnliche Gründe an: Die Menschen sind arm, die heidnischen Götter ungerecht, erdbeben und Naturkatastrophen erschüttern den Glauben der Menschen. Das Leid erzeugt Nachfrage, allein das Angebot, es fehlt: „Der christliche Gott aber ist unbekannt […]“. (62) Hätte man den schon gehabt, man hätte den Islam nicht erfinden müssen.

Den mag der Theologe nun doch irgendwo gern:

„Der Islam hat sich keineswegs mit Feuer und Schwert durchgesetzt, sondern im Laufe einer langen und sehr friedlichen Inkulturation.“ (63)

Kein Lektor fragt sich offenbar bei NatGeo, warum Zwickel die islamische Expansion, die noch Mohammed auf die arabische Halbinsel ausdehnen konnte, als „sehr friedliche Inkulturation“ werten kann, aber in David einen antiken „Saddam Hussein“ wertet. Das ist nicht nur dick aufgetragen oder schlecht abstrakt, das ist pathisch projiziert.

„Gesegnet. Besetzt. Verflucht.“

Hat man nun schon den schmalzigen christlichen Antisemitismus reproduziert, der im Judentum eine baathistische fundamentalistische abergläubische Elitenreligion sieht, kann man auch über das moderne Israel erst recht schreiben, was der Kundschaft lustig ist.

Man geht mit einem jüdischen Archäologen mit und der ist „zersauster Intellektueller mit den wässrig blauen Augen eines Träumers und Jude.“ Der Autor muss offenbar die Augenfarbe blau notieren, dann aber ein wässrig hinterherschieben. Das verweist auf ganz vielschichtige Konnotationen, von denen kaum eine zu einem positiven Resultat führen dürfte.

Als Ausgleich zu diesem „zersausten Träumer“ mit nicht ganz echten blauen Augen nimmt der noch einen palästinensischen „Freund und Fotograf“ mit, der keine wässrigen Augen hat, sondern ein „unermüdlicher Wanderführer“ ist. Der träumende Jude, Goren, arbeitet nun an einem Klär- und Bewässerungsprojekt, von dem Palästinenser und Israelis profitieren sollen. Allein: „Er scheint so unmöglich, so naiv, Gorens Traum.“ Immerhin gibt es hier ja schon „2500 Generationen der Verzweiflungen, Niederlagen, Glaubenskrisen.“ (71)

Man würde von dem Lektorat der NatGeo zumindest erwarten, dass man die Zahl der Generationen kennt, die in ein Jahrtausend passen. Es sind etwa 33-60, je nach Reproduktionsalter (33-15). Nimmt man, wie bei großen ontologischen Geschichtsentwürfen beliebt, die neolithische Revolution vor 10.000 Jahren zum Ausgangspunkt der endlosen Litanei, die nur jüdische Träumer beenden wollen, so wären es immer noch nur 600 Generationen. Aber es geht ja auch gar zu munter zu, als Epigone Karl Mays durchs wilde Israel und Palästina zu wandern, man zischt vom Instantkaffee zu den vor zwei Millionen Jahren aus Afrika einwandernden Flusspferdjägern und wieder zurück zum Wüstenregen, der nichts anderes macht als „klitschnass“ und den Lastesel „triefend“. Zwangsläufig kommt man an Checkpoints und weil man schon vier Seiten in nichts anderem als Klischee-Bildern gesprochen hat, kommt auch hier noch eine flache Metapher:

 „Die politische Landkarte des Territoriums sieht wie ein Röntgenbild aus: ein krankes Herz, marmoriert, gefleckt, verklumpt, ausgehöhlt.“ (81)

Das „Territorium“ (die Indianer grüßen) ist nicht nur ein Herz, ein krankes, sondern klein:

„Gerade mal doppelt so groß wie Luxemburg, aber bevölkert mit 2,7 Millionen Menschen – das besetzte Westjordanland.“ (81)

Die Fläche des Westjordanlandes beträgt 5800 m², das ist tatsächlich etwa doppelt so viel wie Luxemburg, das nur 550000 Einwohner hat, dafür aber 45,3% Ausländer beherbergt, im Westjordanland würde man sagen, Siedler.

Es ist aber mehr als 15-mal so viel wie München, das bei 310,71 km² ganzen 1,4 Millionen Einwohnern die allerprächtigsten Lebensbedingungen bietet. Freilich prozentual nur halb so vielen Ausländern wie Luxemburg und nur 9700 Juden.

Im Westjordanland aber eine Vielzahl von Zonen (exakt drei, A, B und C) und weil man unbedingt zu Fuß durch Naturschutzgebiete, Checkpoints und die judäische Wüste will, bricht man „in Betlehem (zurück in Zone A) erschöpft zusammen.“ Araber und Juden nehmen übrigens gern auch den Bus oder das Auto und bis in die Hochzeit des PLO-Terrors konnten Araber auch noch ungehindert nach Tel Aviv an den Strand zum Baden fahren.

Der Archäologe begegnet bei einer solchen erschöpfenden Höllentour auch Haredim, die tanzen und feiern und da liegt die Frage nahe: „Dieses gottesfürchtige Volk – ist es durchgedreht?“ Immerhin, ganz so wild wird man es nicht treiben:

 „Nein. Die Sache ist die: Nachdem ich die alten Horizonte Afrikas hinter mir gelassen habe, stehe ich nun an einer komplexen Wegkreuzung der Welt, wo die Landschaft sich liest wie ein Sakrament, in einem Labyrinth widerhallender Religionen namens Naher Osten. Der sonderbare Eifer in Bnei Berak ist ein Fest der Freude, des Überlebens: Purim.“ (85)

Immerhin so viel erfährt man über die verrückten Juden an der Wegkreuzung der Welt, mit denen man dann doch feiern kann, dass sie vor 2500 Jahren einen Genozid durch die Perser verhinderten. Es endet die archäologische Pilgerfahrt mit seichtem Abgesang, der irgendwie alles assoziiert und kennt, die wildesten geschichtlichen Verbindungen ahnt, Bilder fantasiert und dann exakt so religiös wird wie man es vorher schon war:

„Das war die einzige Theologie der Wanderung. Der Beduine. Die Menschen in dem Hotel. Die Straße, die sie trennte und verband.“ (85)

 Die Verbindung, man könnte sagen, Synthese, ist der zweite Bestandteil der Kulturindustrie. Nicht nur muss der „mild terror“ in jedem zugleich und doch spezifisch präsent sein, auch müssen die Lösungen so formuliert sein, dass sie sowohl auf jeden einzelnen als auch auf jeden von ihnen passen. So geht es in der Astrologie und so geht es beim Infotainment von NatGeo.

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Glamour und Bergpredigt – Käßmann, die Lichtbringerin

Margot Käßmann schreibt in einer Art Wort zum Sonntag unter dem drohenden Titel „Wir Weltverbesserer“ (Die Zeit 2013/17: 66):

Ich blicke anders hin, habe die Bergpredigt im Sinn, die ganz andere Prioritäten setzt als Ruhm und Glamour.

Den sie selbst genießt. Nun muss man das pflichtgemäße Volksbetüttern einer Berufspredigerin nicht in den Rang der Kritikfähigkeit heben. Es lässt sich an der Predigt Käßmanns aber doch etwas Akutes ablesen. Zunächst erhebt sich natürlich Einspruch gegen diesen Satz: Glanz und Glamour, das ist exakt der Gestus der Bergpredigt. Vor seinen Fans steigt Jesus auf die Bühne, also den Berg, gibt den Fans ein fettes Feedback: Er spricht sie allesamt selig, denn das ist im Eintrittspreis inbegriffen. Und dann wirds blutig im Moshpit:

28 Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen. 29 Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. 30 Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle kommt.

Was passiert aber, wenn man das Augenausreißen befolgt? Man kommt zumindest in veritable aporetische Großküchen des Luzifers:

22 Das Auge gibt dem Körper Licht. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein. 23 Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Körper finster sein. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muss dann die Finsternis sein!

5 Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.

Käßman wollte nun sicher nicht theologisch die Bergpredigt diskutieren, sondern sie agiert hier ganz als Handlangerin des Kapitals: Den austauschbaren und unbedeutenden Anhängseln der Produktionsverhältnisse hämmert sie noch einmal ein, dass es gut ist, unbedeutend zu sein, dass sie in Wahrheit selig seien und nicht die Reichen und Berühmten.

Zu Geld sind diejenigen, die Jesus nachfolgten, nicht gekommen. In den Seligpreisungen steht auch nicht, dass Geld glücklich macht.

Eine faux frais, war doch der Protestantismus bekannt dafür, als Erwerbsethik das Wohlgefallen Gottes im Reichtum abzubilden. Wenn sie nun Josef Ackermann scheinheilig als Negativbeispiel hinstellt, weil der mit 2 Millionen Jahresgehalt nicht zufrieden ist, dann lügt sie sich über den gesamten Protestantismus hinweg, der den Reichen eben jenen Reichtum als Zeichen göttlicher Zuwendung definierte, während er als Pietismus den Armen traditionsgemäß die Lust als Sünde austrieb. Die Lüge wird um so durchsichtiger, als sie einen reichen Bischof, also einen Katholiken, in den USA anführt, dessen Jahresgehalt 3 Millionen Dollar gewesen sei. Diese Summe wird sie mit dem unter dem Artikel angepriesenen Büchlein für 17,99 rasch beisammen haben. Aber wer will so kleinlich sein, das ist unabhängig von ihrem eigenen Einkommen Kulturkampf. Kulturkampf aber gerade zum Wohlgefallen der kapitalistischen Reproduktion:

Du kannst aus der Spirale der Dauererschöpfung ausbrechen und der Last der Erwartungen entgegenkommen. Halte an, entschleunige, überlege neu, was du mit deinem Leben anfangen willst. Das ist gut für dich und für die, mit denen du lebst.

Wie die Astrologiespalten hat Käßmann hier gewiss nicht das Prekariat als Adressat, sondern das bürokratische Kleinbürgertum. In der Wette auf dieses Publikum kann sie sich auch erlauben, das Prekariat zu verhöhnen, das eben die Wahl zur „Entschleunigung“ gar nicht hat oder für diese mit Elendsverwaltung in Arbeitsagenturen verachtet und bestraft wird. Von Streik und Klassenkampf will sie partout nicht sprechen. Jeder ist sein eigener Ausbeuter, gottgegeben das Klassenverhältnis:

Der Bauplan der Welt leitet sich ab aus der Hoffnung auf ein Miteinander von Starken und Schwachen.

Dazu passt dann auch die süffisant empfohlene Politik mit dem Einkaufskorb, die nur jene noch ausüben können, die vom Ausbeutungsverhältnis schon privilegiert wurden und nun mit Porsche Cayenne vor dem Aldi stehen. Vom Leben bleibt das Sterben:

Sterbende sind kein Tabu, und der Tod ist kein hoffnungsloser Fall – wagen wir, darüber zu reden. Wie will ich sterben? Wie können Sterbende in Würde begleitet werden? Das sind Themen, denen wir nicht ausweichen dürfen.

Käßmann schlägt aus dem Tod noch Sinn, natürlich nicht ohne auf die kirchliche Industrie mit dem Bestseller Tod zu schielen. Nachdem sich die Frage nach dem „ob“ offenbar schon erledigt hat, wird das „wie“ angeblich zur Wahl – als würde jemand freiwillig die Wahl treffen, allein und elend in einem heruntergewirtschafteten Hospital zum Rhytmus der eisernen Lunge zu verrecken. Wenn die Kirchen das Leben schon nicht geben können, und an den Verhältnissen nicht rütteln, so bleibt ihnen nur der Tod. Oder die Liebe? Die sieht bei Käßmann so aus:

Liebe ist nicht statisch. Wer sich darauf einläßt, macht sich verletzbar. Aber es lohnt sich, in sie zu investieren, damit wir das Gewebe stärken, das unsere Gesellschaft zusammenhält. Da geht es um Familie, Ehe und Partnerschaft, aber auch um Vertrauen und Freundschaft. 

Investmentfonds Liebe zur Erhaltung der harmonistisch vergifteten Gesellschaft, der religiös vertuschten Ausbeutungsverhältnisse. Was sagt eigentlich die Bergpredigt zur Ehe?

Ich aber sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus; und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch.

Just so charming, isn’t it. Der Kitt, den Käßmann abliefert, ist für die Produktionsverhältnisse gedacht, nicht für die Individuen. Die sollen am Recht nicht rütteln und doch die errungene Freiheit verteidigen.

Es gibt kein „Die“ und „Wir“, sondern nur „Uns“ in unserem Land, unserer Welt. Hier können wir in einer Vielfalt von Kulturen und Religionen leben, wenn wir das Recht achten und die errungene Freiheit verteidigen.

Das ist so konformistisch und nicht einmal eine Revolte, das spottet jeder aufrichtigen katholischen Befreiungstheologie. Selbst Käßmanns Anhänger klagen offenbar über die offensichtlichen Widersprüche ihres affirmativen Gerechtigkeitskonzepts:

Bei einem Vortrag über Gerechtigkeit fragte mich ein Zuhörer: „Frau Käßmann, seit 30 Jahren engagiere ich mich jetzt, aber irgendwie wird alles immer schlimmer. Woher soll man denn die Hoffnung nehmen, dass es besser wird?“

Und was gibt ihr die Käßmann? Durchhalteparolen mit Prophet Elia: Der Weg ist lang und so weiter. Und aber auch ein wenig Konsum als Ersatz für das verlorene Glück:

Ja, es gibt Ermüdung, weil wir alle nicht mal eben schnell die Welt retten werden. Wir brauchen Zeiten für uns selbst, in denen wir Kraft schöpfen.

Reproduktionszwang vergiftet Muße zur Freizeit. Und was hat Käßmann den Verwalteten anzubieten?

Im Glauben, im Gottesdienst, beim Pilgern und Schweigen können wir Kraftquellen erschließen. Wir dürfen uns auch Gutes tun!

Wo noch Widerständigkeit in den Menschen überlebte, werden sie hier komplett zur Batterie zugerichtet, in der irgendwelche verborgenen Ressourcen noch „erschlossen“ und vernutzt werden sollen. Das ist noch nicht der Gipfel, der Gipfel der Ekelhaftigkeit ist es, diese in Selbstausbeutung Erschöpften noch einmal in die kirchlichen Pilgerindustrie zu hetzen und ihre letzten finanziellen und zeitlichen Ressourcen kontrollieren und ausbeuten zu wollen und das dann als „sich Gutes tun“ zu verkaufen wie der Kaffee, der die meisten doch viel eher bei der Arbeit hält als ihnen die idyllischen Ruhepausen der Cappucino-Werbung zu gönnen.

Was Käßmann in jeder Faser ausschließt, ist Widerstand.

Zum Frieden gehört der Mut, Konflikte gewaltfrei zu lösen – im persönlichen Umfeld wie in internationalen Konflikten. Waffen sind keine Lösung, sondern das Problem. In den Seligpreisungen entwirft Jesus eine Kontrastgesellschaft, die für uns Provokation und Leitfaden sein kann, auch im politischen Handeln.

Das sagt ein Nachkomme einer Gesellschaft, die nur durch Waffengewalt aufgehalten werden konnte. Solcher Pazifismus nach dem Nationalsozialismus ist die Befürwortung des Nationalsozialismus, der zynische Spott über die sich für „unsere Freiheit“ opfernden alliierten Soldaten, denen man hier noch zurät, sie hätten noch mehr Wangen hinhalten und noch mehr Menschen ins Gas schicken lassen sollen. Den aggressiv-pazifistischen Deutschen lässt sie ein Lichtlein tragen, als wüsste sie nicht genau, wer in der biblischen Mythologie der Lichtträger ist:

Ihr seid das Licht der Welt. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

Käßmann zündet hier wohl eher ihr kleines Lichtlein an, um gewaltig über die schlechten Werke hinwegzublenden. Wer bezeichnete bekanntermaßen sich und die arischen Deutschen in der Geschichte als „Lichtbringer“ im Kampf gegen „lichtscheues Gesindel“? Man kann dieser „Lichtbringerin“ jedenfalls nur ihr eigenes Kraut empfehlen:

Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muss dann die Finsternis sein!

„Verbrennt sie alle!“ – „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“ als zynische Exploitation

„“Hansel & Gretel: Witch Hunters“ has a lock on No. 1 at the box office with an expected opening of about $30 million, according to people who have seen pre-release audience surveys.“ (LA-Times)

Das Märchen von Hänsel und Gretel wurde mitsamt einigen anderen von den Alliierten nach dem Krieg verboten. Es stand unter Verdacht, die Fixierung der Deutschen auf die Verbrennung von vermeintlichen Bösewichtern aus der vor allem in Deutschland grassierenden Hexenjagd des 16. und 17. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert hinein konserviert zu haben. In den Öfen von Auschwitz kehre nur zu deutlich das Märchenmotiv wieder, das Faible der Nazis für romatische Märchen war evident. Die temporäte Identifikation mit den Hexen als vermeintliche germanische Urreligion vollzog der Okkultist Himmler, er wollte den Juden die Hexenjagden unterschieben und arbeitete dabei schon selbst am monströsen Autodafé, dem Holocaust. Ob Juden nun zu Hexen oder Hexenjägern oder beidem gleichzeitig erklärt wurden, der Kontext der Hexenjagden ist für den Nationalsozialismus erheblich. Spätestens in den 1950-ern wurde aber schon wieder munter das Volkslied gesungen von Hänsel und Gretel, die die böse Hexe in den Ofen stoßen: „Die Hexe musste braten, die Kinder gehn nach Haus.“ Dazu wird dann oft noch ein Kindergartentheater aufgeführt, in dem die Hexe dann jämmerlich kreischen muss zum Beifall der Kleinen. Wenn Kinder Märchen brauchen, dann sicher nicht dieses.

Der Splatter-Kracher aus dem Hause Paramount Pictures langweilt nicht nur durch flache folienhafte Durchführungen bekannter Genre-Elemente – das ist schon hinreichend dem Trailer zu entnehmen, der als eigenständiger Kurzfilm gelten kann. Dass Splatter auch reflektiert, spannend, ironisch, lustig und politisch sein kann, beweist Tarantino mit „Django unchained“. „Hänsel und Gretel“ aber entbehrt jeden Schuldgefühls, jeder Reflexion auf irgendeine Problematik, jeden Intellekts.  Wenn da Hänsel vom Leder zieht: „Ich aber sage: Verbrennt sie alle!“ dann sollte dieser gezielt installierte pseudoironische Radikalismus Angst erzeugen. Dieser Film meint exakt das, was er sagt. Das Böse wird hier vollständig rein dargestellt, eine Technik, die extremsten unreflektiertesten Sadismus erlaubt und überaus anfällig ist für Rassisierungen. Das Problem ist nun, dass dieses hier im Film vorgestellte Böse nicht auf einer symbolischen Ebene stattfindet.

Hexenjäger in unterschiedlichen Stufen der Grauamkeit sind Realität in weiten Teilen der Erde. Sie werden unter anderem inspiriert von Filmen. Zwar wird zwangsläufig eine Trennung im durchschnittlichen afrikanischen Publikum vollzogen: westlichen Special-effects wird eine andere Botschaft zugeteilt als den afrikanisierten, die als dokumentarisches Abbild der okkulten Vorgänge gelten. Dennoch ist die Wirkung eines solchen Filmes auf ein zutiefst hexengläubiges Publikum abzusehen, wie es ja auch in den pfingstkirchlichen und volkstümlichen Teilen der westlichen Religionsangehörigen millionenfach präsent ist.

In Nordghana berichtete mir eine Frau, wie man ihr eine Nadel längs in den Finger trieb, um von ihr ein Geständnis zu erwirken. Andere wurden mit Dornen oder Lastwagenkeilriemen ausgepeitscht, man zerschmetterte ihre Fußgelenke mit Steinen oder Hämmern. Wenn ein westliches Publikum heute johlend sich über visualisierte Gewalt an „Hexen“ aufreizt und eine gänzlich unreflektierte Werbesprache das auch noch überall als Kurzweil anpreist, dann widert das an in einem unbeschreiblichen Maße.

„Hänsel und Gretel“ ist offensichtlich nicht nur faschistoid in seinen unironischen Rechtfertigungsmustern von Gewalt, den kalten Identifikationen mit Steampunk-Waffentechnik, die schon das nachgeordnete Computerspiel andeuten. Das ohne jeden echten Witz stattfindende Abfeiern der Gewalt gegen ein böses mythologisches Konstrukt ist im Kern ein nationalsozialistisches. Die unbewussten Nazis weltweit werden mindestens beim Konsum des Trailers im Geiste „Hexe“ und „Jude“ gleichsetzen und die Botschaft „Verbrennt sie alle!“ mit nach Hause nehmen. Den besonders eifrigen Exekutoren bietet man schon „Spiele“ an, in denen Kinder vor herbeifliegenden Hexen geschützt werden sollen. Das verkrampfte Understatement, man glaube ja sicher heute nicht mehr an so etwas, und deshalb dürfe man ja wohl noch gerade so etwas mimetisch nachspielen, ist schon die Schlussstrichmentalität des Postnazismus.

„…jene kühlen Rationalisten…“

Die Rede von der Kultur war schon immer wider die Kultur, sagt unser alter Meister Adorno. Reden wir deshalb von Kultur. Kultur in Deutschland bedeutet zum Beispiel die katholische auf dem Dorfe, zu der ein Kind jüngst gegen den Willen der Mutter und dem Willen des Vaters entsprechend höchstrichterlich verdonnert wurde:

Unter Abwägung aller Umstände „erscheint es für das Kindeswohl förderlich und auch notwendig, den Besuch des Unterrichts und der Schulgottesdienste zu ermöglichen“, heißt es in dem abenteuerlichen Beschluss. Die Nichtteilnahme stelle aufgrund von „Ausgrenzung“ „eine Gefährdung des Kindeswohls dar“.

Nach Ansicht des Gerichts sei zu „berücksichtigen, dass die Kinder außerhalb der mütterlichen Wohnung sich in einem ländlich-katholisch geprägten Umfeld bewegen und christliche Symbole und Rituale für die Kinder nichts Fremdes darstellen, diese vielmehr als Teil des Alltags anzusehen sind“. So sei die Teilnahme am Religionsunterricht und an Gottesdiensten „lediglich eine Fortsetzung des Kontaktes mit Religion, den die Kinder bislang außerhalb der Haushalte der Eltern erlebt haben“. (Taz: 23.7.2012)

Auf einem katholischen Dorf – nehmen wir etwa jene aus einer alten geopolitischen Laune heraus wie Fliegen um den protestantischen Kuhfladen Marburg schwirrenden, düster vor sich hinrottenden Fachwerkmonster – auf einem solchen katholischen Dorf bedeutet dieser Kontakt mit Religion als Teil des Alltags zum Beispiel drei Meter hohe Christusstelen aus rotem Fels, der vor lauter Geißelung Christi mit gigantischen, mehrschwänzigen Peitschen starrt. Eingemeißelte Sinnsprüche scheinen direkt der ästhetischen Tristesse der verregneten Vorgärten entsprungen zu sein: „Sieh, oh Mensch, mich an und frag ob mein Leid deinem gleichen kann.“ Man kann das tolerieren als Zeichen der Geschichtlichkeit und gegen ikonoklastische Zerstörungsversuche sollte man sogar diese sadomasochistischen Sandsteinungeheuer verteidigen.

Der „Kontakt mit der Religion“ muss aber trotz dieser Öffentlichkeit von Religionsdruck gar nicht notwendig stattfinden, solange Eltern sich nicht in das Kollektiv einschweißen. Natürlich wird jeder in Kirchennähe um 6 Uhr morgens aus dem Bett geläutet, auch wenn heute jeder Laden und jeder Friedhof erst um zehn öffnet und atomuhrbeweckerte Bauern ohnehin schon um vier beim Melken sind. Und selbstverständlich werden Kinder indoktriniert. Etwa dazu, in der Karwoche um 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends mit dem Ratschenlauf die Glocken zu ersetzen. Übermüdete Kleinkinder werden dann von irgendeiner engagierten Furie vor sich her getrieben, damit sie nicht umfallen. Im Anschluß lernen sie das offizielle Spendensammeln für diesen Dienst am Herrn, während man „Zigeunern“ und „Scheinbettlern“ ganz christlich die Haustür zuschlägt und das Betteln mit Kindern gerichtlich verfolgt. Das christliche, ehrbare Spendengeld soll natürlich stets irgendwo einem guten Zweck dienen und zur Belohnung kriegt das Kind dann an Weihnachten eine neue Spielkonsole für 270 Euro, weil es so artig fromm war und damit es nach Weihnachten noch Sternsingen geht. Weil es sich in seiner medial marginalisierten Freizeit eventuellst doch mit „Asylanten“ aus nahegelegenen Flüchtlingsgefängnissen einlassen könnte, wird es zum Meßdienern und zur Mitgliedschaft in der KJG angehalten. Sollte immer noch Zeit für kritische Gedanken bleiben, wird es mit weiteren üppigen Geschenken zur Kommunion oder Konfirmation überredet, dann hagelt es Motorroller, I-Phones, Snowboards. Bei jedem Kirchgang passiert das sozial integrierte Kind ein Heldendenkmal, das ihm die armen deutschen Soldaten der beiden Weltkriege als Vorbilder und wahre Christen anempfiehlt, ein jährlich erneuerter Kranz der Universitätsstadt leistet offiziösen Hintergrund-Applaus, in Trachtenröcke gewickelte Öhmchen gießen die schmückenden Petunien in Angedenken an ihre gefallenen Helden der Ostfront.

Wer einem solchen Richterurteil entgeht und in wohliger Ausgrenzung nicht an diesem Spektakel teilhaben muss, räkelt sich im Bett mit Astrid Lindgren, Enyd Blyton, Charlaine Harris oder J.K. Rowling. Während in meinem einstigen, badischen Heimatdorfe andere in den Konfirmandenunterricht oder zum dort stark vertretenen syrisch-orthodoxen Pendant mussten, studierte ich auch gern die „Dokumente der Weltrevolution: Der Anarchismus“ aus dem Regal der Eltern oder ich las Emile Zolas „Bestie Mensch“. Mein kindlicher Hang zur Blasphemie beschränkte sich auf naive Vorträge darüber, dass Gott ja ein Sadist sein müsse oder es ihn nun mal nicht gebe, was ältere weibliche Nachbarn zu erschrocken geschürzten Mündern reizte. Nicht fehlte ein infantiler, antireligiöser Antisemitismus von dem ich glücklicherweise durch Kritik und diverse Lektüren geheilt wurde. Als Student las ich dann die Bibel, von vorn bis hinten, was mir einen erstaunlichen intellektuellen Vorteil gegenüber jenen verschaffte, denen das Ganze wegen Bibel- und Religionsunterricht völlig äußerlich geblieben war. Auch den Koran, versteht sich. Leider nicht auf Arabisch, aber dafür ganz durch. Und Nietzsche, den Verkannten. Mir lag nun nicht mehr soviel an Blasphemie als am Verstehen, warum Menschen diese Projektion akzeptieren und wie die atheistische Aufklärung über bloße nihilistische Negation des Christentums hinaus gehen könnte. Eines konzedierte ich jedoch nie: Dass die Nichtexistenz Gottes nicht beweisbar wäre, und daher nur Agnostizismus angebracht sei. Die Mysterien des Universums, der Mikrobiologie, der Psychosomatik oder der Tiefseezoologie mit dem religiösen Gottesbegriff zu vermischen, aus der von seriösen Wissenschaften ausgehaltenen Unsicherheit über offene Fragen der Astrophysik die Möglichkeit einer Existenz irgendeiner weltweit präsenten Gottesprojektion zu extrahieren, ist schlichtweg ein dummer Kategorienfehler.

Zeitgleich zu meiner eigenen Entradikalisierung des Atheismus entradikalisierte sich die christliche Religion. Der Religionsunterricht wurde während meiner Schulzeit langsam mit dem Ethikunterricht ergänzt, Kreuze in Klassenzimmern wurden in Frage gestellt, Kirchen leerten sich oder wurden ganz verkauft und Religion befand sich definitiv auf dem Rückzug.

Sie ist spätestens seit den islamischen Karikaturenkriegen wieder da, und sie nimmt aktuell das Judentum in Schutzhaft. Nicht nur das klerikalfaschistoide, antisemitische Kreuz.net entdeckt plötzlich Sympathien für das Judentum. Martin Mosebach, ein, es ist wirklich ZU infantil um lustig zu sein: „Büchner-Preisträger“, forderte jüngst in der FR ein ganz ökumenisches Verbot der Blasphemie, als gäbe es nicht selbiges schon längst. Matthias Mattussek leistet ihm im Spiegel Schützenhilfe, wegen der Beschneidungsdebatte sei ein Nachdenken über die Eindämmung der Blasphemie angeraten. Robert Spaemann schließt sich der Front in der Faz an:

Das deutsche Recht und mehr noch die deutsche Rechtsprechung muten es dem religiösen Bürger zu, dass das, was ihm das Heiligste ist, ungestraft öffentlich verhöhnt, lächerlich gemacht und mit Schmutzkübeln übergossen werden darf.

Irgendein Trauerkloß von Erzbischof wittert dieselbe Morgenluft und kopiert das natürlich sofort ab. Und im Tagesspiegel flennt sich Malte Lehming über die „Diktatur des Rationalismus“ aus, die kalt und herzlos „die Toleranz auf dem Altar des Humanismus“ opfere. Der individualistische Rationalismus in seiner „Eintönigkeit“ mache dem kollektiven, bunten Fastnachtsfest der Religionen und Kulturen die Farben und Formen madig. Ganz ähnlich überqualifiziert wertet sich Volker Heise in der FR an einem Phantom von „durchsäkularisierten“ Deutschen auf, denen er das schlimmste aller Verbrechen unterstellt: keine Hoffnung zu haben. Anders als christoide Menschen würden sie ihr Heil nur in „Rentenversicherungen,  Fernsehapparaten, oder Ferien auf Mallorca“ suchen, in einer unglaublich „vornehmeren Variante“ seien es „Apple-Computer, Theaterbesuch, Haus in der Uckermark oder im Taunus“. Ihre Kinder würden durchsäkularisierte Deutsche mit 1,8 Tonnen Ritalin jährlich füttern, während die Kirche doch für konzentrationsfördernde Therapien bekannt ist. Zum Beispiel durch jenen katholischen Franziskanermönch Brzica, der im Jahr 1942 in Serbien sehr konzentriert in einer einzigen Sommernacht 1360 gefangenen Serben und Juden die Kehle durchschnitt. Und was den vor Religionsstolz berstenden Heise ausgerechnet darauf bringt, den desolaten Immobilienmarkt in der braunen Uckermark gegen die christliche Fürbitte auszuspielen oder ein Haus im Fichtenforst Taunus gegen die Eucharistie? Vielleicht hat er in protestantischer Erwerbsethik gefehlt.

Nun ist solcher eitle, schleimige, altherrenreligiöse Furor altbekannt, schon Descartes schien sich bereits in einer Art Abwehrkampf gegen „Atheisterey“ zu befinden und Sokrates hatte bekanntlich die schönen Götter beleidigt. Speziell interessant wird das aktuelle, an der Beschneidungsdebatte aufgeladene Theater der Kulturkämpfer, wenn sie wie bei Spaemann einmal konkret werden:

Stellen wir uns vor, es erschiene irgendwo das Bild einer Gaskammer mit der Überschrift „Arbeit macht frei“, in der sich zahllose halbtote Frösche befänden. Niemand würde hier bestreiten, dass das Beleidigtsein von Menschen objektiv gerechtfertigt ist. Die Leugnung des Mordes an sechs Millionen Juden sollte zwar so wenig strafbar sein wie die Leugnung des Kreuzestodes Jesu zum Beispiel im Koran. Sie ist einfach eine falsche Tatsachenbehauptung. Für Wahrheitsfragen aber ist der Staat nicht die entscheidende Instanz. Die Verhöhnung der Opfer dagegen wäre eine objektive Beleidigung, die mit Recht nicht straffrei bliebe.

Spaemann stellt sich in dieser Ausgeburt seiner pathischen Projektion also tote Juden als halb(!!!)tote Frösche vor. Gerade mahnt uns schon Lehming an, dass Rationalisten ja auch Augen auf Fotos ausstechen würden ohne Skrupel zu empfinden, nun kommt hier noch so ein heimlicher Psychopath und bringt mental Frösche in Gaskammern „halb“ um, natürlich nur, um im besten Interesse der so verhöhnten Opfer etwas zu illustrieren. Dieses Etwas stellt sich so dar: Für Christen sei Gotteslästerung so schlimm wie eine zynische Verspottung von Shoah-Opfern für Juden und Atheisten. Die Verspottung nimmt Spaemann aber erst einmal selbst vor, in kurioser Ermangelung handgreiflicher und wirklich absurder Bösartigkeiten. Man müsse halt nur einmal drastisch vor Augen führen, was Blasphemie so bedeute und als Beispiel nimmt man dann das, was den Juden wohl so der Gott sein müsse, nämlich die Gaskammern. Und steckt da dann halbtot herumzappelnde Frösche rein. Als Gedankenspiel. Man wird ja wohl  noch, im Namen des Herrn. Sonst wäre ja Blasphemie gar nicht begreiflich zu machen, den gaskammeranbetenden Juden, Nazirationalisten und Blasphemikern, die gar nicht fühlen und wissen, wie heilig und groß und prächtig so ein christlicher Gott ist, der natürlich trotz der so feinsinnigen, spielerischen Gleichsetzung gar nichts mit Gaskammern zu tun habe. Dank Spaemann durften wir nun wirklich an Leib, Geist und Seele fühlen, wozu ein tonnenschwer gekränkter ungeglaubter Glaube bei schlecht getauften und durchaus heftig delirierenden Christen in der Lage ist.

In der Beschneidungsdebatte verläuft das ähnlich niveauvoll. Religionen, die über Jahrtausende aus ganz religiösen Gründen Pogrome durchführten, kumpeln nun das Judentum an, weil dessen offizielle Vertreter ein Ritual der Genitalverstümmelung gegen legitime Kritik und einiges antisemitisches Ressentiment verteidigen und dabei leider nicht immer genau trennen können. Die christlichen Reaktionäre wittern in dieser Gemengelage die einmalige Chance, hier das Judentum als menschliches Schutzschild für ihre Restauration des religiösen Kollektivzwangs instrumentalisieren zu können. Sie stellen dabei auf den Erfolg des Islamismus ab, der den Paragraph 166 StGB auf sich selbst zurückführte:

§ 166
Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Die unfriedlichen Religionen erhalten demnach Recht gegen die Blasphemie, wo friedliche Religionen beschimpft werden, ist der öffentliche Friede nicht gestört. Das ist auch das Problem von Mosebach, Mattussek und Spaemann. Das Christentum mauzt nur noch gelegentlich auf, etwa wenn der Papst als inkontinent karikiert wird. Nicht ein Blasphemieverbot wollen sie einfordern, sondern Unfrieden anstiften. Wozu ihnen, wie sie bewiesen haben, wirklich jede Geschmackslosigkeit und Stumpfheit recht ist, die sie dann dem Rationalismus als Mangel an Empathievermögen auf die Rechnung schreiben.

Dagegen lässt sich Blasphemie nur als adäquate Protestform betreiben und begreifen, als dialektische, notwendige Entsprechung zu narzisstisch dauergekränkten, erzchristlichen und neosensualistischen, kommunitaristischen Restauratoren. Gegen solche Zumutungen hat jedes Titanic-Titelbild sein Recht und darin ist Gesellschaft tatsächlich noch zu rerevolutionieren durch einfachsten Fäkalhumor und auf diese lächerliche, stumpfsinnige, beleidigte, zur Solidarität unfähige, faule, mit dem Lockenfrosch gepuderte, hirngespinstige, pathisch daherprojizierte, selbstermächtigende, widerwärtig lügende, kastrierende, menschenopfernde und kannibalisierende, sadistische, wahnsinnige, wagnerhörende, unbelesene, ranzige, autodafierende, pogromierende, abschiebende, füsilierende, garottierende, faschisierte, flachsinnige, partout nicht zu entblödende, von siebzehnschwänzigen Fuchsgespenstern aus allen chinesischen Provinzen gerittene Gottesprojektion der Christen gemünzte Unflätigkeiten.

„Afro-Faschismus“ und Hexenjagden

„some of you gyys are hypocrites when we take a stand against evil people that do witchcraft,obia,voodoo what ever u wana call it these people put curse on youmake bad things happen two they steal your kids kill them for sacrifice ther just gething back a taste of ther own medicine we have two get rid of them ther evil Demonic people look at jamaica they used two say no batyy mon [„Batty boys“: Slangwort für Homosexuelle, NI] you used fight against them Hard now you guys make them walk free ly in the country they take over the island thats why so much batty mon in jamaica now & running things cause you guys cant take a stand against them. look when people from Haiti came two jamaica when the Earthquake strike theycame & started two kill the kids doing ther Voodoo ritual nobody did nuthing some victims that escape said they were Haitiens so why not kill does who try kill you you wana proteck them two Thats why jamaica cant go nowere 50 year anyversay 7 nuthing two show for it et rid off the Obia man dem NOW“

Dieser Kommentar findet sich in einigen Varianten des gleichen Stils unter einer Filmaufnahme eines Mordes, der unter Lynchmord schon zu schlecht gefasst wäre. Einige mit Autorität ausgestattete Hexenjäger verbrennen fünf Menschen.

http://www.wickedhype.com/videos/details/13832/Five-People-Suspected-Of-Witchcraft-Burnt-Alive-In-Kenya-Very-Graphic-NSFL

Sehr ähnliche Bildsequenzen fanden sich bereits vor einem Jahr, entweder wird die Verfolgungstechnik von der gleichen Bande immer noch reproduziert, oder es handelt sich um das gleiche Ereignis. Sowohl Traditionalität als auch Masse solcher Vorfälle sind insbesondere in Kenia hinreichend belegt und diskutiert.

Leider erfahren wir im konkreten Fall nichts über die Kamera. Handelt es sich um die Verfolger selbst, um Entwicklungshelfer, um skrupellose Journalisten, besonders skrupellose Ethnologen, Ethnologen oder Journalisten, die blindwütig einem Objektivitätsdiktat folgen? Dörfliche Lynchmobs werden in aller Regel von einzelnen Individuen gestoppt, um so mehr, wenn ein gewisser Status an die im Lynchmord durchgestrichenen rechtlichen Instanzen erinnert.

Während also der Dokumentation schon ein Hautgout der Exploitation anhängt, zeigt sie doch einen Einblick in eine afrikanische Realität: Den dörflichen und urbanen Terror gegen willkürlich ausgewählte Individuen. Immer öfter wird dieser Terror, sobald medialisierte Bilder davon entstehen, von einer spezifischen Ideologie begleitet, die im Kommentar oben enthalten ist. Die vier Nerven, an denen der afrikanische autoritäre Charakter sich gereizt fühlt, sind die Behandlung von Kindern, Frauen, Homosexuellen und als Hexen angeklagten Individuen. Für bestimmte Individuen ist die Misshandlung dieser Gruppen unverhandelbares Recht und der Widerspruch dagegen kolonialer Eingriff. Was wiederum seine eigene, pervertierte Wahrheit erfährt in Kommentaren wie diesem:

„all ypu african fucks are so stupid! witchcraft ? really? its 2012people! this is some ones mother and family! hell is definitely real for ppl like you… you africans always taking up my commercial time with flies & shit on your face talking bout feed a child for a $1 a day …FUCK NO! how did you guys come accross a camera then? how bout you sell it.. or if youre all so hungry…gwan guh cook ya mudda and eat her!“

Sich von beiden aggressiven Ideologemen nicht irritieren zu lassen ist die Herausforderung, der sich leider kaum jemand stellen mag. Eine Argumentation findet in keinem Fall statt.

Das Konzept „Master Blaster“ und sein rassistischer Mehrwert

Ein Protagonist in „Mad Max beyond Thunderdome“ besteht aus zwei Personen: Einem Muskelprotz, dem Blaster, der seinen Master, ein technisches Genie, auf den Schultern herumträgt. Beide sind ohne den jeweils anderen hilflos und zu Tod und Unterwerfung verdammt. Das hat eine unverhohlene Ironie: Dem archaisch gewordenen bürgerlichen Heldentypus, der Geist und Körperkraft vereint, tritt die modernere Form der Arbeitsteilung in dieser monströsen Gestalt gegenüber. Die perfide Spartenbildung der Kulturindustrie ist in diesem Sinnbild ebenso kritisch aufgehoben wie Hegels Weltgeist plötzlich ironische Gestalt erhält – nicht zuletzt im vorgedachten Untergang der Zivilisation in einem atomaren Desaster. Auch das Herr-Knecht-Verhältnis wandelt plötzlich leibhaftig zwischen Schweinemist und konfrontiert mit wahnsinnigen Gesellschaftsverträgen umher und scheitert grandios.

Die Legitimationsfigur einer Symbiose von Stärke und Intellekt ist älter noch als Hegel und zu attraktiv um nicht immer wieder auch als Kitt für die bürgerliche, postrassistische Gesellschaft herhalten zu müssen. „The Green Mile“ ist einer der großen Filme der 1990-er. Hauptfigur ist ein naiver Schwarzer mit gewaltigen Körpermaßen, die zu allem Überdruss noch in ein typisches „Onkel-Tom“-Kostüm, Latzhose und  Unterhemd, gezwängt wurden. Diese an sich schon rassistische Karikatur eines Schwarzen wird dazu noch  mit magischen Kräften ausgestattet. Vor dem afrikanischen Voodoo fürchten sich die Weißen spätestens seit dem Sklavenaufstand in Haiti. In „The Green Mile“ wird die magische Essenz als „göttliche Gabe“ verbrämt, die natürlich nur in einem gänzlich harmlosen Charakter unbedrohlich existieren kann. Der intellektuell kastrierte Schwarze verfügt über Muskelkraft und Magie und: über moralische Reinheit. Das destruktive Potential seiner „Gabe“ darf er gesellschaftlich legitimiert am Sadisten Wetmore auslassen. Und in gänzlicher Überzeichnung des für diese Zeit typischen rassistischen Stolzes auf die weiße Medientechnologie wünscht er sich vor seinem Tod auf dem Stuhl nichts sehnstlicher als einen Film im Kino zu sehen. Mehr oder weniger aus Verdrossenheit über den Menschen an sich lässt er sich dann freiwillig hinrichten.

Weniger dramatisch aber nach dem gleichen Muster ist „The Blind Side“ von 2009 gestrickt. Die weiße schöne Modedesignerin, Republikanerin und zweifache Mutter Leigh Anne ist nicht nur Frau eines Fast-Food-Imbiss-Ketten-Besitzers sondern hat auch bei aller Stachligkeit ein gutes Herz. Sie nimmt einen riesigen schwarzen Jugendlichen bei sich auf, der nicht nur ein hervorragender Sportler ist sondern natürlich auch intellektuell zurückgeblieben. Wieder ist er moralisch unantastbar. Das Philanthropentum zahlt sich daher aus: der Junge entwickelt durch die gutmütige Anleitung von weißen wohlwollenden Frauen seine Kapazitäten, darunter seinen überragend getesteten „Beschützerinstinkt“, und wird unter Anleitung des kleinen Intelligenzbolzens SJ zum Leistungssportler, der sogar die Hochschule besteht. Als Negativbeispiele werden andere Schwarze aufgeführt, deren Potential nicht rechtzeitig von weißen reichen Republikanerinnen und ihren hyperintelligenten naseweisen Kindern entdeckt wurde und daher destruktiv werden muss. Aus ihnen werden Prostituierte oder tote Gangster, was natürlich überhaupt nichts im Entferntesten mit Arbeitsbedingungen oder Lohnverhältnissen in Fastfood-Restaurants oder Nähereien zu tun hat. Immerhin enthält dieser Film anders als „The Green Mile“ selbstreflexive Momente, über den viehisch reinen Stil des Trainer-entdeckt-und-zähmt-widerspenstigen-Supersportler-Genres kommt er aber selten hinaus.

Das rassisierte Master-Blaster-Modell propagiert nicht nur traditionelle rassistische Stereotypen sondern auch einen ausgeprägten Antiintellektualismus. Das Geistige ist stets körperlich schwach, impotent, verkrüppelt oder zu klein. Mehr noch, es ist moralisch verdächtig und verdorben. Erst wenn es moralisch gereinigt wird, kann es die Symbiose mit dem starken Körper erfolgreich verwerten. Und in der Verwertung liegt letztlich die Botschaft der beiden letzten Filme. Nicht an die Versöhnung von Körper und Intellekt wird appelliert sondern an die effizientere Nutzbarmachung der Ressourcen durch einen moralisch integren Intellekt. John Coffeys Hinrichtung ist mehr eine Empörung über die Verschwendung von „Gottes Wundern“ als ein Verweis auf das tägliche Unrecht der Todesstrafe eingeschrieben. Die Ghettogangster der amerikanischen Kleinstadt werden offen als vergeudete Ressource betrauert. Solche Filme sind kitschtriefendes Resultat des Nützlichkeitsdiktats, ein stilreines Ideologem kapitalistisch-protestantischer Gesellschaften, demgegenüber durchreflektierte Filme wie „Mad Max“ unbestritten subversiven Gehalt erhalten.

Spendenaufruf

Liebe Leserinnen und Leser,

auf Nichtidentisches ist seit geraumer Zeit wenig geschrieben worden. Das hat einen guten Grund. Ich gründete nach meinem letzten Forschungsaufenthalt in Gushiegu/Nordghana einen Verein zur Unterstützung von alten Frauen, die der Hexerei beschuldigt und vertrieben wurden. In mehr als sieben Asylen und Ghettos sammeln sich im Norden Ghanas insgesamt etwa 2500 Hexenjagdflüchtlinge, in Burkina Faso, Togo, Malawi, ZAR, Tansania und Südafrika gibt es ähnliche Phänomene der Schutzkollektivierung von Hexenjagdflüchtlingen.

Unser Verein „Hilfe für Hexenjagdflüchtlinge“ sammelt und organisiert Spenden für das ghanaische „Witchhunt-Victims Empowerment Project“ mit dem wir die Situation der 200 Frauen in Gushiegu, Nabuli und Kpatinga verbessern wollen. Langfristig hoffen wir, dass unser Engagement dort zu einem Abflauen von Hexereianklagen führen wird.

Ich bitte euch um eine weitläufige Weitergabe des Links zur Vereinsseite mit vielen weiteren Informationen und natürlich um Spenden via: http://gushiegu.wordpress.com

„The Witches of Gambaga“ by Yaba Badoe (2010) – Review

In Ghana’s Northern-Regions‘  multi-ethnic landscape seven settlements still differ more than any other from the rest: They are a ghetto for mostly elderly women but also younger ones and men who were accused of perpetrating witchcraft-crimes. Most popular is the perception of a witch leaving her sleeping body behind and meeting with other souls of witches in the bush to cannibalize human souls, preferably those of relatives. Sickness and death are commonly related to witchcraft and accusations are often backed by dreams that are believed to serve as a nexus to the spiritual world. While treated differently in many regions and circumstances, malicious witchcraft is a capital offense in most areas of Ghana and therefore lynchings, harrassments, evictions and torture are likely to happen to those who fall victim to a witchcraft-accusation. Those who escape lynching are brought to shrines for an ordeal or run away to the cities and the settlements for witch-hunt-victims.

For more than ten years Yaba Badoe, a Ghanaian writer and film-maker, has been visiting the so-called „witches-home“ at Gambaga, which is maybe the oldest and surely the most famous site where about 80 women accused of witchcraft seek refugee. Gambaga is not a remote rural area – it is a minor Ghanaian city with excellent roads to the urban Hot-Spot Tamale. The town has an internet-cafe, electricity, a regional prison, schools, a post-office and two simple guesthouses. The countryside is bushland with its beautyful red and green hills and giant rocks shattered around. The settlement for witch-hunt-victims is not only an asylum: Women are sentenced to exile from their homes in protective custody by the Gambarrana, a traditional, yet powerful chief. Badoe interviewed women accused of witchcraft to uncover their stories. For a woman in an area of Ghana that is sexist to the bones, it is especially remarkable that she was able to reach the chiefs permission to interview him and film the chickens ordeal.  This ordeal is the final authority for many oracles throughout Africa. Once a case is brought to the chief of Gambaga, he demands a fee and a chicken. The fowls throat is cut and it is thrown away. If it does not die with its‘ wings upturned, the ordeal proves the womens guilt – she is now exorcised of the supposed witchcraft spirit, she has to drink a potion, she is shaved and she has to testify her deeds. If the ordeal „proves“ the innocence of the woman, she might be terrified enough to stay nonetheless. If she stays, she is obliged to work on the farms of the chief before she can work on a small field of her own, if she not entirely depends on the help of relatives or the solidarity of her mates in the camp. Should she want to leave the camp finally, she has to pay „reimbursement“ for her stay. This „reimbursement“, as Badoe has investigated, has risen to an insane amount of 100 UsD.

When I visited the camp for 14 days in 2009 I was not permitted to see the ordeal and I did my best to disgruntle the chief who is notorious for his mood swings. His vain is easlily piqued while money pleases him to liberalness. Badoe managed to command his respect through her long-term observation. She proves, that documentary is possible in this highly ambivalent field and that it becomes professional mostly through time invested and intimacy towards the subjects. Badoes‘ work is investigative but by no means neutral. Her canny humanist approach does not hide the subject behind „realism“ and at the same time refrains from binary oppositions. Her thesis  could be read as she says in the documentary: „To be born as a woman is to be born under a shadow of suspicion.“ This suspicion is always enforced by the role of male authorities like the Gambarrana who states: „Women have their own witchcraft. Can you tell who’s a thief? That’s how witchcraft is.“

Badoes number of more than a thousand women condemned of witchcraft who live in northern Ghanas‘ camps for witch-hunt-victims is vague. In fact it is now clearly more than 2500 and up to 4500 people who are living in seven settlements for witch-hunt victims, mainly at Tindang/Gnaani and Kukuo/Bimbilla.  Unknown numbers go to the cities or to distant regions. But all of them suffer while some have agency and options beyond common stereotypes of victims. Badoe does a great job portraying the agency of the women. And agency is enhanced drastically by media and foreign interest. But agency is limited as soon as the stigma is concerned. As one victim states: „In the same way fire burns, I am a witch.“ There is up to no defense against the chiefs‘ verdict. The chief sees himself as a philanthrope while he profits from the women through forced labour, ritual-fines, „reimbursement“ and fame for overpowering „evil witches“. Badoe makes his fragile ego visible.

Her insightful documentary brings the victims of witch-hunts and their emotions closer to the audience. The beautyful colours of Northern Ghana – dark faces in front of sunflooded clay-huts, red dust and dry wood, the pied clothing – foil the dull pressure put on individuals as a result of fears of witchcraft. Light is grateful in Ghana: Every face is a scarred sculpture, every hut an environment. The impressive monumentalism of the aesthetics of primitive modes of livelihood is treated with self-evidence. Badoe is far away from exploiting this environment, though she does not deny its aesthetics  – her way of filming escapes exotistic, neo-romantic artwork as much as the lurid, over-engineered realism that is in vogue. It focuses on the story to tell and the understanding of the audience, it raises questions instead of answering them.

Rezension: „Medizin zum Aufmalen III – Neue Homöopathie für Tiere“

Von Petra Neumayer und Roswitha Stark, publiziert bei Mankau Verlag, 2010. 166 Seiten, 12,95 Euro.

„Die Beispiele in diesem Buch sollen ihnen aufzeigen: Alles ist möglich!“ (Neumayer/Stark S. 32)

Wo Romantizismen akkumuliert werden kann eine kritische Zeitgenossin getrost den blankesten, gefährlichsten Unfug vermuten. Die „Neue Homöopathie für Tiere“ ist das vorerst reinste Exemplar verdichteter Kitschgewalt, das mir je begegnete. Hund, Katzenjunges, Pferd und Papageien äugeln treu vom Titelbild. Eine Vignette verspricht: Geliebte Tiere ganzheitlich heilen – ungeliebte Tierchen sanft umsiedeln.

Ganzheitlich, das Wort war immer schon die schärfste Lüge. Aus der Ambivalenz der modernen Medizin speist sich der verständliche Wunsch nach einem anderen – die kränkenden Aspekte aber sind es,  die sogenannte „alternative Therapien“ auf den Plan rufen. Der Tod, die Fehler, die Entmündigung – all das versprechen sie aufzuheben. Spontanheilung reiht sich an Spontanheilung. Die Methoden sind Derivate von Größenphantasien, die alles versprechen wo man bisher nichts konnte. „Neue Homöopathie für Tiere“ will letztlich die gesamte Homöopathie von einem belastendem Vorwurf befreien, sie sei „nur“ ein Placebo. Tiere, so Neumayer/Stark, würden nicht an ein Heilsystem glauben können und würden dennoch geheilt werden – der Beweis, dass da etwas physikalisch-energetisches stattfinde, von dem die desinformierte Naturwissenschaft schlichtweg noch nichts gehört habe, das aber deren Produkt sei, denn man beruft sich stets auf einen Professor der Physiologie oder der Elektrotechnik, um die krude Phantasie zu verkaufen.

Dabei ist die vorgestellte Methode im strengen Sinne keine Homöopathie, sondern ein Versatzstück der postmodernen Informationsesoterik die dieser schon innewohnt. Hier wird nicht hochpotenziert, sondern gleich mit Segen und Flüchen, geschriebenen Symbolen auf Papier, gezaubert.

Zunächst wird der Tierhalterin alle Macht in die Hand gegeben. Mithilfe eines Pendels oder einer Wünschelrute wird sie ausgiebig angehalten, Befindlichkeiten des Tieres „bis in den feinststofflichen Bereich“ auszuloten. Dabei werden Fragen nach „Ja“ und „Nein“ beantwortet. Eine so komplizierte Diagnose wie „Feline Fibroadenomatose“ schließt sich selbstverständlich aus, so etwas haben Tiere nicht. Bei ihnen ist in aller Regel etwas „nicht in Ordnung“ (ja/nein) mit dem „Futter“, „Medikamenten“, „Impfungen“, „Elektrosmogbelastung“. Allein in dieser Aufzählung auf Seite 33 kommt das ganz und gar nicht unterschwellige Ressentiment gegen die Universitätsmedizin zum Zuge. Es geht der „alternativen Medizin“ nicht so sehr um ihre eigene Methode – sie ist vielmehr eine Travestie, auffahrender Spott gegen die Beleidigung, man müsse zunächst einmal etwas kompliziertes erlernen, Leichen sezieren, Bakterien auszählen und notfalls vergiften, um zu heilen. Ein Mensch soll mystisch die Heilkunst erschauen können, ohne jede Anstrengung. Lehrgänge, ja die gibt es, aber sie sollen noch für jeden zu bewältigen sein. Alles andere wäre eine Zumutung, eine tödliche Kränkung. So kommt es, dass Impfungen im Buch als „Völkermord im dritten Jahrtausend“ bezeichnet werden (S. 62). Die allmächtigen Eltern werden ihre Kinder schon vor so kläglichen Gestalten wie Tetanuserregern schützen können – mit einem Pendel, Zettel und Stift, allerdings nur im Notfall, denn meistens reicht es ja schon, wenn das Bett von einer Wasserader gerückt oder eine Fernheilerin konsultiert wird. Alles eine Frage der „Energieinformationen“, der mediale Fluxkompensator der Esoterik. Wurmkuren werden durch ihn sowohl gänzlich ersetzt als auch ihre „schädlichen Schwingungen“ „ausgeleitet“ (S. 66). Schädlinge wie Blattläuse oder Reiher am Gartenteich kann man durch aufgemalte und wieder aufgelöste Symbole vertreiben. (127ff) Und ganz besonders gut lässt sich das Pendeln an Zeckenbissen an:

Fallbeispiel: Zecke erinnert an verstorbenen Bruder.

Ich spürte einen Stich in meinem Bauch. Als ich nachschaute, bemerkte ich: Eine Zecke lief hier herum, sie hatte sich noch nicht festgesaugt. Am Tag darauf zeigte sich ein roter Ring, was ein Anzeichen für Borreliose sein kann. Ich versuchte, nicht in Angst zu geraten, und fragte: „Hast du mir etwas zu sagen?“ – Ja! Ich sollte das Wort „Zecke“ und ein Ursachenthema auf einen roten Zettel schreiben. Über den Psychomeridian fand ich heraus, dass das Thema einige Jahre vor meiner Geburt entstanden war: Zwei meiner Brüder waren gestorben, ich hatte sie nie kennen gelernt. Das trieb mir die Tränen in die Augen und ich ging mental mit meinen Brüdern in Kontakt und würdigte sie, so wie ich es noch nie getan hatte, ich hatte sie einfach vergessen. Auf dem Zettel für die Wasserübertragung stand „Zecke“ und darunter „Brüder“ mit „2-Strich-Sinus“. Schon nach der ersten Wassereinnahme verschwand der rote Ring für immer. (Roswitha Stark in Neumayer/Stark, S. 131)

Man muss sich ob der geballten Kraft der Psychomeridiane nur „bewusst […] machen, was los ist“ (S. 67). Eine psychosomatische Gesprächstherapie wird auf geniale Weise ebenso überflüssig wie jede medikamentöse Behandlung, denn: „Denken sie daran: Ihr Bewusstsein ist der Chef und genau dasjenige kommt in Gang, das sie sich vorstellen.“

Die Therapie ist ob eines solchen Versprechens Makulatur, solches infantile Glück macht noch den letzten Schwachsinn glaubhaft: Man könne Symbole aus der Elektrotechnik auf sogenannte Körpermeridiane malen, Dreiecke auf Papier zeichnen und kurz auf den Futternapf oder sonstige Problemzonen legen, notfalls reiche es auch aus, Akkupunkturpunkte zu „beklopfen“ (S. 86). Alles geht und nichts schadet – mit einer vorgegaukelten 100%-igen Erfolgschance, denn den Rat, im schlimmsten Fall doch zu VeterinärInnen zu gehen sucht man ebenso vergeblich wie man bei herkömmlichen HeilpraktikerInnen eine Empfehlung zum Impfschutz bekommt.

In ihrer Ritualmagie knüpft die „Neue Homöopathie für Tiere“ direkt an magische Praktiken an, wie sie sich im Verzehren von Koranversen auf Papier in Westafrika oder dem Besprechen von Nahrungsmitteln im Tischgebet in aller Welt finden. Sie ist in ihrem gesamten Eklektizismus, in ihrer kruden Wendung von naturwissenschaftlichem Jargon zum mystizistischen Spuk, ihrer Feindschaft gegen die Universitätsmedizin und ihrem offenen Größenwahn ein Wiedergänger der Romantik. Als schlechter Witz kann sie kaum abgetan werden. „Fernreiki für Bartagamen“ mag amüsant klingen, wird aber zum Leidwesen von Tieren und Menschen ebenso entschlossen praktiziert, wie die „Neue Homöopathie für Tiere“ Anklang finden wird. Der negative Befund lautet daher: Das Buch wird sich zu einem Standardwerk für die ganzheitliche Behandlung von Tieren entwickeln.