Der identifikatorische Sog des Stalinismus

Als die Hongkong-Proteste 2020 gipfelten, ließ sich in Köln ein seltsames Schauspiel antreffen: Eine Gruppe von chinesischen „Aktivist*innen“ hatte ein Zelt aufgebaut und gab Brötchen und Tee aus, während an Reisende Flugblätter und CD’s zu den Protesten in Hongkong verteilt wurden. Was von außen aussah wie eine Solidaritätsaktion entpuppte sich bei Lektüre des Materials als eine Denunziation der Proteste als Terrorismus und wurde mit großer Wahrscheinlichkeit von der chinesischen Botschaft finanziert. Als wäre das nicht genug, ertönten Schallmeien und ein Zug von etwa 100 Menschen allen Alters betrat den Bahnhofsplatz vor dem Dom, Plakate der sozialistischen „Helden“ von Lenin über Stalin bis Mao hochhaltend. In der Bahnhofsbuchhandlung wurde unterdessen die von Jörg Kronauer auf die prorussische Position getrimmte Zeitschrift „konkret“ neben dem ebenso russlandtreuen Magazin Compact verkauft.

Differenzen faschistischer und linker Propaganda

Über ein Jahrhundert hinweg konnten sowjetische und maoistische Propaganda Narrative erproben und testen. Die flexible Anwendbarkeit dieser Narrative macht viel des Wiederholungscharakters innerlinker Debatten und Konflikte aus. Linke Ideologie ist ein Problem nicht weil sie links ist und ihr Versprechen umzusetzen droht, sondern weil sie Propaganda aufsitzt und so ihr eigenes, selbsterklärtes Versprechen sabotiert. Wo der Faschismus den Sog zur kollektiven Identifikation mit dem Aggressor anfacht, verlegte sich die rote Propaganda darauf, die Identifikation konformistischer Rebellen mit Opfern zu manipulieren und kanalisieren. Das Ideal des Faschismus ist der „unschuldige Verfolger“, der den „imaginary foe“ bekämpft und den „Notstand“ anerkennt, unter dem die Sklaverei und Massenmord eingeführt werden „dürfen“ und „müssen“. Dafür inszeniert der Faschismus künstliche Krisen wie „Umvolkung“, „Reinheit des Blutes“, „Verlust der Männlichkeit“. Die „kommunistische“ Propaganda wählt hingegen meist einen realen Gegner und richtet sich an reale Opfer. Sie wurde und wird seriell Betrug an den Opfern, weil sie ein echtes und berechtigtes Interesse an einem Aufstand für ihre zynische Machtpolitik instrumentalisiert und langfristig die Idee eines Aufstandes verdirbt, korrumpiert und sabotiert.
Zerstört die faschistische Propaganda effektiv die empathische Solidarität, die sie in aggressive, mitleidslose Volksgemeinschaft verwandelt, so zerstört die „kommunistische“ Propaganda effektiv die Idee des Kommunismus als Sache von Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Sie ist im Wesentlichen keine Propaganda für die „dummen Kerls“, kein Agitprop mit Schalmeien zur Hebung der allgemeinen Stimmung, wie ihn die Sowjetunion und später Russland auch produzierte, sondern Pseudowissenschaft für gebildetere Menschen. Dabei arbeitet sie auf das punktuelle Unterlaufen von Vernunft hin. Es wird nicht, wie im Antisemitismus, ein vollständig wirres Wahnbild präsentiert, sondern ein bestimmtes Element in einem Set von raffiniert drapierten Fakten versteckt.

Das psychologische Angebot von Propaganda an die deutsche Linke ist Entlastung von Schuld. Für die Sowjetunion und heute Putin nützlich war der Pazifismus, der sich von Kriegsgelüsten freisprach, und diese auf das Verteidigungsbündis NATO projizierte und so von Sowjetrussland ablenkte.
Die Sehnsucht nach starken Kollektiven, Waffen, Sieg und Ruhm ist aber unter Linken und da vor allem bei den Männern tendenziell ebenso ansprechbar. Das weiß Putins Propagandapparat und daher war für Putin nichts einfacher, als die Kolonisierung der Ukraine als antifaschistischen Krieg in der Tradition des „Großen Vaterländischen Krieges“ zu präsentieren, bei dem man die richtige Seite zu wählen habe. Die realen faschistischen Tendenzen in der Ukraine wurden ins Riesenhafte gesteigert, kollektiviert, die eigenen faschistischen Tendenzen dahinter versteckt und die Aggression als Präventivkrieg verkleidet.

Weil aber nur die „dummen Kerls“ der AFD sich mit Putin als starkem Mann identifizieren, ist es für linke Narrative obligatorisch, Putin zwar zu kritisieren, die Kriegsschuld jedoch rigoros auf die NATO zu projizieren. Dieser linke Revisionismus erfuhr einen berechenbaren Höhepunkt mit den Feiern zum 8. Mai, dem sogenannten „Tag der Befreiung“. Warum ich das rituelle (Ab-)Feiern dieses Tages ablehne, habe ich auf diesem Blog in den Beiträgen „Antideutsche Regressionen“ und „Der Krieg schlummert nur“ begründet. Putins Ankündigung, ihn wie 1945 zu feiern und gleichzeitig mit einem Weltkrieg zu drohen, unterstreicht erneut die Bedeutung dieses Feiertags für den russischen Nationalismus.

Die Autorin der Novaya Gazeta, Julia Latynina, schrieb dazu den Artikel „Vom Kult des Sieges zum Kult des Krieges„, der in der deutschen tageszeitung beigelegt war. Die Autorin ist, wie ein anderer Artikel der tageszeitung kritisiert, rechtsliberale Klimaleugnerin, Antifeministin und sympathisiert kurioserweise mit Kadyrow. Im Artikel benennt sie zunächst korrekt die offensichtliche Mimese Putins an Stalin. Dann jedoch schreibt sie:

„Amerikanische Politiker, Zeitungen und Filme gaben sich alle Mühe, ihre Verbündeten in einem möglichst günstigen Licht erscheinen zu lassen und Hitler als einzigen Schuldigen am Krieg zu entlarven. Dabei wurde sogar vergessen, dass Stalin in den beiden ersten Jahren des Krieges ein Verbündeter Hitlers gewesen und dieser Krieg eine Woche nach der Unterzeichnung des Molotow-Ribbentrop-Paktes ausgebrochen war.

Die tatsächliche Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist, dass Stalin diesen Krieg geplant hatte, der die ganze Welt erfassen und erst enden sollte, wenn auch noch die letzte argentinische Sowjetrepublik ein Teil der UdSSR geworden sein würde. Er hatte diesen Krieg geplant – lange bevor Hitler an die Macht kam.“

Damit folgt sie offenbarg einer These Viktor Suvorovs, der mit seinem Buch „Icebreaker“ die „Offensivplankontroverse“ auslöste. Seiner These zufolge bereitete Stalin von langer Hand einen Angriff auf Deutschland vor. Auch wenn diese These vor allem in Russland und Osteuropa durchaus diskutiert und mehrheitlich dann verworfen wurde, bot sie einen Nährboden für rechten Revisionismus und seine Schuldentlastungsstrategie, die sich in der Verbrämung des Unternehmen Barbarossa als „Präventivschlag“ artikuliert. Latynina bedient diesen Revisionismus mit der Rhetorik vom zweiten „Schuldigen“. Kurioserweise folgt sie jedoch implizit auch den bei weiten nicht nur unter Linken verbreiteten Mythen über den Stalinismus als funktionierender Modernisierungsdiktatur, die das Sowjetreich „fit“ gegen Hitler gemacht hätte.

Der leninistische Mythos

Dass Rechtsradikale und Konservative im Revisionismus und der Überzeichnung der sowjetischen Terrorherrschaft und Bedrohung Schuldentlastung suchen, schafft nicht das Problem des Stalinismus aus der Welt. Die Sowjetunion war unter den Bolschewiki zu exakt dem Gefängnis geworden, das Rosa Luxemburg 1904 in der Zentralismusdebatte vorhersagte. Die konterrevolutionären Bewegungen wurden mit rotem Terrorismus und den im Spartakusbund heftig kritisierten „Geißelerschießungen“ bekämpft. Von der Gründungsphase der Sowjetunion an wurde die blutige Tradition des Zarismus mit seinen Gefängnislagern nicht ausgelöscht, sondern weiter kultiviert und fortgeführt. Es gab keinen Bruch mit politischer Gewalt, der Zarismus ging in die „jakobinisch-blanqistische“ Tradition über, die Luxemburg Lenin vorwarf. Die Bereitschaft, das Leben von Millionen zu dirigieren, organisieren und letztlich dann auch Millionen zugrunde zu richten, war fester Bestandteil des Leninismus.

Hier bietet ein linkes Narrativ Entlastung: Erst unter dem permanenten Druck der Konterrevolution, der „Weißen“, seien „die Roten“ zwangsweise autoritär geworden, der rote Terror bedauerlich, aber unvermeidlich und nach Todesopfern weniger mörderisch als der weiße Terror gewesen. Ebenso werden die wirtschaftlichen Folgen bagatellisiert und „in den historischen Kontext“ gestellt. Lenin wird vom Verrat am kommunistischen Glücks- und Freiheitsversprechen freigesprochen, um dem identitären Sog eines mächtigen, historisch realisierten kommunistischen Kollektivs nachzugeben. Es gab sie eben doch, die glorreiche kommunistische Revolution.
Putin reaktiviert diesen leninistischen Geschichtsrevisionismus der Linken: unter dem Druck der NATO mit ihren verbündeten „Kosaken“ und „Nazis“ müsse Russland harte Hand walten lassen. Er kann sich darauf verlassen, dass von zumindest signifikanten Teilen der Linken der Ukrainekrieg als Wiederholung des Bürgerkriegs in der Sowjetunion gelesen wird. Die NATO, ein desorganisiertes Verteidigungsbündnis ohne die rechtliche Möglichkeit, Land zu annektieren, und ohne die militärische Kompetenz, ein Land wie Afghanistan zu halten, erscheint als Wiederkehr westlicher Staaten, als Unterstützer der „Weißen“, als konterrevolutionärer Marodeur am neuen Russland.

Der stalinistische Mythos

Der stalinistische Geschichtsrevisionismus ist indes komplexer, weil Stalin unverblümter noch als Lenin den Staatsterrorismus kultivierte. Die Kollektivierung bedeutete längst nicht mehr Befreiung von Leibeigenen und Umverteilung von Land, sondern den Schritt in die offene Sklaverei des Gulag-Systems. Die Gewalt der „Großen Säuberung“ mit bis zu 1000 Morden täglich und die Moskauer Schauprozesse von 1936-1938 machten allen aufrechten Marxist*innen klar, dass sie in Sowjetrussland unter Stalin nur der Tod erwartete. Konsequent flohen alle Vertreter der Kritischen Theorie in die USA, sofern sie es schafften.

Der linke Revisionismus setzt hier darauf, die Gewalt nicht, wie es anstünde, in ein Verhältnis zu setzen, sondern unter Verweis auf den Holocaust und das Wüten der Wehrmacht insbesondere in Russland vollständig verschwinden zu lassen. Die Entwicklungen unter Stalin in den Blick zu nehmen, wird selbst als „revisionistisch“, als antikommunistisch denunziert – als wäre es historisch nicht zuallererst Angelegenheit der Linken gewesen, Stalin zu kritisieren. Es wird suggeriert, es gebe nur die Wahl zwischen der roten Armee und der Wehrmacht, eine Wahl, die nach dem Krieg besonders leicht fällt, weil sie nur aus Identifikation besteht.
In einem zweiten Schritt wird die Gewalt dort, wo sie sich nicht leugnen lässt, zur Entwicklungsdiktatur erklärt: Stalin habe ein Entwicklungsland zu einem Industrieland gemacht. Die wirtschaftliche Entwicklung gibt jedoch kein klares Bild her. Das Wirtschaftswachstum bleibt jedenfalls weit hinter vergleichbaren Staaten wie Japan zurück und ein Vorsprung des Stalinismus gegenüber einer Fortführung der NEP oder zaristischer Wirtschaftsweise lässt sich in Modellrechnungen nicht erkennen.

Sah Marx in der ursprünglichen Akkumulation die Gewalt des Feudalismus als Schlüsselmoment für die Schaffung eines mittellosen Industrieproletariats aus früheren Bauern, so wiederholte Stalin die feudale Gewalt, um Industriearbeiter vom Land in die Städte zu zwingen. Dabei war Zahllose Bauernaufstände waren die Folge. Die Verachtung für das Leben der Bäuer*innen war gerade in den Arbeiter- und Bauernstaaten, später im Maoismus besonders ausgeprägt. 1921 sagte Lenin auf dem X. Parteitag der KPdSU:


„Der Bauer muss ein wenig Hunger leiden, um dadurch die Fabriken und die Städte vor dem Verhungern zu bewahren. Im gesamtstaatlichen Maßstab ist das eine durchaus verständliche Sache; dass sie aber der zersplittert lebende verarmte Landwirt begreift – darauf rechnen wir nicht. Und wir wissen, dass man hier ohne Zwang nicht auskommen wird – ohne Zwang, auf den die verelendete Bauernschaft sehr heftig reagiert.“

2-5 Millionen Menschen starben 1921-24 in der Sowjetunion an Hunger. Dass die Ursachen mindestens zu einem großen Teil politische waren, gestand Lenin immerhin in der Änderung der Wirtschaftspolitik ein. Auch wenn die Industrialisierung und Elektrifizierung in der Sowjetunion wie auch global voranschritt, lässt sich in der konkreten Politik kein Merkmal einer Entwicklungsdiktatur finden – im Gegensatz dazu aber zahllose extrem kontraproduktive Maßnahmen. Kasachstan verlor in den großen Hungersnöten unter Stalin 1930-1934 ein Drittel seiner Bevölkerung, die Ukraine im Holodomor zwischen drei bis sieben Millionen Menschen. Hungersnöte zeichnen auch die Überlebenden teilweise lebenslang. Die den Hungernden für den Export geraubten Getreidemengen konnten nicht einmal den Anspruch erheben, zur Industrialisierung nennenswert beizutragen. Sie waren Ausdruck der Verrohung des stalinistischen Regimes und die Rationalisierung der Hungersnöte zu „notwendigen Kriegsvorbereitungen“ oder die Verharmlosung zu „multifaktoriellen Katastrophen“ heute trägt die gleichen Züge der Verrohung.

Es ist ex post nicht belegbar, dass die Sowjetunion ohne Stalin besser für den Krieg gegen Deutschland gerüstet gewesen wäre. Die Ermordung der gesamten militärischen Elite im Zuge des „Großen Terrors“ gilt jedoch gemeinhin als entscheidender Faktor für die militärische Schwäche der Sowjetunion, die gewaltigen Verluste und die rasche Eroberung Westrusslands durch die Wehrmacht. Der militärtechnologische Rückstand in den Bereichen der selbstladenden Gewehre und Maschinenpistolen wurde erst im Winterkrieg gegen Finnland und während der Konfrontationen mit der Wehrmacht erkannt und führte zur Entwicklung des erst Jahre nach dem Krieg fertig gestellten, glorifizierten AK-47.
Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und militärisch als irrational zu bewerten war auch die vom NKVD gemeinsam mit der Gestapo betriebene Zerschlagung des polnischen Widerstandes sowie die Unterdrückung von ethnischen Minderheiten durch eine demozidale (durch Morde auf Dezimierung bedachte oder diese durch Hunger und Elend in Kauf nehmende) Umsiedelungspolitik.

Stalins Angriffe trafen auch die Wissenschaften als Repräsentanten objektiver Kritik: Astronomie, Statistik, Geschichtswissenschaften wurden dezimiert, zensiert, eingeschüchtert. Kunst, Theater und Journalismus, durchaus für den Krieg relevante Institutionen, wurden durch den wahllosen Terror praktisch stillgelegt. Mit dem von Stalin begünstigten Trofim Denissowitsch Lyssenko erhielt zudem ein notorischer Antiwissenschaftler Zugriff auf die Landwirtschaft Russlands. Als er 1938 zum Präsidenten der Sowjetischen Akademie für Landwirtschaftswissenschaften ernannt wurde, bedeutete das das Ende der wissenschaftlichen Biologie in Russland. Wie sehr der Ausfall der Biologie und insbesondere der Genetik auf den Krieg Einfluss hatte, ist nicht bekannt. Seine in der Nachkriegszeit zur vollen Gewalt kommende Politik erzeugte jedoch Missernten nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in China, wo seine Ideen Einfluß hatten. Und nicht ganz zufällig erlebt Lyssenko im neuen Russland ein Revival, das sich aus der Stalinbegeisterung in Russland und dem Bedürfnis nach russischer „Exzellenz“ speist.

Roter Faschismus

Die militärische Schwäche und der terroristische, personenzentrierte Charakter der stalinistischen Diktatur war maßgeblich der Grund dafür, dass sich die Alliierten von einem Bündnis mit Stalin gegen Hitler wenig versprachen oder darin sogar ein Risiko sahen und daher Bedingungen stellten, die wiederum Stalin als vermessen erschienen. Dass die Alliierten jedoch ernsthaft ein Bündnis gegen Hitler anstrebten, wird an dem Entsetzen deutlich, das der im Geheimen ausgehandelte Ribbentrop-Molotov-Pakt zwischen Hitler und Stalin auslöste. Allen Beteiligten war klar, dass dieser Pakt den Krieg wahrscheinlicher machte und nicht verhinderte. Er ermöglichte Hitler den Zugriff auf die Produktivkraft der Beneluxstaaten und Frankreich, sowie Teile Polens und Osteuropas. Stalin erhielt im Gegenzug Zugriff auf die Produktivkräfte in den von der Sowjetunion annektierten Regionen. Dabei war ihm die Zerschlagung der nationalen Widerstandsbewegungen wichtiger als konkrete Kriegsvorbereitungen zu treffen und sich aus einer Position der Stärke heraus Bündnispartner zu schaffen. Stalin zerstörte vor 1941 noch den letzten Rest dessen, was der Leninismus von der Idee einer kommunistischen Sowjetunion übrig gelassen hatte. Sein Terror hatte kein andere Ratio als den eigenen Machterhalt und seinen sadistischen Lustgewinn am Massenmord und Deportationen. Unter Stalin wurde die Sowjetunion endgültig das, was die bürgerlichen Antikommunisten ihr vorwarfen und was der Faschist Benito Mussolini an Stalin freudig begrüßte: roter Faschismus.

Präsent waren alle Kernelemente des Faschismus: Führerkult, Nationalismus, Zensur, Sklaverei, Militarisierung der Gesellschaft, Mord als politisches Mittel, Glorifizierung des Todes. Noch während des Krieges kündigt sich der Antisemitismus Stalins an. Den 1944 verlautbarten Vorschlag des Jüdischen Antifaschistischen Komitees, auf der befreiten Krim einen jüdischen Staat zu errichten, entgegnet Stalin laut Chruschtschow:

„Sie versuchten, einen jüdischen Staat auf der Krim zu gründen, um die Krim von der Sowjetunion loszureissen und einen Vorposten des amerikanischen Imperialismus auf unserem Boden zu errichten, der eine unmittelbare Bedrohung der Sicherheit der Sowjetunion darstellen werde. In dieser Richtung ließ Stalin seiner Einbildungskraft wild die Zügel schiessen. Er war von manischer Rachsucht besessen.“

Dass die Sowjetunion von einer einmaligen historischen Chance auf eine freie, gerechte Gesellschaft zur terroristischen Gewaltherrschaft einer kleinen Parteielite wurde, begründet die bis heute fortwirkende Tragödie des Kommunismus.
Das zu konstatieren bedeutet nicht Schuldentlastung, sondern Frustration. Die Opfer des Nationalsozialismus hatten keinen verlässlichen Bündnispartner, sie mussten Israel gründen.
Nicht, dass Stalin einen Krieg gegen Deutschland vorbereitete, ist ihm zur Last zu legen, sondern dass er es nicht hinreichend tat. Stalins Rote Armee war ein Instrument des roten Faschismus, lieferte Widerstandskämpfer den Nazis aus und bekämpfte die Nazis erst dann, als Deutschland die Sowjetunion überfiel.

Weil der Zustand der sowjetischen Armee desaströs und die Verluste gigantisch waren, war Stalin daher auf die kriegsentscheidenden Lend-Lease-Militärhilfen aus den USA angewiesen. Trotz des Ribbentrop-Molotov-Paktes waren die Alliierten bereit, Russland mit massivem Einsatz von Militärmaterial zu unterstützen und praktisch die gesamte Kriegsökonomie bis hin zum Brot zu tragen.
Die USA haben angesichts der Bedrohung durch Deutschland in Kauf genommen, Stalins mörderisches System vor dem vollständigen Zusammenbruch zu retten und seine rote Armee auszustaffieren.

Was den Holocaust angeht: Ex post haben weder Alliierte noch Sowjetunion hinreichend zur Rettung der Jüdinnen und Juden und zur Verhinderung des von Hitler geplanten und mehrfach gegen alle Beteiligten begonnenen Krieges interveniert. Kollaborierte Stalin durch das Rippentrop-Molotov-Abkommen militärisch mit Hitler, so kollaborierten England und die USA sowie alle an der Konferenz von Evian beteiligten Mächte durch die Abweisung von jüdischen Geflüchteten, die in den Holocaust zurück geschickt wurden oder keinen Ausweg z.B. nach Israel erhielten.

Der Putinistismus und die Linke

Die heutigen Feiern zum 8. Mai in Russland zehren vor allem von Geschichtsmythen zum Stalinismus und Leninismus. Russland, die ewig von außen bedrohte Großmacht, die ruhmreich über ihre Feinde siegt. Hauptinstrument ist die Suggestion einer Wahlwiederholung: zwischen roter Armee und Hitler, zwischen Z-War und „NATO-Faschismus“. Putin benötigt dabei nicht einmal mehr den frenetischen Jubel, den Stalin einforderte. Für ihn genügt, wenn seine Unterstützer im Westen ihn in demokratischer Tradition zwar durchaus „kritisch sehen“, womöglich auch den Angriffskrieg verurteilen, aber dann die NATO und ukrainische Faschist*innen dafür verantwortlich machen. Er tritt nicht als Faschist auf, sondern als Antifaschist. Die rechten Parteien Europas stehen ohnehin hinter ihm, lediglich die härtesten Kerne der Neonazis, z.B. der „III. Weg“, haben sich auf die Seite der Ukraine gestellt. Putins Propaganda richtet sich daher explizit an Linke, hier versucht er zu überzeugen und sich zu rechtfertigen, zu spalten und zu verwirren.
In Teilen der Linken konnte die Identifikation mit der Roten Armee überleben, indem man zwar das eine oder andere als bedauernswert und Irrweg bezeichnet, aber insgesamt eine Wahl zwischen Hitler und Roter Armee aufgemacht wird, die sich historisch allein für vom Krieg betroffene Menschen in Osteuropa stellte.
Rechte revisionistische Tendenzen mit ihrem Hautpinteresse der Schuldabwehr werden instrumentell als Popanz einer quasi nicht mehr existenten Kriegsschulddebatte eingeführt, um sich eine echte Kritik des Stalinismus zu ersparen. Diese „echte Kritik“ will man in einem letzten Verteidigungsschritt noch an intensive Literatur auslagern. Man müsse den Stalinismus erst studieren und „verstehen“, um ihn kritisieren zu können.

Dabei sind die Verbrechen Stalins und mittelbar Lenins gegen die Menschlichkeit so offenbar, so offensichtlich, dass eine lebendige, somatische Moral im Sinne Adornos Moralphilosophie Anspruch erheben darf, sich zu distanzieren, in Ekel abzuwenden von den Inszenierungen und Rationalisierungen. Man tut so etwas nicht. Selbst wenn es den Kriegsvorbereitungen gegen die Nazis tatsächlich genützt hätte – was es nicht hat.

Ein Kommunismus, der nicht in Schrecken vor dem Leninismus und dem Stalinismus zurücktritt, ist keiner. Kommunismus, darauf ist zu beharren, bedeutet Freiheit UND Gerechtigkeit, bedeutet die Abschaffung von Folter und Todesstrafe, bedeutet, vor politischem Mord sicher zu sein und nicht, ihn zu exekutieren, zu glorifizieren und zu rationalisieren.







Die bigotte Suche nach dem Proletariat in und für Afghanistan

Wieder einmal erleben wir die Berufung auf das weiße Proletariat, die der trump’sche Neofaschismus und die AFD groß gemacht haben. Soldaten seien Proletarier und als solche sollen sie nicht von Bonzen nach Afghanistan geschickt werden, weil sie dort sterben könnten. Eine Variante davon ist die Behauptung, dass ja Schreibtischstrategen, die selbst nicht gedient hätten, nun am liebsten wieder andere Soldaten in den Krieg schicken wollen würden. Aus der Parole „Proletarier ALLER Länder – vereinigt euch“, die einst zur internationalen Solidarität aufrief und ein universales Interesse an Freiheit proklamierte, und unter der sich tatsächlich Freiheitskämpfer*innen aus allen Ländern in Südamerika, auf dem afrikanischen Kontinent und in Südostasien Aufständen und Widerstandsbewegungen anschlossen, wurde isolationistische, ethnopluralistische Hetze: „Proletarier aller Länder – schottet euch ab und verteidigt mit Zähnen und Klauen eure Binneninteressen gegen andere Proletarier aus shithole countries.“ Die Strategie, den bürgerlichen Egoismus in den Arbeiter*innen anzufachen und sie gegen Minderheiten zu hetzen eigentlich alt bekannt: Die faschistischen Bewegungen und allen voran die nationalsozialistische deutsche ARBEITERpartei trachteten danach, die Arbeiter*innen in den Dienst der Interessen der reaktionären Eliten zu stellen.


Der Isolationismus von links korrespondiert daher mit der isolationistischen Propaganda der rechten Mitte, die behauptet, Afghan*innen seien ja nicht bereit für die Freiheit zu kämpfen und daher nicht den Einsatz der westlichen Soldat*innen wert. Den einzigen Unterschied zwischen beiden Positionen macht vorerst, dass die Linke mitunter noch auf der Aufnahme von Geflüchteten beharrt – wenngleich Wagenknecht-Linke auch in dieser Frage systematisch die vermeintlichen Binneninteressen deutscher Arbeiter*innen gegen das ohnehin erodierte Asylrecht aufhetzen.

Beide Strategien haben ihre eigenen propagandistischen Interessen. Sie sollen die Fehler der Intervention in den Hintergrund treten lassen und Schuld projizieren: Nicht der Westen war zur Demokratisierung unfähig, sondern die Menschen in Afghanistan. Nicht Fehlplanung, Korruption, religiöse und bürgerliche Ideologie im Westen standen einer erfolgreichen Emanzipation im Wege, sondern der angebliche Volkscharakter der Afghanen.
Es sind Übungen im Empathieentzug. Die Massaker der Taliban können so als die Sitten anderer Länder oder als die zwingende Folge eines imperialistischen Sündenfalls oder aber in primitivem Ableitungsmarxismus als Rückstand der afghanischen Produktionsverhältnisse rationalisiert werden. Man muss nichts mehr fühlen und vor allem nicht mitfühlen und schon gar nicht solidarisch handeln. Shit happens in shithole countries – dieser bürgerliche Egoismus eint Faschisten und Linksparteiler*innen heute.

Braucht ein freies Afghanistan aber tatsächlich ein Proletariat? Die Diskussion um das revolutionäre Subjekt hat der Faschismus entscheidend geändert: Ihm gelang es durch raffinierteste Propaganda, Arbeiter*innen gegen ihre Interessen zu mobilisieren. Aber auch der serielle Umschlag proletarischer Revolutionen in Terror gegen dieselben Arbeiter*innen hat das Projekt internationaler Solidarität gründlich sabotiert. Wer gesellschaftliche Tendenzen von der Existenz einer Arbeiterklasse und der dazugehörigen Industrie abhängig macht, hat schlicht und ergreifend kein annähernd an Marx gebildetes Geschichtsbewusstsein. Warum etwa die Taliban in Afghanistan, nicht aber im ebenso ländlichen Sambia oder ebenso armen Haiti entstanden sind, kann schlichtweg nicht aus makroökonomischen Prozessen und schon gar nicht aus dem Industrialisierungsgrad erklärt werden. Selbst der Maoismus ist hier weiter: Er stellte sich der Frage nach dem revolutionären Subjekt und schloss Kleinbäuerinnen ein, die von den Ableitungsmarxisten nur Verachtung fanden. Marx arbeitet gerade Landesgeschichten akribisch auf, um Faktoren zu analysieren und Dynamik ihren Raum zu geben. In Südamerika waren es oft Kleinbäuer*innen und Landarbeiter*innen, die Großgrundbesitzer und korrupte Oligarchien stürzten. In vielen Ländern Südostasiens und Afrikas entstanden hybride, pluriethnische Systeme, die zwar keine kommunistischen Utopias sind, die sich aber auch vor den erstarrten „konstitutionellen Monarchien“ Europas nicht verstecken müssen, nur weil sie ärmer sind.


Dass Afghanistan 2021 wieder an die Taliban gefallen ist, bleibt schlicht und einfach den Interessen übermächtiger und destruktiver Nachbarn geschuldet: Pakistan, das die Taliban aufbaute und Afghanistan als proxy gegen Indien nutzt, Iran, das die USA scheitern sehen wollte, Russland aus bekanntem politischen Interesse, China aus opportunistischen geostrategischen Interessen. Dagegen konnten 20 Jahre schlecht und unmotiviert geplanter Besetzung nichts ausrichten und wer behauptet, in 20 Jahren könne aus einem Bürgerkriegsland mit einer Million Toten und fünf Millionen Geflüchteten eine funktionierende wehrhafte Demokratie entstanden sein, hat erstens nicht die deutsche Geschichte studiert, in der nach fünfzehn Jahren Weimarer Republik schon wieder der Faschismus durchmarschierte und zweitens nicht die amerikanische Geschichte, in der selbst nach 230 Jahren (unvollständiger) Demokratie ein Faschist Präsident werden konnte. Afghanistan brauchte Zeit und glaubhaftes Engagement, und vor allem Letzteres war der Westen nicht bereit zu geben. Am wenigsten die Linkspartei, die von Beginn an die Forderung erhob: „NATO raus aus Afghanistan!“ Ausgerechnet mit dem Debakel des Abzugs sieht sich die Linkspartei nun bestätigt, als hätte nicht gerade der Siegeszug der Taliban ihre krude, ethnopluralistische und isolationistische Ideologie ad absurdum geführt.

Das Argument von den proletarischen Soldaten im Westen ist fachlich einfach falsch. Zum einen nämlich sind derzeit dieselben Soldaten, die in Afghanistan gekämpft haben, die, die am stärksten Entsetzen und Solidarität mit ihren Kameraden in Afghanistan ausdrücken. Es ist kurios, dass man heute von Kadetten selbst einer Erwin-Rommel-Kaserne mehr internationale Solidarität und Klassenbewusstsein erwarten darf, als von isolationistischen Linksparteilern. Und das zieht sich über Ländergrenzen. In den USA, in Großbritannien ist der skandalöse Abzug der NATO und die erneute Machtergreifung der Taliban für Soldat*innen vor allem eines: Ein Schlag ins Gesicht derer, die in Afghanistan gefallen sind, eine Entwertung jedes individuellen Opfers.
Zum Anderen sind Soldaten im Westen zwar mehrheitlich keine Eigner von Produktionsmitteln, aber dennoch relativ gut bezahlt (in den USA 62.00 USD p.A.) mit üppigen Vergünstigungen und Karrieremöglichkeiten. Dass Soldat*innen grundsätzlich Proletarier*innen seien, ist falsche Klassenanalyse, weil es in fast allen westlichen Staaten eben keine Volksarmeen mehr sind, sondern Berufssoldaten unterschiedlichster Abkunft und Berufe. Sie stammen auch aus eher bourgeoisen Elternhäusern, in denen der Militärdienst als patriotische Pflicht gilt.


Und in gut organisierten und ausgerüsteten Elitetruppen ist das Sterberisiko bei Luftunterstützung, Satellitenüberwachung und Infrarotkameras sehr gering. Sie kommen heute vor allem in assymetrischen Konflikten als Militärpolizei zum Einsatz. Bei keinem NATO-Einsatz wurden Soldat*innen in Materialschlachten verheizt wie im ersten Weltkrieg. Das Bild ist obsolet, geschichtsfern, wenn nicht geschichtsfeindliche, bewusste Fälschung. Westliche Soldat*innen haben in diesen Ländern in etwa dasselbe Sterberisiko wie Feminist*innen, Journalist*innen oder Umweltschützer*innen. Paradoxerweise aber will man statt gut ausgerüsteter Soldat*innen nun meist extrem schlecht bezahlte Entwicklungshelfer*innen zu den Taliban schicken, die bestenfalls von privaten Sicherheitsdiensten geschützt werden. Das scheint das übergreifende Konzept zu sein und den Fehler daran bemerken Linksparteiler*innen ebensowenig wie die Faschisten*innen – weil sie gerade diesen Fehler erst produzieren und internationale Solidarität sabotieren.

Disco Elysium – ein Fall für den Kommunismus?

Die linksliberale Euphorie über das Spiel „Disco Elysium“ ist vor allem Ausdruck einer Misere im Low-Tech-Spielesektor. Ideenlose Jump and Runs, Tower-Defense-Games, RPG mit immer gleichen, konservativen Inhalten: Damsel in Distress, muskulöser Held, Skillen, Grinden, Juwelensammeln, Upgraden, stumpfsinnige Besorgungen für NPC erledigen, kurz: repetitive Tristesse für zu Tode gelangweilte Menschen. Da kann ein Spiel beeindrucken, das ausnahmsweise von Intellektuellen mit einem ordentlichen Skript versehen wurde, das nicht auf eine Verschwörung eines Gentechnikkonzerns oder bösen Zauberers hinausläuft.
Technisch ist Disco Elysium allerdings auf einem Stand vor 25 Jahren: Ein Point-and-Click-Adventure mit Dreiviertelaufsicht und statischen Kulissen. Dass das Spiel dennoch 2GB Grafikspeicher als Mindeststandard angibt, verblüfft daher, und ist zudem unwahr: Mit den meisten besseren Onboard-Grafiken wird sich das Spiel problemlos begehen lassen. Ressourcen frisst es aber an den unmöglichsten Stellen. So sind banale Türen nur mit teilweise 30-60 Sekunden Ladezeit zu öffnen. Weil man aber ebenso hin- und hergeschickt wird wie bei anderen Spielen des Genres, muss man im Laufe des Spiels mindestens 200mal eine Tür öffnen. Hinzu kommt, dass mit dem letzten Update „Final-Cut“ eine Reihe von Bugs eingeschleppt wurden, die Questreihen sabotieren und Fast Travel ab Tag 4 verunmöglichen. So läuft man immer wieder die gleichen Stellen ab, was lediglich dadurch spannender wird, als man mit fortschreitenden Fähigkeiten mehr verborgene Hinweise erhält.

Die Stärke des Spiels liegt in seiner Ästhetik: Akustische Reize, Musik und Kulissen im Stil von Edward Hoppers „Nighthawks“ erzeugen eine tiefe Schwermut, die teilweise an die Grenzen des Erträglichen drängt. Ausgerechnet die harmloseste Figur im Spiel, eine Würfelmacherin, reizt die Schmerzgrenzen aus. In einer industrieromantischen Ruine sitzt sie vor einem Fabrikfenster wie eine Spitzweg-Karikatur eines Kleinbürgers, vollständig auf ihre sinnentleerte Arbeit fokussiert, abgeschottet von einer Welt, die den Bach hinuntergegangen ist und nun wie ein verlorener Würfel in ein tiefes Loch zu fallen droht.

Inhaltlich arbeitet das Spiel mit (sehr leisen) Anspielungen auf Terry Pratchett, die auch schon beim spieltechnisch himmelweit überlegenen „Planescape Torment“ vorhanden waren. Eine weitere literarische Quelle dürfte Douglas Adams Detektivreihe „Dirk Gently“ und dessen „holistische Detektei“ sein: Alles ist mit allem vernetzt und Absurdes ist möglich. Das erzeugt Suspense beim ersten Durchlauf. Leider hält vor allem diese Suspense das Spiel am laufen. Die Figuren sind sämtlich Klischees, reine Stereotype. Da gibt es DEN bad cop, DIE Disco-Königin, DIE Buchhändlerin, DEN rassistischen Trucker, DEN machistischen Arbeiter und leider auch rassistische Stereotype wie den opportunistischen Händler Sileng. Alles ist wenig überraschend und an einer Stelle gesteht das Spiel sich auch das Amusement über die Stereotypisierung ein:

Ist möglicherweise ein Bild von Text „EUGENE "Hell, you both look like you could use some feminine company right now." now. KIM KITSURAGI "Thank you for your advice, Eugene. And you too, Alain.I do always appreciate a good use of the expression milkers'." RHETORIC amuses him themselves. Itsincerely how hard these guys typecast“


Das Motiv des Desaster Tourism wird ebenso offen eingestanden in einer Szene, in der ein Fischerdorf mehrfach als „pornographically poor“ bezeichnet wird. Eine echte moralische Wahl gibt es im Spiel kaum: zwar kann man sich zwischen Faschismus, Rassismus, Kommunismus und Zentrismus entscheiden, die zentralen Handlungsstränge werden aber an wenigen Stellen so eng zusammengeführt, dass ein zielgerichteter, linearer Spielverlauf vorgegeben ist. Das moralische Gewissen des Spiels und zugleich eine der sympathischsten Figuren im Spiel, Kim Kitsuragi, ein aus Vorsicht überkorrekter Homosexueller, gibt mit ständigen Bewertungen eine zentristische Richtung als im Spiel vernünftige Wahl vor. Verschiedene Spiel-Enden werden nicht wie bei Fallout auch erzählt, lediglich Dialogoptionen erwähnen die „guten Taten“ am Ende. Das macht die moralische Freiheit zur Farce.

Bemerkenswert ist die Referenz auf den Kommunismus als Scheitern: eine zerbombte ehemalige Kommunardenfestung weckt bewusst Assoziationen an die Pariser Commune oder den indonesischen Politizid an der PKI. Das in einer surrealen, destruktiven Welt aufzuheben, die sich ähnlich wie Alzheimer oder Demenz in einem Zerfallsprozess zu befinden scheint und vor allem das Vergessen als Gegenspieler von Zivilisation aufbaut, ist im Spielesektor zweifellos progressiv. Das Publikum, das die ironischen Seitenhiebe auf Kritische Theorie („Inframaterialismus“) versteht, dürfte extrem klein sein. Die Karikaturen des Kommunismus dienen aber nicht nur der Selbstreflexion, der fraglos ehrlich gemeinten Anweisung zu erneuten Versuchen, sondern auch zur Belustigung von Antikommunisten und Zentristen. Mit dem fiktiven Kommunistenführer Kraz Mazov wird der Name Karl Marx mit Masochismus assoziiert: Kern des Kommunismus sei schließlich das Scheitern. Der „kommunistische“ Spielweg erlaubt leider auch kein reflektiertes Vorgehen, sondern ist weitgehend in Parteipatriotismus und hohlen Gesten gefangen: So erhält der Avatar die Option, einer Büste von Kraz Mazov zu salutieren. Agitation, also die Möglichkeit NPC tatsächlich zum Kommunismus zu bekehren und ein anderes Spielende zu erreichen, gibt es praktisch nicht. Lediglich einer Figur lassen sich (sinnbefreite) Jubelrufe auf den Kommunismus entlocken. Aber man kann mit einer russischen Fellmütze mit rotem Stern umherlaufen und so doppelt so viele Erfahrungspunkte in Dialogen mit linken Charakteren ernten. Das ist ein bisschen wenig für das, was möglich gewesen wäre. Dass der letzte Kommunarde dann ein sexualfeindlicher, homophober Parteisoldat ist, bleibt ebenso im Bereich des bourgeoisen Witzes über den Kommunismus gefangen wie der fettleibige Gewerkschaftsführer, der als „Nacktschnecke“ und „Blutegel“ bezeichnet wird. Er und seine Gewerkschaftstruppe entsprechen dem Bild von Gewerkschaft als Mafia, das zwar seine Realität in einem spezifischen, historischen US-amerikanischen Kontext auch hatte, das aber von der Bourgeoisie auch in eigenem Interesse sattsam zum Klischee überdreht wurde. In diesen Karikaturenkabinett bleibt Disco Elysium demnach weit hinter den Möglichkeiten zurück, die die ursprünglichen Ideen einmal boten. Es wirkt am Ende alles halb fertig, unvollendet, und doch zu starr, um mit Absicht so zu sein. Was passiert mit dem ab- oder angeschalteten Eisbären? Was wird mit dem schwerreichen Unternehmer geschehen? Und wer zum Teufel ist Abigail? Zu viele Entscheidungen haben keinerlei echte Konsequenzen auf den Spielverlauf oder das Ende.
Dem Spieleentwickler ZA/UM ist nicht aufgrund des Ergebnisses, sondern aufgrund des eröffneten Potentials beim nächsten Spiel mehr Erfolg und Mut zu wünschen.

Ist möglicherweise ein Cartoon von 1 Person und Text

The vampire paradox of zombies


We all know that zombies in folklore were simply dead workforce for witches. You find a person, kill it in a certain way involving rituals or you revive a dead person and there you have your robot or slave executing tasks without minding anything else. Zombies were the exact opposite of a socialist worker with ADHD: hyper-focused, effective, loyal. Social Anthropology has produced a lot of facts and fiction on the „reality“ of zombies and toxines from Haiti to South-Africa.
But films transplanted the „vampire“-aspect into zombies and that drastically transformed the traditional logic of zombies.

It is common sense today, that Zombies reproduce through biting living persons (or animals). The infection creates a rapid decay of a person’s consciousness, leaving a massive urge to bite driving forward a body ruined or decorated by flesh-wounds. But hordes of zombies should dismantle a body within seconds, even if we exclude digestion and therefore incorporation of flesh ripped of a living body. Many Zombie-jokes even refer to a nutritional focus on „brains“. It is equally common sense, that Zombies only die from headshots or severe damage to their skulls. Which means, a pride of zombies following their natural hunting behaviour will almost never produce offspring, as victims of zombie-attacks will end up with severe damage to their brains and little muscles left to move their bodies or teeth inside a skull to bite other bodies.
IF zombies bite, they can’t produce walking (and biting) zombies on a large scale. That is the vampire-paradox of zombies.
We can conclude: In Nature, wild zombies should almost never have intact bodies with noses, jaws, legs or arms. Or more precise: zombies, as depicted in movies, shouldn’t exist at all. They are – other than traditional zombies and vampires – a contradiction.
But maybe Zombies simply aren’t zombies. The original zombie-myth was deeply rooted in African mythology. (Frankenstein was more of a bornagain cyborg-jesus. He was alone, had feelings and was mobbed for being different. We can ignore Frankenstein. He is definitely not a zombie. Not at all.)
Voodoo-Zombies were too African for white culture industry. Despite branding it as „superstition“ whites were afraid of „African witchcraft“ because whites were afraid of anything even hinting at black power. „Night of the living dead“ introduced an armed black hero slapping a white woman: an outrage for white people at that time. But in the end he dies from bullets of white racists mistaking him for a zombie – or for the „dangerous“ black man he is.
With „Night of the living dead“ all further zombies became vampires. Vampires thrive on christian projections of drinking blood in churches, ressurection, visiting beautiful girls and boys at night, being creepy jesuses. They have their logic, but only for Christians – and teenagers. (By the way: African vampires don’t feed on blood: They sell it to white people or sacrifice it to the gods or witches.) Zombies on the other hand mutated into ugly vampires. They bite. That’s all you need. No food, no brains, just bites. And as with vampires, biting creates offspring and therefore simply is: sex.
The moral of zombie-films is prudish: Sex is rape. Attraction is dangerous. Those who go out will be gangraped. You need a penis (and/or heavy guns) to defeat zombies. Kill zombies – kill the sex-drive – save mankind. Zombies then are logical again, but also very boring.





Die angebliche Intoleranz der Linken – eine pseudowissenschaftliche Studie schafft es in den Diskurs

Eine Studie über angebliche Intoleranz der Linken mit dem reißerischen Titel „Is Free Speech in Danger on University Campus? Some Preliminary Evidence from a Most Likely Case“ hat es über einen FAZ-Artikel und ein share der Professorin Dr. Susanne Schröter in den Diskurs geschafft. Das Fazit gibt eine eindeutige Richtung vor, die exakt in das Interesse der neuen Rechten an Diskursverschiebungen und Täter-Opfer-Umkehr passt.

„Linksgerichtete Studierende sind weniger bereit, umstrittene Standpunkte zu Themen wie Gender, Einwanderung oder sexuelle und ethnische Minderheiten zu tolerieren. Studierende rechts der Mitte neigen eher dazu, sich selbst zu zensieren.“

Die Buzzwords „Toleranz“ und „Selbstzensur“ machen aus rechtsradikalen Studierenden sensible Opfer, die sich introvertiert zurückhalten, wo sie doch nur gern ihre Meinung sagen würden.
Was aber wurde abgefragt?
Ob eine Person an der Universität lehren dürfe, wenn sie die folgenden Spezifika aufweise:

“A person who is against all forms of immigration to this country”

Soll jemand, der gegen alle Formen der Einwanderung in dieses Land ist, an Universitäten lehren? Eine Haltung, die man ohne zu Zögern den gehärtetsten und isolationistischsten Neonazis zuschlagen darf, wird zur Messlatte von Toleranz gemacht. Wer Nazis nicht toleriert ist selber Nazi – auf diesem Niveau bewegt sich Wissenschaft, die dafür tatsächlich Aufmerksamkeit erhält. Leider nicht weil sie so unterirdisch schlecht und eindeutig tendenziös designed wurde, sondern weil ihr angebliches Ergebnis so gut ins Bild der neuen Rechten passt.
Dabei ist das Ergebnis wirklich bedrückend: 69% einer angeblich vorwiegend linken Studierendenschaft fände es richtig, wenn Neonazis in diesem Sinne an Universitäten vortragen dürfen und 23% fänden es in Ordnung, wenn so eine Person sogar dauerhaft lehren darf. Und immer noch ganze 44% wären gelassen im Umgang mit Referent*innen, die Homosexualität für „Sünde“ halten.

Die Studie ist sich ihres gar nicht mehr als „bias“ zu fassenden Fehldesigns völlig bewusst und unterstreicht daher noch einmal ihre ausschließlich normative Absicht:

Third, it is important to understand that we are not saying that extreme right-wing views are illegitimately shut down on university campus. Although the acceptance of extremist views on university campus is an important debate in itself, we are concerned with the silencing of legitimate political views that simply deviate from leftist orthodoxy on issues such as gender, immigration, and sexual or ethnic minorities. It is students who place themselves right-of-center, who identify as conservative, classical liberal, libertarian, or who vote for parties such as the CDU or FDP who are reluctant to speak openly about these political issues.“

Einer der beiden Studienautoren macht diesen Standpunkt auf Twitter noch einmal deutlich:



Hier wird eindeutig festgelegt, dass es NICHT eine rechtsextreme Einstellung ist, gegen alle Formen der Einwanderung zu sein, sondern nur eine „moderate“, „deviante Position“, die von der „“linken Orthodoxie“ abweiche.

Die konkreten Fragen interessieren die Studie nicht: wieso eine progressive und liberale Bewegung in den USA und Großbritannien, die von essentieller Bedeutung für die Überwindung des Rassismus wäre, so vollständig an den Antisemitismus gegen Israel gefallen ist und warum sich relativ viele Linke mit einer Religionskritik des Islam so schwer tun. Darunter leiden aber in der Regel nicht rechte Sprecherinnen und Sprecher, sondern Linke und Liberale, die sich nicht auf Seilschaften in Burschenschaften oder rechte Thinktanks zurückziehen können.

Tatsächlich sollte man die Frage weitertreiben: Wie kann jemand (1, 2), der derart schlechte und tendenziöse Studien für einen berechenbaren Zweck entwirft und publiziert, im akademischen Betrieb erfolgreich sein? Die Studie gibt daher ungewollt Auskunft über den Zustand von Universitäten und sogenannter quantitativer Forschung heute.

Corona – Zur Ideologie der Verlangsamung, der Dunkelziffern und der empirischen Datenlage

Dunkelziffern, Datenmangel, keine empirische Grundlage – diese Begriffe sind verbreitete Floskeln in der öffentlichen Diskussion um Corona. Sie sind Ausdruck des herrschenden Positivismus, der Ideologie des vereinzelten Fakts. Vermitteltes Wissen, lebendige Erfahrung und logische Schlüsse, kurz gesagt die Ideale Kritischer Theorie, hingegen sind wichtiger denn je.

Dunkelziffern

Die Behauptung, es gebe gewaltige „Dunkelziffern“ bei den Corona-Erkrankungen wird vor allem verwendet, um entweder die Todesraten anzuzweifeln oder um die Maßnahmen für wirkungslos, weil zu spät, zu erklären.
Dunkelziffer ist ein Begriff aus der Kriminologie. Er geht davon aus, dass Verbrechen nicht angezeigt werden. Daher wird aus Erfahrungen von Fachleuten hochgerechnet, was mögliche reale Fallzahlen sein könnten.
Dunkelziffer bedeutet nicht, dass man nichts genaues nicht wissen kann und das für immer so ist, sondern dass man diese Dunkelziffer eben nicht im Dunklen belässt und nach Möglichkeit klärt, welche Schätzungen realistisch sind und wie man dennoch Prävention und Strafverfolgung auf diese näherungsweise eruierte Realität ausrichtet. Kurzum: Dunkelziffern erfordern die Extrapolation von Daten zur Erzeugung von Handlungsanweisungen in unklaren Verhältnissen und nicht Schulterzucken und Agonie.

Der Transfer des Begriffs in die Medizin ist fragwürdig, denn hier geht die „Dunkelziffer“ nicht von individuellem Schamgefühl oder juristischen Hürden oder unklarer Wahrnehmung (z.B. was ist sexueller Missbrauch) oder unmündigen Opfergruppen aus.
Es ließe sich sehr leicht empirisch klären, wie groß der Durchseuchungsgrad mit dem Coronavirus aktuell ist. Dazu kann man entweder mit Blutproben Antikörpernachweise durchführen oder mit Abstrichen den Erregernachweis. Eine solche Studie dürfte je nach n wenige Tage dauern und präzise Auskunft geben. Diese Daten nicht zu haben beschreibt einen Rückstand, ein institutionelles Versagen.

Es gibt aber auch logische Hinweise auf eine relativ geringe Dunkelziffer:
1. Das Auftreten von getesteten Erkrankungen in Clustern (z.B. Hamburg, Berlin, Bergamo). Würde eine hohe Durchseuchung der Bevölkerung vorausgesetzt, wäre auch die Verbreitung von schweren Fällen breiter gestreut. Diese Streuung findet zweifellos mit einer hohen Zahl milder Verläufe statt. Aber sie ist nicht abgeschlossen. Daraus können wir Rückschlüsse über die „Dunkelziffer“ ziehen. Die sich testen ließen.
2. Das Verhältnis bei den tatsächlich getesteten Personen (aufgeteilt in symptomatisch, asymptomatisch) zwischen erkrankt und nicht erkrankt gibt Aufschluss über den Durchseuchungsgrad bei Personen mit Symptomen und Kontakten zur Risikogruppe. Sind Personen mit Symptomen relativ selten tatsächlich erkrankt, ist umso unwahrscheinlicher, dass Personen ohne Symptome relativ häufig erkrankt sind.
3. Der Anstieg der Todesrate, also das Wachstums des Wachstums. Eine hohe Durchseuchung erzeugt ein viel höheres Wachstum der Fälle und damit einen viel stärkeren Anstieg der Todesraten und wiederum eine breitere Streuung.

Wir können aus den vorliegenden öffentlichen Daten schließen, dass das Virus vorerst NOCH in Clustern verbreitet ist, dass also noch keine durchgehende Durchseuchung oder „erste Welle“ stattgefunden hat, wie das mitunter erwogen wird. Auch in Italien haben wir kaum Todesfälle im Süden, es bleibt regional beschränkt.
Wir können weiter daraus schließen, dass die getroffenen Maßnahmen ein gewisses Containment innerhalb von Regionen erreichen können.

Empirische Daten

Die Behauptung, es gebe keine „empirischen Daten“ über die Wirksamkeit von bestimmten Maßnahmen ist vor allem vernunftfeindlich. Es gibt einen sehr klaren Vektoren der Infektion: Die Tröpfcheninfektion. Somit kann eine wirksame Unterbrechung der Infektionsketten nur stattfinden durch das Ausschalten der Tröpfcheninfektion. Und daher sind Maßnahmen angeraten, die 1,5 Meter Distanz erzeugen (und somit die Möglichkeit einer Tröpfcheninfektion verringern) und zusätzliche Hygiene im Bereich häufig berührter Gegenstände und Händewaschen fördern. Ebenso sind Maßnahmen wie die Isolierung hustender oder niesender Personen dringend angeraten und das Tragen eines Mundschutzes durch Personen mit leichen Symptomen in der Öffentlichkeit.
Wir können auch empirische Daten extrapolieren, um Prognosen zu erstellen: Aus bestehenden Länderdatensets zu Maßnahmen und der Ausbreitung, aus dem Vergleich mit historischen Infektionsverläufen ähnlicher Erkrankungen, aus dem Vergleich mit anderen, aber ähnlich invasiven Erkrankungen, wir können Erfahrungen mit HIV-Leugnung, Pockenimpfkampagnen und Impfgegnern hinzuziehen.

Ausgangssperren

Eine Ausgangssperre unterbricht natürlich nur indirekt die Infektionskette, weil sie Personen davon abhält, diese Distanzregeln und Hygieneregeln nicht zu befolgen. Diese Maßnahme ist aus medizinischer Sicht Unsinn, weil sich das Virus nicht über die Luft überträgt und eine Infektion auch durch Distanz vermieden werden kann. Sie ist sogar kontraproduktiv, weil sie Personen von Bewegung an der frischen Luft abhält. Sie ist aber aus soziologischer Sicht eine Disziplinarmaßnahme zur Erzeugung von Compliance zur Einhaltung von sozialer Distanz. Ausgangssperren werden wegen Corona-Parties und Weinfesten diskutiert und nicht, weil das Virus durch die Luft fliegt.

Epidemiologisch sind Ausgangssperren dort begrenzt sinnvoll, wo Menschen isolierbar sind. In Slums des Trikont mit hoher Dichte von Menschen auf kleinstem Raum kann eine solche Maßnahme hingegen kontraproduktiv sein, weil die soziale Distanz im Privaten weniger gegeben ist als im Freien. Dennoch waren in Westafrika Ausgangssperren ein wichtiges Mittel gegen Ebola und sie sind bekannt aus der Medizingeschichte des subsaharischen Afrikas: als traditionelles Mittel gegen Pockenepidemien.

Überwachung

Umgekehrt verhält es sich mit den Maßnahmen der Überwachung von Handys und Kontaktgruppen. Diese sind aus virologischer und epidemiologischer Sicht sehr sinnvoll und wirksam, aus soziologischer Sicht aber katastrophale Eingriffe in elementare Werte dieser Gesellschaft.

Zwischenfazit

Es existieren genügend valide Daten, deren interdisziplinäre und vernunftmäßige Betrachtung relativ eindeutige Rückschlüsse auf den Sinn und Unsinn von Maßnahmen erlaubt. Der Mangel an medizinischen Daten gibt Auskunft darüber, was versäumt wurde und was geklärt werden muss. Der Mangel an Daten kann aber nicht als Argument herhalten, Maßnahmen generell zu sabotieren oder für unwirksam zu erklären. Jede Kritik an konkreten Maßnahmen hat sich am vollständigen Set verfügbarer Daten und Fakten zu orientieren und Alternativen zu präsentieren.

Ideologie der Verlangsamung und die Situation im Trikont

Aus kulturwissenschaftlicher Sicht ist bedenklich, wie wenig die psychologischen Auswirkungen der Vermittlung von Maßnahmen bedacht werden. Bereits zu Beginn der Epidemie in Deutschland, als es noch wenige Fälle gab, einigte sich die Elite in den Medien auf die Formel der „Verlangsamung“. Kommuniziert wird, dass eine kontrollierte Durchseuchung angestrebt wird. Es wird nicht geklärt, warum ein Stopp der Ausbreitung unmöglich sein soll und/oder was der Preis für einen Stop der Ausbreitung wäre. Auf dieser Grundlage entsprechen sich die Modelle von Großbritannien, Finnland, Niederlande und Deutschland: Kein Land hat das Ziel ausgerufen, die Epidemie zu stoppen. Das senkt die Compliance, weil eine Infektion unausweichlich erscheint.
Die Ideologie der „Verlangsamung“ kaschiert aber auch Staatsversagen: Klar ist, dass entsprechende Szenarien einer Corona-Infektion durchgespielt wurden, dass es Maßnahmensets gibt und dass die Krise zu Beginn nicht ernst genommen wurde. Ebenso klar ist, dass die Verantwortung dafür bei der aktuellen Regierung liegt, die einen sehr wahrscheinlichen Fall einer globalen Coronavirusinfektion analog zu SARS oder MERS nicht adäquat vorbereitet hat und die Intrusion des Virus in die breitere Bevölkerung erlaubte. Mit der Formel „Verlangsamung“ wird dem Virus Übermacht einer Naturkatastrophe zugesprochen, um die Schwäche des Staates zu kaschieren.

Was bedeutete die Ideologie der „Verlangsamung“? Sie bedeutete die globale Ausbreitung des Virus insbesondere auf das subsaharische Afrika. Die meisten Infektionen dort kamen aus Europa. Hier existiert keinerlei Redundanz von Beatmungsgeräten. Es gibt hier keine freien Betten, keine Grenze, unter der man die Infektionsraten halten könnte. Wo medizinische Maßnahmen nicht vorliegen, bleibt die Wahl zwischen autoritärer Quarantäne mit Todesfolge für die am härtesten Betroffenen und, sehr viel wahrscheinlicher, eine rasche und gravierende Durchseuchung der Gesellschaften mit hohen Todesraten aufgrund fehlender Intensivpflege. Besonders betroffen sind hier Alte, Mangelernährte, HIV-Erkrankte. Hochgradig tödlich ist aber auch das Zusammentreffen von Corona mit Malaria, Typhus und anderen Tropenkrankheiten.
Die europäischen Staaten haben hier sämtlich an sich selbst gedacht, die Folgen für die eigene Wirtschaft abgewogen und die eigenen Krankenhausbettenzahlen hochgerechnet. Internationale Verpflichtung gegenüber den Staaten im Trikont wurde nicht diskutiert und fand nicht statt. Das Ergebnis können mehrere hundert Millionen Tote sein.
Die afrikanischen Gesellschaften kennen ihre Verwundbarkeit und sind dementsprechend in der „Panik“, die man in Deutschland „vermeiden“ wollte dadurch, dass man keine wirksamen Maßnahmen zu Beginn der Krise traf und technokratisch Maßnahmen dann plante, „wenn die Infektionsrate auf einem Höchststand“ ist.


Zusammenfassung:

Kurz: Man hatte in Deutschland, in Europa nie den Plan stark gemacht, die Ausbreitung zu stoppen und das Virus auszurotten. Die Gründe dafür sind unklar, deutlich ist, dass wirtschaftliche Erwägungen die größte Rolle spielten.
Ideologisch befindet man sich aber auf einer Ebene mit den antiwissenschaftlichen, eugenischen Durchseuchungsplänen der Niederlande und Finnlands und sucht lediglich einen weniger schlechten Kompromiss mit der selbsterzeugten Realität.
Was notwendig wäre: Eine Ethikkommission einzuberufen, die Fakten interdisziplinär zu verhandeln, der Virologie ihren Platz, aber auch nicht mehr, zuzugestehen, und einen Plan auszuarbeiten, wie das Virus auszurotten wäre.
Dieser Plan hätte als zentralsten Punkt zu beinhalten, wie erwartbare Katastrophensituationen im Trikont und in Flüchtlingslagern bewältigt werden sollen, die jetzt, sofort, heute vorbereitet werden müssen. Alles andere wäre ein Bekenntnis zum dezimillionenfachen Tod durch die Ansteckung afrikanischer Staaten durch europäisches laissez-faire im Umgang mit einer Infektionskrankheit. Der nationale Egoismus, der bisherige Strategien der Beschaffung von medizinischem Material kennzeichnet, muss vollständig überwunden und in internationale Solidarität verwandelt werden. Beatmungsgeräte müssen international nach Bevölkerungszahl und Infektionsrate verteilt werden, nicht nach Einkommen.

Bekämfung: Tests, Tests und Tests

Das Ende der Corona-Krise kann nur auf zwei Wegen geschehen:
1. Die massive Ausweitung der Testkapazitäten und die möglichst häufige Testung möglichst vieler, um die Quarantänemaßnahmen präziser zu dosieren. Ein Plan zur massiven Ausweitung der Testkapazitäten wird aber öffentlich nicht kommuniziert, die Hindernisse nicht adäquat benannt. Tests sind das Rückgrat der Epidemiebekämpfung. Medial sind Tests eine sideshow. Man macht sich über Leute lustig, die sich „ohne Grund“ testen wollen, verweist auf die begrenzte Zahl von Tests, ohne öffentlich zu rechtfertigen, warum Tests Mangelware sind und warum Personen mit Symptomen nur getestet werden, wenn sie auch Kontakt zu einer getesteten Person hatten.
2. Die andere Möglichkeit zur Eindämmung des Virus ist die Impfung. Impfungen aber sind invasiv, schwerfällig, dauern als globale Kampagne Jahre, die Risiken sind unklar. Nach derzeitigem Ausbreitungsstand wird eine Impfkampagne der Durchseuchung nicht mehr zuvorkommen.
Das unterstreicht zusätzlich die immense Bedeutung von Tests. Die Quarantänemaßnahmen sind nicht bis zu einer Impfung aufrechtzuerhalten. Tests liegen aber jetzt schon vor und können rascher ausgeweitet werden als Impfungen. Der Öffentlichkeit muss endlich ein Plan kommuniziert werden, mit welchen Mitteln welche Testfrequenz wann erreichbar sein wird. Dieser Plan hätte für den B-Waffen-Fall nach 9/11 oder für Epidemien nach SARS, Ebola und MERS längst erarbeitet sein müssen. Dass er Wochen nach dem Eintreten des Pandemiefalls noch nicht vorliegt, ist Staatsversagen.

Nachtrag

Herdenimmunität: Dieses Konzept taucht immer wieder auf. Herdenimmunität ist ein komplexes Phänomen mit vielen Faktoren, man beginnt bei anderen Krankheiten mit Tröpfcheninfektion mit Schätzungen von ca. 75% Immunität der Gesamtbevölkerung, um Herdenimmunität zu erreichen, realistischer sind Schätzungen ab 85% und für eine hochansteckende Krankheit wie Corona mit langer Inkubationszeit sollte man aus reiner Vorsicht eher von über 90% erforderlicher Immunität für das Erreichen von Herdenimmunität ausgehen, wenn man nicht sehr gute Gründe nennt. Daher wurde Boris Johnson auch in England von Wissenschaftlern bedrängt, seine Strategie aufzugeben, die leider in Finnland und Niederlanden noch wirksam scheint.

https://de.wikipedia.org/wiki/Herdenimmunit%C3%A4t#Einflussgr%C3%B6%C3%9Fen

Indigene Gesellschaften: Völlig unverantwortlich ist, dass in den Pandemie-Szenarien bisher indigene Gesellschaften nicht vorkommen. Corona kann in isolierteren Gesellschaften z.B. im Amazonas-Tiefland viel heftigere Konsequenzen haben und genozidale Auswirkungen haben. Einige indigene Gesellschaften sind für Impfkampagnen sehr schwer zu erreichen, dadurch vor einer Ansteckung besser geschützt, aber eben auch ohne jeden Zugang zu medizinischer Hilfe im Falle einer Einschleppung der Krankheit, die heute sehr wahrscheinlich ist.
Es kann auch zu genetisch bedingter Anfälligkeit bei endogamen und Inselgesellschaften kommen. Dazu fehlen schlicht die Informationen und es sind daher worst-case-Szenarien angebracht, die sich an historischen Erfahrungen orientieren.






Annexion? Restitution!

Frieden zwischen Israel und Palästina zu schaffen ist so etwas wie das Tabletop-Rollenspiel unreifer Diplomaten. Man setzt sich für Tage in einen Keller, Cola und Chips, schwelgt in wildesten Szenarien und erfindet Fantasietruppen, deren Stärken ausgewürfelt werden, um dann irgendwann herauszukommen mit dem Gefühl, etwas Großartiges geschafft zu haben. Nun stelle man sich vor, es würden Journalist*innen tagelang vor dem Keller warten, aufgeregt berichten, ob der Drachen mit 33 Stärke und 17 Magie den Greifen mit 17 Stärke und 33 Magie schlagen konnte, ob die Figuren von den Spielenden penibelst genug lackiert wurden, und alle kommentieren das als weltpolitisches Ereignis. Manche stänkern, die Spielenden würden nur von ihren aufgeschobenen Hausarbeiten ablenken wollen, andere halten das ganze Spiel für blöd, und wieder andere sind beleidigt, dass sie nicht mitspielen durften, alle sind sich aber einig, dass das Wohl und Wehe der Menschheit davon abhängt.

Jeder derart weltfremd erstellte Friedensplan für den Konflikt um das Westjordanland oder Judäa und Samaria hatte bislang mindestens einen Fehler: Er stellte die Forderungen Israels als Expansion dar. Tatsächlich gesteht Israel jedesmal ein Abrücken von einer historischen Position zu, das beispiellos in der Geschichte von staatlichen Grenzkonflikten ist.

Am 2.8.1914, einen Tag nach Ausbruch des ersten Weltkrieges durch deutsche Kriegsschuld, beschloss das osmanische Reich mit dem Deutsch-Türkischen Bündnisvertrag eine Wette einzugehen: Wenn es den bereits begonnenen Krieg an der Seite Deutschlands gewinnen würde, hätte es weitreichende Gebietsgewinne zu erwarten. Das osmanische Reich ging während des Krieges mit genozidaler Gewalt gegen Minderheiten vor, darunter den Genozid an bis zu 1,5 Millionen Armenier*innen. Es verlor die Wette auf Land und damit das zuletzt noch von deutschen, östereich-ungarischen und osmanischen Truppen verteidigte Palästina an die Briten. 1920 sah die San-Remo-Konferenz im United Kingdom (UK) den legitimen Rechtsnachfolger für das künftige Mandatsgebiet Palästina.

Das dünn besiedelte, von Sümpfen und Wüsten geprägte Stück Land mit mehrheitlich jüdischer Bevölkerung in Jerusalem und mehreren alten jüdischen Städten und Dörfern wurde bereits am 2.11.1917 in der Balfour-Deklaration den verfolgten Juden aus aller Welt als Heimstatt versprochen. Im Gegenzug unterstützten Juden das UK im Weltkrieg.

Zionistische Emmissionäre verhandelten aber auch mit den arabischen Nachfolgern des osmanischen Reiches. Am 3.1.1919 wurde auch das Faisal-Weizmann-Abkommen geschlossen: Der König von Irak und Syrien gab darin Palästina den Juden unter der Bedingung, dass die Autonomie der arabischen Staaten gewährleistet bliebe – durch die Aufteilung seines Hoheitsgebietes zwischen dem UK und Frankreich wurde der Vertrag zunichte gemacht.

Das Völkerbundmandat für Palästina stellte hingegen eine internationale Rechtsgrundlage her. Transjordanien wurde für einen weiteren arabischen Staat vorgesehen und als Jordanien gegründet, das übrige Land auf der anderen Seite des Jordans für einen jüdischen Staat ausgeschrieben, in dem andere Minderheiten gleiche bürgerliche religiöse Rechte verbrieft sein sollten.

Das war die Rechtsgrundlage vor dem Aufflammen ständiger Angriffe arabischer Freischärler und Terrorbanden, die sich in den 1920ern massiv verstärkten bis hin zu Pogromen, z.B. den Pogromen in Hebron. Als Reaktion auf den Terror und um die eigene Macht in der arabischen Welt zu stützen schlug sich Großbritannien schrittweise auf die Seite der arabischen Extremisten und entzog dem zionistischen Projekt mit der Peel-Kommission vom 7.7.1937 den geographischen Boden: Lediglich Nordisrael um den See Genezareth solle unter jüdische Souveränität gelangen, Jerusalem unter internationaler Verwaltung bleiben, der ganze Rest Organisationsbasis arabischer Terroristen bleiben dürfen, die fast täglich Übergriffe, Sabotage, Infiltrationen und Terrorakte auf jüdische Siedlungen unternahmen.

Mit dem MacDonald-Weißbuch von 1939 schließlich gaben die Briten vollständig ihre Unterstützung einer jüdischen Heimstatt auf und verpflichteten sich vertraglich, die Einwanderung von Juden drastisch zu beschränken: Auf insgesamt 75,000 in den kommenden fünf Jahren. In diesen fünf Jahren wurden in Europa sechs Millionen Juden ermordet. Das UK verhinderte in dieser Zeit das Ablegen und Anlanden von Flüchtlingsbooten, die Juden vor dem Holocaust retten sollten. Es wurde zum Komplizen des Holocaust.

Das UK versuchte zudem nach 1945 noch für mehr als zwei Jahre die Überlebenden des Holocaust mit aller Gewalt von einer Staatsgründung abzuhalten. Jüdische Widerstandskämpfer wurden unter anderem im Gefängnis von Akko inhaftiert und gehängt. Letztlich verloren die Briten den Kolonialkrieg gegen den jüdischen Aufstand moralisch. Israel unterzeichnete nun den armseligen Teilungsbeschluss der UN – die arabische Seite jedoch nicht, weshalb dieser Teilungsplan nie in Kraft trat. Stattdessen griffen die arabischen Staaten an und verloren. Dadurch wuchs Israels Staatgebiet mit jedem Angriff arabischer Staaten um kleinere Gebiete an, andere, wie den Sinai, gab es im Zuge von Verhandlungen wieder auf.

Das Westjordanland war nie Gegenteil dieser Verhandlungen. Von Jordanien wurde es 1948 besetzt und ethnisch gesäubert: Synagogen wurden angezündet, uralte jüdische Siedlungen wie Hebron verwüstet. Jordanien hat das Westjordanland formal am 24.4.1950 annektiert und keinen Palästinenserstaat darauf errichtet. Die Annexion wurde von den arabichen Staaten als illegal betrachtet und nicht anerkannt. Als Jordanien Folgekriege gegen Israel verlor, verlor es auch die Kontrolle über das Westjordanland.

Daher ist eine völlig legitime Lesart der Folge von Verträgen und der Kriegsschuld arabischer Staaten, dass das Westjordanland dem jüdischen Staat gehört.

Und daher kann nach dieser Lesart Netanyahus Regierung Judäa und Samaria, also das Westjordanland, auch nicht annektieren sondern nur historische Ansprüche geltend machen. Die Aufgabe von weiten Teilen Judäas und Samarias ist bereits eine Aufgabe historisch verbriefter Rechte. Diese Aufgabe erfolgt aus einem einzigen Grund: Weil der Staat Israel kein Interesse an einer vollständigen Annexion haben kann, solange eine bedeutende arabische Minderheit mit erheblichem Zuspruch zu terroristischen Organisationen auf diesem Gebiet lebt.

Die angekündigte „Annexion“ findet also nur auf den Teilen statt, die mehrheitlich jüdisch bewohnt sind, also den Siedlungen auf den Hügeln. Diese Siedlungen entlasten den Wohnungsmarkt im Großraum Tel-Aviv und Jerusalem erheblich. Durch die Welle antisemitischer Gewalt in den meisten westlichen Staaten ist ein weiterer Zustrom von fliehenden Juden wahrscheinlich und findet bereits statt. Israel muss daher bewohnbares Land schaffen und in gewissem Maße bevorraten. Siedlungen sind daher kein Projekt nur für ultraradikale Fundamentalisten: Alle Juden in Israel profitieren davon, ob sie links wählen oder rechts.

Geht man noch einmal einen Schritt zurück, kommt zu Verträgen und dem Druck durch Fluchtbewegungen ein weiterer Aspekt hinzu: 1948 griffen arabische Staaten Israel an. Sie führten aber auch eine Kampagne ethnischer Säuberungen durch, Terrorkampagnen und Diskriminierungen, die in den folgenden Jahren etwa 900,000 Juden aus den arabischen Staaten vertrieb. Diese Menschen wurden in aller Regel ihres Besitzes beraubt. Die Weltorganisation der Juden aus arabischen Staaten (WOJAC) schätzt die geraubte Landfläche auf das vierfache der Staatsfläche Israels.

Aus dieser Hinsicht ist es völlig legitim, bei der Eingliederung jüdischer Siedlungen in Judäa und Samaria von einer Teilwiedergutmachung zu sprechen, die weitere Ansprüche einer Entschädigung nicht ausschließt.
Natürlich haben Antizionist*innen recht, wenn sie eine weitergehende schleichende Annexion oder Diskriminierung des Westjordanlandes befürchten. Die Bewohner*innen des Westjordanlandes haben kein Interesse daran, in einem failed state neben Israel zu wohnen und viele ziehen ein Leben mit israelischen Bürgerrechten vor.

Die Autonomiebehörde hat ohnehin kein Interesse an einer komplexen Außengrenze mit Enklaven, die israelische Regierung hat ebenso kein Interesse daran, diese Grenzen aufwändig zu überwachen. Es wäre, das zeigt jeder Blick auf die Karte, von allen Seiten aus betrachtet rational, einen jüdischen Staat vom Jordan bis zum Mittelmeer zu schaffen, wie es einmal vorgesehen und völkerrechtlich verbindlich garantiert war. Einen Palästinenserstaat gibt es schließlich längst: Jordanien. Es könnte als Sitz einer Vertretung der nichtjüdischen arabischen Minderheit in Israel fungieren.

Wäre also eine Annexion des gesamten Judäa und Samaria möglich? Zunächst will Israel seine Funktion als jüdischer Staat bewahren. Wer nicht anerkennen kann, das Israel eine jüdische Bevölkerungsmehrheit braucht und ein jüdischer Staat sein muss, hat vom Existenzrecht Israels nichts verstanden. Es gäbe aber Methoden, unter Wahrung der Bürgerrechte und zivilisatorischer Standards auch in einem annektierten Westjordanland eine jüdische Mehrheit langfristig zu bewahren. Denkbar wäre ein langsamer Bevölkerungstransfer der nichtjüdischen Araber ausschließlich durch Anreize: Landverkäufe, subventioniert bevorzugt durch die in Kompensationspflicht gegenüber Israel stehenden arabischen Staaten, lukrative Auswanderungssstipendien durch die um die palästinensische Minderheit besorgte internationale Weltöffentlichkeit oder eben Aufklärung der arabischen Minderheit, Sicherung von Frauenrechten durch das israelische Gewaltmonopol und dadurch Senkung der Geburtenrate – eine Strategie die übrigens als international anerkannt für Entwicklungsländer gilt.

Das würde die jüdische Bevölkerungsmehrheit auch bei einer vollständigen Annexion Judäas und Samarias sicher stellen und dadurch langfristig dem Sicherheitsinteresse des jüdischen Staates Rechnung tragen und eine Rechtsgrundlage für im Staat verbleibende nichtjüdische Araber*innen schaffen. Eine vollständige Reintegration Judäas und Samarias in den israelischen Staat wäre für alle Seiten besser als alle Pläne, die Gebiete nach der Zugehörigkeit der Einwohner aufteilen.

Der Konflikt lässt sich lösen – wenn das Sicherheitsinteresse Israels priorisiert wird, die Kriegsschuld der arabischen Milizen und Staaten anerkannt wird und nach einem international verbrieften Aus für ein „Rückkehrrecht“ für die exilierten Araber*innen in Libanon, Syrien, Jordanien und andernorts endlich Menschenrechte durchgesetzt werden, wie sie für die nichtjüdische arabische Minderheit in Israel selbstverständlich sind.

Eine solche Lesart der Geschichte jedoch, die Konfliktgegenstände analysiert und legitime von illegitimen Ansprüchen trennt, gilt im öffentlichen Diskurs als unsagbar, ultraradikal, menschenfeindlich, nicht weil sie tatsächlich in Gewalt mündete, sondern weil der jüdische Staat beteiligt ist. Dabei werden ähnliche Teilungsprozesse, Restitutionen und Grenzkonflikte in anderen Staaten, etwa Sudan, Taiwan, Antarktis, Kaschmir in der internationalen Presse völlig emotionsfrei verhandelt. Wenn ein internationales Schiedsgericht Kaschmir morgen Indien oder Pakistan zuschlägt, wäre das in der westlichen Welt keine Demonstration wert.

Und so ist es einfach nur Antisemitismus, wenn selbst nach dem von allem Revisionismus weit entfernten Zugeständnis des nun auf den Tisch gelegten Teilungsplans alle Zeitungskommentare von einem Betrug sprechen – einem Betrug Israels an Palästinensern. Diese werden jedoch zuallererst von der Forderung nach einem „Rückkehrrecht“ und von der irrsinnigen Vorstellung eines judenreinen islamischen Palästina vom Jordan bis zum Meer um eine menschenwürdige Existenz und Rechtssicherheit betrogen. Die eigentliche Überraschung ist, dass Saudi-Arabien, Ägypten, Qatar und die V.E.R. dem Teilungsplan zustimmten, während das Gros der westlichen Presse ihn rigoros ablehnt. Das belegt, dass der cultural lag in Sachen Antisemitismus eher im Westen zu verorten ist als in den reaktionären Diktaturen der arabischen Welt.


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Nachtrag:
Ich wurde gefragt, wie eine solche Umsiedelung aussehen könnte. Es gibt leider Negativbeispiele, die wurden weltweit jedoch ohne größere Proteste der internationalen Staatengemeinschaft akzeptiert:

https://www.amnesty.ch/de/ueber-amnesty/publikationen/magazin-amnesty/2008-1/drei-schluchten-staudamm-zwangsumsiedlung-china

In Nigeria, Südamerika, Indien und Asien werden zahllose Städte für mehrere Millionen Menschen geplant und gebaut. Im Zuge des Klimawandels wird sich dieser Trend verschärfen. Solche „planned cities“ sollen durch positive Anreize Menschen anlocken, was auch in aller Regel funktioniert. In China jedoch werden Bauern auch von ihrem Land vergrämt, um zu groß geplante, leer stehende Städte zu füllen und an Land zu gelangen. Eine gut geplante Millionenstadt mit Vorzugsregelungen für Palästinenser westlich des Jordans ließe sich ohne weiteres realisieren, Freizügigkeit vorausgesetzt. Saudi-Arabien plant aktuell die grenzübergreifende Stadt Neom an der jordanischen Grenze.

https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_megaprojects#Planned_cities_and_urban_renewal_projects

Ein weiterer Weg zur friedlichen Auswanderung von Palästinensern aus dem Westjordanland/Judäa und Samaria wäre die Verteilung von dauerhaften Arbeitsvisa und Staatsbürgerschaften für Kanada, USA und Europa. Auch dies ist kein unbekannter Vorgang. Entlang der Mittelmeerküste verwaisten viele Dörfer im Zuge der Arbeitsmigration nach Norden, die zunächst durch sogenannte „Gastarbeiterregelungen“ und dann durch die EU ermöglicht wurde.

Das grundsätzliche Problem bei einem friedlichen Bevölkerungstransfer ist nicht, dass dies unbekannt wäre oder international nicht toleriert würde, sondern dass besondere völkische Maßstäbe an Palästinenser angelegt werden, die zum einen der Propaganda der Fatah und der Hamas entnommen sind, zum Anderen der Realität vor Ort und dem Willen zum Weltbürgertum gerade unter Jugendlichen im Westjordanland nicht entsprechen. Diese völkischen Maßstäbe werden dann auf Juden projiziert in der Frage, warum Juden eine Majorität in Israel brauchen. Die Antwort darauf ist einfach: aus objektiv gerechtfertigtem Sicherheitsbedürfnis. Die Frage müsste lauten, warum nichtjüdische Araber eine Majorität im Westjordanland brauchen, warum die Fatah ihnen den Verkauf ihres Landes bei Todesstrafe verbieten muss. Eine Umfrage im Westjordanland könnte die statistischen Details leicht klären: Wer möchte zu welchen Bedingungen weg?



Hufeisen zerstören in sechs Sätzen

Es gibt gute, schlechte und böse Linke.
Es gibt keine guten Nazis.

Gute Linke tragen diese Gesellschaft, leisten den Löwenanteil des Ehrenamtes im prekären Bereich, bringen die Liberalisierung der Gesellschaft voran, helfen Menschen mit Behinderungen, Drogensüchtigen, Obdachlosen, alleinerziehenden Müttern, organisieren Streiks, bekämpfen Nazis.
Schlechte Linke tun so, als würden sie das machen, slacken aber rum und lesen nur noch Hegel.
Böse Linke sind Antisemiten oder wollen alle Menschen zu Kleinbauern machen und finden Pol Pot/Mao/Stalin/Hoxha/Arafat waren tolle Typen.

Nazis sind noch schlimmer als böse Linke.

Der Erfolg des Antisemitismus in der American Anthropological Association (AAA)

Ich mache hier das Flugblatt zum Erfolg der BDS-Bewegung in der American Anthropological Association und den Antragstext meines Antrages zur DGV-Tagung 2017 öffentlich zugänglich:

Ethnologie_BDS

Da die Vorgänge über Jahre hinweg zu keinerlei Reaktion von Seiten der deutschen Ethnologie führten, habe ich als nicht institutionell eingebundener, freiberuflicher Ethnologe folgenden Antrag bei der DGV-Tagung 2017 in Berlin gestellt. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt:

Antrag: „Verurteilung der antiisraelischen Agitation in der American Anthropological Association“

Auf der Mitgliederversammlung (2017) der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde soll folgende Resolution beschlossen werden:
Die Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (DGV) verlautbart große Sorge über die anhaltenden Forderungen nach der Ausgrenzung von israelischen akademischen Institutionen durch einen großen Teil der Mitglieder der AAA. Die Mitgliederversammlung fordert Vorstand und Mitglieder der AAA auf, wissenschaftliche und wissenschaftsethische Standards in der geschichtswissenschaftlichen und konfliktethnologischen Forschung einzuhalten, die in dem „Task-Force“-Bericht über Israel verletzt werden. Die DGV bekennt sich zu ihrer Verpflichtung zu Kooperation und solidarischen Unterstützung israelischer akademischer Institutionen gerade auch dort, wo deren Forschungen an der militärischen Selbstverteidigung gegen die ständige existentielle Bedrohung der Einwohner Israels durch islamistische Guerillas und Regimes teilhaben.

Begründung:

Mehr als 1100 Ethnologen haben online die Forderung nach einem Boykott Israels unterzeichnet.[1] Als Reaktion darauf erschien am 1.10.2015 im Auftrag der AAA der „Report to the Executive Board – The Task Force on AAA Engagement on Israel-Palestine“[2]. Der Bericht entstand auf Grundlage von 120 Interviews[3], davon wurden in Israel und dem Westjordanland 100 binnen 10 Tagen im Mai 2015 aufgenommen.
Der Bericht enthält keine wissenschaftlichen Standards entsprechende konfliktethnologische Ursachenanalyse. Er stellt die israelische Politik als einziges Hindernis akademischer Freiheit im Westjordanland und Gaza dar, Einschränkungen des israelischen und palästinensischen Universitätsbetriebes durch den Terror von Hamas, Fatah und PFLP bleiben unberücksichtigt. Der Antisemitismus von Fatah, Hamas und PFLP, den größten organisierten Gruppen, wird nicht als Konfliktursache erwähnt. Polizeiliche Restriktionen infolge des alltäglichen Terrorismus erscheinen als böse Absicht eines israelischen „settler-colonialism“. Die Funktion Israels als jüdischer Staat beinhaltet jedoch nicht die zwangsläufige Diskriminierung anderer Nationalitäten im Inland, sondern im Gegensatz dazu die Verpflichtung zur Integration von Jüdinnen und Juden jedweder Nationalität, und damit eine über andere Nationalstaaten hinausgehende Offenheit. Die Bewegung zur Schaffung einer jüdischen Heimstatt, der Zionismus, ist Reaktion auf zwei Jahrtausende der Diskriminierung und Pogrome. Sie kann keiner ernsthaften konfliktethnologischen Analyse sinnhaft mit dem Kolonialrassismus (Apartheid, Siedlerkolonialismus) gleichgesetzt werden, wie das der Task-Force Bericht der AAA zugrundelegt.
Die Quellenauswahl ist stark gefärbt und berücksichtigt weder wissenschaftliche Standardwerke zum Konflikt noch die Position der israelischen Konfliktpartei. An drei Stellen wird die israelische Politik mit den Methoden der Nationalsozialisten gleichgesetzt.[4] Es wird zudem fälschlich unterstellt, das palästinensische Territorium sei um „90%“ gesunken.[5] Es fehlt schlussendlich eine Einordnung der Verhältnismäßigkeit eines Boykotts akademischer Institutionen. Sobald dieses Mittel etabliert wird, ist jede Forschung einer erfolgreichen kollektivierenden Boykottkampagne ausgesetzt (z.B. als Mittel gegen Diktaturen, der land-grab, die Gefängniskultur in den USA, die Flüchtlingspolitik der EU, den Raubbau im Trikont). Der Fokus auf den ohne eigenes Risiko auszugrenzenden Kleinstaat Israel dient zur Projektion von größeren Problemen unter anderem in den USA und Europa.

Als Reaktion auf den Bericht hat am 20.11.2015 eine Versammlung der AAA einen Boykott israelischer akademischer Institutionen mit einer Stimmenmehrheit von 1040-136 gefordert. Die Resolution wurde in einer Urwahl bis zum am 31.5.2016 knapp abgelehnt mit 2,423 zu 2,384 Stimmen. Die Führung der AAA hat dennoch eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, die im Sinne der Resolution von der israelischen Politik unverhältnismäßige Maßnahmen (etwa den Abbau von Checkpoints und Sicherheitsmaßnahmen) fordern.[6]

Die DGV hat eine dreifache Verantwortung, sich öffentlich gegen jeden Ruf nach einem Boykott Israels auszusprechen. Sie ist erstens an der Wahrung wissenschaftlicher Standards interessiert, die durch die kritiklose Annahme des Task-Force-Berichts durch die AAA verletzt wurden. Sie ist zweitens aus grundlegenden ethischen Gründen zur Solidarität mit dem jüdischen Staat gegen eine genozidale Bedrohung durch islamistische Bewegungen verpflichtet. Sie steht drittens als deutsche Ethnologie in besonderer Verantwortung, gegen aktuelle und künftige Bedrohungen des jüdischen Staates durch den modernisierten Antisemitismus Stellung zu beziehen.

 

 

[1] https://anthroboycott.wordpress.com/signatories/.

[2] Perez, Ramona/Besnier,  Niko/Clarkin, Patrick et alii 2015: Report to the Executive Board. The Task-Force on AAA-Engagement on Israel-Palestine. Via:  http://s3.amazonaws.com/rdcms-aaa/files/production/public/FileDownloads/151001-AAA-Task-Force-Israel-Palestine.pdf.

[3] Task-Force-Report: 5.

[4] „creating a system of oppression with echoes of the very system they had managed to escape.“ Task-Force-Report: 71.
„Israelis have their own powerful claims to victimhood and the irony of a situation in which they have recreated some of the same forms of victimization to which they were subjected.“ Task-Force-Report: 15.
„Concentration Camp“. Task-Force-Report: 18.

[5] „Palästinian Territory has shrunk by about 90%.“ Task-Force-Report: 15.

 

[6] S. Waterston, Alisse 24.6.2016: http://www.americananthro.org/ParticipateAndAdvocate/AdvocacyDetail.aspx?ItemNumber=20835&navItemNumber=592-

Arbeitsbedingungen in der Ethnologie

Als Handreichung für Studierende und Nachwuchswissenschaftler mache ich diesen Text zugänglich:

Arbeitsbedingungen in der Ethnologie.pdf

 

Zur Kontextualisierung: Die folgenden, von mir eingebrachten Anträge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Ethnologie wurden von der Mitgliederversammlung der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde 2017 abgelehnt. Hier die ungekürzten Antragstexte:

 

Antrag: „Öffentliche Forderung nach einer Sonderstellung für ethnologische Forschungen“

Auf der Mitgliederversammlung (2017) der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde soll folgende Resolution beschlossen werden:

Die Mitgliederversammlung der DGV fordert private und öffentliche Institutionen zur Wissenschaftsfinanzierung (Deutsche Forschungsgesellschaft, Parteienstiftungen, Volkswagenstiftung, etc.) öffentlich auf,

  1. die Qualität ethnologischer Forschungen durch Anerkennung der besonderen Voraussetzungen sicher zu stellen und bei Promotionsforschungen pauschal den spezifischen Mehraufwand von ethnologischen Forschungen mit mindestens einem zusätzlichen Jahr Literaturrecherche und
  2. mindestens einem zusätzlichen Jahr Feldforschungsstipendien zu gewährleisten;
  3. sowie die Förderungsdauer für Promotionen auf mindestens 5,5 Jahre, die durchschnittliche Dauer geisteswissenschaftlicher Promotionen, anzuheben.

Begründung: Ethnographische Forschungen erfordern im Durchschnitt ein höheres Maß an Vorbereitung als Forschungen im Durchschnitt der anderen Fächer. Der Erwerb einer fremden Sprache wird allgemein mit zwei Jahren veranschlagt. In Regionen mit überlappenden Sprachen ohne linguistisches Grundlagenwerk oder mit komplexer Schrift wird der Spracherwerb zusätzlich erschwert. Die gründliche Kenntnis einer Region und Gesellschaft sind unabdingbar, um vorschnelle Urteile und falsche Handlungsanweisungen zu vermeiden. Das Einlesen in eine fremde Landes- und Regionalgeschichte erfordert zusätzliche Akribie, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Die Multifaktorialität insbesondere von konfliktanthropologischen Themen erfordert eine sehr gute Kenntnis allgemeiner theoretischer Grundlagen und lokal- und themenspezifisch Fachwissen in Philosophie, Psychologie, Ökologie, Medizin. Der für die Ethnologie charakteristische Dialog zwischen  Mikro- und Makroebene kann nicht annähernd mit geisteswissenschaftlichen Arbeiten in eigener Sprache und im eigenen Land verglichen werden. Feldforschung entfernt zudem von Netzwerken, Tagungen, Institutskultur. Gerade deshalb muss eine längerfristige Sicherheit für ethnologische Promotionsforschungen gewährleistet sein.

 

Antrag: „Schaffung eines humanitären Budgets für ethnologische Forschungen in prekären Verhältnissen“

Die Mitgliederversammlung (2017) der DGV fordert die DFG und vergleichbare Forschungsinstitutionen öffentlich auf, ein humanitäres Budget für Forschungen in prekären Verhältnissen bereit zu stellen, das auch nach der Forschung und nach einem Ende des Beschäftigungsverhältnisses abrufbar bleibt.

Begründung: Für Forschende aus Industrieländern bedeutet das Leben in einer Gesellschaft mit einer um bis zu 30 Jahren verringerter Lebenserwartung eine Vielzahl von existentiellen Entscheidungen. Wo das Überleben von SchlüsselinformantInnen nicht gesichert ist und staatliche Institutionen auf absehbare Zeit versagen wird den Forschenden aufgebürdet, zwischen dem wahrscheinlichen Tod und Krankheit von Informanten und der eigenständigen Übernahme der Kosten von Krankenhausaufenthalten und Nahrung zu wählen. Diese Situation zwingt Forschende entweder in eine altruistische, selbstschädigende oder in eine zynische Position.
Die DGV setzt einen Ausschuss ein, der einen Richtwert für ein abrufbares humanitäres Budget ermittelt. Dafür müssen Forschungsgegenstand und Region einer spezifischen Prüfung unterzogen werden. Ein Teil des Budgets soll langfristig verfügbar sein: Ethnographie erlaubt keine Forschung im Anonymen, sondern beruht auf der Bildung langfristiger sozialer Bande mit den ForschungspartnerInnen, deren spätere Krisen auch nach Ende der Feldforschung noch Dringlichkeit haben und deren Verantwortung direkte Folge der Forschung ist.

 

Antrag: „Ermittlung und Anerkennung von Berufskrankheiten und Berufsrisiken von EthnologInnen.“

Die Mitgliederversammlung (2017) der DGV beschließt:

Die DGV ruft EthnologInnen öffentlich dazu auf, Daten und Schriften zu übermitteln, die einen Rückschluss auf Todesursachen und berufsgefährdende Erkrankungen unter EthnologInnen ermöglichen. Die Daten werden einer vom DGV-Vorstand zu ermittelnden medizinischen Forschungsgruppe übermittelt. Sie soll insbesondere das Risiko von EthnologInnen ermitteln, durch die Feldforschung an Hautkrebs, Tropenerkrankungen, Schädigung durch Umweltgifte und Unfälle, Traumatisierung und psychische Beeinträchtigung geschädigt oder getötet zu werden. Das Ergebnis soll Grundlage für eine Anerkennung von spezifischen Berufskrankheiten von Ethnologen bilden und zur künftigen Ermessung einer Risikozulage für ethnologische Forschungen dienen.