Arbeitsbedingungen in der Ethnologie

Als Handreichung für Studierende und Nachwuchswissenschaftler mache ich diesen Text zugänglich:

Arbeitsbedingungen in der Ethnologie.pdf

 

Zur Kontextualisierung: Die folgenden, von mir eingebrachten Anträge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Ethnologie wurden von der Mitgliederversammlung der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde 2017 abgelehnt. Hier die ungekürzten Antragstexte:

 

Antrag: „Öffentliche Forderung nach einer Sonderstellung für ethnologische Forschungen“

Auf der Mitgliederversammlung (2017) der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde soll folgende Resolution beschlossen werden:

Die Mitgliederversammlung der DGV fordert private und öffentliche Institutionen zur Wissenschaftsfinanzierung (Deutsche Forschungsgesellschaft, Parteienstiftungen, Volkswagenstiftung, etc.) öffentlich auf,

  1. die Qualität ethnologischer Forschungen durch Anerkennung der besonderen Voraussetzungen sicher zu stellen und bei Promotionsforschungen pauschal den spezifischen Mehraufwand von ethnologischen Forschungen mit mindestens einem zusätzlichen Jahr Literaturrecherche und
  2. mindestens einem zusätzlichen Jahr Feldforschungsstipendien zu gewährleisten;
  3. sowie die Förderungsdauer für Promotionen auf mindestens 5,5 Jahre, die durchschnittliche Dauer geisteswissenschaftlicher Promotionen, anzuheben.

Begründung: Ethnographische Forschungen erfordern im Durchschnitt ein höheres Maß an Vorbereitung als Forschungen im Durchschnitt der anderen Fächer. Der Erwerb einer fremden Sprache wird allgemein mit zwei Jahren veranschlagt. In Regionen mit überlappenden Sprachen ohne linguistisches Grundlagenwerk oder mit komplexer Schrift wird der Spracherwerb zusätzlich erschwert. Die gründliche Kenntnis einer Region und Gesellschaft sind unabdingbar, um vorschnelle Urteile und falsche Handlungsanweisungen zu vermeiden. Das Einlesen in eine fremde Landes- und Regionalgeschichte erfordert zusätzliche Akribie, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Die Multifaktorialität insbesondere von konfliktanthropologischen Themen erfordert eine sehr gute Kenntnis allgemeiner theoretischer Grundlagen und lokal- und themenspezifisch Fachwissen in Philosophie, Psychologie, Ökologie, Medizin. Der für die Ethnologie charakteristische Dialog zwischen  Mikro- und Makroebene kann nicht annähernd mit geisteswissenschaftlichen Arbeiten in eigener Sprache und im eigenen Land verglichen werden. Feldforschung entfernt zudem von Netzwerken, Tagungen, Institutskultur. Gerade deshalb muss eine längerfristige Sicherheit für ethnologische Promotionsforschungen gewährleistet sein.

 

Antrag: „Schaffung eines humanitären Budgets für ethnologische Forschungen in prekären Verhältnissen“

Die Mitgliederversammlung (2017) der DGV fordert die DFG und vergleichbare Forschungsinstitutionen öffentlich auf, ein humanitäres Budget für Forschungen in prekären Verhältnissen bereit zu stellen, das auch nach der Forschung und nach einem Ende des Beschäftigungsverhältnisses abrufbar bleibt.

Begründung: Für Forschende aus Industrieländern bedeutet das Leben in einer Gesellschaft mit einer um bis zu 30 Jahren verringerter Lebenserwartung eine Vielzahl von existentiellen Entscheidungen. Wo das Überleben von SchlüsselinformantInnen nicht gesichert ist und staatliche Institutionen auf absehbare Zeit versagen wird den Forschenden aufgebürdet, zwischen dem wahrscheinlichen Tod und Krankheit von Informanten und der eigenständigen Übernahme der Kosten von Krankenhausaufenthalten und Nahrung zu wählen. Diese Situation zwingt Forschende entweder in eine altruistische, selbstschädigende oder in eine zynische Position.
Die DGV setzt einen Ausschuss ein, der einen Richtwert für ein abrufbares humanitäres Budget ermittelt. Dafür müssen Forschungsgegenstand und Region einer spezifischen Prüfung unterzogen werden. Ein Teil des Budgets soll langfristig verfügbar sein: Ethnographie erlaubt keine Forschung im Anonymen, sondern beruht auf der Bildung langfristiger sozialer Bande mit den ForschungspartnerInnen, deren spätere Krisen auch nach Ende der Feldforschung noch Dringlichkeit haben und deren Verantwortung direkte Folge der Forschung ist.

 

Antrag: „Ermittlung und Anerkennung von Berufskrankheiten und Berufsrisiken von EthnologInnen.“

Die Mitgliederversammlung (2017) der DGV beschließt:

Die DGV ruft EthnologInnen öffentlich dazu auf, Daten und Schriften zu übermitteln, die einen Rückschluss auf Todesursachen und berufsgefährdende Erkrankungen unter EthnologInnen ermöglichen. Die Daten werden einer vom DGV-Vorstand zu ermittelnden medizinischen Forschungsgruppe übermittelt. Sie soll insbesondere das Risiko von EthnologInnen ermitteln, durch die Feldforschung an Hautkrebs, Tropenerkrankungen, Schädigung durch Umweltgifte und Unfälle, Traumatisierung und psychische Beeinträchtigung geschädigt oder getötet zu werden. Das Ergebnis soll Grundlage für eine Anerkennung von spezifischen Berufskrankheiten von Ethnologen bilden und zur künftigen Ermessung einer Risikozulage für ethnologische Forschungen dienen.

Veranstaltungshinweise

Mittwoch, 7.11., Mainz: „Psychoanalyse in der ethnologischen Methodologie.“

https://www.facebook.com/events/389070674968050/

Donnerstag, 8.11., Stuttgart: „Antirassismus – Notwendigkeit, Misere, Feindbild.“

Antirassismus – Notwendigkeit, Misere, Feindbild

Mittwoch, 21.11., Bamberg: „Okkulte Ökonomien: Hexereivorstellungen, Cargo-Kulte und der Antisemitismus.“

https://www.facebook.com/events/1479973422136329/

Donnerstag, 22.11., Berlin: „Antirassismus. Notwendigkeit, Misere, Feindbild.“

https://www.facebook.com/events/1996338160453685/

Freitag, 23.11., Pirna: „Psychologie des Antisemitismus.“
Samstag, 24.11., Pirna: „Psychologie des Djihadismus.“

 

Querfront im Wasserglas

Am 17. August 2017 wurden von einem djihadistischen Attentäter in Barcelona 15 Menschen ermordet und 118 verletzt. Bei der Flucht tötete die Terrorzelle eine weitere Frau und verletze sieben Menschen.

Einen Tag später demonstrierten in Las Ramblas, Barcelona, Anhänger der rechtsextremen Partei „Democracia nacional“ (die unter anderem mit dem Schlagwort „Schwulenlobby“ gegen Homosexuelle hetzt), offen als solche erkennbare Neonazis, Faschisten der „La Falange“ und Identitäre gegen die „Islamisierung Europas“. Filme von vorherigen Aktionen und Demonstrationen (1, 2, 3) belegen, dass es sich hier nicht um eine spontane Unmutsbekundung handelte, sondern um eine gut organisierte Klientel, die den deutschen „autonomen Nationalisten“ und den „Hooligans gegen Salafismus“ entspricht und gern den faschistischen Gruß mit beiden Armen praktiziert.
Eine große Anzahl Gegendemonstranten, die sich unter dem Motto „Kein Terror, keine Islamphobie“ versammelt hatten, erkannte in dieser Gruppe die zugrundeliegende Gesinnung und blockierte deren Demonstration.

Am 18.8.2017 kommentierte eine Internetnutzerin aus Norddeutschland die Gegendemonstrationen:

„Die antifaschistische Zivilgesellschaft Barcelonas lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Mörder von La Rambla nicht nur nicht als Hauptfeind, sondern als Bündnispartner gegen Rechts betrachtet. Mir ist nicht sehr wohl bei dem Gedanken, dass dieses Katalonien demnächst ein neuer (postnationaler Un-)Staat in Europa werden könnte.“

Dazu schreibt Tjark Kunstreich:

Wie Joel Naber schon in einem anderen Thread zum gleichen Thema sagte: Wo ist die Barbarei je ohne Querfront besiegt worden – sowohl die Résistance als auch die Alliierten waren der politischen Logik der Linken zur Folge nichts anderes. Ich habe die Schnauze so voll von diesen indentitären Linken, die wissen, wo es lang geht, aber sich die Finger keinesfalls schmutzig machen wollen. Sie haben nicht begriffen, worum es geht.

Der Beitrag wurde unter anderem geliked von Dieter Sturm und Joel Naber, beide keine Unbekannten in der sogenannten Szene.

Kunstreich verdrängt zunächst die Geschichte des Begriffes Querfront. Das, was Querfront genannt wurde, ging historisch eher von der Rechten aus, die versuchte, die ärmeren Bevölkerungsschichten mit der Imagination einer Revolution zu ködern. Politisch real wurde die Querfront zuerst als Bündnis von nationalistischen Sozialisten mit rechten Antisemiten. Diese Querfront wurde unter dem Namen „Nationalsozialisten“ erfolgreich. Zur Erinnerung: Die „linken“ Elemente in der NSDAP um Röhm wurden mit dem „Röhm-Putsch“ eliminiert.
Querfront als faschistische Revolutionsmystik ist für den Nazismus überhaupt nichts außergewöhnliches, sondern die Regel – ansonsten wäre er Konservativismus ohne jeden revolutionären Gestus. Daher entstehen seit einigen Jahrzehnten Autonome Nationalisten, die Habitus und Parolen der Linksautonomen kopieren. Man sollte also gegen Kunstreich einwenden: Was an der Idee Querfront ist nicht dieser „Barbarei“, wie man den NS heute so gern verniedlichend nennt, verpflichtet? Wann gab es je eine Querfront GEGEN den Nationalsozialismus, der DIE Querfront schlechthin war?

Dass Kunstreich die demonstrierenden Nazis ausgerechnet mit Alliierten und der Resistance in eins setzt (das Gleiche aber den „Linken“ unterstellt), zeugt von einem Bedürfnis nach Verharmlosung. Er suggeriert nicht nur einen Notstand, in dem der Rechtsstaat nicht mehr funktioniere und keine andere Wahl mehr bleibe als ausgerechnet das Bündnis mit Nazis, um Schlimmeres abzuwehren. Er täuscht auch vor, und das ist vielleicht noch schlimmer, dass das verbale Bündnis einer bedeutungslosen Gruppe von Internetkonsumenten mit diesem flaggenschwenkenden Grüppchen Nazis tatsächlich irgend wirksam gegen den Islamismus würde.

Aus der realen Geschichte, auf die er sich beruft, wird Kitsch. Mussten sich linke Antifaschisten historisch tatsächlich in Kriegszuständen mit konservativen und monarchistischen Kräften verbünden, wie in Italien, so geschah dies in einem Krieg gegen das größere Übel, den deutschen Faschismus. Wer sich hingegen mit Faschisten verbündete, hat den Faschismus gefördert, nicht den Kampf dagegen. Wer glaubt, sich gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ oder gegen Terrorattentate mit Identitären und Nazis gemein machen zu müssen, ist schon bereit dazu, alle Freiheit aufzugeben, die Djihadisten angreifen.

Dass Terrorismus und Gewalt auch Kunstreich nicht fremd sind, bezeugt sein Lamento über Linke, die sich „die Hände nicht schmutzig machen wollen“. Seine neu erwählten BündnispartnerInnen von der Democrazia nacional und Konsorten wissen, wie man sich die Hände schmutzig macht: Mit faschistischen Grüßen, Maschinengewehren auf den T-Shirts, der ganz praktischen Verfolgung von Homosexuellen und Flüchtlingen. All das wird den Islamismus in Pakistan, Bangladesch, Indonesien, Irak, Syrien, Saudi-Arabien, Iran, Mali oder dem Maghreb in keinster Weise eindämmen. Der ins Riesenhafte projizierte Notstand („worum es geht“) ist nicht Ursache einer gefälschten Wahrnehmung, sondern Konsequenz der Verlockung, die der vom Notstand angeblich erzwungene „Schmutz“, also das Bündnis mit der gewalttätigen Autorität, ausübt. Nicht Angst, sondern Lust liegt solchen Äußerungen zugrunde.

N-Wörter

Während eines Vortrags über Rassismus in Leipzig meldete sich eine Frau mit dunkler Hautfarbe und beschwert sich, dass ich das N-Wort so häufig verwenden würde. Ich solle das doch nicht tun, es würde ihr so wehtun.
Obwohl ich diesen Moment gut vorbereitet glaubte, versagen mir die Instrumente, die ich mir bereit gelegt zu haben glaubte. Ich erwiderte etwas forsch, dass es mir leidtue, ich zitierte eben und im Zitat hielte ich es für notwendig, die gewaltförmige Sprache nicht zu glossieren. Acht anwesende Menschen mit dunkler Hautfarbe verließen aus Protest geschlossen den Saal, gefolgt von einigen Weißen. Das betrachte ich auch als mein Scheitern, weil es nicht oder nicht nur kalkulierte Eskalation war. Da ich vorab vor „Störungen“ gewarnt wurde, habe ich den Modus der Abwehr im Nachhinein zu früh beschritten.

Eine angemessene Strategie wäre gewesen, die Person ernster zu nehmen und sie aufzufordern, darüber zu sprechen: etwa wie häufig ihr das Wort pejorativ im Alltag begegnet oder was sie selbst vorschlägt um mit Zitaten umzugehen. Und ihr dann zu versichern, dass ich das Wort nicht verwende, um sie zu ärgern, sondern um ein Publikum in ihrem Sinne gegen dessen künftige Verwendung im Alltag zu impfen.
Eine andere, konfrontative, Strategie wäre die Gegenfrage gewesen, warum ihr die Verwendung des Wortes „Neger“ im Zitat mehr Schmerzen bereitet als die davor erfolgte Darstellung der Ermordung und Versklavung von Millionen Menschen aus Afrika im Zuge der Sklaverei.

Sicher aber wäre es hilfreich gewesen, meine eigenen Regeln, nach denen ich das Wort verwende, ausführlicher zu erläutern, was ich hiermit nachhole und künftig vor den Vortrag schalte, um etwaige Missverständnisse zu vermeiden.

1. ich zitiere das ganze Wort (und sage nicht „N-Wort“), um den in der Literatur nicht unwesentlichen Unterschied zwischen den Begriffen „Neger“ und „Nigger“ deutlich zu machen. Wenn Marx etwa in öffentlichen Texten das seinerzeits und bis in die 1950-er Jahre politisch korrekte Wort „Neger“ (engl. „Negro“) verwendet, aber in Briefen über den „jüdischen Nigger Lasalle“ herzieht, dann reicht „N-Wort“ nicht hin, um den Unterschied (und den Absturz) sichtbar zu machen. Ebenso verhält es sich mit Literatur generell.

2. mit revisionistischen Versuchen, das Wort „Neger“ wieder zu etablieren oder sich für Zensuren durch die ostentative Verwendung etwa durch Tarnzitate zu rächen habe ich nichts gemein. Die affirmative Verwendung des Wortes „Neger“ zur Bezeichnung von Menschen mit dunkler Hautfarbe lehne ich ab und verwende, auch wenn ich den Begriff für schlecht halte, das gesellschaftlich akzeptierte Wort „Schwarze“ oder „Menschen mit dunkler Hautfarbe“ dort, wo Hautfarbe tatsächlich relevant ist.

3. In einem Vortrag über Rassismus geht es unter anderem gerade darum, das Wort „Neger“ in seiner Geschichtlichkeit etwa in Kinderbüchern darzustellen. Die Kritik daran muss die Verwendungen benennen – oder sie verharmlost und schönt. Ebenso verhält es sich mit dem humanistischen Realismus Mark Twains in „Huckleberry Finn“ und „Tom Sawyer“, der darauf angewiesen ist, das Wort „Nigger“ in der Alltagssprache abzubilden – alles Andere wäre eine Verharmlosung des literarisch dargestellten rassistischen Systems. Ein Gewaltverhältnis lässt sich nicht kritisieren, indem ein entscheidendes Moment darin, sprachliche Zurichtung, ex post verborgen wird. Über Antisemitismus aufzuklären, aber Zuschauer vor Goebbels Hetzreden, Bildern von antisemitischen Karikaturen oder von Leichenbergen zu schonen, ist ebensowenig möglich, wie über Rassismus aufzuklären ohne die Wörter „Neger“ und „Nigger“ zu zitieren.

4. Die Zensur des affirmativ verwendeten Wortes „Neger“ und entsprechender rassistischer Passagen aus Kinderbüchern kann ich nur begrüßen. Bei Bedarf historisch-kritische Editionen zu suchen kann Erwachsenen zugemutet werden. Kindern kann hingegen nicht von vornherein eine kritische Lektüre abverlangt werden. Vollends schief steht der scheinbar nach Authentizität verlangende Protest gegen die Zensur, weil umgearbeitete, kindgerechte oder um Gewalt und Sexualität verkürzte Versionen von Märchen und Erzählungen gang und gebe sind.

Kalkulierte Eskalationen

„Beim EU-Gipfel in Brüssel hatten sich die Teilnehmer darauf verständigt, die mögliche Einrichtung von Aufnahmelagern in Drittstaaten beispielsweise in Nordafrika zu prüfen. Dorthin sollten Migranten zurückgebracht werden, die versucht hatten, über das Meer nach Europa zu gelangen. Neben Ägypten lehnten jedoch auch Tunesien, Algerien und Marokko ab, Sammellager einzurichten.“
(https://www.deutschlandfunk.de/eu-asylpolitik-aegypten-lehnt-aufnahmezentren-ab.1939.de.html?drn:news_id=898763)
Der Versuch, die Dezimierung der Flüchtlinge aus afrikanischen Staaten an afrikanische Staaten zu deligieren ist nicht neu. Dänische und britische Politiker, dann Otto Schily und Thomas de Maizière und jetzt Donald Tusk, Jean-Claude Juncker und Markus Söder wollen, was die EU in Libyen und Australien in Papua-Neuguinea längst praktiziert: Sammellager, in denen Flüchtlinge in großer Zahl inhaftiert werden, bis sie freiwillig woandershin fliehen oder ihr elender Zustand zur Abschreckung weiterer Geflüchteter dient. Die eskalative Natur aktueller politischer Logik macht diese Zentren ebenso wahrscheinlich wie die Mauer um Europa, die seit 2000 kontinuierlich ausgebaut wurde.

Ebenso wie die Anker-Zentren werden außereuropäische Lager nach ihrer Etablierung auf absehbare Zeit nicht wieder aufgelöst werden, sondern wie heute die Mauer als fait accompli zu dem gerechnet werden, was als gesellschaftliche Realität und damit als „vernünftig“ gilt. Weil aber der agitatorische Trieb in Seehofer und anderen HeimatschützerInnen nie zufrieden sein wird und der inneren Logik zufolge sadistische Energie weiter nach außen richten muss, selbst wenn wie derzeit kaum noch Flüchtlinge den lebensgefährlichen Versuch wagen, wird die Zukunft dieser Lager ebenso eskalativ gestaltet werden.

Denn sollten dort menschenwürdige Bedingungen herrschen, würden sie als reale Option für Millionen Mendschen in den subsaharischen Staaten fungieren. Immerhin haben Staaten wie Sudan oder Äthiopien bereits fünfzehn Millionen afrikanischer Flüchtlinge aufgenommen, eine sichere Option auf afrikanischen Boden würde weitere verzweifelte Millionen aus Nigeria, Tschad, Niger, Mali und Zentralafrika anziehen. Daher muss in solchen Anlaufstellen entweder ein kontinuierlicher Abzug von Menschen durch Asyl und Aufnahme stattfinden, was angesichts der Zahl an Menschen, die objektiv ein Recht auf Asyl hätten, sehr unwahrscheinlich ist; oder es wird die exakt gleiche Dynamik einsetzen wie sie derzeit offene Politik der CDU/CSU für Lager auf EU-Boden ist: Abschreckung durch menschenunwürdige Bedingungen. Begleitet vom Druck zur Kostenersparnis, die aus den Lagern Billiglohnzentren, Organspendebanken und nicht zuletzt von islamistischen Organisationen, Milizen oder Privatfirmen autoritär verwaltete Elendsquartiere jenseits der journalistischen Zugänglichkeit machen wird, aus denen ein kontinuierlicher Brain-drain die wenigen verbleibenden Fachkräfte nach Europa rekrutiert. Menschenwürdige Flüchtlingslager außerhalb der EU-Grenzen sind ein Paradox.
Die arabischen Staaten wissen um die unerfüllbaren Anforderungen solcher Lager und lehnen sie daher vorerst ab. Sie müssen ohnehin auf Dezimillionen Umweltflüchtlinge aus Iran und afrikanischen Staaten vorbereitet sein, weil Europa sich demonstrativ in seiner infantilen Weltabgewandtheit einrichtet. Man hat sich unter dem Druck der CSU entschieden, nicht einmal ein paar lächerliche hunderttausend zu akzeptieren – ein Realitätsbruch mit dem Rest der Welt. Das Resultat kann nur deligierte Gewaltherrschaft über jene sein, die daran erinnern und die EU wird schrittweise den Weg dahin vorbereiten.

Fußnote zu Thomas Maul

Die wesentlichen Argumente zu Mauls AFD-Like wurden hinreichend in diesem Link vorgelegt:

https://www.facebook.com/notes/stura-uni-leipzig/stellungnahme-zu-thomas-maul/1651586791557837/

 

Die Reaktion Mauls darauf ist ausschließlich Polemik. Unter anderem wehrt er die Akteure „Die Falken“ und „Naturfreunde“ als „langweilig“ und „öde“ ab.

 

 

Dem Vorwurf der Langeweile misstrauisch zu begegnen, sollte erste Übung in Kritischer Theorie sein, die den Antiintellektualismus in solchem Klamauk im Dienste der Abwehr von Kritik erkennt. Nicht zur Gleichsetzung, sondern zur freundlichen Ermahnung daran, in welche Gesellschaft sich solcher blökende, instrumentelle Spott über die Langeweile begibt, dieses Zitat:

„Derber Humor wurde zur scharfen Waffe der Nazis im Ringen mit der Republik. „Mit schallendem Gelächter haben wir ein ganzes System niedergespottet“, bilanzierte 1937 der junge Chefredakteur des SS-Zentralorgans „Das Schwarze Korps“, Gunter d’Alquen.
Goebbels vertrat die Devise: „Klamauk muss sein.“ Bei der Aufführung des pazifistischen Spielfilms „Im Westen nichts Neues“ am 5. Dezember 1930 im „Mozartsaal“ am Nollendorfplatz setzten SA-Leute im Publikum weiße Mäuse aus. Zuschauerinnen kreischten, bis die Vorführung unter dröhnendem Gelächter der SA-Männer abgebrochen wurde. Goebbels saß im Publikum.
Seine Strategie der Provokation begründete er damit, man könne den Nazis vieles vorwerfen, doch nicht, dass sie langweilig seien.“ http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelgeschichte/d-88536783.html

 

Auch wenn große Teile der Gegnerschaft zu Maul sich tatsächlich an seiner islamkritischen Position stören, reduzieren seine „solidarischen“ Verteidiger Kritik an ihm darauf. Gegnerschaft hat Maul aber diesmal nicht erfahren, weil er den Koran richtigerweise als Grundlage einer Kritik des Islam nahm, oder weil er einmal die unbedingte Solidarität mit Israel forderte. Gegnerschaft hat er von Gruppen und Personen erfahren, denen sowohl Islamkritik als auch Solidarität mit Israel gewiss keine Fremdworte sind, weshalb er eingeladen wurde. Die Solidarisierung mit der AFD hatte eine Vorgeschichte, die an anderer Stelle diskutiert wird. Wer Thomas Maul (oder auch Justus Wertmüller, Clemens Nachtmann, Magnus Klaue, Sören Pünjer, Felix Perrefort) 2018 noch einlädt und sich überrascht gibt über AFD-positive Äußerungen vor dem Vortrag, dem kann man zumindest Naivität oder Lesefaulheit vorwerfen. Nichts, was Maul zur AFD von sich gab, steht in Widerspruch zu den Ausgaben der Zeitschrift „Bahamas“ der letzten Jahre. Als spezifischen „Absturz“ – es war eher eine sanfte Landung nach langem Sinkflug am angekündigten Ziel – gab Thomas Maul allerdings dies von sich:

 

 

Was immer man von dem Begriff „barbarische Regression“ halten mag: hier spricht zunächst das Kapitalverhältnis aus Maul.  Die „Karriere“ von Individuen wird als höherer Wert gesetzt als das dazu „in Verhältnis“ niedriger erachtete Bedürfnis, über Übergriffe zu sprechen. Vermutlich war es eben die gleiche ökonomische Abwägung Roches, den Vorfall so lange nicht zur Anzeige zu bringen. Sie stufte es als unangenehme Bagatelle ein und sagt das auch so. Suspendiert wurde Gebhard Henke aber nicht aufgrund ihres Berichtes alleine, sondern weil sechs Frauen etwas Ähnliches berichteten. Nun kann man darin eine Verschwörung vermuten – dafür sollte man dann aber als zivilisierter Autor auch ein paar Argumente und Hinweise haben. Es gehört aber unabhängig davon einiges an Wahn dazu, anzunehmen, dass im Umgang mit Henke „barbarische Regression“ stattfände. Vielmehr zeugen die Reaktionen von relativ routinierten, kühlen institutionalisierten Prozessen, wie sie gerade Kennzeichen von demokratischen Institutionen sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Freundinnen und Freunde von Henke solidarisierten sich öffentlich mit ihm und gaben unter dem Vorzeichen eines letzten Zweifels ihre eigene Menschenkenntnis zur Person zu Protokoll – was allseits abgedruckt und erwähnt wurde. Der Vorsitzende war weit davon entfernt, sich nur dem Druck barbarischer Horden zu unterwerfen.

„WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn zeigte sich gegenüber dem Spiegel „überrascht“ von den Anschuldigungen. Er arbeite seit Jahren „sehr eng und vertrauensvoll“ mit Gebhard Henke zusammen. Eine Entlastung von den Vorwürfen schließe er nicht aus, allerdings halte er die Schilderungen der Frauen für „gravierend und glaubwürdig“.“ (Zeit)

 

Soviel zur Zivilisation und Verhältnismäßigkeit. Was aber zu Maul? Ist sein Verhalten „verhältnismäßig“? Er will Roche, weil sie ihr demokratisches Recht auf Redefreiheit genutzt hat, „auf der Anklagebank“ sehen. Nehmen wir an, Roche und die anderen fünf Frauen sind tatsächlich sexuell belästigt worden, wogegen Maul keine Indizien oder Argumente vorlegt. Wäre es „verhältnismäßig“, sie dafür vor Gericht zu bringen? Ist es zivilisatorisch, wenn Frauen, die über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung sprechen, dafür auf die „Anklagebank“ wandern, weil „Ruf und Karriere“ eines Mannes geschädigt wurden – mutmaßlich von diesem selbst?
Das ist nicht zivilisatorisch, sondern genau das, was Maul in einem seiner besseren Bücher als schariatisches Prinzip kritisiert: Solange der öffentliche Schein eines frommen Kollektivs gewahrt ist, sind die tatsächlichen Vergehen egal.

Zur Publikation seiner Phantasie von sechs Frauen auf der Anklagebank auf Facebook gehörte ein Gutteil Berechnung auf die „Regression“ seines Publikums. Hier geht es nicht mehr darum, in einem zweifelhaften Fall das Prinzip „in dubio pro reo“ zu verteidigen oder den Rückfall von linker Szenejustiz und ihrem mackerhaften, weil löchrigen Versprechens des Opferschutzes hinter bürgerliche, leider in Sachen Sexualstrafrecht ebenso „löchrige“, Justiz zu kritisieren. Hier geht es Maul darum, Menschen, die aller Wahrscheinlichkeit nach wirklich sexuelle Belästigung im wirklich klassischen Sinne (Anfummeln in öffentlichen Situationen unter Ausnutzung der eigenen Machtsituation) erfahren haben, virtuell „auf die Anklagebank“ zu bringen. Und das ist nicht die Verteidigung bürgerlichen Rechts, das ist Abstellen auf autoritäre Strafgelüste des Mobs. In der Terminologie Mauls: „barbarische Regression“.

She is not your toy

Ich werde es kurz halten. Die Karikatur von Dieter Hanitzsch in der Südddeutschen ist antisemitisch, weil:
1. sie aus einer Jüdin einen ganz anderen Juden macht und so entsteht die antisemitische Grundform: „Der Jude“.
2. sie aus einer Jüdin einen Juden macht und so steht da auf einmal die klassische antisemitische Schreckform der jüdischen Frau: eine Frau mit einem Penis. Oder ein menstruierender jüdischer Mann – ebenfalls ein Schreckbild des mittelalterlichen Antisemitismus.
3. sie eine politische Einheit von Song-contest und der selbstverständlichen Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt suggeriert – das antisemitische Schreckbild eines jüdischen Plans, der hinter der alles „zersetzenden“ jüdischen Kultur stecke.
4. sie jüdische Aggressivität behauptet. So wird zu dem Mikrophon, dem Phallus der feministischen Sängerin, eine bedrohliche Rakete mit Davidsstern hinzugedichtet.
5. sie doppelte Standards an Israel anlegt. Eine ähnliche Karikatur wäre bei einem oder einer deutschen, französischen oder dänischen Gewinner oder Gewinnerin undenkbar. Es ist missgünstig gegenüber dem Erfolg einer Jüdin und das ist die alte Feindschaft gegen die Judenemanzipation.
6. sie in der Süddeutschen erscheint, die genau weiß, dass sie Antisemitismus produziert und gerade deshalb keine kompetente redaktionelle Instanz einsetzt, die diesen verhindert, sondern im Gegenteil Karikaturisten in regelmäßigen Abständen damit beauftragt, antisemitischen Schrott zu liefern.

Die Karikatur ist außerdem zutiefst misogyn, weil sie aus einer feministischen, etwas übergewichtigen Frau einen Mann macht und das alte Ressentiment von der Feministin als Mannweib schürt. Sie ist zudem misogyn, weil sie genau das macht, was die Sängerin sich verbittet: sie als „toy“ zu  verwenden.