Henryk M. Broder hat sich der Form nach als konsequenter Liberaler verhalten, als er vor der AFD sprach. In dem was er dort sagte, hat er sich aber wie längst gewohnt, als neurechter Agitator erwiesen. Gegen das berechnende Kalkül von „Welt“ und „Achgut“, die nun stolz den wahren, vermeintlich missverstandenen und vermeintlich liberalen Text von Broders Rede publizieren, gestehe ich jedem zu, der AFD die Leviten zu lesen und stelle aber fest, dass Broder genau das nicht getan hat. Seine recht harmlose Schelte von ohnehin unbelehrbaren Nazis in der AFD verpackte er in soviel Bestätigung des neurechten Weltbildes, dass die stürmische Umarmung von Alice Weidel nur konsequent war.
Broder liefert im ersten Teil der Rede, „zum Aufwärmen“, ein Projektionsziel, von dem er weiß, dass es dem neurechten Publikum passt, weil sie sich nicht wehren kann: Greta Thunberg. Und das schreibt er:
Neu ist nur, dass das Klima zum Fetisch der Aufgeklärten geworden ist, die weder an Jesus, noch an Moses oder Mohammed glauben. Dazu hat bereits der britische Schriftsteller Edgar Keith Chesterton, der Erfinder von Pater Brown, das Richtige gesagt: „Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht an nichts, sie glauben allen möglichen Unsinn.“
Der weltweite Hype um eine 16-jährige Schwedin, die sich für eine Wiedergängerin von Jeanne d’Arc hält, hat das in diesen Tagen wieder bewiesen.
Der menschengemachte Klimawandel als Unsinn, das ist nichts Neues auf AchGut. Neu ist, dass man eine Jugendliche braucht, um das eigene ideologische Elend zu projizieren. Broder behauptet, sie halte sich für eine Wiedergängerin von Jeanne d’Arc. Aber nicht sie selbst, sondern AchGut-Autoren wie Thomas Rietzschel bezeichnen Greta Thunberg mit erheblichem Lustgewinn als Jeanne d’Arc und drohen ihr mit dem Scheiterhaufen. Broder reicht das nicht, er möchte ihre Aktivität als „Kindesmissbrauch“ verfolgt sehen:
Ich bin für eine Verschärfung des Tatbestands „Kindesmissbrauch“, um auch solche Fälle verfolgen zu können, wie den der bereits erwähnten Greta aus Schweden, die von den Klimarettern zur Ikone ihrer Bewegung erkoren wurde.
Warum Broder vor der AFD hier eine 16-jährige erst als Gegnerin, dann als Opfer von Kindesmissbrauch inszeniert, ist aus propagandistischer Sicht logisch: Er objektiviert sie zunächst, um ihr für alte Männer und autoritär geprägte Frauen beängstigendes Selbstbewusstsein lächerlich zu machen, und dann die entstandene Aggression auf jene zu lenken, die Greta Thunberg angeblich „missbrauchen“ würden.
Natürlich führt der Anblick einer größeren Zahl aktivistischer, für ihre Interessen streikenden Kinder zu reflexhafter Abwehr, die sich in reaktionären Ressentiments artikuliert. Diese SchülerInnen erkennen schließlich den transgenerationalen Klassenkampf, den der Kapitalismus als Raubbau gegen die nachkommenden Generationen führt. Und da die AFD die Einheit von nationalistischer Restauration und kapitalistischer Expansion erzwingen will, ist sie auf die Imagination vermeintlicher fremder und personifizierter Krisenursachen (Geflüchtete) ebenso angewiesen wie auf die ökoromantische Leugnung von Schranken der Ausbeutung natürlicher Ressourcen.
Um bei der durchaus sinnigen Rede von Ersatzreligionen zu bleiben: Broders Achse des Guten wie auch die AFD und die ihr verwandte FDP sehen in Natur eine Art ewig gebende Göttin. Der Verweis auf die Endlichkeit und Schwäche und damit Profanität von Natur ist aus dieser Perspektive Gotteslästerung. Die Rede von Jeanne d’Arc und Scheiterhaufen ist damit gar nicht so unernst gemeint, wie es klingt. Die Anhänger der kruden Religion vom krisenfreien Kapitalismus ohne natürliche Schranken, der Nationalstaat und Expansion, autoritären Staat und Liberalismus versöhnt, diese Dogmatiker machen ihr in allen Foren virtuell die Hölle heiß, und auch Achgut lässt es sich nicht nehmen, sie als Kranke, Leidende, Schwache und Manipulierbare zu verhöhnen. Broder gab der AFD mehr, als er ihr nahm: die Bestätigung ihrer Ideologie, bei allfälligem Schimpfen auf extremistische Auswüchse.
Broder hatte seinen Höhenflug in einer Publikation: „Der ewige Antisemit“. Zwanzig Jahre vor dem Aufkommen von prozionistischen Blogs hat er eine tiefe, materialreiche Kritik an antiisraelischer Medienkultur abgeliefert. Bewundernswert waren manche seiner gar nicht so satirischen Reduktionen, mit denen er im deutschen Feullieton zu glänzen vermochte. Dass sich seine Ideen seit Längerem mit neurechten Ideologen überschneiden, ist mitnichten ein Anbiedern, wie es fälschlich unterstellt wird, es ist auch nicht Identifikation mit dem Aggressor, es ist einfach Verfall in eitlen Altherren-Gestus, ins Bescheidwissertum.
Antisemitismus
Werwolfslyrik und ihre Profiteure
Natürlich ist das klemmige Gedicht eines auf seine alten Tage reaktivierten SS–Werwolfs keine Zeile Literaturkritik wert. Josef Joffe nimmt es in „Der Antisemitismus will raus“ dennoch auf sich und seiner Analyse ist nichts hinzuzufügen. Was er unbesprochen lässt, ist das eigentlich Relevante an dem Zirkus: Dass eine renommierte Zeitung darauf angewiesen ist, so ein „Gedicht“ abzudrucken, den Nazi noch aufs Frontbild zu hieven und sich dann in der liberalen redaktionellen Distanz zu gefallen. Nicht nur Grass, eine ganze Zeitung poliert ihre Auflage mit der Proliferation von sekundärem Antisemitismus auf.
Allein eine Medienkritik kann das Resultat dieses Skandals sein. Grass‘ Meinung widerspricht nicht der Berichterstattung in den meisten großen Nachrichtenmedien. In der Sache teilen Millionen Deutsche seine Meinung, weil Antisemitismus sich dem vormanipulierten Bewusstsein bestens verkauft. Dass Kulturindustrie sich in ihren niedersten Manipulationen auf den „Dienst am Kunden“ beruft, beschrieb Adorno als die „Ideologie der Ideologie“. Die Süddeutsche steht zur Analyse an, nicht der bedienstete Kunde Grass. Welche Neurosen, welche pathische Erkaltung bringen einen Chefredakteur dazu, so ein Gedicht nicht nur zu drucken, sondern per Titelikone als „Aufschrei“ anzupreisen? Dieser „Aufschrei“, wie ihn schon Jostein Gaarder (1, 2, 3), Judith Butler und so viele andere Intellektuelle vor Grass vollzogen haben, ist das zirkuläre Produkt jahrzehntelanger Manipulation von Berichterstattungen über Israel. Interessant ist, das die Manipulierten Manipulateure ihre medialen Manipulateure nie der Manipulation beschuldigten – für diese nur halb berechtigte Schuldprojektion würde immerhin Einsicht in den eigenen Irrtum gehören. Noch nie aber hat eine prominente Person glaubhaft und öffentlich ein Ressentiment über Israel als Irrtum widerrufen. Daher ist Kritik an Grass‘ Gedicht völlig überflüssig und zieht den Verdacht auf sich, selbst Verkaufsstrategie zu sein, die noch aus dem Peinlichen Kapital schlagen will. Die Kündigung der Süddeutschen, so man sie hat, wäre die einzig angemessene Praxis.
Die Süddeutsche hat übrigens, wie man mir just mitteilte und wie sich bei Memoryloops nachhören lässt, 1947 einen zur Vernichtung von überlebenden Juden aufrufenden Leserbrief eines „Adolf Bleibtreus“ abgedruckt. Die Münchner Polizei schoß auf 750 demonstrierende Juden.
Israel im Kopfkino
Petro Markaris erklärt in der taz vom 3./4./5. April die Finanzkrise Griechenlands. Dabei fühlt er sich berufen, eine griechische Reaktion auf deutsche Ressentiments folgendermaßen zu vergleichen:
„Es ist auch naiv, die Empörung der Griechen über solche Aussagen damit abzutun, dass man diese Empörung auf Traumata aus der deutschen Besatzungszeit zurückführt. Das ist ungefährt wie das Argument der Israelis, jeder, der die israelische Politik kritisiere, sei ein Antisemit.“
Egal, was diese vorherigen „Aussagen“ benannten: Hier wird ein klassischer Fall von Kopfkino und vorauseilender Verleugnung nach Freud durchgeführt. Unterstellt wird, dass jeder Israeli Kritik an „israelischer Politik“ als Antisemitismus abtue. Anscheinend war der Autor noch nie in Israel oder hat sich mit dem Judentum befasst, sonst würde er das dort bekannte Sprichwort kennen: „Zwei Juden, drei Meinungen.“
Bei ihm lässt sich das umkehren dahingehend, dass sein Antisemitismus die monolithische Imago „Israelis“ als dogmatische Instanz identifiziert und dieser Instanz ein Urteil über die eigene Meinung zuordnet, das der Verlautbarung vorausfolgt. Somit trifft er auch gar keine Fehlaussage über die Richtigkeit dieses Urteils, sondern verrät ein unbewusstes Wissen um seinen eigenen Antisemitismus, der in der Verleugnung dem Geständniszwang folgt. Noch bevor er also seine Kritik an Israel in einem Artikel über die griechische Ökonomie einzuflechten vermag, zwingt ihn sein schlechtes Gewissen zum Geständnis: Das was er gesagt hätte, wäre Antisemitismus gewesen. Die von Forumsnutzern so häufig ähnlich gelesene Einleitung, die auf die Beschwerde hinausläuft, dass man seinen Antisemitismus nicht mehr sagen dürfe, sonst werde man gleich als Antisemit beschimpft, offenbart die tiefe Kränkung, die die Kritik des Antisemitismus erreicht hat.
Welle des Antisemitismus in Europa
Die „arabische Straße“ ist ein europäisches Phänomen. Während in den arabischen Staaten Demonstrationen oft eher Ausdruck des Staatswillens sind und die Demonstranten mit Essen und Geld auf die Straße gelockt werden, treibt in Europa der aus welchen Identitätskrisen auch immer erwachsene pure Antisemitismus die Massen auf die Straße. – wenngleich iranische Botschaften dem nachhelfen.
„Kindermörder Israel“ schallt es wieder durch alle größeren deutschen Städte. Weiterlesen
Vom Zwang zum Urteil – Beckers notorisch antiisraelische Konfliktanalyse
Der jüngste Schlag der israelischen Armee gegen die Hamas schreit natürlich nach einer Analyse durch einen offiziellen Konfliktforscher. Der oberhessischen Presse lag in der Vergangenheit stets eine Adresse nahe: Johannes M. Becker. Dieser Unterzeichner des berüchtigten „Manifest der 25“ verfasste auch prompt einen Kommentar, der einer überregionalen Leserschaft nicht vorenthalten werden soll. Unter der Überschrift „Der Nahe Osten wieder im Krieg“ (Oberhessische Presse 29.12.2008, S.14) klappert es, dass es nur so eine Art hat: Weiterlesen
Postmoderne Spieletesternazis – ein Gastbeitrag
Christian Horn, aka Hochdorff, ein langjähriger Kommentator von „Nichtidentisches“, entblößt im folgenden Beitrag die nazistisch getönte Doppelmoral eines Gamestar-Spiele-Testers.
Computerspiele brauchen Feindbilder, diese Feststellung ist banal. Dennoch kann eine Analyse dieser Feindbilder über den geistigen Zustand der Menschen aufklären, in deren Köpfen sie entstehen. Dabei wäre zu berücksichtigen, welche Feindbilder in welchen Köpfen entstehen. Auf diese Weise könnte man zu einer Kritik der bestehenden Verhältnisse gelangen.
Fabian Siegesmund, seines Zeichens Redakteur des Computerspiele-Magazins GameStar setzt sich in Ausgabe 10/2008 desselben Magazins mit Feindbildern in Computerspielen auseinander. Sein Artikel trägt jedoch nicht zur Kritik der bestehenden deutschen Verhältnisse bei, sondern folgt dem hierzulande herrschenden Relativismus.
Siegesmund vermittelt mit einem rankumpelnden Ton eine Stammtischatmosphäre, die sprachlich den Inhalt des Artikels vorweg nimmt. Seine Betrachtung beginnt mit der Darlegung der Tatsache, dass eine Feindkonstruktion in Abgrenzung zum je Eigenen stattfinde. Auch dieser Befund ist höchst banal. Siegesmund scheint seinem Publikum geistig nicht allzu viel zu zutrauen, so versucht er zu erklären, dass die Abgrenzung gegen „hirnfressende Zombies, kriegslüsterne Wehrmachts-Soldaten (sic!) oder bombenlegende Terroristen“ als Ursache hätte, dass man seinen Heimatort möge, am liebsten lokale Spezereien verdrücke und sich zur Fußball-WM in die je eigene nationale Borniertheit zurückziehe. Diese Erläuterung muss insbesondere im Hinblick auf den Wehrmachtssoldaten sonderbar erscheinen, sorgen doch gerade deutsche Heimatliebe und der „fröhliche Patriotismus“ dafür, dass die deutsche Geschichte auf verschiedene Art und Weise relativiert und entsorgt wird, demnach der Wehrmachtssoldat gar nicht als Feind wahrgenommen werden kann. Weiterlesen