Reichsarbeitsdienst reloaded – Arbeitslose in die Pflege

Der Vorschlag von Ulla Schmidt, Arbeitslose doch in Pflegeberufen unterstützend einzusetzen, ist nur die logische Fortsetzung eines nach unten offenen Verfalls demokratischer Prinzipien. Auffällig ist nicht der Vorschlag an sich, sondern seine verquaste Rechtfertigung: Arbeitslose, und hier vor allem Frauen, sollen so „zurück in ihren Beruf“ finden. Offensichtlich wirkt aber ein anderer Zusammenhang: Weil Pflegeberufe skandalös unterbezahlt und durch Intensivierung mit Belastungen jenseits aller Grenzen verbunden sind, entstanden 10 000 Leerstellen. Gleichzeitig wurde und wird Pflegepersonal entlassen, das die Intensivierung nicht verkraftet. Im Rahmen der Zivildienste wurde eine ähnliche Debatte erschöpfend geführt: Die „Unterstützung“ durch Zivildienstleistende hat zu einer Absenkung des Lohnniveaus in Pflegeberufen geführt und mitnichten eine bessere Pflege garantiert. Anstatt das Notwendige professionellen ArbeiterInnen bei halbwegs gewahrtem Äquivalententausch anzuvertrauen, setzt man an neuralgischen Punkten ein unerfahrenes, desorganisiertes Lumpenproletariat ein, das stark zwischen den Stellen frequentiert und so zum Widerstand nicht in der Lage ist. Doch die modernen Streikbrecher werden nicht mehr mit Prämien geködert, ihnen selbst ist das Streiken gegens Streikbrechen untersagt: Wer sich widersetzt, bekommt im Falle des Zivildienstleistenden strafrechtliche Konsequenzen zu spüren, im Falle des Arbeitslosen wird ihm die Stütze entzogen.

Hätte Ulla Schmidt Sorge um die Qualität der Pflege, so stünden ihr als zuständige Ministerin ausreichende Mittel zur Verfügung, diese selbstverursachten Missstände aufzuheben. Die Verlockung, die Reservearmee des Proletariats auf niedrigstem Niveau auszubeuten, geht weniger aus ökonomischen Zwängen hervor, als aus der Vorstellung, diese Reservearmee hätte nichts besseres zu tun, sei ein abrufbarer Klonkrieger im Kälteschlaf oder in der Phantasie der Werktätigen: ein ewiger Florida-Rolf. „Freiwillig“ könne man sich um die Stellen „bewerben“, es sei also doch nichts Falsches daran, man erhalte „Berufserfahrung“. Wer mit den Kreisjobcentern und Arbeitsagenturen zugange ist, weiß, wie eine solche Freiwilligkeit aussieht. Da erklärt einem der Job-Akademie-Betreuer, man habe die Maßnahme doch angefragt und einen Antrag gestellt, warum man denn so unwillig sei. Tatsächlich ist man als „Antragsteller“ im Vertrag aufgeführt, die Freiwilligkeit besteht darin, zwischen Streichung von Geldern und Unterschrift unter den „Antrag“ zu wählen. Ähnlich perfide wird die Freiwilligkeit bei den „Bewerbungen“ geartet sein. Wer sich nicht auf eine solche „Stelle“ bewirbt, wird eben als „nicht arbeitssuchend“ bewertet und erhält keine Leistungen mehr. Wo man sich in den Feullietons und auf Seiten einiger FDP-Politiker Sorgen um die Qualität der Pflege macht, sollte man sich viel eher Sorgen machen um die Verfasstheit einer Gesellschaft, die den Abstieg in die offene Sklaverei – von der noch ein weniges an unmittelbarer Gewaltanwendung trennt, (soviel Marx muss sein) die Richtung ist indes eingeschlagen – noch mit Termini wie Freiwilligkeit verbrämt. So frech, den Sklaven zu unterstellen, sie wären freiwillig auf den Plantagen, waren noch nicht einmal die nord- und südamerikanischen Sklaventreiber. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ – gerade auf dem bislang unerreichten Höhepunkt der Produktivität dringt dieser faschistische Lehrsatz aus jeder Pore der deutschen Ideologie.

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