Kony 2012 – Israel 2013?

„Nothing is more powerful than an idea whose time has come.“ Mit ihren einleitenden Worten  offenbart die Kampagne „Kony 2012“ ihren Reflexionsausfall, der sich durch das gesamte Video zieht. Die Kritische Theorie entstand in dem Bewusstsein, dass Philosophie sich am Leben erhält, weil „der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward.“ Aber nicht einmal Philosophie ist es, auf die sich die Kampagne beruft, sondern die Idee, Schwundstufe des durchreflektierten Gedankens. Als „gute“ Idee bewirbt sie sich primär durch die massenhafte Zustimmung. Joseph Kony wird, und das ja sehr zu recht, als „Bad Guy“ markiert, dessen hauptsächliches Charakteristikum ist, von allen verabscheut zu werden: „He is not fighting for any cause but only to maintain his power. He’s not supported by anyone.“ Der International Criminal Court führt ihn als Nr. 1 auf ihrer Liste gesuchter Verbrecher.

Die fortschreitende Berufung auf eine internationale Konsensualität wirbt diese als rational ein. Eine solche Konsensualität stellt sich bislang derart mehrheitlich nur gegen Israel ein: Allein im Jahr 2011 hat die UN Israel 124-mal in „Human Rights Actions“ verurteilte, vor allem in „Resolutions“: Das ist zweimal so viel wie im Falle der Nummer 2, Sudan. Deutschland, das wie jedes Jahr Hauptverantwortlicher für tausende tote Flüchtlinge an den Außengrenzen und in der EU ist, erhielt eine einzige Aktion („Report“). Ghana, in dem 2011 staatliche Kampagnen gegen Homosexuelle von der Entwicklungshilfe gezahlt wurden, in dem Hexenjagden eine alltägliche Erscheinung sind, in dem 2011 ethnische Konflikte zwischen Konkomba und Fulani aufflammten, wird ebenfalls nur ein einziges Mal wegen Missständen im Gesundheitssektor besucht („Visit“). Nun hat Israel ein paar mehr und mächtigere Freunde als Kony und die UNO ist nicht der ICC. Die Legitimationsweise der Kampagne betrifft das nicht.

Die Kony 2012 Kampagne macht sich ebenfalls suspekt durch unkritische Idolisierungen der reaktionären Mutter Teresa, die ihren Patienten Schmerzmittel untersagte, weil Leiden und Erlösung eins seien und des Mahatma Ghandi, der den Juden 1938 friedlichen Widerstand anempfahl. In einer „künstlerischen Aktion“ werden ihre Porträts als Graffitti auf ein Garagentor gesprüht. Die nächste Szene zeigt dann einen „Kony 2012“-Anführer mit Megaphon und Kufiya, dem „Palästinensertuch“ um den Hals. Untertitel: „And we got loud!“ [14:59]

Gegen Kony, aber für Fatah und Hamas, für deren Politik das karierte Tuch in der Szene steht? Was über Kony gesagt wird, könnte ebensogut für Arafat gelten: „An he’s repeatedly used peacetalks to rearm and murder again and again.“ Kony entführte an die 30.000 Kinder für seinen Krieg. Die Zahlen der palästinensischen Terrororganisationen sind nicht bekannt, sie zielen allerdings auf sehr viel mehr Kinder ab mit ihren Propagandafilmen und Trainingsprogrammen. Hier exerzieren Kinder schon im Alter von 5 Jahren mit Maschinenpistolen, schwören Bereitschaft, ihr Leben zu geben um Juden zu töten, werden in Selbstmordattentate geschickt. Das hält Kony-2012-Aktivisten nicht davon ab, die Kafiya mit ihrer eindeutigen Aussage zu tragen.

Ein weiterer Aspekt der Kony 2012-Kampagne: Sie ist primär Werbung für Medientechnologie. Der medienwissenschaftliche Diskurs bedankt sich bereits bei Kony 2012 für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Der Schlüssel zur Hilfe in Echtzeit sei Awareness in Echtzeit. Und für die werden permanent I-Phones in die Kamera gehalten. Suggeriert wird aufrichtige Zeugenschaft durch Medien: „I can’t believe that. This has been going on for years? If that happened one night in America it would be on the cover of Newsweek.“

Stereotyp ist dieses Vorschützen von Unwissen über afrikanische Zustände: „I can’t believe that!“ Das „Nicht-gewusst-haben“ ist festes Instrumentarium einer vorsätzlich desinformierten Gesellschaft. Äußerste Naivität spricht aus der Passage, das Vertrauen in dieselbe Newsweek, die vermutlich schon Dutzende von Artikeln über Kony brachte, die man aber nicht lesen wollte, solange in den USA das Somalia-Trauma noch nachwirkte, das dann vom Ruanda-Trauma abgelöst wurde, dem wiederum der 9/11-Schock folgte. Nun auf einmal, während den Umbrüchen in der arabischen Welt, während die Darfur-Kampagne Clooneys kaum Wirkung zeigt, während Israel mit dem Rücken zur Wand steht, entdeckt Kony 2012 einen einzigen Bösen und verspricht ihn mittels Facebook und kostenlosen „Action-Kits“ zur Strecke zu bringen.

Diese Naivität und geschichtslose Reflexionslosigkeit ist es, die Kony 2012 so ambivalent macht. „We change the course of human history“ – das könnte man als guten Marxismus interpretieren, wäre da nicht der propagandistische Ton: „I’m going to tell you exactly how we’re going to do this.“  „We will fight war“. „This is what the world should be like.“ In einer von allen ökonomischen und politischen Widersprüchen gereinigten utopischen Wendung wird das ganze System als Dreiecks-Graphik auf den Kopf gestellt und Menschen bestimmen das Geld – nachdem sie noch schnell ihr I-Phone gekauft haben, versteht sich. Und dann ist da noch jener George Clooney, der es gönnerisch für „fair“ erklärt, dass Kony die gleiche Popularität wie er selbst erhält. Wenn Kony gefasst wird, wird die Kampagne diesen Sieg für sich reklamieren und damit Werbung machen: Für Facebook, Apple und George Clooney. Geleugnet werden so die zähen Verhandlungen zwischen afrikanischen Akteuren, deren freiwillige Arbeit mit Flüchtlingen, die Widersprüche der afrikanischen Gesellschaften, die Kony hervorbrachten und die eben nicht aufgehen in einem bloßen Informationsdefizit der westlichen Gesellschaft.

Die LRA konnte nicht bestehen ohne Waffenlieferungen aus dem Sudan. Sie hatte eine morbide Funktion in einem Konflikt, der weitaus größer war und ist, als sich die USA und Europa je eingestehen wollten. Der Millionen Tote schwere „Weltkrieg Afrikas“, wie Prunier ihn taufte, involvierte unterschiedlichste Parteien in der DRC, Ruanda, Uganda, Sudan, die Zentralafrikanische Republik, Angola, Namibia, Simbabwe und einige temporäre Parteien. Hier auf die LRA und diese auf eine Person zu reduzieren und davon auszugehen, dass mit dessen Verhaftung die Knochenmühle in der „Region“ nennenswert zu verlangsamen wäre, ist reduktionistisch und könnte tatsächlich jenen Initiativen schaden, die wenigstens versuchen, ein differenzierteres Bild des Konflikts zu entfalten, der wesentlich teurere, langwierigere und unpopulärere Maßnahmen erfordert als das Like gegen einen Bad-Guy.

Es ist nicht die Wahl Konys, der, hier ist der Kampagne völlig zuzustimmen, mit militärischen Mitteln und auch mit Hilfe der USA verhaftet oder getötet werden hätte können, werden muss und hoffentlich 2012 werden wird. Es ist die Art und Weise, wie diese Wahl stattfand und präsentiert wird, die zur Frage führt: Wer ist der nächste?

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Wer tatsächlich Informationen über den Konflikt im Zentrum Afrikas sucht, sei auf Gerard Pruniers Standardwerk „Africa’s World War“ verwiesen. Zur LRA liefert Heike Behrends ethnographische Studie „Alice und die Geister. Krieg im Norden Ugandas“ exzellentes Material.

Einige afrikanische Stimmen zur Kampagne finden sich über diesen Link: http://boingboing.net/2012/03/08/african-voices-respond-to-hype.html.

Hommage an Mrs. Nina Simone

Schwarze Männer lebten in den Südstaaten bis weit in die 60-er unter der beständigen Angst vor dem Lynchmord, sollten sie mit einer weißen Frau gesehen werden. Umgekehrt waren Verhältnisse von schwarzen Frauen und weißen Männern legitim. Die Erwähnung der Namenstitel für Schwarze durch Weiße war ein Tabu, die herablassende Anrede mit Vornamen Pflicht. Bei Landarbeitsverträgen wurden Bezahlungen von vielen Farmern zurückgehalten, dagegen aufbegehrende Schwarze mit Lynchmord bedroht und verfolgt. Mit diesem Gefühl der Auswegslosigkeit ist das des Davonrennens im Gospel Sinnerman zutiefst assoziiert:

Oh Sinnerman, where you gonna run to?
Sinnerman, where you gonna run to?
Where you gonna run to?
All on that day
Well I run to the rock, please hide me
I run to the rock,please hide me
I run to the rock, please hide me, Lord
All on that day
But the rock cried out, I can’t hide you
The rock cried out, I can’t hide you
The rock cried out, I ain’t gonna hide you guy
All on that day
I said, Rock, what’s a matter with you rock?
Don’t you see I need you, rock?
Lord, Lord, Lord
All on that day
So I run to the river, it was bleedin‘
I run to the sea, it was bleedin‘
I run to the sea, it was bleedin‘
All on that day
So I run to the river, it was boilin‘
I run to the sea, it was boilin‘
I run to the sea, it was boilin‘
All on that day
So I run to the Lord, please hide me Lord
Don’t you see me prayin‘?
Don’t you see me down here prayin‘?
But the Lord said, go to the devil
The Lord said, go to the devil
He said, go to the devil
All on that day
So I ran to the devil, he was waitin‘
I ran to the devil, he was waitin‘
Ran to the devil, he was waitin‘
All on that day
I cried –
POWER!!!!!!!
(Power to da Lord)
[8x]
Bring down,
(Power to da lord),
[4x]
POWER!!!
(power to da lord)
[12x]

Fortsetzung: Sinnerman Lyrics

Lektüreempfehlung:

Hortense Powdermaker 1966: Mississippi. S. 127-205 in: Stranger and Friend. The way of an Anthropologist. New York und London, W. W. Norton & Company.

Die Bombe und das Erinnern

Als die deutschen Heimatvertriebenenorganisationen das 60-jährige Jubiläum ihrer Charta feierten, sagte Ralph Giordano, die Vertreibung würde in der Charta so dargestellt, als habe sie in einem „historischen Vakuum“ stattgefunden. Dieser Begriff „historisches Vakuum“ trifft jenen verbreiteten Gestus des Erinnerns recht gut, der Kriegsereignisse aus den historischen Ereignissen isoliert und dadurch Schuldfragen und Ursachensuche im besten Falle neutralisiert, im gewöhnlichen verschiebt und verbiegt.

Ein solches Verhältnis prägt auch das Erinnern an die Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki. Im nachträglichen Entsetzen über das genozidale Potential dieser Waffe wurde schon jenes Entsetzen über die mit primitivsten Waffen (Hunger, Schläge, Krankheiten, Gas) durchgeführten Massenmorde des Holocaust eher getilgt als erinnert. Die in den folgenden 50 Jahren stattfindenden 2 000 Atomwaffentests (davon ca. 622 oberirdisch) und der Anstieg des weltweiten Arsenals auf möglicherweise 70 000 Atomsprengköpfe sorgten für zusätzliche und  trotz ihrer  Assoziation mit einer gewissen paranoischen Struktur sehr gerechtfertigte Bedrohungsängste, die mit dazu beitrugen, das Grauen des zweiten Weltkrieges in der amerikanischen und europäischen Wahrnehmung verblassen zu lassen. Die Opfer eines perhorreszierten „nuklearen Holocaust“ waren nunmehr „wir alle“ und dieser globale Genozid hatte bereits begonnen: in Hiroshima und Nagasaki.

So konnte man in der Retrospektive der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki als initiale Agression betrachten und darüber vergessen, dass dort ein Krieg beendet wurde. Ein Krieg, der in der öffentlichen Wahrnehmung abseits von exotistischer und ambivalenter Begeisterung für die Kamikaze-Flieger kaum je Beachtung fand. Nie erreichte man ein geschichtliches Bewusstsein davon, wie sehr die japanische Ideologie der deutschen ähnelte und wie gigantisch, mörderisch und genozidal diese Front war. Anstelle von unqualifizierten Co-Referaten verweise ich zu diesem Komplex auf das hervorragende Blog „USA-erklärt“ mit der Beitragsreihe „Der Krieg gegen Japan„.

Und auf den Wikipedia-Artikel über japanische Kriegsverbrechen, der die Zahl der Todesopfer des japanischen rassistischen Raubzuges mit dem Historiker Chalmers Johnson auf 30 Millionen Menschen schätzt. Eingesetzt wurden biologische Waffen, konventionelle Waffen und primitivere Waffen wie Bajonette, deren massenhafter Einsatz ein hohes Maß an individueller Täterschaft und aggressiver Ideologie voraussetzt. Hunger und Durst wurden systematisch gegen Kriegsgefangene eingesetzt, von denen 30 % unter grauenvollen Umständen starben.  Darüber hinaus arbeiteten Japan wie auch Deutschland an einer eigenen Atombombe.

Wenn man sich 2010 der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki erinnert, ist es unmöglich, nicht die Geschichte der nuklearen Aufrüstung, der Strahlenkrankheit und des Grauens, das diese in die Individuen pflanzte mitzudenken. Es sollte aber gleichfalls erwartet werden können, die genozidale Aggression des japanischen Faschismus  zu reflektieren. Dann muss man der amerikanischen Seite ein nahezu ausschließlich militärisches Kalkül zugestehen, das unter dem Vorzeichen stand, einen  für beide Seiten extrem verlustreichen Krieg in einer Machtdemonstration, die sich gegen zwei stark militärisch geprägte Ziele richtete, zu beenden. Bis heute wird die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki beherrscht von einer Imagination, nach der zwei menschlich erkaltete amerikanische Bomberpiloten  einfach so zwei Massenvernichtungswaffen über zwei friedlichen japanischen Städten abwarfen. Am treffsichersten ist diese Wahrnehmung in der Kapitulationserklärung des japanischen Kaisers vorgeprägt:

„Der Feind hat jüngst eine unmenschliche Waffe eingesetzt und unserem unschuldigen Volk schlimme Wunden zugefügt. Die Verwüstung hat unberechenbare Dimensionen erreicht. Den Krieg unter diesen Umständen fortzusetzen, würde nicht nur zur völligen Vernichtung unserer Nation führen, sondern zur Zerstörung der menschlichen Zivilisation … Deshalb haben wir angeordnet, die gemeinsame Erklärung der Mächte anzunehmen.“

Die, wenn nicht schon im ersten Weltkrieg, in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern und den japanischen Massakern untergegangene Zivilisation wurde auf einmal gerettet durch den japanischen Kaiser in seiner Fürsorge für sein „unschuldiges Volk“, das er wenige Tage zuvor im Konsens mit seiner Armeeführung noch in Millionen opfern lassen wollte, unter anderem mit dem Plan, mit Bambusspeeren bewaffnete Kinder und Frauen im Endkampf auf amerikanische (oder mit dem Kriegseintritt der Sowjetunion auch „kommunistische“) Soldaten zu hetzen. Alle Schuld, alle Täterschaft wurde an die USA übertragen – ein Erfolgsrezept, das sich später als bequeme Umgehung jeder tiefergehenden Beschäftigung mit dem historischen Rahmen globalisierte.

So zog ich im Alter von etwa dreizehn Jahren mit einem halben Dutzend anderer AktivistInnen am Jahrestag der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki mit Mehl geschminkt als Hibakusha-Mime durch eine süddeutsche Fußgängerzone. Ein wütender Amerikaner brüllte uns an: „Pearl Harbor! Pearl Harbor!“ Ich wusste damals nicht einmal, was er mit diesen fremdartigen Worten wohl meinen könnte. Im geschichtlichen Vakuum war Hiroshima nun mal das Opfer eines unwahrscheinlich zynischen Aktes der Amerikaner. Jede historische Rationalisierung dieses Aktes wurde abgewehrt und im Kalten Krieg hatte noch dies sein Recht: Es durfte keine einzige Legitimation mehr geben für den Einsatz einer Atomwaffe, weil dies den Untergang aller in einem dritten Weltkrieg zur Folge gehabt hätte. Das Tabu folgte einer gewissen Logik. Logik ist aber noch nicht Vernunft und daher muss man diese Verdrängungsleistung mit dem chronischen Antiamerikanismus und dem rassistischen und narzisstischen Desinteresse an Asien synchronlesen.

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Drei Literaturempfehlungen:

„Unsere Bombe“. Robert del Tredici. Zweitausendeins, 1988. (Bildband zur Atomwaffenproduktion in den USA)

„Die letzten Glühwürmchen“. Hayo Miyazaki. 1988. Anime. (Melodram im Kriegs-Japan)

„Der kubistische Krieg“. Stephen Kern. In: Kultur & Geschichte – neue Einblicke in eine alte Beziehung. Reclam, 1998. (Artikel über die bis dato beispiellose Fragmentierung von Individuen, Raum und Zeit im Zuge des ersten Weltkrieges)

Krieg um Rohstoffe oder Nichtkrieg um Rohstoffe?

Johannes M. Becker, einschlägig bekannter Meinungsträger der kritischen Öffentlichkeit in Marburg an der Lahn, gehört zu denjenigen, die im Vorfeld und während des Krieges mit Saddam Hussein und den Nachfolgerackets am lautesten die Anklage vor sich hertrugen, der Krieg gegen Hussein und Taliban werde nur um Öl und andere Rohstoffe geführt.

Auf Veranstaltungen der Friedens- und Konfliktforschung wurden dann mehr der Verlauf von Ölpipelines und die Lage von Rohstoffvorkommen problematisiert als eine Analyse der islamistischen Ideologie oder der widersprüchlichen, hochkomplexen Struktur der mafiös-terroristischen Rackets im Irak geleistet. Klar war den Konfliktforschern stets: Dieser Krieg ist unmoralisch, weil der Irak zu einem der ölreichsten Staaten der Welt gehört. Ein reiches Land bekriegt man nicht ohne sich bereichern zu wollen – das wäre irrational.

Nun schwenkt Becker um und entdeckt erstaunt ein Phänomen, auf das die Angriffsbefürworter schon lange hingewiesen haben: Dass nicht der Krieg gegen den Terror sich ökonomisch auszahlt, sondern jene Neutralität, die es nicht gibt. Der Kritiker an Kapitalismus und der „Gier nach Öl“ ist nun auf einmal keiner mehr:

Nur zaghaft lösen sich SPD und Grüne aus der großen Kriegskoalition. Dabei gibt es durchaus Anreize für einen Politikwechsel: Im Irak schließt momentan China die größten Öl-Ausbeutungsverträge mit der erstaunlich souverän agierenden Regierung in Bagdad ab. Die Konzerne aus den Staaten der „Koalition der Willigen“ hingegen gehen zumeist leer aus. In Afghanistan erwartet sie die Abbaurechte für Kupfer und Eisenerz. Bekanntlich hatte sich Peking beiden Kriegen verweigert.

Becker ignoriert, dass nicht nur China, sondern viel früher noch die „Friedensmacht“ Deutschland eine hervorragende Ernte aus dem Krieg gegen Saddam Hussein eingefahren hat – die Weigerung, zusammen mit dem „großen Satan“ zu kämpfen hat die traditionsreiche Verehrung der arabischen Staaten für gewisse Deutsche nur noch gesteigert und deutschen Firmen ausgezeichnete Verträge beschert.

Becker ignoriert auch, dass in einigen Regionen im Irak auf Ölfelder gar nicht geboten wird – weil es den Ölfirmen noch zu riskant ist und weil die irakische Regierung selbst für chinesische Konzerne unattraktive Angebote macht. Das größte Ölfeld wird von British Petroleum und der China National Petroleum Organisation  im Konsortium geführt. Nicht etwa, weil China sich aus dem Irakkrieg herausgehalten hat, sondern weil die CNPO zusammen mit BP das beste und einzige Gebot für dieses Feld abgegeben hat. Konzerne, die noch keine Verträge im Irak haben, sind zumeist schlichtweg nicht interessiert. Mit den Erträgen, die die irakische Regierung abzuschöpfen hofft, wird ohnehin nicht viel mehr gefördert werden, als die in staatlichen Profitsystemen so übliche Korruption.

Becker interessiert zuletzt überhaupt nicht, dass eben jenes China, das er der deutschen Opposition aus noch dazu verfälschten Gründen als Vorbild empfiehlt, die Massenmörder im Sudan mit Waffen versorgt: Aus Gründen derselben Rohstoffethik, die Becker so attraktiv findet. Krieg oder Nichtkrieg – alles eine Frage des hinterher zu erwartenden Profits. Darin wird die Projektivität der Ideologie deutlich, die um den Irakkrieg bei weitem nicht nur von Becker gesponnen wurde. Die den USA unterstellten Zwecke der Kriegsführung waren schon immer die eigenen. Zum Glück setzen die USA ihre ökonomische und militärische Macht nicht annähernd so zweckrational ein, wie es Becker den Grünen und der SPD empfiehlt.

Quelle der nachfolgenden Grafik:

Joachim Guilliard, „Irakisches Öl – weiterhin nur begrenzter Zugang für Öl-Multis“ auf „Nachgetragen“:

Überblick über die 2009 vergebenen Verträge Serviceverträge für irakische Ölfelder