Avatar

Henry Rouseau - Der Traum

Henry Rousseau - Der Traum

Ursprüngliche Akkumulation ist ein schmutziges Geschäft. Die Verleugnung über die „von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, schmutz- und bluttriefend[en]“ (Marx, Kapital I, 788) Fundamente kapitalvermittelter bürgerlicher Freiheit machten Marx und Engels zu einem Hauptanliegen in ihren Schriften. Die gewaltsame Verschiebung von Bauern in England wurde als Mordbrennerei zugunsten des europäischen Wollbooms organisiert, den Unwillen der Arbeitslosen domestizierte Edward VI. mit drakonischen Maßnahmen (Marx, Kapital I, 763).

Und so rational und unvermeidlich die effizientere Nutzung der nord- und südamerikanischen Weiten durch die einströmenden, landlosen europäischen Massen war, so pathologisch verlief die rassistisch unterfütterte Landnahme, die ein verhandelbares ökonomisches Konkurrenzverhältnis zwischen Jäger- und Sammlertum und moderner Agrikultur in eine hässliche Serie von durchaus gegenseitigen Massakern und Vernichtungskampagnen verwandelte. In Südamerika dauern diese Indianerkriege bis heute an.

Das Unbehagen über solche Prozesse spürt die bürgerliche Gesellschaft, weil sie ihr Selbstverständnis einer freien und gleichen, durch Konkurrenz stabilisierten Gesellschaft trübt. Sie hatte historisch kein Äquivalent anzubieten, das die Aufgabe des Jäger- und Sammlertums zugunsten der Arbeit in Minen unter Tage oder der Zerschindung von Menschen in Kautschukplantagen attraktiv erscheinen ließe – der Rassismus diente sich als Legitimation an, das Unmenschliche den zu Tieren und Dingen Erklärten antun zu können, weil die technologische Überlegenheit es erlaubte. Das technologisch-kulturelle Experiment „Avatar“ ist Ausdruck und Folge dieses schlechten Gewissens.

Avatar trifft eine im ganzen Manierismus noch deutliche Aussage über die (Un-)Verhandelbarkeit von Interessen in einem assymetrischen Konflikt zwischen einer hochgerüsteten Industrie-Gesellschaft und einer Jäger- und Sammlergesellschaft.

Der Kapitalzweck wird als abstraktes Prinzip benannt: die „Aktionäre“ und die historisch entstandenen Bedingungen auf dem Planeten Erde. Verleugnet wird nicht, dass dieses abstrakte Prinzip pathologische Charaktere hervorbringt und sich ihrer bedient. So stereotyp der narzisstische Wut ausstrahlende Machtmensch in seiner Kampfrüstung gezeichnet wird, so verharmlosend ist das Bild noch gegenüber jenen realen, historischen Indianerschlächtern und Sklavenhändlern. Stellt Star Wars noch interessante, mythologische Figuren des Bösen auf, wagt es Avatar den Stellvertreter des Kapitalinteresses als so belanglos, austauschbar und langweilig zu zeichnen, wie sie wirklich sind. Diese beiden Prinzipien, kultiviertes Desinteresse und individuelle, berechnend überschnappende Pathologie auf Seiten der Exekutive, sind die beiden Elemente, die mit dem enormen Potential der Produktionsverhältnisse ausgestattet mörderisch wurden und werden. Was diesem Verhältnis gegenübertritt, wird von ihm notwendig angesteckt, hat gar keine andere Wahl, als sich pathologisch daran aufzurichten, wenn es nicht in nicht minder pathologischer Agonie erstarren will.

Die beiden Rousseaus sind theoretische und ästhetische Grundlagen, von denen Avatar zehrt. Mit Jean-Jacques Rousseau lässt sich Avatar so kritisch wie affirmativ lesen, was den entsprechenden Experten überlassen bleibt, die den Wandel von amour soi zur amour propre, von Vergesellschaftung und Instinkten nachzeichnen können. Jenseits des Skeptizismus Rousseaus gegenüber einem Naturzustand zeichnet sich in Avatar Intelligenz innerhalb der naivisierten indigenen Welt durch Konfliktvermeidung aus, nicht durch Beherrschung. Der Urzustand wird als mit ins Äußerste räuberischer Natur versöhnter visualisiert und erotisiert – aggressive Komponenten können in ihrer Reduktion auf Nutzbarmachung geleugnet werden. Das furchtbarste Raubtier wird in dieser Idealisierung noch schön wie die Tiger und Panther des Meisters der Grüntöne, Henry Rousseau. Das Ganze wird zum Gegenstand in HD und 3D wie der Maler einst Hintergrund und Einzelheit gleichermaßen scharf zeichnete. Besonderes gibt es nur im Spiel mit anderem Besonderen, ein Vorrecht wird allein dem Ambiente zugestanden, in dem das Individuum sich trotz der Appliziertheit nur akzidentiell aufzuhalten scheint, aufgrund irgendeiner Erlaubnis, die aus undurchsichtigen Gründen und auf Abruf erteilt wurde.

Doch dieses Versöhnungsidyll ist so brüchig, dass nur der reine Stil des medialen Zaubers es verkitten kann. Das Traumhafte rechtfertigt die Ausnahme von der Realität und ist doch von dieser schon ins Korsett gedrängt. Die Phantasie lebt von einem phallischen Unterwerfungsakt, der keine rationale Idee von Gesellschaft voraussetzt, sondern nur ein spezielles Ökosystem. Weil die Ressource des Idylls eine biologische Vorraussetzung ist, bleibt als einzige Möglichkeit an diesem teilzuhaben die Verwandlung in einen anderen, weniger verwundbaren Körper – es gibt kein Rousseau’sches Sofa im Dschungel, die Raubtiere kennen Hunger, aber kein Erstaunen.

Die Unterwerfung der Tiere selbst ist als Abbild der derzeitigen Produktionsmittel gestaltet und so hochtechnologisch wie sexualisiert ausgestaltet – „herunterladen“ könne man letztlich die Informationen aus der Natur, die dem profanen Supercomputer, zu dem die vollends aufgeklärte Mythologie ihren Gott erklärt, gleichgemacht wird. „Verlinken“ eröffnet den Gesunden, Starken die Vernutzung der schicksalhaft bereitgestellten Ressourcen. Das erlaubt die Großartigkeitsphantasie, nach der ein bestimmter Humanoid die Krone der Schöpfung sein soll und es erlaubt zugleich die Verspiegelung dieser Großartigkeitsphantasie durch die Unterwerfung unter ein großes Kollektiv im echtesten Latour’schen Sinne.

Diese Janusköpfigkeit ist das Element eines anderen Phänomens, das im zwanzigsten Jahrhundert die ursprüngliche Akkumulation an blutiger Hässlichkeit noch überbot – der nationalistische Faschismus. Wie bei diesem bedarf es erst der externen Bedrohung und des mit narzisstischen Attributen überschütteten Führers, um Einheit unter den konkurrierenden „Stämmen“ zu erzeugen. So kalt der desinteressierte Kapitalverwalter die Ausbeutung der Ressourcen organisiert, so emotionslos geht der zum Anführer etablierte Außenseiter zur Verwaltung seiner propagandistisch aufgeputschten indigenen Truppen über, opfert sie in sinnlosen Gemetzeln. Der Gang durch die  ehrfürchtigen Reihen zum Endziel der Geliebten ist derselbe wie der an anderen Gräbern desinteressierte durch einen Friedhof. Der Blick des Führers hebt sich entrückt zu einem fernen Ziel, während alle ihn anstarren, für den sie doch nur dasselbe Mittel zum Zweck sind wie die unterworfenen Tiere. Dass weder Schauspielern noch Regisseur ein anderer Ausdruck einfallen wollte bezeugt die Wirkungsmächtigkeit der Pose und die Vernabelung mit einer alltäglichen, massenhaften Erfahrung: ignoriert zu werden obwohl man doch selbst alle Aufmerksamkeit widmet.

Die Verherrlichung des Lebens in der Natur auf Pandora ist eine der Jugend. Stärke und Schönheit machen den edlen Wilden aus, solange er nicht gerade Verräter und Dämonen zur Hinrichtung vorbereitet wie später die Inquisitoren und Revolutionäre. Im Alter ersetzt dann Autorität Sexualität. Da man sich als mit dem Tode versöhnt gibt, bedeuten Krankheit und Schwäche nur einen negativen Kontostand in einer Welt, in der man alle Energie von einer Art natürlichen Bank geborgt haben will und irgendwann seine Hypothek im verwirklichten Äquivalententausch einlösen muss.

Es gibt schlimmeres als den Tod. Soviel ist daran wahr, dass aller technischer Fortschritt nichts wert ist, solange das Leben kein wirkliches ist. Solange haben die Kolonialisten auch nichts weiter anzubieten als „alkoholfreies Bier und Jeans“ und nur die Abwertung als verlaust und stinkend kann das eigene Leben als besser erscheinen lassen. Was die Indigenen auf Pandora anbieten ist der gleiche Zauber in bunt. Hat die eine Seite dicke Hubschrauber, kann die andere mächtige Tierwesen auffahren. Wie auf der einen Seite jene mit dem prunkvollsten Kraftfahrzeug beeindrucken wollen, so erfüllt auf der anderen Seite der größte Flugsaurier den gleichen Zweck. Beim Anblick des unterworfenen gelblichen Raubtieres ist die Indianertochter flugs versöhnt und darf mitfliegen. So wird der Versuch, endlich emanzipierte Frauenfiguren in Filme einzuführen letztlich doch zunichte gemacht, nicht zuletzt dadurch, dass keine anderen emanzipierten Männerrollen zu vergeben waren als das Kind, dessen unschuldiges Spiel mit der Kastrationsdrohung beantwortet wird.

Das mag am ökofeministischen Einfluss liegen, der das Gaja-Ideologem aufbereitet. Natur kann nur als technisiertes Konzept bestehen. Diese Einheit von Humanoid und Natur sei „kein heidnischer Voodoo-Zauber“, sondern messbar, real. Die Abgrenzung erfolgt zu zwanghaft, um glaubhaft zu werden. Das gesamte Filmprodukt ist ein einziger Zauber, der sich in diesem Zitat vergewissern muss, dass seine Idee keine esoterische, magische sei.

Interessanterweise wird in dieses Pathos ein Thema eingeflochten, das eher ein seltenes im Film ist, das der Ethnologie. Deren zweckrationaler Einsatz des Verstehens muss scheitern, wo er nur als sparsamerer Weg zur Beherrschung gewählt wird. Soviel ist wahr an der Kritik. Der theorielose, spielerisch-naive Charakter entspricht dem derzeitig propagierten Ideal eines Feldforschers in einer sich gegen Theorie abdichtenden Ethnologie. „Going native“ ist die Folge, wo die eigene Gesellschaft als unbeherrschbar empfunden wird, die zugewiesene Rolle in der Fremde die in der eigenen Gesellschaft an Dienstgrad und Lustgewinn bei weitem übertrifft. Vom querschnittsgelähmten, befehlsgebundenen Marine zum kraftvollen, elastischen Anführer mit Kohlefaserverstärkten Knochen – es bedarf keines besseren Gesellschaftsmodells und erst recht nicht der Einsicht in dieses, um diesen Tausch attraktiv erscheinen zu lassen. Würde der Film also wirklich an seine vorgeschützte Gesellschaftskritik glauben, würde er nicht dieses Sonderangebot auf ein besseres Leben auffahren müssen.

Fortune telling

Wird 2010 ein schwarzes Loch aus der Schweiz die Erde verschlingen?

Natürlich nicht. Ein schwarzes Loch kann nur Massen anziehen, die geringer sind als es selbst. Ansonsten heftet es sich selbst einer größeren Masse an. Die Energie, die hypothetisch Masse im Teilchenbeschleuniger auf das Niveau eines schwarzen Lochs verdichten könnte rührt von der Geschwindigkeit, mit der zwei winzige Massen aufeinandergeschossen werden. Ein echtes schwarzes Loch aber zieht geringere Massen an, weil es selbst aus ultradichter Materie besteht. Es ist kein mystischer intergalaktischer Vampirstaubsauger mit unsichtbarem Beutel, sondern nur ein ziemlich dichter Stern, der keine Photonen mehr reflektiereren kann, weil seine Anziehungskraft selbst die Energie der schnellen Lichtteilchen  neutralisiert- soweit erkläre ich es mir aus Schulbuchwissen über Astronomie und Energieerhaltungssätze.

Zur Vorsorge kann man das winzige schwarze Loch auch zu den anderen in eine Käseglocke sperren. Da seine Anziehungskraft zu gering ist, um die Stabilität der Kristallstruktur der Glasmoleküle aufzubrechen, wird es darin einfach verschimmeln.

Die verbreitete Katastrophenphantasie soll nur davon ablenken, dass das wirklich schlimmste schon lange Realität ist und niemals enden könnte.

Krieg um Rohstoffe oder Nichtkrieg um Rohstoffe?

Johannes M. Becker, einschlägig bekannter Meinungsträger der kritischen Öffentlichkeit in Marburg an der Lahn, gehört zu denjenigen, die im Vorfeld und während des Krieges mit Saddam Hussein und den Nachfolgerackets am lautesten die Anklage vor sich hertrugen, der Krieg gegen Hussein und Taliban werde nur um Öl und andere Rohstoffe geführt.

Auf Veranstaltungen der Friedens- und Konfliktforschung wurden dann mehr der Verlauf von Ölpipelines und die Lage von Rohstoffvorkommen problematisiert als eine Analyse der islamistischen Ideologie oder der widersprüchlichen, hochkomplexen Struktur der mafiös-terroristischen Rackets im Irak geleistet. Klar war den Konfliktforschern stets: Dieser Krieg ist unmoralisch, weil der Irak zu einem der ölreichsten Staaten der Welt gehört. Ein reiches Land bekriegt man nicht ohne sich bereichern zu wollen – das wäre irrational.

Nun schwenkt Becker um und entdeckt erstaunt ein Phänomen, auf das die Angriffsbefürworter schon lange hingewiesen haben: Dass nicht der Krieg gegen den Terror sich ökonomisch auszahlt, sondern jene Neutralität, die es nicht gibt. Der Kritiker an Kapitalismus und der „Gier nach Öl“ ist nun auf einmal keiner mehr:

Nur zaghaft lösen sich SPD und Grüne aus der großen Kriegskoalition. Dabei gibt es durchaus Anreize für einen Politikwechsel: Im Irak schließt momentan China die größten Öl-Ausbeutungsverträge mit der erstaunlich souverän agierenden Regierung in Bagdad ab. Die Konzerne aus den Staaten der „Koalition der Willigen“ hingegen gehen zumeist leer aus. In Afghanistan erwartet sie die Abbaurechte für Kupfer und Eisenerz. Bekanntlich hatte sich Peking beiden Kriegen verweigert.

Becker ignoriert, dass nicht nur China, sondern viel früher noch die „Friedensmacht“ Deutschland eine hervorragende Ernte aus dem Krieg gegen Saddam Hussein eingefahren hat – die Weigerung, zusammen mit dem „großen Satan“ zu kämpfen hat die traditionsreiche Verehrung der arabischen Staaten für gewisse Deutsche nur noch gesteigert und deutschen Firmen ausgezeichnete Verträge beschert.

Becker ignoriert auch, dass in einigen Regionen im Irak auf Ölfelder gar nicht geboten wird – weil es den Ölfirmen noch zu riskant ist und weil die irakische Regierung selbst für chinesische Konzerne unattraktive Angebote macht. Das größte Ölfeld wird von British Petroleum und der China National Petroleum Organisation  im Konsortium geführt. Nicht etwa, weil China sich aus dem Irakkrieg herausgehalten hat, sondern weil die CNPO zusammen mit BP das beste und einzige Gebot für dieses Feld abgegeben hat. Konzerne, die noch keine Verträge im Irak haben, sind zumeist schlichtweg nicht interessiert. Mit den Erträgen, die die irakische Regierung abzuschöpfen hofft, wird ohnehin nicht viel mehr gefördert werden, als die in staatlichen Profitsystemen so übliche Korruption.

Becker interessiert zuletzt überhaupt nicht, dass eben jenes China, das er der deutschen Opposition aus noch dazu verfälschten Gründen als Vorbild empfiehlt, die Massenmörder im Sudan mit Waffen versorgt: Aus Gründen derselben Rohstoffethik, die Becker so attraktiv findet. Krieg oder Nichtkrieg – alles eine Frage des hinterher zu erwartenden Profits. Darin wird die Projektivität der Ideologie deutlich, die um den Irakkrieg bei weitem nicht nur von Becker gesponnen wurde. Die den USA unterstellten Zwecke der Kriegsführung waren schon immer die eigenen. Zum Glück setzen die USA ihre ökonomische und militärische Macht nicht annähernd so zweckrational ein, wie es Becker den Grünen und der SPD empfiehlt.

Quelle der nachfolgenden Grafik:

Joachim Guilliard, „Irakisches Öl – weiterhin nur begrenzter Zugang für Öl-Multis“ auf „Nachgetragen“:

Überblick über die 2009 vergebenen Verträge Serviceverträge für irakische Ölfelder

Die Entenmacher aus Peru – Hexereivorstellungen, Urban-Legends und Ritualmordlegenden

Man kann von JournalistInnen kaum erwarten, dass sie über ethnologisches Fachwissen verfügen. Dass sie ihre Quellen prüfen allerdings schon. „Fett-Mafia in Peru: Menschen getötet, Fett an Kosmetikindustrie verkauft!“ Der Bericht von BILD gewohnt faktisch, man glaubt den Aussagen eines Polizeioffiziers.“Grausige Mörder in Peru: Fett von Leichen verkauft!“ titelt es vom Vorarlberg, hier ist man allerdings schon professioneller und stellt die Geschichte in Zweifel. „Handel mit Menschenfett in Peru: Dutzende Menschen verschwunden!“ Die taz bringt die Schuld der Europäer ins Spiel, weil in ihrer narzisstischen Ideologie keine noch so perfide Verschwörung der Welt ohne die hervorragende Genialität und Letzschuld der Europäer bestehen kann.

Heute wurde bekannt, dass es sich bei dem Bericht um eine Ente handelt, die der dortige Polizeikommissar verbreitete, weil er damit Ermittlungsprobleme übertünchen wollte. EthnologInnen und SüdamerikanistInnen ist diese spezielle modernisierte Ritualmordlegende lange bekannt. Michael Taussig etwa erwähnt sie in seinem Buch über den Tiu-Kult der Bergarbeiter in Bolivien. Im Volksmund sind es Hexen oder andere spirituelle Übeltäter, die Blut oder Fett der Opfer aussaugen. Die erfahrenen Schrecken der Versklavung durch ganz reale Oligarchen rationalisierte den sehr speziellen Spiritualismus der Anden heraus und hinterließ einen international durchschlagskräftigen Mythos. Prinzipiell wäre eine solche Perfidie der mafiös orchestrierten Nachfragedeckung möglich und in Punkto Grausamkeit auch gar nichts besonderes in der Geschichte Südamerikas. Dass von hunderten von Varianten dieses Mythos gerade die eine ihren Weg in die internationale Presse fand und diese blamierte, ist wohl vermittelt durch die Autorität eines Polizisten und die tatsächliche Mordserie. Ungeklärt bleibt, wieso man afrikanischen urban legends nicht nachgeht, nach denen Kriminelle ihren Opfern das Blut aussaugen und dann an die Weißen verkaufen. Vielleicht weil sich diese Mythen dann doch wieder zu sehr mit der Realität vermischen, in denen Schwarzmärkte für menschliche Körperteile florieren, weil man sich von diesen magische Profitmaximierung verspricht. In Lagos oder Südafrika werden regelmäßig verstümmelte Leichen gefunden, denen man Genitalien, Blut oder Körperteile entfernte. Für Südafrika beläuft sich die Schätzung auf über hundert Ritualmorde pro Jahr. Diese Realität ist vermittelt mit dem sehr tiefen Glauben der Menschen an die magischen Kräfte solcher Rituale – Vorstellungswelten übersetzen sich in Taten, die jene Vorstellungswelten reproduzieren. Den Verzweifelten und den von Gier und Angst um ihren Erfolg Geplagten bietet sich das Menschenopfer als einziger Weg ins Glück an, wo man Reichen grundsätzlich jenes Verbrechen unterstellt. Reichtum ohne Menschenopfer ist kaum mehr vorstellbar und das evangelikale Christentum tut sein Bestes, diese Vorstellung von Wohlstand durch das universale (und damit ungleich sparsamere) Opfer eines Gottessohns zu stärken. Solche Magie entspricht im wesentlichen auch derjenigen, die meint, man könne Wohlstand produzieren, indem man Flüchtlinge im Mittelmeer ertränkt.

Nachtrag: Die taz gibt sich in der Richtigstellung souverän als habe sie das Märchen von Anfang an nicht geglaubt –  und als hätte es  in der taz keine reißerische Schlagzeile zum Thema gegeben.

Rezension – Die Hexe von Gushiegu. Wie afrikanischer Geisterglaube das Leben der Asara Azindu zerstörte.

Die Hexe von Gushiegu. Wie afrikanischer Geisterglaube das Leben der Asara Azindu zerstörte. Von Gerhard Haase-Hindenberg, 2009. Wilhelm Heyne-Verlag München, 288 Seiten.

Als ich im Mai 2009 in Gambaga ankam, sprach der Leiter des dortigen „Gambaga-Outcast-Home-Projects“, Simon Ngota, noch in höchsten Tönen über den Schauspieler und Reisejournalisten Haase-Hindenberg. Anders als viele andere Journalisten, die alle paar Wochen in Gambaga anlanden, um nach drei Tagen ihre reißerische Story mit pittoresken Bildern im Kasten zu haben, forschte Haase-Hindenberg dort für mehrere Monate und entschied sich letztlich, eine Biographie eines einzelnen Opfers einer Hexenjagd zu schreiben. Daraus wurde ein überaus treffsicheres Buch, das sich darüber hinaus sehr spannend liest.

Haase-Hindenberg lässt in Abschnitten seine reale Hauptprotagonistin Asara Azindu autobiographisch in der Ich-Perspektive sprechen. Dann geht er wieder über in den Stil des auktorialen Erzählers. Diese Hybridform gelingt ihm erstaunlich glatt und wirkt nie anmaßend. Haase-Hindenberg schafft es, sensibel, feinsinnig und mit viel Hintergrundwissen ein differenziertes Bild der Gesellschaft in Nord-Ghana zu entwerfen – weit entfernt von Exotismus, Afrika-Kitsch und Betroffenheitsliteratur.

Die vor zwei Jahren gestorbene Asara Azindu erlitt ein Schicksal, das in seinen Grundzügen dem zahlreicher Frauen in Afrika und darüber hinaus ähnlich ist. Sie wurde aus für sie zunächst undurchsichtigen Gründen der Hexerei beschuldigt. Ein Mob verwüstete ihren Laden, brandschatzte ihre Lehmhütte trachtete ihr nach dem Leben. Der Chief in Gushiegu schritt ein und rettete ihr das Leben. Sie entkam nach Gambaga, zum dortigen landesweit bekannten Ghetto für Hexenjagdflüchtlinge. Um die 80 sind es noch, nachdem ein Projekt kontinuierlich Versöhnungsarbeit leistete und über 15 Jahre hinweg 500 Frauen neu ansiedelte oder in ihre Herkunfts-Dörfer brachte. Meistens mit Erfolg, mitunter mit schlimmen Folgen.

Jenes Projekt unter der Leitung Simon Ngotas schaffte es letztlich auch Azara Aziedu zu ihrer Familie zurück zu bringen, die nie an die Hexereivorwürfe glaubte. Asara Azindu hielt das Ganze für ein Komplott. Dann hatte ein Kind in der Nachbarschaft einen Unfall und verbrühte sich den Körper. Sie wurde von der Mutter des Kindes erneut der Hexerei beschuldigt, ihr Stigma hatte der Aufenthalt in Gambaga nur verfestigt. Sie traute den Beschwichtigungen des Chiefs und der Familie nicht und flüchtete nachts zurück nach Gambaga, wo sie bis fast an ihr Lebensende blieb, geschwächt und krank, von der Hilfe einer Enkelin abhängig. Kurz vor ihrem Tod ging sie erneut zurück – die Nachbarin entschuldigte sich nach den Vermittlungsbemühungen für die Anklage. Im Kreise ihrer Familie starb sie wohl nicht zuletzt an den Folgen der Entbehrungen im „Hexen“-Ghetto von Gambaga.

Die Widersprüche der realen Protagonistin sind gerade das seriöse Moment bei Haase-Hindenbergs biographischem Roman. Asara Azindu ist keine heroische Identifikationsfigur. Sie beschuldigte selbst andere im „Hexen“-Ghetto der Hexerei und brauchte lange, bis sie sich vom Prinzip der Hexereianklage verabschiedete. Um sie herum errichtet Haase-Hindenberg eine intime Sozialstudie.

Da ist der Einfluss neuer Waren auf den fragilen Binnenmarkt – Haase-Hindenberg vollzieht die Folgen nüchtern nach, ohne in die im Genre der Afrikaliteratur üblichen Klagen über den vorgeblich so zerstörerischen Einflusses des Weltmarktes einzustimmen. Die erfolgreiche und ehrgeizige Händlerin Asara Azindu war bereits als Mangohändlerin selbst Teil dieses Weltmarktes. Als sie dann den neu eingeführten, billigeren Reis aus Thailand kostete, befand sie ihn für besser als den ghanaischen. Da ist auch die misogyne Kultur in Nordghana, in der Frauen als Heiratsobjekte und Prestigegüter getauscht werden. Wer dann trotz der dauernden Diskriminierung noch ökonomisch erfolgreich ist oder sich nicht wie üblich vor dem Ehemann beim Wasserreichen hinkniet, bekommt Probleme. Da ist der Chief in Gambaga, eine widersprüchliche Person, die von den Hexenjagden einen guten Profit abschöpft und zugleich für die Sicherheit der zu ihm gebrachten Frauen garantiert. Dem gegenüber steht das Bild des damaligen Chiefs in Gushiegu, der Hexenjagden generell kritisch gegenüber steht – aber nicht mit seinem Ältestenrat zu brechen wagt und daher stets Kompromisse eingeht.

Was davon erfunden ist und was nicht ist nebensächlich – für jeden, der vor Ort lebt oder forschte ist klar: es könnte alles genau so gewesen sein. Eine sehr kritische ortskundige Lektüre wird kleine Fehler finden – an der Qualität des Buches kann kaum gerüttelt werden. Es ist für alle und aufgrund der sehr guten Verständlichkeit und der Stringenz der Darstellung ganz besonders für Jugendliche und potentiell in dieser Gegend Engagierte zu empfehlen.

MP in Uganda bereitet Todesstrafe gegen Homosexuelle vor

Ein Gesetzesentwurf, der in Uganda zur Abstimmung im Parlament steht, will die bestehenden Gesetze gegen Homosexualität verschärfen bis hin zur Todesstrafe. Alleine der Vorschlag ist schon ein Aufruf zum Lynchmord und mehr noch, zum organisierten Massenmord.

„The death penalty is listed as punishment under an offence called aggravated homosexuality. This part of the Bill states that „repeat offenders“ of homosexuality are liable to get the death penalty. The death penalty is also applied in a homosexual relationship if a partner is under 18, or has a disability, or is HIV positive. People accused under the aggravated homosexuality clause will be forced to undergo an HIV test.“

„But the new Bill now forces people in authority to report offences to the police within 24 hours, or they themselves will face fines or up to three years in prison“

„Religious leaders from the Orthodox Church, Pentecostal Church and Islam, in appearing before the Parliamentary and Presidential Affairs Committee, say the law against homosexuality was timely, but they were opposed to the death penalty.

Reverend Canon Aaron Mwesigye Kafundizeki, the Church of Uganda provincial secretary, tells IPS: „It is an important law, but the provision related to the death penalty may prevent this law from being passed, because death should not be accepted as a punishment. Therefore propose another form of punishment instead of death.““

http://allafrica.com/stories/200911091630.html

Zu dieser Barbarei kann man sich ja ganz individuell äußern bei folgenden Adressen:

botschaft@uganda.de
konsulat@uganda.de (Honorarkonsulat Bayern und Baden-Württemberg)
ugembassy@yahoo.de
ugembrus@brutele.be (Brüssel)
www.ugandahighcommission.co.uk (London)

info@mofa.go.ug (MoFA Uganda)

Deutsche Botschaft in Uganda
info@kampala.diplo.de
www.kampala.diplo.de

Die Schuld des kleinen Matrosen

Kinder, pubertierende Kollektive und Betrunkene sind die Zielgruppe von Endlos-Liedern wie „Das rote Pferd“, „Schellekalle“ oder „Das Lied vom alten Reisbrei“. Diese Lieder zeichnen sich durch Wiederholungszwang und -lust aus. Ergänzt durch eine streng  uniformierte Gestik wird das kollektiv gesungene Lied zum Ritual der Verdrängung. Je hartnäckiger der Durchhaltewillen, desto intensiver das Erlebnis.

Bei einem sehr populären Lied, dem vom „Kleinen Matrosen“, wird das Moment der Zensur  als Teil des Rituals offenbart und integriert. Jedesmal, wenn die Wiederholung ansteht, wird ein weiteres Wort durch eine Geste ersetzt. Am Ende stirbt die Sprache gänzlich, es siegt die Ersatzhandlung. Damit wird auch dem weiteren Wiederholen ein Ende gesetzt. Gemeinhin folgt ein großes Jubilieren über diese kollektive Leistung.

Der Liedtext spricht demzufolge Bände:

„Ein kleiner Matrose umsegelte die Welt. Er liebte ein Mädchen das hatte gar kein Geld. Das Mädchen musst sterben und wer war schuld daran? Ein kleiner Matrose in seinem Liebeswahn.“

Nun spräche in einer oberflächlichen Analyse einiges für versammelte Blutrünstigkeit, angesichts einer johlenden Masse, die fröhlich den Tod eines armen Mädchens begröhlt. Eine historische Analyse käme zum Schluss, dass das Lied eigentlich ein sehr trauriges, den Hafenprostituierten gewidmetes war, denen der „Liebeswahn“ von Matrosen eine tödliche Geschlechtskrankheit einbrachte. Der Jubel wäre dann möglicherweise einer der Überwindung jener Krankheiten durch die Therapie der Syphillis und dem Vergessen der für viele nur zu realen Dramatik des beschriebenen Todes geschuldet. Eine marxistische  oder feministische Sichtweise könnte das Lied als reaktionäre Maßregelung an den Erhalt der Klassenreinheit interpretieren: Liebe mit mittellosen Mädchen führt zu unerfüllter Verantwortung, Schuld und Tod.

Aus psychoanalytischer Sicht kann man ebenfalls geteilter Meinung sein. Es bieten sich verschiedene Versionen an.

Ein kleiner Matrose symbolisiert wie üblich einen kleinen Jungen. Der liebt ein Mädchen, das infolgedessen sterben muss. Welche Mädchen lieben kleine Jungen? Ihre Mütter. Haben diese „kein Geld“, verweigern also die Versorgung des trotzigen Bengels, müssen sie in der Phantasie eben sterben.

Der Kastrationskomplex würde folgendermaßen angesprochen: Der kleine Junge ist auch das Mädchen. Er liebt sich selbst als Mädchen, identifiziert sich mit der Mutter. Das jedoch hat kein „Geld“, keinen Phallus und muss daher als Identifikationsobjekt aufgegeben werden.  „Geld“ wird durch das masturbationsähnliche Reiben von Daumen und Zeigefinger ersetzt: der Junge glaubt,  das Mädchen könne nicht masturbieren, weil der Vater es kastriert habe. Zensiert wird hier die Kastrationsdrohung des Vaters, die das „Mädchen“ im Jungen sterben lässt. Die klammheimliche Überwindung dieser Drohung durch Ersatzhandlungen, die der Masturbation entsprechen, könnte die Lust am Programm auslösen. Auch denkbar wäre eine Ursache der Lust im Nachspüren auf das Finden des Weges aus dem Dilemma der Kastrationsdrohung: Das gehorsamen Anlegen der Hand an die Kappe symbolisiert im Ritual den Matrosen – Gehorsam und Vateridentifikation sind eines. Die wellenförmige Handbewegung, mit der das Mädchen gezeichnet wird, verweist auf den Lohn dieser Identifikation – den Körper des Mädchens, das den der Mutter vertritt. Wird der „Liebeswahn“ allerdings zu groß, scheitert die Identifikation. Ein kollektives Tippen an die Stirn bestraft dieses Scheitern.

Aus einer aufs Kollektiv gerichteten Perspektive würde die verdrängte Homosexualität ins Blickfeld rücken. Der kleine Matrose, von je Zeichen der einzigen, für den homophoben Charakter vorstellbaren Homosexualität, nämlich der Zwangshomosexualität nach einsamen, abstinenten Wochen auf dem Schiff, liebt ein „Mädchen“. Dass dieses sterben muss, lässt der angestauten, verdrängten Homoerotik im Publikum einen sicheren Ort zum Ausagieren der eigenen Lust am Matrosen.

Schuld, Treibstoff aller Religionen, rückt in einer vierten Perspektive ins Zentrum des Rituals. Der kleine, also unschuldige, Matrose in seiner reinweißen Uniform verkörpert den Narzissmus. Phallisch-besitzergreifend und anal-kontrollierend umsegelt er die ganze weite Welt. Seine weibliche Seite besteht in der Armut, die ihn zu diesem Verhalten, das ihn ja gleichzeitig von der Mutter trennt, zwingt. Weil diese Erinnerung an Abhängigkeit seinen Narzissmus befleckt, muss sie sterben. Übrig bleibt ein zwar schuldiger, aber um so autonomerer Matrose. Schuld motiviert ihn zur Zensur in der nächsten Strophe. Am Ende bleiben nur noch Silben zurück, die an seine Geschichte erinnern, damit ist auch seine Schuld verdrängt – und damit die des christlichen, also sündhaften Publikums.