Black Robe (1991) – Ein kulturchauvinistisches und rassistisches Machwerk

„Die vielfach als besonders realitätsnah und detailgetreu gelobte Darstellung der Ureinwohner basiert auf umfangreichen Recherchen, historischen Untersuchungen und der Zusammenarbeit mit Ethnologen.“

Dass Arte.tv im Jahr 2020 den Film „Black Robe“ von 1991 unkritisch zeigt, erlaubt einen Einblick in die Fixiertheit des öffentlichen Bewusstseins von Rassismus und christlichem Chauvinismus.

Einige weiße Priester einer Jesuitenmission in Kanada werden als Identifikationsobjekte eingeführt. Einer von ihnen, LaForgue, will mit dem jungen Adepten Daniel eine entfernte Missionsstation bei den Huronen aufsuchen. Dafür erhält er eine Eskorte an indigenen Trägern und Scouts. Diese werden von Beginn an negativ dargestellt. Die Kinder haben permanent dreckverschmierte Gesichter, die Weißen hingegen strahlen vor Sauberkeit.

Die erste Szene der gemeinsamen Reise: der Protagonist LaForgue nimmt einem Kind (später noch einmal einem Erwachsenen) milde lächelnd eine Flöte aus der Hand nimmt, nachdem es vergeblich hineinpusten durfte. Kaum geht es ans Nachtlager, legen sich die indigenen Männer ungefragt zu den befremdet dreinblickenden Weißen unter die Decke – und furzen. Nichts spricht dagegen, Menschen als Menschen zu zeigen. Im Film jedoch furzt ein einziger Mensch und dieser furzt repräsentativ für alle Menschen aus Nordamerika: Die Botschaft: die Weißen furzen nicht. Das Publikum soll hier den Ekel der Priester teilen lernen, nicht den Mythos vom edlen Wilden hinterfragen. Die homosexuelle Konnotation der Szene wird auf eine anale Betätigung reduziert und damit zusätzlich Homophobie mobilisiert.

Die Zuschauer sollen auch nicht den Tauschzwang, den die Missionare in die neue Welt brachten, kritisieren lernen: dieser wird auf die Indigenen projiziert.
So reklamiert einer der Scouts den eigentlich zum Tauschen mit den Huronen vorgesehenen Tabak als Lohn fürs Paddeln und wird von LaForgue dafür angeherrscht, die „Indianer“ sollten lernen, zu planen und nicht nur in den Tag hinein leben. Das kann von einem gebildeten Publikum als Projektion gelesen werden – der Film kokettiert aber auch deutlich mit einer affirmativen Lesart, zumal die „tückischen“ Scouts intrigieren und den Priester später unehrenhaft im Stich lassen. Den begehrten Tabak, so die Botschaft, bringen die handelsbereiten Weißen den Indigenen und nicht umgekehrt.
Der Tabak wird dann doch herausgerückt – und symbolisch gegen Sex getauscht. Der junge und in seinem Glauben schwankende Adept Daniel erhält den Auftrag, den Tabak an die Scouts auszuzahlen und noch bevor er das tun kann, fällt die junge Squaw und Häuptlingstochter Annuka nach drei Sätzen Dialog über den jungen Priester her und küsst ihn ab.

Gespielt wird Annuka von der Sinokanadierin Sandrine Ho in ihrer ersten großen Rolle – später wird Sandrine Ho ihren Namen in Sandrine Holt ändern, um nicht ständig für „ethnische“ Rollen gecastet zu werden. Als sie in „Rapa Nui“ und „Whale Rider“ spielte, ist das weniger dem Umstand geschuldet, dass sie „indigen“ genug aussieht für diese Rollen, als vielmehr, dass sie noch weiß genug ist, um einem weißen Publikum als „schöne Indianerin“ zu gefallen, zuallererst Kevin Costner und Kevin Reynolds, den Regisseuren, die sie in diese Filme holten.

In Black Robe spielt Sandrine Holt die Pocahontas-Rolle der schönen Kulturvermittlerin. Vermitteln muss sie aber primär in ihrer eigenen Kultur: Rassismus wird vollständig auf die indigenen Schauspieler projiziert; deren chauvinistische Urteile werden, wie das Publikum weiß, von der Geschichte blutig gestraft.

Dasselbe weiße Publikum soll sich dann wieder eifrig für seine Erfindungen von den Indigenen bestaunen lassen: Ihr Häuptling sei eine Uhr, die ihnen sage, was sie zu tun hätten, die Bücher Zauberei, Schiffe Inseln aus Holz – die Indianerliteratur ist voll mit diesem Staunen, das für die Stabilisierung der weißen narzisstischen Psyche enorme Bedeutung hat.
Daher werden in „Black Robe“ auch medizinische Kenntnisse anachronistisch zurückprojiziert. Der Priester inspiziert eine Pfeilwunde und weiß er sofort: Der Pfeil darf nicht herausgezogen werden, der Häuptling würde sonst verbluten. Ausgerechnet der Weiße weiß das, der mit Pfeilen vermutlich nie zu tun hatte, der „Indianer“ jedoch weiß es nicht.


Der Puritanismus der Weißen wird durch eine freizügige Sexualität nicht in Frage gestellt wie etwa in „Dancing with Wolves“, sondern erhält ein Gegenmodell, das dem Publikum eine Art Mittelmaß anrät.
Im Paradies gibt es weder Tabak noch Frauen? Die „Indianer“ wenden sich mürrisch ab. Und als Annuka einen Irokesenkrieger zum Sex vor den anderen Gefangenen verführt, um ihn dann mit einer Keule während dem Akt bewusstlos zu schlagen, soll das Publikum lernen, dass die Sexualität der „Indianer“ schon auch kontrolliert gehört.

Völlig projektiv ist der Umgang mit indigener Religion. Diese wird auf Hexenglauben reduziert – während zeitgleich, zwischen 1630 und 1660 die europäischen Hexenjagden noch einmal einen Höhepunkt erreichten. Im Film aber sind die „Indianer“ ständig auf Hexenjagd. Auf einen bloßen Traum hin soll der Priester LaForgue getötet werden. Besonders übel ist die Rolle des Schamanen. Er wird von einem Kleinwüchsigen gespielt, der sofort auf den Weißen losgeht und ihn als Dämon beschuldigt. Darin erschöpft sich seine Rolle: Ein permanent mit heruntergezogenen Mundwinkeln grimmig herumtanzender bemalter Fiesling, der ständig „Hexerei“ ruft und noch den Mann, der ihn herumträgt, mit Püffen antreibt.

Kleinwüchsige erhalten in Filmen selten nichtstereotype Rollen: Hier trifft Stereotypie der Kleinwüchsigkeit auf eine aus Comics sattsam bekannte Karikatur von Schamanen und indigenen Priestern. Diese werden klein gezeichnet, um sie in ihren magischen Drohgebärden schwach und lächerlich zu machen. Ums Lächerlichmachen geht es auch mit dieser üblen Karikatur. Als der Schamane fortfährt, den Priester als Dämon und Hexe zu titulieren, spritzt ihn der Weiße souverän lächelnd mit dem Paddel nass. Ein Lacher für ein weißes Publikum.

Natürlich braucht ein Film 1991 auch ein paar „reflexive“ Dramen: So lernt der Priester am Ende, dass er seine Religion auch „vermitteln“ muss und den „Wilden“ nicht aufzwingen darf. Eventuell ist man auch in der Prüderie zu unflexibel ausgelegt. Deutlich unterstrichen wird aber der generelle Überlegenheitsanspruch der weißen „Zivilisation“.


Der Häuptling der Irokesen tritt auf dem Höhepunkt des Films als Bösewicht schlechthin auf. Ihn interessiert an den Gefangenen nur das Gewehr und sofort geht es zur Folter: Fingerabschneiden mit Muscheln. Mit christlichen Gesängen stärken sich die Gefolterten und um sie zum Schweigen zu bringen, schneidet der Häutling vor ihren Augen einem gefangenen Kind die Kehle durch.

Kriegerische Auseinandersetzungen und Gewalt waren Bestandteil der Geschichte der Indigenen Nordamerikas – jedoch wird hier Geschichte darauf reduziert, um die weiße Kolonisierung sinngebend zu verbrämen. Der Vater Annukas zweifelt daher an seinen gewalttätigen „Brüdern“, den Irokesen, die wie alle Indigenen „keine Menschen“ seien.

Halb zum Christentum bekehrt stirbt er an einer Pfeilwunde im Schnee und zu schalem Kirchengebimmel erscheint ihm noch im Sterben eine Indianermaria.
Symbolisch für alle „Indianer“ stirb er, der Häuptling, während seine Tochter aus der sexuellen Gewalt der anderen Indigenen gerettet wird. Daniel, vom Priestertum abgefallen, bleibt bei ihr, mit dem Segen LaForgues: Die Frau müsse ja versorgt werden. Als bräuchte nicht Daniel ihre Hilfe mehr als sie.
Am Ende bietet der Priester Christentum nicht als Medizin, sondern als Glauben. Kaum tauft er jemanden, zeigt sich ein erlöstes Lächeln. So wird auch Daniels kulturrelativistischer Zweifel am christlichen Paradies widerrufen: Es ist eben doch das Christentum, das erlöst.

Der Film zeigt nicht Rassismus, sondern er zeigt rassistisch. Er zeigt nicht einen Austausch von und über Kultur, zwischen Individuen mit Biographien, sondern er bestätigt in seiner Eintönigkeit und in seiner Fülle von Ressentiments nichts anderes als eine weiße Kultur chauvinistischer Darstellungen indigener Gesellschaften: Ein weißer Heros tritt einem Kollektiv aus Karikaturen gegenüber, lernt dieses oder jenes dazu, behält aber im Kern recht.

Die Taufe bringt erlöstes Lächeln im Tod.




Corona – Zur Ideologie der Verlangsamung, der Dunkelziffern und der empirischen Datenlage

Dunkelziffern, Datenmangel, keine empirische Grundlage – diese Begriffe sind verbreitete Floskeln in der öffentlichen Diskussion um Corona. Sie sind Ausdruck des herrschenden Positivismus, der Ideologie des vereinzelten Fakts. Vermitteltes Wissen, lebendige Erfahrung und logische Schlüsse, kurz gesagt die Ideale Kritischer Theorie, hingegen sind wichtiger denn je.

Dunkelziffern

Die Behauptung, es gebe gewaltige „Dunkelziffern“ bei den Corona-Erkrankungen wird vor allem verwendet, um entweder die Todesraten anzuzweifeln oder um die Maßnahmen für wirkungslos, weil zu spät, zu erklären.
Dunkelziffer ist ein Begriff aus der Kriminologie. Er geht davon aus, dass Verbrechen nicht angezeigt werden. Daher wird aus Erfahrungen von Fachleuten hochgerechnet, was mögliche reale Fallzahlen sein könnten.
Dunkelziffer bedeutet nicht, dass man nichts genaues nicht wissen kann und das für immer so ist, sondern dass man diese Dunkelziffer eben nicht im Dunklen belässt und nach Möglichkeit klärt, welche Schätzungen realistisch sind und wie man dennoch Prävention und Strafverfolgung auf diese näherungsweise eruierte Realität ausrichtet. Kurzum: Dunkelziffern erfordern die Extrapolation von Daten zur Erzeugung von Handlungsanweisungen in unklaren Verhältnissen und nicht Schulterzucken und Agonie.

Der Transfer des Begriffs in die Medizin ist fragwürdig, denn hier geht die „Dunkelziffer“ nicht von individuellem Schamgefühl oder juristischen Hürden oder unklarer Wahrnehmung (z.B. was ist sexueller Missbrauch) oder unmündigen Opfergruppen aus.
Es ließe sich sehr leicht empirisch klären, wie groß der Durchseuchungsgrad mit dem Coronavirus aktuell ist. Dazu kann man entweder mit Blutproben Antikörpernachweise durchführen oder mit Abstrichen den Erregernachweis. Eine solche Studie dürfte je nach n wenige Tage dauern und präzise Auskunft geben. Diese Daten nicht zu haben beschreibt einen Rückstand, ein institutionelles Versagen.

Es gibt aber auch logische Hinweise auf eine relativ geringe Dunkelziffer:
1. Das Auftreten von getesteten Erkrankungen in Clustern (z.B. Hamburg, Berlin, Bergamo). Würde eine hohe Durchseuchung der Bevölkerung vorausgesetzt, wäre auch die Verbreitung von schweren Fällen breiter gestreut. Diese Streuung findet zweifellos mit einer hohen Zahl milder Verläufe statt. Aber sie ist nicht abgeschlossen. Daraus können wir Rückschlüsse über die „Dunkelziffer“ ziehen. Die sich testen ließen.
2. Das Verhältnis bei den tatsächlich getesteten Personen (aufgeteilt in symptomatisch, asymptomatisch) zwischen erkrankt und nicht erkrankt gibt Aufschluss über den Durchseuchungsgrad bei Personen mit Symptomen und Kontakten zur Risikogruppe. Sind Personen mit Symptomen relativ selten tatsächlich erkrankt, ist umso unwahrscheinlicher, dass Personen ohne Symptome relativ häufig erkrankt sind.
3. Der Anstieg der Todesrate, also das Wachstums des Wachstums. Eine hohe Durchseuchung erzeugt ein viel höheres Wachstum der Fälle und damit einen viel stärkeren Anstieg der Todesraten und wiederum eine breitere Streuung.

Wir können aus den vorliegenden öffentlichen Daten schließen, dass das Virus vorerst NOCH in Clustern verbreitet ist, dass also noch keine durchgehende Durchseuchung oder „erste Welle“ stattgefunden hat, wie das mitunter erwogen wird. Auch in Italien haben wir kaum Todesfälle im Süden, es bleibt regional beschränkt.
Wir können weiter daraus schließen, dass die getroffenen Maßnahmen ein gewisses Containment innerhalb von Regionen erreichen können.

Empirische Daten

Die Behauptung, es gebe keine „empirischen Daten“ über die Wirksamkeit von bestimmten Maßnahmen ist vor allem vernunftfeindlich. Es gibt einen sehr klaren Vektoren der Infektion: Die Tröpfcheninfektion. Somit kann eine wirksame Unterbrechung der Infektionsketten nur stattfinden durch das Ausschalten der Tröpfcheninfektion. Und daher sind Maßnahmen angeraten, die 1,5 Meter Distanz erzeugen (und somit die Möglichkeit einer Tröpfcheninfektion verringern) und zusätzliche Hygiene im Bereich häufig berührter Gegenstände und Händewaschen fördern. Ebenso sind Maßnahmen wie die Isolierung hustender oder niesender Personen dringend angeraten und das Tragen eines Mundschutzes durch Personen mit leichen Symptomen in der Öffentlichkeit.
Wir können auch empirische Daten extrapolieren, um Prognosen zu erstellen: Aus bestehenden Länderdatensets zu Maßnahmen und der Ausbreitung, aus dem Vergleich mit historischen Infektionsverläufen ähnlicher Erkrankungen, aus dem Vergleich mit anderen, aber ähnlich invasiven Erkrankungen, wir können Erfahrungen mit HIV-Leugnung, Pockenimpfkampagnen und Impfgegnern hinzuziehen.

Ausgangssperren

Eine Ausgangssperre unterbricht natürlich nur indirekt die Infektionskette, weil sie Personen davon abhält, diese Distanzregeln und Hygieneregeln nicht zu befolgen. Diese Maßnahme ist aus medizinischer Sicht Unsinn, weil sich das Virus nicht über die Luft überträgt und eine Infektion auch durch Distanz vermieden werden kann. Sie ist sogar kontraproduktiv, weil sie Personen von Bewegung an der frischen Luft abhält. Sie ist aber aus soziologischer Sicht eine Disziplinarmaßnahme zur Erzeugung von Compliance zur Einhaltung von sozialer Distanz. Ausgangssperren werden wegen Corona-Parties und Weinfesten diskutiert und nicht, weil das Virus durch die Luft fliegt.

Epidemiologisch sind Ausgangssperren dort begrenzt sinnvoll, wo Menschen isolierbar sind. In Slums des Trikont mit hoher Dichte von Menschen auf kleinstem Raum kann eine solche Maßnahme hingegen kontraproduktiv sein, weil die soziale Distanz im Privaten weniger gegeben ist als im Freien. Dennoch waren in Westafrika Ausgangssperren ein wichtiges Mittel gegen Ebola und sie sind bekannt aus der Medizingeschichte des subsaharischen Afrikas: als traditionelles Mittel gegen Pockenepidemien.

Überwachung

Umgekehrt verhält es sich mit den Maßnahmen der Überwachung von Handys und Kontaktgruppen. Diese sind aus virologischer und epidemiologischer Sicht sehr sinnvoll und wirksam, aus soziologischer Sicht aber katastrophale Eingriffe in elementare Werte dieser Gesellschaft.

Zwischenfazit

Es existieren genügend valide Daten, deren interdisziplinäre und vernunftmäßige Betrachtung relativ eindeutige Rückschlüsse auf den Sinn und Unsinn von Maßnahmen erlaubt. Der Mangel an medizinischen Daten gibt Auskunft darüber, was versäumt wurde und was geklärt werden muss. Der Mangel an Daten kann aber nicht als Argument herhalten, Maßnahmen generell zu sabotieren oder für unwirksam zu erklären. Jede Kritik an konkreten Maßnahmen hat sich am vollständigen Set verfügbarer Daten und Fakten zu orientieren und Alternativen zu präsentieren.

Ideologie der Verlangsamung und die Situation im Trikont

Aus kulturwissenschaftlicher Sicht ist bedenklich, wie wenig die psychologischen Auswirkungen der Vermittlung von Maßnahmen bedacht werden. Bereits zu Beginn der Epidemie in Deutschland, als es noch wenige Fälle gab, einigte sich die Elite in den Medien auf die Formel der „Verlangsamung“. Kommuniziert wird, dass eine kontrollierte Durchseuchung angestrebt wird. Es wird nicht geklärt, warum ein Stopp der Ausbreitung unmöglich sein soll und/oder was der Preis für einen Stop der Ausbreitung wäre. Auf dieser Grundlage entsprechen sich die Modelle von Großbritannien, Finnland, Niederlande und Deutschland: Kein Land hat das Ziel ausgerufen, die Epidemie zu stoppen. Das senkt die Compliance, weil eine Infektion unausweichlich erscheint.
Die Ideologie der „Verlangsamung“ kaschiert aber auch Staatsversagen: Klar ist, dass entsprechende Szenarien einer Corona-Infektion durchgespielt wurden, dass es Maßnahmensets gibt und dass die Krise zu Beginn nicht ernst genommen wurde. Ebenso klar ist, dass die Verantwortung dafür bei der aktuellen Regierung liegt, die einen sehr wahrscheinlichen Fall einer globalen Coronavirusinfektion analog zu SARS oder MERS nicht adäquat vorbereitet hat und die Intrusion des Virus in die breitere Bevölkerung erlaubte. Mit der Formel „Verlangsamung“ wird dem Virus Übermacht einer Naturkatastrophe zugesprochen, um die Schwäche des Staates zu kaschieren.

Was bedeutete die Ideologie der „Verlangsamung“? Sie bedeutete die globale Ausbreitung des Virus insbesondere auf das subsaharische Afrika. Die meisten Infektionen dort kamen aus Europa. Hier existiert keinerlei Redundanz von Beatmungsgeräten. Es gibt hier keine freien Betten, keine Grenze, unter der man die Infektionsraten halten könnte. Wo medizinische Maßnahmen nicht vorliegen, bleibt die Wahl zwischen autoritärer Quarantäne mit Todesfolge für die am härtesten Betroffenen und, sehr viel wahrscheinlicher, eine rasche und gravierende Durchseuchung der Gesellschaften mit hohen Todesraten aufgrund fehlender Intensivpflege. Besonders betroffen sind hier Alte, Mangelernährte, HIV-Erkrankte. Hochgradig tödlich ist aber auch das Zusammentreffen von Corona mit Malaria, Typhus und anderen Tropenkrankheiten.
Die europäischen Staaten haben hier sämtlich an sich selbst gedacht, die Folgen für die eigene Wirtschaft abgewogen und die eigenen Krankenhausbettenzahlen hochgerechnet. Internationale Verpflichtung gegenüber den Staaten im Trikont wurde nicht diskutiert und fand nicht statt. Das Ergebnis können mehrere hundert Millionen Tote sein.
Die afrikanischen Gesellschaften kennen ihre Verwundbarkeit und sind dementsprechend in der „Panik“, die man in Deutschland „vermeiden“ wollte dadurch, dass man keine wirksamen Maßnahmen zu Beginn der Krise traf und technokratisch Maßnahmen dann plante, „wenn die Infektionsrate auf einem Höchststand“ ist.


Zusammenfassung:

Kurz: Man hatte in Deutschland, in Europa nie den Plan stark gemacht, die Ausbreitung zu stoppen und das Virus auszurotten. Die Gründe dafür sind unklar, deutlich ist, dass wirtschaftliche Erwägungen die größte Rolle spielten.
Ideologisch befindet man sich aber auf einer Ebene mit den antiwissenschaftlichen, eugenischen Durchseuchungsplänen der Niederlande und Finnlands und sucht lediglich einen weniger schlechten Kompromiss mit der selbsterzeugten Realität.
Was notwendig wäre: Eine Ethikkommission einzuberufen, die Fakten interdisziplinär zu verhandeln, der Virologie ihren Platz, aber auch nicht mehr, zuzugestehen, und einen Plan auszuarbeiten, wie das Virus auszurotten wäre.
Dieser Plan hätte als zentralsten Punkt zu beinhalten, wie erwartbare Katastrophensituationen im Trikont und in Flüchtlingslagern bewältigt werden sollen, die jetzt, sofort, heute vorbereitet werden müssen. Alles andere wäre ein Bekenntnis zum dezimillionenfachen Tod durch die Ansteckung afrikanischer Staaten durch europäisches laissez-faire im Umgang mit einer Infektionskrankheit. Der nationale Egoismus, der bisherige Strategien der Beschaffung von medizinischem Material kennzeichnet, muss vollständig überwunden und in internationale Solidarität verwandelt werden. Beatmungsgeräte müssen international nach Bevölkerungszahl und Infektionsrate verteilt werden, nicht nach Einkommen.

Bekämfung: Tests, Tests und Tests

Das Ende der Corona-Krise kann nur auf zwei Wegen geschehen:
1. Die massive Ausweitung der Testkapazitäten und die möglichst häufige Testung möglichst vieler, um die Quarantänemaßnahmen präziser zu dosieren. Ein Plan zur massiven Ausweitung der Testkapazitäten wird aber öffentlich nicht kommuniziert, die Hindernisse nicht adäquat benannt. Tests sind das Rückgrat der Epidemiebekämpfung. Medial sind Tests eine sideshow. Man macht sich über Leute lustig, die sich „ohne Grund“ testen wollen, verweist auf die begrenzte Zahl von Tests, ohne öffentlich zu rechtfertigen, warum Tests Mangelware sind und warum Personen mit Symptomen nur getestet werden, wenn sie auch Kontakt zu einer getesteten Person hatten.
2. Die andere Möglichkeit zur Eindämmung des Virus ist die Impfung. Impfungen aber sind invasiv, schwerfällig, dauern als globale Kampagne Jahre, die Risiken sind unklar. Nach derzeitigem Ausbreitungsstand wird eine Impfkampagne der Durchseuchung nicht mehr zuvorkommen.
Das unterstreicht zusätzlich die immense Bedeutung von Tests. Die Quarantänemaßnahmen sind nicht bis zu einer Impfung aufrechtzuerhalten. Tests liegen aber jetzt schon vor und können rascher ausgeweitet werden als Impfungen. Der Öffentlichkeit muss endlich ein Plan kommuniziert werden, mit welchen Mitteln welche Testfrequenz wann erreichbar sein wird. Dieser Plan hätte für den B-Waffen-Fall nach 9/11 oder für Epidemien nach SARS, Ebola und MERS längst erarbeitet sein müssen. Dass er Wochen nach dem Eintreten des Pandemiefalls noch nicht vorliegt, ist Staatsversagen.

Nachtrag

Herdenimmunität: Dieses Konzept taucht immer wieder auf. Herdenimmunität ist ein komplexes Phänomen mit vielen Faktoren, man beginnt bei anderen Krankheiten mit Tröpfcheninfektion mit Schätzungen von ca. 75% Immunität der Gesamtbevölkerung, um Herdenimmunität zu erreichen, realistischer sind Schätzungen ab 85% und für eine hochansteckende Krankheit wie Corona mit langer Inkubationszeit sollte man aus reiner Vorsicht eher von über 90% erforderlicher Immunität für das Erreichen von Herdenimmunität ausgehen, wenn man nicht sehr gute Gründe nennt. Daher wurde Boris Johnson auch in England von Wissenschaftlern bedrängt, seine Strategie aufzugeben, die leider in Finnland und Niederlanden noch wirksam scheint.

https://de.wikipedia.org/wiki/Herdenimmunit%C3%A4t#Einflussgr%C3%B6%C3%9Fen

Indigene Gesellschaften: Völlig unverantwortlich ist, dass in den Pandemie-Szenarien bisher indigene Gesellschaften nicht vorkommen. Corona kann in isolierteren Gesellschaften z.B. im Amazonas-Tiefland viel heftigere Konsequenzen haben und genozidale Auswirkungen haben. Einige indigene Gesellschaften sind für Impfkampagnen sehr schwer zu erreichen, dadurch vor einer Ansteckung besser geschützt, aber eben auch ohne jeden Zugang zu medizinischer Hilfe im Falle einer Einschleppung der Krankheit, die heute sehr wahrscheinlich ist.
Es kann auch zu genetisch bedingter Anfälligkeit bei endogamen und Inselgesellschaften kommen. Dazu fehlen schlicht die Informationen und es sind daher worst-case-Szenarien angebracht, die sich an historischen Erfahrungen orientieren.






„Antirassismuskritik“ und Critical Whiteness – ein dialektisches Verhältnis

Dieser Text wurde 2017/18 auf Bestellung einer Fachzeitschrift erstellt, reviewed, endbearbeitet und dann auf Betreiben eines Redaktionsmitglieds hin nicht publiziert.

Schlagworte: Rassismus, Türcke-Debatte, Bahamas, Critical Whiteness

N-Wörter

Während eines Vortrags über Rassismus in Leipzig meldete sich eine Frau mit dunkler Hautfarbe und beschwert sich, dass ich das N-Wort so häufig verwenden würde. Ich solle das doch nicht tun, es würde ihr so wehtun.
Obwohl ich diesen Moment gut vorbereitet glaubte, versagen mir die Instrumente, die ich mir bereit gelegt zu haben glaubte. Ich erwiderte etwas forsch, dass es mir leidtue, ich zitierte eben und im Zitat hielte ich es für notwendig, die gewaltförmige Sprache nicht zu glossieren. Acht anwesende Menschen mit dunkler Hautfarbe verließen aus Protest geschlossen den Saal, gefolgt von einigen Weißen. Das betrachte ich auch als mein Scheitern, weil es nicht oder nicht nur kalkulierte Eskalation war. Da ich vorab vor „Störungen“ gewarnt wurde, habe ich den Modus der Abwehr im Nachhinein zu früh beschritten.

Eine angemessene Strategie wäre gewesen, die Person ernster zu nehmen und sie aufzufordern, darüber zu sprechen: etwa wie häufig ihr das Wort pejorativ im Alltag begegnet oder was sie selbst vorschlägt um mit Zitaten umzugehen. Und ihr dann zu versichern, dass ich das Wort nicht verwende, um sie zu ärgern, sondern um ein Publikum in ihrem Sinne gegen dessen künftige Verwendung im Alltag zu impfen.
Eine andere, konfrontative, Strategie wäre die Gegenfrage gewesen, warum ihr die Verwendung des Wortes „Neger“ im Zitat mehr Schmerzen bereitet als die davor erfolgte Darstellung der Ermordung und Versklavung von Millionen Menschen aus Afrika im Zuge der Sklaverei.

Sicher aber wäre es hilfreich gewesen, meine eigenen Regeln, nach denen ich das Wort verwende, ausführlicher zu erläutern, was ich hiermit nachhole und künftig vor den Vortrag schalte, um etwaige Missverständnisse zu vermeiden.

1. ich zitiere das ganze Wort (und sage nicht „N-Wort“), um den in der Literatur nicht unwesentlichen Unterschied zwischen den Begriffen „Neger“ und „Nigger“ deutlich zu machen. Wenn Marx etwa in öffentlichen Texten das seinerzeits und bis in die 1950-er Jahre politisch korrekte Wort „Neger“ (engl. „Negro“) verwendet, aber in Briefen über den „jüdischen Nigger Lasalle“ herzieht, dann reicht „N-Wort“ nicht hin, um den Unterschied (und den Absturz) sichtbar zu machen. Ebenso verhält es sich mit Literatur generell.

2. mit revisionistischen Versuchen, das Wort „Neger“ wieder zu etablieren oder sich für Zensuren durch die ostentative Verwendung etwa durch Tarnzitate zu rächen habe ich nichts gemein. Die affirmative Verwendung des Wortes „Neger“ zur Bezeichnung von Menschen mit dunkler Hautfarbe lehne ich ab und verwende, auch wenn ich den Begriff für schlecht halte, das gesellschaftlich akzeptierte Wort „Schwarze“ oder „Menschen mit dunkler Hautfarbe“ dort, wo Hautfarbe tatsächlich relevant ist.

3. In einem Vortrag über Rassismus geht es unter anderem gerade darum, das Wort „Neger“ in seiner Geschichtlichkeit etwa in Kinderbüchern darzustellen. Die Kritik daran muss die Verwendungen benennen – oder sie verharmlost und schönt. Ebenso verhält es sich mit dem humanistischen Realismus Mark Twains in „Huckleberry Finn“ und „Tom Sawyer“, der darauf angewiesen ist, das Wort „Nigger“ in der Alltagssprache abzubilden – alles Andere wäre eine Verharmlosung des literarisch dargestellten rassistischen Systems. Ein Gewaltverhältnis lässt sich nicht kritisieren, indem ein entscheidendes Moment darin, sprachliche Zurichtung, ex post verborgen wird. Über Antisemitismus aufzuklären, aber Zuschauer vor Goebbels Hetzreden, Bildern von antisemitischen Karikaturen oder von Leichenbergen zu schonen, ist ebensowenig möglich, wie über Rassismus aufzuklären ohne die Wörter „Neger“ und „Nigger“ zu zitieren.

4. Die Zensur des affirmativ verwendeten Wortes „Neger“ und entsprechender rassistischer Passagen aus Kinderbüchern kann ich nur begrüßen. Bei Bedarf historisch-kritische Editionen zu suchen kann Erwachsenen zugemutet werden. Kindern kann hingegen nicht von vornherein eine kritische Lektüre abverlangt werden. Vollends schief steht der scheinbar nach Authentizität verlangende Protest gegen die Zensur, weil umgearbeitete, kindgerechte oder um Gewalt und Sexualität verkürzte Versionen von Märchen und Erzählungen gang und gebe sind.

Kalkulierte Eskalationen

„Beim EU-Gipfel in Brüssel hatten sich die Teilnehmer darauf verständigt, die mögliche Einrichtung von Aufnahmelagern in Drittstaaten beispielsweise in Nordafrika zu prüfen. Dorthin sollten Migranten zurückgebracht werden, die versucht hatten, über das Meer nach Europa zu gelangen. Neben Ägypten lehnten jedoch auch Tunesien, Algerien und Marokko ab, Sammellager einzurichten.“
(https://www.deutschlandfunk.de/eu-asylpolitik-aegypten-lehnt-aufnahmezentren-ab.1939.de.html?drn:news_id=898763)
Der Versuch, die Dezimierung der Flüchtlinge aus afrikanischen Staaten an afrikanische Staaten zu deligieren ist nicht neu. Dänische und britische Politiker, dann Otto Schily und Thomas de Maizière und jetzt Donald Tusk, Jean-Claude Juncker und Markus Söder wollen, was die EU in Libyen und Australien in Papua-Neuguinea längst praktiziert: Sammellager, in denen Flüchtlinge in großer Zahl inhaftiert werden, bis sie freiwillig woandershin fliehen oder ihr elender Zustand zur Abschreckung weiterer Geflüchteter dient. Die eskalative Natur aktueller politischer Logik macht diese Zentren ebenso wahrscheinlich wie die Mauer um Europa, die seit 2000 kontinuierlich ausgebaut wurde.

Ebenso wie die Anker-Zentren werden außereuropäische Lager nach ihrer Etablierung auf absehbare Zeit nicht wieder aufgelöst werden, sondern wie heute die Mauer als fait accompli zu dem gerechnet werden, was als gesellschaftliche Realität und damit als „vernünftig“ gilt. Weil aber der agitatorische Trieb in Seehofer und anderen HeimatschützerInnen nie zufrieden sein wird und der inneren Logik zufolge sadistische Energie weiter nach außen richten muss, selbst wenn wie derzeit kaum noch Flüchtlinge den lebensgefährlichen Versuch wagen, wird die Zukunft dieser Lager ebenso eskalativ gestaltet werden.

Denn sollten dort menschenwürdige Bedingungen herrschen, würden sie als reale Option für Millionen Mendschen in den subsaharischen Staaten fungieren. Immerhin haben Staaten wie Sudan oder Äthiopien bereits fünfzehn Millionen afrikanischer Flüchtlinge aufgenommen, eine sichere Option auf afrikanischen Boden würde weitere verzweifelte Millionen aus Nigeria, Tschad, Niger, Mali und Zentralafrika anziehen. Daher muss in solchen Anlaufstellen entweder ein kontinuierlicher Abzug von Menschen durch Asyl und Aufnahme stattfinden, was angesichts der Zahl an Menschen, die objektiv ein Recht auf Asyl hätten, sehr unwahrscheinlich ist; oder es wird die exakt gleiche Dynamik einsetzen wie sie derzeit offene Politik der CDU/CSU für Lager auf EU-Boden ist: Abschreckung durch menschenunwürdige Bedingungen. Begleitet vom Druck zur Kostenersparnis, die aus den Lagern Billiglohnzentren, Organspendebanken und nicht zuletzt von islamistischen Organisationen, Milizen oder Privatfirmen autoritär verwaltete Elendsquartiere jenseits der journalistischen Zugänglichkeit machen wird, aus denen ein kontinuierlicher Brain-drain die wenigen verbleibenden Fachkräfte nach Europa rekrutiert. Menschenwürdige Flüchtlingslager außerhalb der EU-Grenzen sind ein Paradox.
Die arabischen Staaten wissen um die unerfüllbaren Anforderungen solcher Lager und lehnen sie daher vorerst ab. Sie müssen ohnehin auf Dezimillionen Umweltflüchtlinge aus Iran und afrikanischen Staaten vorbereitet sein, weil Europa sich demonstrativ in seiner infantilen Weltabgewandtheit einrichtet. Man hat sich unter dem Druck der CSU entschieden, nicht einmal ein paar lächerliche hunderttausend zu akzeptieren – ein Realitätsbruch mit dem Rest der Welt. Das Resultat kann nur deligierte Gewaltherrschaft über jene sein, die daran erinnern und die EU wird schrittweise den Weg dahin vorbereiten.

Tafelneid

Claus Strunz bringt bei SAT.1 etwas tiefenpsychologische Ehrlichkeit in die Diskussion: Die Mutter, er nennt sie wirklich so, kümmere sich immer nur um die Flüchtlinge. Merkel sei zur „doppelten Mutti“ geworden, zur „Stiefmutter der Deutschen“ und zur „fürsorglichen Mama der Flüchtlinge“. (Strunz)

Die Zwangshandlung, die Kanzlerin Merkel auf die traditionelle Frauenrolle „Mutter“ zurückzuzwingen, ist misogyner Wunsch nach einer mafiösen Vaterfigur, der einer ambivalenten Mutter ein unambivalent drakonisches Gesetz entgegenstellt, das nur die Anderen bestraft und das Selbst belohnt. So ist es auch kein Zufall, dass ausgerechnet Konkurrenz um eine sogenannte Tafel diese stereotype regressive Reaktion eines älteren Geschwisters ausgelöst hat, das dem jüngeren die Mutterbrust neidet. Gemeinsames Essen dient dem Aggressionsabbau, wie Freud am Totemsmahl in „Totem und Tabu“ zeigt. Der getötete Vater wird verspeist, dadurch internalisiert und sein Gesetz wieder aufgerichtet. Aggression geht in Schuld und dann Anerkennung über. Daher ist auch das gemeinsame Totenmahl eine transkulturelle Institution.

Dass nun mit Geflüchteten zusammen gespeist würde, ist für das eigentliche Projekt des Aggressionsaufbaus, das die Neue Rechte betreibt, mehr als hinderlich. Und daher stürzen sich nationalkonservative Akteure in Sat.1, FAZ, Cicero und anderen Medien auf den „Tafelskandal“. Der Klickköder lautet, man müsse „genauer hinschauen“. Suggeriert wird, es gebe eine verschleierte Wahrheit, einen wirklichen rationalen Grund für die Ausgrenzung von Menschen ohne deutschen Pass von einer Armenspeisung. Dieses Geheimwissen bleiben die entsprechenden Medien schuldig, aber die rechten Massen brauchten auch nur das Gefühl, es besser zu wissen, sie hungern nach Simulationen von Erkenntis ohne Anstrengung. Dahingehend ist Strunz zu danken, dass er seinen Mutterneid wenigstens ehrlich und öffentlich preisgibt. Was er damit belegt: es gibt keinen rationalen Grund für die Schließung der Essener Tafel für Menschen ohne deutschen Pass. Es ist blanker Futterneid der ohnehin Gesättigten in vorgetäuschter Fürsorge für Menschen, für die die gleichen Medien sonst auch nichts übrig haben als Verachtung. Es ist Rassismus.

70% der Besucher einer Essener Tafel waren Menschen ohne deutschen Pass –  für den Leiter war das ein Grund, die Schuldfrage zu stellen: „Ist der Vorstand schuld? Sind die Mitarbeiter schuld? Und letztlich haben wir festgestellt, dass die einzige Veränderung der Ausländeranteil ist. Wir grenzen auch keine Ausländer aus – wir geben den Deutschen die Möglichkeit, wieder zur Tafel zu kommen.“ (Jörg Sartor)

Nur der Ausländeranteil könne demnach der Grund sein „weshalb sich etwa viele Ältere nicht mehr wohlfühlten und das Hilfsangebot nicht mehr wahrnähmen.“ (Welt) Die an linksidentitären Institutionen verbreitete Maxime des kollektiven „Wohlfühlens“ hat zurückgefunden in die idiosynkratische Gemeinschaft der Rechten. Unspezifisch raunt Sartor etwas von „Belästigung“ oder „mangelndem Respekt“ – die Vorwürfe bleiben unkonkret, weil im Publikum schon als genehmigt gilt, dass „die alle so sind“ und man es ja schon wisse, worum es gehe.
Der Rückzug des Staates, dessen Symptom die Tafeln sind, macht sich mit dem autoritären Ruf nach ihm gemein. Wo man offenbar nicht in der Lage ist, bei konkreten Vorfällen die Polizei zu rufen oder auch dauerhaft zur Sicherung einer gereizten Lage bei der Verteilung von humanitären Hilfsgütern in den Krisengebieten am Rande eines der weltweit reichsten Länder abzustellen, wird nach ebenjener Polizei, letztlich nach der kastrierenden Mutter gerufen, die Geflüchtete abschieben, ausweisen, in jedem Fall unsichtbar machen solle.

70% der Besuchenden sollen ausgegrenzt werden, damit 30% sich wohler fühlen, wenn sie Reste von Lebensmitteln erhalten, ohne die sie Hunger leiden müssten. Selbst wenn eine spezifische Gruppe unter den Geflüchteten aufgefallen wäre, so ist es immer noch rassistisch, sämtliche Geflüchteten zu kollektivieren, sie dann als „Unkultivierte“ zu polarisieren und in der Hierarchie noch unter den untersten Rand der Gesellschaft zu stoßen. Man braucht gar keinen Notstand wie in der Kölner Silvesternacht mehr, um solche Kollektivstrafen zu legitimieren, es reicht, wenn jemand in der Schlange drängelt – was allemal zur deutschen Kultur des Ellenbogens gehört. Die wird durch folgende Werbung für den Klassenkampf von oben deutlich, welche sich sicher nicht an Rentnerinnen richtet, die als prekäre Arbeiterinnen einen Witz von Rente erhalten und bis zum Ende ihres Lebens an einer Armenspeisung anstehen müssen, die man „Tafel“ nennt, weil das feiner und nicht so sehr nach Armut klingt.

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Fußnote zur Praxis:
Sollte es zu einem seriellen Problem gekommen sein, wäre die adäquate Praxis wie folgt:

1. eine mit kräftiger Stimme vorgetragene Standpauke hilft in einer sozialen Einrichtung wie der Tafel sicher ebensoviel wie im Bus, wenn Spätadoleszente nicht durchgehen oder die Lichtschranke der Tür stören.

2. Gerade unter jungen Geflüchteten findet sich eine hohe Bereitschaft zum Mitmachen bei sozial nützlichen Projekten. Ebenfalls findet sich die Bereitschaft innerhalb einer diskriminierten Gruppe, negatives Verhalten anderer Angehöriger der diskriminierten Gruppe harscher zu verdammen als die Mehrheitsgesellschaft. Ein ehrenamtlicher Ordnungsdienst für die Tafel ließe sich unter Geflüchteten sicher leicht und bei Bedarf spontan auf Ansprache rekrutieren, wenn man nicht davon ausgeht, dass sich die deutsche Oma durch den bloßen Anblick von Ausländern beleidigt fühlt.


Rechtsantideutsch – Zur Genese eines Phänomens

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Die „antideutsche“ Haltung war zunächst eine recht diffuse Gegnerschaft zum wiedervereinigten Deutschland. Bis heute finden sich im individuellen Sediment Fossilien dieser Zeit:
Der Hass auf die Revolution gegen das totalitäre DDR-Regime, die in einer Fehllektüre der bürgerlichen Parole „Wir sind das Volk“ als „völkische“ identifiziert wird; die Glorifizierung der roten Armee als antifaschistische Institution, deren nicht erst unter Stalin erzwungene faschistische Prägung zugunsten des Rauschs der Fahne ausgeblendet wurde; eine generalisierende Fehlinterpretation von postkommunistischer Weltpolitik als Ausgreifen eines wiedererwachten deutschen Nationalsozialismus, darunter zuvörderst die Theorie, die den Jugoslawienkrieg ausschließlich als deutsche Verschwörung gegen die letzte sozialistische Macht in Europa deutete. Das sind jeweils Erbschaften antiimperialistischer Welterklärung durch Reduktionismus und Identitätspolitik, gegen die kritische Theorie sich schon in den 1930ern imprägnierte.

Diese Ursprünge führten dazu, dass unter anderem Jürgen Elsässer Mitherausgeber der Zeitschrift „Bahamas“ wurde, dem Organ jener Minderheitsfraktion der Gruppe K, die nicht mit der PDS zusammengehen wollte. Unter dem Einfluß der „Initiative sozialistisches Forum“ in Freiburg schärfte die Zeitschrift ihr Profil und rückte den israelbezogenen Antisemitismus ins Zentrum. Das provozierte polemische, hasserfüllte Reaktionen aus der traditionellen Linken, für die „antideutsch“ zunächst zum Synonym von Verrätertum wurde, bei nicht wenigen aber seriell zu Reaktionsbildungen und euphorischer Identifikation mit dem Label führte. Die Zeitschrift Bahamas warb noch in dem Maße um die Linke, wie sie diese kritisierte, die „Antideutschen“ waren in aller Regel ehemalige Linke und Marxisten.

Inhaltlich häufig von präziser Korrektheit, war die Polemik vieler Bahamas-Texte früh von jenem enttäuschten, abgewehrten Begehren geprägt, in dem Psychoanalyse die Intensität des Ekels begründet sieht. Es ist ein Begehren, das sich nur in der Verachtung artikulieren kann und letztlich sein Objekt zerstören muss, wo es sich der durch Schmähungen vorgetragenen „Werbung“ verweigert.

„Fangen wir doch einfach mal mit den Äußerlichkeiten an“ war die Parole von Justus Wertmüller nach den Demonstrationen von Heiligendamm 2007. Der Kommentar des Blogs „Psychosputnik“ greift diese „Äußerlichkeiten“ in einer Fußnote begeistert auf: „Mit diesem einfachen Wort rekurriert Wertmüller auf Adornos geniale Entdeckung, daß ohne Berücksichtigung der ästhetischen Empfindung das ganze Denken des Mensch blind wie frischgeborene Kätzchen ist.“

Einem geschichtsphilosophisch geschulten Herangehen hätte der Rekurs auf die frühneuzeitliche Ästhetik, in der die Konkurrenten Pietismus und Aufklärung zunächst von Form auf Inhalt, vom schönen Äußeren auf den schönen Geist und letztlich von der schwarzen Hautfarbe auf den fehlenden Intellekt schließen wollten, (wie George L. Mosse in seinem Standardwerk zur Geschichte des Rassismus nachweist) bekannt sein müssen. In der Szene wurde solche Skepsis von einer populären Faszination mit der angeblichen Rückbezüglichkeit von „Form und Inhalt“ überlagert. Daran schließt Wertmüller mit seinem „rant“ an:

„Immer noch trägt man diese schrecklichen Dreadlock-Wursthaare, immer noch ist man auf dem veganen Trip, immer noch ist man auf dem Kreativtrip, obwohl man zu nichts in der Lage ist, weder in der Kunst noch im Schreiben noch im Reden noch in der Beziehung. Immer noch hält man sich für etwas Besseres, obwohl aus einem das psychische und physische Elend grinst. So gesehen ist natürlich die radikale Linke, also alles jenes, was sich autonom, antifa, nehmen wir mal diese beiden Dinge oder ExK-Grüppler oder was es da noch so gibt, die Antirassisten und Antisexisten, natürlich nicht zu vergessen, die von ganz besonderer Hässlichkeit sind, etwas Abstoßendes und schon deswegen eigentlich ein Personenkreis, zu dem man auf Abstand gehen sollte.“

Das „physische Elend“ Anderer zu verurteilen war Wertmüller und nicht wenigen seiner Anhänger vor fast zehn Jahren probates Mittel, das sich nicht selbst der Identitätspolitik („ich sehe gut aus, also bin ich gut“) verdächtig wurde. Auf dem Titelbild der Ausgabe 55 (2008) fanden sich dann die „hässlichen Elendsgestalten“ mit Überbiss karikiert. Solche Ästhetik bildete einen Meilenstein auf dem Weg dahin, das bisherige Rekrutierungsfeld nicht mehr zu kritisieren, sondern von sich zu werfen.

An die Stelle dessen, was Psychoanalyse als reife Reaktion auf Verlust und Impotenz vorschlägt – Trauer – traten Wut, Hohn und Spott. Im Gegensatz zur feministischen Sache, die trotz der Gegnerschaft zum „Antisexismus“ noch lange von Autoren der Bahamas vertreten wurde, haben vor allem Clemens Nachtmann und Sören Pünjer den Antirassismus nicht nur als Bewegung sondern auch als Gegenstand gründlich entsorgt und damit den weiteren Wegverlauf vorbereitet.

„Seien wir doch ehrlich, Rassismus, der wirklich noch Rassismus genannt werden kann, also nicht die Verrücktheiten der Antira-Szene, die jede staatliche Regulierung von Zuwanderung als Rassismus geißelt, oder jeden, der das Wort Neger in den Mund nimmt, standrechtlich zusammenschlagen will, hat doch nicht wirklich eine Zukunft. Die Zukunft gehört der Ideologie des Antirassismus als menschenverachtendem globalem Massenbewußtsein, also als Fusion aus Multikulturalismus und Ethnopluralismus, zusammengehalten von einem politisch korrekten Antisemitismus.“ (Sören Pünjer)

Das knüpfte an eine ältere Tradition an. Bereits 1994 hielt Manfred Dahlmann einem durch und durch grotesken und in der „konkret“ sowohl abgedruckten als auch gründlichst kritisierten Referat von Christoph Türcke zugute, er habe der zu Unrecht empörten Linken lediglich „die Botschaft überbracht“,  dass wenn „der deutsche Staat sie mal vor die Alternative stellen sollte, entweder die ‚Flüchtlingsfrage‘ mit ihm gemeinsam zu ‚lösen‘ oder die soziale Sicherung entzogen zu bekommen, ihre Entscheidung eindeutig sein wird.“ Gemeint ist, dass die Linke sich wie der vernünftige Staat, den Türcke unterstellte, für die „soziale Sicherung“ und entscheiden würde, die durch die Jugoslawienflüchtlinge damals bedroht schien. Bei Pünjer wird im gleichen Duktus aus der humanistischen Kritik der immer weiter eskalierenden Dezimierung von Flüchtlingen durch Hürden, die sie in den Kriegsgebieten halten sollen, schon ein „Geißeln“ „jeder staatlicher Regulierung von Zuwanderung“.

Das ist der Jargon der Rechten, die aus der verzweifelten Flucht von etwa 50 Millionen Menschen weltweit eine gemütliche „Zuwanderung“ zu machen sucht, die dann nur „reguliert“ würde. Dass dieser „Regulierung“ zehntausende von Menschen zum Opfer fallen, die verdursten oder ertrinken, weitere Millionen zwangsweise in elenden Lagern gehaltene Flüchtlinge systematisch der Ausbeutung durch Organhandel, Zwangsehen, Zwangsprostitution und Sklaverei zugeführt werden, kann stets mit der bürgerlich-egoistischen Rationalität des Notstandes legitimiert werden: alles Andere seien Hirngespinste, Träumereien, Selbstschädigung und mancher auf der antideutschen Straße wusste bereits, dass „no border“ eigentlich nichts anderes sei als der „Antinationalismus“ des Islamischen Staates.

Wie gründlich die Redaktion Bahamas mit dem Humanismus abgeschlossen hat, und wie tief der Reflexionsausfall reichte, zeigte das Editorial der Ausgabe 73.

„Deutschland ist das Land der Durchhalter. Es brach 1914 einen fürchterlichen Krieg vom Zaun, den es, obwohl er schon nach drei Monaten verloren war, weitere vier Jahre fortsetzte, nur um sich nach der Niederlage als moralischer Sieger zu präsentieren und gegenüber dem Rest der Welt durchaus aggressiv den Beleidigten zu geben. Eine verwandte Aggressivität spricht seit dem Frühjahr 2016, als nicht mehr zu bestreiten war, dass sie ihren Kampf um die Hegemonie in Europa verloren hatten, aus den Deutschen. Aus Geiz und Gier, die exemplarisch in der Griechenland-Politik zum Ausdruck kommen, genauso wie aus dem narzisstischen Bedürfnis heraus, die anderen auch in moralischer Hinsicht ins Hintertreffen zu bringen, wofür die vollends wahnsinnige Flüchtlingspolitik seit dem Frühjahr 2015 steht, ist das Projekt Europäische Union maßgeblich von Deutschland zum Scheitern gebracht worden. Seither wird wieder durchgehalten.“

Die Aufnahme von einer Million Flüchtlinge wird hier mit dem ersten Weltkrieg gleichgesetzt (vor dem zweiten als Parallele schreckte man vorerst noch zurück).

„Wie vor hundert Jahren ist es die Intelligenz, die die so dringend gebotene Selbstkritik empört zurückweist und stattdessen zum Entlastungsangriff auf inzwischen alle europäischen Nationen bläst. Man sieht sich einer bösen Welt ausgesetzt, die von nationalistischen Kleingeistern, rechtspopulistischen, gar faschistischen Unmenschen, feigen und ehrlosen Umfallern und interventionistischen Bellizisten bevölkert zu sein scheint.“

Gegen diesen „Schein“ sollte man sich die Realität vergegenwärtigen: In Ungarn ist die antisemitische Nazipartei „Jobbik“ seit 2010 drittstärkste und seit 2014 zweitstärkste Kraft. In Österreich ist die FPÖ wieder Regierungspartei. In Deutschland hat die AFD alles zwischen rechtem Flügel der CDU/CSU und linkem Flügel der NPD abgeräumt. In Frankreich agitiert der Front National gegen Europa und Flüchtlinge und zwischen Polen und Großbritannien will man die „Islamisierung Europas“ stoppen, während die reale Islamisierung der Türkei, Indonesiens, Bangladeschs, Malaysias und des subsaharischen Afrikas von den jeweiligen Rechten als ethnopluralistische Kuriosität ignoriert wird, wo die Parteien nicht gleich mit islamistischen Regimes kollaborieren.

Den Gegner sieht die Redaktion Bahamas aber in den „guten Deutschen“, deren „kollekive Wiederholungstat“ darin besteht, Flüchtlinge aufzunehmen.

„Den brutalen Überlegenheitsdünkel und die unerträgliche Selbstgerechtigkeit der deutschen Intelligenz hat kürzlich der Schriftsteller Pascal Bruckner in Gestalt des ihn interviewenden Journalisten Georg Blume zu spüren bekommen. In einem Interview das am 14.4.2016 in der Zeit erschienen ist. Im Ergebnis geriet die intendierte Entlarvung des prinzipienlosen französischen „Parade-Intellektuellen“ durch einen Vertreter der „guten Deutschen“ zum Protokoll über einen kollektiven Wiederholungstäter, dessen Hang zu Sonderwegen Europa einmal mehr ängstigt.“

Dieses Interview wird im Editorial 73 der „Bahamas“ in langen Auszügen abgedruckt. Bruckners Argumentation ist im Wesentlichen die der neuen Rechten: Aus Vernunft hätte man den Millionen Flüchtlingen aus Syrien den Weg nach Saudi-Arabien zeigen sollen, den nach Europa aber versperren, weil Europa keine Schuld am Syrienkrieg trage. Bruckner beklagt:

„Man kann doch nicht von einem Tag auf den anderen, im Hauruckverfahren, eine Million Leute, die nur Diktatur, Krieg, Folter und Bomben kennen und aus einer Kultur kommen, in der die Frau ein zweitrangiges Wesen ist, in eine freie Gesellschaft verpflanzen.“

Auch hier wird wieder aus der Flucht eine Aktivität der Europäer, ein „Verpflanzen“. Die verräterische   Floskel verniedlicht die mörderische Flucht zu einem gärtnerisch-fürsorglichen Akt. Kritisiert wird nicht, dass CDU und SPD zu wenige, sondern dass sie zu viele Flüchtlinge aufgenommen hätten. Das wird von Bruckner psychologisiert:

„Ebenso uneingeschränkt und impulsiv war die Reaktion der Kanzlerin auf die Flüchtlinge: eine Million willkommen heißen, jetzt, sofort! Ohne Absprache mit uns anderen Europäern. Man begegnete in Merkel einem Narzissmus des Mitgefühls. Wie jeder Narzissmus war auch dieser grenzenlos und ein Alleingang.“

Hier steht alles schief. Merkels Weigerung, auf die Flüchtlinge schießen zu lassen, wird als Mitgefühl fehlverstanden, dieses dann pathologisiert[1] und nicht als zivilisatorischer Mindeststandard gewürdigt, der freilich wenige Wochen später mit Stacheldraht in Ungarn, auf dem Balkan und mit der Mauer in der Türkei unterlaufen wurde. Die nach wenigen Wochen beendete Phase entstand aus dem Problem, dass unter anderem Italien sich weigerte, die ökonomisch und humanitär aufwändige Drecksarbeit für Deutschlands repressive Flüchtlingspolitik zu erledigen und Flüchtlinge ohne Registrierung nach Deutschland weiterreisen ließ. Schengen stand auf dem Spiel und damit ein Instrument, mit dem vor allem Deutschland eine repressive Flüchtlingspolitik auf Kosten der Anrainerstaaten lösen wollte. Es ist schlichtweg eine Verdrehung, aus der Aufnahme von Flüchtlingen ein „deutsches Projekt“ zu machen. Seit den Brandanschlägen und Pogromen der 1990er war die deutsche Maxime, Europa zu nutzen um Flüchtlinge aus Deutschland herauszuhalten. Das kurze Intermezzo 2015 war ein komplexes Zusammenspiel von Syrienkrieg, Europapolitik und internationaler Entrüstung über die Behandlung von Flüchtlingen, der sich Deutschland zuletzt nicht mehr entgegenstellen konnte. Auch 70% der polnischen Bevölkerung waren damals für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen.

Die Redaktion Bahamas bekundet hingegen:

 

„Die Redaktion Bahamas, die Bruckners Argumente vorbehaltlos teilt, befindet sich in der ungemütlichen Situation, dass Herr und Frau Durchhalter in deutschen Redaktionen, Studentenvertretungen und selbst sich israelsolidarisch nennenden Initiativen auf jeden kritischen Hinweis über deutsche Alleingänge wie die Flüchtlings- und Türkeipolitik der Regierung Merkel nicht nur mit Diffamierungen reagieren, auf die wir schon zu antworten wissen.“

Mit „Durchhalter“ wird explizit wieder die Parallele zwischen 1. und 2. WK und Flüchtlingsaufnahme gezogen und so der Notstand legitimiert, in dem man auf Realitätsprüfungen verzichten kann:

„Merkel-Deutschland, das man sich als ein nicht nur in Leipzig tätiges „Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus“ vorstellen muss, ist, seit es als Durchhalter-Gemeinschaft gegen Europa mit dem Rücken zur Wand steht, im Kampf gegen den inneren Feind noch Manches zuzutrauen.“

Diese Verkehrungen finden sich als Detritus in der Szene wieder, die sich inmitten der bürgerlichen Eiszeit ihrer ideologischen Obdachlosigkeit schämt und Nestwärme bei der gesellschaftlich hegemonialen Vernunft sucht: Flüchtlinge eben draußen zu halten, in Bruckners Jargon zu „filtern“, wegen dem Islamismus und weil man ja nicht alle aufnehmen kann. Die Idee, die europarechtlich verregelte Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen ausgerechnet mit dem Nationalsozialismus zu identifizieren ist offenbar so überzeugend, dass Paulette Gensler sie aufgreift und in einem Kommentar als „Biopolitik“ bezeichnet:

„Eben dieser Bezug auf Polen, wie Martin [Stobbe] ihn hier skizzierte, ist mir nämlich auch aufgestoßen. Denn auch ohne Bahamaslektüre, aber nach einem kurzen Blick in ein durchschnittliches Geschichtsbuch wäre doch zu erkennen, dass es eventuell Gründe gibt, aus denen sowohl die polnische Regierung als auch Bevölkerung etwas sensibel auf deutsche Biopolitik auf polnischem Boden reagiert.“

Die europaweit vereinbarte Verteilung von 120,000 Flüchtlingen sollte primär Italien und Griechenland entlasten. Wirtschaftliche Ausgleichsregelungen sind vorgesehen. Daraus ein „deutsches“ Projekt, gar „Biopolitik“ zu machen, zeugt vom Realitätsverlust ebenso wie von der Aufgabe von Aufklärung als Möglichkeit.

 

Der Abschied der Redaktion Bahamas vom Humanismus ebenso wie vom Realitätsprinzip ließe sich an weiteren Texten exemplarisch belegen. Er bleibt vorerst partiell und wird gelegentlich widerrufen in bestem Judith-Butler-Stil: Man habe das nicht so gesagt, was man eben gesagt hat. Und sicher wird man in der Bahamas weiterhin Texte finden, mit der sich andere Texte in der Bahamas kritisieren lassen. Aber die in die Welt gerufenen Ideologeme wie der Identifizierung der Aufnahme von Flüchtlingen mit dem ersten und zweiten Weltkrieg, von Antirassismus und Nationalismuskritik mit dem Islamismus, vom ästhetischen Elend der „Linken“, vom Untergang des Rassismus, diese Ideologeme werden weiter gedeihen, weil sie sehr einfache, identitätspolitische Lösungen für komplexe Probleme anbieten.

 

[1] Der Zusammenhang von inszeniertem Mitleid und Narzissmus wurde von Nietzsche durchaus richtig erkannt. Tatsächlich ist der pathologische Narzissmus aber zum echten Mitgefühl geradewegs unfähig und muss es an Anderen als Schwäche oder Perversion abwerten.

Rassismus in Medien: Tom und Jerry – Episode 40

https://www.youtube.com/watch?v=9mqwY11cKWU

Die 1949 erschaffene und mit einem Oskar ausgezeichnete Folge von Tom und Jerry mit dem Titel „The little Orphan“ ist Ausdruck des Indianerbildes dieser Zeit. Der als Indianer verkleidete räuberische Tölpel Jerry macht der als Pilgrim verkleideten Maus Tom ululierend das Thanksgiving-Mahl streitig und erhält wie stets seine „wohlverdiente“ Abreibung.

Dazu gehört, dass Jerry ihn mit einem Brandpfeil in Brand setzt und er verbrennt. Die grauenvolle Szene war offenbar dem Cartoon Network zu anstößig, sie wurde geschnitten. In der Folge wird dieses Anzünden des Gegners mit dem Sieg belohnt. Als Ergebnis zückt der Aggressor Tom die weiße Fahne und darf sich nach der Unterwerfung mit an den Tisch begeben. Die Täter-Opfer-Verkehrung und die Glorifizierung der genozidalen Massaker an den indigenen Gesellschaften ist unmissverständlich. Im deutschen Fernsehen läuft die Episode regelmäßig ungeschnitten, unter anderem am 19.12.2017.

 

 

Hauptsache nicht gutgeworden

„Niemandem gelang es besser, diese Paradoxie, die Wiedergutwerdung der Deutschen an den Flüchtlingen, besser auf den Punkt zu bringen als Karl Lagerfeld. „Wir können nicht Millionen Juden töten und Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land holen.” Wer dieser trivialen Aussage nicht zustimmen kann, der ist offenbar bereit, zwecks Aufnahme von Menschen in Millionenhöhe, die nur zum Teil tatsächlich verfolgt werden und denen zum größten Teil auch anders geholfen werden könnte – all dies könnte man mittlerweile wissen –, die Möglichkeit jüdischen Lebens dort preiszugeben, wo es einmal fast ausgelöscht wurde.“

Das schreibt Felix Perrefort auf der Achse des Guten und es ist nur eine Wiederholung der ewig gleichen zynischen Suggestion, Flüchtlinge seien „geholt“ worden und hätten sich nicht unter Lebensgefahr, durch das Mittelmeer, Kälte und Wasser dezimiert, und unter Aufwand von Kapital für Schlepper an jeder Grenze hierher gerettet.
Man hätte „anders“ helfen können, meint der Autor hier, und sagt aber nicht wie und wer. Anders hilft etwa die Organisation WADI e.V., die nicht das erste Mal feststellen muss, dass aus temporären Lagern für vom IS verfolgte Menschen dauerhafte Einrichtungen werden, während das internationale Interesse und damit die Gelder schwinden. Für solche „andere“ Hilfe wirbt Perrefort aber gar nicht erst: es geht ihm eher darum, dass „Andere“ und vor allem „woanders“ helfen sollen.

Allein der erste Teil der Aussage Lagerfelds ist trivial und wahr: „Wir können nicht Millionen Juden töten.“ Sobald der Nebensatz hinzutritt, wird aus ersterem eine Option. Wann kann man „Millionen Juden töten“? Wenn man danach nicht ihre Gegner ins Land „holt“? Ist es dann erlaubt? Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Was ist mit Schweden, Frankreich, England? Sollen die Millionen Judenfeinde ins Land „holen“ dürfen?

Lagerfelds unausgegorender Unmut ist schon im Ansatz falsch und dieses Falsche ist Ursache dafür, dass wenig Hoffnung auf Heilung vom Antisemitismus besteht: Weder in den Herkunftsländern von Flüchtlingen, die arabische Diktaturen bleiben, noch in Europa, wo man vom Gewordensein des Antisemitismus so wenig wissen will, dass man kein Rezept zur Re-Education von Millionen parat hat.

Wenn Europa nicht eine Million Flüchtlinge im Jahr gegen Antisemitismus bilden kann, wie soll es dann mit den Dezimillionen eingebürgerter und indigener Antisemiten verfahren können? Wie mit den gebildeten Antisemiten in den Universitäten, in den Zeitungen? Der Anti-Antisemitismus scheitert nicht an den Geflüchteten, sondern an den europäischen Eliten, am fehlenden öffentlichen Bewusstsein über den Antisemitismus. Es geht dem Anti-Antisemitismus von Rechts nicht um Aufklärung gegen Antisemitismus, sondern um bequeme, kollektivierende Lösungen, die mit Notständen gerechtfertigt werden sollen. Weil nicht wenige Antisemiten unter den Geflüchteten sind, soll man am besten alle in der libyschen Wüste oder im Mittelmeer oder am besten ganz „woanders“ sterben lassen. Das ist ohnehin Praxis, nur noch knapp 200,000 Menschen schafften es 2017 lebend bis nach Deutschland. Ein Großteil der Geflüchteten sitzt nun in der Türkei fest, wo sie nun den antisemitischen Reden des Islamisten Erdogan zuhören.

Die höhnische Rede von der „Wiedergutwerdung“ hat ihren kritischen Gehalt, den der Begriff im spezifischen Wandel vom Antisemitismus zum sekundären Antisemitismus einmal beanspruchte, längst verloren und verbreitet ausschließlich Hass auf den Humanismus der Flüchtlingshelfer, zu dem man nicht fähig ist und hinter dem man daher dieselben bösen Motive vermutet, die man selbst gegen Flüchtlinge hegt.

Perrefort fährt fort:

„Dass Weltoffenheit und Vielfältigkeit nur die ideologischen Schlagworte sind, mit welchen die Kritik an solchen Zuständen als Fremdenfeindlichkeit denunziert werden soll, dürfte mittlerweile genauso ersichtlich sein, wie das „Willkommenskultur“ geheißene Destruktionspotenzial einer an seiner nationalsozialistischen Vergangenheit erkrankten Gesellschaft, welches beispielsweise darin zum Ausdruck kommt, dass von der polizeilichen Kriminalstatistik empirisch belegten Gewaltkriminalität seitens der Zuwanderer geflissentlich geschwiegen wird.“

Der verstorbene Demagoge Udo Ulfkotte sprach vom „Vernichtungspotential“ der Einwanderer, hier wird aus Flüchtlingshilfe ein „Destruktionspotential“. Wie jeder Agitator suggeriert Perrefort, es werde über Gewaltkriminalität von Geflüchteten, die er im szeneüblichen Jargon als „Zuwanderer“ tituliert, „geflissentlich geschwiegen“. Als würde nicht jede CDU-Postille die Ausländerkriminalität beklagen, als wäre das Internet nicht voll von faszinierten „Berichten“ über angebliche und reale Vergewaltigungen. Wovon tatsächlich geschwiegen wird, sind humanistische Strategien, sowohl für die Kriege in Syrien und Jemen als auch für die Situation von Geflüchteten als auch gegen den Antisemitismus.