Eine ungarische Kamerafrau lässt ihrem analen Sadismus freien Lauf, tritt vorbeirennende Kinder und stellt einem Mann das Bein, der ein Kind in Armen trägt. Solcher KZ-Wärterinnen-Habitus ist erwartbar in einem Land, in dem eine Art ungarische CSU und Jobbik seit Jahren ungehindert von der EU die Faschisierung vorantreiben. Er ist erwartbar in einem Europa, in dem Sozialdemokraten iranischen Massenmördern Geschäfte antragen und Ministerpräsidenten die eigenen Frauen bei Staatsbesuchen verschleiern lassen. Er ist erwartbar in einer Welt, in der man ein Syrien mit Assad schon fertig geplant hat, während man die Flüchtlings“katastrophe“ beklagt. Man tritt, sobald man sich unbeobachtet und ungestraft wähnt.
Was diese ungarische Täterin macht, passiert an den Außengrenzen täglich. In Mellila oder Ceuta, durch Frontex und Polizisten ausgeführt. Daran sterben dann Menschen, weil man sie zurück in Hunger, Durst oder lebensgefährliche Überfahrten tritt. Sie können dann nicht wieder aufstehen und weiterrennen. Sie sterben am Zaun oder im Meer, werden von Polizisten zusammengeschlagen oder zurückgedrängt mit Pfefferspray. Aber dort ist eigentlich nie ein RTL-Team.
Mit Roberto Blanco zum Persilschein
„Er war Chauffeur und er machte nicht nur an und für sich unter den Leuten, durch die er hindurch musste, den Eindruck, eines Gentleman, sondern er blieb es auch, als sie die ihnen innewohnende Gemeinheit an ihm sich austoben ließen. Denn nicht nur, dass das stereotype Spalier offener Mäuler und gereckter Arme ihn begleitete und der ewige Ruf: „A Näägaa – !“ aus dem Boden sprang und wie festgewurzelt dastand, wenn er mit seinem Automobil vorüberflitzte – wir hörten auch, wenn ein Wachmann den Verkehr aufhielt, Sentenzen, Ratschläge, Verwünschungen wie: „Ge hörst’rr schau drr den schwoazen Murl an!“, „Hörst Murl, wosch di o!“, „Na woart du schwoaza Kinäsa!“, „Jessas, a narrischer Indianer!“, „Aschanti vadächtigaa – !“, „Tepataa – !“, „Stinkataa -!“
Ein Denker hielt sich die Stirn und rief: „Ah – jetzt waß i ollas!“ Was, verriert er nicht. Eine Megäre, deren Säfte in Wallung kamen, rettete sich in einen Lachkrampf, ihren Begleiter fragend: „Hirst, is dr der am ganzen Kirper schwoaz?“ Das Automobil entflieht, und, auf meine Frage, wie ihm das Leben gefalle, antwortet, die Achsel zuckend, dieser Schwarze im reinsten Deutsch: „Ach, die Wiener haben eben keine Kultur.“ Ich beschloß, ihn zu schützen, indem ich künftig das Präveniere spielen und auf jeden Maulaufreißer mit dem Finger zeigen wollte: „A Wienaa – !“ aber es half nichts. Die Neger sind nun einmal in unserer Mitte auffallend, und das Auffallende zieht eine Welt von Wilden, Weibern und Besoffenen an. Der Neger macht sich dadurch auffällig, daß der Weiße unruhig wird.“ (Karl Kraus: Untergang der Welt durch schwarze Magie: 310.)
Der Neurose, aus zwangshaftem Aufbegehren gegen Political Correctness unbedingt „Neger“ sagen dürfen zu wollen dialektisch beigesellt ist die Phantasie, man könne dem rassistischen Ressentiment schon durch Auslöschung der Stereotypie, der Worte, zu Leibe rücken. Huckleberry Finn und Tom Sawyer nennen den entflohenen Sklaven Jim auch mal einen Nigger und Neger, aber sie stehen ihm solidarischer als Fluchthelfer und Schleuser bei als die meisten universitären Antirassisten, die das Wort „Nigger“ schließlich erfolgreich aus dem Werk verdrängt haben. Jim übrigens wird als einziger Charakter im ganzen Buch so positiv dargestellt wie nur der afrikanische „Gentleman“ von Karl Kraus. Der belegte in seiner genialen Studie des zeitgenössischen Rassismus, dass der heute als fortschrittlich geltende Begriff „Schwarzer“ ebenso pejorativ gesetzt werden konnte wie „Neger“, mehr noch, dass auch da allein der Kontext den Ton des Rassismus machte. Ebenso auffällig: Dass das Fremde als soeben differenziertes („Kinäsa“, „Indianer“, „Aschanti“) eben doch wieder zusammen schießt in einem Ressentiment vom Anderen. Bereits „Zehn kleine Negerlein“ ging aus „Ten little Injuns“ hervor wie die sogenannte Negersklaverei aus der Indianersklaverei, die außerhalb B. Travens Meisterwerken fast vollständig aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis verschwunden ist.
Wenn nun ein Politiker, der noch nicht von Beratern auf Medienkompetenz gebürstet wurde, vom „wunderbaren Neger Roberto Blanco“ schwärmt, so kann man sich sicher sein, dass wirksame Kritik abgelenkt wird vom Skandal um das Wörtchen „Neger“. Der eigentliche Skandal ist, dass PolitikerInnen, die dank ihrer Medienkompetenztrainings niemals Neger vor laufender Kamera sagen würden und nach jeder Flüchtlingskatastrophe pflichtschuldigst ein paar Krokodilstränen für die Abendnachrichten abdrücken, unkritisiert ihre Dezimierungskampagne, die je nach Station 10-30% der Flüchtlinge das Leben kostet, nunmehr seit über 20 Jahren planen, organisieren und durchführen durften.
Dass man es wagt, mit einem „Angebot“ an die Flüchtlinge, die die Dezimierungsinstanzen überlebten, noch die Forderung nach „Fairness“ zu verknüpfen, kurzum, dass man die abgepresste Empathie noch sofort in ein Tauschverhältnis verwandelt und somit schon wieder suggeriert, Deutschland würde etwas verlieren durch das Aufnehmen von Syrern oder Eritreern oder Afghanen und hätte demnach in der schonungslosen Konkurrenz der europäischen Staaten untereinander eine „faire Verteilung“ verdient. Rassistisch ist nicht so sehr, dass Joachim Herrmann von der CSU Roberto Blanco einen „Neger“ nennt, sondern dass die Flüchtlinge aus Afrika „wunderbar“ sein müssen, „Fußballspieler beim FC Bayern“ oder Schlagerstars, damit man seinen Frieden mit ihnen macht. Wenn deutsche Fußballclubs und Musikagenturen den sattesten Profit aus diesen konformistischen Stars schlagen, wird das schon als „Integrationsleistung“ der Deutschen eigengelobt, als wäre es schon außergewöhnlich, sich solchen Stars gegenüber dann – ja auch nicht durchweg – wie ein zivilisierter Mensch zu verhalten und sie nicht gleich im CSU-Stil der „Durchrassung der deutschen Gesellschaft“ zu verdächtigen. Deren Wohlstand nach FJS bekanntermaßen primär dazu berechtigt von Auschwitz nichts mehr hören zu müssen, aber auf gar keinen Fall dazu, das „Sozialamt der Welt“ zu führen. Die offizielle Politik der CSU heute bleibt, über die eigene Überforderung durch „Zuwanderung“ zu jammern:
Es darf aber nicht zu einer Überforderung Deutschlands in der Asyl- und Flüchtlingspolitik kommen. Unerlässlich ist zum einen die politische Klarstellung, dass das Asylrecht nur für die wirklich Schutzbedürftigen da ist. Notwendig ist zum anderen das Signal, dass Deutschlands Leistungsfähigkeit nicht unbegrenzt ist. Wir können nicht alle aufnehmen, die zu uns wollen. Wir können weder in Bayern noch in Deutschland die Krisen der Welt lösen. (http://www.csu.de/common/csu/content/csu/hauptnavigation/aktuell/meldungen/PDFs/140915_7-Punkte-Sofortporgramm.pdf)
Man kann aber nicht Orban zum Wahlsieg gratulieren und dann über die mangelnde Weltoffenheit anderer europäischer Staaten klagen, die man ohnehin via Außenhandelsbilanz, Agrarsubventionen und Hartz-IV ökonomisch zu billigen Touristenstränden für die gestresste deutsche Facharbeiterschaft zurückgerüstet hat. Wer ein konservatives CSU-Europa will, will Victor Orban und dessen Nato-Draht-Sperren, mit denen fliehenden Kindern die Wangen zerfetzt werden sollen, bevor man ihnen das Asyl ja meist auch noch verweigert in einem Land, in dem Jobbik Bürgermeister und Richter stellt. Wer die CSU gewählt hat, hat auch den Zaun um Europa gewählt, an dem körperlich fitte Flüchtlinge herausselektiert werden, denn Kinder und Geschwächte schaffen es niemals über diese Mauer aus Stahl und Beton gewordener Kälte. Das ist der Rassismus hinter dem Schwärmen über die „wunderbaren Neger“ – dass die gleiche Partei trotz aller neuerer kleiner Angebote, niemals vom Dublin-Abkommen und Frontex abrücken will, die effektiv dezimieren und den Folterbanden an den Peripherien ihr milliardenschweres Einkommen sichern. Das ist der nichtrassistische Rassismus, Dezimierung durch Menschen, die niemals „Neger“ sagen würden und in der Kirche auch für Flüchtlinge in syrischen Lagern spenden, aber dann ihr Kreuz bei CDU/CSU machen, die noch am sichersten garantieren, dass Flüchtlingen weiter ihr Leben riskieren müssen, mit steigendem Risiko bei sinkendem Einkokmmen, um ihr Recht auf Asyl einzufordern.
Und selbst Kritik daran deckt noch zu, was eigentlich anstünde: Interventionismus. Zugegeben, Eritrea wird schwer aus seiner Isolation herauszuführen sein, das Risiko ist groß, den immerhin beachtlichen Frieden zwischen den Religionen im Land zu zerstören und in einem Übergangszustand Machtkämpfe auszulösen, vor denen Eritreer so berechtigte Angst haben, dass sie eben lieber fliehen als zu kämpfen. Die Pazifizierung Syriens, Iraks und Afghanistans aber ist mit militärischem Engagement zu erreichen, die Rezepte sind erprobt und wirksam, Deutschland und unseligerweise inzwischen auch die USA wollten aber gerade hier sparen – auf Kosten Anderer und im völlig klaren Bewusstsein der Folgen, die von allen kompetenten Experten angekündigt waren.
Das ist die letzte und überhaupt frecheste Lüge: Man habe nichts gewusst. Die Flüchtlingsströme seien „unerwartet“. Als hätte man nicht vor zwei Jahren, als in Yarmouk Gras und Pappe gefressen wurde, als bereits Millionen Syrer auf der Flucht waren, ahnen können, dass diese Menschen leben wollen, als habe man nicht vor vier Jahren, als der nunmehr von Russland zurück zur Macht gebombte Assad die ersten Demonstrationen niederkartätschen ließ, gewusst, dass dieses Land blutig zerbrechen würde. Dieses Nichtsgewussthabenwollen, das war von je der härteste Kern des deutschen Rassismus.
Zum Um-Weltsouverän
Die Stilblüten antideutscher Versuche, sich die Kritik der je konkreten Verhältnisse durch einen marxistischen Strukturalismus zu ersparen, der schon immer weiß, was der Systemzwang ist und dass es vor ihm kein Entrinnen, also auch keinen Reformismus geben kann, bringen surrealistische Praktiken hervor. An verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten kamen Menschen auf die Idee, es sei ein antifaschistischer Akt, bei McDonalds zu essen und dann die Tüte – im heroischen Widerstand gegen deutschen Ordnungssinn – ostentativ auf die Straße oder in Wiesen zu werfen. Andere haben zu nämlichem Ordnungssinn und Stammtisch direkt zurückgefunden: sie wettern gegen „Wursthaare“ und nehmen den „Grotesksong“ der „Ärzte“ unsatirisch zum Ideal ihrer Feindbilder, naturverliebter Hippies, Robbenschützer und Antisemiten. Die Popband Egotronic hat den Slogan „Die Natur ist dein Feind“ zur T-Shirt Parole erhoben, die in einigen Foren auf erschütternd maoistische Weise ernst genommen wird.
Der Naturschutz hat freilich seine Geschichte. Absolutistische Fürsten entzogen ihre Jagdreviere den Wilderern und Bauern, während sie die barocken Gärten in analer Zwanghaftigkeit organisieren ließen. In der Reaktion auf die dystopischen Prozesse der Industrialisierung hat die Romantik intellektualisierte Ästhetisierungen hervorgebracht, die durchaus noch offen für Ambivalenzen waren. Zum Zeitpunkt der heute nicht mehr kenntlichen, fast vollständigen Entwaldung in Mitteleuropa war die Waldflucht der romantischen Städter in die letzten Wälder mehr als nachvollziehbar und Adornos Tod beim ganz romantischen Wandern in den Bergen ist ein Nachhall dieser Flucht.
Zu der reaktionären Tendenz, nicht nur in Natur zu fliehen, sondern sie zum Ideal von Gesellschaft zu definieren, (siehe dazu etwa die Heinz Maus‘ Arbeiten über Comté) existieren hinlänglich ausgearbeitete Kritiken wie die von Radkau/Uekötter („Naturschutz und Nationalsozialismus“) oder Oliver Gedens „Rechte Ökologie“.
Letzterer wurde gerade in der Jugendumweltbewegung der 90-er lebhaft diskutiert. Die fundiertesten Kritiken reaktionärer Ökologie kommen meist aus der Ökologie selbst und in diese Tradition fällt auch, wenngleich auf höherem philosophischen Niveau, die Kritische Theorie, deren Paradigma schließlich heißt:
„Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur umso tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der europäischen Zivilisation verlaufen.“
Gegen Tendenzen, Kritische Theorie unter Zugabe überhitzten Agitprops zum stumpfen, genussgerechten Modernismus zu karamellisieren, der in Natur nur das Überkommene und zu Bekämpfende sieht wandte sich mein Text „Vom Walöl zum Palmöl“, in dem Gerhard Scheit aufgrund der journalistischen Begrenzungen eine seinem Gesamttext etwas ungerechte Rolle einnahm mit seinem gegen Marcuse gerichteten Zitat:
»Die ökologischen Vorstöße indessen sind nur Vorstöße gegen den Restbestand politischer Vernunft.«
Gerhard Scheit wendete dann in einer kurzen Kritik gegen meine Verteidigung ökologischer Praxis ein:
„Zuzustimmen ist ihm, wo er Konkretheit und die Beurteilung jeder einzelnen, geforderten oder durchgeführten Maßnahme einklagt; zu widersprechen aber, wo er um der Konkretheit willen verfährt, als existierte der allem aufgenötigte Identitätszwang nicht, als könne man ihn wegdenken. Auf die vom Kapital gesetzte Begrenztheit jener Maßnahmen unabdingbar zu reflektieren, ist kein Maximalismus, sondern Kritik gesellschaftlicher Totalität. Die Problematik spitzt sich nicht zufällig an der Frage des Staats zu.
Im Fall der Nashörner und des Klimawandels pflichtet Riedel meiner Kritik bei, dass der Weltsouverän ein Wahn ist; im Fall der Wale und eines künftigen Aufforstungsprogramms sieht er indessen selbst einen solchen (Um-)Weltsouverän am Werk. Wer allerdings annimmt, dass es so einfach möglich sei, ein Gewaltmonopol herzustellen, das Raubbau verhindere und das Kapital wie ein ‚Tischlein deck dich‘ der Natur arbeiten lässt, hat die Rechnung ohne den Souverän gemacht: Verdrängt wird, dass die Staaten ihrem Wesen nach uneins sind; ihr Monopol auf Gewalt gerade in den Gewaltverhältnissen zwischen ihnen (und den ‚Unstaaten‘) gründet; sie sich also immer nur auf eine clausula rebus sic stantibus, nicht aber auf ein Gewaltmonopol im Sinn von pacta sunt servanda einigen können.“ (Gerhard Scheit 2015: Zur Kritik des Umweltsouveräns)
Gegenstand der Kritik war mein Textabschnitt:
„Entwaldung etwa ist mit Satelliten messbar, die Folgen sind seit der Antike bekannt, die Gegenmaßnahmen simpel: Man trennt Ackerbau, Viehzucht, Försterei und Naturreservate räumlich und stellt ein Gewaltmonopol her, das Raubbau verhindert. In einfachen Kausalketten führt die Aufforstung von Mangrovenwäldern zu Fischreichtum und stabilisierten Küsten, Bergwälder bremsen warme Aufwinde und erhalten Gletscher, degradierter tropischer Laterit-Boden lässt sich mit Forsten vor weiterer Verwitterung und Erosion sichern. Solche Maßnahmen werden nur dort vollzogen, wo Menschen die Kausalketten verstehen. „
Diese kurzgeschnittene historische Perspektive auf die Entwicklung in den Industriestaaten führte Scheit zur Bewertung als „Tischlein-deck-dich“. In der historischen Perspektive ist seit der Antike der Feudalismus ebenso gemeint wie Roosevelts Naturpark-Projekte oder die Erfindung des Stacheldrahtes in den USA. Prinzipiell funktionierte und funktioniert es so, daher das Präsens. Das Bewusstsein, dass dieselben Maßnahmen heute in völlig anderen Bedingungen stattfinden müssten und unendlich schwer zu organisieren wären, ging womöglich unter. Selbstverständlich fordere ich nicht, dass ein Weltsouverän mit aktuell verfassten Staaten (China, Russland, Iran, etc.) irgendeine Rolle bei der Etablierung eines Gewaltmonopols etwa in der Sahel-Zone spielen sollte. Wenn aber ein Staat wie Indien seine Tiger schützen möchte, bedarf er theoretisch in den von Wilderei betroffenen Gebieten eines Gewaltmonopols.
Beim Schutz der Wale waren internationale, staatliche Abkommen erst die Folge eines jahrzehntelangen Abnutzungskampfes von NGO’s wie Greenpeace gegen die Vernichtung der letzten Wale. Ebenso könnte Aufforstung in den Ländern mit massivem Waldverlust von den freigesetzten Massen im eigenen Interesse selbstorganisiert stattfinden, „wo Menschen die Kausalketten verstehen“. Dafür gibt es reale Vorbilder in der israelischen Tradition des Tu BiShvat, die Telefonfirmen auch in Ghana verankern wollen, oder in den Aufforstungsbemühungen kenianischer NGO’s. Gerade in den Trikont-Staaten ist das Vertrauen in Staatlichkeit bisweilen sehr gering und Ökologie wird häufig zum demokratischen Kampf gegen Staatsterror. Ironischerweise sind aber gerade in den Peripherien prozentual mehr Flächen unter Naturschutz gestellt als in den Industrieländern und darunter insbesondere Deutschland. Wo Rackets zwischen Peripherie und Industriestaaten pendeln, Gewaltmonopole heute die Ausbeutung von Ressourcen unter dem Druck der allseitigen Konkurrenz der Nationalökonomien eher vorantreiben und organisieren, bleibt Ökologie eine gewerkschaftliche Angelegenheit – das Gewaltmonopol ist strukturell und historisch ein Mittel gegen die Wilderei und wurde hier als Faktor mit aufgelistet, eine Forderung für sich kann es, und darin stimme ich Scheit zu, heute kaum darstellen.
Ökologische Initiativen werden heute in aller Regel zuerst demokratisch, von unten praktiziert, als Interessensverteidigung. Nur allmählich verwandeln sie sich in gesellschaftliche Übereinkunft und – meist sehr widersprüchliche, schwache oder kontraproduktive – Gesetze. Großprojekte wie der Serengeti-Nationalpark oder die Rettung der Berggorillas oder auch die Rettung des irakischen mesopotamischen Deltas waren das Werk von vergleichsweise wenigen, engagierten Einzelpersonen. Hier sind Begriffe wie „Wahn“ oder „Weltsouverän“ unangebracht. Die internationalen Organisationen und Netzwerke haben bei den nördlichen weißen Nashörnern versagt – aber nicht notwendig. Ein paar mehr Ranger in Waffen hätten genügt.
Der Klimawandel hingegen ist nicht nur ökonomisch und technologisch kaum global zu regeln, sondern der Klimaschutz bietet hier gerade weil der Weltsouverän kein Wahn ist, sondern Realität, den darin organisierten nationalökonomischen Rackets die Möglichkeit, Palmöl als nachwachsenden Rohstoff zu behaupten und die Auslöschung von Regenwald zu forcieren – im Zeichen des Klimaschutzes. Auch dies ist kein notwendiger Prozess – schließlich können sich die gleichen Institutionen auch auf größere Meeresschutzgebiete einigen wo sie dazu gedrängt werden. Clausula rebus sic stantibus bedarf der Duldung unaufgeklärter oder ideologisch gegen die Natur aufgehetzter Massen. Dementsprechend ist auch die jüngste Ankündigung der G7, bis 2100 global auf fossile Brennstoffe zu verzichten, vorerst nichts anderes als die Ankündigung, noch den letzten Fetzen Regenwald in eine Ölplantage und jeden Magerrasen in einen Maisacker zu verwandeln. Unter dem Druck einer aufgeklärten Gesellschaft kann sich Ökonomie aber prinzipiell zu Mindeststandards (Abschaffung der Sklaverei, Kinderarbeit) verpflichten lassen. Wäre der Systemzwang absolut, hätten die Revolutionäre eine bequeme Dichotomie der totalen Revolution oder des ungehinderten Weiterwirkens. Der Reformismus der Kritischen Theorie aber kennt solche Dichotomien nicht, ja steht ihnen sogar misstrauisch gegenüber. Der Radikalismus der Theorie, dass das Tauschgesetz und der Akkumulationszwang alles durchwirken, führte nicht dazu, dass man Gewerkschaften und Umweltorganisationen in der Praxis in den Arm fiel, auch wenn absehbar war und ist, dass nationalökonomische gewerkschaftliche oder umweltpolitische Tätigkeit das Kapital zur Verschiebung von Ausbeutung an die Peripherien nötigt. Wird solche Verschiebung reflektiert, kann gewerkschaftliche und ökologische Arbeit (beide sind eng verwandt), sich ebenfalls verschieben. Diesen Schritt nicht zu vollziehen wäre eine wirksame Kritik. Ihn aber als vergeblich zu diskreditieren weil das Kapital ohnehin allmächtig schon ist, führt doch in die Schwierigkeit, diese strukturalistische-teleologische Position von marxistischem, dynamischen Geschichtsbewusstsein abzukoppeln.
Vom Walöl zum Palmöl
„Die Dampfmaschine brachte den Hunger nach den komprimierten Kondensaten der Opfer von Naturgeschichte, die fossilen Energien. Industrialisierung kannte da bereits einen lebendigen, nachwachsenden Energieträger: Wal. Das Fett der Tiere wurde für jenes Nitroglyzerin verwendet, mit dem man Kohleflöze aufsprengte, es wurde in Straßenlaternen und Fabriken verheizt. Die Übernutzung von 10.000 erbeuteten Tieren pro Jahr zu Marx’ Lebzeiten wurde trotz Erdöl im 20. Jahrhundert erweitert. […] Philosophie, die diesem Aktualitätsdruck nicht Rechnung trägt, kann nur als versäumte stattfinden. Auffällig an der jüngeren Wiederaufnahme von Positionen der Kritischen Theorie zur Ökologie3 ist der Drang zum klinisch sterilen Abstraktum »Natur«. Die bloße Erwähnung konkreter ökologischer Probleme riecht nach Essentialismus, nach Romantik, nach Kitsch. Die Frustration über das Ökologieproblem, die Frage nach dem »einzelnen Wesen«, dem beizustehen wäre, beantwortet Gerhard Scheit mit einer Praxisfeindschaft, die kritischer Theorie abhold war: Mit Amery kritisiert er Marcuse für dessen sozialdemokratischen Versuch, im »Rahmen« kapitalistischer Vergesellschaftung schon »den Umweltschutz« vorzubereiten. »Die ökologischen Vorstöße indessen sind nur Vorstöße gegen den Restbestand politischer Vernunft.«4″
Lesen unter:
http://versorgerin.stwst.at/artikel/jun-8-2015-1334/vom-wal%C3%B6l-zum-palm%C3%B6l
In Katzengewittern
Hinlänglich durchs Feuilleton gereicht wurde das Bestiarium Adornos: die Gazellengiraffe Gretel, das Mammut Max, die mütterliche Nilfpferdstute und er selbst als Nilpferdkönig Archibald. Indem Adorno seine Nächsten in Tiere verwandelte, würdigte er in ihnen das von böse gewordener Zivilisation noch nicht Verwüstete. Diese romantische Ader ist nicht Lapsus, sondern Kern Kritischer Theorie. Sie wird an entscheidenden Stellen animistisch und dieser Animismus läuft dem Gestus der »Ausrottung des Animismus« durch den »Anthropomorphismus« der Aufklärung zuwider.
Weiterlesen unter:
http://versorgerin.stwst.at/artikel/jun-8-2015-1347/katzengewittern
Rezension: „…wenn die Stunde es zulässt.“ Zur Traditionalität und Aktualität kritischer Theorie.
Artikel als PDF via Portal Ideengeschichte:
www.uni-marburg.de/fb03/politikwissenschaft/pi-nip/publikationen/buecher/voelk_kritischetheorie_riedel.pdf
Hyänen
In Eritrea, so erzählt T., gelten Hyänen als tödliche Bedrohung. Auf den dreißig Jahre währenden Schlachtfeldern des Krieges mit Äthiopien haben sie gelernt, Menschen zu fressen und jede Furcht vor ihnen verloren. Die Hyänen der Diktatur aber treiben zehntausende in die Flucht – jedes Jahr. Wen sie nicht in Armee oder Gefängnis zwingen, dem schießen sie an der Grenze hinterher. Danach kommt der lange Weg durch Äthiopien, Sudan und Libyen. Diese Länder haben bereits Millionen Flüchtlinge aufgenommen, es sind auch Diktaturen und Kriegsländer. Sie produzieren auch die Erpresser, die Lösegeld aus den Flüchtlingen herauspressen. Bis zur libyschen Küste haben viele von ihnen zehntausende von Euro bezahlt. Frauen werden vor allem in Libyen Opfer von Vergewaltigungen. Kaum einer schafft es nach Europa ohne Tote zu sehen. Fluchthilfe und Schleppermafias gehen fließend ineineander über, und die Propaganda Europas will von Fluchthilfe nichts wissen, die Schleppermafias nur an der europäischen Grenze bekämpfen, nicht um Flüchtlingen zu helfen, sondern um sie in Libyen zu halten.
In Italien wurde T. das erste mal bewusst, wie groß Europa ist. Er wollte nach Deutschland, weil er als Kind ein T-Shirt der deutschen Fußballmannschaft besaß. Italien sei furchtbar, die Flüchtlingsslums schlimmer als Teile Afrikas. Über Frankreich hat er es nach Deutschland geschafft. Nun wartet er in einem Zimmer von 8 Quadratmetern seit einem Jahr auf seinen Asylbescheid, er fürchtet nur ein Jahr zu erhalten, hofft auf drei Jahre.
Auch N. aus Eritrea wartet seit einem Jahr in Angst vor der Abschiebung nach Italien oder gar Eritrea. In einem kleinen hessischen Städtchen sagte er zu mir: Schlafen hier alle? Tatsächlich waren die Straßen menschenleer. Mit Glück trifft man einen Rentner auf einem der leeren Spielplätze an. Unermesslicher Reichtum liegt hier brach, eifersüchtig gemehrt und bewacht von konservativen Deutschen.
N. musste nach den 10.000 Euro für die Flucht noch 300 Euro Strafe zahlen, weil er ohne Visum die Grenze nach Deutschland übertreten hat. Braucht er aber eine Geburtsurkunde, muss er zur eritreischen Botschaft. Dort lauern wieder die Hyänen. Der eritreische Präsident fordert 2% der Sozialhilfe oder des Einkommens, die nach Ausreise entstanden sind. Deutschlands Behörden fördern diese Besteuerung durch ihre Dokumentengläubigkeit, die nichts anderes ist als die rassistische Angst, jemanden zuviel hereinzulassen.
Dem zweijährigen Mädchen, das mit ihrer vierköpfigen Familie, die hier auf 15 Quadratmetern lebt, demnächst in den Kosovo abgeschoben werden soll, wo es wahrscheinlich ohne Heizung und Toilette aufwachsen wird, wird niemand schlüssig erklären können, warum es nicht weiter auf einem Spielplatz in Deutschland den Sand schaufeln durfte, der genausogut für hundert weitere Kinder reichte. Man darf ihm getrost erklären, dass die meisten wählenden Menschen in der EU einfach Rassisten sind, die bei aller aufgesetzter Freundlichkeit und Nächstenliebe im Innersten böse und selbsüchtig sind.
20.000 Flüchtlinge aus Syrien will nun die EU aktiv aufnehmen. Binnen zwei Jahren. So viele werden in einem halben Jahr in den Camps geboren.
Die Funktionäre dieses Staatenbündnisses haben gelernt, dass sie Menschen ungestraft in den Tod schicken dürfen. Die Brutalität hinter dieser vorgeschützten Weltfremdheit der EU droht sie letztlich ihren eigenen Bürgern an. Solange kein Architekt des Kriegs gegen die Flüchtlinge in Den Haag landet, wird die Aufnahme der Überlebenden weiter als großzügige Wohltat verkauft, als hätte man nicht alles getan, um sie an der Wahrnehmung ihrer Rechte zu verhindern.
Jeder Vernunft ist evident, dass man zumindest an den schlimmsten Fluchtländern Eritrea, Syrien und Afghanistan Botschaftsasyl und Aufnahmestellen einrichten müsste, damit Flüchtlinge ihr Recht wahrnehmen können, ohne ihr Leben zu riskieren. Die aktive Aufnahme von einer Million Flüchtlingen binnen eines Jahres wäre noch zu kleingeistig gedacht. Die EU denkt, sie könnte sich sowohl das Befrieden des syrisch-irakischen Gemetzels sparen, von iranischer und saudischer Diktatur profitieren, und dann noch zehntausende von so erzeugten Flüchtlingen in Lebensgefahr, Folter, Vergewaltigung und Armut zwingen. Weil man jedem, der einen derart raffinierten Grenzzaun so gründlich und vorausschauend plant und errichtet auch eines Plans hinter den verursachten Folgen verdächtigen darf, sollte man hier grundsätzlich von einer Dezimierungsabsicht ausgehen, die an alle Stationen bis in die stumme libysche Wüste reicht. Und weil der Psychologie kein Abgrund fremd ist, sollte man auch eine sadistische Motivation bei den Funktionären der EU und deren Wählern vermuten, die Lust aus dem seriell und bewusst produzierten Elend, den sogenannten „Flüchtlingsdramen“ gewinnen, von denen man offenbar nicht genug bekommen kann.
Praxis gegen eine solche stummen und dummen Massen lässt sich kaum noch denken. Zum Möglichen gehört noch, den Menschen, die in den Heimen von Bürokraten und Polizei weiter gequält werden, beizustehen und ihnen zuzuhören. Hilfe brauchen sie jetzt erst recht.
Täter Israel – Die Opferumkehr bei Moshe Zuckermann
Das eigentliche Rätsel von Moshe Zuckermanns Texten ist nicht, warum er sie schreibt, sondern warum renommierte Zeitungen sich befleißigt sehen, sie zu drucken. Zuckermann insistiert in seinem jüngsten Beitrag „Kommt nach Israel?“ in der taz auf einer Täter-Opferumkehr, die charakteristisch für den Antisemitismus nach und wegen Auschwitz ist.
Anlass ist das öffentliche Angebot Netanjahus an die Juden in Europa, nach Israel auszuwandern. Hinter diesem Angebot versteckt sich, diplomatisch geschickt, die Mahnung an die Europäer, die Konsequenz ihrer ideologischen Kollaboration mit dem Antisemitismus oder zumindest ihrer Agonie zu reflektieren: Ein Europa ohne Juden.
Unter dem Getrommel von antizionistischen Organisationen und den ganz normalen Europäern kam es in den letzten Jahren zu einem exorbitanten Anstieg an antisemitischen Angriffen. Juden aus Schweden ziehen schon seit Jahren die Konsequenz aus der Melange aus sozialdemokratischem, islamistischen und neonazistischem Antisemitismus, der ihnen ein Leben in Schweden beispielsweise verleidet. Nicht erst seit Netanjahus Rede stellen Juden aus Frankreich die größte Einwanderungsgruppe nach Israel dar, 4500 in 2014. 29% der europäischen Juden erwägen die Auswanderung, 76% sehen den Antisemitismus ansteigen, 1/3 fühlt sich nicht sicher. (Jerusalem Post)
Für Zuckermann sind das alles Wahlkampfparolen Netanjahus. Er sieht das Hauptproblem in der jüdischen Flucht in „ihr „Heim““, er setzt die Anführungsstriche bewusst, und fügt hinzu, dass diese Flucht “ den Tod unzähliger palästinensischer Kinder und Frauen verursacht hat und […] auch 70 Israelis ums Leben kamen“.
Er imaginiert „unzählige“ Opfer des Gaza-Krieges, wo etwa 2100 Todesopfer auf palästinensischer Seite zu verzeichnen sind, davon ein Gutteil Djihadisten. Dass er diesen Krieg dann noch der Flucht von Juden nach Israel in die Schuhe schiebt, ist böswillig.
Die Projektion von Schuld und das manische Hochgefühl über diesen Ablass gehen häufig zusammen: Zuckermann freut sich vor allem, einen Widerspruch aufgefunden zu haben in Netanjahus Rede. Zum einen sei Israel sicherer als Europa – zum Anderen aber bedroht in seiner Existenz durch den islamischen Antisemitismus. Man darf Zuckermann gleichermaßen einen Widerspruch aufzuzeigen. Er behauptet:
„Israel ist in seiner Existenz durch keines seiner Nachbarländer bedroht, auch nicht durch den Iran und schon gar nicht durch die Palästinenser. Jedes Land der Region, das Israel in seiner Existenz zu bedrohen trachtete, würde (aus bekannten Gründen) unweigerlich seinen eigenen Untergang mit festschreiben. „
Israel ist also gar nicht bedroht. Wie also kommt Zuckermann dann zu folgendem Befund?
„Nicht zuletzt wegen der von Netanjahu und seinesgleichen betriebenen Politik ist das Leben von Juden schon seit Jahrzehnten gerade in Israel wie nirgendwo sonst gefährdet.“
Für Netanjahu und die Juden Europas ist dieser Widerspruch real existent und sie müssen eine Abwägung vollziehen: Wollen sie in einem Staat leben, den der Westen allem Anschein nach ohne zu Zögern dem Iran als Beute überlassen wird? Oder wollen sie in Europa in der ständigen Angst vor Übergriffen, Schmähbriefen, Hetzreden und Morddrohungen leben? Im ersten Fall können sie sich in Israel selbstbewusst organisieren, vorbereiten und wehren gegen Angriffe und ihren Alltag als Juden (religiös oder nicht) leben. In Europa ist ihre Sicherheit hingegen Spielball der Willkür der Lokalpolitik, auf den Willen der Polizei und auf die erfahrungsgemäß marginale Fachkompetenz von Judikative und Legislative ausgeliefert. Und so mancher, der eine Synagoge als Kulturgut beschützt, wird hinterher die Vernichtung Israels fordern oder zumindest den Vertretern jüdischer Organisationen abnötigen, sich von der Politik Israels zu distanzieren.
Für Zuckermann ist das alles nebensächlich, er ignoriert den realen Widerspruch aus einem anderen Grund: Ihm geht es um die Täter-Opfer-Umkehr. An allem soll Netanjahu schuld sein. Die Politiker Dänemarks und Frankreichs fantasiert er als „indigniert“ in ihrer Reaktion auf „Benjamin Netanjahus fremdbestimmte Ideologisierung des Unglücks in ihrem Land“.
Zuckermanns ganze Sprache ist eine der Verharmlosung und Verschiebung. Der djihadistische Terrorangriff auf Juden, der größte der jüngeren Zeit, wird ihm im Zitat oben zum abstrakten „Unglück“. Die Opfer verschwimmen, es sind nicht einmal mehr Juden, sondern die europäischen Nationen: „in ihrem [sic!] Land“. Kritik daran wird als „fremdbestimmt“ bezeichnet, eine Vokabel, die gerade in diesem Zusammenhang dem Wörterbuch des Unmenschen entsprungen scheint.
Zuckermanns Hass auf den Zionismus reicht so tief, dass er das demagogische Bündnis mit den Antisemiten Europas nicht einmal im Geringsten zu vermeiden trachtet:
„Israel strebt den für eine solche Lebensrealität unabdingbaren Frieden nicht an, weil es diesen Frieden nicht will.„
Oder auch:
„Die Möglichkeit, das Sicherheitsproblem mit einem realen Frieden zu lösen, ist von der israelischen Politik nie ernsthaft erwogen worden.„
Israel erklärt Zuckermann zum Schuldigen für Djihadismus und Terror, die weit vor die Gründung des israelischen Staates zurückreichen. Mehr noch: den globalen Antisemitismus halte der Zionismus „am Leben„.
„Und gerade weil er dies Ideologische immer wieder zum Faktor der Selbstvergewisserung erhob, mithin „Beweise“ zur Rechtfertigung des von ihm begangenen historischen Wegs suchte, musste er den Antisemitismus gleichsam als ideologischen Odem seiner Existenzberechtigung stets am Leben halten.“
Und noch einmal, weil Zuckermann keinesfalls missverstanden werden will (und weil Wiederholung das Rezept des Demagogen ist):
„Israel hat den Antisemitismus nie bekämpft, auch nie bekämpfen wollen, sondern vielmehr zum Argument erhoben, ja war nachgerade immer schon daran interessiert, dass es ihn gebe, um eben mit dem Angebot der historischen Alternative für die Juden, dem Zionismus, aufwarten zu können. „
Zuckermann wähnt den Antisemitismus mal nicht existent, mal ist er gleichsam nützlicher Idiot der Zionisten und wo er doch als „grassierend“ sich aufdrängt, fragt er sich sofort, wie es um den „Kausalzusammenhang bestellt ist zwischen dem in der Welt grassierenden Antisemitismus und der von Israel praktizierten völkerrechtswidrigen Okkupationspolitik„.
Dieses Oszillieren zwischen Verharmlosung und Schuldzuweisung macht Zuckermann systematisch, und darin folgt er im ganzen Duktus dem revisionistischen, antisemitischen Diskurs in Europa.
„Zu diesem Zweck ist auch das Schoah-Andenken von Anbeginn ideologisch instrumentalisiert und die „Sicherheitsfrage“ – ungeachtet ihrer realen Dimension – zum nationalen Fetisch erhoben worden.„
Der Demagoge Zuckermann weiß sich im Herzen seiner antisemitischen Leserschaft, wenn er ihnen die jüdische Stimme der Kritik anbietet, Kritik am „Apostrophieren jeglicher Kritik an Israel, besonders wenn sie aus Europa kommt, als antisemitisch„.
Netanjahu wird ihm zum idealen Zerrbild eines Juden, mehr noch, „des Juden“ als Personalisierung aller Juden, wie ihn der Antisemit imaginiert. „Fremdbestimmend“ über die indignierten, (sprich: angeekelten) Nationen Europas, instrumentell, rational und kalt, rücksichtslos, mithin der Feind aller Völker:
„Nun, dass der israelische Premier um des Machterhalts willen auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt, ist bekannt. Selbst die bilateralen Beziehungen mit den USA ist er mit Affronts gegen deren Präsidenten aufs Spiel zu setzen bereit.„
Weil der Leser stets rationale Motive hinter der blutgebadeten Dialektik der Geschichte vermutet, gilt als Surrogat der zumindest in westlichen Intellektuellenkreisen doch etwas altbackenen jüdischen Weltverschwörung immer irgendein Wahlkampf in Israel zur Erklärung. Kriege, Kritik und Krisen – was Netanjahu auch umtreibt, er inszeniert all das offenbar lediglich, weil er sich seinem Wähler verpflichtet fühlt. Dass Juden in Europa keine nennenswerte Wählerschicht bilden, der sich Politik auch widmen müsste, die sich durch Wahlen legitimieren muss, das kann über solcher Empörung vertuscht werden, in der sich zumal allzuoft noch ein zutiefst antisemitisches, dem 19. Jahrhundert entsprungenes Unbehagen über das Wahlrecht von emanzipierten Juden sedimentiert hat.
Noch einmal: Zuckermann hat mit solcher Propaganda vor allem die Täter-Opfer-Umkehr im Sinn. Israel, der Zionismus und als deren Personalisierung, Netanjahu werden zu Tätern und Profiteuren des Antisemitismus ernannt. Dass es dem Medium, der taz, durchaus ernst damit ist, beweist sie durch einen anderen jüdischen Antizionisten, Micha Brumlik, der sich zu einem Gesetz von Netanjahus Regierung äußert, nach dem der jüdische Staat auch offiziell als solcher definiert wird – unter expliziter Betonung der gleichen Rechte für alle Einwohner. Brumlik schließt seine Kritik an diesem Gesetz in „Was ist der Staat Israel“ mit den hämischen Worten:
„Historisch Interessierte werden an das Römische Reich denken, an den vom Historiker Flavius Josephus geschilderten „Jüdischen Krieg“, der schließlich – der selbstmörderischen Politik der Zeloten wegen – in die Zerstörung des Tempels und das Ende jeder jüdischer Staatlichkeit mündete.„
Auch hier erfolgt wieder die Täter-Opfer-Umkehr: Schuld an der Zerstörung der letzten Reste jüdischer Souveränität sind wiederum „selbstmörderische“ Juden, jene zumal, die es wagten, im Angesicht der für die massenhaften Kreuzigungen von Juden gerodeten Wälder noch Widerstand gegen den genozidalen Furor der Römer leisteten.
Veranstaltungshinweis: „Der „Islamische Staat“, Syrien und der kurdische Widerstand.“
Podiumsdiskussion im Peter-Weiss-Haus, Rostock, am 05. März 2015, 19.00
Referenten: Thomas von der Osten-Sacken, Danyal und Felix Riedel, im Rahmen des PolDo.
Mehr Informationen:
https://freundeskreisdialektik.wordpress.com/2015/02/11/der-islamische-staat-syrien-und-der-kurdische-widerstand/
Being Charles Hebdovich
Im Film „Being John Malkovich“ gibt es eine Etage, in der sich alle bücken müssen, weil sie zu niedrig gebaut wurde. Der ehemalige Puppenspieler und frischbackene Bürokrat Craig entdeckt in seinem Büro eine Tür, durch die man in das Gehirn des berühmten Schauspielers John Malkovich rutscht. Der wird natürlich nach Kräften ausgebeutet, bis der Schauspieler der Kontrolle des Puppenspielers völlig unterworfen ist und nun die vorher unerreichbare Maxine heiratet, die diese Manipulation zum eigenen machtlüsternen Vergnügen orchestriert.
Der Anschlag auf Charles Hebdo ist eine solche Tür. Er erlaubt den kurzzeitigen Ausbruch aus dem gebückten Leben der Bürokraten und auf einmal sind diese sich sicher: „Je suis Charlie“. Die Tür geöffnet und schon ist man eine Berühmtheit. Selten wurde aus einem Mord schneller Geschäft und Werbung. Zeitungen, die gewiss nie eigenständig eine Mohammedkarikatur in Auftrag gegeben haben, dünken sich nun als Vorreiter der Freiheit.
Das allgemeine Problem von Avantgarde, Märtyrertum und Solidarität ist, dass es unendlich viel leichter ist, die Avantgarde gut zu finden als Avantgarde zu sein. Vor diesem Anschlag war es gefährlich, die Karikaturen zu veröffentlichen, die Charles Hebdo auf den Titel hievte. Das von den Überlebenden noch sinnhaft entworfene schwarze „Je suis Charlie“-Schild hingegen ist als Massenprodukt noch Zensur, schwarzer Balken über jenen Karikaturen, die zu den bösesten gehören und die zu veröffentlichen tatsächlich Mut bedurfte.
Da ist jene Karikatur, auf der ein Salafist einem Kugelhagel einen braunen Koran entgegenhält und übersetzt etwa spricht: „Der Koran ist ja voll scheiße. Der hält ja nicht mal Kugeln ab!“ Das Bild war mehr als andere prophetisch.
Nun herrscht die übliche Stimmung: Menschen denken, sie wären durch diese Morde nach ihrer Meinung gefragt worden, schon am selben Tag wurde darüber debattiert, was Satire nun ist oder nicht, was sie darf oder nicht, als wäre das Massaker eine durch einen Souverän ausgerufene Volksabstimmung über Satire. Hinzu kommt das Missverständnis, man befinde sich in einer globalen Online-Demokratie, in der man nur seine Meinung (für oder gegen das Böse, den Krieg, das Gute, die Legalisierung von Cannabis, Hundesteuer, etc.) abgeben müsse um Gesellschaft mitzugestalten.
Im April vergangenen Jahres wurden 300 Schulmädchen durch die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram entführt. Auf der ganzen Welt befleißigten sich Menschen, Schilder anzufertigen und sich damit online zu präsentieren. „Bring back our girls!“ hieß der virtuelle Auftrag der desorganisierten, vereinzelten, atomisierten Individuen, die ahnen, dass es auf Solidarität ankäme, die aber längst nicht mehr wissen, wie solche zu organisieren wäre. Nur logisch erstarb die „Bring back our Girls!“-Kampagne (ironischerweise im Kugelhagel eines anderen islamistischen Massakers, dem an den Yeziden und Kurden) und die Mädchen wurden nie wirklich befreit, einige konnten fliehen, andere wurden verkauft in die Sklaverei. Dass die Charles-Hebdo-Solidarität nach ebendiesem Prinzip funktioniert, droht schon an, dass sie auf eine sehr ähnliche Weise scheitern und in Nebendebatten versanden wird. Diese Nebendebatten – etwa was Satire darf und kann – sind bereits auf einer Intensität angedreht, die Gradmesser der Wucht der Verdrängung ist. Nur konsequent steht Boko Haram nach „Bring back our Girls“ besser da als je zuvor und hat just nach den Anschlägen in Frankreich ein Dutzend Siedlungen in Nordnigeria dem Erdboden gleichgemacht mit hunderten, wenn nicht tausenden Toten. Nach den antisemitischen Attacken in Frankreich, nach dem Karikaturenkrieg hat die französische Polizei offenbar nicht das Bedürfnis gesehen, Charles Hebdo angemessen zu schützen. Nach Boko Haram sah lediglich die USA die Notwendigkeit, ein paar Flugzeuge vorbeizuschicken, im Zweifelsfall sind „Militärausbilder“ auch beliebt, aber den militärischen und ideologischen Flächenkrieg gegen den globalen Islamismus zu führen verweigert der Westen konsequent.
Die Parole von der Informationsgesellschaft suggerierte das Ende der Industriegesellschaften. Die erfolgreiche Auslagerung von industrieller Arbeit an Informationstechnologie in asiatische Tigerstaaten trug dazu bei, die Illusion dieser aus Informationen bestehenden Gesellschaft zu stärken, als würde nur noch Werbung gehandelt und keine industriell gefertigten Produkte mehr, die jene Kosten einfahren müssen, von denen sich Google und co. ernähren. Ebenso verhält es sich mit der Freiheit. Weite Teile der Öffentlichkeit hängen der Illusion an, man könne nunmehr Freiheit online produzieren, durch den Austausch von Informationen und auf bloße bürokratische Verwaltung der jeweilig zur Abstimmung gestellten Gegenstände: Liken oder abwählen, 2 oder 5 Sterne, Lol- oder Kotzsmiley. Dass Freiheit industriell produziert wird, durch Soldaten und Polizisten, durch Reporter und Journalisten, durch Vereinskader und Lobbyisten, dass diese Produktion intrinsisch vermittelt ist mit der Unfreiheit anderer, mit der Ausbeutung hinter den in der Datenflut eher einschrumpfenden Horizonten, das vermag die Ideologie der Informationsgesellschaft zu überdecken. Und diese Ideologie, falsche gesellschaftliche Praxis, diese Ideologie ist auch in „Bring back our Girls!“ und „Je suis Charlie Hebdo!“ enthalten.
Die Position, ein Schild mit einer Forderung hochzuhalten ist primär eine infantile. Sie richtet sich an einen imaginären Vater im Internet, von dem man etwas erledigt haben möchte. Sie ist das Versprechen, sich selbst nicht darum zu kümmern, Ausdruck der Erwartungshaltung, jemand anderes solle sich doch bitte darum kümmern. Sie ist nicht schlecht an sich sofern sie Solidarisierung ist und Botschaft an die Islamisten – sie ist schlecht, weil jeder Islamist weiß, dass es bei diesen Schildchen bleiben wird, dass diese Schildchen an der intellektuellen Aushöhlung des Westens nichts ändern werden, dass ihnen keine wirkliche Organisation nachfolgt und dass das schlimmste, was sie vom Westen befürchten müssen nunmehr Präzisionsraketen sind, die zugleich das beste sind, was hartgesottenen Islamisten passieren kann, weil sie das gemütliche Mobiliar ihrer Welt darstellen.
Ebenso infantil ist es, wenn ausgerechnet Vertreter der CDU/CSU sich gegen PEGIDA aussprechen, weil diese fremdenfeindlich sei. PEGIDA, die ideologische Kreuzung aus Ariosophie, Ufologie, Franz Josef Strauß, Thilo Sarrazin und Roland Koch hat soweit man weiß, noch keinen Menschen gelyncht, auch wenn das der Mentalität vieler beteiligter Neonazis entspräche. Die CDU/CSU und ihre Schwesterpartei SPD allerdings haben mithilfe ihrer Koalitionspartner kaltblütig, wissentlich und seit über 20 Jahren im Mittelmeer und Grenzflüssen mehr als 20.000 Menschen in den Tod getrieben, weil sie aus Angst vor ihrem PEGIDA gleichsehenden Wählerklientel eines gewiss nicht einführen werden: Das Recht auf Asyl und das bedeutet das Recht, dieses Recht wahrzunehmen ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen: An den Botschaften.
Solange selbst die Politik des mächtigsten Landes Europas denkt, es gehe um Gut- oder Nichtgutfinden, solange die Praxis allen demokratischen Bekundungen völlig zuwiderläuft, solange man jenen, die Freiheit in Syrien und Irak wirklich verteidigen, den dort kämpfenden Bäckern, KFZ-Mechanikern, Wäscherinnen und Kindern nicht einmal ein paar Panzer und Luftabwehrraketen zur Verfügung stellt, weil man denkt, es genüge, gegen Islamismus und für Demokratie zu „sein“ und nicht etwa selbst etwas zu tun, solange wird der Terror auch und gerade im Westen leichtes Spiel haben, Gefolgsleute zu rekrutieren, die an dieser gärenden Melange von praktischer Unfreiheit und Freiheitsversprechen irre wurden und sich mit aller Kraft für die zynischste Unfreiheit entscheiden, weil ihnen das immerhin ehrlicher dünkt.
Der Anschlag auf Charles Hebdo war ein Anschlag auf das, was tatsächlich eine der letzten wirkmächtigen Institutionen des Westens gegen den Islamismus ist: ein kleines Satiremagazin mit einer Auflage von 10.000 wurde Ziel, nicht die Mainstream-Zeitungen, die von sich behaupten, sie würden Wahrheit und Objektivität anhängen und das Rückgrat der Demokratie bilden. Die Botschaft ist deutlich: Von den Zeitungen, von der Politik, von Militärbasen, von allen anderen gesellschaftlichen Institutionen hatten Islamisten weniger zu befürchten als von diesem Magazin. Der Islamismus fürchtet die letzten Zellen von radikaler Religionskritik im Westen mehr als alles andere. Solche Religionskritik aber wird systematisch stillgestellt in Zeitungen, die auf einen atheistischen Kommentar noch fünf Pfarrer und einen Mattussek für „objektive“ Gegendarstellungen anheuern. Sie wird stillgestellt, wo ein Staat Religionsgruppen die rituelle Genitalverstümmelung von Jungen erlaubt, die von Mädchen aber verbietet. Sie wird dort stillgestellt, wo man statt der bösesten Karikaturen des Charlie Hebdo ein „Je suis Charlie“ druckt oder halbgare Bleistift-Karikaturen, in denen man andeutet, dass ja alle Journalisten gemeint seien.
Noch einmal: Es wurde nicht die Le monde oder die Zeit attackiert, sondern ein kleines Satiremagazin. Gemeint war nicht der Bleistift oder die Redefreiheit an sich, sondern der religionsfeindliche Geist, der dahinter steckte. Derselbe Geist vermochte nicht, eine andere als eine ästhetische Praxis gegen den Islamismus zu vollziehen. Dass diese ästhetische Praxis schon wirksam genug war, spricht immerhin Bände darüber, was mit einer bewussten politischen Praxis, einer Organisation gegen den Islamismus und die Zumutungen der Religion im Allgemeinen möglich wäre. Bislang verbleiben diese Organisationen von Atheisten allerdings auf dem Niveau von Positivisten, die wie die GWUP esoterische Thesen mit wissenschaftlichen Experimenten (und nicht wie Jahrtausende von Philosophie in der Logik) widerlegen wollen; und wo man mit Dawkins einen Vordenker einer atheistischen Philosophie sucht, zeugt man vom Wunsch, mit Marx und Freud zu brechen und endlich in Sachen Moralphilosophie ohne Gott hinter Nietzsche zurückfallen zu dürfen, der im Tod Gottes noch ein Problem sah, den Anfang aller Arbeit am Menschen und nicht das Ende. Bisweilen ist aber auch das langsame Verharren im Anfang das Ende: Die fortgesetzte Unreife der Menschen erhält eine andere Qualität als zu Zeiten Kants, sie wird faul, weil sie den Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt hat. Das gleiche gilt für die Charles Hebdo-Solidarität.