Margot Käßmann schreibt in einer Art Wort zum Sonntag unter dem drohenden Titel „Wir Weltverbesserer“ (Die Zeit 2013/17: 66):
Ich blicke anders hin, habe die Bergpredigt im Sinn, die ganz andere Prioritäten setzt als Ruhm und Glamour.
Den sie selbst genießt. Nun muss man das pflichtgemäße Volksbetüttern einer Berufspredigerin nicht in den Rang der Kritikfähigkeit heben. Es lässt sich an der Predigt Käßmanns aber doch etwas Akutes ablesen. Zunächst erhebt sich natürlich Einspruch gegen diesen Satz: Glanz und Glamour, das ist exakt der Gestus der Bergpredigt. Vor seinen Fans steigt Jesus auf die Bühne, also den Berg, gibt den Fans ein fettes Feedback: Er spricht sie allesamt selig, denn das ist im Eintrittspreis inbegriffen. Und dann wirds blutig im Moshpit:
28 Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen. 29 Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. 30 Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle kommt.
Was passiert aber, wenn man das Augenausreißen befolgt? Man kommt zumindest in veritable aporetische Großküchen des Luzifers:
22 Das Auge gibt dem Körper Licht. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein. 23 Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Körper finster sein. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muss dann die Finsternis sein!
5 Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.
Käßman wollte nun sicher nicht theologisch die Bergpredigt diskutieren, sondern sie agiert hier ganz als Handlangerin des Kapitals: Den austauschbaren und unbedeutenden Anhängseln der Produktionsverhältnisse hämmert sie noch einmal ein, dass es gut ist, unbedeutend zu sein, dass sie in Wahrheit selig seien und nicht die Reichen und Berühmten.
Zu Geld sind diejenigen, die Jesus nachfolgten, nicht gekommen. In den Seligpreisungen steht auch nicht, dass Geld glücklich macht.
Eine faux frais, war doch der Protestantismus bekannt dafür, als Erwerbsethik das Wohlgefallen Gottes im Reichtum abzubilden. Wenn sie nun Josef Ackermann scheinheilig als Negativbeispiel hinstellt, weil der mit 2 Millionen Jahresgehalt nicht zufrieden ist, dann lügt sie sich über den gesamten Protestantismus hinweg, der den Reichen eben jenen Reichtum als Zeichen göttlicher Zuwendung definierte, während er als Pietismus den Armen traditionsgemäß die Lust als Sünde austrieb. Die Lüge wird um so durchsichtiger, als sie einen reichen Bischof, also einen Katholiken, in den USA anführt, dessen Jahresgehalt 3 Millionen Dollar gewesen sei. Diese Summe wird sie mit dem unter dem Artikel angepriesenen Büchlein für 17,99 rasch beisammen haben. Aber wer will so kleinlich sein, das ist unabhängig von ihrem eigenen Einkommen Kulturkampf. Kulturkampf aber gerade zum Wohlgefallen der kapitalistischen Reproduktion:
Du kannst aus der Spirale der Dauererschöpfung ausbrechen und der Last der Erwartungen entgegenkommen. Halte an, entschleunige, überlege neu, was du mit deinem Leben anfangen willst. Das ist gut für dich und für die, mit denen du lebst.
Wie die Astrologiespalten hat Käßmann hier gewiss nicht das Prekariat als Adressat, sondern das bürokratische Kleinbürgertum. In der Wette auf dieses Publikum kann sie sich auch erlauben, das Prekariat zu verhöhnen, das eben die Wahl zur „Entschleunigung“ gar nicht hat oder für diese mit Elendsverwaltung in Arbeitsagenturen verachtet und bestraft wird. Von Streik und Klassenkampf will sie partout nicht sprechen. Jeder ist sein eigener Ausbeuter, gottgegeben das Klassenverhältnis:
Der Bauplan der Welt leitet sich ab aus der Hoffnung auf ein Miteinander von Starken und Schwachen.
Dazu passt dann auch die süffisant empfohlene Politik mit dem Einkaufskorb, die nur jene noch ausüben können, die vom Ausbeutungsverhältnis schon privilegiert wurden und nun mit Porsche Cayenne vor dem Aldi stehen. Vom Leben bleibt das Sterben:
Sterbende sind kein Tabu, und der Tod ist kein hoffnungsloser Fall – wagen wir, darüber zu reden. Wie will ich sterben? Wie können Sterbende in Würde begleitet werden? Das sind Themen, denen wir nicht ausweichen dürfen.
Käßmann schlägt aus dem Tod noch Sinn, natürlich nicht ohne auf die kirchliche Industrie mit dem Bestseller Tod zu schielen. Nachdem sich die Frage nach dem „ob“ offenbar schon erledigt hat, wird das „wie“ angeblich zur Wahl – als würde jemand freiwillig die Wahl treffen, allein und elend in einem heruntergewirtschafteten Hospital zum Rhytmus der eisernen Lunge zu verrecken. Wenn die Kirchen das Leben schon nicht geben können, und an den Verhältnissen nicht rütteln, so bleibt ihnen nur der Tod. Oder die Liebe? Die sieht bei Käßmann so aus:
Liebe ist nicht statisch. Wer sich darauf einläßt, macht sich verletzbar. Aber es lohnt sich, in sie zu investieren, damit wir das Gewebe stärken, das unsere Gesellschaft zusammenhält. Da geht es um Familie, Ehe und Partnerschaft, aber auch um Vertrauen und Freundschaft.
Investmentfonds Liebe zur Erhaltung der harmonistisch vergifteten Gesellschaft, der religiös vertuschten Ausbeutungsverhältnisse. Was sagt eigentlich die Bergpredigt zur Ehe?
Ich aber sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus; und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch.
Just so charming, isn’t it. Der Kitt, den Käßmann abliefert, ist für die Produktionsverhältnisse gedacht, nicht für die Individuen. Die sollen am Recht nicht rütteln und doch die errungene Freiheit verteidigen.
Es gibt kein „Die“ und „Wir“, sondern nur „Uns“ in unserem Land, unserer Welt. Hier können wir in einer Vielfalt von Kulturen und Religionen leben, wenn wir das Recht achten und die errungene Freiheit verteidigen.
Das ist so konformistisch und nicht einmal eine Revolte, das spottet jeder aufrichtigen katholischen Befreiungstheologie. Selbst Käßmanns Anhänger klagen offenbar über die offensichtlichen Widersprüche ihres affirmativen Gerechtigkeitskonzepts:
Bei einem Vortrag über Gerechtigkeit fragte mich ein Zuhörer: „Frau Käßmann, seit 30 Jahren engagiere ich mich jetzt, aber irgendwie wird alles immer schlimmer. Woher soll man denn die Hoffnung nehmen, dass es besser wird?“
Und was gibt ihr die Käßmann? Durchhalteparolen mit Prophet Elia: Der Weg ist lang und so weiter. Und aber auch ein wenig Konsum als Ersatz für das verlorene Glück:
Ja, es gibt Ermüdung, weil wir alle nicht mal eben schnell die Welt retten werden. Wir brauchen Zeiten für uns selbst, in denen wir Kraft schöpfen.
Reproduktionszwang vergiftet Muße zur Freizeit. Und was hat Käßmann den Verwalteten anzubieten?
Im Glauben, im Gottesdienst, beim Pilgern und Schweigen können wir Kraftquellen erschließen. Wir dürfen uns auch Gutes tun!
Wo noch Widerständigkeit in den Menschen überlebte, werden sie hier komplett zur Batterie zugerichtet, in der irgendwelche verborgenen Ressourcen noch „erschlossen“ und vernutzt werden sollen. Das ist noch nicht der Gipfel, der Gipfel der Ekelhaftigkeit ist es, diese in Selbstausbeutung Erschöpften noch einmal in die kirchlichen Pilgerindustrie zu hetzen und ihre letzten finanziellen und zeitlichen Ressourcen kontrollieren und ausbeuten zu wollen und das dann als „sich Gutes tun“ zu verkaufen wie der Kaffee, der die meisten doch viel eher bei der Arbeit hält als ihnen die idyllischen Ruhepausen der Cappucino-Werbung zu gönnen.
Was Käßmann in jeder Faser ausschließt, ist Widerstand.
Zum Frieden gehört der Mut, Konflikte gewaltfrei zu lösen – im persönlichen Umfeld wie in internationalen Konflikten. Waffen sind keine Lösung, sondern das Problem. In den Seligpreisungen entwirft Jesus eine Kontrastgesellschaft, die für uns Provokation und Leitfaden sein kann, auch im politischen Handeln.
Das sagt ein Nachkomme einer Gesellschaft, die nur durch Waffengewalt aufgehalten werden konnte. Solcher Pazifismus nach dem Nationalsozialismus ist die Befürwortung des Nationalsozialismus, der zynische Spott über die sich für „unsere Freiheit“ opfernden alliierten Soldaten, denen man hier noch zurät, sie hätten noch mehr Wangen hinhalten und noch mehr Menschen ins Gas schicken lassen sollen. Den aggressiv-pazifistischen Deutschen lässt sie ein Lichtlein tragen, als wüsste sie nicht genau, wer in der biblischen Mythologie der Lichtträger ist:
Ihr seid das Licht der Welt. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.
Käßmann zündet hier wohl eher ihr kleines Lichtlein an, um gewaltig über die schlechten Werke hinwegzublenden. Wer bezeichnete bekanntermaßen sich und die arischen Deutschen in der Geschichte als „Lichtbringer“ im Kampf gegen „lichtscheues Gesindel“? Man kann dieser „Lichtbringerin“ jedenfalls nur ihr eigenes Kraut empfehlen:
Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muss dann die Finsternis sein!