A call for Genocide-Prevention in Libya

Genocides can just be stopped, not prevented. To prevent genocide is impossible not in a military way but in logic. If it is prevented, then there is no proof that it would have happened. It is more easy to discuss accusations of genocide after the incident has happened. Many claims against Israel were evidentially cynical propaganda, repeated day and again mostly by those lusting for genocide against Jews in Israel. But: professional research would know about the character of these accusations and about the character of the Israeli army (maybe the most disciplined army worldwide) and therefore we can regard these accounts as highly unlikely if conveyed, though we have to examine any of the accusations for the sake of scientific integrity. While scientists and journalists now have gained profound insight into genocides in Turkey, Germany and Japan (both perpetrators of manyfold Genocides), Cambodia, Rwanda and Darfur (and organized mass-murders which were categorized apart from genocide like the Gulags in the Soviet-Union, the US‘ Carpet-Bombing in Laos, Cambodia and Vietnam, the Culture-Revolution in China, the war against and of Guerrillas in Indonesia, Guatemala, Peru, Columbia etc.) we can clearly define characteristics and conditions of a Pre-Genocide-Situation – and most are given in Libya.

As in Germany we have a totally neurotic and maybe psychotic dictator, identifying himself with the state, who is furthermore well-known for his ability for bloodshed, his  megalomania and his cynicist disregard of human lives – since decades. We have a situation, where this dictator is seriously cornered by an uprising the first time in his life. We have serious records of already commited crimes  against humanity that eclipses those of Ben Ali or Mubarak in their cynicism and total disdain of global protest: The use of hightech military industry (Tanks, Warplanes, Helicopters) against protesters. We have a death-toll that already goes beyond several hundred in one city (Bhengazi) alone. And most important: The dictator himself threatens hundreds of thousands  with brutal death and persecution, naming them „cockroaches“ (a genocidal term used for Tutsi in Rwanda) and „rats“ (the propaganda-term for jews in Germany) and announcing to kill them „house by house“. Those who defected from the regime believe in the threat of this denouncement as do the refugees reaching Egypt and Tunisia. We further know that the regime has an economic base to proceed with this plan and that it has  amassed weapons and hired mercenaries with no social ties to the protesters who seem to be organized last but maybe not least according to their ethnic/tribal categories.

The conclusion of all these indices is to call and to urge for immediate actions that should at least include:

1. Organizing support of the refugees and analyzing their reports.

2. Announcing the clearly defined will and the very conditions of an intervention  – to threaten the regime and to support the protesters in their risky uprising.

3. Clarifying the situation of those taken hostage and those who are the most vulnerable: The African refugees in the desert prisons that Ghaddafi organized in coordination with the infamous FRONTEX. Also in utmost threat are the already imprisoned political prisoners.

4. Making any information from intelligence reports public at least as far as crimes against humanity are concerned.

5. Cutting the existing economical and political ties with the Ghaddafi-Regime immediately and also cutting the ties with those who deny to do so.

6. Revising and recalling the European Immigration policies well-known for their failure to safeguard the survival of tens of thousands of refugees threatened with torture, murder and starvation and that lead to compliance with crimes against humanity in the course of outmoded notions of racial homogenous nation-states.

7. Organizing a well-informed, dynamic concept of how to deal with the actual and possible future developments  and aftermath of the revolutions in the Arab states and Iran – reflecting on the completely underestimated aftermath of the breakdown of the Soviet Union with shockwaves in sub-Saharan Africa (Rwanda, Congo, South-Africa), Ex-Yugoslavia and the Caucasus.

 

Literature recommended:

Kiernan, Ben: „The Pol Pot Regime: Race, Power and Genocide in Cambodia under the Khmer Rouge from 1975-1979“.

Prunier, Gerard: „Africa’s World war: Congo, the Rwandan Genocide and the making of a continental catastrophe.“

This text should be copied and cited at will.

 

Mit Mubarak für Israel?

90 % der Ägypter hegen eine tiefe Abneigung gegen Israel. 60% wollen die Scharia. 20% wählten die Muslimbrüder bei den letzten Wahlen. In Interviews auf Demonstrationen wurde Israel ein Krieg angedroht, Bilder von Plakaten kursieren, auf denen Mubarak mit Davidsstern gezeichnet wird. Israels Regierungschef Netanjahu beschuldigt den Westen, Mubarak, einen treuen Verbündeten fallen gelassen zu haben. Und neue Meldungen vom Tahrir-Platz in Ägypten bezeugen jetzt die gespenstische Präsenz der Muslimbrüder, die beten und Parolen gegen Israel und die USA brüllen und angekündigt haben, ganz Ägypten gegen Israel mobilisieren zu wollen.

Die Freundinnen und Freunde Israels waren und sind gespalten. Die einen unterstützten die ägyptischen Proteste bislang, ja verfolgten sie mit freudigen Emotionen. Man hörte sogar Parolen aus längst vergangenen Tagen, Loblieder auf die internationale Solidarität und der Verdacht liegt nahe, dass hier wie während der Euphorie der antiimperialistischen Klimax Revolutionen an anderen Orten idealisiert werden, um der Starre zu Hause zu entfliehen. Die Anderen warnen vor einem zweiten Iran, vor einer vierten Front gegen Israel, halten der Diktatur Mubaraks gegen den volksbewegten Islamismus die Stange. Stimmen der Vernunft (s.u.) sind selten geworden.

Die Geschichte gibt Pessimisten recht. Nach einer kurzen Party der Demokraten in Tunesien und Ägypten könnte die Geschichte sich wiederholen. Was also bewegt mich und andere dazu, trotzdem die Revolten zu begrüßen? Ahmadinejads Grußworte jedenfalls sind eher als wahnhaftes wishful thinking einzustufen, denn als objektive Einschätzung der Lage.

Das erste Argument ist, das es auch bei einem bislang unwahrscheinlichen Abebben der Revolten nicht weitergehen kann wie bisher. Wenn der Islamismus der einzige Grund ist, warum Mubarak sich am Leben erhalten konnte, ist dies der beste Grund, von diesem Diktator nicht länger zu erwarten, dass er den Islamismus effektiv bekämpfen wird. Er würde sich künftig nicht an seiner Existenzgrundlage vergehen, sie womöglich noch fördern um die Bedrohung am Leben zu erhalten. Diese Dynamik sollte besser heute als morgen unterbrochen werden. Im Falle Ben Alis hat sich gezeigt, dass die Bedrohung durch Islamisten seit Jahren übertrieben wurde. Vielfache Berichte von Kennern der Materie belegen die Marginalität der Islamisten in Tunesien und er erweist sich als Gespenst, das durch seine ständige Beschwörung nur aufgewertet wurde und wird. Ägyptens Muslimbrüder sind gewiss kein Gespenst. Sie sind aggressive Feinde Israels und werden alles tun, um jeden Frieden zu torpedieren. Das Gute ist: Sie haben die Proteste nicht gestartet. Sie waren davon regelrecht überrascht. Je länger sie dauern, je länger der Westen Mubarak stützt, desto stärker können sich die Muslimbrüder als radikale Alternative gerieren. Wäre Mubarak bereits nach vier Tagen aus dem Amt gedrängt worden, der Sieger hätte Facebook geheißen und nicht El Baradei und schon gar nicht Muslim Brotherhood. Die reformerischen Sprüche aus den USA und Europa und verständlicherweise Israel haben Mubarak gestärkt und so haben sie die Muslimbrüder aufgewertet. Wenn die Revolte wegen der Zögerlichkeit der USA und dem Komplettausfall Europas scheitert, werden die Muslimbrüder die Ernte einfahren. Wenn sie noch länger dauert, werden die Muslimbrüder sich möglicherweise als die wirkliche revolutionäre Kraft verkaufen können.

Ein weiteres Argument: Nicht nur in Ägypten, sondern im Sudan, in Jemen und in Jordanien ächzt das Gebälk. Es handelte sich hier allem Anschein nach nicht um eine autoritäre islamistische Erweckungsbewegung, sondern um eine sehr stark auf Facebook ausgerichtete liberalistische Jugendbewegung, die trotz und wegen ihrer ödipalen Tendenzen,  der Fokussierung auf den Übervater, mit ökonomischen und politischen Missständen befasst war und ist. Welche Diskrepanz zu den antieuropäischen, antisemitischen Eruptionen beim „Karikaturenstreit“ vor wenigen Jahren. Mögen die Protestierenden Antisemiten sein oder nicht, sie haben das erste Mal ihren Antisemitismus berechtigten Interessen untergeordnet. Das ist begrüßenswert und gibt allen Grund zur Hoffnung.

Die arabischen Diktatoren sind mitnichten Freunde Israels – sie sind allenfalls bessere Strategen. Sie lassen keine Gelegenheit aus, der Bevölkerung zu versichern, dass es eines Tages wieder gegen Israel gehen werde und von ihnen ist jederzeit zu erwarten, dass sie für ihren Machterhalt die antisemitische Karte spielen werden. Das findet derzeit statt. Israelische Journalisten wurden von der Polizei verhaftet, das Gerücht wird gestreut, die Revolten seien von Juden initiiert worden, man habe israelisches Geld auf den Straßen gefunden. Mubarak hat nicht den Antisemitismus bekämpft, er hat in den Muslimbrüdern eine Machtkonkurrenz gesehen. Solange sie seine Macht nicht in Frage stellten, konnten sie ungehindert ihre antisemitische Propaganda verbreiten, die auch im Staatsfernsehen, in Schulbüchern und unter den Mubarak-Anhängern nicht fehlte. Der Antisemitismus durchzieht die Welt –  wenn es schon Antisemiten gibt, so sind freie Antisemiten mit Frauenwahlrecht und wechselnden Regierungen allemal das kleinere Übel. Es geht für Israel längst nicht  mehr darum, dass es geliebt oder nicht gehasst wird. Golda Meir hat das heute noch gültige Diktum geprägt, nach dem an jenem Tag Frieden herrschen wird, an dem die Araber ihre Kinder mehr lieben als sie die Juden hassen. Die relevante Frage ist, ob sie bis dahin eine militärische Bedrohung Israels darstellen können.

Mubarak erhielt jedes Jahr 1,5 Milliarden amerikanischer Militärhilfe, die Ägypter durften den M1Abrams-Panzer unter Lizenz bauen, während Israel zentrale Militärtechnologie noch immer verweigert wird. Sollten die Muslimbrüder diese stärkste Armee Afrikas mitsamt über 200 F-16 eines Tages demokratisch in die Hände bekommen, werden sie amerikanische, italienische und britische Waffen gegen Israel wenden. Wären diese Milliarden an Israel gegangen, es hätte nichts zu befürchten und könnte sich alle erforderliche Hochtechnologie, eine komplette Grenzmauer und eine Söldnerarmee leisten, die die gesamte Grenze überwacht und im Zweifelsfall auch Millionen von angreifenden Muslimbrüdern abwehren, sprich töten, könnte. Auch hier ist es besser, einen klaren Schnitt zu fordern. Wenn der Westen Israel unterstützt, so soll er das direkt tun und nicht über antisemitische Diktatoren mit Restvernunft.

Eine staatliche, offizielle Armee hat überdies kaum die Möglichkeiten der islamistischen Terrorbrigaden. Sie wäre verschiedensten Instanzen verantwortbar und ein klares Ziel für das israelische Militär. Ägypten hat kein Öl, es hat allein Menschen. Seine Kriege konnte es nur mit den immensen Waffenlieferungen aus der Sowjetunion und den USA führen und es hat alle verloren. Terrorismus bedarf einer kostspieligen Ökonomie und er bedarf staatlicher Förderer. Der Trick der Hamas ist, nicht genug Regierung darzustellen um internationale Konsequenzen für den Terror zu tragen.

Die Bedingungen, die der Westen an Mubarak stellt, kann er ebensogut an eine demokratische oder islamistische Regierung stellen  – sie waren Mubarak und zuvor Sadat von der militärischen Übermacht aufgezwungen und nicht aus einer Einsicht über den Antisemitismus heraus angenommen worden. Ägypten hängt anders als Iran am Tropf. Es ist nicht Iran, es kann nie die Bedeutung Irans erhalten, nicht einmal für einen Guerillakrieg taugt das flache Land. Der Suezkanal ist nicht die Straße von Hormus. Ägypten verdient an ihm. Und es wäre ein leichtes für Europa und die USA, diesen Kanal zu sichern. Das hat sogar Israel geschafft.

Es läuft also sehr deutlich darauf hinaus, dass das, wovor Israel sich wirklich fürchten muss die mangelnde Solidarität aus dem Westen ist. Die Angst vor einem zweiten Iran verdeckt die Unfähigkeit, etwas gegen den ersten zu unternehmen, in dem keine Protestbewegung mehr an den Folterern und Mördern vorbeikommt. Iran wäre längst kein Problem mehr, wenn nicht deutsche, österreichische, chinesische und russische Unternehmen den Ajatollahs die Devisen und die Technologie zum Waffenbau und zum Terror gegen Juden und die Bürger in Iran frei Haus liefern würden, wenn ein europäischer Konsens in der Verdammung dieser Diktatur hergestellt werden könnte. Nur 8 % wollen in Iran die Scharia. Warum stützt man Ahmadinedschad und seine Bassidschi? Wegen der Straße von Hormus sagen die einen, wegen des Ölpreises die anderen. Warum stützt man Mubarak? Wegen des Suezkanals, wegen des Ölpreises. Nicht wegen der Juden oder wegen der Scharia oder wegen großartiger Verhandlungserfolge oder der Beteiligung Ägyptens am ersten Golfkrieg.

Längst ist unklar, ob Europa nicht auf der Seite der Palästinenser in einen Krieg gegen Israel ziehen würde. Europas liberale Politiker folgten Israel allenfalls aus political correctness, niemals im Argument. Das Argument der Muslimbrüder führen die Europäer unisono in ihren Medien im Munde. Sie sind sich alle einig, dass der „Kindermörder Israel“ am besten nach Uganda oder ins Meer oder nach Schleswig-Holstein verpflanzt werden solle, und vorher die gesamte „rechtsextreme“ israelische Regierung wegen „Kriegsverbrechen“ nach Den Haag überstellt werden müsste. Jeder Verteidigungsschlag Israels hatte mahnende Worte aus Europa zur Folge und mehr Sympathien für Hamas und Co. Jeder Verteidigungsschlag Israels gegen Ägypten müsste Europas Agitation mehr fürchten als die amerikanischen Panzer der Ägypter. Nicht allein die überschätzten Muslimbrüder sind das bedenkliche an Ägyptens Revolution, sondern Europa und seine antiisraelische Presse. Es hat der antisemitischen Meinung der Ägypter nichts entgegenzusetzen. Niemand sagt den unter einer von Mubarak staatlich kontrollierten Presse herangezüchteten Antisemiten, was man wirklich von ihrer Meinung hält und warum man ihre Feindschaft zu Israel im Argument und in der Sache für falsch hält. Man überwies einfach Geld an Mubarak, der davon afrikanische Flüchtlinge in der Wüste erschießen ließ, der die demokratische Opposition und hier vor allem Blogger gewiss nicht wegen deren Antisemitismus terrorisiert und der die ägyptische Gesellschaft in die Armut treibt. Wenn der Westen Mubarak stützt, so soll er es laut sagen, dass dies allein wegen des Hasses der Ägypter auf Israel geschieht, dass und warum dieser Hass falsch ist und dass sobald dieser Hass aufhört auch die Diktatur aufhören wird. Aber das wäre, abgesehen von Israel, gelogen. Die Macht der Europäer war selten so groß wie heute. Sie untertreiben das, aber sie wissen es. Insofern ist es scheinheilig, wenn Westerwelle den Kameras versichert, auf der Seite der Protestierenden zu stehen und damit aber insgeheim schon die Muslimbrüder meint. Fälliger wären konkrete Zusicherungen an Israel, an die demokratische Opposition und eine Entschuldigung für die Borniertheit der Vergangenheit.

Das sind die Gründe, warum ich Mubarak lieber heute als morgen von den Revolten gestürzt sehen will. Ein Clean Cut wäre so wünschenswert wie utopisch: Dass mit den Diktatoren gebrochen wird, dass man nicht nur mit ihnen bricht, sondern sie dann auch konsequent angreift, sie schwächt, die demokratische Opposition stärkt, sie nach allen Regeln der Polemik gebührend kritisiert. An der Elfenbeinküste zeigt sich die Stabilität, die für Ägypten zu befürchten ist. Der korrupte Premierminister Gbabo hatte dort die Zentralbank überfallen, um mit den Millionen einen weiteren Monat seine Schlägertruppen zu bezahlen und sich die Armee warm zu halten. Sein vermutlich nicht minder korrumpierbarer Konkurrent, Qattara, ruft derweil den Generalstreik aus, der die Gesellschaft aushungert, die nach einem Tag ohne Lohn und Umsatz nichts zu essen hat. In Tunesien konnte Leila Ben Ali ungehindert die Bank ausrauben und einen gigantischen Goldschatz außer Landes fliegen. Derweil fliegt ein anderer Diktator, Baby Doc Duvalier, zurück in das Land, das er einst terrorisierte und plünderte. Er blieb ungestraft und verprasste die Beute derart schnell, dass er nun in Haiti auf Auszahlung seiner letzten gebunkerten, in der Schweiz gesperrten Millionen hofft. Der Westen hat allen Grund, die Muslimbrüder zu fürchten, die er militärisch und ökonomisch mit dem kleinen Zeh auslöschen könnte, wenn sie wirklich eine ernsthafte Bedrohung werden sollten. Sie sind sein schlechtes Gewissen. Erst wenn die Altlasten beseitigt sind, wäre ein radikaler Liberalismus vorstellbar, der anderen Staaten mit gutem Gewissen die Mindeststandards freies Wahlrecht und Frauenrechte abnötigen kann. Im Moment allerdings kann niemand behaupten, dass die Muslimbrüder Frauenwahlrechte und freie Wahlen verhindern. Das besorgt der Westen und seine Diktatoren.

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Siehe auch:

Tunis und die Kälte auf Nichtidentisches.

Erdbeben im Nahen Osten auf Lizas Welt

Nieder mit der Diktatur – Hoch… ja was? auf Spirit of Entebbe

Das Ägyptische Dilemma: 1979 oder ein neuer Anfang? auf Spirit of Entebbe

Pro-Mubarak rioters hurl Molotov Cocktails at Opposition auf Jerusalem Post

Der letzte Sieg von „1979“ auf Wadi-Blog

Ägypten ist nicht Gaza in der Jungle World

Und natürlich das Grundlagenwerk mit Informationen über Sadats Versuche, die Muslimbruderschaften zu instrumentalisieren und deren gezielte Förderung durch die „Panarabisten“:

Matthias Küntzel: Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg.

Tunis und die Kälte

Die pathische Kälte,  mit der Deutschland Tunesien behandelt, klirrt durch die Berichte im Fernsehen. Die einzige Sorge wird um heimzubringende Touristen verlautbart. Nach zwanzig Jahren Abfeiern der demokratischen Revolution gegen das DDR-Regime ist heute die kalte Schulter alles, was demokratische Revolutionäre von Deutschland und Europa erwarten dürfen. Die Stille ist das schlechte Gewissen Europas. Eine seit Urzeiten akzeptierte Diktatur in Weißrussland und eine heraufziehende in Russland, ein sich faschisierendes Ungarn und die Barbarei zwischen antiquierten Monarchien des Nordens, mafiösen Staatsrackets im Süden und xenophoben Abschiebefetischisten der Mitte – Europa hat jeden Anspruch verloren, sich überhaupt glaubwürdig zu äußern und es will ja auch niemand mehr etwas glauben oder nicht glauben wollen, wo man doch Entertainment hat.

Im Land, das sich für die Bastion des Fortschritts hält, wird die Höhe von Minaretten diskutiert und es werden Suren auf ihre Gewalttätigkeit hin analysiert, akribische Abschiebepläne müssen täglich aufs Neue erstellt werden, und unbedenkliche Dioxinmengen fürchten die Arbeitenden mehr als die Rente mit 67. Zurückgeblieben ist Europa auf dem höchsten Stand der technischen Möglichkeiten, ein wandelnder Anachronismus, der gefährlicher ist als alle maroden Diktaturen der arabischen Staaten. Der Liebesentzug, der die tunesischen Revolutionäre trifft, ist ein finaler Ausdruck der offenen Kumpanei Europas mit den verlässlichen Diktatoren Afrikas.

Wenn ein Fernsehkommentar die Stimmung nach der Flucht Ben Alis mit der Assoziation „wie bei einer Fußball-WM“ beschreibt, ist der Verfall des kulturindustriell abgetöteten Bewusstseins am Endstadium angelangt. Im Stande der Meinungsfreiheit zensieren sich Nachrichten um jede Information, die auch nur andeutungsweise ein nationales Interesse übersteigt oder gar den Geist fordern würde. Südlich der europäischen Union hört die Meinung auf und fangen andere Kulturen an. Die tunesische Jugend tut gut daran, sich an den USA zu orientieren. Deren Präsident immerhin pries den Mut der Revolutionäre, während aus Paris „Kenntnisnahmen“ zu vernehmen waren und Deutschland Flugzeuge für seine Urlauber organisiert.

Die beliebte Formel, dass eine Entwicklungsdiktatur noch besser sei als ein Wahlsieg von Islamisten, klingt hohl aus einem Europa, in dem Faschisten stabil und expandierend die Parteienlandschaft prägen und von staatstragenden Parteien Islamisten als kultürliche Eigenheiten beweihräuchert und hofiert werden. Fast jede Woche reisen Mitglieder des deutschen Bundestages auf Staatskosten nach Iran, um dem Regime ihre unbedingte Dialogbereitschaft zu beweisen. Europa hat mit seiner Unterstützung von Diktaturen nur geklärt, dass es einer gewählten islamistischen Diktatur ebenso wenig entgegenzusetzen hätte wie es in der Vergangenheit und aktuell gewählten Faschisten in Europa entgegenzusetzen hatte. Im Antlitz der tunesischen Revolution wird Europa seine eigene Katatonie zurückgespiegelt.

MdB auf Dialogbereitschaft

vielen Dank für Ihre Mail.

In der Tat wird es in der kommenden Woche eine Delegationsreise des Unterausschusses Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in den Iran geben. Diese Reise steht keinesfalls im Gegensatz zum gemeinsamen Interesse der SPD-Bundestagsfraktion, des Bundestages und der Bundesregierung, auf die Umsetzung der UN-Sanktionen durch den Iran zu beharren.

Wichtig dabei erscheint mir jedoch, dass weiterhin eine Dialogbereitschaft signalisiert wird. Der Kultur- und Bildungsbereich ist m.E. dafür sehr geeignet – insbesondere, wenn Verhandlungen im „politischen“ Bereich ins Stocken geraten.

Eine Aufwertung der iranischen Führung ist demgegenüber durch den Besuch in keiner Weise weder beabsichtigt noch gegeben.

Mit herzlichen Grüßen

Ihre Eva Högl

E-mail vom 14.10.2010

Peter Gauweiler, Eva Högl und noch einige andere MdBs dialogisieren demnächst also im iranischen „Kultur- und Bildungsbereich“.  Was dabei herauskommen soll, ist schon klar: Man spricht von der „iranischen Führung“ und nicht von Regime oder Diktatur. Man wertet die impertinenten Drohungen Ahmadinedschads zu „Verhandlungen“ auf, die „ins Stocken“ geraten seien – als habe es je ein einziges positives Ergebnis dieser Farcen gegeben. Man will „weiterhin Dialogbereitschaft“ zeigen – als sei das keine Aufwertung des islamistischen Regimes, das mitnichten mit seiner demokratischen Opposition „verhandelt“, sondern sie in Folterkellern verschwinden lässt.

Deutsche Klotüren

Nazis raus, Islamisten raus, Sexualstraftäter raus, Integrationsunwillige raus, Bundeswehr raus (aus Afghanistan): der normale Deutsche ist von einer Klotüre nicht zu unterscheiden, egal ob er Parteichef der SPD oder CDU, Linksparteilich  eingestellt oder Nationalist oder gerne auch beides ist. Deutschland will partout nicht in der Moderne ankommen, es ist schon dem Namen nach kein Staat wie die USA sondern Land, Territorium, Boden, mit seiner völkischen Eigenschaft „Deutsch“ so fest verschweisst, dass daraus auch nie ein bloß geographisches wie Großbritannien zu werden vermag. Integration und Territorialität werden eins. Was auch immer diskutiert wird, es endet damit, dass jemand das Land oder die Partei oder die Stadt verlassen soll. Diese Obsession der Abspaltung verweist auf Abgründiges, zumindest aber auf den zwanghaften Wunsch, Probleme nicht durchdenken zu wollen. Und es zeugt von einer aggressiven Empathielosigkeit gegenüber Vorgängen, die „draußen“ stattfinden. Das Ausschaffen, Rausschmeißen, Exilieren wird zum Fetisch.

Die Ausschlussrufe gegen Sarrazin sahen schon dem Wunsch nach Abschiebung von Ausländern gleich. Ihnen war anzumerken, was da an Verdrängung wirkte: Es sollte ein Kopf rollen, der das Betriebsgeheimnis des Ganzen ausplauderte. Nicht wegen seinem Fauxpas über Gene von Basken und Juden wurde er geschasst. Sondern weil er der alten Tendenz der SPD, eine Partei rechts von der CDU zu gründen, den Schneid abkaufte und massivste Zustimmung erntete, ohne in offizielle Parteistrukturen eingebunden zu sein und ohne dabei der SPD zu nutzen. Er wurde nachgerade zum lästigen Konkurrenten für einen Gabriel, der sich nach der Exilierung bequem in seiner Rolle als vernünftelnder, unrassistischer Abschieber gefallen darf.

Der SPD-Kazike Gabriel hat geschafft, was Sarrazin nach eigenem Bekunden nicht wollte und doch schon vorbereitete: Aus einer schon im Ansatz verkorksten Integrationsdiskussion wurde endgültig die einzige in Deutschland mögliche Version dessen – Eine Abschiebedebatte.

Die Tabus haben sich längst in Füllhörner verkehrt: Meldet sich ein Reaktionär zu Wort, wird er über kurz oder lang nach dem offiziösen Sturm der Entrüstung seine Saat überreichlich ernten können. Mit Sarrazin und Gabriel verhält es sich noch paradoxer.

Sarrazin ist ein Rassist, denn er vertritt rassistische Grundannahmen – dennoch bereitete er keine rassistische Praxis vor und wird sich über seine deutschen Fans kaum freuen. Gabriel ist kein Rassist – und vertritt doch das rassistische Prinzip, nach dem Deutschland organisiert ist, exekutiert den Willen der NPD weitaus trefflicher als Sarrazin.

Die eigene überwertige Bindung an den Kiez, das Territorium, macht die Abschiebung, die Ausschaffung zur höchsten denkbaren Strafe. Die höchste denkbare Strafe aber ist die Todesstrafe. Und exakt die ist mit der Abschiebung gemeint. Wer draußen ist, ist tot, stellt keine Gefahr mehr dar oder interessiert nicht. Im Wunsch der Deutschen nach der Abschiebung artikuliert sich der nach der Todesstrafe. Daher glaubt man auf Seiten der Linken auch, indem man die Nazis nur lange genug von einem Flecken zum Anderen jage, sei das Problem gelöst und Nazis nicht mehr existent.

Wo Integration in einer Demokratie allein als solche zu denken wäre, laut seine konträren Interessen und Meinungen zu vertreten, und entsprechen des rationellen Gehalts gehört, ignoriert oder angefeindet zu werden, ist in Deutschland mit Integration von rechts wie von links die Friedhofsruhe, der Sperrbezirk gemeint. Vom Islamismus wissen die Deutschen deshalb nichts, weil sie ihn noch immer als invasiv wahrnehmen und das 21. Jahrhundert mit der Wiener Türkenbelagerung verwechseln.

Aber es sind nicht nur die Islamisten und Neonazis. Facebook-Gruppen, die zur Vernichtung von Juden, Kurden und Armeniern aufrufen, haben kaum Kopftuchfrauen als Anhänger – es sind dem gesamten Habitus zufolge moderne, westliche, integrierte, jungtürkische FaschistInnen mit deutschem Pass und mittelständischen Unternehmen. Den gleichen Irrtum begehen Linke, wenn sie ihre „Nazis-Raus“-Buttons anheften und stolz auf ihr Wissen um Codes von Jungnazis sind. Dümmlich warb die PDS einst „Nazis raus aus den Köpfen“ – eine eigene Schlußstrich-debatte, man wollte nicht an Nazis denken müssen, sie nicht mit SS-Runen auf dem kahlrasierten Schädel sehen müssen. Das Abspalten, das das Ausschaffen stets ist, ist die Weigerung des Denkens, das Eingeständnis der insgeheimen Übereinkunft mit Ideen, gegen deren betörende Gewalt man sich als so wehrlos erweist, dass man es wegmachen, fortbringen, abschieben, ausmerzen oder auch in einer nur um Geringes anderen Variante, um jeden Preis integrieren, will. Man soll nicht Juden-Gen sagen – aber in Köln gibt es am Dom eine antisemitische Dauerausstellung gegen Israel. Man soll nicht Negerkuss sagen – aber jeder Polizist bekommt eine Gehaltserhöhung, wenn er nur weiter brav Schwarze nach Afrika abschiebt. Man soll kein Islamist sein – aber mit Iran wird gehandelt und gedealt. Man soll nicht als Sarkozy Zigeuner nach Rumänien fliegen – aber sie als Merkel in den Kosovo abschieben geht wunderbar. Die Klotüren-Mentalität der Deutschen kann man nicht umsonst auf Klotüren lesen:  der schmutzige Dreck soll mit der eigenen organischen Verfasstheit, dem System, nichts zu tun haben, wird  als Fremdes ekelerfüllt und lustvoll weggespült.

„Dschihad in der City“ will den Dschihad in der City

„Dschihad in der City“ ist einer jener Filme, die sich vor allem durch ihr Ende durchstreichen.

Ein junger Brite mit pakistanischen Eltern wird im ersten Teil des Zweiteilers porträtiert. Er geht nach einer islamistischen Propagandaveranstaltung zum MI-5 um Terroristen zu bekämpfen – die plötzlich überall in seiner muslimisch-pakistanischen Nachbarschaft, unter Freunden und Verwandten sich manifestieren. Als Pakistani erlebt er Rassismus, sieht darin allerdings keinen Grund, gegen die Gesellschaft loszuschlagen, der er laut eigenen Worten „alles verdankt“. Die islamistische Szene erscheint nur in ihrer camouflierten Oberfläche der sozial engagierten, friedensbewegten Underdogs. Der erste Teil findet sein Finale im üblen Cliffhanger: Ausgerechnet seine Schwester steckt hinter einem Terrorkomplott und hat inmitten einer öffentlichen Veranstaltung den Zünder in der Hand, als der Bruder sie entdeckt.

Der zweite Teil folgt der Schwester. Sie wird in unwahrscheinlicher Naivität gemalt. Als zunächst westlich orientierte Frau mit einem christlichen schwarzen Freund besucht sie an der Universität Propagandaschulen von Dschihadisten. Zwei zentrale Prüfungen werden ihr auferlegt, als sie demokratische Teilhabe dem Terror entgegensetzt. Der Ideologe fordert sie auf, ein Anti-Terror-Gesetz zu nennen, das durch Proteste gestoppt worden sei. Sie schweigt beschämt. Außerdem befiehlt er ihr, die Emanzipation der Frau in der westlichen Gesellschaft dadurch zu prüfen, dass sie einen Tag im Hijab verbringen solle. Sie erlebt erwartungsgemäß negative Reaktionen. Als ihre Freundin nach erheblichen Drangsalierungen im Rahmen der Anti-Terrorgesetze sich suizidiert, heuert sie bei den Terroristen an, provoziert den Vater mit dem Geständnis ihrer Beziehung zu einem schwarzen Christen dazu, sie nach Pakistan zu schicken. Ihr Freund folgt ihr, wird von der Familie gestellt und fast totgeschlagen. Sie macht dennoch ihre Schulung zur Selbstmordattentäterin durch, bezeugt stets aufs Neue den Sexismus der islamischen Männer und geht trotzdem zurück nach London. Am Ende betätigt sie den Zünder, der sie im letzten Moment verzweifelt umarmende Bruder kann sie nicht davon abhalten.

Bis dahin folgt der Film noch zentralen Erkenntnissen über ambivalente psychologische Konstitutionen von Selbstmordattentäterinnen zwischen Emanzipationswunsch und umgelenkter Aggression. Die islamistische Propaganda wird in ihrer professionellen Dumpfheit dargestellt. Zentraler Aufhänger der Agitation sind die „Brüdern und Schwestern im Irak und Palästina“, die angeblich zu Millionen „ermordet und vergewaltigt“ werden – übrigens eine ganz interessante stereotype Verdrehung der Tatsache, dass Islamisten die Blutbäder in Irak und Afghanistan veranstalten: Der Terror wird sich selbst zur tautologischen Legitimation. Die Protagonistin schluckt aber alles in einer Art Adoleszenz-Verwirrung und Trauer um ihre Freundin.

Mit dem finalen Zünden ihres Sprengstoffgürtels wird der Bildschirm schwarz. Dann folgt ihr Bekenner-Video, in dem sie die Propaganda der islamistischen Ideologen wiederholt. Es folgt unmittelbar der Abspann mit der Moral: Eine Statistik der Muslime, die glauben, der Krieg gegen den Terror und die Anti-Terrorgesetze richte sich gegen sie.

In dieser letzten Minute des Filmes gerät er zur übelsten dschihadistischen Terror-Propaganda. Er schwenkt auf jene Schiene der islamistischen Agitatoren ein, die konkrete politische Zustände zum Vorwand nehmen, weitaus Schlimmeres anzurichten. Grotesk zeichnet er den Terrorismus als Massenphänomen bei Muslimen in der britischen Gesellschaft und unterstellt jenen 80 Prozent von Muslimen, die Angst vor Diskriminierung oder die Ressentiment haben, die Bereitschaft, sich deshalb einen Sprengstoffgürtel umzulegen und ein öffentliches Konzert zu sprengen. Er schürt sublim im dauernden Zeigen der Bauchprothese, in der die scheinschwangere Muslima bestens getarnt ihren Sprengstoff verbirgt, Angst vor muslimischen Frauen und ihrer Sexualität. Mehr als die Anti-Terrorgesetze verdächtigt der Film alle Muslimen der Bereitschaft zum Terrorismus.

Die Angst vor dem Terrorismus wird somit angefacht und zugleich der Terrorismus selbst als Reaktion von Unzufriedenen propagiert. Das Selbstmordattentat hat man seiner aggressiven Momente bereinigt und zum Suizid verklärt, dessen Beweggründe Trauer und Enttäuschung seien. Vom antisemitischen, menschenfeindlichen Wahn der islamischen Terroristen ist nicht die Rede, weil dies die plumpe Gesellschaftskritik überfordern würde. Der Islamist ist privat ein netter Menschen, der halt nicht aus seiner Haut kann und mit einer gehörigen Portion Pech und Diskriminierung ganz menschliches Opfer bleibend Menschen in die Luft sprengt. Das beeindruckt sogar die FAZ: „Man kann daraus lernen.“

Wie diese Verklärung des Selbstmordattentates zur radikalen Protestform überhaupt als Ideologem bestehen kann, erklärt sich aus einer Ahnung darum, wie es tatächlich um gesellschaftliche Zusammenhänge beschaffen ist. Das Selbstmordattentat richtet sich wie der verwandte Amoklauf gegen alle und gegen sich selbst. Die politische Ideologie, die daraus eine Protestform macht, spürt vernebelt etwas vom Fetischcharakter: alle tun etwas und wissen aufgrund der so entfesselten dämonischen Macht nicht mehr, dass sie selbst es tun. Nasima betont die Anklage an alle in ihrem Schlussplädoyer, das eines des Filmes ist. Die äußerste denkbare Form, ein solches vertracktes Ding abzuschaffen, ist „Alles“ abzuschaffen, alles zu vernichten und kaputt zu schlagen. Die Wahl fällt darauf, das Feindlichste der Drohung noch zu vertreten, das man gegen sich selbst gerichtet sieht. Der Islamismus wie jene Ideologien, die ihm das Wort reden sind Zerfallsprodukte bürgerlicher Ideologie. Ihre Sprache strahlt die bürgerliche Kälte aus, der Aufrechnung von Opfern als wären es absehend von der Qualität ihres Todes Äquivalente, die nun mal bezahlt werden müssten.  Mit einem Quentchen Unglück kann dabei jeder vom Tellerwäscher im Terror-Camp zum Top-Terroristen in London werden. Was da an Psychodynamik und ideologischen Komplexen hinzutritt  wird ausgeblendet. Alle Charaktere bleiben mit sich identisch, zur Wahl begabt und zugleich Treibhölzer auf dem gesellschaftlichen Einfluss. Diese Verkürzung ist mitnichten lehrreich. Sie offeriert  und goutiert Legitimationsformen für das Handeln beider Charaktere im Film und wird so zum moralischen Quodlibet.

Weitaus lehrreicher war die ethnologische Dokumentation der Israelin Natalie Assouline in einem israelischen Gefängnis für verhinderte Selbstmordattentäterinnen mit dem Titel „Allahs Bräute„, die hier ausdrücklich und vorbehaltlos empfohlen sei.

Daniel Bax‘ „Wir Israelversteher“ – ein Paradebeispiel des linken Antisemitismus

Die Tageszeitung (taz) hat eine Kommentarspalte eingerichtet mit dem Titel „Debatte: Unser Israel“. Wie zu erwarten, brauchte man auch einige Vertreter des klassischen linken Antisemitismus um dem Anspruch der „Objektivität“ gerecht zu werden und die Leserschaft nicht gänzlich zu verstören. Daniel Bax ist bekanntermaßen erste Wahl und seinen Beitrag „Wir Israelversteher“ vom 27.7.2010 möchte ich hier stellvertretend zu diskutieren, um keine Gelegenheit unversäumt zu lassen, jenen, die lediglich uninformiert sind, alternative Lesarten zu ermöglichen.

Ich beginne beim Titel: „Wir Israelversteher“. Es ist kaum fünf Jahre her, das war „Versteher“ in verschiedensten Kombinationen ein Schimpfwort. Zu den beliebtesten zählte „Frauenversteher“. Das „Verstehen“ wurde als Ausdruck eines laxen, unmännlichen Empathievermögens geprägt und wird in genau diesem Sinne von Bax angewendet. Der Untertitel triggert an weiteren Fronten des Unbewussten.

Israels rechte Regierung instrumentalisiert den Holocaust für ihre Politik. Gerade viele Deutsche zeigen sich für diese Propaganda sehr empfänglich.

Die Regierung Israels als „rechts“ (und später als „rechtsextrem“) zu bezeichnen projiziert deutsche politische Kategorien auf Israel und leistet so eine Befreiung von Schuldlast. Rechts und Rechtsextrem, das sind hierzulande Nazis und Nationalkonservative. Wenn selbst Israelis mehrheitlich („Regierung“) Nazis oder zumindest irgendwie rechtsextrem sind, kann man den deutschen Opa kaum in die Schuld dafür nehmen, ein Nazi geworden zu sein. „Die sind ja genauso schlimm“ – das ist eine Strategie, die Adorno bereits in den 1950-ern in in den Gruppendiskussionen mit Deutschen als charakteristisch für die Schuldabwehr herausarbeitete. (Siehe „Schuld und Abwehr“ in „Soziologische Schriften II“) Dass diese „rechte Regierung“ den „Holocaust“ für „ihre Politik“ „instrumentalisiert“ gehört zum NPD-Jargon und ist hinreichend analysiertes Projektionsschema der AntisemitInnen. Über die Shoah zu sprechen und zu urteilen wird zu einem Privileg deutscher Urteilskraft gemacht. Weiter wird darin eine Trennung von israelischer Politik und der Shoah vollzogen, die es erleichtert, gegen Israel zu hetzen ohne in den Verdacht zu geraten, die Shoah gutheißen zu wollen.

Gerade viele Deutsche zeigen sich für diese Propaganda sehr empfänglich, meint Bax. Ausgerechnet Deutsche also fallen auf israelische/jüdische Propaganda herein. Hier wird suggeriert, dass Deutschland in der Mehrheit „Propaganda“ der israelischen Regierung aufnehmen würde – und das aus einem spezifischen („gerade“) deutschen Komplex heraus. Wohl als Beispiel für israelische/jüdische Propaganda wurde an dieser Stelle ein Foto der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eingefügt – ein Schluss, der von den RedakteurInnen vermutlich heftig abgelehnt würde, zumindest aber keine Entschuldigung für eine solche Geschmackslosigkeit nach sich ziehen wird.

Glaubt man Benjamin Netanjahu, dann ist es fünf vor zwölf für Israel. In einer Rede zum Holocaust-Gedenktag, die er im April in der Gedenkstätte Jad Vaschem hielt, verglich Israels Regierungschef das Atomprogramm des Irans mit dem Aufstieg Nazi-Deutschlands und warf der Welt vor, im „Angesicht des Bösen“ wieder einmal tatenlos zu bleiben. Solche Töne sind nicht neu. Schon bevor Netanjahu zum zweiten Mal zum Premier gewählt wurde, unterstellte er Irans Präsident Ahmadinedschad, einen zweiten Holocaust zu planen, und warnte schrill, die Lage sei heute wie „1938“.

Das ist natürlich Propaganda, die einem klaren politischen Zweck dient. Denn mit diesem Alarmismus, der einen Ausnahmezustand suggeriert, lässt sich noch jede israelische Aggression – bis hin zu einem Angriff auf den Iran – als Akt der Notwehr verkaufen. Leider verfängt diese Demagogie erstaunlich gut. Nicht nur bei Juden in Israel und anderswo, bei denen Ahmadinedschads antiisraelische Tiraden an alte Wunden rühren und Vernichtungsängste wecken. Sondern auch in Deutschland, wo es vielen schwerfällt, Israelis anders als in jener Opferrolle der Juden wahrzunehmen, die man aus dem Geschichstunterricht kennt.

Dass die Leserschaft einem Benjamin Netanjahu nicht glauben will, wird von Bax vorausgesetzt. Die Phrase „fünf vor zwölf“ leitet den Vorwurf des Alarmismus ein. „Schrill“ sei die Warnung Netanjahus, der wegen oder trotz „solcher Töne“ bereits „zum zweiten Mal zum Premier gewählt wurde“. Der Wahrheitsgehalt dieser Verlautbarung Netanjahus in Yad Vashem, die einer sehr parteiübergreifende Meinung in Israel entspricht, wird von Bax nicht diskutiert. Weder Ahmadinedschads „Holocaust-Konferenz„, deren einziger Zweck die Leugnung und damit die Vorbereitung einer Wiederholung der Shoah war, noch der Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb, noch die bestens dokumentierte antisemitische Tradition der iranischen Diktatur und die Bedeutung des Antisemitismus für die iranische Propaganda noch die bisherigen Aggressionen des iranischen Terrorismus (etwa die Anschläge in Buenos Aires, die Aufrüstung der Hisbollah und der Hamas) noch die bestens belegten jahrzehntelang verfolgten Absichten der iranischen Diktatur zum Bau von Nuklearwaffen können Bax von irgendeiner Gefahr für Israel überzeugen. Eine solche anzunehmen sei „natürlich Propaganda“.
Maßlosigkeit, traditionelles Kennzeichen des Antisemitismus, wird auf Israel projiziert: „noch jede israelische Aggression“ suggeriert das, was man insgeheim noch immer am meisten befürchtet: Rache der Juden/Israelis an den Deutschen, Rache für die Shoah.
Das ist der Inhalt des Satzes „Israelis anders als in jener Opferrolle der Juden wahrzunehmen, die man aus dem Geschichtsunterricht kennt“ – die tiefe Furcht vor den Opfern. (An dieser Stelle meinen Dank an NF für diesen Hinweis!)
So wird aus den sehr begrenzten Möglichkeiten einer israelischen Militäraktion gegen iranische Atomanlagen (nach dem Vorbild der „Osirak„-Aktion) – eine unheimliche entgrenzte Bedrohung: „noch jede israelische Aggression“.
Dass für Juden in Israel die Vernichtungsdrohung kein Ausnahmezustand, sondern Alltag ist, kann Bax ohnehin nicht nachvollziehen, zu pathisch hat er sich gegen jede Empathie mit den Opfern der Shoah und ihren Nachkommen abgedichtet. Diesen spricht er jede Rationalität in ihrer Angst ab.

Dabei haben historische Kurzschlüsse im Nahen Osten eine lange Tradition. Der Historiker Tom Segev hat in seinem Buch „1967“ über den Sechstagekrieg herausgearbeitet, wie der Angriff auf Ägypten von einer weit verbreiteten Furcht vor einer möglichen Wiederholung des Holocausts getragen wurde. Später verglich Israels Premier Menachem Begin den in Beirut eingekesselten PLO-Chef Jassir Arafat mit Adolf Hitler im Führerbunker.

Doch keine israelische Regierung missbraucht den Holocaust so sehr wie die gegenwärtige, um damit ihre Politik zu rechtfertigen. Netanjahu hat ein Faible für Nazi-Vergleiche: Vor der UN-Vollversammlung verstieg er sich dazu, den Gazakrieg mit dem Kampf der Alliierten gegen die Nazis zu vergleichen. Und den früheren deutschen Außenminister Steinmeier belehrte er, das Westjordanland dürfe durch den Abzug der israelischen Siedler nicht „judenrein“ werden.

Bax zeichnet eine Traditionslinie des „Mißbrauchs des Holocausts“ durch israelische Regierungen. Der Präventivschlag Israels im Sechstagekrieg, vor dem Ägypten durch die UDSSR mit 1000 Panzern aufgerüstet wurde und täglich weitere Militärtransporter der UDSSR in Kairo landeten, vor dem 100 000 ägyptische Soldaten an der Grenze Israels aufmarschierten und Nasser den Abzug der UNEF-Truppen aus dem Sinai erzwungen hatte, sei also gänzlich grundlos von Ängsten vor dem offenen Antisemitismus der arabischen Nachbarstaaten „getragen“ worden. Ob und wie und mit welchem Recht Begin den Schüler des islamischen Nationalsozialisten Al-Husseinis Arafat nun mit Hitler verglich belegt Bax wie alle seiner Behauptungen und Lügen nicht weiter. In jedem dieser Fälle sei „der Holocaust“ durch die israelische Regierung „missbraucht“ worden – was eine krude Vorstellung von einem legitimen „Gebrauch“ des Holocaust voraussetzt. Dass die Hamas in Gaza in ihrer Charta im wesentlichen die Protokolle der Weisen von Zion wiederholt und sich selbst in die Tradition des Nationalsozialismus stellt, muss Bax ebenso wenig kümmern wie die Tatsache, dass das Westjordanland ohne jüdische Siedlungen nun mal „judenrein“ wäre – was übrigens gar nicht im Interesse der PalästinenserInnen wäre, für die die jüdischen Siedlungen im Westjordanland Arbeit und Einkommen bedeuten.

Bei all jenen Israelis und Juden, die sich bis heute als unverstandene Opfer der Geschichte fühlen, fällt solche Brachialrhetorik auf fruchtbaren Boden. Die Selbstviktimisierung hilft ihnen, Israels Besatzungspolitik und seine Kriege zu relativieren. In seiner selbstgerechten Mischung aus Nationalismus („Israel ist so toll“), Zynismus („Den Palästinensern bei uns geht es gut!“) und Larmoyanz („Die bösen Medien sind so unfair“) hat Chaim Noll in seinem Debattenbeitrag (taz, 19. 7.) ein eindrucksvolles Beispiel für diese Geisteshaltung gegeben. Wenn man die Welt so einäugig betrachtet, wiegt ein falsch beschnittenes Agenturfoto weit schwerer als neun Tote es tun, die von israelischen Soldaten auf einem Hilfsschiff für Gaza erschossen wurden.

Bax schämt sich nicht vor einem äußerst unfeinen persönlichen Angriff auf Chaim Noll, der vor ihm eine Verteidigung Israels leistete. Dieser sei „selbstgerecht“ – dass Juden Rechte haben, Recht sprechen und beanspruchen dürfen, war bereits den Feinden der Judenemanzipation im 19. Jahrhundert ein Dorn im Auge. Er sei „Nationalist“, was wieder den Transfer deutscher Kategorien und deutscher Schuld auf Israel beinhaltet. Er sei „zynisch“, weil er betont, dass sich gar keine Mehrheit für einen palästinensischen Staat im Westjordanland findet und ein kooperativer, friedlicher Alltag stattfindet, der im Medienbild keine Berücksichtigung findet. Und er sei „larmoyant“ – ein jammernder Jude, der sich in seiner „Selbstviktimisierung“ als unverstandenes Opfer der Geschichte fühlt, sich also nicht so haben soll. Die „Einäugigkeit“ ist eine bekannte Etüde auf der antisemitischen Klaviatur, die israelische Politik mit einem so häufig fehlzitierten Satz aus dem jüdischen Testament verhetzt: Diese sei auf Rache aus, würde „Auge um Auge“ fordern – ein Ressentiment, das wieder der Angst vor der jüdischen Rache entspringt.

Für Bax ist es kein Problem, wenn eine international anerkannte Nachrichtenagentur wie Reuters wiederholt Bilder fälscht, um antiisraelische Ressentiments zu schüren oder nicht zu gefährden. Ebenso kann er wie die meisten deutschen Zeitungen über die zahllosen Video-Beweise hinwegsehen, die den israelischen Einsatz auf der Marmara als Notwehr rechtfertigen und die Schuld an den Toten primär der Rackets in der Marmara-Besatzung anlasten, die ein terroristisches Attentat auf Israel planten und durchführten.

In einem Punkt aber irrt Noll ganz besonders. Denn in wenigen Ländern kann Israels Politik mit so viel Verständnis rechnen wie hierzulande. Das gilt nicht nur mit Blick auf Bundeskanzlerin Angela Merkel oder die Zeitungen aus dem Axel-Springer-Verlag, deren Vorstandschef Mathias Döpfner einmal voller Ernst von sich sagte, er sei „ein nichtjüdischer Zionist“. Das trifft auch auf vermeintlich „linke“ Blätter wie Konkret oder Jungle World zu, die Israel bevorzugt als Opfer ausländischer Mächte zeichnen und sogar seine rechte bis rechtsextreme Regierung mit Inbrunst verteidigen.

Verblüffen kann das nur, wer von Linken per se eine Verpflichtung auf die Menschenrechte erwartet. Doch das wäre falsch. Manche Linke sahen einst die Sowjetunion als „gelobtes Land“ an und denunzierten jede Kritik am Kommunismus als „unsolidarisch“ – jetzt halten es manche mit Israel so. Der Schulterschluss mit Israel hat zudem eine psychologische Entlastungsfunktion: Manche glauben, damit jenen antifaschistischen Widerstand nachzuholen, den die eigenen Eltern und Großeltern leider versäumten. Sehr empfänglich sind sie daher für Netanjahus Propaganda, die suggeriert, die Palästinenser oder der Iran seien „die Nazis von heute“.

Bax ignoriert die einstimmige Aufforderung des Bundestages, die Gaza-Blockade, die Israel vor ungehinderten Waffenlieferungen aus dem Iran an die Hamas schützt, „sofort aufzuheben“, er ignoriert alle Studien, die in Deutschland eine überwältigende Mehrheit mit antiisraelischer Gesinnung ausmachen, etwa das Ergebnis einer BBC-Studie:

„Am schlechtesten schnitten bei der Umfrage wie im Vorjahr Iran (17 Prozent positiv), Pakistan (17 Prozent), Nord-Korea (20 Prozent) und Israel (21 Prozent) ab. In Deutschland haben 65 Prozent den Eindruck, dass von Israel ein eher schlechter Einfluss ausgeht.“

Die Eigentümlichkeit, dass es in Deutschland wie in Europa überhaupt stets eher konservative und in ihrer sonstigen Politik häufig widerwärtige Parteien oder zumindest deren Eliten sind, die sich israelsolidarisch äußern, während linke und sozialdemokratische Parteien eher zu den Proliferaten noch der plattesten antisemitischen Ressentiments gehören, könnte Bax noch einen bloßen Fehlschluß aufgebunden haben – seine Verlogenheit in Bezug auf daherhalluzinierte Stimmungsbilder macht allerdings sein antisemitisches Ressentiment sichtbar.

Gleichmacherei ist sein vorgeschütztes Argument, die StalinistInnen von einst seien die Israelfreunde von heute. Hier lügt sich Bax am Staatsantisemitismus der UDSSR und dem reichlich belegten ihrer AnhängerInnen (wie jenen der RAF oder der Linkspartei/PDS) vorbei.

Solche Gleichsetzungen relativieren den Holocaust, der ein einzigartiges Verbrechen war, das bekanntlich von Deutschen begangen wurde. Muss man betonen, dass sich die politische Lage im heutigen Nahen Osten nicht annähernd mit der Verfolgung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs vergleichen lässt? Israel ist immerhin die stärkste Militärmacht der Region und für den Iran und andere Nachbarn eine weit größere Bedrohung als umgekehrt.

Solches Räsonieren will den Anschein von logischen Gedankenketten wahren. Die „Einzigartigkeit der Shoah“, ein ohnehin von Beginn an etwas vermurkstes Abwehrinstrument gegen die Retourkutschen-Mentalität im Zuge der postnazistischen Schuldabwehr, wird für Bax zur Waffe gegen jene, die auf „Nie wieder Auschwitz“ pochen. Mit dem Beleg der „Einzigartigkeit“ soll die Gefahr antisemitischen Mordens gebannt sein. Und nicht mit der Verfolgung der europäischen Juden während des zweiten Weltkrieges, der Shoah, sonder mit der Situation um „1938“ verglich Netanjahu die heutige Bedrohung, deren Existenz Bax negiert.

Israel soll zudem stärkste Militärmacht der Region sein. Das ist nur dann wahr, wenn man es als Militärmacht wertet, sich im Angesicht des eigenen Untergangs mit ein paar Dutzend Atomwaffen zu rächen. Israel hat weder das Öl noch einen Bruchteil der Armeestärke seiner Gegner. Und es hat noch nie einen echten Angriffskrieg geführt, befindet sich aber trotzdem seit über 60 Jahren in einem Kriegszustand, ohne dass eine nennenswerte Barbarisierung der Gesellschaft eingetreten wäre. Im Gegenteil erhält nunmehr jedes Battalion einen Offizier für humanitäre Angelegenheiten. Welche konkrete Bedrohung Bax in Israel für Iran oder andere Nachbarn sieht, bleibt solange unklar, wie man nicht das oben bereits bedeutsame Verhältnis der Angst vor der Rache der Opfer berücksichtigt. Es handelt sich um exakt jenes Heraufbeschwören eines Ausnahmeszustandes nach Bax, der jede Aggression rechtfertigt. Gegen ein so bedrohliches Israel darf die Hamas Raketen feuern, die Hisbollah Soldaten entführen, Iran Atomwaffen bauen und dürfen „Friedensaktivisten“ Messer, Knüppel und Pistolen zücken.

Harmlos ist die deutsche Begeisterung für Israel, solange sie sich in naiver Schwärmerei für Land und Leute erschöpft. Schwieriger wird es, wenn sie mit antidemokratischen Haltungen einhergeht, die in Israel weit verbreitet sind – zum Beispiel rassistische Vorurteile gegenüber Arabern und anderen Muslimen. Es ist ja kein Zufall, dass unter den größten Israelfans auch die schärfsten Islamgegner zu finden sind – und umgekehrt. Ob Henryk M. Broder, Ralph Giordano, der holländische Rechtspopulist Geert Wilders oder Internet-Hetzblogs wie Politically Incorrect – sie alle preisen Israel als Vorbild und plädieren dafür, Muslime in Europa zu diskriminieren.

Der Ruf nach unbedingter „Solidarität mit Israel“, der aus solchen Ecken ertönt, lenkt von anderen, wichtigeren Fragen ab: Kann ein Demokrat gezielte Tötungen von „Terroristen“ (wer immer diese als solche definiert) als Mittel der Politik gutheißen? Kann er die Besatzung und den Siedlungsbau im Westjordanland, Blockade und Bombardierung des Gazastreifens unterstützen? Oder zumindest begrüßen, dass die deutsche Kanzlerin dazu kaum Kritik äußert aufgrund unserer „Verantwortung für den Holocaust“?

Gehört es also zu den Lehren aus der deutschen Geschichte, eine rechte Regierung zu unterstützen, die Friedensgespräche ablehnt und von einem Israel bis zum Jordan träumt? Es ist ja kein Geheimnis, dass deren Positionen kaum mit den Werten westlicher Demokratien zu vereinbaren sind.

Mit Israel mag uns viel verbinden. Ein Grund, begeistert seine Flagge zu schwenken, wie manche Israelfreunde das tun, ist es nicht.

Bax unterstellt ausgerechnet Israel, der einzigen Demokratie im nahen Osten, eine weite Verbreitung antidemokratischer Haltungen, darunter rassistischer Ressentiments. Es mag in Israel eine manifeste und verbreitete Abneigung arabischer Juden gegen arabische Muslime geben und ja, auch ein Problem mit einigen fundamentalistischen, antidemokratischen Strömungen des religiösen Judentums. „Araber und andere Muslime“ ist dagegen schon eine in sich rassistische Wendung, die zum einen jene arabische Juden negiert, die zum Beispiel 1948 aus den arabischen Staaten vertrieben wurden und zum anderen Muslime (zu denen auch konvertierte israelische Juden zählen) und Araber gleichsetzt, als gäbe es keine säkularen, atheistischen Araber. Ein „Islamgegner“ zu sein ist für Bax schon gleichbedeutend mit Rassismus – die übliche Verkehrung, der sich derzeit nicht einmal gestandene Atheisten entblöden. Wo Broder oder Giordano die „Diskriminierung“ von Muslimen in Europa fordern muss nicht einmal in der taz weiter belegt werden, solange die Gleichsetzung mit jenen nationalistischen „Europäern“ funktioniert, die Israel mitunter als Mittel zum Zweck ihrer Ideologiebildung verwenden.

Als „Demokrat“ hat sich Bax anscheinend nicht über die weiterreichenden internationalen demokratischen Konventionen zur Kriegsführung informiert, nach denen führende militärische Gegner in einem Krieg getötet werden dürfen. Überzeugte Demokraten aus allen Epochen haben diese Praxis selbstverständlich ausgeführt und gut geheißen.

Von jeder Unterstützung des Siedlungsbaus ist man in ganz Europa und besonders in Deutschland weit entfernt. Es bleibt vereinzelten Randgruppen und journalistischen PredigerInnen in der Wüste vorbehalten, die Siedlungen zu besuchen und ein differenziertes Bild der Alltags von Juden im Westjordanland zwischen terroristischen Attentaten und Israel-Boykotten zu zeichnen. Oder auf die Palästinenser hinzuweisen, die Israel allemal jenen korrupten terroristischen Banden vorziehen, die ihnen in Gaza und im Westjordanland das Leben schwer machen. Oder jene arabischen Regierungen zu kritisieren, die für die palästinensischen Siedlungen auf ihrem Staatsgebiet Hilfsgelder abschöpfen und die BewohnerInnen fern jeder panarabischen Solidarität aufs bitterste diskriminieren.

Bax hat durch sein penetrantes Lügen bereits bewiesen, dass er weder eine Intervention der Redaktion noch eine Rüge des Presserats befürchten muss. Indem er Netanjahu vorwirft, „Friedensgespräche abzulehnen“, fügt er dem nur noch eine Lüge hinzu. Für all jene, die wirklich an Israel und seiner Politik interessiert sind, sei abschließend Netanjahus Rede in Bar Ilan empfohlen, in der es zum Beispiel heißt:

‚But, friends, we must state the whole truth here. The truth is that in the area of our homeland, in the heart of our Jewish Homeland, now lives a large population of Palestinians. We do not want to rule over them. We do not want to run their lives. We do not want to force our flag and our culture on them. In my vision of peace, there are two free peoples living side by side in this small land, with good neighborly relations and mutual respect, each with its flag, anthem and government, with neither one threatening its neighbor’s security and existence.‘

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Siehe auch:

Nexusrerum: „Unser Holocaust – der Juden Knacks und der Judenknacks

Judith Butler hat Recht – der CSD e.V. ist ignorant gegenüber Diskriminierung

Stundenlang könnte man recherchieren und rätseln, was denn nun dran ist an Judith Butlers „Rassismusvorwürfen“ gegen den Cristopher Street Day e.V.. Ich fand lange anstelle der überall angekündigten „heftigen Diskussion“ keine halbwegs verwertbaren Zitate, die irgendwie meinem Anspruch an eine Diskussion genügen würden. Schließlich stieß ich bei „Theorie als Praxis“ auf eine ausführliche Analyse der von Drittpersonen aufgeführten Vorwürfe, die zudem mit vielen weiterführenden Links aufwartet:

Noch einmal zu den Rassismusvorwürfen gegen den Berliner CSD

Hören wir ergänzend dazu Butler noch einmal in einigen Zitaten:

http://radicalarchives.org/2010/03/28/jbutler-on-hamas-hezbollah-israel-lobby/

Similarly, I think: Yes, understanding Hamas, Hezbollah as social movements that are progressive, that are on the Left, that are part of a global Left, is extremely important. That does not stop us from being critical of certain dimensions of both movements. It doesn’t stop those of us who are interested in non-violent politics from raising the question of whether there are other options besides violence. So again, a critical, important engagement. I mean, I certainly think it should be entered into the conversation on the Left. I similarly think boycotts and divestment procedures are, again, an essential component of any resistance movement.

Oder hier ein anderes Beispiel auf Deutsch ( siehe auch „Die Butler-Bibel“ auf Nichtidentisches):

Ein paar Tage später besuchte ich eine Konferenz, auf der ich einen Vortrag über die wichtigen kulturellen Bedeutungen der Burka hörte, darüber, wie sie für die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und Religion, zu einer Familie, einer umfangreichen Geschichte von Verwandtschaftsbeziehungen steht, daß sie eine Übung in Bescheidenheit und Stolz, einen Schutz vor Scham symbolisiert und daß sie auch als Schleier wirkt, hinter dem und durch den weibliche Handlungsfähigkeit wirken kann. Die Sprecherin fürchtete, daß die Zerstörung der Burka, so als sei diese ein Zeichen der Unterdrückung, der Rückständigkeit oder sogar des Widerstandes gegenüber der kulturellen Moderne selbst, zu einer erheblichen Dezimierung islamischer Kultur führen würde und zu einer Ausbreitung von US-amerikanischen kulturellen Annahmen, wie Sexualität und Handlungsfähigkeit zu organisieren und darzustellen seien.“

Ich schließe mich daher ganz Judith Butlers Kritik am CSD e.V. an: Ihr den Preis verleihen zu wollen zeugt tatsächlich von Ignoranz gegenüber den von ihr wiederholt, lautstark, informationsfrei und völlig kritikresistent unterstützten menschenfeindlichen Ideologien Rassismus, Misogynie und Antisemitismus. Demnächst freuen wir uns als Kommerzialisierungskritiker auch über die kostenlosen Judith-Butler-Editionen aus dem Hause Suhrkamp.

Siehe auch:

Felix Riedel 2005:  „Israel ist, was Judith Butler über Israel denkt, Das Gerücht fungiert als Diskurs.“ In: Bahamas 48 (auf Anfrage bei der Bahamas-Redaktion als PDF erhältlich)

Postscriptum: Jan Feddersen kritisiert in vergleichbarer Meinung Butler in der Taz. „Karneval des linken Milieus“. 29.6.2010, S. 10.

Johannes M. Becker reitet wieder – für China

Wenn Johannes M. Becker sich zu Konflikten äußert, kann man fachliche Kompetenz ebenso sicher vermissen wie humanistische Integrität. Da er über die Jahre seine Position (Unterzeichnen des Manifests der 25, Hetzen gegen Israel, Lobbying für Hamas und Iran) nicht hinterfragte oder irgend änderte, kann man die Beschäftigung mit ihm hier kaum kritisch nennen – dazu fehlt die potentielle Beweglichkeit des Gegenübers. Meine Absicht ist, seine Argumentation in ihrem denunziatorischen Charakter zu denunzieren und das stets dann, wenn sie zu Tage tritt.

Seit Neuestem bemüht sich der Konfliktforscher Becker darum, das Ressentiment gegen den Afghanistaneinsatz der NATO auf eine Art und Weise zu schüren, die an Widerwärtigkeit keine Grenzen kennt. Er appelliert als Patriot an den Kostenfaktor:

„Stiege unser [sic!] Land 2011 aus dem Krieg aus, würden sich die wahren Kosten auf 18 bis 33 Milliarden Euro summiert haben.“

Würde man einem Becker vorrechnen, dass die Pressefreiheit, Frauenrechte und das freie Wahlrecht bis 2011 einige Milliarden Unkosten verursacht, er würde sich wohl zum Maoisten umtaufen lassen. Wenn die Sicherung einer Mädchenschule mehr als 2000 Euro kostet, opfert Becker bereitwillig deren Schulbildung jeder Umgestaltung des deutschen Haushaltes. Die „Irakisierung Afghanistans“ schritte laut Becker ausgerechnet unter Petraeus fort, dem er die Schuld am Terror der im Irak von Al-Quaida und Iran unterstützten Milizen unterschiebt. Gerade Petraeus steht für die effektive Bekämpfung des Terrorismus in einer intellektuellen Kombination von Projekten, interkulturell geschulten SoldatInnen und dem Aufbau von Polizeipräsenz. Becker schwebt indes ein anderes Modell vor, das wesentlich profitabler ist:

„An den Bodenschätzen unter der Erde des geschundenen Landes, von denen die Wissenschaft übrigens bereits seit langen Jahren Kenntnis hat, beweist ein anderes Land, wie Politik zu gestalten ist. Die VR China, die nicht einen Soldaten in Afghanistan stationiert hat, investiert viele Milliarden für die Bergung der ungeheuer großen Schätze. Und dies ist keineswegs ausschließlich zum eigenen Vorteil.“

Dass China nun Kupfer in Afghanistan fördert ohne die Kosten für die Sicherung der Zufahrtswege und Einrichtungen zu tragen ist in der Tat ein kaum zu übersehendes Faktum, dass zum Beispiel in den USA für Zähneknirschen sorgt. Wie unverschämt Becker China zum Vorbild der deutschen Politik befiehlt („wie Politik zu gestalten ist“), bezeugt hingegen seine Skrupellosigkeit im Umgang mit der eigenen Ideologie: Wenn man schon mit jedem terroristischem misogynen genozidalen und antidemokratischen Regime auf der Welt sympathisiert sollte man wenigstens auch etwas davon haben dürfen. Mit Becker könnte man wunderbar die Ausbeutung sudanesischer und iranischer Ölvorräte vorantreiben und im UN-Sicherheitsrat dann Bashir und Ahmadinejad absichern – „keineswegs ausschließlich zum eigenen Vorteil“. Auf so einen geschäftsfeindlichen Unsinn wie Menschenrechte zieht sich der Professor Becker lediglich dann zurück, wenn es gegen Israel und die USA geht. Es fehlt wie immer: Jede Auseinandersetzung mit der Komplexität der Konflikte, jede Analyse der Akteure, jede Überprüfung der Tragfähigkeit der vorgeschlagenen „Lösungswege“ und jede Empathie für  das antifaschistische Engagement seiner einstigen Bundeswehr-Kollegen in Afghanistan.

Quelle: Johannes M. Becker: „Die „Irakisierung Afghanistans““. In: Oberhessische Presse, 28.6.2010, S. 14.

Weiteres zum Thema Johannes M. Becker:

Mit Friedensforschung zum intellektuellen Paläolithikum

Vom Zwang zum Urteil – Beckers notorisch antiisraelische Konfliktanalyse

„Vernunftresistent tiefer in den afghanischen Krieg“ – neue Forschungsergebnisse aus dem Marburger Institut für Friedens- und Konfliktforschung.

Friedensnazis und Konfliktforschung

Friedensnazis als Kriegsgewinnler

Krieg um Rohstoffe oder Nichtkrieg um Rohstoffe?

„Iran im Weltsystem – Bündnisse des Regimes und Perspektiven der Freiheitsbewegung.“ – Rezension


 

 

 

Studien Verlag 2010, Stephan Grigat/Simone Dinah Hartmann (Hrsg.), 178 Seiten, 19,99 Euro.

 

Vor zwei Jahren gaben Grigat/Hartmann bereits ein Standardwerk zum Iran und dem Netzwerk seiner internationalen Förderer heraus. Die neue Veröffentlichung mit einem zumal ähnlichen Titel erscheint zunächst wie eine nichtsdestotrotz notwendige und wünschenswerte Aktualisierung dessen. In der Lektüre erweist sich das Buch dann als gelungener Versuch, Wiederholungen zu vermeiden – es lässt sich als gelungene Fortsetzung, als zweiter Band des ersten, theoretischeren Werkes lesen. Damals war die Stoßrichtung vor allem durch die virulente Relativierung des Atomprojektes durch den NIE vorgegeben. Im aktuellen Band wird darauf verwiesen, dass nicht mehr so sehr die Leugnung des Atomprogramms dominiert, sondern die Compliance der Staaten und der individuellen Akteure wider besseres Wissen. Dass Iran zu Atomwaffen strebt wird nicht länger diskutiert, sondern in seiner bitteren Konsequenz analysiert. Auf theoretische Geflechte verzichten Grigat/Hartmann diesmal zugunsten einer detailreichen, knappen und rasanten Studie mit journalistischem Detailreichtum, der es wie im Vorwort versprochen gelingt, eine publizistische Beschäftigung mit dem Thema zu vermeiden. Die Autorenriege hat weitgehend gewechselt, die Positionen haben sich entsprechend der Situation verschärft. Niemand, der eine Meinung zu Iran zu haben glaubt, kann sich vor diesem Buch drücken. Die Hauptthesen werden im Folgenden kurz angerissen. Weiterlesen