Dark Knight

„Dark Knight“ ist unvermeidliches Geschäft mit der nekrophilen Faszination, die der Tod Heath Ledgers ihm einhauchte. Die Massen auf die Gaffer beim Autounfall reduzieren zu wollen, greift aber zu kurz. Das Publikum identifiziert sich mit dem Masochismus. Der Joker schluckt die Folter, die ihn Lachen macht. Und dennoch erregt er in der Bloßlegung der eigenen Verletzung, dem ständigen Zeigen und Lecken der Narben empathisches Mitleid, erzählt mehr über den Menschen als der artifizielle Plastikberg Batman. Bezeichnend ist daher die Eingangsszene, in der der Joker seine Clownsmaske abnimmt und darunter eine weitere Maske zum Vorschein kommt. Diese wirkt ungleich realer als das Gesicht des Batman, aus dem faschistische Identifizierung mit der kalten, rationellen Wut des immer-schon-Rächer-Gewesenen zurückstrahlt. Batmans Macht zehrt kraftlos vom überfließenden Reichtum und den technologischen Relikten eines untergegangenen Staates. Das Bürgertum im Ausnahmezustand will seine Produktivität dem idealisierten Führer anvertrauen. Diesem gönnt es die Frauen und den Reichtum wie nur das vorbürgerliche Volk den Königen. Das James-Bond-Zitat bleibt ihm eingeschrieben: die verübte Gewalt gegen andere und sich selbst wurde noch je mit dem Akt belohnt. Dem Bösen wurde dir Aufgabe der narzisstischen Kränkung zugeordnet: die Ordnung des Rationellen zu brechen. Kreativität wird zur kriminellen Energie sublimiert.

„Dark Knight“ ist an der Oberfläche zutiefst reaktionär: Die Stereotypen sind schwarze und chinesische Mafias, gegen die ein starker Mann von Rechtschaffenheit helfen kann. Transsexualität bleibt im als Krankenschwester verkleideten Joker das zur Verspottung anstehende Feindbild – nur in dieser Form ist ihm das Erschrecken vor der eigenen Bombe zugedacht. Der comic relief baut auf Homophobie. Das führt zu abgründigen Interpretationen: „Das Irritierendste an dem Film ist, dass die Zerstörungswut des Joker offenbar von seiner gestörten Sexualität herrührt, so als wechsle er ständig das Geschlecht.“ [Jerome Charyn: „Amerikas Totenmaske“ in „Die Zeit“ 34/08]

Letztlich IST Dark Knight wie so viele andere Filme der homophobe Krieg von Männern gegen Männer und alles, was das Zeichen der Homosexualität trägt. Und das Zeichen der Narbe, des Kastrationsaktes, ist wie schon immer Zeichen des Bösen. Darin atmet „Dark Knight“ den Rassismus und die damit vermittelte Misogynie des Genres: Den Männern, die im Kastrationskomplex das Geschlecht der Frau nur als Narbe interpretieren können, gilt diese als Zeichen der oedipalen Bestrafung.

Zugleich eröffnet „Dark Knight“ an seinen tieferen Passagen einen kritischeren Abgrund: Die wirkliche Herausforderung Batmans und damit des bürgerlichen Staates liegt nicht in der Gewalt der Mafias, sondern sie kommt von innen. Das Instrument der demokratischen Wahl ist nicht umsonst vom Joker und von Two-Face Harvey Dent zur Opferbestimmung gedacht. Das Allgemeininteresse hetzt das Individuum vor sich her. Darin sucht „Dark Knight“ über den Mythos eine Entmythologisierung der bürgerlichen Gesellschaft. Der martialische folternde Faschist Batman entspringt aus der Demokratie und nicht aus dem chaotischen Bösen, das ihm als Anderes zur Legitimation dient. Das Individuum ist letztlich Folge und Bedingung des Chaos. Ob der Film diese Entmythologisierung findet, sei dahingestellt – zu dümmlich tritt als Synthese der ewig gute Potentat im Hintergrund auf, gespielt von Morgan Freeman, dem der Nelson Mandela von je in die Rollen geschrieben steht. Zu passiv werden Frauen zum Brot des männlichen Heldentums gereicht. Und zu berechenbar wird das Publikum mit Autounfällen bestochen, der jugendfreien Ersatzpornographie.

Call for Papers

Für eine konzertierte Aktion werden noch BloggerInnen gesucht, die sich auf vielfältige Weise Gedanken zu Hartz-IV, ALG-II, 1-Euro-Jobs oder Sozialsystemen überhaupt machen wollen. Die Beiträge können von literarischen Kurzgeschichten, satirische Hiebe nach allen Seiten über künstlerische Darstellung, Comics, T-Shirt-Entwürfe bis hin zu ausformulierten Analysen des totalen Verblendungszusammenhangs oder auch nur eines Forumsthreads reichen. Es geht dabei nicht darum, theoretische Einstimmigkeit zu verbreiten, sondern vielmehr eine verwirrte Debatte weiter zu verwirren, die Widersprüche auf die Spitze zu treiben und letztlich gerne auch mal ganz individuellen Frust abzulassen. Eine Zensur findet nicht statt, lediglich ein Aussortieren allzu übler Gesinnungen, mit denen man sich nicht gemein machen möchte. Alle Beiträge werden am gleichen Tag gepostet, eine jeweils nach- oder vorzuordnende Linkliste soll alle Beiträge zum interaktiven Online-Reader machen.

Vorschläge können an nichtidentisches@[löschmich]web.de gesandt werden.

Ungefährer Redaktionsschluss ist der 21.9.2008, Beiträge bitte so zeitnah wie möglich anmelden.

FGM in Ghana

Auch wenn es einigen Postmodernen nicht passt: „Women call for media support – in fight against FGM

Saudi-Arabien vs. Iran

Ein sehr interessanter Artikel auf Iran-Focus ergänzt die etwas plumpen Israel vs. Iran-Szenarien um eine dritte Dimension: Saudi-Arabien. Schon seit längerem ist die Position aus Saudi-Arabien bekannt, man würde es vorziehen, der zionistische Erzfeind würde Irans Atomwaffenpotential eliminieren. Ob das in Saudi-Arabien am antisemitischen Hauptwiderspruch kratzt, sei dahingestellt. Anscheinend drängt die Zeit aber derart, dass nun auch die Saudis nicht mehr länger hinter dem Berg halten können und ernsthaft überlegen, selbst den preemptive strike durchzuführen.

Reichsarbeitsdienst reloaded – Arbeitslose in die Pflege

Der Vorschlag von Ulla Schmidt, Arbeitslose doch in Pflegeberufen unterstützend einzusetzen, ist nur die logische Fortsetzung eines nach unten offenen Verfalls demokratischer Prinzipien. Auffällig ist nicht der Vorschlag an sich, sondern seine verquaste Rechtfertigung: Arbeitslose, und hier vor allem Frauen, sollen so „zurück in ihren Beruf“ finden. Offensichtlich wirkt aber ein anderer Zusammenhang: Weil Pflegeberufe skandalös unterbezahlt und durch Intensivierung mit Belastungen jenseits aller Grenzen verbunden sind, entstanden 10 000 Leerstellen. Gleichzeitig wurde und wird Pflegepersonal entlassen, das die Intensivierung nicht verkraftet. Im Rahmen der Zivildienste wurde eine ähnliche Debatte erschöpfend geführt: Die „Unterstützung“ durch Zivildienstleistende hat zu einer Absenkung des Lohnniveaus in Pflegeberufen geführt und mitnichten eine bessere Pflege garantiert. Anstatt das Notwendige professionellen ArbeiterInnen bei halbwegs gewahrtem Äquivalententausch anzuvertrauen, setzt man an neuralgischen Punkten ein unerfahrenes, desorganisiertes Lumpenproletariat ein, das stark zwischen den Stellen frequentiert und so zum Widerstand nicht in der Lage ist. Doch die modernen Streikbrecher werden nicht mehr mit Prämien geködert, ihnen selbst ist das Streiken gegens Streikbrechen untersagt: Wer sich widersetzt, bekommt im Falle des Zivildienstleistenden strafrechtliche Konsequenzen zu spüren, im Falle des Arbeitslosen wird ihm die Stütze entzogen.

Hätte Ulla Schmidt Sorge um die Qualität der Pflege, so stünden ihr als zuständige Ministerin ausreichende Mittel zur Verfügung, diese selbstverursachten Missstände aufzuheben. Die Verlockung, die Reservearmee des Proletariats auf niedrigstem Niveau auszubeuten, geht weniger aus ökonomischen Zwängen hervor, als aus der Vorstellung, diese Reservearmee hätte nichts besseres zu tun, sei ein abrufbarer Klonkrieger im Kälteschlaf oder in der Phantasie der Werktätigen: ein ewiger Florida-Rolf. „Freiwillig“ könne man sich um die Stellen „bewerben“, es sei also doch nichts Falsches daran, man erhalte „Berufserfahrung“. Wer mit den Kreisjobcentern und Arbeitsagenturen zugange ist, weiß, wie eine solche Freiwilligkeit aussieht. Da erklärt einem der Job-Akademie-Betreuer, man habe die Maßnahme doch angefragt und einen Antrag gestellt, warum man denn so unwillig sei. Tatsächlich ist man als „Antragsteller“ im Vertrag aufgeführt, die Freiwilligkeit besteht darin, zwischen Streichung von Geldern und Unterschrift unter den „Antrag“ zu wählen. Ähnlich perfide wird die Freiwilligkeit bei den „Bewerbungen“ geartet sein. Wer sich nicht auf eine solche „Stelle“ bewirbt, wird eben als „nicht arbeitssuchend“ bewertet und erhält keine Leistungen mehr. Wo man sich in den Feullietons und auf Seiten einiger FDP-Politiker Sorgen um die Qualität der Pflege macht, sollte man sich viel eher Sorgen machen um die Verfasstheit einer Gesellschaft, die den Abstieg in die offene Sklaverei – von der noch ein weniges an unmittelbarer Gewaltanwendung trennt, (soviel Marx muss sein) die Richtung ist indes eingeschlagen – noch mit Termini wie Freiwilligkeit verbrämt. So frech, den Sklaven zu unterstellen, sie wären freiwillig auf den Plantagen, waren noch nicht einmal die nord- und südamerikanischen Sklaventreiber. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ – gerade auf dem bislang unerreichten Höhepunkt der Produktivität dringt dieser faschistische Lehrsatz aus jeder Pore der deutschen Ideologie.

Mehr dazu unter:

Der Euphemismus – Instrument der Herrschaftsausübung

Der Sohn von Rambow

1982/83: Während deutsche Kinos eine durch die Synchronisation zur Satire verkommene Version von „First Blood“ (Rambo I) zeigen, entfaltet der Film in England seine volle Wirkung auf das begeisterte Publikum. „Der Sohn von Rambow“ setzt hier aus der Perspektive von sehr unterschiedlichen zwei elfjährigen Jungen ein. Der eine ist Teil einer vaterlosen Familie aus der Brüderbewegung, die den Konsum von Filmen und Musik verbietet und Frauen den Männern unterordnet. Für ihn bedeutet die zufällige Lektüre des Films Inspiration zur Ablösung vom Kollektiv der Brüdergemeinde und eine Integration in die übrige Gesellschaft. Der andere lebt ohne Eltern, ist an seinen ihn abwehrenden Bruder gebunden und übt sich in Aufsässigkeit. Für ihn wird Rambo zu einem Medium, mit dem er Anerkennung in der Gesellschaft sucht und die Nähe einer Freundschaft erzeugen kann. Beide werden zusammengebracht und drehen ihre Version von „First Blood“ mit dem Titel „Der Sohn von Rambow“. Es entsteht ein Geflecht aus Autonomiekonflikten auf allen Seiten: Die religiöse Familie löst sich von der Brüdergemeinde, der Sohn von der Passivität. Der Raufbold und Tunichtgut lernt, als kreatives Individuum in der Gesellschaft zu bestehen. Ein französischer, dandyhafter Austauschschüler findet zur jungen Filmcrew und damit persönliche Befriedigung seiner Kreativität.

Äußerst sympathisch ist an der Geschichte die Absage an Kollektive.

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Spielbergs München

Zur Free-TV-Premiere eines überaus sehenswerten Schwachsinns am Sonntag hole ich mal einen meiner ersten Artikel aus dem Keller, dessen etwas holzschnittartige Dürftigkeit man verzeihen mag, die Kritik bleibt davon hoffentlich unversehrt.

Spielbergs München

„Wir haben Spielberg verloren“, schreibt Jack Engelhard, „Spielberg ist kein Freund Israels, Spielberg ist kein Freund der Wahrheit.“

Jedoch, selbst wenn denn all das wahr gewesen wäre, wenn die zu Beginn des Filmes weiß auf schwarz eingeblendete Beteuerung, dieser Film beruhe auf wahren Begebenheiten, nicht vollkommen wahnhaft, suggestiv und überheblich wäre, was rechtfertigt die spezifische Darstellungsweise, die Spielberg wählt?

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Rambology – mit John J. Rambo durch die Dialektik der Aufklärung


Ernst Barlach: „Der Rächer“

„Rambo, der; -s, -s [nach dem amerikanischen Filmhelden]: (ugs.) jmd. der sich rücksichtslos [u. mit Gewalt] durchsetzt; Kraftprotz.“ (Das große Fremdwörterbuch – Duden)

Die Umgangssprache hat den Begriff „Rambo“ okkupiert. Woher diese semantische Kaperfahrt ihren Freibrief bezieht, leitet sich eher aus einem sublimierten oder offenen Antiamerikanismus als aus einer qualifizierten analytischen Filmlektüre ab. Diese lässt allerdings auf sich warten. Außer einem aufschlussreichen Interview mit Christopher Vogler und den Audiokommentaren von David Morell und Silvester Stallone – sämtlich generöse Dreingaben der Rambo-Trilogy-DVD-Box – schweigt die Wissenschaft zum Phänomen Rambo, sofern sie sich nicht noch als Insinuant von Ressentiments gegen den Film betätigt. Man mokiert sich gerne darüber, wenn afrikanische Kindersoldaten oder Dschungelkämpfer sich „Commander Rambo“ nennen, ein ernsthaftes Interesse an der Vermittlung von intrapsychischen Konflikten in der postbürgerlichen Gesellschaft und dem fiktionalen Drama um den Kulturheros Rambo schlägt sich jedoch zumindest nicht in Publikationslisten oder Bibliothekskatalogen nieder.

Das oberflächliche Muster aller Filme ist sicherlich einfach: Der ausgestoßene Loner John Rambo wird durch dramatische Verstrickungen in Situationen gebracht, in der ihm Gewalt als einziger, legitimer Ausweg bleibt. Dadurch entsteht eine perpetuierte Verfolgungsjagd, bei der eine verfolgte Person letztlich zum siegreichen Verfolger wird oder zumindest die Verfolgung abwehrt. Würde man die Rambo-Filme auf dieses Muster reduzieren, träfen BARTHES Analysen der kleinbürgerlichen Kultur mit ihrem Abhub auf Erwartung, Suggestion und Initiation zu.

Es gehört zum kleinbürgerlichen Ritual […], daß man so lange warten läßt, bis sich die Spannung eingestellt hat, die so untrennbar gemischt ist mit Heilserwartung und Wut. (Barthes nach Schiwy 1973: 21)

Diese Erklärung in klassenkämpferischer und kulturkritischer Absicht wäre allzu plan. Für James Bond und zahllose andere zweitklassige Krimis, Gauner- und Detektivgeschichten mag solches oder ähnliches zutreffen. Die Rambo-Filmreihe ist allerdings zu komplex, als dass man sie auf Nervenkitzel und nur kulturindustriellen Unterhaltungswert reduzieren könnte. Sie ahmt nicht bürgerliche Kultur nach, sondern geht aus ihr hervor und entwickelt sie auf höchstem Niveau weiter – stets an den Grundfesten bürgerlicher Ideologie nagend, auf denen sie zugleich wie alle Kulturindustrie baut. Wesentlich mehr Aufschluss bietet es daher, wenn wir die „Dialektik der Aufklärung“ – ausnahmsweise weitgehend jenseits des Kulturindustriekapitels – mit der Rambo-Reihe synchronisieren. Erst dann wird die intellektuell inspirierte Tiefenwirkung der Rambo-Mythologie auf ein massenhaftes Publikum nachvollziehbar und die inhärente Zivilisationskritik ebenso wie der innerhalb kulturindustrieller Verhältnisse stets zum Verrat anstehende emanzipatorische Anspruch darin sichtbar. Von dieser These ausgehend starten wir, ADORNO und HORKHEIMER wie gleichermaßen deren Basis, MARX und FREUD im Hinterkopf behaltend, einen mitunter waghalsigen Streifzug durch die Filmreihe – wie John Rambo selbst riskieren wir dabei Verstand und Kragen, verfolgen, was uns verfolgt, kündigen im Kampfhubschrauber der Theorie die Sicherheit der wohligen positivistischen Trennung von Subjekt und Objekt auf.

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Deutschland, die UN und das Horn von Afrika

Die UN zieht sich derzeit endgültig aus der Zone zwischen Eritrea und Äthiopien zurück. Zwei gleichermaßen unsympathische Staaten, die in Sachen Pressefreiheit und Menschenrechte auf den letzten Plätzen rangieren, sind damit auf dem Sprung, ihren alten Konflikt wieder kriegerisch auszutragen. Auch wenn Eritrea den letzten Krieg sowohl verursachte als auch verlor, wurde ihm im Wesentlichen genau jenes Land zugesprochen, das es annektieren wollte. Äthiopien akzeptierte diese oktroyierte „Konflikt-Lösung“ durch die UN-Grenzkommission nicht und seither sorgte UNMEE vor Ort für Spott und Häme. Eritrea, das sich militärisch in einer schwächeren Position befindet als Äthiopien, übt sich auf einmal in Kritik am Abzug, den es durch seine boykottierende Haltung maßgeblich auslöste.

Im benachbarten Somalia tobt indes der Stellvertreterkonflikt zwischen den von Eritrea und Al-Qaida mitfinanzierten Islamisten und den mit der Übergangsregierung verbündeten äthiopischen Truppen. Die von der African Union versprochenen 8000 AU-Soldaten sind immer noch nicht angekommen, die Hauptlast der wieder erfolgreichen islamistischen Aggressionen tragen derzeit 1300 AU-Soldaten aus Uganda und die äthiopische Armee. Allein in Mogadishu werden dagegen etwa 3000 islamistische Kämpfer vermutet. Die Chance, Somalia nach der äthiopischen Intervention und der vorübergehenden Zerschlagung der islamistischen Verbände zu einen und zu stärken, wurde einem Experiment geopfert: regionales Konfliktmanagement sollte der AU die Gelegenheit bieten, sich als starke Regionalmacht zu präsentieren. Bei dieser Rechnung wurde allerdings der desolate Zustand der afrikanischen Armeen, ihrer Verwaltung und der Regierungen als vernachlässigbarer Faktor benannt: Die Opfer dieser zynischen Rechnung sind jene Somalis, die in Somalia, Somaliland und Puntland auf stabile, friedliche und halbwegs freie Verhältnisse hoffen. Sie erfahren erneut den Unwillen und die Unfähigkeit der UN, mit vergleichsweise wenigen militärischen Mitteln selbst bei einer größtmöglichen Chance, wie sie sich nach der äthiopischen Intervention bot, irgend etwas Positives zu bewirken. Der AU geht mittlerweile auf, dass sie durch die UN nach Strich und Faden betrogen wurde. So sagte der südafrikanische UN-Botschafter jüngst laut BBC: „[…] the AU is doing a job that the UN is supposed to be doing.“ Und selbst das ist noch gelogen, bestehen die AU-Truppen doch bislang lediglich aus 1300 ugandischen Soldaten, während Südafrikas Regierung sich nach Kräften bemüht, im benachbarten Simbabwe die Todesschwadronen Mugabes gewähren zu lassen und sogar zu bewaffnen.

Am Horn von Afrika werden indes von Oxfam 13 Millionen Menschen als mögliche Todesopfer einer aufziehenden Hungerkatastrophe ausgemacht: Eine Dürre plagt die Region während in Südafrikas Häfen 80 000 Tonnen Nahrungsmittel verrotten, weil – anders als deutsche Freizeitargonauten – kein vernünftiger Kapitän mehr sein Schiff durch die von Piraten besetzten Gewässer Somalias fahren will. Die vor der Küste stationierte deutsche Marine hat anscheinend kein Mandat, Piraterie zu bekämpfen. Das ist laut Amigues/Bishops vor allem der innerdeutschen CDU-Politik geschuldet. Während in Afghanistan deutsche Soldaten durchaus Polizeiaufgaben übernehmen, will die CDU durch die Verweigerung der Zustimmung zu einem solchen verfassungsrechtlich bereits prinzipiell möglichen Vorgehens am Horn von Afrika die SPD dazu erpressen, die Trennung von Bundeswehr und Polizei endgültig aufzuheben. Weil bei den derzeit der Bundeswehr zugeordneten Auslandseinsätzen in Guerillakriegen logischerweise keine klare Trennung von militärischer Aktion und Polizeiarbeit vorzunehmen ist, wäre die Forderung nach einer Neuregelung bei Auslandseinsätzen durchaus nachvollziehbar. Diese Rationalität wird allerdings von der CDU nur zu offensichtlich instrumentalisiert, um dem notorischen Faschisierungskurs der Partei als Profilwetzstein zu dienen. Jede weitere Auflösung der Trennung von Polizei und Bundeswehr ist somit Wasser auf die Mühlen der ewigen Scharfmacher und „tough guys“ innerhalb der CDU/CSU. Die Konsequenz daraus wäre, einem demokratischeren Staat, bei dem man nicht bei einem humanitären und somit in Somalia eben militärischen Einsatz gegen islamistische Guerillas den Verfall von demokratischen Institutionen und den Ausbruch des Faschismus im eigenen Land befürchten müsste, die Befehls-Obhut über eine so diffizile Konfliktregion zu überantworten und Deutschland nur noch entsprechend zur Kasse zu bitten. Dem allerdings steht die Kolonialmacht-Attitüde der Bundeswehr entgegen, die jede Präsenz im Ausland als Siegestrophäe über die in Jugoslawien erstmals offen und lautstark in aller Widerwärtigkeit gebrochene deutsche Verteidigungsdoktrin braucht.

Die EU beruhigt ihr Gewissen mit lauwarmen Geldgeschenken: Satte 21 Millionen Euro, etwa der Preis von wenigen Kilometern Autobahn, schickt sie mit zweifelhaften Vorgaben auf den Weg nach Somalia und Eritrea. Das ist jedoch allemal billiger, als ein Militäreinsatz, der Somalia endgültig von den islamistischen Guerillas und den kriminellen Banden befreien würde, die Produkt und Ursache des derzeitigen Zustandes zugleich sind. Erfahrungsgemäß wird solcherlei nicht militärisch geschütztes Kapital über die zahllosen Straßensperren und Schutzgelderpressungen in die Kassen der Milizen fließen. Den Militäreinsatz gegen solcherlei über Hilfslieferungen finanzierte Guerillas überlässt man getrost der notorisch bankrotten AU und den USA, die dann für die gelegentlichen zivilen Opfer von Luftangriffen mit allen Zeigefingern angeprangert werden können, während man selbst die Hände im Blut der Opfer der Nichteinmischung wäscht.

Deutschland ethnologisch – Teil 2

Wenn der Franke nicht weiß, wie er seine Touristen bei Laune halten soll, lässt er sich mannigfache Attraktionen einfallen. Da sinnt er dann darauf, was seine Goldesel wohl so sehen wollen. Sicher würden manche Radfahrer gerne öfter Gelegenheit erhalten, legal und stressfrei auf irgendwelchen Wiesen am Ortsrand zu biwakieren und so den gefürchteten Delikt des „Hausfriedensbruchs“ oder manches Ordnungsgeld zu vermeiden. Tiefer noch als seine Freude am Kapitaleintrag duch den Touristen wurzelt beim Franken allerdings die urdeutsche Furcht vor Zigeunern und Obdachlosen, die durch derlei Infrastruktur nur auf den falschen Gedanken gebracht werden könnten, hier sei man etwa auch ihnen wohlgesonnen. Der Franke wälzt also hin und her: er braucht seine Attraktion. Und so benennt er also einfach bereits existierende Radwege mit weiteren vielversprechenden Namen wie „Karpfenradweg„, was den Radfahrer entlang der wahrlich sehenswert mäandrierenden Wörnitz nahe Dinkelsbühl darauf verweisen soll, dass man hier besagten Edelfisch zu züchten, zu erlegen und zu verspeisen versteht, eine hohe Kunst, deren wässrige Zeugen man in den am Wegesrand verstreuten Karpfenteichen schon immer bewundern wollte. Wer da noch nicht zufriedengestellt ward, den schickt der Franke auf seine Spezialität: Die „Oberamtstour„.

Den Touristen, die danach noch den Genuss der lokalen Spezialität überlebten, verkauft der Franke in Ermangelung von Holzindianern ausgestopfte andere Franken, die mit Devotionalien behangen werden. Hat der Tourist dann noch Geld übrig, für das er vielleicht einige Mitbringsel erwerben möchte, stehen ihm an jeder Ecke Läden zur Verfügung, die das Beste, was die fränkische Hobbywerkstatt zu bieten hat, zu Schleuderpreisen als höchsten Ausdruck deutscher Kunstfertigkeit feilbieten.