The bloodied pants – why feminists and zionists should stay cautious about this clue and rather use strong evidence for the sexual violence of Hamas

Naama Levy was a peace-activist and soldier, until she was abducted on October 7th, 2023. It is unknown, if she is still alive, as she remains one of 17 women in Hamas prisons. She has suffered violence and trauma. When she was captured, she suffered wounds to her head, arms and legs, was brought to Gaza, paraded on a Pickup-truck and then pushed into a seat of the same truck. It is in these brief moments, that a dark stain can be seen on her grey jogging-pyjamas.

This stain has been interpreted as blood and the blood as a result of rape. Activists have reenacted this scene and the bloodied pants are now a symbol of the sexual violence of Hamas. There is strong evidence for sexual violence on 7/10 2023: testimonies by victims and orders found with Hamas soldiers.

The stain on Naama Levy’s sweatpants on the other hand could be different from what it seems. Rather than from bleeding it might be the result of uncontrolled defecation induced by fear and stress or, if it is blood, it has other origins. These are the arguments, why vaginal or anal bleeding might not be the source of the stain:

  1. Blood contains iron and the colour turns into a rusty brown after a while. Nonetheless, if you consider the timespan between the abduction and scene a few hours later, we would expect a gradient of colours. We see fresh, red bloodstains on her trouser from a different origin: her cuts on hands, next to the dark stain, where here hands were forced to rest, on her legs. Determining blood-stain patterns is a science by itself.
  2. The front of the trousers and the crotch are not stained. Blood would soak the surrounding area of the genitalia.
  3. She stumbles out of the van with comparable ease, considering a jihadi pulls at her hairs, her hands are tied and her emotional trauma. The pain from rape resulting in internal bleeding would cause her to flinch at least at certain moments, even considering the numbing effect of adrenaline in such a situation.
  4. In Hamas‘ go-pro-videos, we see hostages sitting in blood puddles and hostages are dragged through other peoples bodies. People hid in places, where faces and mud might have been present.

I am not a forensic expert at all, and my naive, commonsensical reasoning might sound cynical and it might be already discussed and contradicted by experts. There are facts to be missed easily. I consider it likely, that she suffered sexual violence and the short clip proves she suffered extreme violence. I am convinced, though, that the popularization of the symbol, and the display of the stain won’t help the zionist or the feminist cause. Visualization does not always outcompete the abstract, the narrated, the logical conclusion. Antisemites are in full denial of the sexual violence by Hamas, spearheaded by Judith Butler, who scoffs at the question. This is the reason, why we should stay cautious and use only strong arguments especially when we have so many of them. I really do hope, Naama Levy is alive, will be freed and won’t have to deal with a discussion about her pants ever again in her life.

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Naama Levy war Friedensaktivistin und Berufssoldatin. Sie wurde am 7.10. entführt, misshandelt, und es ist nicht bekannt, ob sie noch lebt. Sie ist eine von 17 Frauen, die noch in Geiselhaft ist.

Weil sie in einem Video mit einem großen dunklen Fleck auf ihrer grauen Jogginghose zu sehen ist, gilt ihre Hose als sichtbarster Beweis für die sexuelle Gewalt, die aus Zeuginnenaussagen am 7.10.2023 stattfand. Es existieren Reels von Straßentheaterszenen, bei denen sie mit ihrer Hose und dem Fleck nachgespielt wird.

Möglicherweise ist aber nicht Blut die Ursache des Flecks, sondern unkontrollierter Stuhlabgang, was bei Angstreaktionen vorkommt, ein natürlicher Schutzmechanismus gegen Raubtiere.
Gegen einen Blutfleck als Folge einer Vergewaltigung sprechen folgende Argumente:

1. Die Farbe. Zwischen dem Kidnapping und der Parade liegen wenige Minuten bis Stunden. Nimmt man eine derartige Blutung an, müssten durch Nachblutungen zumindest Teile des Blutes noch rot sein. Die helleren, blutroten Flecken kommen vom Kopf, von Wunden an den Füßen und an einer Stelle lagen ihre auf den Rücken gebundenen, blutenden Hände an dem Fleck an, was hier m.E. einen Übergang erzeugt.

2. Der Fleck erstreckt sich auf den unteren Rücken und das Gesäß, nicht jedoch auf den Frontalbereich der Hose und den Schritt. Bei einer analen oder vaginalen Blutung wäre der Genitalbereich im Schritt das Zentrum des Flecks, auch wenn man die angewinkelte Position berücksichtigt, in der sie fixiert war.

3. Ihre Bewegungen. Eine derartige Blutung müsste mit lokalen starken Schmerzen einhergehen, die trotz Adrenalin beim Absteigen vom Jeep instinktiv zu Vermeidungsreaktionen führen müssten. Sie hat zweifellos Schmerzen, jedoch eher im Bereich des Kopfes.

4. Selbst wenn es Blut ist, wäre angesichts der Lage des Flecks ein Sitzen auf einer Blutlache eher als Ursache denkbar als eine Blutung aus einer Körperöffnung.

All das sind nur Spekulationen aus der Ferne und ersetzt keine forensische Analyse. Es ist sehr gut möglich, dass sie sexuelle Gewalt erlitten hat und erleidet. Ich bezweifle jedoch, dass der Fleck der beste Beweis dafür ist. Ich rate gerade angesichts der Leugnung sexueller Gewalt durch die Hamas (z.B. bei Judith Butler) dazu, eher die Zeugnisse der Opfer zu zitieren, als sich auf dieses „sichtbare“ Symbol zu konzentrieren, das sich gegebenenfalls dann als Fehlschluss herausstellen kann.
Ich hoffe inständig, dass Naama Levy lebt und freikommt.


Zur habituellen Gleichgewichtsstörung von Männern

Bei Höflichkeitsgesprächen lässt sich insbesondere bei jungen Männern gern ein Schwanken beobachten, das einem kuriosen Rhythmus aus Ausweichbewegungen und Zuwendungsgesten zu bestehen scheint. Wedeln mit bezigaretteten Händen oder Durchfahren der Haare ähneln Versuchen des Festhaltens in freiem Fall. Vernünftelndes Abwägen wird mit Kopfneigungen aller Art simuliert, doch letztlich bleibt der Eindruck einer tiefen Verunsicherung ob der Ambivalenz der Begegnung haften: als schiene sich das Individuum uneins, der Fluchttendenz in die Ferne nachzugeben oder der vor der Einsamkeit weg in eine unliebsame Konversation hinein, die meist nur aus starren Hülsen pathischer Kommunikation besteht: Wie gehts, Ja geht so, und bei dir, Alder, alles fit, Arbeit, was, ja scheiße halt, mussja, bis denne, Tschausn, machsgutbruder, Alleskla.

Die Befreiung von jedem Verdacht auf Homoerotik durch hölzern-knarzende Stocksteifigkeit steht in krassem Kontrast zur Behauptung von Dynamik in zunächst raumgreifenden, dann wieder auf Böden oder in die Ferne starrenden, schultern zusammenziehenden Gesten. Und erleichtert bewegen sich die Männer dann auseinander, man hat die peinliche Lage durch Konversation entschärft, schwankt von dannen, eventuell ein Hinken oder ein Schlotterknie oder eine leichte Trunkenheit, die eventuelle Fehler entschuldigen könnte, simulierend, oder mit schlacksigen Beinen etwas mehr Raum erobernd als der Weg zum gar nicht vorhandenen Ziel abverlangen würde.

Sicher ist bei Männern der Schwerpunkt biologisch höher, in Richtung des Brustkorbs gelagert, die Ziellosigkeit der Arme eventuell archaischer Bereitschaft zur Flucht geschuldet. Und doch ist die Neigung zum Schwanken auch so tief in Kultur verankert, dass sie sich noch in Gebetsritualen niederschlägt. Der islamische Fall in die Embryonalstellung und das Wiederaufstehen, der ekstatisch kreiselnde Tanz der Derwische, das „Schokln“ im Judaismus, einer Legende zufolge der tanzenden Flamme einer rituellen Kerze nachempfunden, und im Christentum der Kniefall, das Schaukeln des Turibulums, in afrikanischen Religionen die Trancetänze, die Maskentänze und die Perfektion der Synkope. Wo der Buddhismus die fixierte Position anzustreben scheint, wird doch auch stets gern etwas gebommelt, getrommelt, getrillert oder anderweitig Betriebsames verrichtet. Bewegung muss allenorts in verkrustete Verhältnisse, aber es gelingt nicht, weil es im Experimentierfeld der Kulturen stets im Falschen der Religion und Tradition bleibt, unklare Ziele hat, daneben trifft, nicht die Verhältnisse stürzt, in denen der Einzelne ein verächtliches Wesen, eine geknechtete Kreatur bleibt.

Mütter indes schaukeln ihre Babies und mit ihnen, unbezwingbare, selbsterklärende Vernunft und fester Boden, und es wäre so wahr wie auch viel zu einfach, die Wackeldackelhaftigkeit des Mannes als Regression in diese Position oder neidische Sehnsucht nach dieser Sinngebungsmaschine Mutterschaft zu erklären. Gewackelt wird bei Männern eher aus der Lust an der Vermeidung einer klaren Position zwischen Herrschaft und Unterwerfung heraus. Und vielleicht in einem Zwischenstadium, in dem kulturelle Regeln meist zu Recht ihre Gültigkeit verlieren und von einem Experimentierfeld an Selbsterfindung abgelöst werden, das sich dann massenkulturell wieder an Vorbildern orientiert. In den üblichen Begegnungen mit Handschlag irgendeiner Art, nervös-arbeitssamen Ziehen an Zigaretten oder Paffen an elektrischen Pfeifen, paaren sich internalisierte Arbeitsrhythmen mit der Angst, durch eine aufrechte Position Dominanz auszustrahlen, die wiederum als Aufforderung zur Gegendominanz gelten könnte. Das hat weniger mit äffischen, tierhaften, als Hackordnung zu häufig abgetanen Hierarchien zu tun, als mit der Demokratie. Wo in der bürgerlichen Produktionsweise jeder sein eigener Herr sein könnte, es unter der Herrschaft des automatischen Subjekts aber niemand wirklich ist, bleibt alles ein Ausloten des aktuellen Standes des Waffenstillstandes in allseitiger Konkurrenz. Prinzipiell zur Selbstbestimmung befähigt zu sein und doch täglich ein Sklave ohne Kenntnis seines Herrn und Zieles, im Bewusstsein der eigenen Beteiligung an der Selbstausbeutung, der Unfähigkeit, sich zu organisieren mit den Anderen, bei gleichzeitigem Zwang dazu, überfordert und treibt in jene fragile Männlichkeit, die sich an der Unterwerfung Anderer oder von Material und Dingen beweisen muss. Nur konsequent flüchten sich die Hikikomoris in die Isolation, Angst vor der eigenen Wut auf Alles, zivilisatorisches Gegenstück zum Amoklauf.

Nicht das fragile ist dabei kritikabel, nicht das Schwanken in Ambivalenz, sondern die Verdrängung dessen, die Behauptung der Absenz von Fragilität, die Illusion von Statik und Stabilität. Echte Männer lesen das, Survival in der kanadischen Hütte, wie man sich einen Langbogen baut, sei nicht nur frauensammelnder Alpha, sei frauenverschmähender Sigma, kaufe jetzt wieder einen Elektrogrill, kaufe nie diese Werkzeuge, hier siehst du wie man wirklich mit Klimaklebern umzuspringen hat, dort sind die Schwachen, die Unterlegen, das arbeitsscheue Pack, das du nicht bist, hier hast du den Kitsch, mit dem du menschliche Emotionen simulieren kannst, und so weiter flüstern die Shorts und Clips auf das Subjekt ein.

„Cope!“ wird zur Beleidigung par excellence. Wer immer sich beschwert, sich anderer Emotion verdächtig macht als den auf Schwache kanalisierten Aggress, solle klarkommen, copen. Was liegt näher, als der großen Verunsicherung Klarheit der Rollen entgegen zu setzen, die submissive Frau mit ihren Haushaltstricks wiederzubeleben und den bärtigen Vierschrötler mit seiner Werkbank, von verlorener „Gesundheit“ und „Normalität“ träumend. A man has to be ugly and fearsome. Und er hat zu schwanken, am Abgrund, an dem Menschheit steht, denn der dünne Firnis der Zivilisation trägt ihn nicht, gibt ihm keine Antwort, wie diese zum Nichtfrausein verdammte Existenz geht, in der die einen die Angleichung an den vormanipulierten weiblichen Charakter als Subversion bewerben, eine insgeheim misogyne Beleidigung und Verspottung derer, die ihn tragen, während die Anderen die Kastration der Schwachen anempfehlen; in der Menschsein unmöglich, krank unnormal zu sein scheint und es politisch allgemein Mode wird, als Kühltruhe seiner Emotionen umherzuwandeln, nur um die eigene Angst und Leere durch die Vernunft des Mitmachens zu bannen.

WOYZECK. Es geht hinter mir, unter mir Stampft auf den Boden. hohl, hörst du? Alles hohl da unten. Die Freimaurer!

ANDRES. Ich fürcht mich.

WOYZECK. S‘ ist so kurios still. Man möcht den Athem halten. Andres!

ANDRES. Was?

WOYZECK. Red was!


mignonnes – cuties

Szene aus Mignonnes

Man stelle sich einen Film über 11-jährige Jungen vor, die heimlich rauchen, Pornos auf dem Handy schauen und „voll eklig“ finden, sich in Männerrollen üben, erste Muskeln heranzüchten, gegenseitig in Laserdromes beschießen und für die Aufmerksamkeit von Mädchen zu Klassenkaspern werden. Es wäre vermutlich kein Skandalfilm. Flösse die eine oder andere Träne oder entdeckte einer der Jungen schüchtern seine aufkeimenden homosexuellen Regungen und die Onanie, würde ein solcher Film vermutlich gefeiert als Einblick in das „wiedersprüchliche Gefühlsleben“ von präpubertären Jungen.

„Mignonnes“ hingegen erregte Entrüstung und eine Form von Ekel und Abscheu, die man auch in den Verteidigungen des Films noch als Inszenierung erkennt. Die einen zeigten Netflix wegen „Kinderpornografie“ an oder werteten den Film in organisierten Onlinevotings ab. Die Regisseurin wird auf youtube und anderen Portalen regelrecht gemobbt.

Typischer Kommentar auf Youtube


Das Fazit der wohlmeinenden Kritiken hingegen ist oft nicht viel besser, wenn es im Film ausschließlich eine „schonungslose“ Kritik der „Hypersexualisierung“ junger Mädchen sieht. Eine solche reduktionistische Interpretation spricht Bände über das Rollenbild und die damit einhergehenden Zwänge, die der Sexualität präpubertärer Mädchen auferlegt werden. Der Film kritisiert Übersteigerungen und narzisstische Angebote, er leistet aber auch eine ernsthafte analytische Perspektive auf die Sexualität von Elfjährigen.

Die Geschichte ist rasch erzählt: In ihrem verzweifelten Protest gegen die zweite Heirat des tendenziell abwesenden, nur durch Geschenke präsenten Vaters in die Bigamie rebelliert Amy. Sie schließt sich einer jungen Gang von Elfjährigen an, die sich durch rebellischen Konformismus und bauchnabelfreie Mode definiert. Anerkennung suchen sie als Tänzerinnen zu erlangen. Und weil die jungen Tänzerinnen ihr Handwerk ernst nehmen, studieren sie auch Montagen weiblicher Verführungsmasken und -gesten ein, die beispielsweise Shakiras Bauchtanz oder Christina Aguileras „dirrty“ entnommen sind. Die Entdeckung der rotierenden Hüfte markiert den Schritt in die Eskalation: Twerken, Spagat und schließlich Tabledance-Elemente. Die Kamera folgt den Reizimpulsen beharrlich, stellt die Körperlichkeit der Elfjährigen in bauchnabelfreien Tops und Fetischmode wie wetlook-Leggins dar. Die Kameraführung analysiert nüchtern und kühl den Effekt, wie es auch die dargestellten Elfjährigen untereinander tun.

Dieser darstellende Blick wurde als Dienst an männlichen „Prädatoren“ interpretiert und Doucouré angelastet. Darin artikuliert sich nichts als das alte Stereotyp, dass Kleidung Vergewaltigung provoziert, dass die männlichen Prädatoren Verführte seien, dass Mädchen und Frauen ständig aufpassen müssten, diese nicht zu reizen. Die ganze Last, Missbrauch zu vermeiden, wird Mädchen auferlegt, die in Büchern und Filmen beständig mit sexueller Gewalt bedroht werden, wo sie experimentieren. Doucouré zeigt auch die begehrlichen Blicke einiger Männer, aber sie denunziert darin nicht das präpubertäre Spiel mit Erwachsenenrollen. Als die Mädchen während einer Tanzshow von Frauen ausgebuht werden, ist darin weniger reifes Schutzbedürfnis zu erkennen, als vielmehr der Neid auf eine unschlagbare Konkurrenz. Dieser Neid der Mutter auf das Kind, das sexuelle Gewalt vom Vater erfährt, ist Bestandteil vieler Biografien von Opfern.

Organisiertes Niedervoten eines Interviews mit der Regisseurin

Im inszenierten Ekel vor den sexualisierten Gesten der jungen Mädchen äußert sich auch Ekel über junge Mädchen. Deren ambivalente Gefühlswelt zwischen Regression und Härte stellt Doucouré ins Zentrum.

Doucouré hat sich dem Thema im besten Sinne vorurteilsfrei und ethnologisch angenähert und hunderte Interviews mit jungen Mädchen geführt. Sie möchte mit ihrem Film Kritik leisten, sieht ihn als feministischen Beitrag an. Das ist ihr gelungen. Der Film hat für junge Mädchen eine eindeutige Botschaft: Traue dich, zu weinen und zur Mutter zu gehen, Menstruation ist keine Schande und am Ende lautet das erlösende Fazit des Films: „du musst nicht mit zur Hochzeit“, du darfst Kind sein und Seilspringen, egal wie groß du schon bist und wie rasch du wächst.

Der Film verweigert den Schritt ins stereotype Sozialdrama, das für ein junges Mädchen senegalesischer Abkunft die Rolle reserviert, zum Beispiel vor Zwangsehe und FGM in die Emanzipation zu fliehen. Doucourés Geschichte ist komplexer angelegt und kränkt dadurch westliche Sehgewohnheiten. Sie zeigt, dass Emanzipation in Widerstand gegen Tradition als auch gegen peer-group-pressure und Marktgehorsam, gegen Eltern und doch auch auf Grundlage der Erfahrungen der eigenen Mütter und Großmütter geleistet werden muss. Oder anders: dass Emanzipation auch aus der Erfahrung mit scheiternden Experimenten entsteht und stets ein unabgeschlossener Prozess ist.

Als Amy dem Cousin ihren Körper zum Tausch gegen dessen Smartphone anbietet, das ihr die Welt zu einem anderen Kollektiv außerhalb der Familienzwänge öffnet und bedeutet, stößt sie auf dessen entsetzten Widerstand, aber auch auf kopfschüttelnde Toleranz: Sie spinne ja. Ihr Körper wird verschmäht, es kommt eben nicht zur sexuellen Gewalt, wie sie die Sehgewohnheiten des westliche Kinopublikums nun erwarten, das solche kindlichen Experimente sofort mit der Vergewaltigung bestraft. Auch Männern wird Reife zugestanden. Sinnbild dessen ist der Mallam, der keine Geistbesessenheit in Amy erkennen will und den Konflikt richtig als übertragenen Mutterkonflikt analysiert. Er empfiehlt ihrer Mutter die Scheidung vom bigamen Ehemann. Nach dieser Intervention erfährt Amy schließlich Akzeptanz für ihr Psychodrama: Sie müssse nicht mit zur Hochzeit des Vaters. Sie geht auf die Straße zum Seilspringen mit anderen Kindern.

Auf symbolischer Ebene erklärt sich dieser kathartische Moment so: Ehe ist Erwachsenensache. Sie ist durch die Befreiung von der Hochzeitsfeier vom unbewussten Zwang befreit, selbst die zweite Ehefrau des Vaters zu werden und mit der Mutter zu konkurrieren. In deren Akzeptanz des Scheiterns des monogamen narzisstischen Versprechens, die einzige und schönste zu sein, endet auch für Amy der Zwang zur ständigen narzisstischen Selbstaufwertung.

Der Film ist mehr als ein individuelles Psychodrama. Er gesteht jungen Mädchen zu, einen Körper zu haben und zu spüren. Die gezeigte Preteen-Mode weckt Entrüstung – dabei sinkt das Alter der Geschlechtsreife im Westen kontinuierlich und manche Elfjährige haben mitunter einvernehmlichen Sex innerhalb ihrer Alterskohorte und damit ein Recht auf Verführungsakte. Der Film lässt Mädchen twerken. Dagegen meldet sich das viktorianische Erbe Europas mit seiner Verpflichtung zum versteiften Unterleib an. Den Spagat dürfen Mädchen schließlich nur in Gymnastikgruppen auf blauen, nach Kautschuk und Schweiß riechenden Matten erlernen und zeigen – nicht aber in Lackhosen in der Öffentlichkeit. Mit sieben im Tutu Ballett vorzutanzen ist legitim – twerken nicht. In allen Schwimmbädern werden bereits Kleinkinder durch rutschenden Bikinioberteilen gehemmt, die sie lediglich tragen, weil die Eltern sich für Brustwarzen ihrer Töchter schämen und das Kind in die Scham über seine Brustwarzen nötigen. Elfjährige in Wetlook-Leggins hingegen erzeugen einen Skandal.
Auch die Angst vor pädo- und ephebosexuellen Prädatoren erzeugen Anpassungsdruck auf Mädchen, auf Opfer. Als Amy in einem Akt der verzweifelten Rebellion mit dem Smartphone des Cousins ihre Vagina fotografiert und das Foto ins Netz stellt, wird sie selbst von ihrer peer-group ausgegrenzt und im Klassenzimmer von einem Mitschüler mit einem Schlag auf den Po belästigt – sie sei ja ohnehin eine „Schlampe“. Das westliche Modell des Schutzes vor sexueller Gewalt läuft auf solches victim-blaming hinaus: Weil Gesellschaft nicht in der Lage ist, Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen, sollen Teenager ihre Geschlechtsteile nicht online und öffentlich diskutieren, sondern beschämt verbergen. Kommuniziert wird dadurch, dass der Anblick von Vaginas Gewalt erzeuge, dass sie tatsächlich „die Scham“ sind. Ein wesentlicher Bestandteil des Feminismus aber ist, die gesellschaftliche Perspektive auf das tabuierte „Loch“, mit einem Etwas, der Vagina, zu füllen und Mädchen dadurch selbstbewusste Körperlichkeit zu geben. Es ist eben kein bedrohliches, blutendes Nichts, kein bezähnter Höllenschlund, der Penes verschlingt, sondern ein eigener Körperteil, dessen Anblick Amy trotz der erfahrenen Ausgrenzung letztlich das Selbstbewusstsein vermittelt, aus dem Anerkennungszyklus auszubrechen.
Die linkischen erotischen Gesten der Präbuertierenden sind auch Suche nach Macht, Identifikation mit mächtigen Müttern und Suche nach Ersatz. Mehr noch: Sie können als Satire, als Kritik des weiblichen Charakters in Kulturindustrie, als Kritik an der Reduktion auf Kauf und Repräsentation eingesetzt werden. Die Travestie der Elfjährigen verspottet schließlich männliches Begehren und weibliche Anpassung daran.

Es ist das Verdienst der Regisseurin Maïmouna Doucouré und ihren hervorragenden Schaupielerinnen, ein Gegenmodell zum aufgeregten und ängstlichen Umgang mit bedrohlich sexuellen Mädchen zu entwerfen: Das der Mutter, die das Kind in seinen präpubertären Rollenspielen letztlich verstehen lernt, akzeptiert und liebt.

Siehe auch:
https://nichtidentisches.de/bahamas_60/

Fußnote zu Thomas Maul

Die wesentlichen Argumente zu Mauls AFD-Like wurden hinreichend in diesem Link vorgelegt:

https://www.facebook.com/notes/stura-uni-leipzig/stellungnahme-zu-thomas-maul/1651586791557837/

 

Die Reaktion Mauls darauf ist ausschließlich Polemik. Unter anderem wehrt er die Akteure „Die Falken“ und „Naturfreunde“ als „langweilig“ und „öde“ ab.

 

 

Dem Vorwurf der Langeweile misstrauisch zu begegnen, sollte erste Übung in Kritischer Theorie sein, die den Antiintellektualismus in solchem Klamauk im Dienste der Abwehr von Kritik erkennt. Nicht zur Gleichsetzung, sondern zur freundlichen Ermahnung daran, in welche Gesellschaft sich solcher blökende, instrumentelle Spott über die Langeweile begibt, dieses Zitat:

„Derber Humor wurde zur scharfen Waffe der Nazis im Ringen mit der Republik. „Mit schallendem Gelächter haben wir ein ganzes System niedergespottet“, bilanzierte 1937 der junge Chefredakteur des SS-Zentralorgans „Das Schwarze Korps“, Gunter d’Alquen.
Goebbels vertrat die Devise: „Klamauk muss sein.“ Bei der Aufführung des pazifistischen Spielfilms „Im Westen nichts Neues“ am 5. Dezember 1930 im „Mozartsaal“ am Nollendorfplatz setzten SA-Leute im Publikum weiße Mäuse aus. Zuschauerinnen kreischten, bis die Vorführung unter dröhnendem Gelächter der SA-Männer abgebrochen wurde. Goebbels saß im Publikum.
Seine Strategie der Provokation begründete er damit, man könne den Nazis vieles vorwerfen, doch nicht, dass sie langweilig seien.“ http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelgeschichte/d-88536783.html

 

Auch wenn große Teile der Gegnerschaft zu Maul sich tatsächlich an seiner islamkritischen Position stören, reduzieren seine „solidarischen“ Verteidiger Kritik an ihm darauf. Gegnerschaft hat Maul aber diesmal nicht erfahren, weil er den Koran richtigerweise als Grundlage einer Kritik des Islam nahm, oder weil er einmal die unbedingte Solidarität mit Israel forderte. Gegnerschaft hat er von Gruppen und Personen erfahren, denen sowohl Islamkritik als auch Solidarität mit Israel gewiss keine Fremdworte sind, weshalb er eingeladen wurde. Die Solidarisierung mit der AFD hatte eine Vorgeschichte, die an anderer Stelle diskutiert wird. Wer Thomas Maul (oder auch Justus Wertmüller, Clemens Nachtmann, Magnus Klaue, Sören Pünjer, Felix Perrefort) 2018 noch einlädt und sich überrascht gibt über AFD-positive Äußerungen vor dem Vortrag, dem kann man zumindest Naivität oder Lesefaulheit vorwerfen. Nichts, was Maul zur AFD von sich gab, steht in Widerspruch zu den Ausgaben der Zeitschrift „Bahamas“ der letzten Jahre. Als spezifischen „Absturz“ – es war eher eine sanfte Landung nach langem Sinkflug am angekündigten Ziel – gab Thomas Maul allerdings dies von sich:

 

 

Was immer man von dem Begriff „barbarische Regression“ halten mag: hier spricht zunächst das Kapitalverhältnis aus Maul.  Die „Karriere“ von Individuen wird als höherer Wert gesetzt als das dazu „in Verhältnis“ niedriger erachtete Bedürfnis, über Übergriffe zu sprechen. Vermutlich war es eben die gleiche ökonomische Abwägung Roches, den Vorfall so lange nicht zur Anzeige zu bringen. Sie stufte es als unangenehme Bagatelle ein und sagt das auch so. Suspendiert wurde Gebhard Henke aber nicht aufgrund ihres Berichtes alleine, sondern weil sechs Frauen etwas Ähnliches berichteten. Nun kann man darin eine Verschwörung vermuten – dafür sollte man dann aber als zivilisierter Autor auch ein paar Argumente und Hinweise haben. Es gehört aber unabhängig davon einiges an Wahn dazu, anzunehmen, dass im Umgang mit Henke „barbarische Regression“ stattfände. Vielmehr zeugen die Reaktionen von relativ routinierten, kühlen institutionalisierten Prozessen, wie sie gerade Kennzeichen von demokratischen Institutionen sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Freundinnen und Freunde von Henke solidarisierten sich öffentlich mit ihm und gaben unter dem Vorzeichen eines letzten Zweifels ihre eigene Menschenkenntnis zur Person zu Protokoll – was allseits abgedruckt und erwähnt wurde. Der Vorsitzende war weit davon entfernt, sich nur dem Druck barbarischer Horden zu unterwerfen.

„WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn zeigte sich gegenüber dem Spiegel „überrascht“ von den Anschuldigungen. Er arbeite seit Jahren „sehr eng und vertrauensvoll“ mit Gebhard Henke zusammen. Eine Entlastung von den Vorwürfen schließe er nicht aus, allerdings halte er die Schilderungen der Frauen für „gravierend und glaubwürdig“.“ (Zeit)

 

Soviel zur Zivilisation und Verhältnismäßigkeit. Was aber zu Maul? Ist sein Verhalten „verhältnismäßig“? Er will Roche, weil sie ihr demokratisches Recht auf Redefreiheit genutzt hat, „auf der Anklagebank“ sehen. Nehmen wir an, Roche und die anderen fünf Frauen sind tatsächlich sexuell belästigt worden, wogegen Maul keine Indizien oder Argumente vorlegt. Wäre es „verhältnismäßig“, sie dafür vor Gericht zu bringen? Ist es zivilisatorisch, wenn Frauen, die über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung sprechen, dafür auf die „Anklagebank“ wandern, weil „Ruf und Karriere“ eines Mannes geschädigt wurden – mutmaßlich von diesem selbst?
Das ist nicht zivilisatorisch, sondern genau das, was Maul in einem seiner besseren Bücher als schariatisches Prinzip kritisiert: Solange der öffentliche Schein eines frommen Kollektivs gewahrt ist, sind die tatsächlichen Vergehen egal.

Zur Publikation seiner Phantasie von sechs Frauen auf der Anklagebank auf Facebook gehörte ein Gutteil Berechnung auf die „Regression“ seines Publikums. Hier geht es nicht mehr darum, in einem zweifelhaften Fall das Prinzip „in dubio pro reo“ zu verteidigen oder den Rückfall von linker Szenejustiz und ihrem mackerhaften, weil löchrigen Versprechens des Opferschutzes hinter bürgerliche, leider in Sachen Sexualstrafrecht ebenso „löchrige“, Justiz zu kritisieren. Hier geht es Maul darum, Menschen, die aller Wahrscheinlichkeit nach wirklich sexuelle Belästigung im wirklich klassischen Sinne (Anfummeln in öffentlichen Situationen unter Ausnutzung der eigenen Machtsituation) erfahren haben, virtuell „auf die Anklagebank“ zu bringen. Und das ist nicht die Verteidigung bürgerlichen Rechts, das ist Abstellen auf autoritäre Strafgelüste des Mobs. In der Terminologie Mauls: „barbarische Regression“.

Gesellschaft im Brutkasten

Die BILD hat ein Filmchen produziert, in dem Brutkästen die Gebärmutter ersetzen. Explizit ist von einer „Idee“ die Rede und auch wenn die Brutkasten für Frühchen immer ausgereifter werden, wird solche Technologie auf absehbare Zeit nicht existieren, weil die Nidation einfach ein sehr komplexer Prozess ist und spätere Umverpflanzungen des Embryos ein unzumutbares Risiko darstellen werden. Der Uterus ist unter optimalen Bedingungen eine recht ausgereifte Technologie. 

Auffälliger ist eher, dass auf einen Reiz hin alle sich befleißigt fühlen, etwas zu diskutieren, das nicht existiert. In die Gegenrichtung zu blicken ist bei solchen kurzlebigen vormanipulierten Massenobsessionen ratsam. Um was geht es wirklich? Werbung für das Immergleiche: Eine sterile bourgeoise Familie, die sich im Homeoffice nützlich macht und im Austausch für ein bisschen Wein und Naturkost die Doppelbelastung systemgerecht auf neue Standards bringt.
Das, was Eltern und insbesondere Frauen fertig macht, ist nicht die Schwangerschaft, sondern die Zeit danach und insbesondere die Lebensjahre 3-7, die aus hunderten täglichen Ermahnungen und Verboten bestehen, den tausenden von Entscheidungen, die damit einhergehen: vom Schulranzen über die Schuhmarke bis zum Hauskauf. Die Ortsbindung durch das Kind schränkt die Berufswahl empfindlich ein, in einem hochspezialisierten Arbeitsmarkt auf Mindestlohnjobs oder Schlimmeres. In den Akademien ist es für beide Geschlechter überhaupt nicht mehr ratsam, nach dem Studium und vor der Professur Kinder zu bekommen. Frauen beschäftigt in der Regel nicht die Frage, ob man die Schwangerschaft nicht an eine Maschine abtreten kann. Sondern dass sie nach der Schwangerschaft mit Maschinen und dynamisierten kinderlosen hyperflexiblen und doch hochspezialisierten „Hochleistungsmenschen“ in Konkurrenz treten oder zumindest einen solchen aufziehen sollen. Ob Problem oder Utopie – der Brutkasten ist ein Ablenkungsmanöver, das Versprechen, gesellschaftliche Regression mit technologischem Fortschritt zu begleiten.

Zum Engagement der Linkspartei gegen Filme in denen Deutsche sterben

Eine „seltene Dummheit und Geschmacklosigkeit“ nannte der Bundessprecher der Linkspartei, Hendrik Thalheim, einen Facebook-Eintrag von Sarah Rambatz. Geschmacklosigkeit, das ist eines der verräterischen, euphemistischen Anstandswörter, an denen man eine bigotte Position erkennt.

Sarah Rambatz (24) aus Hamburg hätte es riechen müssen. Man kann in Deutschland von durchrasster Gesellschaft sprechen, aber: don’t mention the war. Sie wollte von ihren Twitterfreundinnen und -freunden „antideutsche Filme“, in denen „Deutsche sterben“. Unter Filmwissenschaffenden, die weitaus rüderere Genrebildungen gewohnt sind, würde nun einfach gesammelt: Inglorious Bastards, Inglorious BastErds, Iron Sky, Defiance, Raiders of the lost Ark, Captain America, The Rocketeer, X-Men First Class, Enemy at the Gates, etc. pp.
Filmwissenschaffende würden auch darauf verweisen, dass die korrekte Genrebezeichnung eher „Nazi-punching“ lautet, als „Filme, in denen Deutsche sterben“. Aber im Prinzip läuft es auf dasselbe hinaus.

Was überparteilich abgewehrt wird, ist die alte Kollektivschuld. Von „Deutschen“ zu sprechen, und damit Nazis zu meinen, ist die eigentliche Tabuverletzung. Die spezifische Abwehr der Linken ist hingegen schlichtweg Projektion. Erinnern wir uns: Oskar Lafontaine hatte vor „Fremdarbeitern“gewarnt – ohne auf Kandidaturen verzichten zu müssen. Das Wort „Fremdarbeiter“ wurde von historischen Nazis verwendet, um Zwangsarbeit zu verharmlosen. Nun wird es von Oskar Lafontaine in der Gesinnung der aktuellen Nazis verwendet, um weiße Arbeiter aufzuputschen gegen ihre Konkurrenten, die ihnen die Arbeitsplätze „wegnehmen„. Seine Genossin, Sahra Wagenknecht, schlägt in die gleiche Bresche: „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt.“ Als wäre das Asylrecht ein „Gastrecht“. Inge Höger und Annette Groth ließen sich mit einem Schal fotografieren, auf dem Israel in ein „Palestine from the River to the Sea“ verwandelt wurde. Christine Buchholz unterstützte die Teilnahme von Linken an der Gaza-Flotilla. Und Wolfgang Gehrke lieferte in Buchform die zusammenhangslose Leugnung dieses Antisemitismus in der Linken ab.

Das „kalte Kotzen“ will der Spitzenkandidat Fabio de Masi aber erst bei Rambatz‘ Tweet bekommen haben. Eine Karte, deren Aussage die Forderung nach 6,5 Millionen toten israelischen Juden ist, eine Bootsfahrt mit den Leuten, die das in terroristische Praxis umsetzen, Agitation mit Nazipropaganda an der Parteispitze, das alles führt nicht zu Aufständen der Basis – aber eine aussichtslose Kandidatin darf ihre wie auch immer zu analysierenden Rachephantasien gegen Deutsche nicht tweeten. Das ist die Realität der Linkspartei und der einzige Vorwurf, der Rambatz zu machen ist: Dass sie dachte, man könne in einer Linkspartei mitmachen, die es auch nach Jahrzehnten nicht geschafft hat, rudimentäre zivilisatorische Schranken wenigstens für die Parteispitzen aufzurichten. Die sexuelle Gewalt, die Rambatz nun von rechten Trolls erfährt, ist Resultat der breiteren Vergesellschaftlichung solcher Schrankenlosigkeit ebenso wie der Solidaritätsentzug, den sie von der Linkspartei erfahren hat.

Mit dem Koran gegen Kopftuch und Aufklärung

„Vom Kopftuch steht nichts im Koran“ – dieses Argument scheint aktuell wieder das stärkste gegen Niqab und Hijab zu sein. Aus den drei schwachen Surenversen zum Kopftuch lässt sich ein Kopftuchgebot ableiten, aus einem anderen die Purdah, der Hausarrest für Frauen. Bei genauerer Prüfung deutet nichts auf einen Niqab hin und die Purdah war vermutlich nur zeitweise für die recht offenherzigen und kämpferischen Frauen des Propheten gedacht – vor der islamischen Machtergreifung machten sich prüdere, monogame Zeitgenossen über ihre sexuelle Aktivität symbolisierende Mehrzahl lustig, sobald sie sich in der Öffentlichkeit zeigten. Es sind aber bei weitem nicht nur Salafisten, die diese Passagen als Kopftuchzwang auslegen. Selbst die häufig als liberal missverstandene Ahmadiyya besteht auf dem Kopftuchgebot.

Wenn im Westen heute primär mit dem Koran gegen das Kopftuch argumentiert wird, erklärt man die Philosophie der Aufklärung für nicht wirksam. Der gewitzte Verweis auf den Koran ist nicht nur ein Zeichen der eigenen intellektuellen Schwäche und Ratlosigkeit. Er will primär ein idealisiertes Selbstbild des Islams aufrechterhalten und verhält dann im Stande der eigenen Unbildung Muslime zur Texttreue und Koranexegese. Der Koran mag in Sachen Kopftuch tolerant sein, in seiner Sprache trotz einiger misogyner Gebote geradezu geschlechtergerecht, die Frauen Mohammeds waren selbstbewusste Kriegerinnen – all das ist wahr. Dann muss man aber auch texttreu bleiben und erwähnen, dass der Koran unmissverständlich zum Mord an Ungläubigen aufruft, dass er Freundschaft und Heirat mit Ungläubigen ausschließt, dass er 80-100 Peitschenhiebe für Ehebruch (beide Geschlechter) und die Amputation der Hand für Diebe vorsieht. Wer primär mit dem Koran gegen den Kopftuchzwang argumentiert, verteidigt Körperstrafen. Gegen den Kopftuchzwang spricht nicht, dass es keine koranische Bestimmung dazu gibt, sondern die Philosophie der Aufklärung und Jahrhunderte der Kämpfe von Frauen gegen ihre Unterdrückung.

Schwarze Ernte

Die Waffenlieferungen an die Peshmerga – 30 MILAN, 16000 Sturmgewehre und diverses Gerät – erfolgen gegen den Willen der Mehrheit der deutschen Gesellschaft. Dass sie nach endlosen Wochen endlich verladen werden, dürfte einigen Verfolgten im Irak das Leben retten – die Umstände bleiben katastrophal.

Wird nicht die zutiefst peinliche Beteiligung an der Bewaffnung der IS stets auf Neue ins Gedächtnis genommen, der systematische Verrat des gesamten Westens an der syrischen Revolution erinnert, bleiben auch die Waffenlieferungen und die euphorisch kommentierten Luftschläge nur eine neue Etappe in der wahnsinnigen suizidalen und genozidalen Nicht-Strategie des Westens gegen den Islamismus.

Man hätte denken können, dass im Zustand der Totalüberwachung jeglicher Telekommunikation und Öffentlichkeit im Westen einige Informationen über konkrete Pläne und Strategien dieser islamistischen Armee gesammelt und in Aktivität umgesetzt worden wären – stattdessen gab sich die US-Regierung  ebenso wie die irakische Armee „überrascht“ von der Offensive des IS, die nunmehr auch schon Monate andauert. Die nicht aktiveren großen Medien, von deutschen Geheimdiensten und Regierungsorganen zu schweigen, schlossen sich dieser „Überraschung“ dankbar an. An der fehlenden Plausibilität solcher Überraschungei-Mentalität entzündeten sich Wahnvorstellungen bei zahllosen Verschwörungstheoretikern, die nicht glauben können, dass auf der höchsten politischen Ebene derartig barbarische Dummheit vorherrschen kann.

Über die letzten drei Jahre hinweg breitete sich kontinuierlich ein islamistisches Kalifat in Nordsyrien aus, das lediglich noch nicht als das Kalifat ausgerufen war, das es nun ist. Viel älter ist Al-Qaida im Irak, aus dem IS wesentlich hervorging und deren ganz ähnlich verlaufender Versuch der Machtergreifung im Irak halbwegs erfolgreich von US-Truppen und ihren sunnitischen Bündnispartnern abgewehrt wurde. Seit drei Jahren beobachteten Aktivisten – kurdische, syrische, westliche – die schrittweise Ausbreitung und Verhärtung islamistischer Staatenbildung, die schon immer grenzüberschreitend war und mit der Eroberung Raqqas durch die Al-Nusra-Front im März 2013 eine Hauptstadt bekam.

Die Probleme von möglichen Interventionen in Syrien waren bekannt, aber nie unlösbar. Primat für die westliche Politik hatte das politische Gesicht, das nach dem C-Waffen-Massaker an syrischen Zivilisten durch die Neutralisierung eines Gutteils der Chemiewaffenbestände Assads gewahrt werden wollte.

Putin hat den Westen in gewisser Weise vor größeren Peinlichkeiten bewahrt, die durch eine halbgare („incredibly small and limited strikes„) Intervention, wie sie Obama ankündigte, entstanden wären. Putin wurde aber durch seinen diplomatischen Erfolg – die mittelfristige Sicherung der Macht seines Waffenbruders und Geschäftspartners Assad – quasi mit Gewalt darauf gestoßen, dass der Westen nach Jahren des „War on Terror“ keinerlei strategisches Konzept hat und noch weniger Willen, tatsächlich diese Region oder irgendeine Region aktiv zu gestalten. Die Ideologie des Luftkrieges wurde durch die kurzfristigen Erfolge der Einsätze in Libyen und Mali noch einmal verstärkt. So war es fast im Sinne des Westens, dass Putin auf Assad beharrte – ohne Bodentruppen des Westens, ohne dezidiertes Konfliktmanagement hatte eine Strafaktion kaum Aussicht auf stabilisierende Effekte. Und es war ebenso logisch, dass Putin die beispiellose Chance nutzte und sein Areal auf der Krim und nun in der Ostukraine mit derselben Strategie erweiterte, die seine Medien in Syrien testeten: Die Propaganda der Terrorismusbekämpfung, des Antifaschismus, der Stabilität und die Verschwörungstheorie, dass Islamisten die Gasangriffe gestartet hätten. Nachdem diese Behauptung ernsthaft auf fruchtbaren Boden fiel, konnte er sich gewiss sein, mit jeder noch so absurden Manipulation Erfolg zu haben – so auch mit dem „Referendum“ in der Krim oder mit dem „antifaschistischen“ Kampf der Separatisten im Donbass. Die Ukraine-Krise ist ein direktes Resultat der Absenz westlicher Politik in Syrien und Irak.

Hinzu kam, dass die mit der vergleichsweise banalen Ukraine-Krise völlig überforderte westliche Diplomatie und Medienlandschaft über Monate hinweg Syrien dankbar vergaß – es war, als hätte es eine Medienzensur zu Syrien gegeben. Jeder Schritt russischer Truppen auf der Krim und im Donbass stärkte Assad, der im Schatten dieser Ereignisse ungestört mit Chlorgas und Barrel-Bombs vorgehen konnte. Die syrischen Flüchtlinge wurden im deutschen Fernsehen wie Opfer einer Naturkatastrophe präsentiert.

Eben diese Ideologie der Naturkatastrophe wird mitgeschleppt mit den neueren Statements zu den Waffenlieferungen. Ausgeblendet wird die aktive Partizipation durch Inaktivität an der genozidalen Situation in Syrien und Irak. Allein aus den USA wurden seit 2005 modernste Waffen für 8 Mrd. US-Dollar in den Irak gepumpt, während gleichzeitig US-Truppen abgezogen wurden, um der Ideologie vom angeblich „gescheiterten Irakkrieg“ des George W. Bush gerecht zu werden und vor allem, um dieses enervierend große Leck im amerikanischen Haushalt zu stopfen.

Unter den an den Irak gelieferten Waffen waren zum Beispiel M198 Haubitzen, wie sie Kämpfer des Islamischen Staates in Irak und Syrien eroberten. Diese „erreichen eine Geschwindigkeit von bis zu 6000 Metern pro Sekunde und töten ungeschützte Menschen innerhalb eines Radius von 50 Metern mit höchster Wahrscheinlichkeit und verursachen in bis zu hundert Metern Entfernung Verletzungen.“ (Quelle: Wikipedia)

Die mehreren tausend erbeuteten HMMWV mögen zwar reparaturanfällig sein, sie sind aber immer noch in Verwendung in der US-Armee und der militärische Standard. Auch wenn der Ausbau eines Motors zur Reparatur wohl mehrere Tage dauert, reichen einige Dutzend von ihnen, um hunderte von Kämpfern rasch und relativ sicher durch feindliche Linien, zumal durch schlecht bewaffnete, zu bringen. Hinzu kommen die gewaltigen erbeuteten Bargeldvorräte und geplünderte Wertgegenstände, zu denen auch antike Kunstwerke von beispiellosem Wert gehören dürften, sofern IS sie nicht schon zerstört hat.

Die Hoffnungen der letzten Demokraten im Westen sind wieder einmal naiv und auf Stellvertreter ausgerichtet: weibliche kurdische Kämpfer würden IS in die Flucht schlagen, weil deren Kämpfer nicht von einer Frau getötet werden wollten. Das dürfte eine Facebook-Ente sein. IS hat selbst Frauenbatallione und lehrt Frauen in Rape Camps das Fürchten. Die Präsenz von Kämpferinnen in der YPG war IS bekannt, die dennoch den Angriff auf die PKK-Hochburg Kobane durchführte.

Dass die Peshmerga, Kampfmacht des bislang friedlichsten Teils des Irak, eher schlecht auf die Bedrohung durch IS vorbereitet waren, wurde durch ihre Geländeverluste und die Intervention syrisch-kurdischer YPG-Truppen gegen IS-Elitegarden am Mosul-Damm in Irak sichtbar. Vormals galt dieser Teil Kurdistans als Bastion, die Peshmerga als kampferprobt gegen Saddam Hussein. Die syrisch-kurdische YPG hat ihr diesen Rang abgelaufen.

Die YPG hingegen ist und bleibt trotz aller Erfolge in der Defensive und hat es noch längst nicht geschafft, alle kurdischen Dörfer und Städte in Nordsyrien von IS zu befreien. Die PKK-nahe YPG steht für ihre totalitäre Politik in der Kritik, was Hoffnungen auf einen kurdischen Staat als „zweites Israel“ trübt – das wahrscheinlichere Szenario ist ein innerkurdischer Bürgerkrieg. Unheilige Allianzen, beispielsweise der Peshmerga mit Iran, sind Vorzeichen für eine weitere Expansion eher als für eine baldige Eindämmung des Krieges. Nicht nur für einige Berliner Antifaschisten wurde das allerdings prompt wieder zur Ausrede gemacht, sich äquidistant zu verhalten und vom Sack, in dem es wohl keinen falschen treffe, zu klagen – aus der obligaten Mahnung gegen prokurdische Euphorie wurde eine Ausrede für das eigene Wohlbefinden beim prolongierten Zusehen.

Die just beschlossenen deutschen Waffenlieferungen sind dagegen ein gutes Zeichen, man würde den Kurden zum irgendwann versprochenen fünf Unimog-Dingos auch Schützenpanzer vom Typ Marder 2 wünschen, um die selbstgebastelten Panzer zu ersetzen. Auch wenn Gabriel nun ächzt, ausgerechnet die Entscheidung, gegen einen Genozid Waffen zu liefern, sei die schwerste in seinem Leben gewesen, hat auf einer politischen Ebene der Pazifismus nicht mehr das alleinige Wort, was Christian Geyer in der FAZ unter dem etwas verfrühten Titel „Pazifismus – ein Abgesang“ verzeichnet. Die Alternative zur dringend notwendigen Bewaffnung der Kurden wurde in Deutschland gar nicht erst verhandelt – ein Bundeswehreinsatz zur Verhinderung genozidaler Akte in Irak und Syrien. Dasselbe gilt für die USA, deren „no boots on the ground“-Ideologem nach all den Opfern und im Angesicht der ökonomischen Kosten verständlich ist, aber noch lange nicht legitim. Mit ein paar Luftschlägen gegen die eigenen Waffensysteme ist wenig erreicht, der Straßenkampf in bewohntem Gebiet ist aus der Luft nicht zu gewinnen. In Deutschland schwebt über den Verlautbarungen Merkels über den Völkermord an den Yeziden und Christen im Irak auch der Hautgout der religiösen Präferenz – als Muslime von IS und Assad in genozidalen Akten umgebracht wurden, als die Kurden in Kobane von vollständiger Auslöschung bedroht waren, als kurdische Kinder in Syrien entführt und kurdische Kämpfer massenhaft geköpft und gekreuzigt wurden, hörte man nichts ähnlich drastisches. An deutschen Kirchen prangen demnach nur Solidaritätsbotschaften „mit verfolgten Christen in Syrien und Irak“.

Aus den jüngeren Genoziden zu lernen hieße zuallererst eines: Dass internationale Einsätze zu spät kommen und diese Konflikte nicht dauerhaft befrieden konnten. Soviel ist wahr am Argument gegen militärische Lösungen. Es bedarf auch eines Konzeptes und des äußersten Willens, diese Regionen dauerhaft zu gestalten, zu befrieden und zu befreien. Das ist eine Binsenweisheit aus der Counterinsurgency in Südamerika, Afrika und Asien. Solche groß angelegten Konzepte aber laufen auf die langwierige Kolonisierung auf vielen Ebenen hinaus und davor schreckt der Westen zurück. Er hängt gleichsam noch marxistischen Krisentheorien nach, dass durch Sanktionen Krisen erzeugt werden könnten, die zum Sturz der Unterdrücker führen könnten. Damit scheiterte der Westen in Irak, in Iran, in Nordkorea, in Ungarn und es wird dennoch gegen Russland wieder auf Sanktionen gesetzt.

Obamas Klage, man könne ja nicht „whack a mole“ mit Islamisten spielen, die sich erdreisten, nicht nur in Mali, sondern eben global zu agieren, blieb ohne Folgen für eine echte, ausgereiftere Strategie. Das Problem ist altbekannt aus dem Kalten Krieg. Wo der Westen aus Kostengründen oder aus diplomatischen Problemen heraus nicht in der Lage war, die Konfrontation mit Guerillas direkt zu suchen, hatte er das Instrument der Counterinsurgency genutzt – meist zum Nachteil der Gesellschaften, die in Südamerika und Asien prowestlichen faschistischen Todesschwadronen ausgesetzt waren und durch diese dann genozidale Gewalt erlitten, nicht selten schlimmere als sie die marxistischen und maoistischen Guerillas androhten. Das bedeutet aber nicht, dass das grundlegende Konzept der Counterinsurgency verloren wäre.

Heute braucht der kriegsmüde Westen dringend eine kostengünstige und engagierte Counterguerilla gegen die gar nicht kriegsmüden Islamisten unter ihrem aktuellen Franchise-Label „IS“. Kämpfer der zwar widersprüchlichen, aber immer noch existierenden FSA wie auch die YPG hätten alle Chancen, IS und Assad gleichermaßen den Garaus zu machen, wenn man ihr Luftraumdefizit mit einer Flugverbotszone austarierte. Davon aber ist seit einem Jahr nicht mehr die Rede gewesen. Die zögerlichen und sehr späten Waffenlieferungen der USA an einzelnde FSA-Gruppen sind indes noch kein eindeutiges Bekenntnis zu einer konsequenten Parteinahme.

Seit drei Jahren wurden von den meisten Staaten größere Waffenlieferungen noch an die diszipliniertesten kleineren Rebellenfraktionen in Syrien mit ihren bisweilen nur wenige hundert bis tausend Kämpfern ausgeschlossen mit dem Verweis darauf, dass die Waffen in falsche Hände fallen könnten, dass die FSA kein effektiver und berechenbarer Partner sei. Wie ernst es mit diesem Argument war, zeigte IS überdeutlich. Es war ein Vorwand.

Da hat man noch die vielversprechendsten Rebellenfraktionen, und die gab und gibt es, auflaufen lassen, zuletzt mit dem Argument, dass sie nicht groß genug seien und beklagt nun, da viele von ihnen tot, geflohen oder in Foltergefängnissen sind, über mangelnde Bündnispartner und Zwangslagen. Die hohen Standards, die an syrische Rebellenfraktionen angelegt wurden und werden, gelten aber spätestens dann nicht mehr, wenn es um die Kooperation mit Iran geht, um IS-Bastionen auszuheben oder um irakische Politik sozialverträglicher zu gestalten. In Iran läuft, unbefleckt von Völkermordvorwürfen durch Merkel, die ethnische Säuberungskampagne gegen die Bahai, gegen Homosexuelle und Opposition weiter, die meisten Gesetze, die IS in seinem Kalifat durchsetzt, sind auch in Iran in Kraft. In Nordnigeria ruft derweil die der IS vergleichbare Terrorgruppe Boko Haram ihr Kalifat aus, in Kenia bleiben die Strände leer, nachdem somalische Al-Shabab-Kämpfer  Touristen erschossen haben.

Hinter den Kulissen wird sich zumindest eine Regionalmacht langfristig in Irak und Syrien engagieren müssen: Israel. Das Programm der IS ist nicht die Emanzipation der Sunniten in Irak oder der Sturz Assads. Das Kalifat ist Mittel zum Zweck aller islamistischer Bestrebungen: Die Vernichtung des einzigen demokratischen und überdies jüdischen Staates im traditionellen islamischen Herrschaftsbereich.

„Rather, its [IS] actions  speak louder than its words and it is only a matter of time and patience before it  reaches  Palestine  to fight the barbaric jews and kill those  of  them  hiding  behind the gharqad trees – the trees of the jews.“ (Werbebroschüre des IS)

Nur hat Israel mit seiner winzigen Armee und seinen begrenzten ökonomischen Ressourcen wesentlich weniger Mittel als die NATO-Staaten. Sich von hier spontanes Eingreifen in den erforderlichen größeren Maßstäben zu erhoffen, ist müßig. Auf einen politischen Kurswechsel mit den nächsten Wahlen in den USA bestehen ebensowenig Hoffnungen. Die Tea-Party hat die Republikaner in der Mangel, die Kriegsmüdigkeit der Demokraten steigt mit der Unabhängigkeit vom arabischen Öl. Es bleibt vorerst den Kurden überlassen, den Westen gegen seine ärgsten Feinde zu verteidigen. Indes: es gibt nur wenig Hoffnung darauf, dass die Kurden die IS-Hochburgen in Syrien befreien können, nur um sich dann auch noch Assad oder Al-Nusra oder der Islamic Front entgegenzustellen. Man braucht eine internationale, hochmobile, militärisch, diplomatisch und intellektuell gut ausgerüstete Counterinsurgency gegen jegliche islamistischen Gruppierungen, die sich nicht auf das Niveau der CIA und faschisierter Folterknechte herablässt. Und es bedarf eines größeren Demokratisierungsplanes, der den Westen aus seiner elenden Langsamkeit und Defensive herausdenkt. In Wahrheit hat sich der Westen vom antiaufklärerischen britischen Kolonial-Ideologem der „indirect rule“ nie entfernt. Es ist kostengünstiger, Chiefs und Machthaber einzusetzen, die effektiv unter Wahrung der Traditionen regieren. Man will eigentlich mit den komplexen Verhältnissen auf lokaler Ebene nichts zu tun haben und erst recht nicht mit rückständigen Verhältnissen, die man mühevoll und unter Einsatz von differenzierter Kritik ändern müsste, Kritik, die am Ende im Westen selbst treffen könnte, etwa den säkularen Grundwerten selbst gerecht zu werden.

Es ist womöglich das Fehlen von bürgerlicher Ideologie, das jede Initiative gegen den Islamismus hemmt. Im Bewusstsein der Uneinlösbarkeit des eigenen Glücksversprechens, dass man den zivilisatorisch Befreite stets nur „das letzte Gute nehme und das Bessere nicht gebe“ (Adorno) florieren Relativismus, Besitzstandswahrung, Nihilismus und Verdrängung. Das fehlende Maß wird allenfalls partiell und mühsam in extremen Notständen, wie eben der akuten genozidalen Situation restauriert. Dann vermag selbst Gabriel, wenngleich mit vielen Bauchschmerzen noch zu differenzieren zwischen Peshmerga und Genozideuren unter schwarzer Flagge. Zwischen Assad und Hazzm-Movement oder YPG allerdings wird dann schon wieder nicht mehr getrennt. Da winkt man lieber mit dem Sack, in dem es keinen falschen trifft.

„Ausgerechnet Sex“ – Deutsche Ideologie zum Anfassen

Ein deutscher Film, so lautet das Gesetz, bedarf entweder eines Mörders oder eines Eigenheims, das gegen ökonomische Kalamitäten verteidigt werden muss. In „Ausgerechnet Sex“ darf das Häuschen dann auch mal eine millionenschwere Villa in Münchens Speckgürtel sein. Die gesetzlich vorgeschriebenen zwei Kinder, natürlich gemischgeschlechtlich und mindestens ansehnlich, verlieren tragischerweise den lieben Vater.

Die Mutter sieht sich vor fast unüberwindliche Schwierigkeiten gestellt, um den Kindern die Privatschule und das Designertraum-Schlösschen zu erhalten: Soll sie ein paar edle Vasen, Gemälde und die Dunstabzugshaube verkaufen, um die irrsinnigen Schulden von 84,000 Euro zu bezahlen? Oder überwindet sie ihre Prüderie und führt die Pornofirma des Gatten weiter, der seinen sauren Broterwerb vor ihr verheimlichte? Müssen gar die Kinder ins Elend der öffentlichen bayrischen Schulen abrutschen? Die logischste Alternative, das fürstliche Anwesen zu verkaufen und sich auf einer Karibikinsel zur Ruhe zu setzen, steht natürlich nicht zur Debatte – die arme reiche Frau hat das sich selbst zeugende Kapital zu neuem Elan zu motivieren und muss dafür ihre Verklemmung überwinden.

Die Verklemmung besteht nur oberflächlich in antiquierten Vorstellungen von einer Einheit von Liebe und Sex, die sie daran hindern, entspannt bei Pornoproduktionen zuzusehen. Für den Produktionsprozess ist sie so überflüssig wie sonst nur der europäische Adel. Als Legitimationsplattform für die Herrschaft dient die „Familie“, zu der die Belegschaft mutiert. „In meiner Firma wird niemand ausgebeutet“ protzt die Chefin mit der Luxus-Villa. Sogar die Oma putzt in dem „Familienbetrieb“ und ist ganz versöhnt mit dem Klassenunterschied innerhalb der Familie.

Die Erbin will sich des Produktionsprozesses inklusive Schwiegermutter bemächtigen und träumt von ökologisch korrekten Pornos mit künstlerisch-amourösem Wert, sprich: Mehrwert. Der Geschmack des knallharten Marktes droht sich dann auch nach Fehlschlägen durchzusetzen, würde die Unternehmerin nicht doch ihre einzige Leistung liefern: eine Marktlücke entdecken. Die besteht in den sexuellen Wünschen von anderen, noch reicheren Frauen. Deren angehäuftes Kapital kann gar nicht mehr selbsttätig vershoppt werden, so dass ein eigener Privatporno mit dem galanten „Roy das Rohr“ interessantes Ersatzbedürfnis wird. Die geniale Managerin „erfindet“ den „Freundschaftspreis“ von 1500 Euro für ein komplettes Filmchen. Was da nach den Produktionskosten noch für die Darsteller bleibt, spottet wahrscheinlich noch dem durchschnittlichen Prostituiertenlohn. Immerhin: Bei der ersten Konsumentin ist „alles noch ganz knackig“.

Unter dem sozialen Druck von Moralaposteln (und vor allem aus ästhetischen Skrupeln) wird so aus der Pornofirma, in der vormals Befreundete und verheiratete Schönheiten vor der Kamera Sex hatten, ein Edelbordell, in dem die Darsteller fortan Privatpornos für reiche Scheidungsanwältinnen drehen müssen. Das wird abgefeiert als Rettung der Firma, als moralisch integrer Fortschritt, als Zugeständnis an die Puritaner an der Privatschule und als privatfamiliäre Versöhnung mit der eventuell doch zu freizügigen, renitenten Tochter und dem überkeuschen Sohn.

Natürlich handelt die Leiterin im Interesse der Angestellten. Geldprobleme hat natürlich nicht nur die Unternehmerin, aber sie hat die drastischsten. Das ist Krisenbewältigung a lá Deutschland, mit ein paar halbgezeigten Brüsten und Lederröckchen verziert. Da darf zwangsliberal dann auch der seit neuestem für den deutschen Film obligatorische Transvestit auftreten – wie immer nur, wenn er körperlich schwach ist und beim Joggen ohnmächtig wird. Natürlich gibt es auch einen fahrradbehelmten Spießer, der Pornos verabscheut und seinen Kredit zurückfordert. Und es gibt einen schmierigen Jung-Regisseur, der einem Schneewittchen von 17-Jähriger nachsteigt und die Filmproduzentin ganz abscheulich erpresst – was die darüber furchtbar Empörte natürlich nicht davon abhält, ihre KundInnen gleich Dutzendweise mit den produzierten Privatpornos zu erpressen. Das alles ist so flach wie ein Papier, aber raffinierte Ideologie.

„Ausgerechnet Sex“ ist der nicht mehr ganz neue Versuch, das Adelsdrama zu renovieren. Das hineingeschleuste Marktprojekt ist gar nicht unzeitgemäß: Neben der ganzen deutschen Ideologie wird die reiche Frau als Freierin hoffähig gemacht. Die traditionelle ökonomische Rolle des Mannes, der sein überschüssiges Kapital im Puff ausgeben darf und soll, wird von zwei Seiten in die Zange genommen:

Zuerst wird sichergestellt, dass hier wirklich alles freiwillig und nicht etwa aufgrund ökonomischer Zwänge geschieht, die für weibliche Prostitution wie für jede Lohnarbeit typisch sind. Alle Pornodarsteller und –darstellerinnen arbeiten natürlich aus purem Spaß an der Freude, Arbeit ist Lust oder Show.

Nachdem die neobourgeoisen Frauen ihre vom 50-er-Jahre-Patriarchat angefressene ökonomische Position endlich revolutioniert haben, wird ihnen angeraten, ihre Sexualität zu liberalisieren, nach dem Modell der Männer zu verfahren, und ebenfalls auf die sexuellen Unkosten zu kommen, die der Arbeitsprozess und der Rückstand echter gesellschaftlicher Liberalität mit sich bringt – das alles natürlich ohne den Ludergeruch eines gewöhnlichen Bordells, hier ist pornographischer Sex käuflich, privat und politisch korrekt. Unmoralisch daran ist die perfide Leugnung von Ausbeutung in der Produktion, die hier noch larmoyant zum Leid und Wehe der Firmeneignerin umgelogen wird, mit der dann alle Beteiligten noch sich identifizieren dürfen.