Seit ich ihn gesehn… Iggy Pop und die Emanzipation

Die Inszenierung präsentiert Iggy Pop in einem einteiligen, edlen Kleid. Seine gekonnten Posen ahmen den dynamischen Tanz einer Frau nach, die sich aus irgendeinem, von der Archetypen-Psychologie der Werbeagenturen erdachten Grund stets in Bewegung befinden muss. Das Zitat: „I’m not ashamed to dress ‚like a woman‘ because I don’t think it’s shameful to be a woman.“

Adorno hat seinen tiefen Skeptizismus gegenüber der Verherrlichung des weiblichen Charakters wie kaum ein anderes Thema für die „Minima Moralia“ reserviert. Sein emanzipatorischer, Nietzsche aufhebender Befund gipfelt in dem Satz: ‎“Die Glorifizierung des weiblichen Charakters schließt die Demütigung aller ein, die ihn tragen.“ Exaltierte Männlichkeit, das „tough baby„-Syndrom, ist ihm so suspekt wie die damit kommunizierende Weiblichkeit.

Iggy Pop subvertiert dieses dialektische Verhältnis nicht, er invertiert. Im Westen ist die Abkehr von der klassischen Misogynie heute billig zu haben und auf sie bezogenes avantgardistisches Brimborium lässt wirkt verspätet, naiv und altbacken. Die normative Botschaft des Pop-Künstlers liegt eher in der Propaganda für die Kleidung der Frau, die artifizielle, überelastische Haltung ihres Körpers und letztlich für ihre Unterwerfung. Die kunstfasergehärtete Seidenrüstung wird mit der Existenz, der biologischen Geschlechtlichkeit assoziiert als wäre sie von Natur entstanden.

Die Angleichung der Männer an die Frauenbilder, die sie selbst sich einst in Angst vor der Aggression der Frau zurichteten, zeugt davon, was sie mit sich selbst vorhaben. Es ist zum geringeren Teil Beweis für die Befreiung von Homophobie, der Pazifismus befreit auch nicht von Gewalt. Vielmehr spricht hier die fortschreitende, auch die Männer erfassende Unterwerfung. Die ist nicht mehr durch Vaterfiguren verkörpert, denen man in Kraft und Intellekt mindestens gleich werden kann und muss, sondern durch ein übermächtiges, anonymes, namenloses Prinzip, vor dem nur Inversion und Vermeidung ratsam sind. Ausbrüche gewährt dann allein die fortschreitende Apotheose des aufgeblähten Heros, der überkontrollierte, unverwundbaren Mann, wie ihn auch der von Drogen und Exzessen gestählte Iggy Pop, vor allem aber James Bond und der Dark Knight (1, 2) repräsentieren – anders als die Proletarier Jackie Chan oder John Rambo riskieren sie nichts, reagieren nicht, haben nicht nur bloß unfassbares Glück: Die sterilisierten bourgeoisen Action-Helden sind keine Menschen sondern Götter, die dumm ihrem Schicksal in einer durchgeplanten Folge von wahnsinnigen, unmöglichen Aktionen folgen und dabei gewiss keine Geldsorgen haben. Das Gegengift zum Heros, die zu solidarischen Bindungen auch jenseits des sexuellen Interesses fähige Assoziation von verwundbaren Individuen bleibt mit gutem Grund selten in der Filmlandschaft – am Ende läuft heute noch fast jeder erfolgreiche Film auf den eisenharten Kerl heraus, der seine Kleinfamilie rettet während tausende andere sterben. Wenn es einen Fortschritt in der Bildersprache Hollywoods gegeben hat, dann nicht den Umschlag dieser Figuren in den verweiblichten Mann, der noch immer auf tolerierte homosexuelle oder pubertäre Rollen sich zurückziehen muss und in der Konkurrenz um Frauen allenfalls gegen den prügelnden Blödian Erfolg hat. Die Emanzipation der Frau muss die Emanzipation der Frauen sein. Die Gönnerei jener Männer, die aus der einst zwanghaften Travestie einen gesellschaftlich honorierten Faschingsball machen, verspricht ihnen keine Freiheiten sondern schreibt ihren Status fest. Die Aktivität der Frauen als körperlicher und intellektueller Widerstand gegen die gesellschaftlichen Zumutungen ist allemal wünschenswerter als der Regress der Männer auf die anal strukturierte Manipulation, die passive Aggressivität, die der euphemistisch zur Schönheit geschundenen körperlichen Schwäche zum Habitus wird.

Nicht zufällig ist das konforme Accessoire Iggy Pops die Handtasche, jenes Lacan’sche Schächtelchen, in dem männlicherseits wunder was Geheimnisse und Waffen vermutet werden, in dem sich aber zumeist nichts befindet, was wert gewesen wäre, es vom Körper abzuspalten und dann dennoch bei sich zu tragen. In dieser Handtasche wie auch im Ausgezehrten der doch sehr vogue gewordenen hohlwangigen anorektischen Männermodels, artikulieren sich sado-masochistische Wartestände auf Ruinen einstiger Wünsche. Androgynität ist erlaubt, solange sie dieses Zeichen der Schwäche und Entsagung von Lust, die Magerkeit, trägt. Ungleich verpöhnter als die modischen metrosexuellen Männer sind Frauen, die sich Bodybuilding jenseits von sanktionierten Ästhetisierungen erlauben. Androgynität, die als vereinzelte in das Zelebrieren von Schwäche mündet, das durch Beherrschbarkeit des eigenen schwächlichen Beutekörpers lockt, ist keine Fortschrittliche. Unter der gesellschaftlichen Kastrationsdrohung ist sie Regression hinter das ödipale Stadium. Vom Widerstand abgelöste Geschlechtlichkeit wirbt nur Ästhetisierungen ein. Wünschenswert wäre ein Zustand, der der Stärke nicht mehr bedürfte und körperliche wie intellektuelle Schwäche erlaubte. In der gewaltförmigen bürgerlichen Gesellschaft bedeutet dieselbe Projektion eine Idealisierung, ein Ausweichen vor dem Konflikt. Der richtet sich gegen die Subjekte selbst, die aus der freien Wahl ihrer Kleider schon ihre eigene Freiheit, und insbesondere jene zur Wahl der Wahl selbst, ableiten wollen.

„Die Gegensätze des starken Mannes und des folgsamen Jünglings verflieβen in einer Ordnung, die das männliche Prinzip der Herrschaft rein durchsetzt. Indem es alle ohne Ausnahme, auch die vermeintlichen Subjekte, zu seinen Objekten macht, schlägt es in die totale Passivität, virtuell ins Weibliche um.“ (Adorno, Minima Moralia, „Tough Baby“)

Vielleicht hat Iggy Pops Zitat aber auch recht. Scham empfindet das Opfer für das, was ihm angetan wird, weil die Trennung zu jenem misslingt, was man sich antun lässt. Wenn Iggy Pop mit dem Spott auf diese weibliche Scham über das, was aus der Frau gemacht wurde, kokettierte und diese Frauen als Ziel der Kritik einer ungleich feinsinnigeren Travestie hätte, so wäre er weitaus fortschrittlicher als er von den Fans des Bildes verstanden wird und sehr wahrscheinlich doch werden will.

Fragment Ende.

Sein und Rauch – zur Ontologie der Zigarettenschachtel

„Don’t be a maybe – just be“. Nicht das erste Mal versucht Marlboro die urbanisierte Abkehr von ihren Caspar-David-Friedrich-Cowboys, die seit den dauerrauchenden Schafhirten aus „Brokeback Mountain“ auf ewig mit der Homosexualität assoziiert sind. Die „Just be“ oder „Maybe“-Kampagne knüpft direkt an jene „Be unstoppable“-Kampagne an, die unten bereits voranalysiert wurde. Übernommen wird der Verweis auf das, was sein soll: Die Hinwendung zum Rauchen, die Abkehr von der Idee des Nichtrauchens, die bekanntermaßen zum magisierten Jahreswechsel Hochkonjunktur hat. Kein „Maybe“ – „vielleicht [sollte ich mal aufhören]“ sondern „just be“, ohne Rest und Nichtidentisches soll der Kunde sein. Kein „Maybe“ bedeutet auch: Zweifel sind für Homosexuelle. Kein May, das heißt kein Mai, kein Frühling, keine Jugend, keine Erlaubnis, kein Mayday, keine Rettung. Die Formel schwört den Raucher auf seine Identität ein, macht ihn seinem Objekt gleich, will ihn zur Mimesis an ihn beherrschende Natur zwingen, ihn noch ganz mit dem hungernden Feuer der Synapsen nach dem Nervengift eins machen. „Just be“. Kein Anderes wird akzeptiert. Die Einsamkeit dieser masochistischen, narzisstischen Projektion spricht die Vereinzelten an, die in der Kippe die pubertäre, hilflose Distanzierung von der zudringlichen Masse zelebrieren. Gereifte Solidarität, Abwägen, Vernunft, Differenz werden durchgestrichen. Der schnarrende, einsilbige Befehlston des Plakats ahmt schon den Faschismus vor, den verordneten Daseinszweck, dem zu gehorchen noch als lustvoll verkauft wird. „Sit or stand!“, „Up or down!“, keine Zwischentöne sind erlaubt zwischen Männlichkeit („Stand“, „Up“) und zu unterwerfender Homosexualität und Weiblichkeit („down“, „sit“). So reagiert der autoritäre Charakter, Herr Herrenmensch. Eine Belohnung, ein Äquivalent für Geld und Lebenszeit wie es in den „West“-Werbungen der letzten Dekade in sterilen Karikaturen von Frauen präsentiert wurde, muss gar nicht mehr vorgegaukelt werden – das Sein zur Zigarette ist als ausreichende Belohnung vorgesehen für das Durchstreichen aller Alternativen.

Die Aufgabe der Überreste von Lust oder Widerständigkeit wird in zahllosen anderen Zigarettenwerbungen zum souveränen Willensakt vexiert: Der HB-Mann, Vorläufer des Wutbürgers, unterdrückte und kanalisierte einst seine berechtigte Aggression im Rauch, für eine Camel solle man meilenweit durch die Wüste gehen, die West-Domina verordnete den ewigen Test („…the West“), gehemmte Vorlust ist Programm wie die Garantie, dass es zur Lust niemals kommt. Lord verspricht vor allem weiblichen Kompensationswünschen ein kleines „extra“ für das Opfer des Alltages in männlicher Dominanz. Lucky Strike lieferte sicherlich den Vorläufer der autoritären Ontologie der Marlboro-Werbung. Eine Urban Legend wollte im Verzicht auf menschliche Werbeträger („nichts außer der Schachtel“) einen schuldbewussten Tribut an Krebsfälle bei Lucky-Strike-Girls deuten – wäre dies wahr, so wäre das verkaufsträchtige „sonst nichts“ gleichzeitig eine recht zynische Instrumentalisierung von Trauer. Der alte disziplinierende Werbespruch von 1928 „Reach for a Lucky instead of a sweet.“ verrät hingegen das wahre Programm, die Affirmation des Opfers in der industrialisierten Gesellschaft und den Verkauf der Zigarette als äquivalentes Substitut.

Nachtrag:

Der Vergleich mit dem regressiven Hören liegt auf der Hand:

„Historisch gehört das regressive Hören einer Gesellschaft an, worin der Druck von Reklameerzeugnissen so unerträglich geworden ist, daß „dem Bewusstseinvor der Übermacht des annoncierten Stoffes nichts…übrigbleibt als zu kapitulieren und seinen Seelenfrieden sich zu erkaufen, indem man die oktroyierte Ware buchstäblich zur eigenen Sache macht.“ (TW Adorno nach Alfred Schmidt in ZFS I:51*)

Repost Wall-E: wegen gestern

„Mit Wall-E erreicht die zur Mythologie verwandelte Ideologieproduktion auf der Höhe der technologischen Möglichkeiten ihren eigenen Höhepunkt. „Konsum- und kulturkritisch“ wird Wall-E in praktisch jeder Rezension genannt, jedoch steht der Verdacht nahe, dass hier der letzte „Widerstand der Individuen gegen Selbstverrat“ überwunden werden soll: man „baut das gegen die Individuen Gerichtete ein in das, was ihnen familiär ist“ (Marcuse nach Fritz-Haug). Möglich wiederum ist auch, dass das Privatprojekt eines Konzerns wie Walt Disney sich aus eigenem Interesse das populäre Unbehagen gegen Kulturindustrie und Verwertungszwang zu Nutze macht und als total opportunistisches Kapital aus seiner eigenen Gegenbewegung noch selbiges schlägt: gemäß dem Lenin-Zitat: „Die Kapitalisten verkaufen uns noch den Strick, an dem wir sie hängen.“ Tauchen wir also tiefer in die Materie ein, um die als unbegriffene zum Hängen und Würgen treibenden Widersprüche mit hochsensiblen Kakerlakenfühlern im Dunkel des Kinosaales zu ertasten. […] “

Mehr:

Wall-E – Roboanalyse und robotische Theorie einer amüsanten und ganz anders kritischen Robinsonade.

Shocking: Nazis auf einmal Terroristen – was ging schief im Wintermärchen?

Das Bekanntwerden der Täterschaft definiert die Opfer neu und macht den Terror gegen sie erst wirksam. Anstelle devianten Verhaltens innerhalb abgeschotteter krimineller Strukturen wurde Existenz zum Verfolgungsgrund. Nicht weil sie sich verhielten, sondern weil sie waren wurden Menschen ermordet – das ist der Kern des Nazismus seit seinem Anbeginn.

Die Aufregung über die fehlgeschlagene Verfolgung dieser Verfolger tutet ins falsche Horn. Die Existenz des Nazismus ist der Terror. Die auswendig gelernte Phrase, dass Faschismus keine Meinung sondern ein Verbrechen sei, ist schief projiziert. Nicht wird gesagt was Faschismus sei und was das Verbrechen. An gesundes Rechtsbewusstsein wird appelliert – und moderne Rechtsstandards im Ruf nach Zensur verraten. Der Faschismus ist Meinung, deren Existenz Terror ausübt, seine Praxis die Vernichtung.

Wer das Aufblühen der schon immer von Gewalt begleiteten völkischen Zorn-Zonen im Osten Deutschlands über Jahrzehnte mit ruhiger Miene anzuschauen vermochte, hat kein Recht, jetzt von Terror zu sprechen. Mindestens 182 Menschen wurden seit 1990 von deutschen Neonazis ermordet. Die Existenz des Nazismus ist gerade darum ein gesellschaftliches und kein polizeiliches Problem. Es mag sein, dass verschiedene Institutionen, allen voran der schon immer faschistisch durchwirkte Verfassungsschutz, versagt haben bei der Verfolgung der konkreten Morde. Dass die deutsche Gesellschaft sich darüber so plötzlich so ausnehmend empört ist Schuldprojektion.

Die postnazistische Gesellschaft hat den Nazismus integriert und nicht abgeschafft. Vieles wurde geschrieben über die institutionelle Durchwanderung von rechts und deren Traditionalität. Irritiert aber zeigt sich die liberale Gesellschaft über Kritik an ihrem eigenen Makel.

Man macht einen mittleren Skandal, wenn ein Politiker der „Jungen Freiheit“ ein Interview und vielleicht sogar Contra gibt. Der liberalen Presse, den Schulbüchern, den Demonstranten sieht man den täglichen antiisraelischen Exzess nach. Die NPD listet gleiche Meinungen in ihrem Programm, man nennt es antisemitisch. Die Zeit, die taz, die Süddeutsche, der Stern, ARD, ZDF, mitunter Arte bedienen diese Einstellungen nach Kräften – und wo sie Kritik daran nicht ignorieren können empören sie sich über die Aufweichung des Antisemitismusbegriffs, bemäkeln jüdische Überempfindlichkeit und Philosemitismus. Es gibt keinen Reflexionsprozess in diesen Medien – Kritik wird als liberaler Bonus eingereiht und neben die unabdingbaren empörten Hetzartikel gedruckt.

Eine vernachlässigte Opfergruppe von Neonazis sind Obdachlose, die als sichtbarste Opfer befürchten müssen, nachts überfallen und unter hässlichsten Schmerzen zu Tode gebracht zu werden. Obdachlose wurden aber bereits im Zuge der sterilisierenden Fitmachung von zumeist CDU-regierten Innenstädten systematisch verfolgt, mit Bettelverboten belegt und verschoben. Eigens zur Abschreckung von Obdachlosen wurden in den 1990-ern schräge Bänke entwickelt, die das Nächtigen auf diesen unmöglich machen.  Auch Bushaltehäuschen bieten seitdem allenfalls in kurze Strecken portionierte Sitzplätze an. Noch vor kurzem schloß ein Bürgermeister eine öffentliche Brücke mit Bauzäunen ab, damit dort niemand Schutz finden kann. In meiner Kindheit wurde einem Obdachlosen, der in einem verlassenen Bienenhäuschen nächtigte vom Dorfmob mit dem Feuertod gedroht, falls er nicht sofort weiterziehe. Diese widerwärtige Mentalität ist vom selben Holz wie jene, die aus Hass und Langeweile später auf wehrlose Schlafende einprügelt und sticht.

Ebenso hegten bislang alle im Parlament befindlichen Parteien den ausländerfeindlichen Konsens: Es kam nun mal beim Wähler schlecht an, die eigentlich gebotene Aufnahme von mindestens einer Million Kriegsflüchtlinge aus dem subsaharischen Afrika zu fordern. So blieben sie in ihren kongolesischen Camps, wurden rekrutiert, von Epidemien hingerafft, im Wald vom Hunger vernichtet und später massakriert, wo sie nicht selbst massakrierten. Dasselbe wiederholte sich in je anderer Form in Darfur, in Somalia, in den arabischen Staaten. Niemals ist in Deutschland eine universalistische „Operation Moses“ denkbar, bei der es um Hilfsbedürftige anderer Nationalitäten oder gar Hautfarben geht. Täglich werden Abschiebeflüge mit Roma oder Afrikanern organisiert. Die Infrastruktur zum Retten von Menschenleben stünde, man müsste ihren Zweck und damit ihre Richtung umkehren. Es sieht nicht danach aus. Die deutsche Öffentlichkeit ist slightly shocked über die Rechtsverletzung durch Nazis – und sah und sieht mit lauen Gefühlen und rechtlich abgesichert zehntausenden Schwarzen beim Ertrinken im Mittelmeer zu. Das ist kein Vergleich sondern eine Kontinuität. Die aktuelle Flüchtlingspolitik ist bekanntermaßen die Belohnung der nazistischen Brandsetzungen und Morde in Solingen, Mölln, Rostock und den ganzen anderen Orten.

Die Verkürzung gilt: Der Nazismus tötet heute im Mittelmeer – durch die Regierenden der bürgerlichen Parteien hindurch, die sich der Herausforderung, eine offene Gesellschaft zu schaffen nie gestellt haben. Triftige Ausreden werden zum Mantra: Jeder müsse ja einsehen, dass eine Volkswirtschaft nicht unbegrenzt Einwanderer aufnehmen kann und niemand oder wahlweise jeder wisse ja, wie sich solche Horden im Land benehmen würden. Das ist das Argument der Nazis und es wird konsensual geteilt. Und es ist wahr: Dieser auf den Nationalismus eingeschworene muffige Staat würde tatsächlich kollabieren, würde er mit der Verantwortung, die mit seiner ökonomischen Macht einhergeht, im Positiven Ernst machen und ein paar Millionen Flüchtlinge aufnehmen sowie in Kriegsgebieten bewaffneten Schutz für sie organisieren. Er würde ein anderer Staat werden, in dem die politisch bestärkte Hoffnung der Nazis, durch Terror Gesetze in ihrem Sinn zu formen, an die Wand der gesellschaftlichen kosmopolitischen Realitäten fahren müsste.

Die drei Nazis waren gewiss keine Wahnsinnigen – sie stuften die Möglichkeiten der Abschreckung und Umsetzung ihres wahnhaften Ressentiments in Realpolitik ganz realistisch ein. Gegen ihre Morde meint man wieder einmal vorzugehen mit Lichterketten, ökumenischen Gottesdiensten, kommunalen „Bunt statt Braun“-Kindergeburtstagen und gutherzigen Apellen, dass man doch ganz so radikal nicht gegen Ausländer sein muss. Und man meint wieder einmal, die NPD verbieten zu müssen. Das mag man tun – die Elemente nazistischer Weltbilder waren und sind mehrheitsfähig, sie sind politische Praxis und Gesetz.

Nazis morden, der Staat schiebt ab – auch das ist eine der halben Lügen der Linken. Dieser Staat, das sind alle. Die Flüchtlingspolitik rutschte in der Agenda der Linksautonomen immer weiter herab, vielleicht sind sie auch selbst erodiert worden. Die Methoden stehen allemal zur Disposition – durch die Straßen rennen und Parolen brüllen, ganz witzige Clownerien und Pink Block haben bislang keinem Flüchtling geholfen und keinem Blutsdeutschen den Nationalismus ausgetrieben. Bleierner Hedonismus macht sich bei den sogenannten Antideutschen im Namen der Reflexion und des Glücksversprechens breit, andere ächzen unterm Systemzwang, vermeintliche neue Facebook-Liberale spielen Kritik am Antisemitismus der Islamisten gegen Immigration aus, vermeintlich neue Brandsatz-Linke fluchen auf die Flüchtlingspolitik und wollen den gleichen Flüchtlingen in Afghanistan aber lieber die autochthonen Taliban als die ausländischen amerikanischen und deutschen Truppen zudenken. Und jene Millionen, die erfolgreich einwanderten, ducken weg um ihre eigene Integration nicht aufs Spiel zu setzen oder weil sie längst die ökonomische Lüge von den Grenzen der Aufnahmefähigkeit übernommen haben oder weil sie tatsächlich selbst keine Kurden, Schwarze, Schwarze aus anderen Teilen Afrikas und Juden mögen. Über allem steht die Angst, sich demokratisch zu organisieren und zu engagieren. Das ist mit dem Kulturalismus zu parallelisieren. Engagement bedeutet Risiko. Niemand will scheitern. Nichtstun ist die bequeme Wahl und Lebenslüge, virtualisierte Ersatzhandlung wird zur Folge der Verdrängung, gebotene Reflexionsprozesse werden zum „Spott auf die Dringlichkeit“ (Adorno) im Angesicht von Folter, Hunger und Tod des Anderen.

Das Konzept „Master Blaster“ und sein rassistischer Mehrwert

Ein Protagonist in „Mad Max beyond Thunderdome“ besteht aus zwei Personen: Einem Muskelprotz, dem Blaster, der seinen Master, ein technisches Genie, auf den Schultern herumträgt. Beide sind ohne den jeweils anderen hilflos und zu Tod und Unterwerfung verdammt. Das hat eine unverhohlene Ironie: Dem archaisch gewordenen bürgerlichen Heldentypus, der Geist und Körperkraft vereint, tritt die modernere Form der Arbeitsteilung in dieser monströsen Gestalt gegenüber. Die perfide Spartenbildung der Kulturindustrie ist in diesem Sinnbild ebenso kritisch aufgehoben wie Hegels Weltgeist plötzlich ironische Gestalt erhält – nicht zuletzt im vorgedachten Untergang der Zivilisation in einem atomaren Desaster. Auch das Herr-Knecht-Verhältnis wandelt plötzlich leibhaftig zwischen Schweinemist und konfrontiert mit wahnsinnigen Gesellschaftsverträgen umher und scheitert grandios.

Die Legitimationsfigur einer Symbiose von Stärke und Intellekt ist älter noch als Hegel und zu attraktiv um nicht immer wieder auch als Kitt für die bürgerliche, postrassistische Gesellschaft herhalten zu müssen. „The Green Mile“ ist einer der großen Filme der 1990-er. Hauptfigur ist ein naiver Schwarzer mit gewaltigen Körpermaßen, die zu allem Überdruss noch in ein typisches „Onkel-Tom“-Kostüm, Latzhose und  Unterhemd, gezwängt wurden. Diese an sich schon rassistische Karikatur eines Schwarzen wird dazu noch  mit magischen Kräften ausgestattet. Vor dem afrikanischen Voodoo fürchten sich die Weißen spätestens seit dem Sklavenaufstand in Haiti. In „The Green Mile“ wird die magische Essenz als „göttliche Gabe“ verbrämt, die natürlich nur in einem gänzlich harmlosen Charakter unbedrohlich existieren kann. Der intellektuell kastrierte Schwarze verfügt über Muskelkraft und Magie und: über moralische Reinheit. Das destruktive Potential seiner „Gabe“ darf er gesellschaftlich legitimiert am Sadisten Wetmore auslassen. Und in gänzlicher Überzeichnung des für diese Zeit typischen rassistischen Stolzes auf die weiße Medientechnologie wünscht er sich vor seinem Tod auf dem Stuhl nichts sehnstlicher als einen Film im Kino zu sehen. Mehr oder weniger aus Verdrossenheit über den Menschen an sich lässt er sich dann freiwillig hinrichten.

Weniger dramatisch aber nach dem gleichen Muster ist „The Blind Side“ von 2009 gestrickt. Die weiße schöne Modedesignerin, Republikanerin und zweifache Mutter Leigh Anne ist nicht nur Frau eines Fast-Food-Imbiss-Ketten-Besitzers sondern hat auch bei aller Stachligkeit ein gutes Herz. Sie nimmt einen riesigen schwarzen Jugendlichen bei sich auf, der nicht nur ein hervorragender Sportler ist sondern natürlich auch intellektuell zurückgeblieben. Wieder ist er moralisch unantastbar. Das Philanthropentum zahlt sich daher aus: der Junge entwickelt durch die gutmütige Anleitung von weißen wohlwollenden Frauen seine Kapazitäten, darunter seinen überragend getesteten „Beschützerinstinkt“, und wird unter Anleitung des kleinen Intelligenzbolzens SJ zum Leistungssportler, der sogar die Hochschule besteht. Als Negativbeispiele werden andere Schwarze aufgeführt, deren Potential nicht rechtzeitig von weißen reichen Republikanerinnen und ihren hyperintelligenten naseweisen Kindern entdeckt wurde und daher destruktiv werden muss. Aus ihnen werden Prostituierte oder tote Gangster, was natürlich überhaupt nichts im Entferntesten mit Arbeitsbedingungen oder Lohnverhältnissen in Fastfood-Restaurants oder Nähereien zu tun hat. Immerhin enthält dieser Film anders als „The Green Mile“ selbstreflexive Momente, über den viehisch reinen Stil des Trainer-entdeckt-und-zähmt-widerspenstigen-Supersportler-Genres kommt er aber selten hinaus.

Das rassisierte Master-Blaster-Modell propagiert nicht nur traditionelle rassistische Stereotypen sondern auch einen ausgeprägten Antiintellektualismus. Das Geistige ist stets körperlich schwach, impotent, verkrüppelt oder zu klein. Mehr noch, es ist moralisch verdächtig und verdorben. Erst wenn es moralisch gereinigt wird, kann es die Symbiose mit dem starken Körper erfolgreich verwerten. Und in der Verwertung liegt letztlich die Botschaft der beiden letzten Filme. Nicht an die Versöhnung von Körper und Intellekt wird appelliert sondern an die effizientere Nutzbarmachung der Ressourcen durch einen moralisch integren Intellekt. John Coffeys Hinrichtung ist mehr eine Empörung über die Verschwendung von „Gottes Wundern“ als ein Verweis auf das tägliche Unrecht der Todesstrafe eingeschrieben. Die Ghettogangster der amerikanischen Kleinstadt werden offen als vergeudete Ressource betrauert. Solche Filme sind kitschtriefendes Resultat des Nützlichkeitsdiktats, ein stilreines Ideologem kapitalistisch-protestantischer Gesellschaften, demgegenüber durchreflektierte Filme wie „Mad Max“ unbestritten subversiven Gehalt erhalten.

Die Irrationalität der Trauer

Mitleid, schreibt der Nietzscheaner Adorno, ist ungerecht: Es ist immer zu wenig. Würde man das Mitleid, das alle Menschen verdienten gerecht zuteilen, so fürchtete Nietzsche, dann würde man auf der Stelle verrückt werden und seines Geistes verlustig. Ebenso verhält es sich mit der Trauer. Sie ist ungerecht, weil nicht um alle Menschen gleichermaßen getrauert werden kann, die das vielleicht verdient hätten.

Auf diesen Universalismus berufen sich beleidigte Feulletonisten: Starben nicht mehr US-Soldaten in Irak und Afghanistan als bei 9/11, ganz zu schweigen von den Millionen anderen, die der Islamismus und diktatorische Regimes in den letzten zehn Jahren vor allem im eigenen Hoheitsgebiet ermordeten. Ist Trauer nicht obszön, wenn sie diese 3000 im World-Trade-Center betrauert, die anderen aber exkludiert.

Eine solche utilitaristische Trauerpraxis, wäre sie ernst gemeint, ist keine. Wer Trauer nach dem Tauschprinzip zurichtet, fügt sie in ein verwaltetes System ein, in dem zugeteilt wird, wem gebührt. Doch es geht den Beleidigten nicht einmal um Gerechtigkeit, die so häufig gegen die Freiheit ausgespielt wird. Wer so stänkert, neidet Individuen ihre intimsten Gefühle und zeigt sich eben unfähig zu trauern – unter der Berufung auf jene, deren vergessenes Leid von ihm zum Argument seiner Gefühlskälte instrumentalisiert wird.

Diese Äquidistanz kultiviert Judith Butler in ihrem Heftchen „Gefährdetes Leben“. Als in Pakistan der Journalist Daniel Pearl von Islamisten vor der Kamera geköpft wurde und diese Tat international Entsetzen auslöste, fragte sie empört und borniert: Wieso man gefälligst medial nicht in gleichem Maße um Palästinenser trauere, die von israelischen Soldaten getötet wurden. Sie fragt aber nicht jene Palästinenser, warum sie auf ihren Straßen Freudentänze aufführten oder zumindest duldeten, als die WTC-Türme einstürzten oder warum einige vor lauter gar nicht klammheimlicher Freude Bonbons an Kinder verteilten, nachdem Djihadisten in einer Siedlerwohnung einbrachen und nach den Eltern der dreimonatigen Hadas Vogel die Kehle durchschnitten weil sie jüdisch war.

Der Adressat von Butlers Kritik sind die USA und ihr Feindbild Israel – die ersteren hält sie demnach für veränderbar und kritisierbar, während sie Israelis zu Nazis erklärt und für die im Bann des Islamismus Wütenden nichts als Affirmation bereit hält. Den Trikont schließt sie vom propagierten Nutzen ihrer Kritik aus und erklärt ihn implizit für unfähig zur Veränderung – vielmehr soll er so anders bleiben, wie er ist, damit der Westen sich in seiner Toleranz diesem Dritten gegenüber gefallen kann.

Ihre Kritik führt in der Konsequenz nicht zu mehr Trauer sondern sie streicht diese durch und verfällt eben in jene Rolle, die der Gegenseite vorgeworfen wird: Menschenleben aufzurechnen nach der bloßen Kategorie des nach dem Tauschprinzip gleichgemachten Lebens. Verdunkelt wird die Qualität des Todes und des Verbrechens und vor allem: der moralischen und intellektuellen Nähe zu den Toten. Liebe, die alle meint, ist keine, lautet eine Kritik von Grunberger/Dessuant am Christentum. Sie streicht die qualitativen Bedingungen, weshalb man liebt, durch und entwertet den Gegenüber zu einer Projektionsfläche eines narzisstischen Spiegelkabinetts.

Die USA mögen ihre guten und schlechten Seiten haben – angegriffen wurden sie ausschließlich wegen ihrer guten, so Hannes Stein. Wenn sich Menschen mit den Opfern dieser Tat identifizieren, ist das nicht Ausdruck der verschleierten Zwecke der „Macht“, wie Butler in ihrem jüngsten Fließbandprodukt unterstellt. Es ist Ausdruck des Universalismus von 9/11. Dessen Trauer ist integrativ, sie meint die damals ermordeten Menschen ungeachtet ihrer Religion oder Hautfarbe oder Nationalität. Sie ist exklusiv, denn sie schließt aus, dass irgend etwas mit jener hasserfüllten Intransigenz des Islamismus geteilt werden kann. Und, im Gegensatz zur vorgeschützten internationalen Solidarität einer Judith Butler – sie ist in erstaunlichem Ausmaße ehrlich, auch wenn sie in Quizzshows mit den variierten und orchestrierten Titeln „“Wo waren sie am 9/11“ aufs Schlimmste ausgebeutet wird.

Die Dialektik von Trauer und Gerechtigkeit gegen beide auszuspielen ist bösartig und nicht philosophisch. Dialektische Kritik hat den menschlichen Impuls zu verteidigen, wo er überhaupt noch aufzutreten wagt, ohne sich dafür entschuldigen zu müssen.

Be unstoppable? Eine kleine Hilfsanalyse für Zigarettenwerbungsanfällige

Ein dreitagebebarteter Radler, ein Mountainbike. Edle Karosserien. Dazu der Schriftzug: „Be unstoppable„. Marlboro für Radler? Was ging da in der Zielgruppenselektion schief, möchte man fragen. Naivität würde solches Sinnieren an der Oberfläche den verfuchsten Werbeprofis unterstellen. Marlboro hat mit dieser Werbung einen professionellen Griff in die psychoanalytische Trickkiste vorgenommen, der zu offensichtlich ist, um auf den ersten Blick aufzufallen. Da ist zunächst die simple Modernisierung der abonnierten Cowboy-Symbolik. Statt einem Ross reitet der Metro-Cowboy einen Drahtesel, statt Rössern fängt er Karosserien. Das romantische Bild des Cowboys inmitten einer fliehenden Mustangherde wurde mit Aluminium und Gummi nachempfunden. Versprochen wird nicht ein scharfer Ritt auf dem Fahrrad, sondern das Einfangen der edlen Autos. Warum man aber ausgerechnet als Raucher die Sportivität zum Überholen von 320-PS-Maschinen aufbringen sollte, erklärt der Text und nicht die Logik. „Be unstoppable“ appelliert an die Sucht – „Hör ja nicht auf zu rauchen!“ lautet die einzig richtige Übersetzung. Diese Logik versteht das Unterbewusstsein nur zu gut. Sollte das wider Erwarten nicht funktionieren, bleibt die einzige Logik von Werbung in jedem Fall bestehen: Ein dickes „Höh?“ prägt die Marke eher ins Gedächtnis ein, als jeder sinnliche Reiz.

Puritanisches Medium Taz

Die allseitig gewonnene Informationsfreiheit scheint mit einem gesteigerten Bedürfnis nach Geheimnissen einherzugehen. Der Wirbel um Wikileaks vertuschte das altbekannte und logische, das zur Sensation aufgebauscht und damit verleugnet wurde. Einiges war im Zitat neu, aber der Inhalt überraschte keine Kenntnis der jeweiligen Materie. Auch Günter Wallraffs Versuch, den Rassismus in Deutschland am eigenen Leibe spürbar zu machen, zog von den bestehenden Berichten und Klagen eher Glaubwürdigkeit ab. Und die jüngste Publikation von Auszügen aus dem gehackten Email-Verkehr der NPD durch die taz brachte kaum Neues, stachelte der taz aber die Lust am Verkauf des Geheimnisses an.

Für die „Sonntaz“ mit dem Titel „Extrabeilage“ wurden andere Zeitungen in die Falle gelockt. Die Frankfurter Rundschau und einige andere Zeitungen seien bereit gewesen, für ein größeres Entgelt einem Unternehmen redaktionelle Begünstigungen einzuräumen oder anzubieten, die nicht als Anzeige gekennzeichnet würden – der Tatbestand der Schleichwerbung war also erfüllt. Der mehrseitige skandalisierende Artikel der taz ist von einer Anzahl gleichförmiger illustrativer Zeichnungen geprägt. Eine zeigt geifertriefende Freier, die zu einem „Bordell der Medien“ drängeln. Eine andere zeigt den Amüsierbetrieb von innen, halbnackte Tänzerinnen wirbeln vor männlichem Publikum um aufgerichtete riesige Füllfederhalter, die Bikinis mit Banknoten ausgestopft. Eine dritte Zeichnung zeigt einen „Chef“ im Stil der völkisch-sozialistischen Karikaturen: Ein feister Hutträger sitzt vor rauchenden Schloten, infam grinsend betätigt er eine Fernbedienung, die einen Journalisten, halb Maschinenmensch, halb manisch dreinblickender Schreibtischtäter mit dem Namensschild „Pro Grammed“ zum Schreiben mit dem Füller (!) aktiviert.

Die Chefredakteurin erklärt dazu in einer eigenen Spalte: Die taz sei unabhängig, weil sie nicht auf Anzeigen angewiesen sei, sondern von einer zahlenden Leserschaft finanziert werde. Adorno nannte die Auffassung, die Massenmedien seien demokratische weil sie die Bedürfnisse der Massen bedienten, die „Ideologie der Ideologie“. Er verwies auf den manipulativen Charakter der Massenmedien, die Bedürfnisse des Publikums schon als manipulierte voraussetzen, bevor sie zur Bedienung anstehen. Die Abhängigkeit der Massenmedien von den großen Industrien, als die Adorno/Horkheimer Petroleum, Elektronik und Chemie benennen, ist ungebrochen trotz erheblicher Anstrengungen, deren Monopol durch das von diesen Industrien immer noch vermittelt abhängige, von Steuern getragene Staatsmonopol zu ersetzen. Auch und gerade die alternativen Medien sind intrinsisch mit der Elektroindustrie verschwistert, die von ihnen profitiert und ihnen daher Freiheiten einräumt, die sie die Abhängigkeit vergessen lassen. Diese Abhängigkeit heute noch zu skandalisieren ist mehr als wohlfeil, solange die Erklärung aussteht, warum es trotz dieser Monopole zu einem ambivalenten Zuwachs an Freiheit kam und Märkte nicht erstarrten. Vielleicht liegt es am Gegengift, das Adorno in Kulturindustrie gegen ihre eigenen Lügen wirkend vermutet.

Ungeachtet dessen: Die Häme, die die taz ausschüttet, steht ihr schlecht zu Gesicht. Sie selbst publiziert nur zwei Wochen nach dem verschwitzt-empörten Skandälchen eine ihrer seit Jahrzehnten altbekannten Anthroposophie-Spezials. In der „Sonntaz“ vom 16/17 April finden sich fünf Seiten zum Thema „Anthroposophie“, in denen kein einziges kritisches Wort verloren wird. Spalte für Spalte wird ganz redaktionell astreine Werbung gemacht für biodynamische Imkerei, anthroposophische Kindertagesstätten, Demeterhöfe und Eurythmie. Weleda und anthroposophische Zentren wissen das anscheinend im Voraus und schalten fleißig Anzeigen, die bisweilen die Hälfte der Seite füllen. In Wirklichkeit gab es vorher ein Rundschreiben der taz, das den jeweiligen Institutionen das Erscheinen der bekannten Sonderbeilage bekannt machte, und ebenso, dass dieser für die Anzeigenkunden appetitliche redaktionelle Sonderbereich nicht als Anzeige gekennzeichnet sein würde. Das ist die „Unabhängigkeit der taz“, die sich von der Pharmazeutika-Vertreterei im Gesundheitswesen oder den Elektronik-„Test“-Zeitschriften keinen Deut unterscheidet.

Diese Bauchpinselei des Publikums kennt man von der taz bei anderen Themen nur zu gut. Ihrem linken, anti-israelischen Klientel mutet sie allenfalls Micha Brumlik zu, der von Daniel Bax ganz diskursiv erwidert werden muss. Tiefere, ernsthafte Reflexionsprozesse auf redaktioneller Ebene bleiben aus. Solange der Diskurs am Leben erhalten wird, ist das verkaufsförderlich. Jedem seine Meinung. Allenfalls provoziert man vorsichtig das linke Spießertum mit einem satirischen Titelblatt zu Rainer Langhans im Dschungelcamp, die empörten Abonementkündigungen von allzu einzementierten Geistern sind schon einkalkuliert und dienen als Werbung für aufgeschlosseneres Klientel.

Besser hätte es der maulheldischen taz gestanden, die Krisenhaftigkeit des eigenen und der anderen Medien in einer Art und Weise zu analysieren, die nicht auf Denunziantentum und konkurrenzbedingte anale Hinreiberei angewiesen ist. In den sexuierten Zeichnungen der „Extrabeilage“ manifestiert sich nämlich nur zu deutlich unbewusster Neid. Sie würde ihre Inhalte ebenso gern wie die Unternehmen in anderen Medien massenhaft plaziert sehen und sie würde auch sich mit den „Medienhuren“ identifizieren können, wenn das Angebot nur hoch genug und offen für frömmlerische Augenzwinkerei im beigeordneten Artikel wäre. Die taz wäre gerne Massenmedium und hat erfahrungsgemäß auch Porsche oder Bild eine ganzseitige Anzeige nicht verweigert. Jeder weiß ja, dass taz-Kunden keine Porsche-Kunden sind, und niemand braucht diese Klimamonster, aber der Redakteur hat überraschend viel Spaß bei der Testfahrt gehabt und der biodynamische Wein hinterher, ein Traum! Die eigene Unfähigkeit die Leserschaft auch mit unangenehmeren komplexeren Wahrheiten über die Anthroposophie oder amerikanische und israelische Diskurse über Deutsche zu konfrontieren ist um kein Jota emanzipierter als die Abhängigkeit großer Zeitungen von den Anzeigen der Automobilindustrie. Sie ist umso peinlicher, weil sie diese verleugnet und in puritanischem Eifer anderen vorhält.

Nachweise:

Adorno, Theodor W. 1968: Ohne Leitbild – Parva Aesthetica. Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag. (Zitate: S. 87 und 85)

Adorno, Theodor W./ Horkheimer, Max 1969 (1947): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Die „Unbekannten“

„Liberalität, die unterschiedlos den Menschen ihr Recht wiederfahren läßt, läuft auf Vernichtung hinaus wie der Wille der Majorität, die der Minorität Böses zufügt und so der Demokratie Hohn spricht, nach deren Prinzip sie handelt. Aus der unterschiedslosen Güte gegen alles droht denn auch stets Kält und Fremdheit gegen jedes, die dann widerum dem Ganzen sich mitteilt.“   (TWA, Minima Moralia: 135)

Wenn Deutsche behaupten, sie wüssten von nichts, kann man davon ausgehen, das man es wieder einmal mit Menschen zu tun hat, die keine Lüge aussprechen können, ohne sie zu glauben. Derzeit geistert eine Lüge durch jene Rackets, die man allgemein als „die Medien“ verunglimpft als wären es neutrale technische Instrumente, eine Lüge, die Wahrheit über den Betrieb spricht. Eine Lüge ist es nicht so sehr, als sie die Unwahrheit wider besseres Wissen behauptete, vielmehr, weil sie sich selbst glauben will gegen alles Wissen was da kommen hätte können und könnte. Es geht um Libyen. Die Aufständischen dort, so wiederholt man es, seien Unbekannte, und im Zeitalter der gefühlten totalen Erfassung und Beforschung gibt es kaum ein größeres Vergehen als unbekannt zu sein. Man befürchtet das Schlimmste von ihnen, gerade weil sie das Schlimmste zu befürchten haben, über das die Deutschen recht gut Bescheid wissen.

Gegen die Behauptung des totalen Unbekannten, der aus Bewohnern eines Nachbarstaates Europas Antipoden macht, drängen sich Fragen auf, die die Behauptung selbst fragwürdig machen. Seit mehreren Wochen befinden sich Reporter in einer Region, die ohnehin von Ausländern, Wanderarbeitern, Diplomaten, Ölhändlern, Technikern, Agenten wimmelte, und sie haben nichts besseres zu tun, als das Feuerwerk einer Flak am nächtlichen Himmel zu filmen und die Aufständischen zu sprachlosen wandelnden Victoryzeichen herabzuwürdigen, die ängstlich versichernd der Kamera entgegengebracht werden. In diesen Wochen, so sollte man annehmen, hätte ein Stab von trainierten Journalisten qualitative Interviews mit diesen Rebellen in den sicheren Städten des Ostens gefahrlos führen können. Vielleicht hätte man so erfahren, was der Rat der Aufständischen denkt, welche Legitimität er hat, ob es sich wirklich um einen Bürgerkrieg handelt und wer die schwarzen Wanderarbeiter bedrängt und lynchte. Stattdessen sehen wir immer wiederkehrend Victoryzeichen stummer Menschen und den Eurofighter aus 19 verschiedenen Blickwinkeln, Aktfotos gleich, grazile hingebogenes Metall in dynamischen Posen, der Beweis für alle Zweifler, dass nun Krieg ist und Europa auch mächtig auf den Putz hauen kann.

Triebe man die offenen Fragen weiter, nicht nur in die dringend gebotene skeptische Richtung, sondern in die optimistische, wäre der Vermutung nachzugehen, ob es sich bei den rasch gebildeten Räten, bei den spontan aus dem Boden gestampften Radios und Internetsendern nicht um ein intelligenteres, demokratischeres Modell handeln könnte als es die institutionalisierten, starren Rhytmen zivilgesellschaftlicher Konfliktbearbeitung in Europa ertragen können. Die weitgehende Abwesenheit von Frauen spricht gegen eine solche identifizierende These, ebenso wie die Bilder, die unbeholfene Rekurse auf die letzte Verlässlichkeit zeigen, die halbgeglaubte Religion. Wo man sagt, jetzt könne man „nur“ noch beten, ist kein Glaube mehr wirksam. Dennoch kann man ebensowenig garantieren, dass diese Rebellen nicht einem islamistischeren Staat den Boden bereiten wie man den fortschreitenden Faschismus in Europa als künftig in nicht wenigen Staaten dominierenden Machtfaktor ausschließen kann. Man könnte lediglich wissen, dass es in den von den Rebellen befreiten Städten bislang keine größeren ethnischen Massaker gab, wenngleich es ernstzunehmende Lynchmorde an mutmaßlichen Söldnern gegeben haben soll und Schwarzafrikaner große Angst vor Verfolgungen haben – ihr Schutz wird aber weder organisiert noch gedacht noch mit Vertretern der Rebellen diskutiert.

Die Berufung auf das Unbekannte ist vorerst nur Ausrede, solange man auf der Ebene des Bewusstseins laviert. Gelogen wird sie im Unbewussten, in dem was sie verleugnet: Man weiß nämlich sehr gut und ganz genau, wes Geistes Kind die Gegenseite ist und zu welchen Methoden und Maßnahmen sie in diesem Krieg schreitet und davon hängt die Intervention ab. Die verschütteten Bunker, in die Menschen lebendig vergraben wurden, die erschossenen Deserteuere, die unmißverständlichen Drohungen Gaddafis, das Vorgehen seiner Truppen, die erkauften und erzwungenen Jubelparaden für ihn. Gadaffi hat sicherlich seine Sympathisanten, wie in Tunesien und Ägypten bestimmte Gruppen noch lange nach der Revolution marodierten und marodieren. Das ist keine Ausrede, ihn gewähren zu lassen, es ist ein Grund, ihn schneller zu stürzen, da er nicht alleine in seinem Wahn ist. Ob er überhaupt auf größeren Rückhalt zurückgreifen kann, ist unklar. Insofern ist der Kamikaze-Angriff eines Piloten auf Gaddafis Sohn ein Symbol: Gaddafi kann sich nach diesem Angriff nicht einmal als in dem zynischen, von Adorno inkriminierten Sinne demokratischer Herrscher imaginieren. Er ist am verwundbarsten in seinem engsten Kreise, der allein den Betrieb aufrecht erhält. Der Zukauf von Söldnern beweist, dass er nicht auf eine mehrheitliche Machtbasis bauen könnte, die regelmäßigen Desertationen belegen die Hoffnung, die Armeeteile in den Aufstand noch setzen, den Deutschland noch nie unterstützt hat und den es als ärgerliche Störung des business as usual mit einem alten Freund ignorieren will. Das erklärt noch nicht die Ignoranz der Selbstdenunziation des telemedialen Zirkus, der ganz gewiss eines nicht ist: demokratische Information.