Fussballstreik – Die französische Alternative zu „inneren Reichsparteitagen“

Von der sehr wahrscheinlich homophoben Farbe der Beschimpfung, die ein französischer Spieler verlautbart haben soll, als sein Trainer ihn zu mehr Leistung ermahnte, einmal abegesehen sympathisiere ich aufs äußerste mit der Idee des Streikes gerade in diesem Sport. Dieses patriotische Idyll an seinen Widersprüchen zu zerbrechen und in Klassenkampf aufgehen sehen kann jeden Freund Marx’scher Theoreme nur in gehässige Fröhlichkeit stimmen.

Die feudalen Reste deren sich die kapitalistischen Organisationsweisen bedienen sind im Fußball mehr als präsent. Der Trainer als deligierter Intellekt, der seine entgeisteten Maschinen auf dem Platz organisiert. Die Spieler, die unter ständigem von den Maoisten abgeschauten Rapporzwang stehen, über die immer gleichen Befindlichkeiten nach Sieg und Niederlage zu räsonieren und Besserung zu geloben. Das Environment des Stadions, in dem infernalischer Lärm, Verletzungsgefahr und klimatische Bedingungen die Fabriken des 19. Jahrhunderts aufleben lassen. Die Torprämie, die den Akkord der Spieler durchsetzt. Und eine gehässige Öffentlichkeit, die jede Druckstelle der Ware, die sie gekauft hat, aufs eifersüchtigste bekrittelt.

Dass nun ein Vorarbeiter dieses Systems, ein ideeller Gesamtpatriot, in seinem Narzissmus gestört wurde, hat weitreichende Konsequenzen für das Gesamtsystem.

„Was hier passiert“, sagte Valentin, „ist ein Skandal, für den Verband, für die Jugend, für die französische Mannschaft und das gesamte Land.“ Valentin hatte im Gegensatz zu den Spielern offenbar erkannt, dass das Drama von Knysna ein katastrophales Licht auf ganz Frankreich werfen würde.

Ein gewisser französischer Sozialist verwandelt sich in diesem Licht in eine stalinistische Kanaille, die den Einzelnen den höheren Idealen unterordnet:

Der sozialistische Politiker Jérôme Cahuzac bot derweil eine gewagte politische Interpretation des Werteverfalls im Fußballermilieu: der Präsident sei schuld, denn das Klima, das in der Nationalmannschaft herrsche, sei jenes, das Nicolas Sarkozy im ganzen Land hervorgerufen habe: „Es ist der Individualismus, der Egoismus, das Jeder-für-sich, und der einzige Maßstab des menschlichen Erfolges ist der Scheck, den jeder am Ende des Monats kassiert.“

Dabei ist die Fahndung nach dem „Verräter“ in der Mannschaft, der die Schimpfworte weitergeleitet hatte, noch das stalinistischste und abstoßendste an der ganzen Geschichte und Abbild der Fahndung nach Streikbrechern in herkömmlichen Streiks. Bemerkenswert ist dennoch, dass das Team den Entlassenen nicht zugunsten von zu erwartenden Torprämien im Stich lässt, sondern zu einer darüber hinausgehenden Solidarität GEGEN die Nation und zu erwartende Schecks in der Lage ist.

Wie sehr dieser Bruch mit dem Gesetz die nationalistischen Massen irritiert ist in den Kommentarzeilen nachzulesen, die die Meldungen begleiten. Da findet die neue deutsche Innerlichkeit ihr grenzübergreifendes Äußeres. Eine kleine Partitur wird im Folgenden gereiht:

Der liberale Bildungsbürger mit Ressentiment schiebt alles auf die Bildung:

„Meine Güte! Es geht um fußball! Um ein Spiel!

Da sind keine Politiker oder Könige oder Präsidenten der Nationen auf dem Spielfeld, die ihr Land repräsentieren sollen. Die sollen Fußball spielen und fertig. Und wenn einem mal der Gaul durchgeht und er in der KABINE einen unflätigen Satz raushaut – was soll’s. Sind eben Fußballer. Wahrscheinlich ebenso aus den bildungsfernen Schichten wie die, die bei uns in den Vereinen spielen. Was will man da erwarten?“

Dabei wäre gerade von gebildeten Leuten zu erwarten, dass sie eine gut pointierte Beleidigung an Ort und Stelle plazieren können und nicht „innere Reichsparteitage“ abhalten, wie sich eine Reporterin den Gemütszustand in einem unter Druck gesetzten deutschen Fußballer in einem genialen Kurzschluss vorstellte. Dass sie also zu Streik und Solidarität mindestens so gut in der Lage sind wie das von ihnen bespottete Proletariat.

Ein Holzfuxx vertritt die deutsch-nationalistischen, wenngleich frankophilen Schlußstrichzieher:

„Frankreich so der Lächerlichkeit preiszugeben, hat die „Grand Nation“ wirklich nicht verdient. Die FIFA sollte einen Schlußstrich setzen und die französische Mannschaft aus dem Wettbewerb ausschliessen. Den Namen „Nationalmannschaft“ hat sie nicht mehr verdient. Eine Schande für alle anderen Fussballspieler der Nation.“

Die französische Bildungsministerin spielt ganz volkspädagogisch die autoritäre Geige:

Die Bildungsministerin Valérie Pecresse warf im Laufe des Tages die Frage auf, wie man eigentlich von jungen Leuten noch erwarten wolle, ihre Lehrer zu respektieren, wenn sie Anelka sähen, der seinen Trainer beleidigt.

Hierzulande sind die Lehrer eher umgeben von ethnopluralistischen, streikfeindlichen Dorfnazis, die sich auf Blogs wie diesem hier tummeln:

„Die französische “Nationalmannschaft” ist ein Witz, ein Schlag ins Gesicht für jeden authochtonen Franzmann. Unsere “deutsche” Mannschaft ist aber auch nicht viel besser – ich fühle mich nicht von Moslems wie Özil repräsentiert ! Ich hab den Serben ihren wohlverdienten Sieg gegen unser islamisiertes Multikultiteam deshalb auch von ganzem Herzen gegönnt ! Serbien ist so ein kleines Land, und doch brauchen sie anscheinend keine importierten “Talente”, um erfolgreich zu sein ! Und schon gar keine Moslems !!!“

Oder einen „kamille“:

„der zum Is lahm konvertierte Anelka zeigt sein wahres Gesicht. Keine Spur von göttlicher Inspiration oder frommen Lebenswandel. Die Religion des Friedens scheint eher ein Sammelbecken für gestörte Afrikaner zu sein (Tyson, Jackson, Clay)“

Die Kakophonie breche ich mit Kommentar aus Frankreich ab:

„Sie haben die Träume ihrer Landsleute, ihrer Freunde und ihrer Fans zerstört“, teilte die Sportministerin mit. Auch Wirtschaftsministerin Christine Lagarde, eine ehemalige Synchronschwimmerin, verurteilte den Trainingsboykott der Spieler am Sonntag: „Auch ich habe die Nationalfarben getragen, ich bin erschüttert.“

Zumindest auf diese Erschütterung des deutschen, französischen und sozialistischen Patriotismus in seinen Grundfesten trinke ich heute abend ein Glas Merlot!

Flimmo – medialisierte Äquidistanz

Flimmo heißt ein von zahlreichen illustren Institutionen gefördertes Magazin, das als Programmberatung für Eltern fungieren will. So ein Unterfangen ist gerechtfertigt und vielversprechend – wäre es nicht von einer Ideologie des Pazifismus durchsetzt.

„Während die Mädchen Abenteuergeschichten wie Nils Holgersohn (KI.KA) oder Zauberhaftes wie Bibi Blocksberg (ZDF) ankommen, sind bei den Jungen Actioncartoons angesagt. Dabei steht der Kampf Gut gegen Böse im Zentrum der Aufmerksamkeit: „Avatar hat halt besondere Kräfte. Wenn da böse Leute kommen, kämpft er mit denen.“ (Ben, 7 Jahre). Die Vorliebe für unbesiegbare Helden spiegelt das Bedürfnis der Kinder nach Selbstbehauptung. Gerade bei Grundschulkindern, die sich häufig gegenüber den „Großen“ durchsetzen müssen ist das durchaus nachvollziehbar. Trotzdem sollten die Eltern den Umgang mit der Actionkost im Auge behalten. Viele führt der Wunsch nach Action früher oder später auch ins Erwachsenenprogramm oder in den Spielemarkt. Bewegen sich die Jungen überwiegend in medialen Actionwelten, besteht die gefahr, dass die Idee von der gerechtfertigten Gewalt an Überzeugung gewinnt.“

„Avatar“, diesen durchdachte Synkretismus aus Aufklärung, Emanzipation, Psychoanalyse und esoterischem Buddhismus, habe ich vor allem mit Mädchen gesehen – die in dieser Serie sehr gleichberechtigt auftreten. In Ghana, wo ein einfacher Straßenhändler dank chinesischer Raubkopien über mehr Filme verfügen kann, als eine durchschnittliche Mediathek in einer Mittelstadt, wurde „Avatar“ seit Mitte 2009 auf raubkopierten DVDs vertrieben. Ich schenkte der achtjährigen Tochter meiner Gastfamilie die vollständige Sammlung, die mich etwa 5 Euro kostete. Sie war begeistert, ich auch, da mir so die letzten zehn fehlenden Folgen zugänglich wurden.

Eine Frau war es auch, die in meinem Beisein in einem kleinen Nest im Norden Ghanas ihrem Priester ihre Version des Christentums erklärte – es gebe kein Leben nach dem Tode, das sei äußerst unwahrscheinlich. Sie glaube an den Judgement Day, dass Gott die Bösen, „the wicked“ strafen und töten werde und dass dann Frieden auf Erden sei. Sie hatte ihre Bibel studiert und sich ihre Gedanken dazu gemacht. Später wurde sie von ihrem Manager entlassen, weil sie dessen Avancen abgelehnt hatte.

Ich weiß nicht, was sie dazu gesagt hätte, wenn es im „Flimmo“ für kinderfreundlich erklärt wird, „gerechtfertigte Gewalt“ auszuschließen. Im Flimmo werden jedenfalls wie in Ghana magische Phantasieprodukte wie Oger, Feen und Hexen und sogar „Tom und Jerry“ völlig akzeptiert und führen nicht etwa zu einer Abwertung der Filme wie im Falle von „Verbotene Liebe“: „Der Umgang mit den oft konstruierten Konflikten ist reichlich oberflächlich.“

Keine einzige der oft reaktionären Disney-Produktionen wird als bedenklich eingestuft. Zahlreiche andere Produktionen werden abgekanzelt: „Die Gewalt wird im Konflikt zwischen Gut und Böse als legitimes Mittel eingesetzt.“  („Legend of the Seeker – Das Schwer der Wahrheit“) Die größtenteils harmlose Serie „Stargate“ wird kritisiert, weil: „Gewalt wird gutgeheißen, um die Sternentore erfolgreich bewachen zu können.“ Flimmo hätte es wohl besser gefunden, wenn die Stargates sich unter Wasser befinden würden und von reizenden Meerjungfrauen mit Wespentaillen und putzigen Zauberstäbchen bewacht würden.

Unkritisiert gehen nämlich durch: „Zoés Zauberschrank“, „Verbotene Geschichten – Als Jesus unerwünscht war“, „Unsere zehn Gebote“ (!), „Troop – Die Monsterjäger“, „Die Schule der kleinen Vampire“, „Mona der Vampir“, „Die Meeresprinzessinnen“, „H2O-Plötzlich Meerjungfrau“, „Golo, der Gartenzwerg“, „Glücksbärchis“, „Extreme Ghostbusters“ und erstaunlicherweise „Futurama“ – während von „Southpark“ abgeraten wird.

Wie eine solche Auswahl zustande kommt ist nicht weiter durchsichtig. Klar ist allerdings: Gewalt im Kampf gegen das Böse ist anscheinend nicht akzeptabel – während noch die absurdesten und verkitschtesten Meerjungfrauenhistörchen unkritisiert bleiben.

Artikel

In der IZPP erschien just mein neuer Artikel mit dem Titel:

Somatisierte Geister – Über Leckagen und medial vermittelte Krankheitskonzepte im ghanaischen Film

Über Kritik und Anregungen freue ich mich.

Vincent will Meer und die Anorexie

Zwangsneurose, Tourette-Syndrom und Anorexie werden in „Vincent will Meer“ zusammengeführt. Der  unterstellte Anspruch, nicht in Publikumsbelustigung zu verfallen schlägt fehl. Im zahlreichen Publikum flackert zu oft und an zu programmierten Stellen ungutes Gelächter auf. Das Beängstigende an allen Krankheiten rückt ins Behagliche, kein Bruch lässt etwas zu nahe kommen, alles ist berechenbar oder irgendwie niedlich. Der Zwangsneurotiker ist erstaunlich kompromissbereit – was echte Zwangsneurotiker und das Leiden derer, die von ihren Neurosen wie etwa der Waschzwang terrorisiert werden verharmlost. Der Tourettiker kommt so jungdynamisch daher, dass man mit ihm über ihn lachen darf – die Gewalt, die ein heftiges Tourette-Syndrom hat, bleibt unbesprochen im berechtigten Versuch, Akzeptanz für ein mildes Tourette-Syndrom einzuwerben. Mir begegnete einmal im Zug ein vollständig verwahrloster Mann, der von einem schrecklichen Zwang getrieben stets den gleichen, nur gering variierten Fluch vor sich hinbrüllen zu müssen – ohne Pause und stundenlang. Ein Film über einen solchen Menschen wäre ein Melodram und ein solches ist außerhalb Afrikas allenfalls für die Sparte der pseudointellektuellen Dramen vorgesehen.

Am glaubhaftesten und interessantesten kreist der Film um die Figur der Anorektikerin. Hier leistet der Film Aufklärungsarbeit an einem sehr entscheidenden Punkt: Die Protagonistin lehnt das Essen ab nicht weil ihr jemand wie in der Modebranche befiehlt zu hungern, sondern im Gegenteil: Weil ihr jemand befiehlt zu essen.

Lookism-AktivistInnen finden in Plakatwerbungen eine Quelle für Anorexie und machen so aus den Leidenden passive, von patriarchalen Blick-Regimes gelenkte Objekte, die man vor der Manipulation schützen müsse. „Vincent will Meer“ lenkt den Blick auf die hochnarzisstischen Aspekte, denen eine Magersucht folgen kann. Der Ekel, den die Filmfigur vor dem Essen hat, wird zu einem vor der körperlichen Abhängigkeit der „Anderen“ erklärt, die „das Essen so in sich hineinstopfen“. Die Kontrollen des Pflegers und der Heimleiterin erregen nur zwangsläufig Trotz. Wahnhafte Autonomie wird mit Selbstverletzung erkauft.

Und noch ein zweiter Aspekt ist möglich – im Verzicht auf das Essen wird narzisstische Libido erhalten. Wer auf die Verlockungen der mit kulinarischen Köstlichkeiten mehr denn je gesegneten westlichen Welt mit Ablehnung reagiert, muss eine andere, innere Quelle für diese Lust haben. Dass man von Luft und Liebe leben könne ist nicht nur ein Sprichwort – die Anorektikerin im Film scheint Selbstliebe nur behaupten zu können, indem sie vorgibt, sich selbst genug zu sein und somit in sich selbst einen adäquaten Ersatz für das Essen gefunden zu haben. Der Ekel vor sich selbst kann dann als einer auf das Essen und „die Anderen“, die die Einzigartigkeit in Frage stellen, artikuliert werden. Fatalerweise führt dieser Komplex dann auch in den Kollaps und die tödlichste der Krankheiten bleibt auch im Film ungeheilt. Während Vincent seine Wunschprojektion auf das Meer, ein Fremdes und im Film zugleich die Mutter repräsentierendes, richtet, bricht die Anorektikerin beim Anblick desselben zusammen. Die Liebe der Anderen ist kein Heilmittel, solange nicht der Narzissmus einen anderen Weg zur Selbsterhaltung gefunden hat als über den eigenen Körper und in Akzeptanz der eigenen Verwundbarkeit und Sterblichkeit. Die verleugnete Suizidalität auf Raten sucht im Film Komplizen – was allein der expressive Zwangsneurotiker erkennen kann, der seinen Narzissmus vollständig an der Außenwelt ausagiert und nicht gnostisch nach innen richtet. Ihm wiederum wirft die Anorektikerin vor, „nichts zu sein“ ohne seine überkontrollierte Außenwelt.

Im antipsychiatrischen Gestus spekuliert die Geschichte auf die heilsame Kraft eines Ausbruchs. Diejenigen, die darunter leiden müssen, werden zu verschrobenen Figuren verkitscht, denen es halt an Anpassungsfähigkeit mangelt. Dass es dem Tankwart überhaupt keinen Spaß macht, überfallen zu werden und somit seinen Arbeitsalltag auf lange Sicht von zusätzlichen Stressoren begleitet sehen muss, ist ihm in seinem ungastliches Äußeren aberkannt. Das Publikum soll mit dem Extralegalen als prozessual Erlaubtem im Liminalen sympathisieren dürfen, das ist das Gesetz eines jeden Roadmovies von den drogenschmuggelnden Easy-Riders über die RäuberInnen Bonny & Clyde und Thelma & Louise bis hin zu Baise moi. Da die angedeutete Heilung zweier Charaktere am Ende des Filmes stattfindet, wird das Leiden der Bystanders als notwendiges Übel oder schlimmer noch als gerechtes Exempel definiert, das Strafe ist für die generelle Inkompetenz der Gesellschaft im Umgang mit psycho-affinen Störungen. Die Geschichte braucht die Schrulle des asexuellen Tankwartes, der nur durch politischen Druck eingeschüchtert werden kann, mehr als ihr bewusst ist. Nur so kann sie den Übertritt angemessen inszenieren, den das Publikum sich mehr wünscht als echte Zwangsneurotiker und Tourettiker. Leiden wird subversiv und zugleich Krankheit relativ. Eine solche pubertäre Subversivität ist eine Unterstellung für langjährige Leidende. Dennoch, und darin ist der Film wiederum gut: Die Adoleszenzkrise wird als eigene Dimension hinter den Symptomen verhandelt. Heilung bedeutet für den Tourettiker primär Autonomie von der Diktatur des Vaters und das Trennen des Syndroms von den damit assoziierten Komplexen der Umwelt. Somit folgt der Film als gegen die Verhaltenstherapie gerichteter implizit dem psychoanalytischen Paradigma: Eigene und fremde Anteile am Leiden zu trennen und somit die fremdverursachten Probleme und gesellschaftlichen Konfliktebenen besser konfrontieren zu können.

Früheres zu Anorexie:

Pro-Ana: Eine Erweckungsbewegung?

Die Abwehr des Genießens in der H&M-Werbung und der Hartz IV-Debatte.

Hero unalyzed

Als ich Hero das erste Mal im Kino sah, war ich begeistert, entrückt und zugleich sehr skeptisch: Das Ende begünstigt durchaus eine faschistoide Interpretation. Der mit dem Absolutismus durchgesetzte Zentralstaat solle „Allen unter dem Himmel“ zu Gute kommen? Die Massenästhetik knüpft an die faschistischen und stalinistischen Staats-Inszenierungen an. Dann sah ich den Film erneut und diesmal mit einem anschließenden Vortrag eines Psychoanalytikers, der in China lehrt und zugleich sehr auf die kulturell bedingte Differenz von Interpretationsmöglichkeiten bedacht war. Die unter dem Vorzeichens eines „Wir Europäer, Kinder der Aufklärung“ geleistete Interpretation allerdings klang mir zu transkribierend – der Namenlose als Ich-Erzähler sei Hülle der aufgespalteten Erzählvarianten, erfahre einen klassischen ödipalen Konflikt mit dem König-Vater. Das Ganze sei mehr oder weniger ein Bewältigungsdrama eines Waisenjungen, der seine Aggressionen kontrollieren lerne. Das ist natürlich eine grobe Verkürzung der interessanten Thesen des ehrenwerten Analytikers.

Ich assoziierte damit eine unzulässige Art und Weise, therapeutische, auf Diagnostik eines im Film als Patienten ausgemachten Charakters bedachte Psychoanalyse an Filme heranzutragen. Und nicht einmal die ist konsequent: Für die Interpretation des Königs als Symbol-Kind mit infantilen Verschwörungs- und Verlustängsten spricht viel, ebenso für seine mütterlichen oder väterlichen Attribute. Triangulierung wäre ebenso ein zentrales Thema für den Namenlosen wie der ödipale Tochter-Mutter-Konflikt zwischen Weiter Himmel und Fliegender Schnee oder der Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt zwischen den Liebenden Zerbrochenes Schwert und Fliegender Schnee. Filmanalyse kann nicht eine der Charaktere im Film sein. Das Objekt der Filmanalyse ist ein kompliziertes Geflecht aus Regisseur, Drehbuchautoren, SchauspielerInnen, gesellschaftlichen Zuständen und vor allem: dem Publikum. Was im Subjekt passiert, wenn es den Film sieht, steht zur Debatte – was ein Idealsubjekt im Film an Pathologien oder Mustern aufweist ist nur in Bezug auf die ausgelösten Assoziationen und die Rückbindung an das Gefühlsleben des Publikums  relevant. Das filmisch erfolgreiche Idealsubjekt ist vollgeladen mit Ambivalenzen – um überhaupt bei einer Masse von Individuen kontroverse Gefühle und Identifikationsmechanismen auszulösen. So kann eine Filmgeschichte wie Star Wars von der therapeutischen Analyse nur wiederholt werden– zu offenbar ist der Vater-Sohn Konflikt, als dass sich eine Analyse noch lohnen würde, die nur Oberflächensymptome abtastet. Erst die feinen Ambivalenzen und Nuancen, die in und neben den Charakteren aufleuchten, machen diese interessant, das Weggelassene, Zensierte und dessen rätselhafte Wirkung auf eine Generation von Fans. Es sind die Brüche im allzu Glatten, die Verleugnung und Verfremdung der filmischen Traumarbeit, die tatsächlich Aufschluss geben könnten über ein Verborgenes.

Verborgenes wohnt den gegen Sprache versprödeten Gefühlen von traumhaften Expressionismen inne. Der Anblick eines in „Hero“ inszenierten Pfeilhagels über den stoisch weiterarbeitenden KalligraphInnen löst zumindest in mir etwas aus, das sich kaum fassen lässt und erst in dieser Sprachlosigkeit und somatischen Reaktion auf visualisierte Objektwelten wird Psychoanalsye interessant. Todesverachtung, Autoaggression, Hingabe, Aufgabe, Objektbesetzung, Angstlust, Masochismus, Narzissmus, Edelmut, Liebe – all das sind verarmte Begriffe, die jeweils nur eine Facette des Brillianten ausmachen, der da geschliffen wurde und das Weglassen nur einer der Facetten verändert dessen „Feuer“. Wie wäre eine Psychoanalyse der Farben, die in „Hero“ so sinnlich verteilt werden zu leisten ohne die Voraussetzung, dass solche Farbwüsten an eine Erfahrung anbinden, die ein ästhetisches Befremden auslöst? Während die Monochromie Ränder und Formen verschwimmen lässt macht sie in der kolorierten Omnipräsenz umso deutlicher, dass etwas fehlt, übermalt und geleugnet wurde. Sie verspricht im Überangebot der einen Farbe die Präsenz aller Farben und ist damit mehr Schwarz-Weiß-Film als Farbfilm. Die elegischen chinesischen Harfen schaffen ein akustisches Environment, das an Erzählgewalt den Stummfilm aufleben lässt. Noch unmöglicher erscheint es mir, jene haptische, fast olfaktorische Taktilität zu erfassen, die das Wasser in Hero allein durch seine Präsenz und in der Zeitlupe erfährt. Alleine eine religiöse Huldigung des Elementes selbst, eine Hommage an das Wasser, wäre als Umschreibung angemessen – arrogant wäre es, das Wasser hier zum Symbol für etwas, etwa einer mütterlichen Sexualität zu reduzieren. Jene quecksilbrige, schwermütige Stofflichkeit, das metallische dingliche Schwappen in der Zeitlupe würde dem Gefühlsraum entzogen. Das Fliegen der Kampfkunst als kindische Größenphantasie zu fassen wäre selbst kindisch – so hat man sich schon immun gemacht gegen den Traum, den sich der asiatische Film gegen den politischen Realismus zu sein traut. Gerade hier wird nicht der Kitsch der Reproduktion des realen Lebens geleistet, nicht Werbung für das jeweils Aktuelle oder politisch dringliche angedreht, sondern Trauerarbeit geleistet und damit tiefer reflektiert als durch eine Feierabend-Dokumentation über Zustände in Wanderarbeiterslums. Das Diktat der Information und ihrer bürokratischen Verteilung an die berufsmäßig Interessierten wird in „Hero“ gebrochen durch die absolute Dominanz einer Symbolwelt, die jeden über das Vorfindliche zu informieren vorgibt. Die Absage an den Realismus, die „Hero“ leistet, eröffnet nicht eine Utopie oder Handlungsanweisungen, sondern Bilder der Vergangenheit, die immer schon gefärbte sind, vom Urteil gefälschte Erfahrungen.

Es mag kein revolutionärer Kern darin stecken, keine großartige System-Kritik und die maoistische Regierung mag darin ob zu Recht oder Unrecht einen Kotau vor ihrem eigenen Wahn erkennen und den Film in Schulbücher einführen. Missverstandene Werke und Filme gab es zu häufig, um sich auf diese Vereinnahmung einzuschießen – von Nietzsche bis Adorno wurden Philosophen und Künstler beschlagnahmt, ohne dass das eine Rechtfertigung wäre, sich nicht mit ihnen auseinander zu setzen.

„Hero“ insistiert bei allen reaktionären Angeboten darauf, Geschichte als diskursiv zu begreifen, als unterschiedlich kolorierte Wahrnehmungen von Ereignissen, die immer schon unwahr sind und am unendlichen, im Mysterium verbleibenden Leiden der Individuen Verrat üben. Das schließt das Goutieren der Einheitsgeschichte der Maoisten aus. Und zu deutlich feiert der Film das Individuum in all seiner Fehlerhaftigkeit, die durch die zur Schau getragene Perfektion nur unterstrichen wird. Mit den AttentäterInnen identifiziert sich das Publikum, nicht mit den schwarzen Massen, an denen allein Unheimliches, Sado-Masochistisches sich verdichtet. Der Einzelne kann in „Hero“ die Geschichte verändern, straff organisierte Massen hinwegfegen, die nutzlos gegenüber dem Willen und der Kampfkunst eines Einzelnen bleiben und erschlafft zu Boden fallen. Dass zwei Individuen einen Platz stürmen, der vor lauter Militär nicht zu erblicken ist – das ist eine posthume Wunschprojektion, die das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens umkehrt. Nicht die Gewalt ist es im Film, die entscheidet, sondern die Einsicht und der Plan. Geist, freie Willensentscheidung und zuletzt: freie Information von Individuum zu Individuum, wie in dem Schriftzeichen, das Zerbrochenes Schwert dem Namenlosen widmet, triumphieren über Propaganda und Gewaltherrschaft. Die Kalligraphie-Schule als chinesisches subversives Internetcafé zu interpretieren, strapaziert die Analyse, liegt aber durchaus im Bereich der möglichen Assoziationen und – sicherlich unbeabsichtigten – subversiven Effekte. Die Lüge des zwanzigsten Schriftzeichens für Schwert ist einer kritischen Lektüre offensichtlich – „Alle unter dem Himmel“ bedeutet in der Welt des fetischistischen Staatsapparates die Opferung des Einzelnen zugunsten einer amorphen, wenig utopischen Masse, nicht die Bewahrung aller Einzelnen. Der Tod des Helden ist nicht die Synthese – die Lücke zwischen den Pfeilen, die die Umrisse seines Körpers bilden, ist eine Leerstelle, die nicht aufhebbar ist, die auch ein Staatsbegräbnis nicht füllen kann – sie fehlt für immer und „Alle unter dem Himmel“ sind immer schon einer weniger. Innerhalb der Filmphilosophie wäre Protest von den Intelligenteren zu erheben, dass „Alle unter dem Himmel“ eine Grenze individueller Revolution gegen den Fetischismus aufzeigt, der von Einzelnen nicht durchbrochen werden kann. Der Wille aller zum Frieden um jeden Preis ist es im Film, der das Entsetzliche, die Zurichtung der Individuen zu einem schwarzen Mob, möglich macht und so Frieden zur Friedhofsruhe werden lässt. Frieden um jeden Preis ist auch die aggressive Seite, die Zerbrochenes Schwert so hinterhältig Fliegender Schnee aufzwingt: Seine gnostische Hinwendung zum inneren Exil will der ritualisierten Gewalt entkommen – und wird autoaggressiv. Der Ruf nach Frieden durch Einheit gegen den Nationalismus mag verfangen – kaum jedoch die bewusstlosen und farblosen Armeen und ihr unterm Isolationstrauma leidender Herrscher. Die vom Regisseur organisierte Show zur Olympiade war Propaganda – „Hero“ ist nur unter Zensur der genannten Elemente auf dieselbe zu reduzieren.

Terra preta – humoses Glücksversprechen

Dass die Wertschöpfung auf zwei Achsen ruht, wusste Marx sehr gut. Nicht nur die Arbeitskraft des Menschen, auch die drastische Vernutzung von natürlichen Rohstoffen wird im „Kapital“ benannt. Manche vermeintliche Ökorevolution, die sich als Langzeitsicherung des Verwertungsprozesses anbiederte, entpuppte sich im Nachhinein als Verschlechterung. Palmöl beispielsweise wurde unter anderem von den Grünen als nachwachsender Rohstoff auf die Agenda gesetzt und massiv subventioniert – mit dem Ergebnis der Verwüstung indonesischer Wälder für Palmölplantagen. Den zurückbleibenden Orang Utans bleibt nicht anderes als die Palmensprosse abzuknabbern – wofür sie von den Plantagenarbeitern gefangen, getötet und verkauft werden.

Nun soll eine Wiederentdeckung – Terra Preta genannt – die Welt retten. Terra Preta soll gigantische Erträge ohne Dünger liefern und nachwachsen. Terra Preta ist im Prinzip ein oridinärer Humus, der mit Holzkohle angereichert wird. Dass prähistorische Siedlungen solche Böden produzierten ist eigentlich eine recht simple Schlußfolgerung, deren empirischer Nachweis kaum anstrengend gewesen sein dürfte. Man jubelte über solche Böden am Amazonas, unterschlug aber, dass der Brandrodungswanderfeldbau im Prinzip nichts anderes bedeutet, als Holzkohle in den Boden einzubringen. Hinzu kommen Flussniederungen, an denen auch im Amazonas reichlich Humus angeschwemmt wird, der mit der überaus verbreiteten Technik der Fäkalienzugabe längerfristig haltbar gemacht wurde. Dass sich hier noch Knöllchenbakterien ansiedeln, die Stickstoff aus der Luft binden und Pilzmyzele kräftig arbeiten ermöglicht wie überall das Anwachsen einer Humusschicht, sofern Erosion unterbunden wird. Aus dem gleichen Grund wird Leguminosenanbau und Gründüngung noch in der konservativsten Bauernzeitschrift propagiert. Eine „geniale“ Entdeckung ist das Ganze nicht – lediglich die Zugabe von Holzkohle und die in weiten Teilen bereits vorher erfolgte Erforschung ihrer Funktion als Puffer und Speicher für Nährsalze ist bedingt innovativ.

Die Avantgarde solcher Entdeckungen sind stets KleingärtnerInnen. Die vergruben schon immer Hochmoortorf im Garten, um ihr grünes Paradies mit Azaleen und – man ist im Geiste immer der Krise verpflichteter Selbstversorger –  Blaubeeren zu bestaunen. Im nahegelegenen abgetorften Moor starben dafür Sonnentau, Wollgras und arktische Moosjungfer aus. Nun kommt Terra Preta in Mode und man fragt sich als Skeptiker: Woher wird diese Holzkohle kommen?  98% der in Deutschland verbrauchten Holzkohle wird importiert – aus Argentinien, Paraguay, Polen und tropischen Ländern. Natürlich wird das begeisterte avantgardistische KleingärtnerInnentum nicht aus dem verbuschenden Trockenrasen von nebenan kratzige Schlehen schlagen und im Garten verkohlen. Die Gartenbank ist aus Tropenholz, Regale und Fensterrahmen ohnehin. Wieso nicht auch die Gartenerde? Ein neues Auto zu kaufen und Holzkohle im Garten zu vergraben ist attraktiver als einen Wald zu pflanzen, den man niemals zu Gesicht bekommt. Die Entwaldung ganzer Landstriche hat allerdings einen stärkeren Einfluss auf lokale Wasserhaushalte als jeder Klimawandel.

Im Tschad ist die Verwendung von Holzkohle bereits offiziell verboten. In Ghana ist Holzkohle wie in den meisten afrikanischen Ländern der dominierende Energieträger. Ein mannshoher Sack davon kostet 4 Euro und reicht einer kleinen Familie etwa einen Monat, vielleicht zwei. Weite Teile Nordghanas sind durch – weitgehend ineffiziente – Verkohlung und Jagdfeuer zu Buschland degeneriert, das tropische Grün im Süden besteht bei näherem Hinsehen aus nur etwas üppigerem Buschland und Sekundärwald – der in der nebenstehenden Grafik leider etwas undifferenziert ebenso gelb gezeichnet wird wie die Monokulturen, Plantagen, Äcker und Steppen. Holzeinschlag in die verbleibenden geschützten Wälder findet hier unter schwerer Bewaffnung statt, Sklaverei und extreme Ausbeutung sind in solchen kriminellen Unternehmungen  wie bei der Fischpiraterie die Regel. Die Elfenbeinküste verfügt nur noch über 2% Primärwald, 99% der Schimpansenpopulation sind verschwunden. Und durch das Zusammenspiel von Marktwirtschaft und korrupten Eliten wird die entwaldete Fläche nicht etwa in Terrassen oder irgend fruchtbaren Ackerboden umgewandelt. Die Vernutzung von entwaldetem Land schreitet sehr viel schneller voran als im gemäßigten Klima. Das sind Probleme, die weitaus konkretere, berechenbarere Ursachen und Folgen haben als ein moderner Dämon wie Klimaschwankungen.

Israel  ist übrigens Vorreiter in der Trockenwald-Forstwirtschaft – am Rande der Negevwüste breitet sich neuerdings der trockenste Wald der Welt aus.

Mondäne Orte – über Pornographie und Tourismus.

Das touristische Verhältnis zu Zielgebieten ist ein pornographisches wie das pornographische Verhältnis zu Körpern ein touristisches ist. Beiden eigen ist die Schaulust, die sich permanent als masochistisch-frustriertes Verlangen inszeniert – Zusehen und doch nicht teilhaben können, wollen, müssen, dürfen. Im pornographischen Akt werden so viele als möglich in einer Beziehung erfahrbare Optionen der gegenseitigen Intimität auf grotestk-sportive Weise  verdichtet. Die 5-10.000 täglichen TagestouristInnen auf Capri handeln nicht anders, wenngleich aus ökonomischem Interesse: Sie möchten – mich eingeschlossen – dieses  in einem Tage erfahren – die blaue Grotte erkunden, das Negligé der aufreizenden Kleinstadtfassade von Nahem erkunden, die höchsten Klippen besteigen und letzlich von dieser hohen Warte aus alles sehen. Weiterlesen

Die Abwehr des Genießens in der H&M-Werbung und der Hartz IV-Debatte

„Ein glückliches Zeitalter ist deshalb gar nicht möglich, weil die Menschen es nur wünschen wollen, aber nicht haben wollen, und jeder einzelne, wenn ihm gute Tage kommen, förmlich um Unruhe und Elend beten lernt. Das Schicksal der Menschen ist auf glückliche Augenblicke eingerichtet – jedes Leben hat solche –, aber nicht auf glückliche Zeiten.“ (Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches, § 471)

Gesellschaftliche Tendenzen bergen für den misstrauischen und erst recht für den paranoiden Charakter den Geruch der Verschwörung, der Manipulation. Die Vermitteltheit dieser Trends mit dem individuellen Unbewussten geht durch diese Wahrnehmung verloren. Die Tendenz, im öffentlichen Raum offensichtlich am Rande des Verhungerns stehende und von Heroinkonsum gezeichnete Menschen in massentaugliche Modewaren zu stecken und in grotesken Verrenkungen zu inszenieren ist mitnichten nur das Werk einzelner sadistischer Modepäpste. Deren Fehlbild vom Menschen ist ein durch kollektiven Druck geformtes, es hätte keine Gewalt ohne das Bedürfnis.

Ein zweites Phänomen: Nach den Urteilen zur Verfassungswidrigkeit der Sozialhilfesätze springt ausgerechnet der Vertreter der liberalen Partei, Westerwelle, in die Bresche und erklärt Sozialhilfeempfänger zu dekadenten, das Leben in vollen Zügen genießenden Menschen, die auf diese Weise einen „Untergang“ wie jenen Roms verursachen könnten. Sein kaum unter Parteikomplizenverdacht stehender Gesinnungsgenosse erklärt wenige Wochen später seine Philosophie zum angemessenen Leben ohne Einkommen: „Kalt duschen ist doch eh viel gesünder. Ein Warmduscher ist noch nie weit gekommen im Leben.“

Die offene Homophobie in diesem – gesinnungsgleichen – Angriff auf den homosexuellen Außenminister bleibt in den Kritiken unbesprochen. Sie ist ebenso massentauglich wie das Ressentiment beider. Und sie verläuft synchron zum Modetrend.
Das „obszöne Genießen“, das Žižek mit Lacan als ödipale Zuschreibung an den Vater schildert, hat der Gesellschaft Hass eingeflößt. Lust, die nicht schon mit dafür erlittenem Elend verrechnet werden kann, wird auf unerträgliche Weise zur Schuld. Daher die kollektiv-individuelle Lust beim Anblick derer, die eine vermeintlich glückliche Welt vertreten und als Zeichen dafür das symbolische Elend in ihre Körper skulptieren. Wo der durch und durch berechnete Wiederholungszwang der Mode kaum noch ästhetische oder künstlerische Kriterien oder gar Originalität aufwarten muss, tritt eine andere Botschaft in den Fokus: Nicht wird durch das Produkt Glück versprochen, sondern durch die Entsagung, mit der das Produkt erkauft wird. Das Produkt wird zum Attribut der Entsagung, nicht zum Zweck. Meine Entsagung betone, ja unterstreiche ich mit den entsprechenden Größen, in denen jene Kleider ausschließlich erhältlich sind. Sie ist zum Ziel der Mode geworden, nicht umgekehrt. Die Orgien der Stars sind „Privilegien, an denen keiner rechten Spaß hat und mit denen die Privilegierten sich nur darüber betrügen, wie sehr es im glücklosen Ganzen auch ihnen an der Möglichkeit von Freude mangelt“ (Adorno, MM 360). Mehr noch, sie zelebrieren für alle, dass jenes Glück keines ist. Nicht die glücklichen Stars sind Role Models, die unglücklichen sind es. Der Drogenrausch der 1970-er versuchte mit Genuß die erlittene Kastration zu bezahlen. Dieses Genießen ist ein „von Beginn an Verlorenes“ wie Žižek sagt. Seine extreme Steigerung belegt nur seine völlige Abwesenheit ebenso wie heute. Der Luxus wird um Leere errichtet, die edlen Tuche flattern um Gerippe.

Ebenso konsequent richten sich Westerwelle und Sarrazin zu. Der bombastische Reichtum, den Deutsche noch kultivieren, darf um keinen Preis als Genießen erscheinen. Reiche und Arbeitslose sollen gleichermaßen keine Lust am Leben haben. Wo Zeichen des Genusses erscheinen, droht der Untergang durch Dekadenz, sei es durch den Zusammenbruch des Staates oder durch die Klimakatastrophe. Nicht aus purer Feindschaft gegen den Genuss sondern aus der Verzweiflung über dessen Unmöglichkeit speist sich die Bösartigkeit, mit der Westerwelle und Sarrazin ihre Projektionsflächen attackieren. Das richtet noch jene Lust zugrunde, die an ihrem Versprechen selbst aufflackert, die also Vorfreude auf echte Freude sein könnte. Die Deutschen, als kulturelle Kategorie verstanden, haben sich mit der Kastration identifiziert – weil Lust unmöglich ist, wird sie selbst zum Feind erklärt. Der Garten Eden wird zum drohenden Symbol der Kastration, wenn man ihn nicht haben kann, so ist er schlecht, spätrömisch und dem Untergang geweiht. Die jüdische Religion hat eben aus der Unmöglichkeit von Lust nach der Vertreibung aus dem Paradies die Forderung nach allem, was an diese Lust erinnert institutionalisiert. Der alkoholische Exzess ist Bestandteil des Ritus, die sexuelle Lust der Frau in der Ehe ein verbrieftes Recht, eine Mizwa.

In Deutschland behütet der Staat die Individuen vor ihrer eigenen Lust gerade dort, wo er verspricht, sie zu ermöglichen. Die letzte Lust der Deutschen bleibt die, jene der anderen zu verunmöglichen. Aus lauter Genugtuung über die sichtbare Selbstkasteiung der Plakatgespenster kaufen sie die Symbole dessen, die Kleider die sie tragen. Es ist nicht mehr der Kaiser, der nackt durch die Straße läuft – es sind die Kleider.

Slavoj Žižek: Liebe dein Symptom wie dich selbst. Zitate S. 108.

Theodor W. Adorno: Minima Moralia.

1.3.2010, Süddeutsche: Sarrazin: „Warmduscher sind nie weit gekommen.“ http://www.sueddeutsche.de/politik/438/504648/text/

Friedrich Nietzsche: Werke. Menschliches und Allzumenschliches.

Spongebobs Closeups

„Es könnte sogar sein, daß nur das Grauen, selbst das in der Vorstellung erfahrene, mir gestattet hat, dem Leeregefühl der Lüge zu entrinnen…  Ich halte den Realismus für einen Irrtum.“ (Georges Bataille: „Das Unmögliche“)

„Riechen Sie das? Dieser Gestank…dieser stinkende Gestank…dieser stinkende Gestank, der stinkt…die Sache stinkt!“ (Eugene Herbert Krabs: „Aushilfe gesucht“)

Von Zeit zu Zeit sollte man auf frühere Gedanken hören, ihre Zeitkerne aushöhlen und zerknabbern. In „Kritik der marinen Ökonomie“ lag bereits der Akzent auf eine anhaltende ernstgemeinte Reflexion auf das bedeutendste Reproduktionsinstrument herrschender und konfligierender Ideologien, das in der Geschichte je aufgeboten wurde: Das bewegte Bild. Jackson Pollocks Gemälde wirken fahl im Schatten der ökonomischen Potenz eines James Cameron und dieser selbst kann sich schon nicht mehr vor dem Ansturm des Konkurrenzgenres der Games, allen voran „Modern Warfare II“, behaupten. Mit dem Budget kleiner Staaten werden hunderte visuell erobert. Und trotzdem: das Monopol war nie so fragmentiert wie heute und gerade deshalb so stabil. Adorno und Horkheimer wird zu Unrecht mit  Punkrock, Underground und Internet an den Karren gefahren. Die Verdoppelung Hollywoods in die größer gewordenen Kinder Bollywood und Nollywood festigt nur das Prinzip und seinen Erfolg.

Wenn alle Kultur samt ihrer gebotenen Kritik daran Müll ist, wie Adorno als Antithese diagnostiziert,  läuft dann alles auf „Mülltrennung“ (Gerhard Scheit) hinaus? Oder sollte man wachsam gegenüber den von Adorno und Horkheimer konstatierten „Zeitkernen“ in der „Dialektik der Aufklärung“ sein? Oder hält man es mit Adornos widersprüchlicher und darum angemessener Position, wenn er mit Gretel ins Lichtspielhaus flaniert, Beckett verehrt und sehr wohl in Besseres (Schönberg, Beckett, ungarische Volksmusik) und Schlechteres (Wagner, Jazz) trennt? Auch in der Filmindustrie gibt es Besonderheiten und so sehr sich die Nischenprodukte, die „Mentalreservate“ (Adorno), den Eliten als Delikatesse andienen, die dem Pöbel ungenießbar seien, so sehr muss auch die strengste Kritikerin noch Sympathie für gewisse Produkte aufbringen, die schlichtweg fortschrittlich im besten Sinne sind. Sie versprechen nicht ernstzunehmend, den Kapitalismus aufzuheben, sind aber durchaus geeignet den Reaktionären ihre Brunnen zu vergiften und in seltenen Momenten ein Gefühl aufleuchten zu lassen, das schwer begreiflich als Identifikation mit einem Glücksversprechen zu umschreiben wäre. Dass sie dadurch eine Funktion erfüllen, nämlich in den Menschen die Illusion entstehen zu lassen, durch die massenhafte Verbreitung der Kritik wäre sie schon in die Tat umgesetzt und die Revolutionen an den Fernseher deligiert werden ist ihnen kaum inhaltlich vorzuwerfen. Die Kritik ist eine der Produktionsverhältnisse, nicht der Ware und ihrem Glücksversprechen.

Im Stil gewordenen Stilbruch wohnt daher eine Chance, den Träumen einen Traum anzuträumen, was nicht einmal Adorno für gänzlich abwegig hält:

„Nicht darum sind die escape-Filme so abscheulich, weil sie der ausgelaugten Existenz den Rücken kehren, sondern weil sie es nicht energisch genug tun, weil sie gerade so ausgelaugt sind, weil Befriedigungen, die sie vortäuschen, zusammenfallen mit der Schmach der Realität, der Versagung. Die Träume haben keinen Traum.“

Und später:

„Was im Ernst escape wäre, der bildgewordene Widerwille gegen das Ganze bis in die formalen Konstitutentien hinein, könnte in message umschlagen, ohne es auszusprechen, ja gerade durch hartnäckige Askese gegen den Vorschlag.“ (Adorno, MM 387f)

Ein solcher bildgewordener Widerwille gegen das Ganze, unausgesprochene message, leuchtet in einer Technik auf, die Spongebob zum Stilelement erhoben hat. Die gezeichnete, in zerplatzende Formen fragmentierte Unterwasserwelt zeichnet in ihrer Absurdität ein realistischeres Bild vom Realen als das gesamte Dogma 95-Genre. Dessen Anspruch auf Authentizität durch Orthodoxie und technologischen Spartanismus verhöhnen die Closeups in Spongebob. Immer wenn etwas in seiner mikrologischen Betrachtung endlich ins Bewusstsein dringt, schwenkt das Bild vom Zweidimensionalen in die Dreidimensionalität des Ekels. Der verwesende Burger, auf den Spongebob in Unkenntnis der Todesdrohung vermutlich seine verdrängte Heterosexualität konzentriert, kommt erst dann in seiner bedrohlichen Vergänglichkeit zu Bewusstsein, als er „realistisch“ gezeichnet wird – das exaltierte Entsetzen, das Spongebob persifliert, ist eines über jene Naivität, die das Äußerliche, den Stil, zum Maßstab der Erkenntnis macht (siehe Spongebob: „Burgina“). Im Closeup des Grotesken verlacht Spongebob jene, die meinen, jetzt erst die Realität zu erkennen.  Es ist Ideologie, dass man nur genau genug hinsehen und herangehen müsse, um dem Schein zu entraten. Der echte Mund, der in den griechisch anmutenden Chor der Startsequenz ins Piratenbild eingeschnitten wird, wirkt  ekelhaft – weil er denunziert, dass jene versprengten Realitätsfetzen im erholsam Scheinhaften noch lange nicht Richtiges im Falschen versprechen, sondern sich um so lächerlicher machen. Es sind die Realismus-Fanatiker selbst, die Dinge und Menschen in abstrahierten Oberflächen-Formen wie in Spongebobs Welt sehen. Sie tappen wie der stümperhaft verkleidete Pirat als ermüdend komische Gestalten doppelt gefälscht umher. Fügte Brecht noch die Verfremdung ein mit dem Verdacht, der Bürger könne das Schauspiel schon nicht mehr als solches Erkennen oder auf sich beziehen, so flechtet Spongebob das realistische, dreidimensionale ein, um gerade den Verdacht, dass jenes und alles das Schauspiel sei, zu bestätigen.

„Denn verstört ist der Weltlauf. Wer ihm vorsichtig sich anpaßt, macht eben damit sich zum Teilhaber des Wahnsinns, während erst der exzentrische standhielte und dem Aberwitz Einhalt geböte.“ (Adorno: MM, 382)

Wer würde nicht zustimmen, in der Familie aus Spongebob Schwammkopf, Patrick Star, Thaddäus Tentakel, Eugene  Krabs, Plankton und Sandy ein kristallines Typenmodell von Exzentrikern zu finden? Ihr Aberwitz spottet noch jeder Normalität. Freud konstatiert, dass der Neurotiker in der Verneinung das verrät, was Kern seiner unbewussten Empfindungen ist. Wenn etwas ganz bestimmt NICHT so oder so sei, kann der Analytiker davon ausgehen, gerade hier einem verdrängten Inhalt zu begegnen. Die gesamte Unmöglichkeit der Unterwasserwelt ist eine einzige Verneinung und darum wahr, realistischer als jene, die die Täuschung, den Effekt verneinen und es gerade darin auf den Effekt am meisten abgesehen haben.

Die Marburger Linke – ein Trachtenverein. Von der freien Marktwirtschaft zur sozialistischen Weihnachtsmarktwirtschaft.

Seit alters her freuen sich Marburger Linke auf den Weihnachtsmarkt

Seit alters her freuen sich Marburger Linke auf den Weihnachtsmarkt

Dass gerade Sozialisten oft zu den eifrigsten Agenten des Marktes gehörten, ist seit über hundert Jahren bekannt – Sozialisten arbeiteten im Durchschnitt länger und motivierter als andere Teile der Arbeiterschaft. Längst hat man sich selbst von der Revolution zur Reform domestiziert. Die mühsamen Versuche, parteipolitisch originell zu wirken gleichen sich jener politischen Pausenclowneskerie des Kulturbetriebes an. In Marburg versteht sich „Die Linke“ in dieser Tradition als radikalste Reformerin des Marktes schlechthin – des Weihnachtsmarktes.

„Es ist höchst bedauerlich, dass der Weihnachtsmarkt in dieser einerseits historischen, andererseits aufwändig gestalteten Umgebung nach wie vor ein 08/15-Weihnachtsmarkt ist.“ So zitiert die Oberhessische Presse am 6.1.2009 aus einem Antrag der Linken. „Mit Ausnahme eines Standes mit künstlerischer Keramik böten alle Stände dasselbe an: pseudoexotischen Kitsch und Schmuck aus Fernost, industriell gefertigtes Zuckerzeug, Tütensuppen, bunte Tücher und Kerzen. Einheimisches Kunsthandwerk fehle nahezu völlig. Damit werde eine kulturelle und auch eine touristische Chance vertan.“

Nun hindert sicherlich niemand die Linke, auf dem Weihnachtsmarkt 2010 einen Stand anzubieten, an dem man dann so wohlfeiles Kunsthandwerk wie Picasso-Nachdrucke (Guernica, mit dezentem Wasserzeichen-Aufdruck „Raus aus Afghanistan“), Nicki de Saint-Phalle-Nachbildungen (die Gartenzwerge für AvantgardistInnen) und Liköre aus dem Marburger Hinterland erhalten wird. Die Linke bringt es allerdings fertig, in eine saisonale Ansammlung von privaten Kleinbetrieben die Idee eines staatlich verordneten Konzeptes hineinzubringen, „um einen wirklich typischen Marburger Weihnachtsmarkt zu schaffen“.

Die Melange aus Modernisierungsstrategie und Anbiedern ans Brauchtum ist eine zu typische Tendenz historischer sozialistischer Bewegungen. In der Sehnsucht nach kollektiver Breite wird noch jedes Versprechen auf Kritik beerdigt – Kritik heißt nunmehr, den konservativen Massen vorzuwerfen, sie seien nicht auf dem neuesten Stand des Brauchtums. Aus der Kritik am Verwertungsprinzip wird in der Regression der Vorwurf der Dekadenz. An der  gebotenen Kritik am Verblendungszusammenhang übt das Insistieren auf Echtes, Wahres, Geerdetes den Verrat. Den Widersprüchen der Revolution der Industrialisierung mit ihrer Freisetzung menschlicher Arbeitskraft wird wieder durch Maschinenstürmerei begegnet – der Bildungsbürger gönnt den gerade zu bescheidenem Wohlstand gekommenen Arbeitern aus der Salzbrezelfabrik nicht einmal die jährliche Zuckerwatte und das ganz ausgefeilt auf Unnützigkeit getrimmte Halbedelsteinmobile. Längst hat man sich in der Linken das Prinzip zu Herzen genommen, das Adorno und Horkheimer der Kulturindustrie diagnostizierten: „Der Fortschritt der Verdummung darf hinter dem gleichzeitigen Fortschritt der Intelligenz nicht zurückbleiben.“