Piratenalarm statt Intervention

Ein Pirat wurde gefangen. Wie die römischen Kaiser Barbarenfürsten in Triumphzügen durch die Straßen Roms zerrten, wird er durch die Presse gereicht – und vor allem als Novum für die Staatsrechtsprechung gehandelt. Piraterie und Staatsbigotterie sind eng verzahnt. In der Hochzeit der Piraterie waren Piraten zumeist Agenten im Auftrag von konkurrierenden Staaten. Sie führten das jeweilige Staatsinteresse außerhalb des rechtlich Verhandelten aus. Als die Staaten sich gegeneinander soweit konsolidiert hatten, dass Piraterie sowohl nutzlos als auch selbst zur Konkurrenz wurde, schrieb man die Freibeuter zu Staatsfeinden aus und verfolgte sie.

In der postnazistischen und postsozialistischen Welt konsolidieren sich die Staaten aufs Neue, diesmal auf internationaler Ebene. Internationale Rechtsprechung wird auf dem Weg zum Weltstaat zum Experimentierfeld, auf dem Trophäen Geltung verschaffen. Das Besondere am Fall des Jugendlichen aus Somalia ist daher nicht, dass er Pirat ist. Piraten gibt es in Südostasien ebenso wie in Afrika und allen Meeren mit unterschiedlichen Aufträgen: Schmuggeln, Fischraub, Müllentsorgung und das Aufbringen von Containerschiffen.

Dieser eine Pirat aus Somalia allerdings hat ein Verbrechen begangen, das schlimmer nicht sein könnte: Er gehört keinem Staat an. Was also implizit verhandelt wird, ist die stellvertretende Rechtsprechung, das Suggerieren eines internationalen verbindlichen Rechtsraumes, einer internationalen Exekutive, die selbst in Nichtstaaten wie Somalia Recht zu sichern weiß.

Dabei gibt man sich humanitär: Die Piraten seien eine Bedrohung für Hilfgüterschiffe. Die Hilfsgüterschiffe selbst sind eine Bedrohung. Die Schutzzölle der Helfer an die Warlords verschaffen diesen eine Existenzgrundlage, die eingeführten Hilfsgüter und Nahrungsmittel werden von Warlords verkauft oder paternalistisch verteilt. Es ist klar, dass keine Hilfsgüter nötig wären, wenn Waffenschmuggel, Islamismus und Tribalismus in Somalia eingedämmt würden. Die Hilfsgüter sind Zeichen einer Politik, die Somalia aufgegeben hat und mit Almosen ihr schlechtes Gewissen beruhigen will. Von Seiten Europas werden waffenstarrende Marineschiffe zum Schutz von ein paar Öltankern und Fischwilderern geschickt. Zur Verteidigung Mogadishus, der zwei Millionen schweren Hauptstadt Somalias aber sollen knapp 3000 Soldaten aus Uganda und Burundi ihr Leben gegen schwer bewaffnete und hochmotivierte islamistische Eiferer einsetzen. Zum Vergleich: um München gegen Grafittikünstler, Flüchtlinge ohne Papiere und Ladendiebe zu sichern, hält Bayern den dauerhaften Einsatz von 6000 im Gebrauch mit Schusswaffen bestens ausgebildete PolizistInnen für notwendig.

Das vom Weltmarkt abgehängte Hungerleiderland Somalia ist offensichtlich nicht von Interesse für die den Weltmarkt repräsentierenden Staaten. Sobald aber von jenen Hungerleidern eine Bedrohung für diesen Weltmarkt ausgeht, wird mit aller Macht zurückgeschlagen – und damit nur ein weiteres Mal zynisch zur Schau gestellt, welche Kapazitäten man zur Anwendung bringen kann, wenn man nur will. Dass Piraterie bekämpft wird, ist kein grundlegender Skandal, sondern eine Banalität. Dass Pirateriebekämpfung in Somalia zum vorrangigen Ziel erklärt wurde, während man Millionen Menschen und darunter vor allem die Frauen in Somalia dem Terror von Islamisten und traditionalistischen Männerbünden überlässt, ist menschenverachtende Bigotterie, eine makabre Farce.

Kuscheldöner im Kannibalenland

Kuscheldöner
Kuscheldöner

Zugegeben, der Kuscheldöner, den ich in Halle fotografieren durfte, ist in seiner braunen, spröden Sandsack-haftigkeit keine ernsthafte Konkurrenz für „Bernd das Brot“. Auch Gesichtsmortadella und Spongebob-Wassereis sind ihm in Sachen Usability einiges voraus, haben sie doch Essen und Identifikation selbst identifiziert und bedürfen nicht mehr des Umwegs über das Dritte. Für den Hang, die orale Aggression durch das Essen zu sublimieren, steht allerdings der personifizierte Döner Kebap ganz vorne Modell. Er wird nicht nur mit langen Messern kastriert und dann in heutzutage ungenießbar gewordenen Mayonaise-Saucen ersäuft, sondern wird vorher noch ausgiebig geröstet und tiefgefroren. Mit dieser Tortur identifiziert sich der Kuscheldöner vollkommen, ist trotzdem gut drauf und immer für einen Big Hug zu haben. Die Botschaft, das Essen habe es gern, wenn es zerschnitten, flambiert, verschlungen und wieder ausgeschieden wird, trifft sich ausgezeichnet mit Parolen, die den Büroalltag als Vergnügen feiern und Arbeit als das halbe Leben anpreisen. An der fetischisierten Nahrung wird das Bedürfnis nach Versöhnung mit dem einem selbst feindlichen Prinzip deutlich. Hat sich der barocke Früchteschnitzer noch die kunstvoll in Form gebrachte Natur unterworfen, identifiziert sich der Mensch, der sich der Nahrung gleich macht, indem er sie sich gleichmacht, mit dieser Unterwerfung. Zugleich soll die ganze Welt ein Kuscheltier werden – infantile Mimesis als Aufgabe jeder Konfliktbereitschaft. Douglas Adams macht das in seinem Anhalter-Zyklus zur Allegorie: Weiterlesen

Über Rassismusbegriff und Kulturalismus bei Claude Leví-Strauss

„Aber handelt es sich überhaupt um Aberglauben? In solchen Vorlieben sehe ich eher den Ausdruck einer Weisheit, der die wilden Völker spontan gehorcht haben und der gegenüber die moderne Rebellion als der wahre Irrwitz erscheint.“ (Levi-Strauss, TT: 113)

„Und da diese Missstände vorkommen, welches Recht haben wir dann, sie zu Hause zu bekämpfen, wenn sie nur irgendwo anders zu herrschen brauchen, damit wir uns vor ihnen verneigen.“ (TT: 380)

„Die Strukturen gehen nicht auf die Straße“, wurde den Strukturalisten von den Marxisten 1968 entgegengeschleudert. Sie gingen – deswegen oder trotzdem – auch nicht unter. Der Strukturalismus wurde schon so oft zum toten Pferd erklärt, dass die Nekrologe sich selbst wie Widergänger ausnehmen. Wenn nun Claude Leví-Strauss seinen Geburtstag eher griesgrämig absolviert, ist die Ursache weniger im persönlichen Misserfolg als Theoretiker zu sehen. Vielmehr ist diese Haltung die Konsequenz aus der zivilisationskritischen und bisweilen zivilisationsfeindlichen privaten Einstellung des Ethnologen. Weiterlesen

Der neue Adorno Oevermann

Die Hagiographie für Oevermann aus der Hand Hans-Josef Wagners feiert den Begründer der „Objektiven Hermeneutik“ als neuen Adorno:

„Keine andere Position als die Oevermanns ist näher an dem, was Adorno als Ziel seiner »Negativen Dialektik« ansah und als »Utopie der Erkenntnis« bezeichnete, nämlich: »das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen«.“

Es stellt sich allerdings die Frage, warum eben jener neue Adorno sich auf einer Methodentagung strikt von der Kritischen Theorie abgrenzte. Mehr noch warf er dieser vor, die Wertfreiheit der Wissenschaft zu überstrapazieren. Ein Wissenschaftler solle im Dienste des Steuerzahlers keine Ideologiekritik betreiben. Das nimmt nicht weiter Wunder, folgt die objektive Hermeneutik doch allzu offen einer Angleichung an naturwissenschaftliche Methodik.

„Die objektive Hermeneutik ist nicht eine Methode des Verstehens im Sinne eines Nachvollzugs subjektiver Dispositionen oder der Übernahme von subjektiven Perspektiven des Untersuchungsgegenstandes, erst recht nicht eine Methode des Sich-Einfühlens, sondern eine strikt analytische, in sich objektive Methode der lückenlosen Erschließung und Rekonstruktion von objektiven Sinn- und Bedeutungsstrukturen.“ (Oevermann)

Die Sequenzanalyse in der Gruppe mag unterhaltsam sein und durchaus Aufschlüsse bringen. Interessant auch die These, dass Rupturen in den Protokollen durch Krisen ausgelöst werden. Wie allerdings die Objektivität zum Fetisch gerinnt und in positivistische Ideologie umschlägt, wird in der Trennung von Erfahrungswissen und objektivem Wissen offenbar. Das geht erfahrungsgemäß schief, denn wo Verhaltensforschung und Gehirnforschung zitiert wird, ist man von Biologismus und Strukturalismus nie weit entfernt. So kommt es auch zu strapaziösen Verlautbarungen von Seiten Oevermanns wie jene, dass Burschenschaften einmal progressiv gewesen seien.  Zumindest Adorno hätte gewusst, dass eben jene Studenten, die 1817 auf dem Wartburgfest gegen die Kleinstaatlerei ein geeintes Deutschland proklamierten, gleichzeitig den „Code Napoleon“ und die „Germanomanie“ des Saul Aschers verbrannten – auch ein affirmativer Begriff von Progressivität würde sich der Anwendung auf diese Autodafés schämen.

Candidates say: work hard and fight

Gestern habe ich ausnahmsweise die Reden der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten in Ohio mitverfolgt. Obama beschwört die harte Arbeit, die von jedem getan werden müsse, McCain den Kampf. So unglaubhaft Obamas Rolle als Weihnachtsmann mit dem dicken Geschenkesack ist, so ätzend kommt McCains propagandistische Trickkiste daher: Umverteilung von Wohlstand bedeute, das Geld aus „euren Taschen zu nehmen und in andere Taschen zu leiten“. Mit der Nominierung von Sarah Palins zur Vizepräsidentin und den unappetitlichen Hetzkampagnen gegen Obama hat sich McCain ohnehin jeder Intellektualität entschlagen. Obama wiederum spielt auf dem gleichen Klavier nur das um weniges melodiösere Lied. Wo McCain Terrorist, Sozialist, Kommunist trötet, sagt Obama Bush, Bush, Bush. Interessant ist die Gestik der beiden. Obama wuchert mit dem Lehrerfinger und geizt ausnahmsweise bis zuletzt mit dem sexy Smiley, der ihn populär machte. McCain indes wischt zackig über die Papiere am Pult, winkt fleißig und nutzt die Faust. Geht es ums Programm, so sind beide bis auf wenige Punkte austauschbar. Arbeitsplätze für Amerikaner, Erneuerbare Energien fördern, Irakkrieg beenden. Obama fudert die Millionen  unbekannter Herkunft auf den Tisch, während McCain völlig im Vagen bleibt bei der Finanzierung. McCain will Atomkraftwerke als alternative Energie fördern und diese tollen „Anlagen“ bauen, die in LaHague, Sellafield und Tokaimura so tadellos laufen – da ist Obamas Modell doch ein wenig einsichtiger.

Was Iran angeht: Von der Seite hat bereits Bush gezeigt, dass Israel im Zweifelsfall ohne die USA agieren muss, sei der Präsident auch noch so konservativ. Insofern ist es außenpolitisch betrachtet relativ egal, wer da Präsident wird. Die prospektive israelische Präsidentin Tzipi Livni hat den Angriff bereits um etwa zwei Jahre verschoben, bis dahin kann Obama seine Lorbeeren einfahren, das Ende des bereits jetzt weitgehend gewonnenen Irakkrieges auf seine Rechnung buchen und sich voll und ganz auf Afghanistan konzentrieren – die Zeit spielt für sein Programm. Man sollte daher, wo man sich von der Kandidatenkür allzusehr blenden ließ, zum lästigen Tagewerk der zynischsten Missstände zurückkehren: Der Club of the Worst Conflicts mit Somalia, Pakistan, Simbabwe, Birma, Iran, Nordkorea und Sudan, die Faschisierung Europas und Russlands, und natürlich die vier Reiter der Apokalypse Misogynie, Homophobie, Rassismus und Antisemitismus.

Italien – Siegeszug des Faschismus

Der Umgang mit Flüchtlingen ist weder primär noch sekundär ein ökonomisches Problem. Auf dem heutigen Stand der Produktionsmittel ist es auch innerhalb kapitalistischer Produktionsweise allein eine kulturelle und ideologische Frage, wie mit Menschen umgesprungen wird, die von externen Faktoren zur Flucht gezwungen werden. Für viele afrikanische, amerikanische oder asiatische Staaten ist es absolut üblich, Millionen von Flüchtlingen aufzunehmen. Die USA sicherten sich so über lange Zeit ein imposantes Subproletariat ebenso wie gut ausgebildete Eliten. In dem knapp 300 Millionen Menschen zählenden Staat ist es selbst für konservative Regierungen kein Problem, mal eben immerhin einige Millionen illegaler Immigranten zu legalisieren. Pakistan nahm Millionen afghanischer Flüchtlinge auf, in die bettelarmen Nachbarländer des Sudan strömten Flüchtlinge aus Darfur und Kenia sorgte schlecht und recht für die somalischen Flüchtlinge, die infolge der Inkompetenz der UN immer noch nicht zurückkehren können. Würden sich aber beispielsweise in Indien Regionen nach Überschwemmungen weigern, die Millionen Binnenflüchtlinge aufzunehmen, die Welt wäre entsetzt und schnell dabei, das etwa als exotischen Ausdruck hinduistischer Gleichgültigkeit zu geißeln.

Staaten wie Deutschland oder Italien nehmen für sich in Anspruch, mit fadenscheinigen Argumenten wie Integrationsproblemen oder Arbeitsmarktkomplikationen Menschen fundamentale Grundrechte zu verweigern. Italien nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein und mausert sich in Riesenschritten zum Entrepreneur in Sachen demokratischer Faschisierung. Vernichtungsphantasien von Seiten der starken Rechten tobten sich schon lange an wehrlosen Objekten aus: Flüchtlingsboote wollte mancher bombardieren, in den Lagern, in denen Flüchtlinge konzentriert werden, herrschen unmenschliche Zustände, während wenige Kilometer weiter der Papst weihevolle Reden von Mitgefühl hält. Sinti und Roma sind prädestinierte Zielgruppen aller europäischen nationalistischen Bestrebungen und in Italien auf der gar nicht sprichwörtlichen Abschussliste ganz oben verzeichnet. Kriminelle Akte, unausrottbare Normalität in der bürgerlichen Gesellschaft und erst recht in einem mafiösen Staat wie Italien, werden dann zum Anlass genommen, massenhafte Ausschaffungsaktionen durchzuführen. Maßnahmen wie die gesetzliche Abnahme von Fingerabdrücken von Roma-Kindern sind erste Produktionsschritte der altbekannten, aber in Sachen Modernisierung generalüberholten Exterminierungsmaschinerie. Während sich in Neapel Müllhaufen seit Jahren stapeln, hat man noch genügend Bulldozer und Mittel parat, um bei Nacht und Nebel einige illegale Roma-Siedlungen zu beseitigen.

Jetzt haben sich die italienischen Faschisten endgültig durchgesetzt mit der Forderung nach einer Trennung von Schulklassen: Ausländer, die nicht genügend Italienischkenntnisse aufweisen, sollen separat unterrichtet werden. Die Bigotterie des als rational vorgeschobenen Arguments, es gehe darum, den Schülern Italienisch beizubringen, wird an der gleichzeitigen Kürzung von Lehrstellen deutlich. Die markierte Differenz feiert Urständ: In deutschen Foren tobt der Jubel, jeder dritte Kommentar feiert die italienische Entschlossenheit und jeder zweite weiß von Problemen zu berichten, die durch mangelnde Sprachkenntnisse ja so wirklich und real entstünden. In afrikanischen Staaten ist es allerdings normal, dass Schulklassen zwei-, drei- oder fünfsprachig stattfinden, ohne dass das zu größeren Problemen als den üblichen  ökonomischen führen würde. Wer allemannische Dialekte aus dem Schwarzwald oder hessisches Platt kennt, würde Sprachkenntnisse im Deutschen nicht leichtfertig vom Pass abhängig machen. In Deutschland mit seinen 2 Millionen mehr oder weniger türkisch sprechenden Bürgern ist es gleichsam undenkbar, Türkisch als in ferner Zukunft einmal mögliche zweite Amtssprache auch nur anzudenken. Selbst englischsprachige Filme werden zu 100 Prozent synchronisiert, während man in den östlichen Nachbarländern sehr selbstverständlich auch deutsch spricht und etwa die Schweiz mit drei Amtssprachen brilliert. Reale Probleme des Bildungssystems stehen somit kaum zur Debatte: Schließlich werden sie nicht liberal und rational zu Gunsten einer gleichberechtigten Schülerschaft verhandelt. In Wirklichkeit geht es nur um einen weiteren erfolgreichen Tabubruch bei der Einrichtung eines fremdenfeindlichen Faschismus. Den zum Erfolg Bestimmten solle die Unfähigkeit der Fremden ein Hemmschuh sein. Der Widerspruch, warum ökonomisch sehr viel schlechter gestellte Staaten sehr viel selbstverständlicher mit Flüchtlingen umgehen, juckt im Land des Katholizismus wenig. Die Linke gibt sich indes unehrlich empört. Wo gegen die USA noch Millionen auf die Straße gingen, versammeln sich angesichts der Manifestierung solcher faschistischen Umtriebe in der italienischen Staatspolitik einige wenige Grüppchen zum bunten Händchenhalten.

Mit dem Staat aus der Krise (und gegen „amerikanischen Egoismus“)

Am Wirtschaftstag zeigt sich, dass die Ideologie der Produktionsmitteleigner und -verwalter nichts von der der Linkspartei unterscheidet, solange es um die bräsige Einheit von Nationalismus und Staatsaffirmation geht.

„Wir müssen unsere soziale Marktwirtschaft erneuern, sie fit machen für die globale Ökonomie, sie vom Raubtier- und Casino-Kapitalismus befreien.“ So kann der Präsident des Genossenschaftsverbandes und vorgeblicher Freund des Dalai Lama Walter Weinkauf in einem Atemzug soziale Marktwirtschaft von einem „Raubtier“-Kapitalismus unterscheiden und im Nebensatz ein aus der Agenda 2010 nur zu bekanntes „Fit-Machen“ androhen.

„Die im deutschen Handelsgesetzbuch verankerten Sicherheits- und Stabilitätskriterien dienen dem Schutz des Mittelstandes. Sie dürfen nicht für eine anglo-amerikanische Wirtschaftskultur geopfert werden.“

Wo solche „Wirtschaftskulturen“ aufeinanderprallen, läuft der rheinische Kapitalismus-Hase gerne Amok:

„Doch moderne Ordnungspolitik hat für Wettbewerb und Chancengleichheit zu sorgen. Sie schützt Kleine, egal ob es um Bürger oder Unternehmen geht. Sie hat der Doppelnatur unseres Daseins Rechnung zu tragen: Nämlich frei sein zu wollen, um sich zu bewähren, und zugleich in einer Gemeinschaft aufgehoben zu sein, mit der Pflicht, sich auch für die Gemeinschaft einzusetzen. Das ist etwas ganz anderes als die an Egoismen orientierte amerikanische Welt.“

Der Ruf nach deutscher Pflicht, sich für die aufhebende Gemeinschaft und damit gegen die „ganz andere amerikanische Welt“ einzusetzen, ist das wirklich zu fürchtende Menetekel der aktuellen Krise. Wo die Berufssparer und der ach so zerrüttete Mittelstand um ihre Einlagen fürchten und Bauchmarxisten vor lauter Angstlust schon mal ihre Schatzbriefe von der Bank fuddeln wabert auf dem Wirtschaftstag der reaktionäre Geist ganz  gemeinschaftlich als kristalliner Antiamerikanismus durch die Luft. Ausgerechnet der Porsche-Chef Wendelin Wiedeking darf dann noch von „Raubtierkapitalismus“ blubbern:

„Die Krise an den Finanzmärkten, die mittlerweile sogar zu einer ernsthaften Bedrohung für die globale Konjunktur geworden ist, bestätigt sämtliche Vorurteile über den von Profitgier getriebenen so genannten Raubtierkapitalismus.“ (Oberhessische Presse, 16.10.2008)

Porsche dagegen war von je her von der „Verantwortung des Unternehmers“ geprägt und keinesfalls vom Streben nach „Gewinn“ und „Profitgier“. In der Krise rottet sich Deutschland eben recht gerne über Klassengrenzen zusammen und sucht sich sein Anderes zurecht.

„Denkst-du“ – Wie Menschen mit Behinderung den sozialen Frieden in Deutschland bedrohen

Im IC die Bahn-Zeitung „Mobil“ aufgeschlagen, draußen das graubraune Land. Eine ganzseitige Anzeige  von „denkst-du“ lässt die Zehennägel kräuseln. Motiv: Ein Schweißer, überladen mit Schläuchen, unter dem Arm eine Schweißerhaube, eine dicke Unterlippe wird von einem schwarzen Schnurrbart kontrastiert. Dicke Schrift: „Unmöglich, denkst du“. Ich frage mich natürlich, was man hier für unmöglich halten soll. Dass zum Schweißen so derart viele Schläuche nötig sind? Dass ein Mensch mit Schnurrbart und dicker Lippe schweißen kann? Erkennt die Spezialistin hier sofort an irgendwelchen Merkmalen eine Trisomie oder einen Mangel an Sauerstoff während der Geburt? Mir als Laie bleibt das verborgen, da steht also ein Schweißer und schleppt ziemlich elend an dem Material herum, das ihn ausweisen soll. Vielleicht gibt der Text mehr her:

„An über 2.300 Standorten leisten täglich Menschen mit Behinderungen ihren wertvollen Beitrag für unsere Volkswirtschaft. So helfen wir, den sozialen Frieden in Deutschland zu sichern. Das ist nur eine unserer Stärken. Gute Arbeit aus Werkstätten für behinderte Menschen.“

Man ist aufgeklärt. Würden die Werkstätten für behinderte Menschen nicht Menschen mit Behinderungen beschäftigen, wer weiß, was die sonst so anstellen würden mit dem sozialen Frieden hierzulande. Nasebohrende, pöbelnde Rollstuhl-Punks an allen Orten, arbeitsscheue Trisomie-21-Agitatoren an den Straßenrändern, eine Spastiker-RAF soll auch schon in der Gründung sein: Sodom mindestens, wenn nicht Gomorrha… Berlin also gerade noch mal davongekommen, den Werkstätten sei Dank. So ist „unsere“ Volkswirtschaft doch auch von „denen“ abhängig. „Wertvoll“ muss der Beitrag aber schon sein, sonst gibts keinen sozialen Frieden zum Abendbrot.

Vielleicht ist auch das Gegenteil gemeint. Vielleicht hat man nur Angst, dass, würden Behinderte nicht in Werkstätten durch zumeist weitaus stupidere Arbeit als Schweißen oder Feuerwehr „beschäftigt“, der soziale Frieden dahingehend zusammenbricht, dass die Volkswirtschaft mal wieder über die Menschen mit Behinderungen herfällt. Die Rede vom „Sozialen Frieden“ droht schon mit Genozid. Wo Ausländerhatz systematisch organisiert wird, von Fernsehsendern bejubelt und vom Volk goutiert, herrscht „sozialer  Frieden“. Wo allseitige Konkurrenz den Menschen das Leben sauer macht, beschwört man die Volkswirtschaft. Nichts wie raus aus diesem Zug.